Hirnforschung auf Hochtouren

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Nummer 228 • Samstag, 1. Oktober 2011
Auf gut Schwäbisch
Dialekt
Essen und Trinken
Menschen
Geschichte
Erleben
Kritik am Wahlzettel
wächst – doch er
bleibt unverändert
Wissen
Volksabstimmung: Innenministerium startet Aufklärung
Täglich neu: Landestypisches für
Einheimische und Reigschmeckte
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Sa
Landesnachrichten
Als der König
starb
Leserin Irene Gayer aus Nussdorf fügt der
Reihe von Geschichten über den letzten
schwäbischen König, Wilhelm II., eine
weitere hinzu. „Mit Blick auf seinen 90.
Todestag am 2. Oktober 2011 möchte ich
Ihnen einen Auszug aus dem Tagebuch
meines Vaters zusenden, der damals 16
Jahre alt war und in Stuttgart wohnte.
,2. Oktober 1921: Heute starb König
Wilhelm II. von Württemberg, geboren
am 25. Februar 1848. In Bebenhausen hat
er, abgeschieden von der Welt, im herrlichen Schönbuch seit der Revolution gelebt. Die Teilnahme des Volkes ist allgemein groß. Im Karlsgymnasium haben
wir für einen Kranz gesammelt (Lorbeer
mit schwarz/roter Schleife: ,Ihrem König
die Schüler des Karlsgymnasiums‘). Am
Donnerstag, den 6. Oktober, war eine
kleine Gedenkfeier im Festsaal des Gymnasiums und auch in der Klasse. Um halb
zehn Uhr hatten wir frei.
Mein Bruder und ich sind mit dem Rad
nach Bebenhausen gefahren. Es war wirklich schön und ergreifend, obwohl der
Sarg schon am Mittwochabend geschlossen worden war. Eine wahre Völkerwanderung entstand. 15 von 16 meiner Klassenkameraden waren da. Abends kehrten
wir ohne Zwischenfall nach Stuttgart zurück. In Stuttgart war überall beflaggt
(meist schwarz/rot oder ganz schwarz).
Die Beerdigung fand am Freitagvormittag um 11 Uhr in Ludwigsburg auf dem Alten Friedhof statt.
Ich war nicht dabei, aber mein Vater
und mein Bruder und drei weitere meiner
Verwandten. Es muss ein sehr großes Gedränge, aber sehr schön gewesen sein. Am
11. Oktober war ich mit meiner Mutter am
Grab des Königs, das sehr einfach ist (weißes Marmorkreuz).‘“
Frau Gayer fügt aus heutiger Sicht
hinzu: „Die Beliebtheit des Königs ist ja
allgemein bekannt. Dass er auch 16-jährige Jugendliche noch beeindruckt hat, ist
erstaunlich.“
Der schwäbische Spruch des Wochenendes kommt von Leser Erwin Störrle. Er
schreibt: „Wenn sich ein Ehepaar stritt,
sagte mein Großvater: ,Des ischt a Liabe
zwischa deane zwoi wie beim Dilledabb
und seim Weib – ond der hot se mit d’r Ofagabl zdaodkitzelat.‘ Der Dilledabb, so
glaube ich, musste für den schwäbischen
Mustermann herhalten.“
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Schwäbisch-Reihe
im Alten Schloss
Podiumsdiskussion mit prominenten
Schwaben am 6. Oktober
STUTTGART (StN). Dass der schwäbische
Dialekt Gegenstand einer Veranstaltungsreihe im Landesmuseum Württemberg
ist, heißt nicht, dass Schwäbisch reif ist
fürs Museum. Im Gegenteil: Der Reiz der
unverwüstlichen schwäbischen Mundart
hat die Museumsleitung dazu bewogen,
die Schwaben, ihre Sprache und ihre Eigenarten „kritisch und mit einem Augenzwinkern“ in den Mittelpunkt einer
großen Veranstaltungsreihe zu stellen.
Nachdem im Frühjahr 2011 mehrere
Abende um den „Schwaben als Politikum“ kreisten, geht es jetzt um den Dialekt als solchen. Den Auftakt bildet am 6.
Oktober eine Podiumsdiskussion mit der
Überschrift „Schwäbisch – Lust und
Leiden am Dialekt“.
