Ethik in der Ergotherapie - Prof. Dr. Klaus Dieter Joswig (PDF)

7. Drei-Länder-Ergotherapiekongress in Kloster Irsee 2015
23/04/16 | © FH Osnabrück | WISO - ELP | Prof. Dr. phil. Klaus D. Joswig
Gliederung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Begriffliche Einführung
Ethiksysteme
Diskurs – Utilitarismus oder das kleinere Übel
Erstes Fazit
Angewandte Ethik
Angewandte Ethik in der Ergotherapie- Ethikkodex
Einschätzung zum Themenkreis Ethik in der ET
Ethische Grundprinzipien
Proklamation - Ausblick
23/04/16 | WiSo Prof. Dr. Klaus Dieter Joswig
Was ist Ethik ?
• Eine philosophische Auseinandersetzung mit
dem richtigen und guten Handeln,
• thematisiert Handlungsgrundsätze
• und fördert die
• Reflexion über menschliche Normen & Werte
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Begriffe Ethik und Moral
Die Ethik (griechisch ἠθική (ἐπιστήμη) ēthikē (epistēmē)
„das sittliche (Verständnis)“
Ethik = Disziplin der Philosophie
Wissenschaft vom moralischen Handeln
Moral = Werte, Normen, Modelle
Ethik & Moral = umgangssprachlich synonym
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Menschliches Handeln hat eine ethische
Dimension
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Ethiksysteme I
Deontologische Gesinnungsethik
(griech. von deon „das Erforderliche“ Pflicht)
Es geht um die moralische Handlung an sich, zunächst unabhängig von
den Folgen oder Konsequenzen einer Handlung.
Z.B. Prinzipienethik nach Kant
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Ethiksysteme II
Utilitarismus (lat. Utilis = Nutzen, was hilft, ist gut)
Grundzüge
1.
2.
3.
Utilitätsprinzip: Nutzen für das in sich Gute
Konsequenzprinzip: Konsequenzen einer Handlung
Sozialprinzip: Es geht nicht um das Glück von
einzelnen, sondern um das Glück von allen
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Ethiksysteme III
Diskursethik
von Habermas (1983) als Prozedur kommunikativer
Übereinkünfte.
Herrschaftsfreier Diskurs nach Habermas
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Diskurs - Utilitarismus
Ethik – das kleinere Übel
Drei Faktoren entscheiden darüber, wie Menschen
moralische Dilemmas meistern
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Einführung
 Moralische Dilemmas: Zweigliedrige Annahme – eine
Zwickmühle !
 Es gibt mehrere Entscheidungsmöglichkeiten, und
jede ist falsch !
 Welche Wahl man trifft, hat viel mit Moral zu tun.
 Aber auch mit emotionaler Distanz !
 Entscheidungen hängen vor allem von drei Faktoren
ab!
 Was meinen Sie ? >
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Drei Faktoren
1. Muss ich selber aktiv eingreifen, oder lasse ich nur
gewähren?
2. Welche Konsequenzen hat das eigene Handeln,
und zwar beabsichtigte wie auch unbeabsichtigte?
3. Welche gesellschaftlichen Vorstellungen gibt es,
wozu ist man moralisch verpflichtet – und was ist
tabu?
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Beispiel: Trolley-Dilemma
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Fragestellung
Ein Straßenbahn ist außer Kontrolle und rast auf fünf
nichtsahnende Bahnarbeiter zu.
• Sie können eine Weiche umlegen und den Wagen auf
ein anderes Gleis leiten, auf dem aber ein
Bahnarbeiter steht.
Würden Sie fünf Menschenleben retten, aber eines
opfern?
• Würden Sie den dicken Mann von der Brücke werfen,
um mit ihm den Zug zu stoppen – und fünf Menschen
zu retten ?
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Hintergrund
Etwa 80 % würden den Hebel umlegen
(sagt eine Forschungsgruppe von der Universität Barcelona)
Die Vorstellung, aktiv an der Tötung eines Menschen
beteiligt zu sein, erzeugte Abwehr und starkes moralisches
Unbehagen.
Menschen sind aber risikobereiter und weniger emotional,
wenn sie in einer Fremdsprache denken. Jetzt würden 44%
den dicken Mann von der Brücke schubsen.
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Schlussfolgerungen
Emotionale Distanz ändert die Bewertung
moralischer Dilemmas !
Diese Ergebnisse gelten nur für westliche Kulturen.
Im ostasiatischen Raum würden sich Menschen fast nie
dazu entscheiden, in solche Situationen einzugreifen.
Annahme: Konsequenzen sind für Menschen nicht
überschaubar (Chinesischer Taoismus).
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Erstes Fazit
Deontologische Ethik (Gesinnung, Demokratischer Mehrheitsentscheid)
Utilitarismus (Nutzen, Frage nach den Konsequenzen)
Diskursethik (der kleineste gemeinsame Nenner bringt Konsens)
dienen der Erarbeitung von (allgemein gültigen) Normen und
Werten in der Gesellschaft.
