14. Juli 2015 First Ride | Edelware aus der Schweiz – Bold Cycles Linkin Trail Neue Technologien, Standards und Innovationen überfluten gerade den Markt und so mancher große Hersteller kommt da nur langsam hinterher. Nicht so die gerade erst entstandene Schweizer Marke Bold Cycles, die mit ihrem Linkin Trail getauften 130-mmFully nicht nur Boost-Standard und Plus-Reifen zu nutzen wissen, sondern auf das Ganze noch ein vollkommen neues Fahrwerkskonzept draufsetzen. Geht das vielleicht einen Schritt zu weit oder ist es genau das richtige Maß an Progressivismus? Wir schildern euch unseren ersten Eindruck. Das Bold Cyles Linkin Trail – hier die Race Day-Version – sieht schon im Stand kraftvoll und dank der dezenten Grafiken äußert edel aus. Es wird modellunabhängig in Rot, Türkis oder Weiß geliefert. Die massiven Rohrquerschnitte vor allem auch des Hinterbaus lassen zusammen mit dem kompakten Umlenkhebel auf eine hohe Steifigkeit hoffen. Als erstes fällt neben dem anscheinend fehlenden Dämpfer – dazu gleich mehr – die extrem hochwertige Ausstattung auf. An drei Varianten, einer superleichten 29″-Race-Version (Race Day), einer tourentauglicheren 29″-Version (Early Bird) mit 2×11-fach-Schaltung und einer abfahrtsorientierteren Version (Sick Day), die es auch mit 27.5+-Laufrädern gibt, finden sich ausschließlich die hochwertigsten Komponenten, die der Markt zu bieten hat. Das schlägt sich natürlich im Preis nieder: Umgerechnet ca. 6.600–8.300 € werden je nach Modell fällig. Wer an der Ausstattung etwas sparen möchte, dem bleibt nur der Eigenaufbau des Rahmensets mit DT Swiss X313-Dämpfer für umgerechnet ca. 3.500 €. Futureproof: Dank Boost-Standard passen auch Plusreifen mit 2,8″ Breite problemlos in Gabel und Hinterbau. Edle Komponenten, wohin das Auge auch schaut: SRAM XX1-Antrieb, Race Face NEXT SLKurbel … … sowie ein Carbon-Cockpit aus derselben Schmiede und diverse andere Highend-Parts treiben zwar den Preis in die Höhe, bieten aber auch ein dementsprechend hochwertiges Feeling. Der perfekt gearbeitete Remotehebel steuert gleichzeitig … … sowohl die DT Swiss OPM130-Federgabel als auch den … … im Sitzrohr versteckten DT Swiss X313-Dämpfer an. Die komplette Kabelführung verläuft intern. Die größeren Öffnungen sind zur Belüftung des Dämpfers gedacht. In Kombination mit einer weiteren Öffnung, die auch zum SAG Ablesen benutzt wird, sowie Öffnungen in der Bodenplatte soll ein Luftstrom im Rahmen zur Kühlung des Dämpfers erzeugt werden. Hier sieht man den kompletten Umlenkhebel mit seinem im Sitzrohr versteckten Teil. Nach einer kurzen Einführungsrunde durften wir die Race Day-Version für einen ausführlicheren First Ride behalten. XX1-Schaltung, edle Race Face-Carbonteile und superleichte DT SwissCarbonlaufräder kombiniert mit einem Fahrwerk der gleichen Marke überzeugen. Im Vergleich zur Originalversion ist unser Testbike zwar mit dickeren 29×2,4″-ONZA-Reifen und -Schläuchen ausgestattet, kommt dank der Luxus-Ausstattung allerdings auch nur auf schlanke 11,95 kg. Ganz und gar nicht schlank kommt der Rahmen daher. Die riesigen Durchmesser – auch am Vier-Gelenker-Hinterbau – sind allerdings elegant geformt und sollten eine hohe Steifigkeit bieten. Und nicht nur die Steifigkeit profitiert von den dicken Rohren, denn nur durch sie ist es möglich, den X313-Dämpfer