Auf dem Podium sitzen die Vorsitzende
der Geschäftsführung der Firma Trumpf,
Nicola Leibinger-Kammüller, der frühere
Bundesaußenminister Klaus Kinkel, der
Schriftsteller und Fernsehautor Felix
Huby sowie der Landtagsdirektor und
Vorsitzende des Fördervereins Schwäbischer Dialekt. Die vier prominenten
Schwaben berichten über ihre Erfahrungen, die sie in Beruf und Gesellschaft mit
dem Dialekt gemacht haben. Im Oktober
und im November werden drei MundartAbende folgen – unter anderem mit dem
Sprachwissenschaftler Hubert Klausmann und dem Kabarettisten Uli Keuler.
Die Veranstaltung am 6. Oktober beginnt um 19 Uhr. Karten: 7 Euro (Vorverkauf). Ermäßigt: 4 Euro. Eine telefonische
Anmeldung ist erforderlich unter: 07 11 /
89 53 51 11.
www.landesmuseum-stuttgart.de
Die politische Entscheidung ist gefallen,
aber die Vorbereitungen für die Volksabstimmung über Stuttgart 21 haben erst
begonnen. Ein Punkt sorgt dabei für immer mehr Diskussionen: der Stimmzettel für den 27. November.
Von Frank Krause
STUTTGART. Zwei Juristen, drei Meinungen.
Das ist ein gerne gebrauchter spöttischer
Ausspruch, wenn es zu einem Thema unterschiedliche Deutungsweisheiten gibt. Im
Fall des Stimmzettels zur Volksabstimmung über das Milliardenprojekt Stuttgart
21 scheint genau das Gegenteil der Fall zu
sein. Nachdem am Mittwoch das Kündigungsgesetz der grün-roten Landesregierung wie von ihr beabsichtigt im Landtag gescheitert war und danach das Kabinett unter Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann offiziell grünes Licht für
die Volksabstimmung gegeben hatte, mehrt
sich nun die Kritik am Wahlzettel. „Das kapiert doch kein Mensch“ oder „Das ist Volksverdummung“ beschweren sich immer
mehr Bürger.
Auch im politischen Raum wird das Kopfschütteln heftiger. Der frühere S-21-Projektsprecher und SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler sagte am Freitag unserer Zeitung: „Ich halte den Stimmzettel
für sehr schwierig nachvollziehbar, weil er
sehr holprig formuliert und verwirrend ist.“
Er erhalte unzählige Anrufe von erbosten
Bürgern. Drexler forderte die Landesregierung auf, die geplante Informationbroschüre zur Volksabstimmung so zu gestalten, „dass der Bürger die Konsequenzen seiner jeweiligen Wahlentscheidung“ verstehe. Der Vizechef der CDU-Landtagsfraktion, Winfried Mack, hatte die Landesregierung zuvor aufgefordert, die Frage „klarer
und verständlicher zu formulieren“. Was
jetzt vorliege, sei „völlig unverständlich“.
Die Fragestellung sei „nicht einmal auf dem
Niveau von schlechtem Bürokratendeutsch“, hatte Mack kritisiert.
In der Tat ist der Text des amtlichen
Stimmzettels verwirrend. Der Originaltext
lautet: „Stimmen Sie der Gesetzesvorlage
,Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21
(S 21-Kündigungsgesetz)‘ zu?“ Darunter
steht ein Ja und ein Nein. Hinzu kommen
zwei Erläuterungen. „Mit Ja stimmen Sie
für die Verpflichtung der Landesregierung,
Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des
Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“
Gleich daneben heißt es: „Mit Nein stimmen
Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung
der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich
des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“
Im Klartext: Wer Ja ankreuzt, unterstützt
die Linie der Grünen, die aus dem Projekt
aussteigen und es stoppen wollen. Wer bei
Nein sein Kreuz macht, hält nichts von der
Kündigung, sondern will, dass Bahn, Land
und Stadt das Projekt S 21 vollenden.
Volk ersetzt den Landtag –
und stimmt über das
gescheiterte Gesetz ab
Landeswahlleiterin Christiane Friedrich,
die juristisch gesehen verantwortlich für
den Stimmzettel ist, verteidigte am Freitag
die Formulierung. „In diesem Fall tritt das
Volk an die Stelle des Landtags und entscheidet über die Gesetzesvorlage, die dort
gescheitert ist.“ Andere Möglichkeiten gebe
es nicht. „Das ist keine Volksbefragung, in
der die Bürger mit Ja oder Nein über den
Bahnhofsbau abstimmen.“ Für die Frage
zur Volksabstimmung sei allein der (mittlerweile gescheiterte) Gesetzentwurf der grünroten Landesregierung die Basis.
