INHALT - Michael Imhof Verlag

INHALT
DANKSAGUNG
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GRUSSWORT
Ministerpräsidentin Malu Dreyer
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VORWORT
Dr. Michael Dietzsch
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PURRMANN, MATISSE UND DIE FRANZÖSISCHE MALKULTUR
Felix Billeter
DIE PHANTASIE IN DER MALEREI. HANS PURRMANN UND MAX LIEBERMANN –
EIN VERHÄLTNIS ZWISCHEN NÄHE UND DISTANZ
Kai Uwe Schierz
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PURRMANN MALT AUF ISCHIA
Erhard Göpel
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MEINE WEGE ZU HANS PURRMANN – ERINNERUNGEN
Berthold Roland
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BILDTEIL
55
ANHANG
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BIOGRAFIE HANS PURRMANN
Felix Billeter
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KATALOG DER AUSGESTELLTEN ARBEITEN
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IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS
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PURRMANN MALT AUF ISCHIA
Erhard Göpel
Das Schiff kam abends an. Nicht weit von der Anlegestelle
in Porto d’Ischia, fast unter der Galionsfigur, saß der Club,
dem Purrmann präsidierte, beisammen. An wackligen, zusammengerückten Tischen, vor der kleinen Wirtschaft des
Calabresen, den Purrmann seit dreißig Jahren kannte, als
er das erste Mal in Porto d’Ischia einen Sommer lang gemalt hatte. Wir waren nicht angemeldet, wurden mit Hallo
empfangen und an den Tisch gesetzt. Neben Purrmann
saß ein schlankes Mädchen mit einem schweren blonden
Haarknoten, dann der schwedische Major, der mit seinem
Boot von Stockholm nach Ischia gesegelt war, der Maler
Ernst Schumacher, dessen dröhnender Bass sich immer
wieder aus dem Stimmengewirr löste, und eine Reihe anderer Gäste. Später kamen noch Bargheer und Gilles von
San Angelo herüber; Gilles und Purrmann begrüßten sich
wie zwei Großmächte. Das Gespräch lief hin und her zwischen Künstlerbund, dem Berlin der zwanziger Jahre, von
Purrmann scharf mit verfänglichen Anekdoten gewürzt,
und den Bildern, die gerade entstanden waren. Die Quartierfrage wurde nebenher gelöst, wir bekamen in dem Hotel, dessen ockergelbe Mauer an den Hafen stößt und das
auf vielen Bildern Purrmanns vorkommt, ein Zimmer reserviert; die beiden Räume, deren Fenster direkt auf den
Hafen gingen, waren Purrmann vorbehalten. Inzwischen
fiel die Nacht über Porto d’Ischia. Die Sterne standen klar
am dunkelblauen Himmel, eine amerikanische Jacht
zeichnete sich weiß gegen das Brackwasser ab. Auch das
ein Bildmotiv. Die Krüge auf dem Tisch wurden schneller
geleert, die Diskussionen hitziger, und das brennende Problem jener Jahre, abstrakt oder gegenständlich, rückte in
den Mittelpunkt der Debatte. Die Runde war in diesem
Jahre von Landschaftern besetzt, unter denen keiner auf
das ,Motiv‘, so wie es die Insel bot, verzichtete. Man war
sich einig, und die Maler hätten zu gern den Alten, der hin
und wieder einige weise Bemerkungen über équilibre,
über ensemble fallen ließ – die, wenn man recht hinhörte,
für gegenständliche wie für abstrakte Bilder galten –, für
ihre Richtung ganz in Anspruch genommen. Dabei bemerkte Purrmann im vertraulichen Gespräch öfters, dass
die bisher nie gesehenen Freiheiten der Handschrift, die
Technik der eben aufkommenden Tachisten, denen er als
Juror des Künstlerbundes begegnet war, ihn ungeheuer
angeregt hätten – nun habe auch er mehr riskiert als je
bisher. Daher die Kühnheit seines Ischia-Stiles.