vollkommen im Rahmen verschwinden zu lassen. Das ermöglicht dann wiederum eine sehr kompakte und stabile Anlenkung, einen tiefen Schwerpunkt und mehr Platz im Hauptrahmen für die Wasserflasche oder zum Tragen des Bikes. Der Dämpfer ist so außerdem komplett vor äußeren Einflüssen geschützt. IST (Integrated Suspension Technology) nennt Bold Cycles das in Zusammenarbeit mit DT Swiss entwickelte System. Über eine einfach zu entfernende und gleichzeitig als Rahmenschutz dienende Bodenplatte erhält man Zugang, um den Luftdruck und Rebound des Federbeins einzustellen. Das klingt erst einmal umständlich, geht aber schneller als man denkt und allzu oft werden die Einstellungen dann ja auch nicht geändert. Die Druckstufen-Verstellung erfolgt bequem über den hochwertigen Lenker-Remotehebel, der gleichzeitig auch die DT Swiss OPM130-Gabel in drei Stufen von offen bis zum kompletten Lockout ansteuert. Durch Lösen zweier Schrauben lässt sich die Bodenplatte entfernen … … und man kann den Luftdruck und Rebound einstellen. Setup und erster Fahreindruck Durch ein Fenster im Carbonrahmen und der mitgelieferten, dort angelegten Acrylschablone ist der SAG des Hinterbaus fast ebenso schnell abgelesen wie an einem Bike mit klassischem Hinterbaudesign. Ein um 360° drehbares Luftkammerventil am DT Swiss X313-Dämpfer erleichtert den Vorgang weiterhin. Luftdruck anpassen, Bodenplatte wieder montieren und schon kann es ab auf den Trail gehen. Nach Entfernen der Abdeckkappe zeigt sich eine Markierung auf dem Umlenkhebel … … mit dessen Hilfe sowie dieser kleinen Schablone sich der SAG ermitteln lässt. Das funktioniert allein zwar auch, ist zu zweit allerdings deutlich einfacher. Die Reverb mit der externen Leitung ließ sich laut Bold Cycles konstruktionsbedingt nicht vermeiden. Leitungstechnisch wäre es kein Problem gewesen, aber da der untere Bereich des Sitzrohrs vom Dämpfer eingenommen wird, kollidiert dies mit der Extra-Einbaulänge der Ansteuerung am Boden einer Reverb Stealth. Die normale Reverb baut nach unten deutlich kürzer. Wenn man die ersten Meter mit dem Linkin Trail rollt, fühlt es sich auf Anhieb außergewöhnlich hochwertig an und das nicht nur aufgrund der Ausstattung. Es liegt satt und stabil, die Dämpfungsansteuerung funktioniert äußerst effektiv und die Geometrie fühlt sich angenehm neutral an. Die Klettereigenschaften Dank des komfortablen dreistufigen Lockouthebels lässt sich das gesamte Fahrwerk mit einem Daumendrücker komplett blockieren und man hat das Gefühl, auf einem Hardtail mit Starrgabel zu sitzen. Dementsprechend effektiv geht es dann auch bergauf. Die großen Räder überrollen jeden Absatz und die Geometrie mit einem steilen Sitzwinkel von 74,7° und dem nicht allzu flachen Lenkwinkel von 68,5° lassen einen jede noch so steile Rampe erklimmen, ohne dass sich das Vorderrad vom Boden löst. Aber selbst im mittleren Modus lässt sich das Linkin Trail recht effektiv pedalieren und neigt nur im komplett offenen Modus minimal zum Wippen. Das geringe Gewicht von 11,95 kg ist natürlich auch von Nutzen, wobei die an unserem Testrad montierten dicken 2,4″-Reifen in Kombination mit den verbauten Schläuchen schon eine gewisse Trägheit erzeugen und den Fahreindruck bergauf etwas behäbiger erscheinen lassen als es effektiv in Serie der Fall ist. Die Abfahrtsperformance