VOLKER BECK (Köln) Erster Parlamentarischer Geschäftsführer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ebertplatz 23, 50668 Köln volkerbeck.de Liebe Besucherinnen und Besucher des Weltjugendtages in Köln, ein herzliches Willkommen Ihnen allen. Als Kölner Bundestagsabgeordneter von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sage ich Ihnen: Mit Köln haben sie eine gute Wahl getroffen! Unsere Stadt steht für Weltoffenheit, Vielfalt, Toleranz und Sinnenfreude. Von den Ubiern gegründet, von den Römern zur Stadt erhoben, wird Köln schon früh Bischofssitz. Mit Ihrem Motto erinnern Sie an die Heiligen Drei Könige, die den Evangelien gemäß kamen, um Jesus anzubeten. Deren Gebeine werden der Überlieferung nach im Kölner Dom aufbewahrt. GRÜNE und Katholische Kirche haben viele Berührungspunkte. Manches verbindet uns, über anderes setzen wir uns offen auseinander. Viele Christen unterschiedlicher Konfessionen haben unsere Partei mit gegründet und mit aufgebaut. Die Bewahrung der Schöpfung, der Respekt vor dem menschlichen Leben und eine gerechte Weltordnung ist Ur-Anliegen unserer Grünen Partei. Ethische Orientierung ist eine zentrale Voraussetzung jeder verantwortlichen Politik. In bioethischen Fragen sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein verlässlicher Bündnispartner für die Kirchen: Der Schutz des menschlichen Lebens ist für uns unabdingbar. Menschenwürde und Menschenrechte müssen Vorrang vor Forschungs- und Verwertungsinteressen haben. Darum lehnen wir fremdnützige Forschung an Nichteinwillungsfähigen genauso ab wie verbrauchende Embryonenforschung und jegliches Klonen von Menschen. Wenn Embryonen getötet werden, weil die Forschung ihre Stammzellen für Forschung und Behandlung von Krankheit braucht, dann ist dies forschungspolitisch verbrämter Kannibalismus. In einer säkularen Gesellschaft und einem demokratischen, weltanschaulich neutralen Staat kann man unsere christliche Weltsicht mit Gott als Schöpfer nicht für allgemein verbindlich erklären, wenn auch die Menschenwürde unseres Grundgesetzes ideengeschichtlich nicht zuletzt auf die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in Judentum und Christentum zurückgeht. Aber eines ist gewiss: Der Mensch ist nicht der Schöpfer. Und überall, wo er sich anschickt, die Grenzen menschlicher Prognosefähigkeit zu ignorieren, drohen Hybris und Unheil. Die Kirchen und viele Gläubige engagieren sich für eine sozial gerechte Weltordnung. Immer mehr Menschen spüren, dass eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, eine ressourcensparende, ökologische Produktionsweise und der Weltfrieden sich gegenseitig bedingen. Weltweit nehmen die CO2-Emissionen zu, die biologische Vielfalt geht zurück, das Süßwasser wird knapper, fruchtbare Böden gehen verloren. Am stärksten sind von diesen Trends die Entwicklungsländer betroffen, obwohl viele Ursachen oft in den Industrieländern liegen. Bei der Lösung globaler Umweltprobleme ist die Kooperation mit großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien unerlässlich. Dabei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Umwelterhaltung und Armutsbekämpfung. So gibt es bereits heute mehr Umweltflüchtlinge als Bürgerkriegsflüchtlinge auf der Welt. Mit den Technologien des 20. Jahrhunderts wird diese Welt das wirtschaftliche Wachstum in den Schwellenländern nicht verkraften. Nur mit einer ökologischen Modernisierung der Technologien kann eine gemeinsame Perspektive von weltweit wachsendem Wohlstand geschaffen werden. Faire Bedingungen für den Welthandel und die Erhöhung des Etats für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe auf mindestens 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes sind die Ziele, die wir uns auf dem Weg zu einer gerechten Welt gesteckt haben. Ein dramatisches Problem in der Dritten Welt ist die Ausbreitung von HIV. In ganzen Landstrichen droht die Ausrottung der Bevölkerung durch AIDS. Nach neuesten Angaben der UN-Organisation UNAIDS infizierten sich allein im Jahr 2004 weltweit fast 5 Millionen Menschen neu mit HIV. Der Großteil davon stammt aus Entwicklungsländern, fast 50% kamen aus dem südlichen Teil Afrikas. Hier trägt auch die katholische Kirche Verantwortung, wenn sie sich weiter der AIDS-Prävention