47 FlüchtlingsHeime stehen auf der Kippe

47 Flüchtlings­Heime stehen auf der Kippe
Ohlsdorf Nach dem Baustopp­Urteil: Experten rechnen mit weiteren Klagen. CDU will
alle Siedlungs­Projekte überprüfen
Von GELI TANGERMANN
UND STEPHANIE LAM­
PRECHT
wärmer anziehen müssen", sagt der
Experte.
­ Welche Auswirkungen hat das
Für den Senat (und die vie­
Urteil auf andere Unterkünfte?
len Flüchtlinge in den Baumärk­
ten) ist es eine Katastrophe, Ex­
perten warnen vor gravierenden
Folgen: Nachdem das Hamburger
Verwaltungsgericht eine Flücht­
lingsunterkunft in Klein Borstel
(gehört zu Ohlsdorf) gestoppt hat
(MOPO berichtete), stellt sich die
Frage nach den Konsequenzen.
Karpen fürchtet, dass das Urteil die
Verteilung der Flüchtlinge in Zu­
len erfolgreich wehren werden, wo­
Aschenland (bis zu 3500 Plätze) in
für den Menschen in sozial schwa­
Neugraben­Fischbek haben bereits
angekündigt zu klagen.
chen Vierteln die Ressourcen fehlen.
Das Urteil zeigt außerdem, dass
­ Was haben die Anwohner
die Stadt das Polizeirecht nur un­
überhaupt gegen die geplante
Flüchtlingsunterkunft? Es sind die
üblichen Argumente: Die Unterkunft
sei zu groß, eine vernünftige Integra­
ter bestimmten Voraussetzungen an­
wenden darf. "Der Senat muss nach­
kommen, stehen laut Opposition
weisen, dass es keine alternativen
nun Dutzende Pläne für neue Un­
Standorte für eine geplante Flücht­
lingsunterkunft gibt", sagt Gero Tut­
tlewski, der die Kläger vertritt. In
möglich. Man habe den Dialog mit
der Stadt gesucht, so Olaf Peter, Vor­
sitzender des Vereins "Lebenswer­
sen Nachweis gar nicht leisten, weil
tes Klein Borstel", der sich gegen
ein solches Prüfverfahren viel zu auf­
die Unterkunft wehrt. "Nachdem Ge­
wendig wäre.
Und eine Anfrage der CDU zeigt:
spräche verweigert wurden und ei­
ne Bürgerbeteiligung nicht stattfand,
gab es leider keine andere Möglich­
keit als die gerichtliche Klärung."
­ Könnte Hamburg den Notzu­
Die Stadt hat bei 47 Flächen für Un­
wohner zu beteiligen. Die Verwal­
tungsrichter halten das in diesem
Fall für unzulässig. Ihr Argument:
rechts durchsetzen ­ ohne die An­
tion der Vielzahl an Menschen nicht
der Praxis können die Behörden die­
terkünfte das Polizeirecht angewen­
det. "Nach dem Urteil gehört die
rechtliche Zulässigkeit sämtlicher
Folgeunterkünfte und Großsiedlun­
gen auf den Prüfstand", sagt Karin
Prien, flüchtlingspolitische Spreche­
die Maßnahme mithilfe des Polizei­
etwa 530 Plätze), an der Niendor­
fer Straße (Niendorf, 320 Plätze) und
Anwohner aus den reichen Stadttei­
kunft beeinflussen könnte, weil sich
de Schutzsuchende in die Stadt
schen zu bauen. Der Senat wollte
Hagendeel (Lokstedt, geplant sind
an der Luruper Hauptstraße auf dem
HSV­Parkplatz "grün" (Bahrenfeld,
geplant sind 900 Plätze). Anwohner
der geplanten Großunterkunft Am
Denn während monatlich Tausen­
terkünfte auf der Kippe. Die wich­
tigsten Fragen und Antworten:
­ Warum hat das Verwaltungs­
gericht den Anwohnern recht ge­
geben? Die Stadt plant, auf dem
Gelände des ehemaligen Anzucht­
gartens des Ohlsdorfer Friedhofs ei­
ne Folgeunterkunft für 700 Men­
ren. Betroffen sind Unterkünfte am
stand ausrufen und Gesetze so vor­
Geltendes Baurecht darf nicht durch
rin der CDU.
Anwendung des Polizeirechts außer
Kraft gesetzt werden. Der Bebau­
ungsplan muss demnach eingehal­
­ Wie reagiert die Stadt? Die
zuständige Sozialbehörde will gegen
übergehend außer Kraft setzen?
Theoretisch ja, wenn die Vorausset­
zungen dafür stimmen. In der jetzi­
gen Situation sei das aber nicht der
Fall, sagt Karpen. Ein Notstand kön­
ne nur auf Bundesebene ausgerufen
den Gerichtsbeschluss Beschwerde
werden und auch nur dann, wenn die
ten werden ­ und der sieht auf der
einlegen, parallel dazu soll der Be­
bauungsplan für das Areal geändert
werden. "Eine gleichmäßige Vertei­
lung der Folgeunterkünfte über die
gesamte Stadt bleibt das Ziel des
Senats", sagt Sozialsenatorin Mela­
nie Leonhard (SPD). Nur wenn alle
Stadtteile bei der Unterbringung der
öffentliche Hand nicht mehr hand­
Fläche eine "friedhofsbezogene Nut­
zung" vor. Gegen jede andere Art
der Nutzung können die Anwohner
rechtlich vorgehen ­ und das haben
sie in diesem Fall getan.
­ Wird es jetzt noch mehr Kla­
gen geben? "Es werden in Zukunft
noch mehr Bürger auf die Barrikaden
gehen", sagt der renommierte Ver­
fassungsrechtler Ulrich Karpen. Das
Urteil zeige, dass die Stadt sich nicht
genügend Zeit für eine akribische ju­
ristische Prüfung gelassen habe. "Die
Behörden werden sich in Zukunft
vielen Schutzsuchenden helfen, kön­
ne die Kraftanstrengung gemeistert
werden.
lungsfähig wäre. Davon sei man der­
zeit weit entfernt. "Es liegt kein Not­
stand vor und das wird auch in naher
Zukunft nicht der Fall sein."
"Es werden jetzt noch mehr
Bürger auf die Barrikaden gehen."
Ulrich Karpen, Rechtsexperte
Klein Borstel
Klein Borstel gehört zum Stadt­
teil Ohlsorf und liegt am Alsterlauf.
­ Gibt es noch andere laufende
3500 Menschen wohnen in Klein
Verfahren, in denen Anwohner ge­
gen Unterkünfte klagen? Laut Ver­
waltungsgericht laufen drei Verfah­
Borstel. Hier lebt die Mittelschicht.
Der Hartz­IV­Anteil liegt mit 6,1
Prozent weit unter dem Hamburger
Durchschnitt (10 Prozent), der Aus­
länderanteil hegt bei 8,4 Prozent
(Hamburg: 14,3 Prozent). In Ohls­
dorf gibt es acht Kitas.
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