GRUNDKURS II Transnationale Unternehmen und Demokratie 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 1 Konsequenzen der Globalisierung für die Politikgestaltung Das staatliche Regelungsmonopol wird durch Prozesse der Entgrenzung und Verflechtung in Frage gestellt. Der Primat der Politik wird tendenziell durch den Primat der Ökonomie abgelöst. Neue nicht-staatliche Akteure gewinnen an Bedeutung für die Politik, darunter transnationale Unternehmen 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 2 Transnationales Unternehmen Was ist ein Unternehmen? Eine selbständig handelnde Einheit, deren Zweck die Erstellung von Gütern und/oder Dienstleistungen ist. Was ist ein transnationales Unternehmen? Ein transnationales Unternehmen ist ein weltweit agierendes Unternehmen unter einheitlicher Leitung einer Obergesellschaft mit • maßgeblichem Einfluss auf die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen, • Aktivitäten, die „quervernetzt“ zum Machtanspruch politischer Systeme sind, und • der Fähigkeit, sich einzelstaatlicher Kontrolle in vielfältiger Weise zu entziehen. 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 3 Was ist neu an transnationalen Unternehmen? Ihre Zahl und Größenordnung - ca. 60. bis 70.000 mit Tochtergesellschaften ca. 900.000 und ca. 75 Mio. Beschäftigten. Ihre Herauslösung aus der Objektrolle gegenüber dem politischen System. Ihre Transformation zu Subjekten des weltwirtschaftlichen Geschehens. 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 4 Transnationale Unternehmen und politisches System Politisches System Politisches System Verflechtung Politisches System Globalisierung Transnationales Unternehmen Politisches System Politisches System 23.04.2016 Transnationales Unternehmen Politisches System Entgrenzung Prof. Dr. R. Robert 5 „Deutsche“ transnationale Unternehmen 18 der 200 weltweit größten Konzerne hatten 2009 ihren Sitz in Deutschland Im „global ranking“ lag Volkswagen mit Sitz in Wolsburg auf Platz 14 der Fortune-Liste der weltweit größten Unternehmen. 23.04.2016 Umsatz, Produktionsstätten und Beschäftigte der transnationalen Unternehmen verweisen auf die Gleichzeitigkeit von Globalität und Lokalität. Prof. Dr. R. Robert 6 Die größten deutschen Unternehmen 2009 Rang global Name Sitz Umsatz in Mio. US-$ Gewinn/Verlust in Mio. US-$ Beschäftigte 14 Volkswagen Wolfsburg 166.579 +6.957 369.928 20 Allianz München 142.395 -3.577 182.865 23 Daimler Stuttgart 140.328 +1.973 273.216 26 E.ON Düsseldorf 127.278 +1.853 93.538 30 Siemens München 123.595 +8.595 420.800 54 Deutsche Post Bonn 98.708 -2.471 451.515 59 BASF Ludwigshafen 91.193 +4.262 96.924 61 Telecom Bonn 90.260 +2.171 227.747 70 Deutsche Bank Frankfurt/M. 81.360 -5.613 80.456 74 Thyssen-Krupp Düsseldorf 80.210 +3.295 199.374 78 BMW München 77.864 +474 100.041 89 RWE Essen 71.851 +3.774 65.908 95 Münchener Rück München 67.515 +2.200 44.209 Gerlingen 66.052 Prof. Dr. R. Robert +504 281.717 7 98 23.04.2016 Bosch Gefährdungen des politischen Systems durch „Entcontainerisierung“ Herausbildung neuer Politikebenen Verlust des demokratischen Grundkonsenses durch transnationale Unternehmen 23.04.2016 Neue transnationale Spielregeln der Entscheidungsfindung Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des politischen Systems Prof. Dr. R. Robert 8 Drei zentrale Problemfelder Das Selbstverständnis transnationaler Unternehmen: Unternehmensstruktur und Unternehmensphilosophie Die transnationalen Unternehmen in der „Innenpolitik“: Auswirkungen auf das liberalpluralistische System der Bundesrepublik Die transnationalen Unternehmen in den internationalen Beziehungen: Das Problem des „Reembedding“ 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 9 Unternehmensstruktur und Unternehmensphilosophie Shareholder value – Ein Unternehmen fühlt sich nur seinen Eigentümern verpflichtet und ist vorrangig um Gewinnerzielung bemüht. – Eigentümer als Unternehmensbürger, dennoch keine Unternehmensdemokratie Stakeholder value – Erweiterung der Wert- und Zielvorstellungen eines Unternehmens über bloße Gewinnerzielung hinaus – Problem: Erfassung und Gewichtung unterschiedlicher Interessen und Akteure 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 10 Ansätze zu einer „stakeholderdemocracy“ in Deutschland I: Unternehmensmitbestimmung Unternehmensmitbestimmung als Instrument zur Bildung von Gegenmacht als Instrument zur gesellschaftlichen Integration Unternehmensmitbestimmung ist ein Ansatz zur „stakeholder-democracy“, der sich auf die Arbeitnehmer und ihre Interessenvertreter – die Gewerkschaften konzentriert. Andere „stakeholder“ mit Ausnahme der Kapitaleigner bleiben ausgeschlossen. 