Deutsches Jazzfestival Frankfurt 2015

29.-31. oktober 2015
Infos und Videostream:
jazzfestival.hr2-kultur.de
Live-Übertragung in hr2-kultur
Eine Veranstaltung des Hessischen Rundfunks
in Zusammenarbeit mit dem Dezernat für Kultur
und Wissenschaft der Stadt Frankfurt
Ihr Kulturradio
für Hessen!
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Editorial
Ist die Avantgarde müde geworden? Schlägt die große
Stunde der Nachahmer? Wer sich in der aktuellen Jazzszene umschaut, wird Schwierigkeiten haben, etwas originär Neues zu entdecken. Leider begnügt man sich allzu
oft mit der bloßen Wiederaufbereitung von schon tausend
Mal Gehörtem. Gleichwohl gibt es sie noch, die Musiker,
die den Innovationsgedanken nicht aufgeben möchten. Nur
dass sie nicht mehr einer radikalen Erneuerung nachjagen
– im Sinne eines ästhetischen Umsturzes – sondern das
Neue in ungewohnten Versuchsanordnungen suchen.
Michael Mantlers visionäre Gründung des Jazz Composer’s
Orchestra im Jahr 1968 hat auch im Jahr 2015 nichts von
ihrer ästhetischen Sprengkraft eingebüßt, weil der Trompeter
und Komponist die alten, legendären Aufnahmen einem
zeitgemäßen Update unterzieht. Auch die neue Formation
HOPE mit Alfred 23 Harth und Chris Cutler erinnert an
die Provokationen der Frankfurter Kult-Band Cassiber,
ohne sich auf den historischen Vorleistungen auszuruhen.
Das Bandprojekt schreibt die Kollisionen der Genres fort,
natürlich mit den elektronischen Möglichkeiten des
21. Jahrhunderts.
_UND DEIN FESTIVAL
IST DA wO DU BIST
ERLEBE DAS 46.
DEUTSCHE JAZZFESTIVAL
FRANKFURT LIVE UND
IM REPLAY AUF
CONCERT.ARTE.TV
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Zum 50-jährigen Jubiläum der schwarzen Musikerselbstorganisation AACM präsentiert das diesjährige Festival
einen generationsübergreifenden Themenschwerpunkt:
von den Gründungsheroen wie Roscoe Mitchell und Jack
DeJohnette bis zu den jungen Fackelträgern der AACM
›Now‹ Generation. Noch im aktuellen Slogan der Chicagoer
Musikerkooperative: »Together – A Power Stronger Than
Itself« klingt das berühmte Motto »Great Black Music –
Ancient to the Future« nach.
Auch die anderen Festivalprojekte – ob das waghalsige
Zappa-Programm der hr-Bigband, das kammermusikalische Duo Peirani/Parisien, das groovende Contrast Trio + 1
aus Frankfurt oder die ätherischen Höhenflüge des Saxophonisten Mark Turner – sind nicht gerade AllerweltsKonstellationen. Wagemutig klingen sie allemal.
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Das 46. Deutsche Jazzfestival Frankfurt 2015 ist eine Veranstaltung des Hessischen Rundfunks / hr2-kultur in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt am Main / Dezernat für Kultur
und Wissenschaft.
Hotelpartner:
Medienpartner:
Donnerstag, 29. Oktober
CONTRAST TRIO + 1
MICHAEL MANTLER & hr-BIGBAND:
“JAZZ COMPOSER’S ORCHESTRA UPDATE”
VINCENT PEIRANI & ÉMILE PARISIEN DUO:
“BELLE ÉPOQUE”
FREItag, 30. Oktober
Great Black Music -- Ancient to the Future!
Tickets
Kartenvorverkauf beim hr-Ticketcenter 069 155-2000
www.hr-ticketcenter.de
und bei allen bekannten Vorverkaufsstellen
Keine freie Platzwahl
Tageskarte Do – Sa, je Tag: 37,50 €
Kombiticket Do, Fr, Sa: 95,50 €
Das Festival wird in hr2-kultur live übertragen und
der Konzertabend am Samstag wird im Videostream
auf folgenden Internet-Plattformen zu sehen sein:
jazzfestival.hr2-kultur.de
und im ARTE-webchannel
concert.arte.tv/de
46. Deutsches Jazzfestival Frankfurt 2015
im hr-Sendesaal, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt
AACM VOCAL ENSEMBLE
AACM ‘NOW’ GENERATION
JACK DEJOHNETTE / ROSCOE MITCHELL /
MATTHEW GARRISON
SAMStag, 31. Oktober
“JAZZ FROM HELL”-Hr-BIGBAND PLAYS ZAPPA
MARK TURNER QUARTET: “LATHE OF HEAVEN”
HOPE
Programmänderungen vorbehalten!
Stand Juli 2015
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Donnerstag, 29. Oktober
CONTRAST TRIO + 1
Seit das Contrast Trio (das damals noch Contrast Quartet
hieß) 2008 das Arbeitstipendium Jazz der Stadt Frankfurt
bekam, herrscht Kontinuität: Bis heute sind die Drei noch
immer die Speerspitze, wenn es um die »Next Generation«
in der Frankfurter Jazz-Szene geht. Ihre Musik hat sich
freilich weiterentwickelt: »Es geht uns weniger um individuelle Virtuosität als um eine gemeinsam kreierte Klangästhetik«, sagt der Pianist Yuriy Sych mit Bezug auf das
Anfang des Jahres erschienene Album »2«. »Wir wollen bei
diesem Album bewusst weg von Soli und der Präsentation
einzelner Instrumente«. Ein Plädoyer für Kompaktheit und
variierende Trio-Klangfarben von Yuriy Sych, der es eigentlich wie kaum ein anderer versteht, einen ganzen Saal mit
seiner überbordenden Virtuosität in einen Taumel zu spielen.
Tatsächlich agiert das Trio auf der genannten CD als geschlossene Band ohne Zurschaustellung von HochleistungsHandwerkelei einzelner. Dennoch ist die Dynamik enorm.
Es gibt viele energiegeladene Passagen, die sich immer
wieder aus den changierenden Klangflächen herausschälen.
Dabei ist Yuriy Sych mit seinen Langzeit-Partnern, dem
Bassisten Tim Roth und dem Schlagzeuger Martin Standke,
so traumhaft eingespielt, dass das Ganze auch unverabredet
als vital sprudelnder Organismus funktioniert: Groove,
repetitive Miniaturen, subtile elektronische Effekte – dieser
modernen Pop-Musik, gespielt von Vollblut-Jazzern, fehlt
es an nichts, um zeitgemäß, ja modern rüberzukommen.
