Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge

Ministerium für Bildung ,
Jugend und Sport
Pressemitteilung
Nr. 177/15
Potsdam, 17. Dezember 2015
Heinrich-Mann-Allee 107
14473 Potsdam
Pressesprecher: Florian Engels
Hausruf:
(0331) 866 35 20
Funk: (0172) 397 81 01
Fax:
(0331) 866 35 24 / 25
Internet:
www.mbjs.brandenburg.d
e
[email protected]
Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge:
Neues Gesetz schafft Klarheit für gute Betreuung
Der Landtag hat heute ohne Gegenstimme die Novelle des Brandenburgischen
Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AGKHJG) verabschiedet. Die Gesetzesänderung wurde notwendig, um eine gute Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen zu ermöglichen und dies klar zu regeln. Brandenburg ist
damit das erste Bundesland, das sein Landesrecht an das neue, seit 1. November gültige Bundesrecht anpasst. Jugendminister Günter Baaske: „Ich bin
– auch im Interesse der betroffenen Kinder und Jugendlichen – glücklich,
dass die Gesetzesnovelle heute von fünf der sechs im Landtag vertretenen
Parteien und Gruppen mitgetragen wurde. Damit bezieht das Parlament auch
in rechtlichen Fragen klare Position. Dafür mein Dank!“
Zugleich verabschiedete der Landtag einen Entschließungsantrag, mit dem er sich
„zu einer Willkommenskultur für geflüchtete, unbegleitete Kinder und Jugendliche“
bekennt. Es sei erklärtes Ziel, „ein kind- und jugendgerechtes Aufwachsen zu ermöglichen“. Dazu könnten auch Patenschaften gehören.
Baaske: „Diese jungen Menschen brauchen unsere besondere Betreuung. Wir
dürfen sie nicht allein lassen. Dafür sind klare Vereinbarungen zwischen Land und
Kommunen notwendig. Die Gesetzesänderung haben wir mit ihnen intensiv diskutiert. Die Kreise und kreisfreien Städte waren in den Prozess eingebunden.“
Das Thema beschäftigt viele Kommunen, freie Träger der Jugendhilfe, Kommunalund Landespolitiker sowie ehrenamtlich Engagierte. Baaske dankt ausdrücklich dem
Jugendamt des Kreises Oder-Spree, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bisher
die Hauptlast bei der Betreuung der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen trugen.
Baaske: „Dort wurde über viele Jahre in Kooperation mit der Einrichtung ALREJU
des Diakonischen Werks in Fürstenwalde eine hervorragende Arbeit geleistet.“
Antje Grabley (0331) 866 35 22
Martina Marx (0331) 866 35 21
Seite 2/4
Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport
Die Zahl der unter 18-Jährigen, die ohne Eltern oder andere sorgeberechtigte Personen nach Brandenburg kommen, nimmt stark zu. Von 2010 bis 2014 waren es
jährlich zwischen etwa 80 und 150 Kinder und Jugendliche. Diese relativ niedrige
Zahl lag einerseits an der früher geringeren Anzahl der Flüchtlinge und Asylbewerber insgesamt, hatte aber auch einen bundesrechtlichen Hintergrund: Bisher nahmen die Bundesländer nur diejenigen auf, die direkt bei ihnen ankamen. Das sorgte
für ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Bundesländern.
Auch deshalb wurde das entsprechende Bundesgesetz zum 1. November 2015
geändert. Die Initiative dazu ging von besonders belasteten Ländern wie Bayern und
Hamburg aus. Nun werden - wie alle anderen Flüchtlinge - auch die unbegleiteten
Jugendlichen nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt (Brandenburg: 3,08 %).
