Präsentation Mösch DE

«Tut mir leid, wir sind da rechtlich gebunden»
–
Legitimation und Schranken in der Zusammenarbeit
verschiedener Institutionen zum Schutz für Kinder und
Jugendliche
Prof. Peter Mösch Payot
[email protected]
Luzern
10. Dezember 2015
Themata
A) Datenschutz und Informationsaustausch zwischen
Akteuren des Kindes- und Jugendschutzes
B) Begründungen für den Informationsaustausch
persönlicher Daten Dritter
C) Fallbeispiele
D) Fazit
Folie
2, 10. Dezember 2015
A) Datenschutz und
Informationsaustausch zwischen
Akteuren des Kindes- und
Jugendschutzes
Folie
3, 10. Dezember 2015
Datenschutz als Persönlichkeitsschutz:
Der Grundsatz des Schweigens
- Ziel
- Schutz Entscheidfreiraum Betroffener
- Schutz Persönlichkeitsentwicklung
- Bedeutung
- Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit und der Beschränkung
Folie
4, 10. Dezember 2015
Rechtsgrundlagen (Übersicht)
- Verfassungs- und grundrechtliche Basis
- Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung Privat-/Familienleben)
- Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 BV (Schutz vor Missbrauch der persönl.
Daten)
- Eidg. und kant. Datenschutzgesetze (DSG)
- Z.B. Art. 35 DSG
- Strafrechtliches Amts- und Berufsgeheimnis
- Art. 320 StGB (Amtsgeheimnis), Art. 321 StGB (Berufsgeheimnis)
- Art. 364 StGB (Mitteilungsrecht)
- Privatrechtliche Grundlagen
- Art. 28ff. ZGB (Persönlichkeitsschutz)
Folie
5, 10. Dezember 2015
Informationsaustausch
- Grundsatz: Keine Bekanntgabe von Daten an Dritte
(Schweigepflicht); insb. streng bei persönlichkeitssensiblen Daten
- Ausnahmen
- Gesetzliche Grundlagen
- Mitteilungsrecht/ -pflicht; Anzeigerecht/-pflicht,
Zeugnispflicht
- Rechtshilfe- und Amtshilfe
- Einwilligung des/der Betroffenen (in besonderen
Konstellationen auch stillschweigende Einwilligung)
- Notwehr- und Notstandskonstellationen
Folie
6, 10. Dezember 2015
Bsp. Einwilligung
- Einwilligung/Vollmacht als Selbstbestimmung
- Einwilligungsfähigkeit
- Freiwilligkeit
- Überblickbarkeit
- Widerrufbarkeit
- Globalermächtigung: Voraussetzungen
- Akteure und Instanzen benannt
- Zweck des Datenaustausches benannt
- Umfang des Datenaustausches bekannt
- Verhältnismässigkeit gewahrt
- Auswirkungen des Datenaustausches absehbar
- Wer sind die Betroffenen?
Folie
7, 10. Dezember 2015
Bsp. Mitteilungspflicht/-recht an KES-Behörde
- Meldung an KESB bei Kindes- und Erwachsenenwohlgefährdung
 Art. 443 Abs. 1 und 2 ZGB:
- meldeberechtigt ist grundsätzlich jedermann;
- meldepflichtig sind öffentlich-rechtlich Angestellte (insb.
LehrerInnen, Soziokulturelle AnimatorInnen, SA)
- Meldung an Kindesschutzsbehörden bei strafbaren
Handlungen geg. Unmündige
- Art. 75 Abs. 3 StPO: Meldepflicht von Strafverfolgungsbehörden
- Art. 364 StGB: Melderecht von Personen, die dem Amts/Berufsgeheimnis unterstehen
Folie
8, 10. Dezember 2015
Bsp. Strafrechtliche Anzeigepflicht
- Grundsatz
- Keine allgemeine Anzeigepflicht
- Ausnahme
- Vgl. Art. 301 und 302 StPO
- Bestimmte Berufskategorien (Polizei, Behörden und Beamte) sind
verpflichtet, strafbare Handlungen oder gewisse strafbare
Handlungen anzuzeigen
- Besondere Regelung hinsichtlich schwerer Delikte gegen Kinder
im Kanton Aargau
- Bedeutung des Vertrauensverhältnisses?