durch Kondome entgegenstellt. Zwar ist Enthaltsamkeit theoretisch ein Schutz für AIDS; nur ist es ein reichlich lebensfremdes Konzept. Auch Treue schützt nicht vor einer HIV-Infektion. In Ländern, in denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung mit HIV infiziert ist, gibt es auch viele Partnerschaften zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten. Man wünschte sich die Nachfolger auf dem Stuhle Petri würden sich etwas von dem Pragmatismus des Apostel Paulus zu Eigen machen. Paulus, ein Anhänger der völligen sexuellen Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit, riet denen, die sein Ideal nicht leben konnten, zur Ehe. „…denn es ist besser, zu heiraten als sich in Begierde zu verzehren.“(1. Kor. 7:9) Ich meine: Auch vom katholischen Verständnis her sollte es besser sein, ein Kondom zu verwenden, als sich oder andere mit dem HI-Virus zu infizieren! Sexualität und die Rolle der Geschlechter ist in der Kirche ein angstbesetzes Thema. Die Katholiken, die sich für die Gleichberechtigung der Frau innerhalb der katholischen Kirche einsetzen, haben meine volle Sympathie. Mit der lehramtlichen Sexuallehre hadere ich. Die Kirche ist weit davon entfernt, Sexualität als eine gute Gabe Gottes anzunehmen. Voreheliche und nicht auf Fortpflanzung ausgerichtete Sexualität wird pauschal verteufelt. Die Bekämpfung der Homosexuellen-Emanzipation erklärt sich vor diesem Gedankengebäude: Homosexualität gilt als „objektiv ungeordnet.“ Die Lehre des Thomas von Aquin, auf dessen Naturrechtslehre die katholische Lehrmeinung auch heute noch fußt, bewertete die Sünden wider die Natur, zu der für ihn die Homosexualität zählte, als schwerere Sünde als Vergewaltigung oder Inzest. Hier zeigen sich schon überdeutlich die Irrtümer dieser Lehre. Das eigentliche Problem der päpstlichen Homosexualitätslehre ist, dass sie keinen Respekt vor der homosexuellen Existenz hat. Die Haltung gegenüber dem Homosexuellen ist von theologischer Unbarmherzigkeit und pharisäerhafter Überheblichkeit gekennzeichnet. Die Beschimpfung der gleichgeschlechtlichen Ehen als "Pseudo-Ehen", die Ausdruck einer "anarchistischen Freiheit" seien, zeigt, dass der Papst vor einer Beleidigung der Homosexuellen nicht zurückschreckt. Die katholische Morallehre Roms verliert durch ihre lebensfremde Haltung zur Homosexualität an Überzeugungskraft. Selbstverständlich ist die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare in Spanien, Belgien, den Niederlanden und Staaten Nordamerikas und die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft in Skandinavien, Deutschland und der Schweiz kein Angriff auf die Ehe. Hier ist auch keine „Ideologie des Bösen“ am Werk, wie der Papst meint. Im Gegenteil, Homosexuelle, die diese Form des Zusammenlebens wählen, entscheiden sich für Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme. Das sehen immer mehr Gläubige und einfache Geistliche auch so. Das katholische Lehramt erkennt zwar inzwischen an, dass Homosexualität wie Heterosexualität nicht selbst gewählte und auch nicht abwählbare Veranlagungen sind. Für den Homosexuellen kennt sie aber keinen Weg einer akzeptierten Lebensführung. Dies ist ein kapitaler Widerspruch, um den sich die katholische Theologie bislang nicht schert. Sie lehnt im homosexuellen Mitmenschen etwas ab, was der Schöpfer offensichtlich so geschaffen hat und für eine große Anzahl von Menschen offensichtlich gewollt hat, nämlich die Homosexualität. In einem Dialog muss die Kirche bereit sein, hier ihre sexualethischen Positionen zu hinterfragen. Ich bin sicher, viele von Ihnen sehen diese Fragen so ähnlich wie ich und wünschen sich hier eine theologische Neupositionierung der Kirche. Sie sind gekommen, um IHN anzubeten. Gerade angesichts Jesu Gleichnis vom Schriftgelehrten und dem Zöllner muss man sich immer wieder fragen, ob man betet, wie der selbstgerechte Pharisäer, der sagt „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute“ (Luk. 18:11) oder wie der Zöllner, der demutsvoll und nicht selbstgerecht, um die Gnade Gottes bittet. Den Zöllner hielt Jesus für gerechtfertigt. Ich wünsche Ihnen in Köln eine ebenso besinnliche wie lebhafte Zeit. Mit besten Grüßen Volker Beck
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