Aber wer weiß schon, an welchen Transformationen die
Kontrastler im Moment gerade wieder arbeiten? Für ihr
Konzert auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt haben
sich die Drei einen Gast ins Boot geholt, den Perkussionisten Florian Dressler. Der Schlagwerker Martin Standke hat
in seinem Drumming eine solch individuelle Akzentuierung
und Präsenz, dass man sich kaum vorstellen kann, dass
eine Verstärkung der Impulse an den Trommeln eine zusätzliche Dimension in die Musik bringen kann, aber wir
vertrauen auf den Spürsinn der Musiker. Denn sie wissen,
was sie tun. Schon oft haben sie mit Gastmusikern gespielt,
immer gab’s auch inhaltlich Surplus. Und so viel Experimentier-Geist, wie er sich hier bei Frankfurts Vorhut artikuliert,
kann man nur unterstützen. Überraschungen werden gern
billigend in Kauf genommen.
Yuriy Sych | p, synth
Tim Roth | b, sound effects
Martin Standke | dr, samples
Florian Dressler | perc, electronics
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Obwohl das Original noch heute, fast ein halbes Jahrhundert
nach der Aufnahme-Session, ausgesprochen frisch klingt,
kam Mantler beim Digitalisieren seiner alten Aufnahmen
die Idee, das Material nach einer gründlichen Überarbeitung mit zeitgenössischen Musikern neu aufzunehmen.
Dabei ging es ihm aber keineswegs um ein »Re-do«,
sondern um ein »Update«, wie er es nennt: Die aus den
60er-Jahren stammenden Kompositionen wurden für das
21. Jahrhundert neu aufbereitet. Die damaligen Partituren
waren auf die gravitätischen Neuerer wie Sanders und
Taylor zugeschnitten, jetzt sollte der Anteil an freier Improvisation zugunsten von ausgeschriebenen Passagen begrenzt werden. Mantler ging es nicht darum, irgendwelche
Imitatoren der Stimmen seiner damaligen Solisten zu
finden, bewusst wollte er sich davon absetzen. Mit der
Wiener Big Band Nouvelle Cuisine, ihrem Leiter Christoph
Cech und dem Streicher-Ensemble radio.string.quartet.
vienna spielte Mantler 2013 sein »The Jazz Composer’s
Orchestra Update« im Wiener Club »Porgy & Bess« neu
ein. Die im letzten Jahr bei ECM erschienene CD ist wiederum ein Meilenstein des orchestralen Jazz.
Donnerstag, 29. Oktober
MICHAEL MANTLER & hr-BIGBAND:
“JAZZ COMPOSER’S ORCHESTRA UPDATE”
Der einstige Visionär kehrt zurück: Mit dem Album
»The Jazz Composer’s Orchestra« hat der Komponist und
Trompeter Michael Mantler 1968 einen bahnbrechenden
Klassiker des modernen Jazz geschaffen. Der Österreicher, der damals in den USA lebte und ein langjähriger
Partner von Carla Bley wurde, leitete seinerzeit ein großes
Orchester, in dem einige Ikonen der damaligen »free
playing«-Szene versammelt waren: vom Pianisten Cecil
Taylor über den Kornettisten Don Cherry bis zum Posaunisten Roswell Rudd, von Larry Coryell an der Gitarre bis
zu den Tenoristen Pharoah Sanders und Gato Barbieri.
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So wie bei Mantler klingt kein anderes Jazzorchester
weltweit – nicht unbedingt wegen der dort versammelten
Solisten, sondern vielmehr wegen der einzigartig nuancierten Tonsätze, die Mantler geschrieben hat. Sie sind
inspiriert von der klassischen europäischen AvantgardeMusik, sie haben die Komplexität von Neuer Musik. Aber
sie sind in der Kombination von Partiturarbeit und jazzbezogener Improvisation, trotz ihrer kompakten Dichte
und labyrinthischen Verwobenheit ausgesprochen unakademisch und vital. Schöner als hier lässt sich musikalisch kaum ein kalter Schauer über den Rücken jagen.
Frank Wellert | tp
Martin Auer | tp
Thomas Sonnen | french horn
Charles Petit | french horn
Peter Feil | tb
Manfred Honetschläger | b-tb
Wolf Schenk | tuba
Nina Hacker | b
Thomas Stabenow | b
Thomas Heidepriem | b
Jean Paul Höchstädter | dr
Heinz-Dieter Sauerborn | ss, fl
Oliver Leicht | ss, cl
Steffen Weber | as, cl, bcl
Rainer Heute | bs
Mit diesem musikalischen Material von Michael Mantler
betritt die hr-Bigband, die wahrlich schon so einige Sujets
erfolgreich bearbeitet hat, tatsächlich fremden Boden
und versucht, neue musikalische Territorien zu erobern.
Für das Konzert auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt bringt Mantler das elektro-akustisch bewanderte
radio.string.quartet.vienna mit, ebenso den jungen Wiener
Tasten-Derwisch David Helbock und mit dem Gitarristen
Bjarne Roupé einen langjährigen Interpreten der Kompositionen von Michael Mantler. Die Haupt-Solisten an den
Saxophonen sind Tony Lakatos und ein Mann, dessen
Mitwirkung allein schon eine kleine Sensation ist: Peter
Brötzmann, der große Vorsitzende des freien Spiels der
Kräfte in Deutschland und weltweit, ist durchaus schon
mal in den frühen Jahren mit Mantler auf der Bühne
gewesen. Dass er bei diesem speziellen Festival-Projekt
mit der hr-Bigband zusammen auf der Rampe steht, das
allein schon lässt eigentlich jedem große Ohren wachsen.
Michael Mantler | comp, tp
Christoph Cech | cond
Peter Brötzmann | reeds
Tony Lakatos | reeds
Bjarne Roupé | g
David Helbock | p
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radio.string.quartet.vienna
Bernie Mallinger | violin
Igmar Jenner | violin
Cynthia Liao | viola
Sophie Abraham | cello
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Donnerstag, 29. Oktober
VINCENT PEIRANI & ÉMILE PARISIEN DUO:
“BELLE ÉPOQUE”
Zwei Djangos können nicht irren. Beide Musiker wurden
schon mit dem »Prix Django Reinhardt« geehrt, und nicht
nur mit dieser renommierten Auszeichnung. Der Akkordeonist Vincent Peirani, Mitte 30, ist in Frankreich bereits seit
zwei Jahren der Shooting Star der Jazzszene, etwa das,
was Michael Wollny der hiesigen Gemeinde bedeutet.
Ähnliches gilt für den Saxophonisten Émile Parisien, knapp
über 30, der wie Peirani in den unterschiedlichsten musikalischen Zusammenhängen immer neue Lorbeeren erntet.
