Die Zirkulation staatsrelevanten Wissens (savoir d

discussions 10 (2014)
Alexander van Wickeren
Die Zirkulation staatsrelevanten Wissens (savoir d'État) über den Tabakanbau in Baden und im Elsass um 1800
Abstract
Das Projekt analysiert den Wandel staatsrelevanten Wissens (savoir d'État) über den Tabakanbau um 1800 und konzentriert sich dabei auf die Raumdimensionen der Wissenszirkulation. Übergreifend geht es darum, den von der Forschung postulierten Wandel der Wissensordnungen von einer kosmopolitischen Gelehrtenrepublik hin zu einer national organisierten Wissenszirkulation am Beispiel des Tabakwissens zu überprüfen. Das Projekt arbeitet dabei mit einem akteurszentrierten Ansatz, der badische sowie elsässische Gelehrte und Wissenschaftler ebenso in den Blick nimmt wie staatliche Verwaltungen, um unterschiedliche Raumdimensionen des »Tabakwissens« herauszuarbeiten. Am Beispiel des 1810 in Frankreich eingeführten Tabakmonopols werden erste Überlegungen zum Spannungsverhältnis zwischen der staatlichen Territorialisierung, regionaler Identität und Wissenszirkulation skizziert. Sodann schlägt der Autor vor, die Rheinregion im Sinne von Lucien Febvre als Zirkulationsraum des Wissens über den Tabakanbau zu untersuchen.
Résumé
Le projet analyse la transformation du savoir d'État relative à la culture du tabac vers 1800. L'intérêt scientifique de ce travail réside dans l'étude de la dimension spatiale de la circulation du savoir. À travers l'exemple du tabac, le projet a pour objectif de réexaminer le travail des historiens qui ont interprété la transformation de l'organisation des savoirs autour de 1800 comme le passage d'une république des lettres cosmopolite à un espace de circulation du savoir réduit à l'échelle nationale. Face à cela, le projet tente d'explorer les différentes dimensions spatiales du »savoir du tabac« en adoptant une perspective centrée sur des acteurs badois et alsaciens: savants, scientifiques et administrateurs d'État. À travers l'étude du monopole des tabacs, introduit en France en 1810, le projet vise à comprendre les tensions entre la territorialisation de l'État, l'identité régionale et la circulation du savoir. L'auteur se propose ainsi d'analyser la région rhénane, dans le sens qu'en a donné Lucien Febvre, comme un espace de circulation du savoir en suivant l'exemple de la culture du tabac.
I. Einleitung: Forschungsstand und Fragestellung1
<1>
In den Wissensordnungen über die Tabakpflanze lässt sich gegen Mitte des 18. Jahrhunderts in Europa ein Wandel beobachten. Während der Tabak seit dem 16. Jahrhundert als Wunderheilmittel eher ein Randdasein geführt hatte, so geriet er nun in das Blickfeld aufklärerischer Reformer, die im innereuropäischen Anbau von Tabak eine Möglichkeit sahen, zur finanziellen Konsolidierung ihrer Staaten und Regionen beizutragen – Tabakwissen entwickelte sich damit zu staatsrelevantem Wissen 2. Neben der Das Dissertationsprojekt befindet sich in einer sehr frühen Arbeitsphase, weshalb die folgenden Ausführungen nicht als (abschließende) Ergebnisse, sondern vielmehr als konzeptionelle Überlegungen und Arbeitshypothesen zu verstehen sind.
1
Zum Konzept der savoir(s) d'État Regina Dauser, Lothar Schilling, Einleitung. Raumbezüge staatsrelevanten Wissens, in: discussions 7 (2012) ­ Grenzen und Kontaktzonen, URL: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/discussions/7­2012/dauser­schilling_einleitung (25.09.2012).
2
Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/3.0/de
naheliegenden Frage nach dem Wandel des Wissens über den Tabakanbau, legen die Ansätze des Spatial Turns insbesondere einen Blick auf die Raumdimensionen des Tabakwissens nah 3: Welche sich wandelnden räumlichen Parameter waren bei der Zirkulation des Wissens um 1800 entscheidend und welche auf den Tabakanbau gerichteten savoirs d'État prägten diese Räume?