Folie
9, 10. Dezember 2015
Bsp. Amtshilfe
- Voraussetzungen Amtshilfe
- Gesuch einer anderen öffentlichen Stelle
- Voraussetzungen bei erfragender Stelle
- für Datenbearbeitung besteht formellgesetzliche
Grundlage oder
- Erfragte Daten sind notwendig zur Erfüllung eines
gesetzlichen Auftrages oder
- für Bearbeitung besteht Einwilligung des/der
Betroffenen
- Ursprünglicher Zweck der Datenbeschaffung wird
gewahrt
- Datenbeschaffung mit anderen Mitteln ist nur mit
unverhältnismässigem Aufwand möglich
- Z. T. Formvorschriften
Folie
10, 10. Dezember 2015
B) Begründungen für den
Informationsaustausch persönlicher
Daten Dritter
Folie
11, 10. Dezember 2015
Begründung für Informationsaustausch
- Öffentliche Interessen als Aufträge für Akteure in
der Kooperation
- Jugendschutz und Kindeswohl als zentrale
öffentliche Interessen
- Inhalt der gesetzlich zugewiesenen Interessen
- Schutz VON Jugendlichen: Kindeswohl
- Wer? Eltern, Kindesschutzbehörde, Schule, Polizei
und Justiz, freiwillige Angebote
- Schutz VOR Jugendlichen: Ruhe und Ordnung,
Schutz Dritter
- Wer? Eltern, Schule, Polizei und Justiz, ev. auch
freiwillige Angebote mit Schutzpflichten für Dritte
- Verhältnismässigkeitsprinzip und spezifische
Gesetzesnormen als Legitimationsrahmen
Folie
12, 10. Dezember 2015
Problematisch
Legitimation für Informationsaustausch
persönlicher Daten zu präventivem
Kindesschutz?
- Präventiv =
- noch keine Gefährdung
- noch keine Verletzung
- keine Gefährdung mehr
- keine Verletzung mehr
- Gesetzliche Grundlage und öffentlicher Auftrag?
- Einwilligung Betroffener?
Folie
13, 10. Dezember 2015
Informationsaustausch: Vorgehen
- Zweckbindung
- Klären des Auftrages, für jede Stelle spezifisch!
- Rechtfertigt eigener Auftrag die Informationsentgegennahme und
- weitergabe?
- bezogen auf welche Information?
- mit wem?
- Liegt einer der folgenden Rechfertigungsgründe vor?
-
Einwilligung Betroffene/r?
Gesetzliche Grundlage
Voraussetzungen Amtshilfe
Notwehr/Notstand…
- Verhältnismässigkeit
- Eignung
- Notwendigkeit
- Zweck – Mittel: Folgenabschätzung
- Bei Amtsstellen: Entbindung vom Amtsgeheimnis
beachten
Folie
14, 10. Dezember 2015
C) Fallbeispiele: Ausgewählte
Informationsaustauschfragen
Folie
15, 10. Dezember 2015
Fallbeispiel Party
Ali (15) trifft sich fast jedes Wochenende mit seinen Kollegen
im Lokal der lokalen Jugendarbeit zum Party machen. Nach
den Partys stehen sie meistens noch ein zwei Stunden
draussen auf der Strasse, rauchen ein paar Joints und trinken.
Vereinzelt kam es auch schon zu Pöbeleien zwischen den
Jugendlichen und Passanten. Am vergangenen Samstag
waren die drei aber in besonders angeheizter Stimmung. Nach
einer Party beschädigten sie zahlreiche Autos, die in der
Umgebung des Lokals parkiert waren. Ali schlug zudem die
Fensterscheibe eines Kioskes ein und nahm einem Passanten
das Handy ab und trat ihm mehrmals in die Nierengegend,
allerdings ohne diesen schwer zu verletzen. Ali fällt auch in
der Schule vermehrt mit schlechten Leistungen auf, hat noch
keine Lehrstelle gefunden und verbringt die meiste Zeit vor
dem Fernseher zuhause bei den Eltern.
Folie 16, 10. Dezember 2015
Wichtigste Datenaustausch-Beziehungen im
Fallbeispiel Party
Datenaustausch zwischen:
- Jugendarbeit und Strafbehörden
- Jugendarbeit und Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden
- Jugendarbeit und Schulbehörden
- Jugendarbeit und Migrationsbehörden
Folie 17, 10. Dezember 2015
Fallbeispiel Prügel
Frau Müller, Lehrerin, stellt beim 13jährigen Thomas fest, dass dessen
schulische Leistungen massiv zurückgegangen sind. Thomas wirkt
verstockt und verschlossen, er ist aggressiv und gewalttägig gegenüber
anderen Schülerinnen und Schülern. Sie schickt Thomas zur
Schulsozialarbeiterin und informiert diese vorher umfassend über ihre
Einschätzung von Thomas. Die Schulsozialarbeiterin führt ein Gespräch
mit Thomas, der behauptet, es sei nicht vorgefallen und er wolle unter
keinen Umständen, dass deswegen seine Eltern kontaktiert würden.
