Lehrunterlage Psychoanalyt. Th. 1

Psychoanalytische Therapien
Henriette Löffler-Stastka
Psychotherapie
Definition: Psychotherapie ist eine
• Interaktion zwischen einem oder mehreren PatientInnen
und einem oder mehreren TherapeutInnen (auf Grund
einer standardisierten Ausbildung),
• zum Zwecke der Behandlung von
Verhaltensstörungen oder Leidenszuständen,
• die in einem Konsens zwischen PatientIn und
PsychotherapeutIn für behandlungsbedürftig gehalten
werden,
• mit psychologischen Mitteln,
• mit einer lehrbaren Technik,
• einem definierten Ziel und
• auf Basis einer Theorie des normalen und abnormen
Verhaltens.
(H. Strotzka: Psychotherapie und Tiefenpsychologie, 1982/1, Springer)
Psychoanalyse
• Die Psychoanalyse basiert auf der
Beobachtung von Vorgängen, die unsere
Gefühle und unser Verhalten bestimmen, oft
nicht wahrgenommen werden und sonst kaum
zugänglich sind.
• Diese unbewussten Faktoren können eine
Beeinträchtigung, manchmal in Form von
deutlich wahrnehmbaren Symptomen und/oder
störenden Charaktereigenschaften,
Schwierigkeiten in Arbeits- und
Liebesbeziehungen, oder Störungen der
Stimmung und des Selbstgefühls hervorrufen.
Aktuelle Relevanz
• Hirnforschung bestätigt Grundannahme Freuds,
dass das Ubw weitgehend das Bw bestimmt,
dass sich der Charakter früh - d.h. in den nicht
unbewusst ablaufenden Monaten und Jahren verfestigt
• Funktion des Ubw ist komplexer als von Freud
vermutet (nicht nur Ort primitiver Triebe, Ort
einer die Lebenserfahrung umfassenden
Vernunft, die das Ich steuert)
Psychoanalytische Therapien
• Psychoanalyse (4-5x/Woche)
• Psychoanalytisch (orientierte)
Psychotherapie (2x/Woche)
• Stützende psychoanalytische
Psychotherapie
• Psychoanalytische Kurztherapie
• Psychoanalytische Fokaltherapie
• Psychoanalytische
Gruppenpsychotherapie
Empirische Prozess- und
Ergebnisstudien
Forschungskomitee der Internationalen
Psychoanalytischen Association IPA:
psychoanalytische Psychotherapie - An
Open Door Review of Outcome Studies in
Psychoanalysis
Evidenz
• Psychoanalytische Psychotherapie kann das
Funktionsniveau einer klinischen Gruppe auf
das Niveau der Normalpopulation anheben
• Die psychoanalytische Psychotherapie
verbessert die Arbeitsfähigkeit
• Psychoanalytische Psychotherapie führt zu einer
Verringerung der Gesundheitskosten, und dies
auch über Jahre nach Therapieende
Psychoanalytische Psychotherapie
• Die psychoanalytische Psychotherapie kann zu
einer Verringerung des Gebrauchs psychotroper
Medikamente bei stationären Behandlungen
führen
• Je länger die Behandlung, desto besser das
Ergebnis
• Die Langzeitbehandlung in psychoanalytischer
Psychotherapie kann eine
Borderlinesymptomatik langfristig verringern
• Die psychoanalytische Psychotherapie kann
eine effektive Behandlungsform für schwere
psycho-somatische Störungen sein
Psychoanalytische Psychotherapie
• Manche Ergebnisse legen nahe, dass
Psychoanalyse und psychoanalytische
Therapie kostengünstig und
kosteneffizient sind
• Manchmal ist die Überlegenheit der
Psychoanalyse über die Psychotherapie
erst Jahre nach Behandlungsende
offensichtlich
Definition der
Technischen Neutralität = Abstinenz
Die Abstinenz verlangt von Therapeut/Therapeutin zweierlei:
1. Impulse und Gefühle gleich welcher Art zunächst einmal zu zügeln
und daraufhin zu prüfen, inwieweit sie aus der eigenen
Konflikthaftigkeit erwachsen oder Indikatoren von unbewussten
Prozessen im Patienten/der Patientin sind
2. Alles was man sieht, sagt und tut, daraufhin zu erforschen, ob es
im Interesse des Patienten/der Patientin gesagt oder getan wird
bzw. aus eigener Konflikthaftigkeit heraus, oder um eigene
Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Erforschung der eigenen
Impulse, vor allem die Versagung unbedachter Spontaneität,
verschafft am ehesten Klarheit über die unbewussten Quellen
dieser.