<2>
Sucht man Antworten auf diese Fragen in der wissenschaftsgeschichtlichen Literatur, dann lässt sich vermuten, dass auch für den Tabakanbau jener von der Forschung ausgemachte allgemeine Wandel in der räumlichen Ordnung des Wissen um 1800 gelten könnte: Noch im 18. Jahrhundert, so die verbreitete These, habe eine europaweit korrespondierende Gelehrtenrepublik ohne räumliche Beschränkungen existiert, die im Zuge der Nationalisierungsprozesse des 19. Jahrhunderts mehr und mehr von national organisierten Wissenschaftsgemeinschaften abgelöst worden sei4. Gerade in letzter Zeit sind jedoch von der neueren Forschung Einwände gegen dieses Modell erhoben worden. Am Beispiel der savoirs d'État wurde die Linearität des Wandels um 1800 grundlegend problematisiert und vorgeschlagen, mit einem stärkeren Blick auf Akteurspraktiken die Bedeutung unterschiedlicher Raumdimensionen des Wissens auch für das 19. Jahrhundert präzise zu analysieren5.
Regionaler Fokus
<3>
Vor dem Hintergrund dieser neuen Forschungsperspektiven schlägt das vorliegende Projekt einen Fokus auf Regionen vor: Mit badischen und elsässischen Akteuren werden zwei regionale Gruppen verglichen und damit auf methodischer Ebene ein Gegengewicht zu dem in der Forschung meist verwendeten Vergleich von nationalen Untersuchungseinheiten geschaffen. Dabei ist darauf zu achten, dass die von den Akteuren konstituierte Kategorie »Region« ebensowenig wie die Nation im Sinne eines Containers essentialisiert wird6. Für den Vergleich fruchtbar gemacht werden können in beiden Regionen die spezifischen und dennoch ähnlichen Netzwerke von nicht­staatlichen Akteuren – und zwar gelehrte Gesellschaften, Landwirtschaftsvereine und staatliche Forschungsinstitute –, mit denen die regionalen Verwaltungen in Fragen des Tabakanbaus kooperierten. Es wird zu untersuchen sein, ob sich die Wissenssysteme und ­logiken der staatlichen und nicht­staatlichen Akteursgruppen unterschieden, oder ob sich etwa ab einem bestimmten Zeitpunkt ein homogenes Wissen über den Tabakanbau in allen Gruppen durchsetzte.
Doris Bachmann­Medick, Spatial Turn, in: dies., Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 32009, S. 284–328.
3
Zum Forschungsstand siehe Ralph Jessen, Jakob Vogel, Einleitung. Die Naturwissenschaften und die Nation. Perspektiven einer Wechselbeziehung in der europäischen Geschichte, in: dies. (Hg.), Wissenschaft und Nation in der europäischen Geschichte, Frankfurt a. M. 2002, S. 7–37, hier S. 18–23.
4
5
Dauser, Schilling, Einleitung (wie Anm. 2).
Zur Metapher des nationalen Containers etwa Matthias Middell, Der Spatial Turn und das Interesse an der Globalisierung in der Geschichtswissenschaft, in: Jörg Döring, Tristan Thielmann (Hg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur­ und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008, S. 103–123, hier S. 118.
6
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Savoirs d'État
<4>
Im Sinne der neueren Wissensgeschichte gehe ich dabei von einem breiten und konstruktivistischen Wissensbegriff aus, mit dem nicht lediglich wissenschaftliche, sondern auch Wissensbestände anderer Logiken, sowie deren reziproke Einflüsse beschrieben werden können7. Damit werden insbesondere die neueren Ansätze von Frühneuzeithistorikern aufgegriffen, die bei der Untersuchung landwirtschaftlichen Wissens neben den um 1800 entstehenden Agrarwissenschaften immer auch praktisches oder lokales Landwirtschaftswissen einbezogen haben8. Das landwirtschaftliche Wissen über den Tabakanbau zielte dabei vor allem auf eine je nach Wissensystem unterschiedliche Relation zwischen der Tabakpflanze und Faktoren wie Boden, Dünger, Saatgut, Klima, etc., wobei für das zeitgenössische Verständnis von Tabakanbau außerdem Kenntnisse über den Tabakmarkt und die Fabrikation des Tabaks relevant waren. Die Tabakwissen­Komplexe waren als savoir d'État jedoch keineswegs zweckfrei, sondern wurden von den unterschiedlichen Akteuren stets im Hinblick auf ihre Kapazitäten zur Förderung und Verbesserung ihrer Regionen sowie Staatsterritorien diskutiert9.