Barbara hörte mit offenem Munde zu; sie war noch nie
Zeuge so rückhaltloser Gespräche unter Künstlern gewesen
und war überrascht über die Schärfe, mit der ein gegnerischer Kritiker attackiert, die Malweise gewisser Kollegen
mit sarkastischem Witz vernichtend getroffen wurde. Die
Tische ringsum hatten sich mittlerweile geleert. Die kleine
Generi-Misti-Handlung des Calabresen, aus der Wein,
Fisch, Brot, Käse kam, war nur noch spärlich erleuchtet.
Die Ladnerin erschien, legte den Kopf sanft in die Hand,
schloss die Augen und begleitete diese Gebärde mit einem
unüberhörbaren »dormire, dormire…« Über das Kopfsteinpflaster des leeren Hafenquais ging man unter schwankenden Lampen, deren Lichtschein bald das Wasser des
Hafenbeckens erhellte, bald in tiefes Dunkel tauchte, auf
den Albergo zu, an Pflanzen in grünen Kübeln vorbei, trat
ins Haus und stieg die steinerne Treppe hinauf.
Am Morgen ging der Blick über das frische Grün des Gartens
zu den Schiffen, die sich im Hafenbecken spiegelten, bis
zum Horizont des Meeres, über dem der früh noch hellblaue Himmel stand. Später erfuhren wir, dass Purrmann
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um diese Zeit schon sur le motif gewesen war und sich
ausruhte. Um sechs Uhr oder noch früher stand er auf,
packte Malgerät und Dreibein selbst auf, wenn kein barfüßiger Helfer zur Stelle war, und suchte sich seinen Platz.
Da war ein Motiv mit Ölbäumen, den Hügel hinauf, mit
den grauen Steinmauern, die die Gärten abgrenzen. Das
zweite Motiv dieser Tage lag an der Hafenseite, an einem
der Quaimauer parallelen Weg, den Baumschatten durchschnitten und der den Blick auf eine Häusergruppe freigab,
das ein einstöckiges Gebäude beherrschte, dessen dreieckiger Giebel zum Hafen blickte. (Abb. 1) Diese Motive
machten wir erst später ausfindig, als wir die angefangenen oder halbfertigen Bilder zu sehen bekamen. Dann allerdings war es leicht, den genauen Standort zu finden,
1 Hans Purrmann: Häuser am Hafen, Porto d’Ischia, 1957 (Kat. 105)
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von dem aus Purrmann gemalt hatte. Die Eisenspitzen des
dreibeinigen Sessels waren tief in den braunen Boden auf
der rechten Straßenseite eingedrückt, bei jeder Sitzung
von neuem, in möglichst großem Abstand von der Häusergruppe. Nie ist mir eine kunsthistorische Methode verlässlicher erschienen.
Gegen Mittag, nach der Siesta, konnte man Purrmann im
Leinenanzug an der Dampferanlegestelle und an den Bagni
vorüber zu dem kleinen weißen Postamt gehen sehen;
meist in Begleitung des blonden Mädchens; hier hatte er
unter anderem auch die Mitteilung von der Verleihung des
Ordens Pour le mérite erhalten, eine Nachricht, die ihn zu
Tränen bewegte. Sie waren nicht sentimentaler Art. Er
konnte sie begründen: »Wo ich schon so unter Depressio-
nen leide, wo mir schon so ein Bild nie gut genug ist, bürdet man mir nun diese Verpflichtung auf, noch besser zu
malen.« Auch habe er den leisen Verdacht, dass die Auszeichnung als Stellungnahme gegen die Abstrakten gemeint sein könne, er aber verabscheue diese Teilung, er
kenne nur gute und schlechte Maler.
Meist hatte er ebenso viele Briefe und Postkarten aufzugeben, als er empfing. Die Gespräche am Abend, die Quälerei vor den Bildern, die Gerüchte aus der Kunstwelt, die
ihn mit merkwürdiger Schnelligkeit erreichten, fanden in
dieser Korrespondenz ihren Niederschlag. Die Adressaten
saßen in der Schweiz, in Florenz, in Rom, in Berlin, im
Rheinland, die Reorganisation der Villa Romana wurde
betrieben, der er so lange in kritischen Zeiten vorgestanden
hatte, die Angelegenheiten des Künstlerbundes gefördert.
