Eltern kämpfen für Bilingualität in der Schule > Das neue - SGB-FSS

Thema > Welttag der Gebärdensprache
September 2015
03
# Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
Foto: Benjamin Hofer
ganzOHR
> Nationalhymne in Gebärdensprache
> Interview: Eltern kämpfen für Bilingualität in der Schule
> Das neue Gebärdensprach-Café, vorgestellt im Bundeshaus
Thema > Welttag der Gebärdensprache
> Editorial
Wer gehört werden will,
muss sich zeigen
Die Schweiz am Welttag der Gebärdensprache
Foto: Dominique Badan
Roland Hermann
Präsident Schweizerischer
Gehörlosenbund SGB-FSS
Liebe Spenderin, lieber Spender
Viele Hörende sind fasziniert von der
Gebärdensprache. Das ist wichtig für
uns. Denn wir müssen über die Gehörlosengemeinschaft hinaus sensibilisieren und mobilisieren. In den
letzten 40 Jahren hat sich vieles positiv verändert: Es mutet ja heute fast
unglaublich an, dass es Gehörlosen
früher verboten war, in Gebärdensprache zu kommunizieren.
Heute setzen wir uns unter anderem
für Bilingualität ein. Das heisst: Gehörlose Kinder sollten von klein auf –
und insbesondere auch in der Schule
– den Zugang sowohl zur gesprochenen Sprache, als auch zur Gebärdensprache haben. Damit sie von Anfang
an bessere Chancen bekommen. Die
Gebärdensprache ermöglicht es ihnen, beim Lernen auch die Inhalte
wirklich zu verstehen. Und selbstverständlich gilt dies auch für erwachsene Gehörlose in Ausbildung, Beruf
und Weiterbildung.
Am 26. September, dem Welttag der
Gebärdensprache, machen die Gehörlosen auch in der Schweiz auf ihre
Anliegen aufmerksam.
Ihr Verständnis und Ihre Spenden
helfen uns, Gehörlose einen Schritt
weiter zu bringen.
Vielen Dank!
Roland Hermann (gehörlos)
Jedes Jahr gehen gehörlose Menschen in der ganzen Welt auf die Strasse.
> Die Gehörlosen erobern Bern: mit
einem Gebärdensprach-Café im
Bundeshaus, der Nationalhymne in
Gebärdensprache und einer
Einladung an die Bundespräsidentin.
Nicht ohne Grund heisst das Spendenmagazin des Gehörlosenbundes, das Sie
hier in den Händen halten: «GanzOhr».
Die Gehörlosen zeigen den Hörenden
damit, dass sie gehört werden wollen. Sie
haben gelernt: Wer gehört werden will,
muss sich zeigen und gesehen werden –
von der Bevölkerung, von den Medien,
von der Politik. Deshalb haben es die
Gehörlosen dieses Jahr zum Welttag der
Gebärdensprache sozusagen auf Bern
abgesehen. Am Samstag, 26. September, treffen sie sich nicht nur zur tradi-
tionellen Deaf Pride (siehe Spalte «Tag
der Gebärdensprache»), sie tragen mit
einer Gebärdensprach-Karaoke auch die
Schweizer Nationalhymne vor. Vom 23.
bis 25. September sind sie ausserdem
im Bundeshaus mit einem Gebärdensprach-Café zu Gast (Bericht nebenan).
Mit Bundespräsidentin Sommaruga
Und am Freitag, 23. September gibt ihnen in Brugg sogar Bundespräsidentin
Simonetta Sommaruga die Ehre. Sie
wird mit der Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer diskutieren, die übrigens
selber in Gebärdensprache kommunizieren kann. Dabei wird es um die Stellung der Gehörlosen in der Schweizer
Politik gehen (ab 18 Uhr im grossen Saal
des Campus Brugg der FHNW, Bahnhofstrasse 6).
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Gehörlose Kinder sollen es
in der Schule künftig besser haben
Foto: Pirmin Vogel
Bilinguale Bildung mit gesprochener Sprache und Gebärdensprache als zentrales Anliegen
Bilinguale Bildung und Erziehung sind das Gebot der Stunde für gehörlose und schwerhörige Kinder.
> Wenn Gehörlose Kinder neben
der gesprochenen auch in
Gebärdensprache unterrichtet
werden, steigen ihre Chancen auf
Erfolg. In der Schule
und im späteren Leben.