Wenn bei Peirani gar von einem »Jahrhundert-Talent«
geschwärmt wird, dann gehen der Presse da vielleicht
ein bisschen die Gäule durch, aber wer ein Duo-Konzert
der beiden erlebt hat, der kann in Anbetracht dieser überschäumenden Virtuosität und Spiellust gar nicht anders,
als bislang unerreichte musikalische Dimensionen zu
bescheinigen.
die man auf einem Akkordeon noch nicht erlebt zu haben
meint. Die große französische Akkordeon-Tradition von
Richard Galliano und Jean-Louis Matinier wird hier aufgegriffen, weitergetragen und nicht selten überholt. Bei
Autoreifen nennt man das Runderneuerung: danach
greifen sie wieder gut, haben besondere Haftwirkung.
Peirani und Parisien greifen musikalisch nach allem, was
sie berührt, stilistisch und genrebezogen sind sie offen,
frei von irgendwelchen Scheuklappen. Da greift eine fast
musikantische und deshalb erfrischende Unbedarftheit –
das passiert allerdings auf einem atemberaubenden
musikalischen Niveau.
Vincent Peirani | acc
Émile Parisien | ss
Die beiden wechseln ganz unverstellt mit schlafwandlerischer Intuition zwischen ätherischer Meditation und
flirrender, geradezu rauschhafter Intensität. Ihre Zwiegespräche schaukeln sich nicht selten hoch zu hyperdynamischen Parforce-Ritten, wenn sich die beiden in
eigenen Stücken austauschen oder sich vor Sidney Bechet
und dessen »Egyptian Fantasy« verneigen, mit »Dancers
In Love« bei Duke Ellington klingeln und Irving Mills mit
»St. James Infirmary« einen Besuch abstatten. Ihre
stupende Technik explodiert immer wieder. Aber nicht
um ihrer selbst willen. Hier werden keine GeläufigkeitsMeisterschaften abgehalten, da geht ganz einfach der
spielerische Enthusiasmus mit den beiden durch.
Das fiebernde Sopransaxophon von Parisien zitiert ganz
nebenbei alle möglichen Klang-Facetten von Bechet,
Coltrane, Steve Lacy und Wayne Shorter – und legt dann
immer noch etwas oben drauf. Peirani entlockt seinem
»Wunderkasten« fortwährend neue Farben und Nuancen,
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Great Black Music -Ancient to the Future!
Zum 50-jährigen Jubiläum
der AACM
Vor fünfzig Jahren fand sich an der Chicagoer South Side eine
Gruppe schwarzer Musiker zusammen, die eines gemeinsam hatten: Sie standen mit dem Rücken zur Wand. Immer
mehr Jazzclubs der »Windy City« machten dicht, die lokalen
Radiosender spielten fast nur noch Pop und der kulturelle
Mainstream Amerikas tendierte zunehmend in Richtung
einer jugendorientierten Rockmusik. Für experimentierwillige
Jazzmusiker gab es kaum noch Arbeitsmöglichkeiten.
Zugleich waren es die Jahre der Bürgerrechtsbewegung
und der Selbstermächtigung von Afro-Amerikanern durch
eine genuine »Black Music«: Im Heulen und Kreischen der
Saxophone sollte sich schwarzer Protest gegen soziale
Diskriminierung artikulieren.
In dieser Situation wurde der Pianist Muhal Richard Abrams
zu einer Art Katalysator der Misere. Getreu der Devise »Hilfe
durch Selbsthilfe« hatte er schon 1962 die Experimental Band
ins Leben gerufen, eine Art Probenensemble, das sich zur
Aufgabe machte, nur Original-Kompositionen seiner Mitglieder aufzuführen. Und zu denen zählten neben Abrams
u. a. der Schlagzeuger Jack DeJohnette, sowie die Saxophonisten Roscoe Mitchell und Joseph Jarman.
Mitchell erinnert sich: »Wir suchten einen Ort, an dem wir
unsere musikalischen Vorstellungen mit Gleichgesinnten
zusammen erarbeiten, wo wir Konzerte veranstalten, wo wir
Studienprogramme für Nachwuchsmusiker organisieren,
wo wir unser Gemeinschaftsgefühl als schwarze Künstler
stärken konnten.« Im Mai 1965 war es dann soweit: Man
gründete die Non-Profit-Organisation AACM (Association
for the Advancement of Creative Musicians), aus der in den
Folgejahren so wegweisende Künstler wie Anthony Braxton,
Lester Bowie, Henry Threadgill, Leo Smith, Amina Claudine
Myers oder George Lewis hervorgehen sollten. Sie alle
siedelten ihre Improvisationen im Spannungsfeld von
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Neuer Musik und uralten afrikanischen Ritualen an,
griffen aber ebenso auf frühe Formen des New Orleans
Jazz zurück.
Beispielhaft für diese Ästhetik einer »African American Art
Music« sollte das Art Ensemble of Chicago werden. Diese
weltweit erfolgreichste AACM-Formation verkörperte zugleich das Gemeinschaftsideal der Organisation: Der Kollektiv-Gedanke hatte stets Vorrang vor den Leistungen des
Einzelnen. Mehr und mehr stand das Kürzel AACM für eine
moralische Haltung, für eine schöpferische Atmosphäre.
Dies dokumentierte sich nicht zuletzt im kommunalpolitischen Engagement der AACM, im Angebot kostenloser
Musikkurse für Jugendliche, in den vielfältigen WorkshopAngeboten der »AACM School of Music«. AACM-Musiker
traten auch nicht primär in Jazzclubs, sondern in Museen,
Kirchen, kleinen Theatern, Galerien und Gemeindesälen auf.
Als eine »Schule ohne Wände« (Chico Freeman) hat die
AACM bis heute die Landkarte der improvisierten Musik
nachhaltig verändert. Erst kürzlich bekannte der Trompeter Leo Smith: »Die heutige Bedeutung der AACM besteht
vor allem darin, dass es sie noch gibt.« Es ist die älteste
und erfolgreichste Musiker-Selbsthilfe-Organisation des
Jazz geblieben. Was aber repräsentiert die AACM heute:
einen Organisationszusammenhang, eine besondere
Spielhaltung, ein Ethos, ein Arsenal bestimmter kultureller
Praktiken? All das und noch mehr! Der 88-jährige Mitbegründer der AACM, der Trompeter Phil Cohran, präzisiert:
»Vor allem ist es ein spirituelles Zuhause!«.
