Schwarzkittel im Rohr

Foto: Klaus-Herbert Schröter
Jäger - Revierpraxis
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WILD UND HUND | 4/2013
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DRÜCKJAGD AM PEENESTROM
Meterhohes Reet, pfeilschnelle Sauen,
Flintenlaufgeschosse – wenn vorpommersche
Jäger Waffe und Freischneider schultern, geht
es auf Schwarzkittel im Rohr.
Markus Deutsch
Schilfsauen
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Fotos: Markus Deutsch
Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt: Mit dem Freischneider schlägt Jan Rebe eine Bresche ins Schilf. Auf den
circa vier Meter breiten Schneisen braucht es Erfahrung, um das Schwarzwild schnell anzusprechen und sauber zu strecken.
Hier fühlen sich die Sauen sichtlich
wohl. Zahlreiche Wechsel durchziehen
die Reetfelder.
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Motorsensen zerreißen mit ihrem
Gejaule die bis dahin friedliche Stille der
Großen Heide an diesem frostig-klaren
Morgen. Entlang des Peenestroms dringt
aus verschiedenen Ecken des goldbraunen Schilfgürtels das regelmäßige an- und
abschwellende Brummen. Die nächste
Siedlung in der zu den dünn besiedeltsten Gegenden Vorpommerns zählenden
Ecke liegt etwas entfernt. Deshalb dürften
sich lediglich die „Untermieter“ im Reet
durch die ungewohnte, hektische Betriebsamkeit gestört fühlen: Sauen. Ihnen gilt
auch der heutige Arbeitseifer der vorpommerschen Jägerschar mit den dröhnenden Schneidgeräten.
Um den Schwarzkitteln in ihrem bis dahin blickdichten und sicheren Einstand
effektiv nachzustellen, haben sich die Jäger
um René Würfel etwas Besonderes einfallen lassen. Mit Freischneidern legen sie im
Rohr Schneisen von vier bis fünf Metern
Breite an. Diese bieten den teilnehmenden
Waidmännern Schussfeld, wenn auch kein
besonders großes.
Denn die schwarzbraunen Bewohner
scheinen teilweise schon aus den Vorjahren zu wissen, dass das Überqueren der im
nächsten Frühjahr wieder zuwachsenden
Mähflächen Gefahren birgt. „Oft verhoffen
die anwechselnden Stücke direkt vor der
Schneise, um dann, wenn die Hunde oder
Treiber direkt dran sind, blitzschnell über
die Freifläche zu wechseln“, erklärt Jagdleiter Würfel den 32 Jagdteilnehmern die Her-
ausforderung an die Schneisenschützen.
„Deshalb ist zügiges Ansprechen und
schnelles, aber sicheres Schießen vonnöten.“
Mittlerweile sind auch die Mäher am
Sammelplatz angekommen. Einer von ihnen ist Jan Rebe. Der 38-Jährige unterstützt Würfel von Zeit zu Zeit, wenn dieser
als Jagdaufseher größere Jagden für das
Unternehmen „Jagen am Peenestrom“
veranstaltet. Heute wird Rebe als Treiberschütze mit durchgehen. „Jede Menge
Wechsel im Rohr“, berichtet er vom morgendlichen schweißtreibenden Mähen.
Aus dem angrenzenden Moorholz
flüchtet sich dieser Schwarzkittel ins
vermeintlich sichere Schilf.
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An den Ständen auf dem Deich weist der Ansteller die Schützen ein
und gibt letzte Hinweise, bevor es losgeht.
„Vielleicht haben wir Glück, und die
Schwarzkittel stecken heute im Reet.“
Dass die Vorpommern die Schneisen
erst am Morgen des Drückjagdtages mähen, ohne die Stände vorher zu besetzen,
mag verwunderlich klingen. Die Erfahrung der Vorjahre hat sie jedoch gelehrt,
dass die Sauen das Knattern der Freischneider und die Wittrung der Jäger aushalten. Sie verdrücken sich dann in die
unberührten Areale des Schilfmeeres und
warten ab, was passiert. „Wenn wir aber
ein oder zwei Tage vorher mähen, wechselt das Schwarzwild über Nacht aus, und
wir gehen leer aus“, weiß Jagdleiter Würfel
von früheren Rohrjagden zu berichten.