Ihren Gross- und Urgrosseltern wurde
das Kommunizieren in Gebärdensprache oft noch verboten. «Das gehört sich
nicht», hiess es damals. Die Akzeptanz
der Gehörlosen und der Gebärdensprache ist in den vergangenen Jahrzehnten
markant gestiegen. Jetzt geht es für die
Eltern von gehörlosen Kindern – seien sie
selber gehörlos oder hörend – darum, deren Chancen auf Ausbildung und Beruf
zu verbessern. Sie engagieren sich für die
Biliungale Bildung und Erziehung. An
einer Elterntagung in Chur berichteten
Gehörlose, wie sie noch mit einer einzigen Sprache aufgewachsen und durch die
Schule gekommen seien: mit der antrainierten gesprochenen Sprache. Darauf
wurde das Gewicht gelegt, das Verstehen
und die Inhalte kamen zu kurz.
«Kann man nur mit dem
Wörterbuch eine ganze
Sprache lernen?»
«Kann man nur mit einem Wörterbuch
eine ganze Sprache lernen? Niemand von
Euch spricht doch wie ein Duden.» warf
Felix Urech aus Chur in die Runde, der
sich seit vielen Jahren in der Gehörlo-
sengemeinschaft engagiert. Auch er hat
keinen Unterricht in Gebärdensprache
erhalten, zu seiner Zeit war die Gebärdensprache noch verboten. In ihrem
Referat zeigten die beiden gehörlosen
Frauen Isabelle Cicala aus Zürich und
Marina Ribeaud aus Allschwil auf, wie
der Unterricht sein sollte, der gehörlosen
Kindern den Weg in die Welt ebnet. «Kontrastive Sprachförderung in Deutsch und
Gebärdensprache» heisst ihr Konzept für
eine optimale Sprachentwicklung. «Es
geht nicht um Gebärdensprache oder gesprochene Sprache: Es geht um Gebärdensprache und gesprochene Sprache!
Das ist der Weg zu einer besseren Lebensqualität, höheren Ausbildungsmöglichkeiten, mehr Selbstbewusstsein und
Selbständigkeit sowie letztlich zu mehr
Arbeitsmöglichkeiten.» <
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Sa. 26. September
Warum nicht einmal selber
die Gebärdensprache üben?
Einladung ins Gebärdensprach-Café im Bundeshaus
> Die Westschweizer «Cafés des
Signes» wurden neu konzipiert und
sollen auch in der Deutschschweiz
und im Tessin Aufmerksamkeit auf
sich ziehen.
2015 findet der Welttag der
Gebärdensprache am Samstag, 26.
September statt. Das Zentrum der
Schweizer Aktivitäten ist in Bern. Vom
Mittwoch 23. bis Freitag 25. September
wird sogar im Bundeshaus ein «Café
des Signes» stattfinden. Wer am
Samstag die Gehörlosen unterstützen
will, ist herzlich willkommen.
Das Programm
13.00Besammlung auf dem
Waisenhausplatz
14.00Ansprachen von Gehörlosen und ihren Gästen
14.20Gebärden-Karaoke
der neuen Schweizer
Nationalhymne
15.30Start Deaf Pride ab
Waisenhausplatz und
wieder zurück
Foto: Stéphane Beyeler
Seit 15 Jahren kennt die Westschweiz die
«Cafés des Signes», seltener werden die
Gebärdensprach-Cafés in der Deutschschweiz durchgeführt. Zur Internationalen Woche der Ge­bärdensprache werden
sie erneuert. Verantwortlich dafür ist
Stéphane Beyeler, vom Schweizerischen
Gehörlosenbund in Lausanne: «Das «Café
des Signes» ist ein gutes Instrument, um
Hörende für die Anliegen der Gehörlosen
zu sensibilisieren und um Brücken zwischen den beiden Welten zu bauen.» In
einem «Café des Signes» werden die Gäste
­von Gehörlosen bedient und ermuntert,
sich selber in Gebärdensprache zu versuchen. 2014 haben die Vorarbeiten begon-
nen, zum Welttag der Gebärdensprache
im September wird das neue «Café des
Signes» vorgestellt: und zwar vom 23. bis
25. September im «Café des Alpes» des
Bundeshauses in Bern. Nicht nur der visuelle Auftritt ist neu. Es wird auch mit
Tablet-Computern gearbeitet. Darauf sind
ein Wettbewerb, Videoclips und eine Anleitung, um die Bestellung mit Gebärden
aufzugeben. Gäste können sich beim Gebärden filmen und ihren Clip über die
sozialen Netzwerke teilen. Stéphane Beyeler: «Das Hauptziel ist auf jeden Fall,
die Gehörlosen und die Gebärdensprache
sichtbar zu machen.»