Zum 50-jährigen Jubiläum der AACM präsentiert das Festival einen generationsübergreifenden Themenschwerpunkt,
der die ungebrochene Kreativität dieses Schmelztiegels
beispielhaft belegt: Während die AACM ›Now‹ Generation
die jüngsten Verfechter der »Great Black Music« versammelt, rekrutiert sich das AACM Vocal Ensemble aus der
›dritten Generation‹ der Chicagoer Visionäre. Das Trio um
Roscoe Mitchell, Jack DeJohnette und Matthew Garrison
schlägt den Bogen zurück in die aufregenden 60er-Jahre,
als die Gründung der AACM einem sozialrevolutionären Akt
gleichkam und schaut zugleich in eine befreite Zukunft.
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FREItag, 30. Oktober
AACM VOCAL ENSEMBLE
»Mouth Percussion« – die Fähigkeit,
allein mit dem Atem, der Stimme
und dem Mund rhythmische Muster
zu erzeugen, wurzelt tief in der
afrikanischen Musiktradition.
Das AACM Vocal Ensemble greift
bewusst auf diese archaischen
Techniken zurück und erweckt so
das AACM-Motto »Ancient to the
Future« zu neuem Leben. Mal
klingt das Quartett wie eine
vokale Rhythmusmaschine, dann wieder glaubt man, in
ihrem melodischen Schnalzen, Zischen und Schnattern
zwischen Naturlauten, Tierstimmen und menschlichen
Gesängen nicht mehr unterscheiden zu können.
Die beiden Brüder Taalib-Din Ziyad und Saalik Ziyad haben
sich mit den Sängerinnen Ann E. Ward und Dee Alexander
verbündet, um den Jazzgesang zu revolutionieren. Während
der sanfte Bariton von Saalik nicht zuletzt aus der klassischen Balladentradition schöpft, wird die Stimme von Taalib
immer wieder mit der Bassstimme des in der ›black community‹ noch heute hochverehrten Bürgerrechtlers, Schauspielers, Sängers und Sportlers Paul Robeson verglichen.
Saalik begann im Alter von sieben Jahren seine Gesangsfähigkeiten zu entdecken, die er zunächst im Chicago
Children’s Choir erprobte. Nach einem
weiterführenden Studium an der
Northern Illinois University begann
sein »lebenslanges Lernen«,
als er sich Ende der Neuziger
der AACM anschloss.
Auch Saalik Ziyad erhielt
nach ersten Chor-Erfahrungen eine Ausbildung als
klassischer Sänger an der
Chicago Music School.
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Doch nachdem er das
Album »John Coltrane
and Johnny Hartman«
gehört hatte, war er von
den Möglichkeiten des
Jazzgesangs fasziniert.
1991 schloss er sich der
AACM an und leitete dort
zunächst das Trio 7th
Sphere. Seine Kollegin, die
Sängerin Ann E. Ward, wurde dagegen in ihrer Kindheit vor
allem durch die Musikalität schwarzer Gottesdienste und
durch die Stimmkraft von Theateraufführungen sozialisiert.
Bevor sie ihren eigenen Gesangsstil im Ensemble der Ken
Chaney Experience weiter kultivieren konnte, verlegt sich
Ann E. Ward zunächst auf das Studium von Piano und Orgel.
Ende der 90er begann sie dann, an der AACM School of
Music zu unterrichten, wo sie auch ihre Gesangskollegin
Dee Alexander kennen lernte. Dee gilt als die vielseitigste
Stimmartistin des AACM-Zirkels. Berührungsängste kennt
sie keine, denn sie oszilliert in ihrem Vokalstil
beständig zwischen Gospel, Rhythm’n’Blues,
Jazz und Neo-Soul. So wurden ihre brillanten
Scat- und Swing-Fähigkeiten immer wieder in
Bands von Ahmad Jamal, David Sanborn, Earl
Klugh oder Joshua Redman abgerufen.
»African Chants – American Songs«
– vielleicht lässt sich so das Programm des AACM Vocal Ensemble
am besten umschreiben. Auch für
diese Gruppe gilt das Diktum des
Gründungsvaters Muhal Richard
Abrams: »Unser Zusammenhalt
ist so stark, weil wir einander als
Individuen respektieren.«
Ann E. Ward | voc
Dee Alexander | voc
Saalik Ziyad | voc
Taalib-Din Ziyad | voc
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FREItag,30. Oktober
AACM ‘NOW’ GENERATION
Einen einheitlichen AACM-Stil
sucht man vergebens. Muhal Richard
Abrams, der bis heute unverzichtbare
Ratgeber der Bewegung, hat jüngst
erklärt: »Unser Stil besteht darin, die
Leute zu ermuntern, selbstsicher zu werden.« Dies haben
auch die Musiker der jüngsten AACM-Generation beherzigt.
Die Mitglieder ihres ›Now‹-Generation-Ensembles kommen
aus den unterschiedlichsten Kulturszenen: Während die
Vokalistin und Komponistin Coco Elysses ihre Inspirationen
aus dem Schauspiel und der Literatur schöpft, ist Khari B.
in der amerikanischen Slam-Poetry-Szene zu Hause.
Bandleader und Trompeter Ben LaMar Gay wiederum
versteht sich als Geschichtenerzähler auf seinem Horn
in der Tradition eines Clifford Brown oder Miles Davis.
Nebenbei hat er sein Instrument in Rap-Duos oder
50-köpfigen Sinfonieorchestern im Spiel.
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Die Cellistin Tomeka Reid, die erst im Jahr 2000 nach Chicago kam und sich fünf Jahre später der AACM anschloss,
begreift sich als Vertreterin der Avantgarde. In ihrem
Quartett mit der Gitarristin Mary Halvorson – deren Auftritt
war im vergangenen Jahr ein Highlight des 45. Deutschen
Jazzfestivals Frankfurt – gelingt ihr immer wieder die Illusion, ganze Passagen der Musik auskomponiert wirken zu
lassen, obwohl sie komplett improvisiert sind. Der gebürtige
Chicagoer Trompeter und Trap-Drum-Virtuose Jerome
Croswell bezieht sich dagegen explizit auf westafrikanische
Trommeltraditionen. Seine Stilistik an der Trompete erinnert bisweilen an die Vorleistungen von Freddie Hubbard
und Wynton Marsalis. Komplettiert wird die AACM ›Now‹Generation-Formation durch den Sänger Saalik Ziyad –
ebenfalls Mitglied im AACM Vocal Ensemble.
Was dieses Septett, das noch nie zuvor in Europa aufgetreten ist, auf die Bühne bringt, erinnert in seinen besten
Momenten an die Performance-Qualitäten des Art Ensemble of Chicago. Wellenförmig breiten sich die Stücke
aus, entwickeln einen scheinbar nie versiegenden Atem.