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 11 Ansätze zu einer „stakeholder-democracy“ in Deutschland II: Gemeinwirtschaft Gemeinwirtschaft gibt dem Ziel der Bedarfsdeckung den Vorrang vor dem Ziel des Gewinnstrebens. Die Umsetzung öffentlicher Zwecke, das Wohl des übergeordneten Ganzen ist das wesentliche Element dieser Wirtschaftsgesinnung. Als ein primär binnenstaatliches Konzept steht es in offenkundigem Widerspruch zur Globalisierung. Das Konzept der Gemeinwirtschaft ist vor allem dann kaum auf „Global Player“ anwendbar, wenn diese ihren Hauptsitz außerhalb Deutschlands haben. 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 12 Ansätze zu einer „stakeholder-democracy“ in Deutschland III: Multifaktorielle und multilokale Ansätze Unverbindliche Verhaltenregeln für transnationale Konzerne durch OECD und ILO Grenzüberschreitende Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren für die Belegschaft transnationaler Unternehmen auf freiwilliger Basis Verbindliche Richtlinie der EU zur Einrichtung transnationaler Betriebsräte Es bleibt das Grundsatzproblem: Wer ist „stakeholder“ und wer nicht! 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 13 Transnationale Unternehmen und Innenpolitik I Transnationale Unternehmen verschieben das innenpolitische Parallelogramm der Kräfte. Das auf Wettbewerb beruhende System liberal-pluralistischer Interessenvermittlung mit dominierender Widerlagerfunktion des Staates droht verloren zu gehen. Transnationale Unternehmen erzwingen geradezu ein korporatistisches System. Korporatismus bedeutet: Ein System unmittelbarer Teilhabe organisierter Interessen an der Ausführung von Politik, Vergesellschaftung des Staates / Verstaatlichung der Gesellschaft sowie Verknüpfung und Parallelismus von Staat und organisierten Interessen 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 14 Transnationale Unternehmen und Innenpolitik II Korporatismus schließt für die transnationale Unternehmen die Möglichkeit ein: staatliche Steuerungsleistungen zu bestimmen und durchzusetzen. das Instrument der politischen Verweigerung oder Verhinderung zum Einsatz zu bringen. sich auf eine partielle Zusammenarbeit mit dem politischen System zu beschränken. sich wegen ihrer „Reichweite“ einzelstaatlicher Politik zumindest partiell zu entziehen. 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 15 Internationales „reembedding“ transnationaler Unternehmen Möglichkeiten: Keine dieser Antworten vermag zu überzeugen. Als Ausweg bleibt das Modell eines „dritten Weges“ das Konzept der „global governance“. Zentralistischer Weltstaat Föderaler Superstaat Sich selbst steuernde Gemeinschaft von Weltbürgern 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 16 Übersicht: Souveränitätsverlust, Entgrenzung und Global Governance 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 17 „Global Governance“ Zurückzuführen ist das Modell der „Global Governance“ auf einen Bericht der Kommission für Weltordnungspolitik von 1995. „Global Governance“ meint die Gesamtheit der Wege, „auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln.“ 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 18 Das Konzept basiert auf fünf Elementen: Akteursvielfalt anstelle von Staatenzentrismus Pluralität von Entscheidungen auf lokaler, regionaler, nationaler, inter-/supranationaler Ebene Multiple Entscheidungsstrukturen ohne feste Hierarchien Weltweite Anerkennung menschenrechtlicher Standards Ausbildung eines Mindestmaßes an zivilgesellschaftlicher Identität 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 19 Einbindung in eine Weltordnungspolitik Elemente einer solchen Weltordnungspolitik: Sicherung bzw. Stärkung der weltweiten Konkurrenz mit Hilfe strikter Wettbewerbsregeln freiwillige Vereinbarungen über Mindeststandards unternehmerischen Verhaltens Weltweite Bloßstellung unternehmerischen Fehlverhaltens nicht zuletzt durch NGOs Errichtung eines Rates für wirtschaftliche Sicherheit bei den Vereinten Nationen 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 20 Schwächen des Konzepts: Globalisierung wird als quasi naturgegeben erachtet. Unterordnung machtbewusster transnationaler Unternehmen unter eine auf Kooperation beruhende Weltordnungspolitik Überbetonung der „Machbarkeit“ bürgernaher Zivilgesellschaft 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 21 Ergebnis Möglichkeiten einer Einbindung transnationaler Unternehmen in die gesellschaftliche Zusammenhänge eine innere Neustrukturierung von Großunternehmen eine flexible Reaktion des politischen Systems durch stärkere korporatistische Ausrichtung eine systematische Weltordnungspolitik 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 22 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 23.04.2016 Prof. Dr. R. Robert 23
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