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16.30Erinnerungsfoto
17.00 Ende der Veranstaltung
Wir feiern den
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Sa. 26.
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Diese Gehörlosen laden Sie ein, in einem Café des Signes selber einmal Gebärden zu üben.
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s 17:00
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GebärdensprachKaraoke
der neuen
Nationalhymne
ache!
«Wir wollen den Eltern Mut machen»
> Ursula Werner träumt von einer
barrierefreien Zukunft. Als Mutter
setzt sie sich, zusammen mit anderen
Eltern, für die bilinguale Bildung
gehörloser Kinder ein.
wird der Schulstoff anspruchsvoller. Wenn
man diesen nicht in Gebärdensprache
vermitteln kann, haben die Kinder ein
Problem. Ich möchte aber auch erwähnen,
dass sich die Lehrerinnen Mühe gaben,
das Material war spannend nur eben das
Vermitteln hat nicht geklappt.
Warum sind Sie als hörende Eltern aktiv
Und dann?
geworden?
Letztes Jahr im Dezember wurde die 5.
Klasse auseinander genommen. Auf unsere Anfrage hin hiess es: nicht als Disziplinarverfahren, sondern um den Unterricht
aufrecht zu erhalten. Wir Eltern haben
uns sehr darüber aufgeregt. Wir kämpften
um eine zeitlich begrenzte Versetzung,
hatten aber keine Chance. Die Klasse wurde nicht wieder zusammen geführt. Diese
fünf Kinder werden getrennt. Zwei wechseln in den Landenhof, drei in die Sek3.
Dabei wäre es für Ihre Entwicklung so gut
gewesen, hätten sie zusammen bleiben
können.
Es kam ein Punkt, an dem wir uns an der
Schule als Eltern von fünf Fünftklässlern
nicht mehr ernst genommen fühlten. Wir
möchten auf unser Anliegen aufmerksam
machen und so Menschen gewinnen.
Worum geht es Ihnen?
Das Problem ist, dass es schlicht keine
Unter- und Mittelstufe mit Bilingualem
Angebot gibt. Immerhin hatten wir noch
das Glück, dass unsere Kinder sozusagen
nur gehörlos waren. Auf anderen Stufen
wären sie zusammen mit Mehrfachbehinderten zur Schule gegangen. Sie brauchen
aber keine Sonderschule, sondern ein
bilinguales Bildungsangebot, in der die
Gebärdensprache gleichwertig zur Lautsprache angeboten wird.
Was ist in Ihrer Schule passiert?
In der Klasse hatten sie zwei lautsprach­
liche Lehrer und am Anfang eine
Gebärdensprach-Lehrerin für 2 Stunden
pro Woche. Als das nicht klappte und wir
das Gespräch mit der Schulleitung suchten,
stellten sie uns die GebärdensprachLehrerin für 14 Lektionen zur Verfügung.
Das funktionierte am Anfang nicht
schlecht. Aber es kam zu Schwierigkeiten
und Missverständnissen. Es gibt leider nur
sehr wenige gehörlose Lehrerinnen mit
einer pädagogischen Ausbildung. Für die
Gehörlosen ist dieser Bildungsweg sehr
schwierig zu erreichen. In der Mittelstufe
Foto: Benjamin Hofer
Neue Informations- und Aktionsplattform: Eltern für Bilingualität
«Es braucht eine Veränderung
im Bildungsangebot
für gehörlose Kinder.»
Was wollen Sie mit Ihrem Komitee denn
Ursula Werner an einem Aktionstag
für Bildung und Erziehung.
Wir wollen den Eltern Mut machen, ihre
gehörlosen Kinder bilingual zu erziehen.
Noch ist es so, dass nur ein Kind, das sich
gut mit Lautsprache durchschlagen kann,
Erfolg hat in unserer Welt. Dabei ist es
eine Diskriminierung, wenn Gehörlose
nur aufgrund ihrer Deutschkenntnisse
eingestuft werden. Wenn ein stabiles
Bildungsangebot für Gehörlose besteht,
werden die Kinder später auch in der
Berufswahl und im Leben bessere
Chancen bekommen.