Meditative Passagen, in denen sich Gesangsstimmen zu
einem versunkenen Jazzgebet versammeln, kontrastieren
mit hektischen, fast bebopartigen Passagen. Aus dickflüssigen Klangschichten stechen immer wieder Ben LaMar
Gays spitze Trompetenkürzel hervor und verbünden sich
mit den Saxophonlinien Fred Jacksons. Das »soul food«,
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FREItag, 30. Oktober
JACK DEJOHNETTE / ROSCOE MITCHELL /
MATTHEW GARRISON
das Khari B. dazu mit seiner House-Music-geschulten
Stimme serviert und nebenbei in eine Art »tänzerische Unruhe« übersetzt, schafft eine szenisch-dichte Atmosphäre.
Auch die jüngste AACM-Generation vertraut auf den RitualCharakter ihrer Musik: Rein instrumentaler Ausdruck auf
stimmähnlich modulierten Blasinstrumenten, Rufe, Schreie,
perkussive Signale, Stimmfetzen, Gedichte, Gesang und
kontrastive Geräusche – all das schafft ein rätselhaft-komplexes Klangkontinuum.
Als 1966 unter dem Titel »Sound« das erste Solo-Album
des Saxophonisten Roscoe Mitchell herauskam, war damit
zugleich ein Manifest der AACM-Ästhetik geschaffen: Stille
und Pausen wurden plötzlich ebenso wichtig wie Töne und
Klänge. Hier setzte jemand dem konventionellen Free
Jazz-Ideal einer riskanten Kakophonie das Konzept eines
penibel organisierten Klangraums entgegen. Melodische
Themen tauchen darin eher zufällig auf, expressive Soli
– oft Vehikel persönlicher Selbstentgrenzung – fehlen fast
vollständig. Stattdessen erhalten einzelne Noten oder
kürzelhafte Phrasen völlig neues Gewicht.
Ben LaMar Gay |
tp, voc, electronics, comp
Coco Elysses | perc, voc, comp
Discopoet Khari B. |
spoken word poetry, voc, comp
Fred Jackson Jr. |
woodwinds, voc, comp
Jerome Croswell |
trap drums, voc, comp
Saalik Ziyad | voc, comp
Tomeka Reid | cello, voc, comp
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Mit dieser musikalischen Vision
sollte die Chicagoer AACM die
Vorherrschaft von New York im
Jazz nachhaltig in Frage stellen.
Während dort zeitgleich »New
Thing«-Vertreter wie der Pianist
Cecil Taylor oder der Saxophonist
Archie Shepp den »Energie-Gedanken« im Jazz stark machten
und auf eine Art »kinetische Kraft« in ihren Improvisationen
vertrauten, ging es den Chicagoer Musikern vor allem um
Fragen einer homogenen Sound-Architektur.
1967 formierte Mitchell mit seinen Chicagoer Weggefährten
Lester Bowie, Joseph Jarman und Malachi Favors das
Roscoe Mitchell Art Ensemble, schon bald einfach Art
Ensemble genannt, bevor die Gruppe 1969 endgültig zu
ihrem Markennamen Art Ensemble of Chicago fand.
Das Kollektiv trat in afrikanischen Gewändern und mit
Gesichtsbemalung auf und emanzipierte die sog. »little
instruments« – kleine afrikanische Geräuscherzeuger –
als vollwertige Musikinstrumente, um damit Perkussionsteppiche und Klangflächen zu schaffen. Neben seiner Mitwirkung im Art Ensemble of Chicago erprobte Mitchell in
unzähligen Duo- und Solo-Einspielungen seine eruptiven
Klangkaskaden, die sich – girlandengleich – zu immer
neuen hypnotischen Mustern formen.
»Ich denke, ich spreche auch für meine Kollegen, wenn
ich sage, dass wir unsere Musik für Menschen mit freiem
Geist, mit offenen Ohren und keinerlei Berührungsängsten
spielen, es ist schöpferische Musik – mit dem nötigen
Ernst geschaffen und aufgeführt.« Das Credo des Schlagzeugers Jack DeJohnette, der mit Mitchell bereits Anfang
der 60er in einer Schulband am Wison Junior College in
Chicago jammte, gilt für die gesamte Karriere des 72-Jährigen. Anders als seine AACM-Kollegen ging DeJohnette
1966 nach New York, um bald darauf in den Bands von
Charles Lloyd, Keith Jarrett, Bill Evans und Miles Davis
zu trommeln. DeJohnette entwickelte sich in der Folgezeit
zu einem der vielseitigsten und feinnervigsten Drummer
des modernen Jazz. Jetzt kehrt er zu seinen Wurzeln an
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der Chicagoer South Side zurück, indem er sich erneut mit
seinem früheren Dialog-Partner Mitchell zusammenrauft.
Das neue Trio, das auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt seine Weltpremiere feiert, wird durch den Bassisten
Matthew Garrison komplettiert. Ihm war die Jazzkarriere
dank seines Vaters Jimmy – Bassist im legendären John
Coltrane Quartet – schon in die Wiege gelegt. Nach dem
Tod seines Vaters wanderte die Familie nach Italien aus,
wo Garrison Bass- und Piano-Unterricht erhielt. 1988
kehrte er in die USA zurück und lebte für zwei Jahre im
Haus von Jack DeJohnette, der ihn mit den Entwicklungen
im zeitgenössischen Jazz vertraut machte. Matthew
Garrison entwickelte sich schnell zu einem Virtuosen am
E-Bass. In seinem Spiel amalgamiert er Einflüsse aus
Jazz, Funk, World Music, Ambient und Drum’n’Bass. Kein
Wunder, dass er in den letzten Jahren immer wieder in
den Bands von Herbie Hancock, John McLaughlin, Chaka
Khan, John Scofield, Paul Simon, Joni Mitchell und Pat
Metheny mitwirkte.
Anlässlich ihres 50-jährigen
Jubiläums hat sich die AACM
einen neuen Claim gesetzt:
»Together – A Power Stronger Than Itself«. Das Trio
von Jack DeJohnette,
Roscoe Mitchell und
Matthew Garrison lässt ihn
im Konzert Wirklichkeit
werden.