Baaske: „Die Verteilung nicht nur der Erwachsenen und Familien, sondern auch der
unbegleiteten Minderjährigen ist eine Logik aus dem föderalen System. Das neue
System schafft einen klaren rechtlichen Rahmen und verteilt die Belastung nach
objektiven Kriterien auf alle Länder.“
Durch das neue Bundesgesetz nahm die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen in
Brandenburg in den letzten Wochen stark zu. Mit Stand vom 16. Dezember 2015
werden von den brandenburgischen Jugendämtern 1.190 unbegleitete Minderjährige betreut. Zusammen mit 150 darüber hinaus bereits vom Bundesverwaltungsamt
zugewiesenen, aber noch nicht in die Betreuung Übernommenen wird die Brandenburger Quote an der bundesweiten Gesamtzahl der unbegleiteten Minderjährigen
etwa zu 60 Prozent erfüllt. Deshalb ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen.
Neues Landesrecht
Das novellierte Brandenburgische Kinder- und Jugendhilfegesetz regelt u.a. das
landesinterne Verfahren zur Verteilung der minderjährigen Flüchtlinge, die Zuständigkeiten für deren medizinische Versorgung und die finanzielle Entlastung der
Landkreise und kreisfeien Städte durch das Land.
Die 18 Jugendämter der Kreise und kreisfreien Städte sind für die ihnen zugewiesenen jungen Flüchtlinge zuständig. Sie werden im Rahmen des Kinder- und Jugendhilferechts betreut. Im Anschluss an das bis zu etwa dreimonatige Clearingverfahren erfolgt die Betreuung in anderen Jugendhilfeangeboten.
Die Verteilung auf die Jugendämter erfolgt durch das Brandenburger Jugendministerium (Landesstelle) entsprechend des Landesschlüssels nach Landesaufnahmegesetz. Deshalb ist es nicht nötig, die jeweiligen Zugänge nochmal bei der Gesamtquote der Flüchtlinge für die Landkreise und kreisfreien Städte zu berücksichtigen.
Seite 3/4
Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport
Daneben wird gesetzlich auch die Möglichkeit eröffnet, Schwerpunktjugendämter
einzurichten, sofern die Zahlen deutlich zurückgehen.
Gegenwärtig kommen viele junge Menschen noch über die Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt nach Brandenburg. Dort bzw. in der Außenstelle in Frankfurt (O.) erfolgt die Erstregistrierung. Damit sind die Jugendämter des Kreises OderSpree bzw. der Stadt Frankfurt (O.) für die vorläufige Inobhutnahme zuständig. Dort
soll kurzfristig die Erstuntersuchung erfolgen. Nach möglichst höchstens fünf Tagen
werden die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen vom Jugendministerium in eines
der 18 aufnehmenden Jugendämter verteilt. Kommen sie über andere Wege in das
Land Brandenburg, ist das Jugendamt zuständig, in dessen Region sie eintreffen.
Im Rahmen der bundesweiten Verteilung wurden dem Land Brandenburg aus anderen Bundesländern in den vergangenen sechs Wochen 215 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge zugewiesen. Deren Verteilung erfolgt durch die Landesstelle im
Jugendministerium. Sie muss innerhalb kürzester Zeit entscheiden, welches Jugendamt für die Inobhutnahme und damit für die kurzfristige Unterbringung, Versorgung und Betreuung zuständig ist (Zuweisung). Grundlage ist dafür vorrangig der
Landes-Verteilschlüssel, aber auch die aktuellen Belastungen der Jugendämter oder
besondere Situationen der Jugendlichen (z. B. Traumatisierungen).
Das jeweilige Jugendamt veranlasst die Aufnahme der jungen Flüchtlinge in eine
Clearingstelle (in der Regel ein freier Träger der Jugendhilfe). Sollte während der
etwa dreimonatigen Clearingphase eine Volljährigkeit festgestellt werden, wechselt
der Betroffene in eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge.
Zielgruppe der Clearing-Einrichtungen ist die Altersgruppe zwischen 10 bis unter 18
Jahre. Eine Einrichtung sollte etwa 25 bis 30 Plätze anbieten. Dies ermöglicht, dass
in einer Clearingstelle jährlich etwa 110 bis 150 Jugendliche betreut werden können.
