Viel mehr als bunte Bilder

MECHANIK
Simulation: Experten im Gespräch
Viel mehr als bunte Bilder
Viele Wege führen zur Simulation. Gerade kleine Unternehmen haben oft noch wenig Erfahrung mit dem Einsatz entsprechender Lösungen. Dr. Tarik El-Dsoki, Geschäftsführer
der MSC Software GmbH, und Christof Gebhardt, Business
Development Manager der CADFEM GmbH, erklären,
wo­rauf es ankommt und welche Trends sich abzeichnen.
Programme wie MSC Apex sind im Gegensatz zu CAD-Lösungen auf die Modellaufbereitung spezialisiert.
AUTOCAD Magazin: Wo liegen heute die
größten Herausforderungen im Einsatz von
Simulationslösungen, wenn man sich ein
mittelständisches Fertigungsunternehmen
anschaut?
Christof Gebhardt: In mittelständischen
Unternehmen wird Simulation weniger von
Berechnungsspezialisten, sondern primär
von Entwicklungsingenieuren sehr zielgerichtet durchgeführt, und zwar unter starkem Zeit- und Wettbewerbsdruck. Deshalb
muss die Simulation nach der Einführung
schnell produktiv nutzbar sein und
anschließend auch andauernden Erfolg
beisteuern. Dabei geht es nicht um bunte
Bilder, vielmehr müssen belastbare Aussagen erzielt werden, weil auf ihrer Basis weitreichende Entscheidungen getroffen werden, die die Qualität des Produktes sowie
die Kosten für Material und Herstellverfahren bestimmen.
Dr. Tarik El-Dsoki: In großen Konzernen
gibt es spezifische Abteilungen und Fachleute für Simulation. Der Ingenieur im mit-
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AUTOCAD & Inventor Magazin 5/15
Bild: MSC Software
telständischen Fertigungsunternehmen
macht jedoch oft viele Arbeiten gleichzeitig
– Projektmanagement, Konstruktion und
Berechnung in einer Person sind keine Seltenheit. Die Unternehmen haben daher
Bedenken, nicht das nötige Know-how und
Ressourcen für verlässliche Simulationen
bereitstellen zu können. Deshalb werden
häufig externe Dienstleister mit der Berechnung beauftragt. Durch so entstehende
Schnittstellenverluste zahlen Unternehmen
im Endeffekt oft mehr und verschenken
Potenzial bei der Optimierung ihrer Produkte. Eine andere Einstiegshürde ist sicherlich
der Preis. Die Anschaffung einer Simulationssoftware stellt eine bedeutende Investition dar.
AUTOCAD Magazin: Wie lassen sich diese
bewältigen? Können Sie hierfür ein Beispiel
nennen?
Dr. Tarik El-Dsoki: Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, schrittweise in die
Simulation einzusteigen. Wie bieten hierfür beispielsweise kostengünstige Ein-
stiegspakete. Diese Investition lohnt sich
bereits bei zwei bis drei Simulationsprojekten im Jahr. Unsere Lösungen decken
alle Simulationsdisziplinen ab, das kann
schnell sehr komplex werden. Daher wird
der Umfang in den Einstiegspaketen auf
die Bedürfnisse des Unternehmens reduziert. Das verkürzt die Einarbeitungsphase und Anwender können sich auf ihre
spezifische Problemstellung konzentrieren. Hier ist am Anfang zielgerichtetes
Training enorm wichtig. Wenn die Anwender sicher in der Anwendung geworden
sind oder sich durch die Simulationen
neue Geschäftsfelder auftun, können die
Einstiegspakete bei Bedarf erweitert werden.