Jack DeJohnette | dr, p
Roscoe Mitchell | reeds
Matthew Garrison | el-b
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Täglich Jazz in hr2-kultur
Jazz Now
Aus dem Dschungel der Neuveröffentlichungen
montags 22.30–23.00 Uhr
donnerstags 22.30–23.00 Uhr
Jazzgroove
An den Rändern des Jazz
dienstags 22.30–23.00 Uhr
Jazzfacts
What’s going on? –
Features, Interviews und was die Szene bewegt
mittwochs 22.30–23.00 Uhr
Swingtime mit Bill Ramsey
As time goes by: Ein Jahrhundert in Schwingungen
freitags 22.30–23.00 Uhr
Live Jazz
Konzerte, die es (noch) nicht oder nie auf Platte gibt
samstags 19.05–20.00 Uhr
hr-Bigband
Rhapsody in Blech: Konzerte,
Produktionen, Aktuelles
sonntags 19.05–20.00 Uhr
DIE NEUE
KONZERTBROSCHÜRE
(069) 155-2000
www.hr2-kultur.de
hr-bigband.de
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SAMStag, 31. Oktober
“JAZZ FROM HELL”-Hr-BIGBAND PLAYS ZAPPA
Frank Zappas Verhältnis zu Bigbands ist – wie so oft bei
ihm – von einer merkwürdigen Hassliebe geprägt. Dabei
bieten sich seine Kompositionen für Bigband-Arrangements förmlich an: Sie verblenden Doo-Wop, Motown,
Bebop, Surf Music, Varèse-Geräuschmelodien, Musique
concrète, Rock’n’Roll, Jazzrock, Country Music und ComicSounds wild miteinander und gehorchen dabei doch
immer Zappas manischer Präzision. Dazu kommen
sein legendärer anarchischer Witz und seine überbordende, weil unberechenbare Vitalität. Nicht
zufällig zählt der Mann mit dem markanten
Schnauzbart heute zu den großen Außenseiter-Ikonen der
musikalischen Moderne – lebenslang von einer fast wahnwitzigen Arbeitswut getrieben: In dreißig Jahren hat er
mehr als achtzig Alben aufgenommen, bevor er 1993 im
Alter von zweiundfünfzig Jahren starb.
»Seit den frühesten Tagen der Mothers of Invention
wollte ich gern eine Art ›elektrisches Orchester‹ zusammenstellen, das in der Lage ist, vertrackte Kompositionen
mit der gleichen Soundintensität zu spielen, wie man sie
normalerweise mit kleinen Rockbands assoziiert« (Frank
Zappa). Mit seinem umständlich benannten »The Mothers
of Invention/Hot Rats/Grand Wazoo«-Orchestra – einer
20-köpfigen Bigband mit zwei E-Gitarren, Cello, fünf
Saxophonisten, Fagott, drei Trompeten, drei Posaunen,
Keyboard, Bass, Schlagzeug und zwei Vibraphonen –
glaubte Zappa im September 1972, sich seinen lang gehegten Wunsch erstmals erfüllen zu können. Doch es sollte
ein kurzer Traum bleiben. Nach einer Tour mit acht
Konzerten zerfiel das unprofitable Ensemble: »Die Band
ist einfach zu groß, um damit durch die Weltgeschichte
zu tingeln.«
Dabei hatte Zappa sich für seine Verhältnisse ganz nah
an den zeitgenössischen Jazz herangewagt – Miles Davis
mit »Live-Evil« ließ grüßen – und in kurzer Folge die
beiden Alben »Waka/Jawaka« und »The Grand Wazoo«
veröffentlicht: Rockjazz mit streng modalen Soli und
labyrinthischen Melodien, Jazzgrößen wie Ernie Watts,
George Duke, Tom Malone und Bruce Fowler waren mit
von der Partie. Die hochkomplexen Arrangements von
Stücken wie »Big Swifty« oder »Approximate«, voller
Takt- und Rhythmuswechsel, waren vom gängigen
Pop-Mainstream um Lichtjahre entfernt. Hier konnte
Zappa seiner lebenslangen Liebe zu den Komponisten
Charles Mingus, Thelonious Monk und Eric Dolphy
endlich freien Lauf lassen.
Für jede Bigband bleibt es gleichwohl eine Herausforderung, sich die artistische Virtuosität anzuverwandeln, die
sich in den asymetrischen Mustern seiner Musik mitteilt.
Dazu kommt, dass sich viele seiner Stücke nicht in Form
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von Harmonieschemata oder Akkordfolgen denken lassen,
weil sie um eine Fülle von tonalen Zentren kreisen,
die sich ständig ändern. Umso aufregender dürfte das
Zappa-Programm des amerikanischen Arrangeurs Mike
Holober werden, das er jetzt der hr-Bigband verordnet.
Vielleicht gelingt ihm ja einzulösen, was Dweezil Zappa,
Franks Sohn, kürzlich als Hoffnung äußerte: »Ich glaube,
junge Leute, die heute Zappas Stücke zum ersten Mal
hören, können dadurch ihr ganzes Verhältnis zur zeitgenössischen Musik schlagartig ändern!«
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Mike Holober | cond, arr
Frank Wellert | tp
Thomas Vogel | tp
Martin Auer | tp
Axel Schlosser | tp
Günter Bollmann | tb
Peter Feil | tb
Christian Jaksjø | tb
Manfred Honetschläger | b-tb
Heinz-Dieter Sauerborn | as
Oliver Leicht | as
Tony Lakatos | ts
Steffen Weber | ts
Rainer Heute | bs
Martin Scales | g
Peter Reiter | p
Thomas Heidepriem | b
Jean Paul Höchstädter | dr
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SAMStag, 31. Oktober
MARK TURNER QUARTET:
“LATHE OF HEAVEN”
Zart und feingliedrig beginnt er seine Soli, steigert sich
langsam, verlässt fast nie das Terrain der Melodiösität.
Die allerdings erlebt so manche ungeahnte und wohl auch
bislang ungespielte Wendung. Turner verfügt über eine fast
grenzenlose Lufthoheit in den obersten Lagen seines
Horns. Die Altissimo-Register, die beim Tenorsaxophon
zum großen Teil durch Überblas-Flageolettos erzeugt
werden, sind bei Turner abrufbar ohne jene sonst dabei
übliche schrille Eindringlichkeit. Der Mann ist ein Lyriker
durch und durch. Seine magische Intensität erreicht er mit
Verhaltenheit und schwebender Leichtigkeit. Er lässt Pausen, seine Musik hat Space: Raum fürs Geheimnisvolle.
Mark Turner ist anders als die meisten seiner Instrumentalkollegen. Er ist zwar auf vielen Alben als Sideman vertreten, aber seit 2002 hatte er keine eigene Band mehr, bis
sich im letzten Jahr mit »Lathe Of Heaven« das Mark
Turner Quartet präsentierte. Der Titel bezieht sich auf
einen Science-Fiction-Roman aus den 70ern. Wie Wayne
Shorter hat Turner ein Faible für dieses Genre. Turner
bezieht sich in seinem Spiel aber nicht nur auf die üblichen
Altvorderen von John Coltrane
bis Joe Henderson. Bei
ihm gibt es deutliche
Bezüge auf Warne
Marsh, einen weniger
bekannten weißen
Tenoristen aus dem
Umfeld des CoolJazz-Gurus Lennie
Tristano.
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Turners Band spielt ohne ein Harmonie-Instrument, das
fördere die Spannung, Leerstellen gehören für ihn wesentlich zur Dramaturgie. Das alles zusammen hat dazu geführt, dass sich einige Medienvertreter bei Turner schon
mit Superlativen gegenseitig zu übertreffen versuchten.