Danach traf man Purrmann auf der Piazza, wo er seinen
Stammplatz an einem Café-Tisch neben der Plakatsäule
hatte. Die empfangenen Briefschaften wurden ausgebreitet, Bruchstücke der Korrespondenz vorgelesen, die Meinung der Begleitung erfragt. Purrmann ist ein Mensch, der
die Diskussion nicht scheut, Rat einholt und schließlich
doch tut, was allein er für richtig hält. Gleichzeitig entgeht
seinen flinken Blicken nichts, was sich ringsum ereignet.
Die Eselskarren, die eleganten Italienerinnen mit ihren
Kavalieren, die outrierten Engländerinnen. Mancher Italiener tritt an seinen Tisch, mit dem er in einem PfälzischItalienisch ein paar Worte wechselt, immer freundlich, mit
fast romanischer Höflichkeit. Dann geht er ein Stück die
belebte Straße hinauf, macht bei seinem Freund de Angelis, der ein Friseurgeschäft betreibt, Halt und sieht, was
dieser, der gleichzeitig ein Sonntagsmaler ist und seinen
Ruhm Purrmann verdankt, Neues gemalt hat. Im Wohnzimmer in Montagnola hat Purrmann eine Reihe von Proben dieser Kunst hängen, in denen die Naivität noch nicht
einer falschen Virtuosität gewichen ist.
Auch die kleinen Antiquitätengeschäfte entlang der Straße
sind nie vor ihm sicher. Purrmann nimmt, wenn er einen
Samt befühlt, die ausgegrabenen Scherben eines Tonkruges
betastet, mit den Fingerkuppen seiner langen schmalen
Hände über die Glasur einer starkfarbigen sizilianischen
Kachel des Settecento streicht, künstlerisch Nahrung zu
sich. Lust, sinnliche Freude an der Materie erfüllt ihn; der
Akt des Kaufens, das In-Besitz-Nehmen des gewählten
Stückes schließt die Werbung ab. Dieses innige Verhältnis
zur Materie kehrt sublimiert in seinen Bildern wieder. Sie
sind auf feinfädige Leinwand gemalt. Er hat sie selbst
grundiert, wobei ihm die vom Vater, der ,Tüncher‘ war,
eingeprägten soliden handwerklichen Grundsätze zustatten kommen. Beim Malen benützt er das feinste Öl und
Dachshaarpinsel, die jedem Druck der Finger folgen. Eine
Oberfläche entsteht, die hier den Reiz der Improvisation,
der Prima-Malerei hat, dort wie schimmerndes Email wirkt
oder Funken sprüht wie die lüstrierte Glasur persischer Kacheln, die er mit gleicher Inbrunst wie Matisse liebt und
sammelt. Kommt er die belebte Gasse wieder herunter,
kauft er am Kiosk deutsche und italienische Zeitungen, die
er in die Tasche stopft, Lektüre nach dem Essen.
Italienisch liest er ebenso wie Französisch, fließend; den
melodischen Klang der romanischen Sprache, die er im
Ohr hat, genießt er noch beim Lesen. An heißen Sommertagen isst er mittags wenig, freut sich an einer Frucht, einem bel paese und einem Inselwein wie an einem frugalen Mahl.
Manchmal, wenn ein Wiedersehen zu feiern ist, fährt er
über Land zu einem wegen einer Spezialität bekannten
Gasthof und erweist sich als exquisiter Gastgeber, der zu
diesem Getränk, zu jenem Wein rät, auch aus einem Essen
ein ensemble macht, es wie ein Bild ins Gleichgewicht
bringt. Die Forderung von Baudelaire und Oscar Wilde, das
Leben als Gesamtkunstwerk anzusehen, ist erfüllt, wenn
man Purrmann zusieht, wenn er in den Genuss einer Auster, einer Artischocke, eines Fisches vertieft ist, als ob nichts
anderes auf der Welt existierte. Toulouse-Lautrec muss so
gegessen, so getrunken haben. Die Depressionszustände
sind vergessen. Die Spannweite von äußerster Genuss- zu
äußerster Leidensfähigkeit wird deutlich. Den Bildern sieht
man das Leiden nicht an, es wird vom Glück des Gelingens
überspielt.
