2. Große Schritte zur Verbesserung

Ethische Krisensituationen in
der Langzeitpflege
Wie kann man planen um alle zu
entlasten?
2. Ostfriesischer Palliativtag
Aurich,10.10.2015
Pastor
Dr. Michael Coors
[email protected]
www.zfg-hannover.de
Gliederung
1.
2.
3.
4.
Probleme der Vorausplanung
Kleine Schritte zur Verbesserung
Große Schritte zur Verbesserung
Erfolgreiches ACP
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1. Probleme der Vorausplanung
Frau M., 86 Jahre, seit einem Jahr im Pflegeheim, hat eine PV, in der
Reanimation abgelehnt wird. Während der Nachtschicht:
Herzversagen, Nachtschwester ruft den Notarzt => Reanimation,
Einlieferung ins Krankenhaus
⇒ Probleme im Umgang mit PV auf Seiten des Heims
Herr F. 79, fällt nach einem Unfall in ein lang andauerndes Koma. In
der PV ist für den Fall eines irreversiblen Komazustandes (Wachkoma)
die Einstellung aller lebenserhaltenden Maßnahmen verfügt. Die
Kinder drängen auf Umsetzung des Willens ihres Vaters …
⇒ Der Inhalt der PV wurde vom Sohn nicht verstanden (vom Vater
auch nicht?)
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
10.10.2015
1. Probleme der Vorausplanung
Frau L. lebt seit einem halben Jahr in einem Pflegeheim. In einer PV
hat sie verfügt, dass sie keinerlei lebenserhaltende Maßnahmen (keine
PEG, keine Beatmung etc.), dass sie keine Wiederbelebung und auch
keine Einlieferung ins Krankenhaus wünscht.
Während der Nachtschicht leidet Frau L. nun unerwartet an schwerer
Atemnot und hat offensichtlich starke Schmerzen. Die Nachtschwester
ruft den Notarzt, der Frau L. beatmet ins Krankenhaus bringt.
⇒
⇒
⇒
⇒
War die PV überhaupt bekannt?
Was war der Nachtschwester bekannt?
Musste ein Notarzt gerufen werden?
Hätte der Notarzt anders handeln können?
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
10.10.2015
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1. Probleme der Vorausplanung
„Die traditionelle Patientenverfügung [...] muss rund
vier Jahrzehnte nach ihrer Einführung als konzeptionell
und empirisch gescheitert gelten:
● Patientenverfügungen sind wenig verbreitet
● bei Bedarf nicht zur Hand
● selten aussagekräftig
● von fragwürdiger Validität und
● bleiben von medizinischem Personal häufig unbeachtet“
(in der Schmitten et. al. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 50–7)
⇒ Und doch haben wir nicht besseres!
⇒ Wir brauchen einen besseren und überlegteren Umgang
mit diesem Instrument!
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
10.10.2015
1. Probleme der Vorausplanung
Probleme …
… bei der Abfassung:
keine (ärztliche) Beratung => Aushebelung des informed
consent (fragwürdige Validität)
⇒ Wissen die Betroffenen wirklich, was sie verfügen?
… bei der Anwendung:
- Situationsbezogenheit nicht gegeben
- Verfügbarkeit?
- Bekanntheit des Inhaltes?
- Auswertung und Dokumentation von PV?
Krisensituationen
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2. Kleine Schritte zur Verbesserung
Was wissen die Mitarbeiterinnen über den Willen der
Bewohner?
⇒ PV gelesen?
⇒ PV besprochen?
⇒ Mit wem?
⇒ Wurden die Ergebnisse dokumentiert? Wenn ja wie?
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
10.10.2015
2. Kleine Schritte zur Verbesserung
PV nicht nur Abheften, sondern Auswerten der PV gemeinsam mit
betroffener Person, Angehörigen, rechtlichem Stellvertreter, Hausarzt:
⇒ Welche aus Sicht der professionellen Personen möglichen
Situationen sind nicht geregelt?
⇒ Dokumentation der Ergebnisse in leicht und schnell zugänglicher
Form (z.B. in einer Vertreterverfügung)
⇒ Insb. für Notfälle, z.B. Hausärztlich Anordnung für den Notfall
(HAnNo) (in der Schmitten et. al. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 50–7)
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
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2. Große Schritte zur Verbesserung
Advance Care Planning
deutsch: gesundheitliche Vorausplanung,
vorausschauende Behandlungsplanung, vorausschauende
Versorgungsplanung …
Entwickelt v.a. in den USA: Respecting Choices® in
Lacrosse/Wisconsin
Zwei Grundinterventionen:
1. Unterstützung und Begleitung der Menschen beim
Abfassen von PVen („facilitation“ => Beraten/Begleiten)
2. Strukturierter, in einer Region standardisierter Umgang
mit PVen in Gesundheitseinrichtungen
Krisensituationen
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2. Große Schritte zur Verbesserung
A. Aufbauen von Netzwerken
- Zusammenschluss mehrerer Einrichtung
- Kooperation mit Hausärzten und Notfallambulanzen
⇒ Absprachen bezüglich des Umgangs mit akuten
Notfällen und Einführen einheitlicher Formulare in einer
Region
Das HPG sieht in §132g die Möglichkeit der
Finanzierung solcher ACP-Netzwerke durch die
Krankenkassen vor, wenn sie von stationären
Pflegeeinrichtungen initiiert werden!