Dennoch lädt die Schulsozialarbeiterin die Eltern von Thomas zusammen
mit dem Jugendlichen zu einem erneuten Gespräch ein. Der Vater von
Thomas sagt, es sei schon möglich - und auch nötig - dass Thomas auch
mal eine Tracht Prügel bekam und man das halt dann auch noch einige
Stunden sah. Das sei aber immer wohlbegründet und nie allzu heftig
gewesen. Ein Lausbub wie Thomas brauche hie und da klare Grenzen. Er,
der Vater, habe immer nur im Rahmen seiner Pflicht - die „elterliche
Gewalt“ wahrzunehmen, und Thomas zu erziehen - gehandelt. Thomas
fällt in der Schule weiter auf, stört den Unterricht und ist gewalttätig
gegen andere Mitschüler.
Folie 18, 10. Dezember 2015
Wichtigste Datenaustausch-Beziehungen im
Fallbeispiel Prügel
Datenaustausch zwischen:
- Schulbehörden und Schulsozialarbeit
- Schulsozialarbeit und Eltern gegen den Willen
des betroffenen Jugendlichen
- Schulbehörden und Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörden
Folie 19, 10. Dezember 2015
Datenaustausch
bedeutet stets:
- Datenbekanntgabe
- Datenbeschaffung
- Ev. Datenaufbewahrung
Folie 20, 10. Dezember 2015
Pro Memoria: Rechtfertigung des Datenaustauschs
- Besonderer Rechtfertigungsgrund
- Einwilligung der betroffenen Personen
- Gesetzliche Grundlage/Amtshilfe
- Notsituation
Und
- Verhältnismässigkeit
Folie 21, 10. Dezember 2015
D) Fazit
Folie
22, 10. Dezember 2015
Fazit I
- Klärung des Zwecks des Austausches ist zentral
- Zusammenarbeitsgremien müssen unbedingt
unterschiedliche Aufträge der Beteiligten kennen,
klären und beachten
- Persönliche Daten können ausgetauscht werden, wenn
dafür für alle am Austausch Beteiligten
- eine gesetzliche Grundlage besteht, ev. in Form der
Amtshilfe oder
- eine echte Einwilligung der Betroffenen besteht
(ev. ergänzt durch eine generalisierte Amtspflichtentbindung) oder
- eine Notsituation im Sinne von Notstand besteht
UND wenn
- das Prinzip der Verhältnismässigkeit (Eignung,
Notwendigkeit, Proportionalität) beachtet wird.
Folie
23, 10. Dezember 2015
Fazit II
- Legitimation für den Austausch oder das Sammeln
persönlicher und höchstpersönlicher Informationen
unabhängig von bzw. im Vorfeld von Gefährdungen und
Verletzungen… besteht nicht.
- Im Kontext des Kindeswohls und dessen Gefährdung
bestehen vor allem für Meldungen an und Abklärungen
durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden klare
rechtliche Grundlagen
- Im Kontext der Gefährdung DURCH Jugendliche bestehen
vor allem für Meldungen an und Abklärungen durch die
Polizei und die Jugendanwaltschaft eindeutige rechtliche
Grundlagen
Folie
24, 10. Dezember 2015
Fazit III
- Es bestehen Unterschiede der Informationsaustauschregelung in
den untersuchten kantonalen Schulgesetzen und in der
Ausgestaltung von Melderechten bzw. Meldepflichten an die
Strafbehörden bzw. die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden.
- Für den Bereich der Meldeberechtigung bzw. Meldeverpflichtung
von Kindeswohlgefährdungen privater Akteure an die
Kindesschutzbehörden ist eine einheitlich bundesrechtliche
Regelung in Vorbereitung.
- Verbesserungsbedarf besteht hinsichtlich der Klarheit einzelner
Aufträge von (öffentlichen) Akteuren in den Bereichen der
Prävention, Intervention und Repression, insb. bzgl. Aufgabe/n der
Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit
- Kantonalrechtlich sind die Aufgaben der Jugendarbeit, der
ambulanten Jugendhilfe und der Schulsozialarbeit in den
einschlägigen kantonalen Gesetzen klar zu verankern und
relevante Informationsaustauschbeziehungen zu regeln.
Folie
25, 10. Dezember 2015