Räumliche Dimensionen der Wissenszirkulation
<5>
Wissen über den Tabakanbau wurde jedoch nicht nur lokal produziert, sondern stets durch Zirkulationsprozesse kommuniziert. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, inwieweit dieser Austausch wiederum räumlichen Dimensionen unterlag. Räumlichkeit verstehe ich dabei als Konnex zwischen Wissensnetzwerken und Wahrnehmungen, womit Raumaneignungspraktiken gleichzeitig auf einer materiellen und diskursiven Ebene untersucht werden. Unter Einbezug von Raumwahrnehmungen und Netzwerken sollen dann die Bedeutungen der unterschiedlichen regionalen, nationalen und globalen Räume für die Praktiken der badischen und elsässischen Akteure bestimmt und damit die von der Forschung bisher stark gemachte Nationalität der Wissenszirkulation überprüft werden.
Spannungsverhältnisse: Staatsterritorien und regionale Praxisräume
<6>
Im Folgenden werden mit zunächst engerem Blick auf agrarwissenschaftliche Akteure – für das Elsass die Société des sciences, agriculture et arts du Bas­Rhin, für Baden der Landwirthschaftliche Verein für das Großherzogtum Baden – erste Zugriffe auf die regionalen Raumdimensionen des savoir d'État über den Tabakanbau skizziert: Zunächst wird am Beispiel des 1810 im Elsass eingeführten französischen Dazu Jakob Vogel, Von der Wissenschafts­ zur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der »Wissensgesellschaft«, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), S. 639–660.
7
Marcus Popplow, Die Ökonomische Aufklärung als Innovationskultur des 18. Jahrhunderts zur optimierten Nutzung natürlicher Ressourcen, in: ders. (Hg.), Landschaften agrarisch­ökonomischen Wissens. Strategien innovativer Ressourcennutzung in Zeitschriften und Sozietäten des 18. Jahrhunderts, Münster u.a. 2010 (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, 30), S. 2–48, hier S. 45.
8
9
Dauser, Schilling, Einleitung (wie Anm. 2).
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Tabakmonopols nach dem Spannungsverhältnis zwischen regionaler Identität, staatlicher Territorialisierung und der Zirkulation des Tabakwissens gefragt. Territorialisierung wird dabei als Etablierung zentralstaatlicher Kompetenz gegenüber regionalen Autoritäten innerhalb eines räumlichen Territoriums verstanden, das für den hier anvisierten Zeitraum, wie im Verlauf des Projekts zu zeigen sein wird, keineswegs der Nationalstaat sein musste10. Im Anschluss diskutiere ich dann erste Überlegungen zu den Staatsterritorien übergreifenden, regionalen Praxisräumen der elsässischen sowie badischen Akteure und schlage dabei die Rheinregion als Zirkulationsraum vor.
II. Tabakwissen zwischen staatlicher Territorialisierung und regionaler Identität
<7>
Im Zuge der territorialen Transformationen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Zeit wurde das Elsass verstärkt in den französischen Zentralstaat eingebunden und in die départements Bas­
Rhin und Haut­Rhin geteilt. Auf der anderen Rheinseite entstand mit dem Großherzogtum Baden 1806 ein zusammenhängendes Staatsterritorium, wo zuvor eine Vielzahl unterschiedlicher Herrschaften existiert hatten. Dabei scheint die regionale Kultur des Tabakwissens, insbesondere in den oberbadischen Tabakgebieten, durch die Eingliederung in die zum damaligen Zeitpunkt bereits deutlich ausgeprägtere Tabakkultur der Kurpfalz mit der Gründung des Großherzogtums gestärkt worden zu sein. Im Elsass hingegen lassen die neuen staatlichen Verhältnisse eine tendenzielle Ablösung des regional zirkulierenden Tabakwissens durch staatlich verordnete Wissenssysteme vermuten. Denn der französische Staat intensivierte nach 1800 seine Impulse zur Verwissenschaftlichung der gesamten Landwirtschaft und griff auch mit der staatlichen Monopolisierung des Tabakanbaus und dessen Fabrikation verstärkt in die Wandlungsprozesse der regionalen Tabakkultur im Elsass ein 11.