Die Hoffung der Kritiker auf eine Korrektur dürfte also vergebens sein. CDU-Politiker Mack hatte vorgeschlagen, um weiteren
Protest von Bürgern und bereits angekündigte Verfahren beim Petitionsausschuss
des Landtags zu vermeiden, könne man den
bisherigen Fragetext durch die Formulierung „Sind Sie für die Kündigung der Verträge zu Stuttgart 21 durch die Landesregierung?“ ersetzen. Doch Friedrich winkt ab.
Zum einen sei der Stimmzettel durch die
grün-rote Landesregierung beschlossen
worden, zum anderen wurde er am Freitag
in der neuen Ausgabe des „Staatsanzeigers“
veröffentlicht – und ist damit amtlich. Das
baden-württembergische
Innenministerium hat aber inzwischen reagiert. Seit Freitag gibt es auf der Homepage einen separaten Link zur Volksabstimmung – mit allen
Hinweisen zum Wahlverfahren.
Die etwas anderen Strohhaufen
Ob VW-Käfer, Hubschrauber oder Riesenschnecke – die Teilnehmer am Strohskulpturenwettbewerb in Frohnschwand im Kreis
Waldshut zeigen eindrucksvoll, was man mit
ausgedroschenen Halmen und blühender
Fantasie zuwege bringen kann. Noch bis zum
16. Oktober können Besucher die Objekte bestaunen. Einen Abstecher lohnt auch der Naturpark Schwarzwald, in dessen Mitte sich
Frohnschwand befindet.
Fotos: dpa
Hirnforschung auf Hochtouren
Das Hertie-Institut ist eine der führenden Einrichtungen der Neurowissenschaften – Nun feiert es sein zehnjähriges Bestehen
Von Nils Oeynhausen
STUTTGART. Wie funktioniert unser Gehirn?
Wie schafft es bis zu 1000 Rechenoptionen
pro Sekunde? Und wie behandelt man es im
Falle von Parkinson oder anderen Störungen? Diesen und weiteren wichtigen Fragen
stellt sich seit zehn Jahren das Hertie-Institut für Hirnforschung (HIH) in Tübingen.
2001 gründete die Hertie-Stiftung zusammen mit der Universität Tübingen das Hertie-Institut, in das seitdem bereits knapp 30
Millionen Euro investiert worden sind.
„Diese zwei Füße des Instituts – öffentlich
und universitär – sind eine Besonderheit,
die uns erhebliche Freiräume bietet“, meint
Hans-Peter Thier, Vorstandsmitglied des
HIH. „Junge Ärzte, die normalerweise von
morgens bis abends auf der Station eingebunden sind, bekommen so die Möglichkeit,
sich für längere Zeit auf die Forschung zu
konzentrieren.“ Eine zweite Besonderheit
des HIH sieht er in der Belegschaft: Sie bestehe eben nicht nur aus Ärzten, sondern
häufig auch aus Biologen und Ingenieuren.
Sie alle vereint ein Thema: das Gehirn. Als
„eines der letzten großen Rätsel der Menschheit und kompliziertestes bekanntes System“ wird es am HIH bezeichnet – seine immense Bedeutung stehe jedoch außer Frage.
„In Deutschland leiden fast 32 Prozent
der Bevölkerung an Erkrankungen des zentralen Nervensystems“, bestätigte 2007 das
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Deshalb ist nicht nur das bessere
Verständnis der Hirnfunktionen Aufgabe
des Hertie-Instituts. Insbesondere konzentriere man sich hier auch auf Störungen und
mögliche Behandlungsstrategien. Schwerpunkte seien Krankheiten wie Alzheimer,
Epilepsie und Parkinson oder aber die
Folgen eines Schlaganfalls.
Zehn Jahre nach seiner Gründung befindet sich das Institut im Spitzenfeld europäischer Forschungseinrichtungen. Zu den
Erfolgen des HIH gehören die Entdeckung
wichtiger Gene in Bezug auf Parkinson und
Epilepsie sowie der Nachweis, wie sich Alzheimer im Gehirn ausbreitet. Für seine Erkenntnis, dass Parkinson auch erblich bedingt sein kann, hat Thomas Gasser als
Direktor am HIH den Zülch-Preis erhalten.