Christof Gebhardt: Dem Zeitdruck lässt
sich durch effiziente Arbeitsprozesse bei
der Durchführung der Simulation begegnen. Eine logische Benutzerführung ist
dabei Voraussetzung, aber nicht ausreichend. Vielmehr müssen in der Simulation
ingenieurgerechte Modellobjekte dem
Anwender Arbeit abnehmen. So bietet
Ansys beispielsweise in der Mechanik
Randbedingungen, die das komplexe Verhalten einer Schraube automatisiert abbilden und diese auch direkt nach der Richtlinie VDI2230 bewertet. In der AnsysLösung für das Wärmemanagement
stehen fertige Bibliothekselemente zum
Beispiel für Lüfter, Kühlkörper oder Rohre
zur Verfügung. Für viele Anwendungen
werden neben den CAE-Methoden basierend auf existierender CAD-Geometrie für
die davor stattfindenden Entwicklungsschritte Entwurfswerkzeuge in den
Berechnungsprozess integriert. Beispielsweise wird für elektrische Maschinen,
Antennen oder Turbomaschinen anhand
von Designparametern eine Geometrie
automatisiert erzeugt und über vereinfachte Verfahren überschlägig analysiert,
um das Design zu bestimmen und
anschließend zu verfeinern.
Ein weiterer wichtiger Aspekt – die
Belastbarkeit der Aussagen – erfordert realitätstreue Ergebnisse, also eine hinreichend genaue Beschreibung der physikalisch relevanten Effekte. Dazu sind hochwertige numerische Modelle erforderlich,
sei es für das Materialverhalten auch mit
Nichtlinearitäten wie Plastizität, Hyperelas-
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Dr. Tarik El-Dsoki, Geschäftsführer der MSC Software GmbH:
„Die einzelnen Berechnungsdisziplinen sind immer
effizienter miteinander verbunden. Beispielsweise kann
man aus der Bewegungssimulation Ergebnisse für die
Bewertung von Akustik und Lebensdauer erhalten, ohne
ein Experte in all diesen Disziplinen sein zu müssen.“
tizität und Sättigung, die Turbulenz in Strömungen, die verschiedenartigen Lasten,
die Interaktion mehrerer Bauteile in einer
Baugruppe etwa durch Gelenke und Kontakt oder auch das Zusammenspiel mehrerer physikalischer Disziplinen, die sich
gegenseitig beeinflussen und unter anderem die Lebensdauer bestimmen. Zunehmend wird auch die Interaktion des physischen Systems mit einer Regelung und
Embedded Software relevant. Dabei nutzen
Systemingenieure für die physischen Komponenten oft stark abstrahierte Modelle,
zum Beispiel für Beziehungen von Feder/
Masse oder Kapazitäten/Induktivitäten.
Hier kann das Ergebnis aus der 3D-Feldsimulation in sogenannte Verhaltensmodelle überführt werden, die die Genauigkeit
der 3D-Simulation mit der Geschwindigkeit
von Kompaktmodellen kombinieren,
sodass das Wissen der Komponentenentwickler auf Systemebene weiter genutzt
werden kann.
integrierten Lösungen in der Regel nicht
vorhanden. Zudem muss die Geometrie oft
für spezielle Berechnungen aufbereitet werden, beispielsweise werden dünnwandige
Solid-Geometrien wie Autokarosserien oder
Bleche in Schweißkonstruktionen als Schalenmodelle berechnet. Auf diese Modellaufbereitung sind CAD-Programme nicht spezialisiert – Programme wie MSC Apex aber
schon. Außerdem ist die Akzeptanz unabhängiger Programme bei Zertifizierungen
höher.
Christof Gebhardt: CAD-integrierte
Simulationslösungen stellen einen begrüßenswerten Schritt dar, sich mit der
Arbeitstechnik der Simulation vertraut zu
machen, erste Erfahrungen zu sammeln
und ein Gefühl für den Wert der Methode
zu erarbeiten. Mit dem Essen wächst dann
der Appetit, das heißt die Anforderungen
wachsen: Das Material, die Interaktion von
Bauteilen oder die Lasten sollen mit weitergehenden Eigenschaften beschrieben
AUTOCAD Magazin: Autodesk hat ja werden. Folglich sollte eine leistungsfähiselbstintegrierte Simulationslösungen im gere Simulationslösung den wachsenden
Angebot. In welchen Fällen empfiehlt sich Anspruch an die Qualität der Ergebnisse
jedoch der Einsatz einer unabhängigen und eine erhöhte Arbeitsgeschwindigkeit
einlösen. Neben der Simulationssoftware
Software?