Während der Unterbringung in einer Clearingeinrichtung ruht die Schulpflicht (analog zur Erstaufnahme). Um ihnen aber auch in dieser Phase einen Spracherwerb zu
gewährleisten, werden die Clearingstellen mit Fachkräften für den Erwerb der deutschen Sprache ausgestattet oder sollen sich dafür eines Trägers bedienen. Dafür
eignen sich beispielsweise Volkshochschulen.
Aufgabe der Clearingstellen ist es auch, den Hilfebedarf näher zu bestimmen, verwandte Personen zu suchen, schulische und ausbildungsbezogene Perspektiven zu
eruieren sowie bei der Hilfeplanung für die Anschlusshilfen mitzuwirken.
Nach der Betreuung in der Clearingstelle werden die Jugendlichen in einer Dauerunterkunft untergebracht. Dies können Einrichtungen der Heimerziehung und des
betreuten Jugendwohnens, in der Regel bei einem freien Träger, sein. Möglich ist
Seite 4/4
Ministerium für Bildung,
Jugend und Sport
auch eine selbstständige Wohnform mit sozialpädagogischer Begleitung oder eine
nach Jugendhilferecht geeignete Pflegefamilie.
Das Jugendamt hat neben der Bereitstellung der Clearingstelle folgende Aufgaben:
 Inobhutnahme,
 weitere medizinische Betreuung,
 Beantragung der Bestellung eines Vormunds beim Familiengericht,
 Hilfeplanung bei Nachfolgehilfen,
 anschließende Unterbringung in Jugendhilfemaßnahmen und Betreuung bis
mindestens zum 18. Lebensjahr,
 Koordination der Angebote, Konzeptentwicklung und Qualitätsmanagement.
Das jeweilige Jugendamt ist bis zum Ende der Jugendhilfemaßnahme verfahrensund kostenverantwortlich. Ihm obliegt auch die Verantwortung für die medizinische
Hilfe bei Erkrankungen, unabhängig von der Erstuntersuchung nach der Einreise.
Das Ziel der Betreuung ist, die Jugendlichen zur Selbstständigkeit zu befähigen.
Die Jugendhilfeleistung endet in der Regel mit der Volljährigkeit. Sie kann aber verlängert werden, wenn dies angesichts der individuellen Situation notwendig ist.
Die Kreise und kreisfreien Städte bauen entsprechende Strukturen auf und schaffen
ausreichend Unterbringungsmöglichkeiten. Dafür muss in vielen Fällen sowohl bei
den Jugendämtern als auch bei den freien Trägern zusätzliches Personal eingestellt
werden, für die das Land Fortbildungsangebote bereitstellt.
Das Land stellt die Finanzierung durch eine Kostenerstattung an die Kreise und
kreisfreien Städte sicher. Die Kosten pro Minderjährigen sind sehr unterschiedlich
und abhängig von der Dauer der Unterbringung und der Art der Hilfe. Im vergangenen Jahr lag der durchschnittliche Betrag der Erstattung an die Kommunen nach
dem bis zum 31. Oktober 2015 geltenden Verfahren bei etwa 23.000 Euro.
Außerdem wird das Land nach der neuen Regelung den personellen Mehraufwand
der Kommunen ausgleichen, der z.B. im Bereich des allgemeinen Sozialdienstes
und der Amtsvormundschaften entsteht. Dafür hat das Jugendministerium für November und Dezember 2015 den Jugendämtern 900.000 Euro zusätzlich bereitgestellt.
Durch die neuen rechtlichen und inhaltlichen Anforderungen werden sich diese Kosten deutlich erhöhen. Die konkrete Höhe lässt sich für Brandenburg noch nicht beziffern Der Bund hat den Ländern zugesichert, sich von 2016 bis 2019 bundesweit mit
jährlich 350 Millionen Euro an den Kosten zu beteiligen.