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erreichen?
Einerseits möchten wir Menschen
finden, welche sich mit uns und für uns
für einen Paradigmenwechsel einsetzen.
Es braucht eine Veränderung im
Bildungsangebot für gehörlose Kinder.
Sehr viele gehörlose Kinder haben
hörende Eltern. «Eltern für Bilingualität»
will eine Informationsplattform werden.
Ursula Werner lebt mit ihrer Familie in Hirzel ZH. Sie und ihr Mann Thomas sind hörend und haben drei Kinder: Anuschka (13,
hörend), Tamara (12, mittel bis hochgradig
schwerhörig) und Lars (7, hörend). Mit anderen Eltern haben sie das Komitee www.
eltern-fuer-bilingualität.ch gegründet.
Zweisprachig aufwachsen
Bilingualität ist eines der wichtigsten Anliegen des Schweizerischen Gehörlosenbundes. Bilingualität bedeutet: gehörlose
oder schwerhörige Kinder sollen so früh
wie möglich Zugang zur gesprochenen
und zur Gebärdensprache bekommen.
Der Gehörlosenbund und die Fachstelle
Bilinguale Bildung für Gehörlose/Hörbehinderte des Kantons Graubünden publizieren deshalb eine Broschüre für Eltern
mit einem hörbehinderten Kind. Sie erscheint im Oktober in der Deutschweiz
und im 2016 auch in der Romandie und
im Tessin. Diese neue Publikation infor-
miert eltern- und fachgerecht über Bilingualität, das heisst über die Erziehung
und Bildung in Gebärdensprache und in
gesprochener Sprache. Gerade hörende
Eltern, die mit Gehörlosigkeit oder Gebärdensprache zuvor noch nie zu tun hatten,
sollen damit auch ermutigt werden, ihrem
gehörlosen oder schwerhörigen Kind alle
möglichen Wege der Kommunikation zu
eröffnen.<
> Die Elternbroschüre zur Bilingualen
Erziehung und Bildung ist bei den Fachstellen erhältlich oder via www.sgb-fss.ch.
Wir stellen vor:
Unsere Spender Barbara und Georges Müller aus Bern
Seit 2004 unterstützen Georges
und Barbara Müller aus Bern den
Schweizerischen Gehörlosenbund als
Fördermitglied. Seine Frau sei auf der
Strasse angesprochen worden und danach
damit nach Hause gekommen, erinnert
sich Georges Müller: «Und wir fanden
das eine gute Sache!» So einfach. Die beiden kennen keine Gehörlosen persönlich,
«aber man sieht doch hin und wieder etwas am Fernsehen oder begegnet Personen, die sich in Gebärdensprache unterhalten, unterwegs.» Das Berner Ehepaar
ist viel unterwegs und immer mit etwas
beschäftigt. Nach 20 körperlich anstren-
genden Jahren bei der Stadt Bern – er ist
jeden morgen um 3 Uhr aufgestanden!
– hat Georges Müller die Gelegenheit zur
frühzeitigen Pensionierung gepackt. Jetzt
bleibt viel Zeit für den Garten, die Tiere
und das Motorrad.
Georges Müller züchtet Kaninchen
und ist Präsident des Berner Kleintierzüchter Vereins. Barbara Müller
ist eine «Hündelerin» und engagiert­
mit ihrem reinrassigen Berner Sennenhund «Weiko» unterwegs. «Weiko» ist mit
fünf Jahren natürlich prächtig im Saft und
offenbar zu allerlei Schabernack aufgelegt.
Impressum
Herausgeber: Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS, Oerlikonerstr. 98, 8057 Zürich
T 044 315 50 40, [email protected], www.sgb-fss.ch
Erscheint 4 x jährlich mit einer Gesamtauflage von 38 616 Ex. in Deutsch und Französisch.
Spendenkonto: 80-26467-1
Redaktion: Christine Loriol Gestaltung: www.designport.ch
Nur, wenn Georges und Barbara Müller
auf dem Motorrad ausfahren, darf er natürlich nicht mit.
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Fördermitgliedschaft
Als Fördermitglied tragen Sie mit einem
jährlichen Beitrag zur Umsetzung wichtiger Projekte bei.
Möchten auch Sie Fördermitglied des
Gehörlosenbundes werden? Wir senden
Ihnen gerne das Beitrittsformular zu.
> [email protected]