Kennen Sie Beispiele?
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Angewandte Ethik
Bereichsethiken - Wissenschaftsethik
Menschenwürde und Menschenrechte gehören zum
Kern forschungsethischer Prinzipien und sind in
Deutschland gesetzlich konkret formuliert:
1.
2.
3.
4.
Persönlichkeitsentfaltung (GG, Art.2)
Unversehrtheit
Gleichberechtigung (GG, Art.3)
Freiheit und Sicherheit (GG, Art.5
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Angewandte Ethik
Berufs- oder Professionsethiken
Etablierte Professionen haben eine Berufsethik und /
oder eine Ethikkommission.
Kennen Sie Beispiele ?
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Angewandte Ethik
Ansatz zu einer Berufsethik der Ergotherapie
„Ethikkodex und Standards zur beruflichen Praxis der
Ergotherapie“
(1994, aktualisiert DVE 2005 vgl. WFOT )
Text
Persönlichkeitsmerkmale professioneller ET werden aufgelistet. Als
Dienstleister im Gesundheitswesen sind Ergotherapeuten für „Dokumentation
und Berichte, (…) , Förderung des Berufes, Vertretung des Berufsstandes…“
(Müller H.: Et Reha 51 Jg., 2012, Nr.6: 18-23
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Angewandte Ethik in der ET
Eine Einschätzung:
„Aus meiner Sicht stecken die berufsethischen Reflexionen
in der Ergotherapie in Deutschland trotz rhythmisch wiederkehrender Anstöße zur Auseinandersetzung noch in den
Kinderschuhen,“ (Stubner, in Müller, H. ebd. 2012)
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Angewandte Ethik in der ET
Aktuelle Überlegungen bzw. Prinzipien einer ergotherapeutischen Berufsethik:
1. Das Prinzip der menschlichen Autonomie
Das menschliche Individuum stellt wie jedes andere Lebewesen ein autonomes System dar. Daraus
ergibt sich eine Verpflichtung zum Respekt gegenüber den individuellen menschlichen Bedürfnissen
und Werten unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontextbedingungen.
JOSWIG, K.D. (2007): Der systemisch-ökologische Orientierungsansatz Otto Specks in der
Heilpädagogik.
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Angewandte Ethik in der ET
Aktuelle Überlegungen bzw. Prinzipien einer ergotherapeutischen Berufsethik:
2. Das Prinzip der Ganzheitlichkeit
Körper und Geist ; Menschen in ihren Kontexten ; ganzheitliches Bewusstsein
3. Das Prinzip der Vernunft
Die Möglichkeit des Menschen die Vernunft zu verwirklichen
JOSWIG, K.D. (2007): Der systemisch-ökologische Orientierungsansatz Otto Specks in der Heilpädagogik
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Angewandte Ethik in der ET
Aktuelle Überlegungen bzw. Prinzipien einer ergotherapeutischen Berufsethik:
4. Das Prinzip der Fürsorge
ET arbeiten zum Wohl der Klienten / Patienten
5. Das Prinzip der Schadensvermeidung
Unterlassung von schädlichen Therapiemaßnahmen
6. Das Prinzip der Gerechtigkeit
Prinzip einer gerechteten Verteilung von Gesundheitsleistungen
Vgl. Hack 2004 in Müller 2012 in EtReha 51.Jg. Nr.6, 18-23 DVE.
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Angewandte Ethik in der ET
Weitere aktuelle Überlegungen bzw. Prinzipien einer ergotherapeutischen Berufsethik:
7. Das Prinzip der INTERDISZIPLINARITÄT(Joachim Haag)
8. Das Prinzip der ENT-STIGMATISIERUNG (Birgit Matter)
9. Das Prinzip der NEUTRALITÄT (Christian Eßrich)
10. Das Prinzip der SELBSTREFLEXION (Marja Grunert)
11. Das Prinzip der FORT- und WEITERBILDUNG (alle)
12. Das Prinzip
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Proklamation
Jeder Klient ist ein autonomes menschliches System. Daraus ergibt sich
eine Verpflichtung zum Respekt gegenüber den individuellen
menschlichen Bedürfnissen und Werten des Klienten unter
Berücksichtigung der jeweiligen Lebensbedingungen.
Ergotherapeutinnen arbeiten nach den therapeutischen Prinzipien
Autonomie, Ganzheitlichkeit, Vernunft, Fürsorge, Schadensvermeidung
und Gerechtigkeit.
Wir fordern vor dem aktuellen Hintergrund der „Flüchtlingsproblematik“
die „Unantastbarkeit der Menschenwürde“ als ethisches Fundament in
unserer Zivilgesellschaft auch über die Grenzen Deutschlands hinaus
zu verankern und mit Leben zu erfüllen.
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Literatur
Auslage zur Ansicht im Workshop
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