Die Hitze des frühen Nachmittags wird wie von den Italienern verschlafen; gegen vier, halb fünf, wird an produktiven Tagen die Palette wieder aufgesetzt. Palettenscheps wird nicht geduldet. Ein unabänderliches Handwerkergebot, vom Vater eingebläut, das Handwerkszeug
nach jedem Arbeitsgang sauberzumachen. Zu dieser Stunde werden aber kaum entscheidende Veränderungen vorgenommen. Mit feinem Pinsel geht es hier eher um Belebung der Farbmaterie; die Malerei muss sensible sein.
An anderen Tagen, etwa wenn der Scirocco lähmend in der
Luft liegt, werden die Bilder diskutiert. Purrmann fordert
dann die Kritik geradezu heraus. »Sagen Sie nur etwas,
das regt mich an.« Zuerst traut man sich nicht. Dann aber
sieht man, dass hier jede Kritik angenommen wird, nicht
verletzt und auch den schöpferischen Prozess nicht tangiert. Denn Purrmanns Selbstkritik ist von einer so ätzen-
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den Schärfe, dass die der Vertrauten daneben harmlos ist.
Am meisten gibt er auf die professionellen Bemerkungen
der Kollegen, die mit Farbbezeichnungen arbeiten, Worte
wie Cadmiumgelb, Krapplack, Chromoxydgrün fallen lassen, sich mit einer Geste verständlich machen. Barbara
wird gefragt, sie ist zu Tode erschrocken, sagt endlich etwas
von der grauen Mauer im Vordergrund, die ihr zu schwer
wirke. Purrmann begreift sofort, ändert aber nichts an der
Mauer, sondern übergeht den Himmel rechts oben und
stellt so das équilibre her. Man lernt hier, wie Cézanne gemalt hat. Eine Unterzeichnung mit Blei oder Kreide gibt es
in den wenigsten Fällen. Es wird sofort mit dünnen, aquarellhaft durchsichtigen Pinsellinien begonnen, vor der Natur.
Die farbige Tonleiter, auf die später das ganze Bild gestimmt ist, klingt an. »Das Bild muss in jedem Zustand ein
ensemble sein.« Purrmann zieht ein Bild hervor, das er
am Morgen angelegt hat. Die Ölbäume hinter dem Haus.
Die Äste züngeln über die Fläche. Es hat den Reiz eines
Aquarells von Cézanne, das Weiß der Leinwand ist, von einigen Pinselstrichen berührt, schon organisierte Fläche,
schon Bildraum. Alles ist noch möglich. Purrmann kennt
das, lässt sich nicht täuschen. Ein Bild, sagt er, hat drei
Stadien. Das erste, scheinbar gelungene. Das zweite, in
dem es ein ,Chaos‘ ist. Das dritte Stadium erreichen nur
wenige Bilder; es ist der wiedergewonnene erste Zustand,
bewusst, geglückt. Wie die Lehren des Vaters bei der Behandlung des Werkzeuges nachwirken, klingen Faustregeln, die Matisse seinen Schülern gab – Purrmann war
massier, Obmann des Matisse-Ateliers –, in diesem Sätzen
nach.
Chaos in Ordnung verwandeln gelingt nur unter schweren
Depressionen, sie lassen ihn nachts nicht schlafen, oder
er liegt nachmittags auf dem Bett, sieht auf das Bild, das
an der Wand lehnt und betrachtet es. Wie um sich selbst
zu geißeln, zitiert er einen Satz von Renoir: »Wer ein Bild
drei Monate beiseite gestellt hat, und dann noch nicht
weiß, wo der Fehler steckt, der soll das Malen lassen.«
Es gibt unter den Bildern dieses Sommers wahre Sorgenkinder. Besonders eines, ein Gewitterhimmel über einem
ansteigenden Hügel, aus dessen Grün Häuserkarrees gelb,
rosa auftauchen. Vorn die graue Steinmauer. Das Bild ist
an einem gewittrigen Nachmittag im Haus begonnen. Es
fällt in sich zusammen. Das Motiv gibt es nicht so. Das Allheilmittel, Rückkehr vor das Motiv, vor die Natur, ist ausgeschlossen. Das Bild wird im Laufe der kommenden Wochen drei-, viermal neu gemalt. Erst in Montagnola, fern
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von der Atmosphäre der Insel, gelingt es, in der Konzentration auf Farbe, Fläche, Linie das widerspenstige Bild zur
Form zu zwingen, die Einheit herzustellen. »Man darf nicht
dahinter greifen können«, heißt es von dem Himmel eines
anderen Gemäldes, oder auch nur: »Dort ist ein Loch«.