Region und »savoirs d'État«
<8>
Wie die Forschung gezeigt hat, wurden die zentralstaatlichen Zugriffe auf die Tabakwirtschaft von elsässischer Seite intensiv kritisiert. Ende der 1820er Jahre versuchte Benjamin Constant als Abgeordneter des Bas­Rhin­Departements, den Niedergang des regionalen Tabakanbaus zu belegen, in dem er vor dem französischen Parlament Anbaustatistiken präsentierte, die die katastrophale Wirkung des staatlichen Monopols demonstrieren sollten12. Die Statistiken waren unter Federführung des nordelsässischen Agrikulturchemikers Charles­Henri Schattenmann entstanden, der als Tabakexperte der Société des Zum Konzept der Territorialisierung: Charles S. Maier, Consigning the Twentieth Century to History. Alternative Narratives for the Modern Era, in: American Historical Review 105 (2000), S. 807–831, hier insbesondere S. 814–816 und 818–821.
10
Mit generellem Blick auf wirtschaftliche Interventionen des französischen Staats: Pierre Rosanvallon, Der Staat in Frankreich. Von 1789 bis heute, Münster 2000, S. 142–143. Spezieller zur Etablierung des Tabakmonopols im Elsass, aber ohne Hinweise auf die Wissenspolitiken des Staates: Ferdinand L'Huillier, Recherches sur l'Alsace napoléonienne, Paris 1947, S. 445–457.
11
Peter Geiss, Der Schatten des Volkes. Benjamin Constat und die Anfänge liberaler Repräsentationskultur im Frankreich der Restaurationszeit 1814–1830, München 2011, S. 319–322.
12
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sciences mit dem Neu­Elsässer Jean­Baptiste Boussingault kooperierte. Boussingault wiederum wurde 1839 als erster Agrikulturchemiker in die Sektion für Landwirtschaft der Pariser Académie des sciences gewählt und firmiert in der Forschung oftmals als Begründer der Agrikulturchemie in Frankreich13. Die von frühen Agrikulturchemikern wie Schattenmann und Boussingault geforderte ›wissenschaftliche‹ Verwendung von sogenannten Mineraldüngern setzte sich jedoch erst nach der Jahrhundertmitte gegen die im ersten Drittel des 19. Jahrhundert dominierenden Agrarwissenschaftler durch, die als ›Praktiker‹ eher eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien zur Förderung der Landwirtschaft vorschlugen14.
<9>
Wurde die Verteidigung des elsässischen Tabaks nun mehr und mehr von einer sich etablierenden Wissenselite regional denkender Agrikulturchemiker getragen? Veränderte sich vor diesem Hintergrund die Argumentation im elsässischen Protest etwa derart, dass die Tabakexperten aus der Société des sciences nun gegen die nationalen Wissenspraktiken auf die spezifische agrikulturchemische Wissenskultur im Elsass verwiesen? Im Rahmen des Projekts soll gleichzeitig nach vergleichbaren Konstellationen von Territorialisierung, regionaler Identität und Wissenszirkulation für die badische Region gefragt werden. Lassen sich für Baden etwa Spannungen zwischen Pfälzer Tabakexperten und der Verwaltung des Großherzogtums feststellen? Und waren auch hier die unterschiedlichen Wissensformen über den Tabakanbau oder regionale Identitäten Auslöser für Konflikte? III. Die Zirkulation des Tabakwissens in der Rheinregion
<10>
Die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkenden staatlichen Zugriffe auf die Wissenskulturen des Tabaks im Elsass und in Baden schlossen jedoch keineswegs andere, den staatlichen Zusammenhang transzendierende Zirkulationsprozesse aus. Vielmehr war die Regionalität der Wissenszirkulation nicht auf die identitären Räume »Baden« und »Elsass« oder das Staatsterritorium beschränkt, sondern sie scheint vielmehr eine beide Gebiete verbindende, grenz­regionale Dimension aufzuweisen. In Anlehnung an Lucien Febvres Studie zum Rhein als Kontaktzone15 stellt sich deshalb die Frage, inwieweit die Quellen Rückschlüsse auf die Existenz eines grenzüberschreitenden, rheinischen Austauschraums des Tabakwissens zulassen.