Der Hinterbau arbeitet ausgesprochen gut, ist sehr seitensteif, entwickelt im mittleren Federwegsbereich eine angenehme Progression und hält auch nach mehreren aufeinanderfolgenden Stößen ausreichend Federwegsreserven bereit. So fühlen sich die 130 mm Federweg nach deutlich mehr an. Stimmig zum X313-Dämpfer im Hinterbau überzeugt auch die beim Race Day-Modell verbaute DT Swiss OPM130-Federgabel durch ihr geringes Losbrechmoment und eine gute Performance in allen Federwegsbereichen. Lediglich die Steifigkeit kann nicht ganz mit der des Rahmen bzw. der an den anderen Modellen verbauten RockShox PIKE mithalten. Leider sind die Trails rund um die Redaktion höhenmetertechnisch recht beschränkt und so lässt sich schlecht beurteilen, wie gut der durch Belüftungsöffnungen im Rahmen angeströmte Dämpfer die Wärmeentwicklung durch Langzeitbelastung wegstecken kann. Aber das werden wir in näherer Zeit in den Alpen testen und euch davon berichten. Eine Anmerkung zur Rahmengröße: Auf der ersten Ausfahrt entschied sich unser Tester Daniel bei seiner Körpergröße von 183 cm aus Gewohnheit für ein Modell in Größe L und lag damit beim „Parkplatztest“ auch ganz gut. Auf dem Trail schilderte er uns jedoch folgenden Eindruck: „Die 29″-Laufräder gepaart mit einem Reach von 451 mm und dem montierten 60-mm-Vorbau ließen mich viel Druck auf dem Vorderrad missen. So rutschte mir die Front in der ein oder anderen Kurve über den Anlieger. Wurde es schneller, vermittelte mir das Linkin Trail dafür umso mehr Sicherheit.“ Da es das Bike nur in drei Größen gibt, fallen die Unterschiede zwischen den Rahmengrößen natürlich etwas stärker aus und es sei jedem Interessenten im Bereich um die 180 cm geraten, beide Größen ausgiebig zu testen. Bold Cyles bietet außerdem jedes Bike mit unterschiedlichen Vorbaulängen an, sodass man hier ab Werk das perfekt passende Bike bekommen sollte. Charakter und Bewertung Es gibt Bikes, deren Charakter sich fast schon direkt nach dem Losrollen und spätestens nach der ersten Trailrunde vollkommen offenbart. So gibt es diejenigen, die einfach gnadenlos und immer schneller bergab geprügelt werden wollen, die, denen ein Trail nicht kurvig und eng genug sein kann oder solche, die im Uphill einfach so vorwärtsgehen, dass man die brennenden Lungen ignoriert und noch härter in die Pedale tritt. Zickzack-Trails, Fullspeed-Passagen durchs nächste Steinfeld oder die 35-%-Rampe, die man sonst nur jedes dritte Mal am Stück schafft … Das Linkin Trail geht mit absoluter Gemütsruhe und stoischer Gelassenheit genauso sicher und potent bergab wie es effizient und stabil klettert. Jedoch motiviert es nicht so richtig, sich in einer der Richtungen auszutoben oder versteckt seinen wahren Charakter zumindest ziemlich gut – es zeigt auf den ersten Ausfahrten zumindest erst einmal kühle Neutralität. Zugegeben, für die meisten unter uns ist das Linkin Trail wohl unerreichbar teuer, aber Bold Cycles liefert hier sinnvoll das Beste und Neueste, was der Markt gerade an Technologien, Innovationen und Komponenten zu bieten hat. Und das nicht nur auf dem Papier, denn genauso hochwertig und universell fühlt sich auch der erste Fahreindruck an, den das Bike bei uns hinterlassen hat. Für eine so junge Marke eine beachtliche Leistung!
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