Gemeint ist, dass die durchgehende Spannung der Bildfläche an dieser Stelle unterbrochen ist. Matisse lief einmal
einen ganzen Tag mit Marquet im Louvre herum, um solche
,Löcher‘ auf alten Bildern zu suchen.
Existiert ein Motiv, fährt Purrmann nach der Meditation
vor dem Bild vom Bett aus mit wenigen behutsamen Pinselstrichen über die Malerei hin und markiert kritische
Stellen. Am nächsten Morgen geht er, lange bevor die Hitze
über der Insel ausbricht, vor das Motiv und sucht die Spannung zwischen den notwendigen ,Verbesserungen‘, dem
Zustand des Bildes und dem Chaos ,Natur‘. Oft sind viele
Sitzungen nötig, wie die Spuren des Feldstuhles beweisen.
Damals war Purrmann fünfundsiebzig Jahre alt. Es wurde
mir klar, weshalb Cézannes unablässiger Ruf réaliser, réaliser mit ebenso vielen Flüchen identisch war. Das irrationale Element in der Natur und das irrationale Gesetz der
Fläche zur Übereinstimmung zu bringen, verursacht dem
Maler die gleiche Pein, wie die Unlösbarkeit der Quadratur
des Kreises dem Mathematiker. Den weise gewordenen
Maler, der das kleine Einmaleins von Bildaufbau und koloristischen Gesetzen in langen Jahren erlernt hat, interessiert dabei – wie Valéry – nicht mehr die erste, sondern
die letzte Dezimale. Glück gehört zum Gelingen eines Bildes, um diese nicht mehr zu berechnende Dezimale zu
treffen.
In einem unbeobachteten Augenblick nehme ich das Duodez-Bändchen vom Nachttisch. Es sind Goethes Gedichte,
von denen Purrmann viele auswendig kann. Er liebt Gedichte mehr als Romane. Wahrscheinlich, weil eine Strophe übersehbar wie die Fläche eines Bildes ist. Der Rhythmus entspricht der Handschrift des Malers, die Vokale den
Farben, die Konsonanten der Zeichnung, der Inhalt dem
,Motiv‘, und der Glanz, das Ergreifen und Ergriffenwerden
ist hier wie dort Glück.
Die hohen, kühlen Zimmer, in denen unsere Diskussionen
stattfanden, haben Tradition im Leben Purrmanns. Er hat
beide Räume, deren Fenster zum Hafen gehen, gemietet,
denn der mit Fliesen bedeckte Korridor dazwischen ist gerade bereit genug, um die Staffelei aufzustellen. Das Gangfenster gibt einen vorkomponierten Blick auf das Hafenbecken frei. Links greift die Landzunge um das Bassin und
erhält ihren Akzent von dem schlanken Leuchtturm. Rechts
lädt das Becken stärker aus, Schiffe und Segelkutter in
wechselnder Größe und Zahl, nach alten Regeln starkfarbig
gestrichen, liegen an der Ufermauer, deren Schwingung
der grüngesäumte Hügelkamm wiederholt. Der weiße Würfel der Villa Dohrn, Besitz der Begründer des Aquariums in
Neapel, eine Familie, mit der Purrmann seit langem befreundet ist, flankiert die Einfahrt. (Abb. 2)
Das ,Motiv‘ hat Purrmann oft gemalt, schon Anfang der
zwanziger Jahre, als er mit seinem nur wenig älteren
Freund Konrad von Kardorff zum ersten Mal auf der Insel
war. So wie er heute ein Bild vor der Natur wieder angeht,
hat er auch nach Jahren sich immer wieder das schon bekannte Motiv vorgenommen. Denn das Einleben in eine
neue Landschaft kostet einem Maler oft ein halbes Jahr,
ein ganzes Jahr, und dem Stück Natur, das er einmal gemalt hat, ist etwas von dem Ungebändigten, Ungezähmten
genommen, das Cézanne als den terrible effet de la nature
fürchtete.
