Zwanghaftes Tieresammeln | Manuskript
Zwanghaftes Tieresammeln
Bericht: Anett Wundrak
Das Ende einer zwanghaften Tierliebe. Die 17 Katzen von Heike Schmidt sollen heute
eingefangen und ins Tierheim gebracht werden, denn die Hartz-IV-Empfängerin muss ihre
Wohnung räumen. Sie ist völlig überschuldet, musste Privatinsolvenz anmelden. Seit dem
Tod ihrer Mutter lebt Heike Schmidt hier im Bördekreis ganz zurückgezogen, fast ohne
soziale Kontakte.
Heike Schmidt:
"Weiß ich nicht, irgendwie haben die Menschen mich so enttäuscht. Da habe ich mich halt
an die Katzen gewandt. Erst eine, dann zwei, wie es halt so ist."
27 waren es schon mal, dazu zwei Hunde. Die Katzen haben sich vermehrt – auch weil Heike
Schmidt gar nicht die Mittel hat, um sie vom Tierarzt kastrieren zu lassen. Das typische
Verhalten einer Animal Hoarderin – einer Tiersammlerin. Ein beißender Geruch liegt in der
Luft. Heike Schmidt kommt mit dem Saubermachen nicht mehr hinterher. Die Möbel musste
sie alle auf dem Sperrmüll entsorgen.
Heike Schmidt:
"… dadurch dass sie hingepinkelt haben. Das ist da rein gezogen. Das stinkt alles. Ist nicht
gerade angenehm. Also Besuch hat man hier schon lange nicht mehr empfangen können."
Mario Assmann:
"Drei, vier, fünf haben wir jetzt schon. Da haben wir schon eine, gleich rein. Jawohl!"
Von 120 Euro monatlich lebt die 50-Jährige. Den Rest ihres Hartz-IV-Satzes hat sie
regelmäßig in die zu große Wohnung gesteckt. Immer mehr Schulden hat Heike Schmidt
angehäuft. Zuletzt hat sie sich selbst hauptsächlich von trocken Brot ernährt.
Heike Schmidt:
"Manchmal hatte ich was in der Hand – ne, kannst Du Dir nicht leisten, weil – ist schon
wieder eine Dose. Ne, legst Du wieder weg."
Frage: "Eine Dose für die Katzen?"
"Ja."
Die Schwägerin, Christiane Schulze, hat schließlich die Hilfe der Tierschützer aus Meißen
organisiert, ihr war schon lange klar, dass es so nicht weiter gehen kann.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Christiane Schulze, Schwägerin:
"Wir haben sie familiär auch viel finanziell unterstützt, dass wenigstens die Tiere Futter
haben, aber uns sind mittlerweile auch schon so die Hände gebunden, dass wir das auch
nicht mehr tragen können. Außerdem braucht sie für sich persönlich auch andere
Lebensumstände jetzt wieder, und braucht auch einen Neuanfang für sich."
Der Deutsche Tierschutzbund registriert seit Jahren eine steigende Zahl von Fällen wie
diesem. Immer mehr Menschen scheinen betroffen.
Mario Assmann:
"Es passt wieder alles zum Animal Hoarding: kein Geld, psychische Probleme, Katzen
einsammeln, im Prinzip keine Ahnung, dann wächst es über den Kopf. Man kann sie nicht
kastrieren, es werden immer mehr, und dann endet das so. Ein Bild, das sich immer wieder
wiederholt. Es ist immer wieder dasselbe."
Der Kölner Psychologe Ullrich Schmitz hat sich mit dem Phänomen befasst, hält das Animal
Hoarding für eine klassische Störung mit Symptomen von Sucht- und Zwangserkrankungen.
Ullrich M. Schmitz, Psychologe:
"Gefährdet – würde ich sagen – sind in der Hauptsache Menschen, die ein großes Defizit
haben in ihrem Selbstwertgefühl, und das aus ihrer Biographie heraus, und die schauen,
dieses Defizit in der eigenen Zuwendung sich auszugleichen über das Anhäufen der
Tierbeziehungen, die man nicht mehr begrenzen kann. Wo das Entscheidende auch nicht
ist die Quantität der Tiere, sondern die Beziehung, die ich zu den Tieren herstelle, das
Samaritertum, das Rettertum oder etwas Vergleichbares."
Und es wird immer erst eingeschritten, nachdem sich das Elend schon über Jahre hingezogen
hat. Beispiel: Im Frühjahr 2007 muss mit Hilfe der Polizei ein verwahrlostes Gehöft in der
Oberlausitz geräumt werden. Zu diesem Zeitpunkt leidet der Besitzer schon seit Jahrzehnten
an der psychischen Erkrankung. Und nach jeder Räumung geht das Elend von vorne los.
Tiersammler:
"Morgen hole ich mir erst recht Hunde, da wird noch mehr inseriert, da hole ich mir 100
Hunde!"
Der Mann wird zwar zunächst in die Psychiatrie gebracht, aber gegen seinen Willen kann er
dort nicht behandelt werden.
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2008: Nur mit Schutzanzügen können Tierfreunde die Wohnung einer 70-Jährigen in Riesa
betreten, um deren Katzen einzufangen. Auch hier hat sich das Drama über mehrere Jahre
entwickelt. Katzenurin ist in alle Wände eingezogen. Der Ammoniakdampf hat die alte Frau
beinahe erblinden lassen. Rettung quasi in letzter Minute - für die Tiere und die alte Dame.
Glück in diesem Fall: Die Rentnerin kommt nach einer Akutversorgung im Krankenhaus in
eine Pflegeeinrichtung und damit unter Kontrolle.
Ende 2011. Räumung der sogenannten Hundekaserne von Vitzeroda bei Eisenach. Hier
versteckt eine Tiersammlerin über Jahre mehr als 100 Hunde. Kein Licht, keine Heizung, kein
fließendes Wasser, überall Ratten und verweste Schlachtabfälle. Der Gestank ist bestialisch.
Die Behörde spricht zwar ein sofortiges Tierhalteverbot aus, aber eine Therapie wegen des
Animal Hoarding kann sie nicht anordnen. Dabei wäre das vielleicht die einzige Chance für
die Frau, den Teufelskreis zu durchbrechen.
Ullrich M. Schmitz, Psychologe:
"Ein kleiner Schritt, den sehe ich in einer stationären Aufnahme in einer wirklich guten
therapeutischen
Fachklinik,
wo
nicht
nur
medizinisch,
pharmakologisch,
psychopharmakologisch behandelt wird, sondern wo mit viel Geduld, Ruhe sich des
Problems angenommen werden kann."
Zurück in den Bördekreis. Zurück zu Heike Schmidt. Sie hat zumindest ein Gefühl dafür, dass
sie Hilfe benötigt. Unter dem Verlust leidet sie trotzdem.
Heike Schmidt:
"Heute bin ich bestimmt um zehn Jahre gealtert!"
Ende des Monats muss Heike Schmidt ausziehen. Die schlimmste Vorstellung für sie: eine
der Katzen könnte allein zurück bleiben. Die Tierschützer aus Meißen suchen deshalb in
jedem Winkel, aber alle Katzen erwischen sie nicht. Mario Assmann drängt zum Aufbruch.
Mario Assmann:
"Die werden nämlich schon wieder mobil hier, jetzt sehen wir zu, dass wir nach Hause
kommen."
In die neue Wohnung, die die Behörde Heike Schmidt zugewiesen hat, darf sie nur ihre
Hunde mitnehmen. Sie selbst zweifelt, ob sie es schaffen wird, künftig an Straßenkatzen
vorbeizugehen, ohne sie aufzusammeln.
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