gehören noch weitere Erfolgsfaktoren zu
Dr. Tarik El-Dsoki: Mit einer unabhängigen einem funktionierenden Einsatz: Die MögSoftware können komplexere Problemstel- lichkeit, Simulationsergebnisse direkt
lungen gelöst werden, die über einfache nach Regelwerken zu bewerten, Resultate
Variantenstudien hinausgehen. Spezielle an andere Projektpartner auch ohne CAEBerechnungsarten wie starke Nichtlineari- Software weiterzugeben oder systematitäten, Akustik, Topologie-Optimierung oder sche Designstudien durchzuführen, die
Getriebeberechnung sind in den CAD- die Grundlage für ein besseres Verständnis und eine effiziente
Optimierung sind. Darüber
hinaus spielt die UnterChristof Gebhardt, Business Developstützung durch den CAEment Manager der CADFEM GmbH:
Anbieter eine nicht zu
„Ingenieurgerechte
unterschätzende Rolle:
Modellobjekte müssen
Kann er Pilotprojekte realisieren, die einen projektdem Anwender Arbeit
bezogenen Einstieg inkluabnehmen.“
sive Know-how-Transfer
ermöglichen? Wie breit ist
das Seminarangebot? Ein guter Indikator
ist dabei die Nachfrage nach unterschiedlichen Anwendungsfeldern der jeweiligen
Software. Welche Weiterbildungsformen
gibt es neben den klassischen offenen
Seminaren? Neben individueller Projektberatung auch Literatur, Online-Trainings,
E-Learning oder gar einen eigenen Studiengang? Je vielfältiger hier das Angebot
ist, desto besser der Investitionsschutz in
Software und Know-how.
AUTOCAD Magazin: Industrie 4.0 ist derzeit ein hochgehandeltes Thema. Inwieweit fließen die Anforderungen zum Beispiel an die Intelligenz der Produkte und
die Vernetzung mit der Fertigung in die
Simulation und die entsprechenden
Anwendungen mit ein?
Christof Gebhardt: Industrie 4.0 stellt neue
Anforderungen: Noch mehr Datenübertragung, noch mehr Sensorik, noch mehr
smarte Produkte. Viele Unternehmen müssen sich deshalb mit neuen Anforderungen
auseinandersetzen, wobei Simulation eine
wertvolle Quelle für das Verständnis von
Zusammenhängen sein kann, zum Beispiel
beim Design von Antennen oder autarken
Energieversorgungen. Aber auch in der
Simulation selbst spielt die zunehmende
Interaktion von Komponenten eine Rolle,
die über Verhaltensmodelle effizient und
genau beschrieben werden können. Es ist
vorstellbar, dass Kunden künftig ihre Lieferanten anhand der Verfügbarkeit von solchen Kompaktmodellen – ähnlich der heute üblichen CAD-Daten – auswählen. Dann
werden umfassende Kenntnisse und die
Weitergabe von Wissen über das Verhalten
der Produkte zu einem noch wichtigeren
Wettbewerbsvorteil.
Dr. Tarik El-Dsoki: Simulation beschleunigt
die Produktentwicklung. Anhand digitaler
Modelle sieht man Effekte von Änderungen
sofort. Die einzelnen Berechnungsdisziplinen sind auch immer effizienter miteinander
verbunden. Beispielsweise kann man aus der
Bewegungssimulation Ergebnisse für die
Bewertung von Akustik und Lebensdauer
erhalten, ohne ein Experte in all diesen Disziplinen sein zu müssen. Oder resultierende
Spannungen aus der Umformsimulation
können in die Festigkeitsberechnung übernommen werden. So entstehen viel effizientere Workflows. 
Die Fragen stellte Andreas Müller.
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