Deutungsprozess
• Klärung
• Konfrontation: Einsicht in bewusstseinsnahe Zusammenhänge
• Deutung: Einsicht durch Interpretation; bezieht sich ausschließlich auf
verdrängtes/unbewusstes Material und dessen Abkömmlinge, also
Wünsche.
Erfordert Zeit: Periode der Vorbereitung, Bearbeitung unbewusst
determinierter Widerstände und erfordert Phase des Durcharbeitens.
• Durcharbeiten
Übertragung - die
Gesamtsituation
• Übertragung stellt eine emotionale
Beziehung zum Analytiker dar, in der eine
unbewusste Phantasie aktualisiert wird. Die
jeweils wirksame ubw-Phantasie entspricht
einer Gesamtsituation einer primären
Objektbeziehung mit den jeweils wirksamen
Triebwünschen und Ängsten, ihrer Abwehr
und den daraus folgenden Bewegungen zum
Objekt hin und vom Objekt weg.
• Unter Gegenübertragung verstehen wir
dementsprechend die Gesamtheit der
unbewussten Reaktionen der
Therapeutin/des Therapeuten auf die
Patientin/den Patienten und ganz
besonders auf deren/dessen Übertragung.
Technik
Heilende Kräfte
Psychischer Ort
(Topos)
Suggestion
Induzierte Überzeugung, Impulse und Aktionen
BW
Persuasion
„Überreden“ Anwendung „pädagogischer“ Mittel
(„Psychoedukation“)
BW
Abreaktion
Erleichterung von akuter Spannung
BW
Manipulation
Das Lernen durch Erfahrung, herbeigeführt
durch Erinnern an Ressourcen
BW
Klärung/
Konfrontation
Einsicht in bewusstseinsnahe Zusammenhänge
VBW
Deutung
Einsicht durch Interpretation; bezieht sich
ausschließlich auf verdrängtes/unbewusstes
Material und dessen Abkömmlinge, also
Wünsche.
Erfordert Zeit: Periode der Vorbereitung,
Bearbeitung unbewusst determinierter
Widerstände und erfordert Phase des
Durcharbeitens.
UBW
Wien
• Freud (1896) beschrieb die
Psychoanalyse als ein Verfahren zur
Untersuchung seelischer Vorgänge,
welche anders kaum zugänglich sind.
• Freud (1919) Empfehlung, dass der
Analytiker Wege finden müsse, um seine
Fähigkeiten auch denen zukommen zu
lassen, die sich keine Psychoanalyse
leisten können.
Wien 20er Jahre
• ab 1922 psychoanalytische Behandlungstechnik
in Bezug auf Patienten diskutiert, die nach Reich
(1924) oft nicht die klassischen neurotischen
Störungen aufwiesen, „im Ich infantil“ geblieben
sind, oft nicht krankheitseinsichtig waren, die
Herstellung einer positiven Übertragung
schwierig war, oder wo das Prinzip der freien
Assoziation zur Produktion von Inhalten ohne
die dazugehörigen Affekte führte, ..
• 1929 durften sogenannte „Grenzfälle“ behandelt
werden
Psychoanalyse-Strömungen
• Freud
• Post-Freud: E. Jones, M.Brierley, E. Glover
• Ich-Psychologie: H.Hartmann, A.Freud,
D.Rappaport,O.Fenichel, M.Schur, C.Brenner,
E.Jacobson.
• Positionen: M. Klein, W.Bion
• J.Sandler
• „Ich-psychologisches Objektbeziehungs-Modell“:
O.Kernberg
• A. Green
USA
• erste detaillierte naturalistische Kohortenstudien, das
Menninger Projekt (Wallerstein 1986), 1954 als
prospektive Studie begonnen
• wichtiges Ziel der Studie war die Erweiterung der
Indikationsstellung (Stone 1993) der Psychoanalyse,
nämlich die therapeutische Technik auch für die
Behandlung von weit schwerer Erkrankten zugänglich zu
machen
• Kernberg (1972) schlug eine modifizierte analytische
Herangehensweise vor, beispielsweise die frühe
Deutung der negativen Übertragung und den Fokus der
Deutung im Hier und Jetzt (Übertragungsbeziehung).
Aktuelle Entwicklungen der
psychoanalytisch orientierten
Psychotherapie
• Bemühung um empirische Evidenz für Effektivität und
für theoretische Konstrukte durch Bezüge zur
Allgemeinpsychologie, Neurowissenschaft etc.