Sein Spiel scheint die Gravitation auf den Kopf zu stellen.
Mit wenig erreicht er sehr viel Gewicht.
Zur Verstärkung der ätherischen Eleganz seiner Musik
hat sich Turner den Trompeter Avishai Cohen in die Band
geholt. Die beiden haben eine ähnliche Spannweite, mit der
sie durch den Raum schweben. Manchmal erinnern sie in
ihrem intuitiven Formationsflug in Quart- und Quint-Abständen ein wenig an Miles und Wayne. Oft ist es gar nicht
so leicht, die komponierten von den gemeinsam improvisierten Parts zu unterscheiden, so gut sind sie zusammen.
Mehr als nur das Fahrgestell sind in dieser Versuchsanordnung der Bassist Joe Martin und der Schlagzeuger Obed
Calvaire. Mit beiden hat Turner bereits in anderen Bands
zusammengespielt. Menschliche Vertrautheit, gegenseitige
Verlässlichkeit sind beim Familien-Menschen Turner – der
sich in den letzten Jahren eine lange Auszeit genommen
hat, um mit seinen Kindern zusammen sein zu können –
Kategorien, die ihm auch wesentlich sind fürs Erreichen
von nahezu transzendentaler Tonzauberei.
Mark Turner | ts
Avishai Cohen | tp
Joe Martin | b
Obed Calvaire | dr
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SAMStag, 31. Oktober
HOPE
Bis heute hat sich die Musik von Cassiber etwas Verstörendes, Undomestizierbares bewahrt. Es sind Klangmanifeste
der permanenten Unruhe. Als sich 1982 die drei Frankfurter
Radikal-Fantasten Heiner Goebbels, Alfred 23 Harth und
Christoph Anders mit dem englischen Schlagzeuger Chris
Cutler verbündeten, hatte sich ein Kollektiv aus musikalischen Querschlägern zusammen gefunden, das in Europa
seinesgleichen suchte. In einer Zeit, in der tendenziell alle
Klänge und musikalischen Materialien historisch wie
geographisch verfügbar wurden, ging es den Vier um die
strukturelle Genauigkeit ihrer Neuordnung. Sie entwarfen
aufstörende Geräusch-Rätsel mit politischem Anspruch,
zwischen ausuferndem Experiment und formallogischer
Geschlossenheit changierend. Die zehn Jahre, 1982 – 1992,
in denen Cassiber in Quartett-, später in Trio-Besetzung
aktiv war, materialisierten sich in vier Studioalben und
einem Live-Album. Zum 30-jährigen Bühnenjubiläum erschien eine opulente Box mit unveröffentlichtem Material
und der Botschaft: Die Legende lebt!
Jetzt haben sich zwei der Gründungsmitglieder von Cassiber,
Alfred 23 Harth und Chris Cutler, mit zwei japanischen
Klangforschern, dem Gitarristen Kazuhisa Uchihashi und
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dem Bassisten Mitsuru Nasuno zusammengetan, um das
Cassiber-Konzept unter den Bedingungen der Gegenwart noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Ihr neues
Bandprojekt HOPE schreibt die Kollision der Genres fort
und nutzt dabei die elektronischen Möglichkeiten des
21. Jahrhunderts.
Seit fünfzehn Jahren lebt und arbeitet Alfred 23 Harth in
Fernost und kollaboriert dort ständig mit einheimischen
Musikern. Neben seinen Hauptinstrumenten, Tenor- und
Sopransaxophon, erforscht er in bester Ornette-ColemanManier als genialer Dilettant längst auch Kornett und
Posaune. »Wenn ich mental gut gepolt bin, dann öffnen
sich mir im Spiel winzige Nischen, in denen ganz seltene
Klangblüten entstehen, scharfe, stechende, schneidende
Gebilde.«
Der japanische Gitarrist Kazuhashi Uchihashi ist umgekehrt seit Jahren in den Szenen von Wien und Berlin
unterwegs, wo er seine Vorliebe für freie Improvisationen
auslebt. Angefangen hatte er mit dem Gitarrenspiel im
Alter von zwölf Jahren. Nach ersten Rock- und Jazz-Erfahrungen gründete er 1990 zusammen mit dem Drummer
Yasuhiro Yoshigaki und dem Bassisten Mitsuru Nasuno
das No-Wave-Trio Altered States. 1993 ging Uchihashi
dann mit dem Gitarristen Hans Reichel auf Tour und ist
seitdem – wie sein Wuppertaler Mentor – in das seltsame
Streichinstrument »Daxophon« vernarrt.
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Arne Wahlers
Jazz-Fabrik
Max Frankl 4tet
Jazz in Rüsselsheim
für Rhein-Main
Max Frankl 4tet
08.11.2015 | 20:30 Uhr
Marc Ribot &
The Young Philadelphians
& Strings
12.11.2015 | 20:30 Uhr
Ort: Kulturzentrum „das Rind“
Ort: Theater Rüsselsheim
Stephan Völker triolog:
Bruders Reise
06.12.2015 | 20:30 Uhr
Frankfurter Hörschule
Jazz is the Teacher,
Funk is the Preacher!
27.11.2015 | 19 Uhr
Birgit Hupfeld
Alfred 23 Harth | ts, ss, cl,
pocket-tp, tb, electronics
Kazuhisa Uchihashi |
g, electronics, daxophon
Mitsuru Nasuno | el-b, electronics
Chris Cutler | dr, electronics
Ort: Festungskeller Rüsselsheim
Barbara Rigon
Im November 2014 schloss sich im Londoner Barbican
Center ein Kreis: Alfred 23 Harth und Chris Cutler standen
zusammen beim »Lindsay Cooper Memorial Project« auf
der Bühne. Und hier wurde mit den Frankfurter Festivalmachern auch die Idee geboren, sich 33 Jahre nach dem
Debüt von Cassiber auf dem Deutschen Jazzfestival 1982
in der Alten Oper Frankfurt noch einmal in neuer Besetzung
(Überraschungen nicht ausgeschlossen!) den Herausforderungen »improvisierter Komposition« zu stellen. Dann
kann es passieren, dass wieder einmal jener Charme des
Vertrauten mit der Fremdheit des Unerwarteten kollidiert.