Aus welchem Fenster der beiden langgestreckten Räume
man auch blickte, die Ausschnitte kamen einem bekannt
vor. Es waren lauter Purrmanns. Hier das Hochformat der
linken Hafenseite, wo die Jachten und Segelboote lagen,
auch das von Major Ternberg, deren Mastspitzen leise
schwankten und jede Bewegung des Wassers an den Himmel schrieben, ähnlich wie im Hafen von Sanary, wo Purrmann 1930 nach langer Krankheit die Reihe der Bilder gemalt hat, auf denen die weißen Schiffsleiber schwingen.
Das Fenster des rechten Raumes geht unmittelbar auf den
immer von Menschen, Wagen und Tieren bevölkerten Quai.
Die schräge Aufsicht erzeugt Tiefe, die als Bildraum gefasst
werden muss. Da Purrmann nur bei den Bildern vom Gang
her das rahmende Fenster als Repoussoir benutzt, in dem
das Hafenbecken wie ein gefasstes Kleinod erscheint, den
abstürzenden Blick auf den Quai sonst ohne Vordergrund
gibt, birgt dieses Motiv die Gefahr, wie ein aufgeklapptes
Bühnenbild zu wirken.
Die anlaufenden Kutter, die Sand, Stein, Holz bringen oder
laden, die breiten Schuten, aus deren offenen Luken kürbisgelb, tomatenrot, melonengrün die Früchte leuchten
und die Jahreszeiten anzeigen, die gehissten dunkelbraunen, gelben Segel und ihre reizvoll unregelmäßigen Formen führen leicht dazu, das Bild zu überladen. Oft werden
die Eindrücke erst, wenn sie schon auf der Leinwand stehen, geordnet, die koloristischen Akzente gesetzt und nur
so viel Versatzstücke als unbedingt nötige belassen, um
die gestaffelte Tiefe des Raumes zum Ausdruck zu bringen.
2 Hans Purrmann: Hafen von Porto d’Ischia, 1957, (Kat. 104)
Purrmann hat immer wieder die Grenzzone aufgesucht,
wo Erde und Wasser aneinanderstoßen. In der Landschaft
Cézannes, an der Küste Südfrankreichs, hat er um 1910 seine Palette intensiv gemacht und ist nach Jahren wieder in
jene Gegend zurückgekehrt. Später malte er an italienischen Küstenstrichen, in Sorrent, bei Rom, bei Fano, bei
Lerici. Als er in Schwaben lebte, zog es ihn an die Ufer des
Bodensees, wo das sanfte Blau die Folie zu dem frischen
Grün der Obstbäume abgab. Auch an der Lage Montagnolas
mag ihn gereizt haben, dass zwischen den rostbraunen
Bergen die Flächen des Luganer Sees überraschend auftauchen. Inseln, auf denen das Meer überall im salzigen
Hauch der Luft, der Bildung der Wolken gegenwärtig ist,
hat er geliebt. In seiner Jugend blieb er einen Winter auf
Korsika; dort hat er in einem ersten Elan eine eigenwillige,
über Matisse und die Fauves hinausgehende Farbigkeit
entwickelt. Im Alter ging er nach Ischia. In jedem Jahr auf
Ischia kam er seiner Vision des ganz auf Farbe gestellten
Bildes näher, ohne an Sinnlichkeit, an Fülle, die unmittelbar aus der Natur in die Bilder strömt, zu verlieren. Einmal kam er auf die Terrasse des Hauses, das wir oberhalb
von Porto d’Ischia bewohnten. Die Weiträumigkeit der
Sicht, der hochliegende Horizont, der Beckmann zu mächtigen Seebildern angeregt hätte, reizte ihn nicht. Er fasste
in kleinem Format den Blick auf das Hafenbecken und auf
die dahinter ansteigenden grünen Höhen. Er malte einen
ganzen Nachmittag mit schnellen Blicken auf die Landschaft und mit langen Blicken auf die Leinwand. Malgerät
und das angefangene Bild ließ er da. Schlechten Gewissens
Purrmann malt auf Ischia 39
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