• (Partielle) Manualisierung
• Differenzierung der Krankheitslehre durch Integration
entwicklungspsychopathologischer Befunde in
eine Theorie der Affektregulation
UBW
Freuds große Leistung besteht zweifellos in der „Entdeckung“
des Unbewussten. Verbunden damit ist die Analyse der Verdrängung
nicht statthafter Triebe und Wünsche und der Art, in
der über Fehlleistungen, Träume und psychopathologische
Symptome wie Zwangshandlungen oder Phobien diese Triebe
und Wünsche ins Bewusstsein einbrechen. Daraus resultiert ein
ständiger Kampf des Bewusstseins (Ichs) gegen das Unbewusste
(Es). Frühe, verdrängte Geschehnisse bestimmen weitestgehend
unser erwachsenes Wünschen, Planen und Handeln, auch wenn
das Ich davon nichts wissen will und vielerlei eigene Erklärungen
(Rationalisierungen) oder Ersatzlösungen (z.B. Symptome) erfindet.
[Roth, 2001]
BEWUSSTSEIN
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Sinneswahrnehmungen (Umwelt, Körper)
mentale Zustände (Denken, Vorstellen, Erinnern)
Emotionen, Affekte, Bedürfniszustände
Erleben der Identität, Kontinuität
Körperbild
Autorenschaft und Kontrolle von Handlungen
Verortung des Selbst und des Körpers in Raum und
Zeit
• Realitätscharakter von Erlebtem
• Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellung
BEWUSSTSEIN
• Hintergrundbewusstsein (z.B. Selbstbild) vs.
Aktualbewusstsein (zusammengesetzt aus
Emotionen, Denken etc.) verbunden mit
Arbeitsgedächtnis
• Geschehnisse nur dann bewusst, wenn
mit Aktivität der assoziativen Großhirnrinde
verbunden (die aber durch Hirngebiete
beeinflusst sind, die grundsätzlich nicht
bewusstseinsfähig sind)
Das Unbewusste
Def. der Neurowissenschaften
• Inhalte, die einmal bewusst waren, dann aber ins ubw.
abgesunken sind (nicht aktivierte Inhalte des
deklarativen Gedächtnis)
• vorbewußte Inhalte von Wahnehmungsvorgängen
• unterschwellige Wahrnehmungen
• Vorgänge in Gehirnregionen außerhalb der assoziativen
Großhirnrinde
• alle perzeptiven, kognitiven und emotionalen Prozesse,
die vor Ausreifung des assoziativen Kortex ablaufen (bis
zum 3. Lj.)
• Ubw. Gehirnvorgänge sind höchst wirksam und
beeinflussen bewusste Vorgänge stark - neben
vorbewussten und subliminalen Komponenten
vor allem Vorgänge im limbischen System
• Tätigkeit des limbischen Systems erleben wir als
Affekte/Emotionen bzw. affektive Einfärbungen
von Wahrnehmung, Vorstellung, Erinnerung und
Handlungsplanung
• nur der orbitofrontale und der inferotemporale
Kortex als Teile des l. Systems sind
bewußtseinsfähig
Zentrale Komponenten
• Hypothalamus (biolog. Grundfunktionen,
Angriff/Verteidigung, angeborene Trieb-und
Affektzustände)
• Amygdala (Emotionssteuerung,
furchtgeleitete Verhaltensbewertung)
• Hippocampus (Organisator des
bewußtseinsfähigen - deklarativen speziell episodischen Gedächtnisses)
Das Unbewusste als Zensor
• Das Ubw. Wirkt auf das Bw. auf zwei Weisen:
• Einwirkung subkortikaler limbischer Zentren auf präfrontalen und
orbitofrontalen Kortex führt zu Gedanken, Vorstellungen, Wünschen,
Plänen, die das Ich sich selbst zuschreibt (erste „Abfrage“).
Feststellung: ist das, was bewusst-unbewusst gewünscht wird mit
den Inhalten des unbewussten emotionalen Gedächtnisses im
Einklang
• dorsale, motorische Schleife führt zu Handlungsbereitschaft (über die
Basalganglien).
Prüfung: geplante Handlung im Lichte vergangener Erfahrungen
sinnvoll, intendierte Handlung der Situation angemessen
• Erst wenn beide Prüfungen positiv: Aktivierung des prämotorischen
und motorischen Kortex über Basalkerne
• Lust-Unlust-Abwägung: System beginnt Arbeit bereits im Mutterleib!
Formung von Charakter und Persönlichkeit als Basis für die
Ichentwicklung, Veränderbarkeit durch „emotionale Revolutionen“
• LeDoux: subkortikale Zentren können nicht vergessen!?