<11>
Zumindest die Gründungsstatuten der elsässischen Société des sciences von 1802 waren von einem grenzüberschreitenden Selbstverständnis geprägt: »Placés sur les bords du Rhin, possédant les deux langues, nous sommes à même de nous approprier les découvertes de deux nations éclairées et par leur intermédiaire celles des peuples plus éloignés«16. Das Zitat verdeutlicht einerseits die Kontinuität des für das 13
Maurice Crosland, Science under Control. The French Academy of Science 1795–1914, New York u.a. 1992, S. 158.
Nathalie Jas, Déqualifier le paysan, introniser l'agronome, France 1840–1914, in: Écologie et politique 31 (2005), S. 45–55.
14
15
Lucien Febvre, Der Rhein und seine Geschichte, hg. von Peter Schöttler, Frankfurt a. M. u.a. 1994.
16
Zitiert nach M. Alphonse Koch, La société libre des sciences et des arts de Strasbourg du 29 prairial an VII du 4me jour Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by­nc­nd/3.0/de
18. Jahrhundert untersuchten elsässischen Selbstverständnisses als deutsch­französischer Mittler (»intermédiare«)17, andererseits wurde hier gerade die Rheinregion als wichtiger Handlungsraum der Gelehrten hervorgehoben (»les bords du Rhin«). Auch auf der anderen Seite des Rheins waren rheinische Zugehörigkeitsgefühle verbreitet. Mitte der 1830er Jahre etwa fusionierten zahlreiche oberrheinische Kunstgesellschaften mit der Straßburger Société des amis des arts zum Rheinischen Kunstverein18. In ähnlicher Weise wie Kunstobjekte für die zahlreichen Ausstellungen des Verbundes den Rhein überquerten, zirkulierte auch das Wissen um den Tabakanbau zwischen Akteuren und Institutionen der Rheinregion. Ein Indiz dafür ist etwa der rasche Informationsfluss zwischen den benachbarten Tabakanbaugebieten, der bei wissenschaftlichen ›Entdeckungen‹ punktuellen Antrieb erhielt: Die Société des sciences versandte 1824 die Ergebnisse ihrer Tabakforschung noch vor der Veröffentlichung zunächst an den badischen Landwirthschaftlichen Verein, der wiederum in der späteren Publikation als einziger Vorabadressat genannt wurde19.
<12>
Welchen Konjunkturen und Abschwünge kennzeichneten aber diese rheinische Zirkulation des Wissens über den Tabakanbau? Welche Auswirkungen hatten strukturelle Kontexte wie die Integration ins Napoleonische Reich oder trennende Ereignisse wie die stark nationalistisch aufgeladene Rheinkrise 1840 auf die Verflechtungsprozesse am Oberrhein? Zumindest die Société des amis des arts war aus dem Rheinischen Kunstverein in den 1860er Jahren wegen Umorientierung nach Frankreich ausgetreten. Lässt sich im Untersuchungsraum eine stetige Entregionalisierung und Eingliederung des Tabakwissens in die entstehenden nationalen scientific communities beobachten? Oder hatte der rheinische Zirkulationsraum eine kontinuierliche Bedeutung?
Autor
Alexander van Wickeren M.A.
avwicker@uni­koeln.de
complémentaire an X (17 uin 1799–21 septembre 1802), in: Bulletin de la Société des sciences, agriculture et arts du département du Bas­Rhin 27 (1893), S. 33–79, hier S. 37.
Jürgen Voss, Das Elsaß als Mittler zwischen deutscher und französischer Geschichtswissenschaft im 18. Jahrhundert, in: ders., Deutsch­französische Beziehungen im Spannungsfeld von Absolutismus, Aufklärung und Revolution, Bonn u.a. 1990, S. 90–120.
17
Tanja Baensch, »Un petit Berlin«. Die Neugründung der Straßburger Gemäldesammlung durch Wilhelm von Bode, Göttingen 2007, S. 58–64.
18
François­Emmanuel Foderé, Extrait d'un Mémoire manuscrit sur la Culture du tabac dans le Département du Bas­
Rhin, lu à la Société des Sciences, Agriculture et Arts, par M. J. B. N. L. Husson, employé des contributions indirectes, in: Journal de la Société des sciences, agriculture et arts, du département du Bas­Rhin 2 (1824), S. 226–257, hier S. 252–255.
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