Nachdem die Freigabe gemacht wurde
und letzte Fragen geklärt sind, teilt sich die
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Die Treiberwehr gibt sich alle Mühe, das Schwarzwild
aus dem übermannshohen Reet zu drücken.
Jagdgesellschaft in drei orange-grüne Karawanenstränge: Der eine, bestehend aus den
Treibern, nimmt am Rand des Reetfeldes
Aufstellung. Die anderen beiden schlängeln sich entlang der Drückjagdbockreihe
rund um das 40 Hektar große Schilfgebiet,
das heute durchgedrückt wird.
René Würfel bezieht seinen Stand
am Ende des Treibens, vor sich zwei
v-förmig angelegte Schneisen. Hinter ihm
erstreckt sich eine gemulchte Wiese. So
hat er die Möglichkeit, aus dem Nachbarrevier anwechselnde Sauen frühzeitig zu
sehen und gegebenenfalls zu schießen.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht,
denn im angrenzenden Revier wird heute
auch gejagt.
Auf der anderen Seite des Treibens hat
Würfels Jagdkamerad Dirk Appelhagen mit
Blick auf den Peenestrom Posten bezogen.
Nachdem er seine Rotte angestellt hat,
stopft er die Flinte mit Flintenlaufgeschossen und richtet sich an seiner Schneise ein.
Die vorpommerschen Jäger führen an diesem Tag fast alle Flinten, während die Jagdgäste meist mit Repetierern angerückt sind.
„Bei den Flintenlaufgeschossen haben
wir keine Splitterwirkung, falls doch mal
Halme im Weg sind“, erläutert Würfel die
Waffenwahl, während er seine Bockflinte
lädt. „Und die Wirkung auf die geringe
Distanz ist durchschlagend.“
Die flach stehende Wintersonne taucht
das wogende Schilf in angenehm warmes
Licht. Mit einem motivierten „Vorwärts im-
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Fotos: Markus Deutsch
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Jagdleiter Würfels Sinne sind
gespannt: Das Rascheln ging bis
unmittelbar an die Schneisenkante.
mer, rückwärts nimmer“ setzt sich die
Treiberwehr in Bewegung und wird sogleich vom Reet verschluckt.
Es dauert nicht lang, und schon dringt
das erste „Jiff-Jiff“ der eingesetzten Hunde
bis zum Stand von René Würfel. Noch
spielt sich das Ganze am anderen Ende
des Treibens ab. Die dort postierten Schützen packen ihre Waffen fester, schauen
angestrengt in die Halmwogen. Jetzt ist
das Geläut in immer kürzeren Abständen
und aus verschiedenen Ecken zu hören.
Aber immer wieder verstummt es für kurze Zeit, wenn die Hunde im dichten Reet
den Anschluss verlieren.
Der Jagdleiter schaut in Richtung der
unsichtbar anrückenden Treiberwehr. „An
diesem Stand habe ich schon mal fünf
Sauen hintereinander gestreckt“, flüstert
der 36-Jährige, als mit einem Mal ein leises
Rascheln seine Aufmerksamkeit erregt.
Angestrengt lauscht er in die Richtung, aus
der das verdächtige Geräusch kam. Nichts.
Nur Treiber und Hunde sind zu hören.
Plötzlich erneutes Knistern, diesmal
ein ganzes Ende näher. Würfel steht vom
Sitzbrett auf, macht sich bereit. Alle Sinne
sind gespannt. Mit kaum merklicher Kopfbewegung mustert er den Schneisenrand.
Der Weg zum nächsten Treiben führt
Treiber und Hunde über den
Peenedeich.
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Die Größe des angelegten Streckenplatzes verrät, dass sich die vorpommerschen Jäger mehr versprochen hatten. Mit sieben
Sauen, vier Rehen und einem Fuchs fällt die Strecke im Vergleich zu den Vorjahren mit etwa 20 Stücken eher bescheiden aus.
Da! Einige Halme zittern. Auf ein kurzes
Knacken folgt leises Rauschen. Das Stück
muss unmittelbar an der Kante sein.