Krisensituationen
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2. Große Schritte zur Verbesserung
B. Professionalisierung der Beratung
Fortbildung einzelner Mitarbeiter/-innen in den Netzwerken
für die Gesprächsführung mit Angehörigen, rechtlichen
Stellvertretern und Ärzten.
Krisensituationen
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2. Große Schritte zur Verbesserung
Beratung im Rahmen von ACP
(Coors 2015)
Die gesundheitliche Vorausplanung verlangt, von jedem
1) seine eigenen Wertvorstellungen zu reflektieren,
2) diese Wertvorstellungen zu artikulieren und mit anderen zu
kommunizieren und
3) aus diesen Wertvorstellungen Schlussfolgerungen für
unterschiedliche Lebenssituationen zu ziehen.
⇒ Dabei gilt es die betroffenen Personen durch ergebnisoffene
Beratung professionell zu unterstützen („facilitation“)
Krisensituationen
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2. Große Schritte zur Verbesserung
Beratung im Rahmen von ACP
(Coors 2015)
Der Beratungsprozess sollte die folgenden Themen berühren:
1.medizinische und pflegerische Sachfragen im Blick auf den
gesundheitlichen Zustand und die mögliche Entwicklung des Patienten
bzw. der betroffenen Person
2.die Wertvorstellungen (Vorstellungen des guten Lebens) der
betroffenen Personen
3.eine kritische Reflexion der sozialen Prägung dieser Vorstellungen
(z.B. durch Medien)
4.die Bedeutung der Entscheidung für die Angehörigen
5.die im weiten Sinne spirituelle Dimension dieser Wertfragen
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2. Erfolgreiches ACP
Sieben Kernelemente von ACP
(nach Hammes 2003; in der Schmitten/Marckmann 2015)
(1) Aufsuchende Gesprächsangebote (unter Einbeziehung der
möglichen Stellvertreter und Zugehörigen)
(2) Qualifizierte Gesprächsbegleitung / Beratung (faciliation)
(3) Professionelle Dokumentation auf regionale einheitlichen
Formularen
(4) Archivierung, Zugriff und Transfer von Vorausverfügungen
(5) Aktualisierung / Fortführung des Gesprächsprozesse im Verlauf
(6) Beachtung und Befolgung der Vorausverfügung durch Dritte
(7) Installierung eines Prozesses der kontinuierlichen
Qualitätssicherung
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
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4. Erfolgreichs ACP
1. Respecting Coices®, LaCrosse, Wisconsin, USA (seit 1993)
Evaluationsergebnisse: 96% haben PV; in 99% der Fälle in der medizinischen Akte
vorhanden; in 99% der Fälle wurden die Patienten so behandelt, wie es in der PV
dokumentiert war (Hammes u.a. 2010)
2. Respecting Patient Choices®, Australien (seit 2002)
Umfassende Evaluation unter:
http://www.health.gov.au/internet/nhhrc/publishing.nsf/Content/018-wilsiletal/$FILE/018
William Silvester et al Submission B.pdf
3. beizeiten begleiten®, Grevenbroich, Deutschland (seit 2008)
Evaluationsergebnisse: Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 50-7 – online frei zugänglich
4. Our Voice – tō tātou reo, Neuseeland (seit 2010)
5. Österreichischer Vorsorgedialog (seit 2012)
⇒ Die Zahl und Validität von Patientenverfügungen steigt, und sie
werde besser umgesetzt.
Krisensituationen
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4. Erfolgreiches ACP
Mehr Informationen:
-
Theoretische Grundlagen
(Medizin, Pflege, Recht, Ethik)
Erfolgreiche Modelle aus USA,
Australien, Neuseeland,
Österreich, Schweiz, Deutschland
ACP in speziellen Kontexten:
Intensivmedizin, Palliativmedizin,
Kinderheilkunde, Psychiatrie
Krisensituationen
Dr. theol. Michael Coors
10.10.2015
Pastor Dr. Michael Coors
Theologischer Referent
Zentrum für Gesundheitsethik
Knochenhauerstr. 33
30159 Hannover
[email protected]
Tel. 0511 1241 670
www.zfg-hannover.de
www.ev-medizinethik.de
Blog: www.einwuerfe.wordpress.com
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