Am kommenden Montag feiert das Institut sein Zehn-Jahr-Jubiläum. Ehrengast ist
Professor Eric Kandel, der 2000 den Nobelpreis für Medizin erhalten hat. Hochkarätige Redner und Zuhörer werden auch am 7.
und 8. in Tübingen erwartet. An diesen Tagen wird es eine Konferenz zu den Perspektiven der Hirnforschung geben.
Unterwegs für gequälte Tiere
Die Weinheimerin Cora Devantier pendelt zwischen Andalusien und Odenwald, um Hunde zu retten
sagt sie. Der letzte Ausweg für gequälte
Tiere sind meistens Familien aus Deutschland, die ihnen ein neues Zuhause bieten.
Von Christian Ignatzi
WEINHEIM. Als Cora Devantier gerade eine
Woche wieder in Deutschland war, wurde
in ihrem spanischen Haus eingebrochen. Unbekannte stahlen ihre Hunde Ben, Pepita
und Wicky. Einen Tag später kamen Ben
und Pepita zurück – halb totgeschlagen.
Von Wicky, einem munteren kleinen Jagdhund, fehlt jede Spur. „In Südspanien lassen sie Hunde gegeneinander kämpfen, bis
einer tot ist“, sagt Devantier. Sie hat keine
Hoffnung mehr, dass sie ihren Hund noch
einmal lebend wiedersieht. Schon einmal ist
ihr das passiert. Als sie im vergangenen Jahr
nach Spanien zog, war das eigentlich eine
endgültige Entscheidung. „Ich liebe das
Land und wollte dort nicht mehr weg“, sagt
sie. Dann kam alles ganz anders.
Eines Tages war ihre Hündin Molly, die
sie aus Deutschland mitgebracht hatte, verschwunden. „In der Nachbarschaft war mir
schon oft aufgefallen, wie die Leute dort mit
ihren Tieren umgehen“, sagt Devantier. In
der tiefsten Provinz Andalusiens im Dörfchen Hinojos sind Tiere ihrer Ansicht nach
nichts wert, außer sie ließen sich zu Geld machen. „Es gibt viele Hundehändler, die gefangene Tiere an Kampfausrichter verkaufen.“ Die Zustände waren zu viel für die
Ein Tier nach Deutschland
zu bringen kostet
etwa 500 Euro
Cora Devantier mit Hund Celino, der mittlerweile in Deutschland untergekommen ist
42-jährige Weinheimerin. „Ich musste
etwas dagegen tun“, sagt sie. Zunächst versuchte sie es bei Tierschutzorganisationen
in der Heimat. „Weder die örtlichen Tierheime noch die Odenwald-Initiative konnten mir helfen.“ Sie nahm teils schwer verletzte Tiere bei sich auf. Einige fand sie in einer hilflosen Situation, andere liefen ihr zu.
Selbst Tierheime seien nur auf Profit aus.
„Einmal habe ich einen Hund nach Sevilla
gebracht. Dort musste ich 80 Euro für einen
Foto: privat
Tierheimplatz zahlen“, so Devantier. „Die
Tiere werden behandelt wie Schrott, der entsorgt werden muss.“ Das gelte aber nur für
eine bestimmte Kette. Bei den restlichen Heimen, die ausnahmslos überfüllt sind, gibt es
Tötungsstellen, in denen Hunde und
Katzen, die keiner mehr will, nach einigen
Wochen vergast werden.
Nachdem Devantier drei Hunde bei sich
aufgenommen hatte, war das Limit erreicht.
„Mehr Tiere kann ich mir nicht leisten“,
Seit Cora Devantier in Spanien ist, hat sie
41 Hunde und drei Katzen in Deutschland
untergebracht – auf eigene Kosten: „Das
sind Flugkosten, Tierarztkosten und ein
EU-Pass für Tiere, die sich auf 500 Euro pro
Hund oder Katze summieren können.“ Unterstützung von Tierschutzorganisationen
bekommt sie nicht. „Es gibt in Deutschland
rund 9000 Tierschutzvereine. Eine Einzelperson, die Hunde hierher holt, interessiert
bei den großen Organisationen niemanden“,
sagt sie.
Gegen Projekte wie ihres erheben sich allerdings auch mahnende Stimmen. Die Vermittlung einzelner Hunde dürfe nicht das
ausschließliche Ziel darstellen, meint beispielsweise ein spanischer Tierschutzverein. Der wichtigste Aspekt beim Auslandstierschutz sei die dauerhafte Situationsverbesserung für die Hunde vor Ort.