Swingin‘ Fireballs
07.11.2015 | 20 Uhr
Ernst Gerstle
Uchihashi und Mitsuru Nasuno
sind ebenfalls Mitglieder in dem
international besetzten Quartett
The Expats. Vielleicht verbindet
sie deshalb eine Art telepathisches Einverständnis. Nasuno,
der mit 17 zum Bass fand, hat
ebenfalls eine Rocksozialisation durchlaufen, interessiert
sich heute aber vor allem für die Möglichkeiten von ›Noise
Music‹, für die elektronischen Sounderweiterungen seines
Bassinstruments. Chris Cutler, Kazuhisa Uchihashi und
Mitsuru Nasuno kennen und schätzen sich ebenfalls seit
langem, nicht zuletzt durch ihre gemeinsame Arbeit in den
Bands des Multiinstrumentalisten Yoshihide Otomo. Noch
immer benutzt Cutler sein Schlagzeug wie eine feingliedrige
Geräuschskulptur. Seine rhythmischen Störmanöver und
perkussiven Verwirrspiele faszinieren die Musikwelt seit
den Anfängen der britischen Avantgarde-Rock-Gruppe
Henry Cow in den späten 60ern.
Ort: Theater Rüsselsheim
Ort: Kulturzentrum „das Rind“
Veranstalter:
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Infos zu Konzerten, Tickets und mehr: www.jazz-fabrik.de
jEDEN DiENSTAG + DONNERSTAG
21:00 - 24:00 UHR
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ABSCHALTEN. ENTSPANNEN. GENiESSEN.
Letzteres gleich doppelt – mit Cocktails
und jazz vom Feinsten.
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Jazzfestival
JAZZ A’CASA
After-Hours-Sessions
mehr informationen zum jazz A`Casa
Programm finden Sie auf casablancabar.de
oder auf facebook.com/lemeridienfrankfurt.
Mittlerweile ist es eine gut eingeführte und immer wieder
spannende Hausmarke: Während des Festivals finden in
unserem Partner-Hotel »Le Méridien Parkhotel Frankfurt«
ab 22 Uhr After-Hours-Sessions statt. Der Eintritt ist frei.
– »Spiel’s noch einmal, Sam!« signalisiert die Eingangstür
der Casablanca Bar im Hotel, eine originalgetreue Nachbildung aus dem Kino-Klassiker mit Humphrey Bogart.
Viele Musiker der letzten Festival-Ausgaben, die nach
ihrer Performance im Sendesaal hier ihren Absacker zu
sich genommen haben, sind dieser Devise gefolgt und in
die Sessions eingestiegen: Club-Atmosphäre, Akteure
zum Greifen nahe. Die dafür geeignete Betriebstemperatur erzeugen auch diesmal hochkarätige Musiker aus
der Frankfurter Szene.
Der Multi-Instrumentalist Oliver Leicht ist nicht nur in
der Reed-Section der hr-Bigband zuhause, sondern auch
in diversen kleineren Formationen. Er ist der agile »ChefMaschinist«, wenn es um’s Kreieren von immer neuen
Band-Zusammenhängen geht. Am Freitag animiert er
zum Jam. Auch der Frankfurter Gitarrist Martin Lejeune
gilt als produktiver »Unruhe-Geist«, der immer wieder
neue Sachen und Konstellationen ausprobiert. In der
Hotel-Bar lädt er am Samstag in einer für diese Session
zusammengestellten Band zum Einsteigen ein.
SaMstag, 31.10.15
ab 22 Uhr
GutscHeiN
Martin Lejeune | g
Valentín Garvie | tp, piccolo-tp, flh
Ralf Cetto | b
Jan Philipp | dr
mit ihrer Eintrittskarte zum 46. Deutschen jazzfestival Frankfurt
erhalten Sie bei der After-Show Session zum jazzfestival ein freigetränk
(Bier oder Sekt) in der Casablanca Bar.
Freitag, 30.10.15
ab 22 Uhr
Oliver Leicht | reeds
Mike Holober | p
Matthias Eichhorn | b
Jean Paul Höchstädter | dr
facebook.com/lemeridienfrankfurt
CASABLANCA BAR
im LE mERiDiEN PARKHOTEL FRANKFURT
WiESENHÜTTENPLATZ 28-38
60329 FRANKFURT, GERmANY
T +49 69 2697 0
casablancabar.de
36
N 50° 6’ E 8° 40’
37
Fotografie: Mathias Bothor
IMPRESSUM
Gesamtleitung:
Olaf Stötzler
Produktion:
Stefan Hoffmann (Ltg.), Lorena
Maccioni, Nicole Wunderlich
Texte:
Guenter Hottmann, Peter Kemper
Marketing/Redaktion:
Judith Mehrmann
Pressebetreuung:
Hanni Warnke
hr-Grafik und Design:
Ursula Lessenich (Titel),
Sybille Ring
hr2-Programmchefin:
Angelika Bierbaum
Herausgeber:
Hessischer Rundfunk,
Kommunikation,
60222 Frankfurt am Main
Foto/Illustration: Moon Flower by
Denise Bentulan; Thinkstock/
mlle_carotte; Thinkstock/Askola
Romanov; Thinkstock/lianella
(Titel); Yannic Pöpperling (6); Seth
Carnill (7); Sascha Rheker/hr (8);
Ziga Koritnik (9); Sascha Rheker/
hr (11); ACT / Grosse-Geldermann
(13); aacmchicago.org (16 – 20);
CarlosPericás (21); Fortuna Sung
(22); Paul Natkin (23); Anna Meuer
(26); Sascha Rheker/hr (28/29);
John Rogers/ECM Records (30/31);
Wolfgang Becker (32); Johan Ahn
(33); Grzegorz Śledź (34); Ben
Knabe/hr (37); B7UE (37)
14. Oktober 2015
Silje Nergaard
Jazz thing:
Die vielen Seiten DeS Jazz
Jazz
FLOWS
IN
30.09. Dhafer Youssef Quartet
02.10. Lynne Arriale, Cécile Verny & Grace Kelly
15.10. Quadro Nuevo
28.10. Amparo Sánchez
09.11. Marcus Miller & Band
11.11. OqueStrada
13.11. Oregon & hr-Bigband
21.11. Eric Bibb & Habib Koité Trio
03.12. Irit Dekel & Eldad Zitrin
16.01. Wolfgang Dauner zum 80ten Geburtstag:
Dauner//Dauner im Duo!
16.04. Nils Petter Molvær & hr-Bigband feat. Eivind Aarset
www.formalin.de
Künstlerische Konzeption:
Guenter Hottmann, Peter Kemper,
Olaf Stötzler
Centralstation: vom E-Werk zum Kulturwerk
aLL DIRECTIONS
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Info, Abo und kostenloses Probeheft:
[email protected], www.jazzthing.de
CENTRALSTATION / IM CARREE / DARMSTADT
TICKETS ZUM AUSDRUCKEN:
WWW.CENTRALSTATION – DARMSTADT.DE
HOTLINE: 06151 7806–999
FACEBOOK.COM/CENTRALSTATION DARMSTADT
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