Da bricht ein Schuss. Auf der anderen
Seite des Treibens hat ihn Ansteller Dirk
Appelhagen in unmittelbarer Nähe auch
gehört. Mit Blick auf den Peenestrom gerichtet, nimmt er seine Flinte hoch. Von
links nähert sich der Laut eines Terriers.
Unmittelbar am Ufer tut sich etwas. Durch
die Reethalme sieht Appelhagen ein Stück
Schwarte. Ansprechen kann er allerdings
noch nicht.
Jetzt steuert ein mutiger Terrier auf
die Sau zu. Kurzes Rascheln, und mit
einem riesigen Satz saust der Schwarzkittel auf die Schneise. Ein Überläufer!
Blitzschnell zieht der erfahrene Vorpom-
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mer die Flinte in die Schulter. Schuss!
Die Schneise ist leer.
Es dauert keine fünf Sekunden, und
der Terrier stürmt jiffend über die Freifläche. Er ist kaum auf der anderen Schneisenseite verschwunden, als der Laut
verstummt. Rascheln und kurze Knurrer
lassen den Schützen ahnen, dass das
Stück liegt. Der bald zurücktrottende vierläufige Jagdhelfer bestärkt die Annahme
noch. Appelhagen lädt nach.
Nachdem das letzte Rascheln an
der Rohrkante zu hören war, sind vielleicht fünf Minuten vergangen. Jagdleiter
Würfel kommen sie vor wie Stunden. Die
Treiber sind etwas weiter vorgerückt. Hunde hat Würfel in unmittelbarer Nähe nicht
gehört. Langsam lässt er die Flinte sinken.
Hat sich das Stück klammheimlich verdrückt? War es doch nur eine Bö, die die
Reethalme zittern ließ?
Ein kurzes „Jiff“ reißt den 36-jährigen
aus seinen Gedanken. Rund dreißig Meter
entfernt meldet sich aufgeregt einer der
Hunde. In immer kürzeren Abständen tut
er seine Freude über eine frische Fährte
kund. Das Bellen des Vierläufers kommt
direkt auf Würfels Stand zu. Sofort durchfährt es den Jagdleiter. Gebannt visiert er
den Schilfrand an. Der Hund arbeitet sich
vor.
Urplötzlich kommt Bewegung in die
Reetkante. Ein Knacken, Halme wedeln,
für den Bruchteil einer Sekunde ist ein
dunkler Schatten zu erkennen. Würfel
backt an. Ein Rascheln. Das Geräusch
wird leiser. Bellend entfernt sich auch der
Vierläufer. „Mist! Das Stück hat Lunte gerochen“, entfährt es dem Jagdleiter. „Aber
noch ist nicht aller Tage Abend.“
Die Treiberwehr rückt näher. Mittlerweile sind schon mehrere Schüsse gefallen.
Eine Bewegung im Augenwinkel lässt
Würfel herumfahren: Über die gemulchte
Wiese wechselt eine Bache unbeschossen
ins Schilf. Freigegeben sind heute lediglich
Frischlinge, Überläufer und Keiler. Plötzlich
ist großer Tumult aus Richtung der Treiber
zu hören. Wieder knistert etwas auf Würfels
Stand zu, entfernt sich aber wie beim ersten
Mal. Bis zum Ende der Jagd tut sich bei ihm
nichts mehr.
Am Sammelplatz angekommen sind
bereits einige Waidmänner beim Streckelegen. Nach und nach trudeln die übrigen Jagdteilnehmer ein. Nun klärt sich
auch die Unruhe in der Treiberwehr auf:
Ein mittelalter Rothirsch hatte einen Treiber fast umgerannt. Reflexartig hatte dieser seinen Treiberstock hochgenommen.
Der verfing sich im Geweih des Hirsches
und fiel erst nach einigen Metern herunter. Als alle versammelt sind, liegen sieben Sauen, vier Rehe und ein Fuchs auf
der Strecke. „Nicht gerade üppig, aber immerhin“, kommentiert René Würfel die
Ausbeute des Tages. „Aber das macht es
spannend. Man weiß nie, was im Schilfmeer steckt.“
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