Studie Arbeitssituation und Arbeitsklima für Deutsche in Österreich „Manche ÖsterreicherInnen brauchen die Aufrechterhaltung eines stabilen Bildes vom ‚hässlichen Deutschen‘, um sich daneben ‚schön‘ fühlen zu können“ Ergebnisbericht Dr. Thomas Köllen WU Wien Department Management Institut für Gender und Diversität in Organisationen [email protected] http://wu.ac.at/diversity/mitarbeiter/koellen April 2016 / © Dr. Thomas Köllen Hintergrund der Studie Von 2002 bis Anfang 2015 hat sich die Zahl der in Österreich lebenden Deutschen auf 170.457 mehr als verdoppelt. Seit 2007 sind die Deutschen die größte Ausländergruppe in Österreich (Statistik_Austria, 2016a), wobei, anders als bei der Einwanderung aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und aus der Türkei, Einbürgerungen keine Rolle bei der Entwicklung dieser Zahlen spielen (Statistik_Austria, 2016b). Umgekehrt lebten Ende 2014 179.772 ÖsterreicherInnen in Deutschland (Statistisches_Bundesamt, 2016). Obwohl viele der in Österreich lebenden Deutschen mit recht stabilen Ressentiments und damit verbundenen Anfeindungen konfrontiert sind - die teilweise sehr offen vorgebracht werden und teilweise eher unterschwellig ablaufen - ist der im Land weit verbreitete Anti-Germanismus aus der Migrations-, Rassismus- und Diversity-Forschung in Österreich bisher komplett ausgeblendet worden. Dem soll durch das diesem Ergebnisbericht zugrundeliegende Forschungsprojekt entgegengetreten werden. Gegen Deutsche und Deutschland gerichtete Ressentiments basieren zu einem großen Teil darauf, dass für viele ÖsterreicherInnen das Nicht-Deutsch-Sein ein zentrales, konstituierendes Element ihrer österreichischen nationalen Identität ist. Das „stolze Bewusstsein, kein Piefke zu sein“ (Godeysen, 2010: 255), bildet demnach einen wichtigen Identitätsanker, der zusätzlich durch die für viele ÖsterreicherInnen bedeutsame Annahme, sie „seien in anderen Ländern vermeintlich beliebter als Deutsche“ (Wodak, de Cillia, Reisigl, & Liebhart, 1999: 192) positiv aufgeladen wird. Negative Zuschreibungen Deutschen gegenüber bedeuten damit gleichzeitig eine positive Aufwertung des eigenen Österreichisch-Seins. Überspitzt formuliert brauchen manche ÖsterreicherInnen daher die Aufrechterhaltung eines stabilen Bildes vom ‚hässlichen Deutschen‘, um sich daneben ‚schön‘ fühlen zu können1. Diese Polarisierung setzt sich fort, wenn man andere Elemente betrachtet, die manche ÖsterreicherInnen gerne als Elemente ihres „Nationalcharakters“ ansehen: Humor, Gelassenheit und allgemein das „Wissen wie es sich gut leben lässt“. Dem gegenüber steht das Bild des arrogant-humorlosen und verbissenen Deutschen, das damit zu einer Art „Negativ“ des eigenen Selbstbildes wird. Entworfen und im österreichischen Selbstverständnis verankert wurde diese polarisierende Abgrenzung nach 1945 zunächst vor allem durch die Geschichtsschreibung der ÖVP und der KPÖ (Cinar, 2015: 52ff). Es wurde ein Narrativ konstruiert, der Österreich als ein von Deutschland völlig verschiedenes Land entwarf, mit tendenzieller „Leugnung aller historischen, sprachlichen und kulturellen Verbindungen zur deutschen Geschichte“ (Fellner, 1988: 269). Das Hauptmotiv dahinter war, den von den Alliierten angebotenen Opfer-Status (z.B. Utgaard, 2003) aufrecht erhalten und glauben zu können, und Österreich als erstes Opfer der „deutschen Aggression“ zu begreifen, anstatt Verantwortung als Mit-Täter zu übernehmen. „Der Nationalsozialismus wurde externalisiert und als deutscher Faschismus an die deutsche Geschichte überantwortet“ (Hanisch, 2005: 255). Damit verbunden wurden auch die militärischen Stereotype auf das Deutschen-Bild übertragen, wobei das Nazi-Bild um (protestantische) Preußen-Klischees ergänzt wurde2. Sich selbst sah man eher als friedliebend-harmlosen Hort der Hochkultur3, in einer Kontinuität stehend mit einem verklärten Bild 1 Wenn demnach das Bild Deutschlands bzw. ‚der Deutschen‘ nach innen oder außen droht ein ‚freundliches Gesicht‘ zu bekommen, kann dies als direkte Gefahr für die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes interpretiert werden und Handlungsdruck erzeugen. 2 Im Jahr 1988 schreibt Fellner: „Die Gleichung ‚deutsch = preußisch = großdeutsch = nationalsozialistisch‘ bestimmt bis heute die Diskussion über das Konzept der ‚österreichischen Nation‘“, wobei ein Bekenntnis zu Österreichs Eigenständigkeit unbedingt mit einer Ablehnung aller Verbindungen zu allem Deutschen einhergehen muss (Fellner, 1988: 269). 3 Dass beide Elemente bis heute des Österreichische Selbstbild prägen, zeigt beispielsweise die Wahl der Symbole auf den österreichischen 1- und 2-Euromünzen: die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner 1 der Habsburger-Zeit, in der angeblich viele Völker und Kulturen harmonisch und hierarchielos zusammenlebten4. Damit war die Basis für das Selbstbild des damals wie heute angeblich „mitteleuropäisch“5-multikulturell und nur marginal deutsch geprägten, brückenbauenden Österreichs gelegt. Sich darüber hinaus selbst als ‚Land der Gegenreformation und des Barock‘ zu entwerfen, sollte die Bedeutung als nicht-deutsch empfundener ‚Wesenszüge‘ noch unterstreichen (Thaler, 1999, 2001; Wodak et al., 1999: 191). Später hat sich, wenn auch mit einer kritischeren Bewertung der Habsburg-Zeit, die SPÖ diesem Narrativ zur österreichischen Geschichte und Identität angeschlossen. Da die ÖVP und die SPÖ jahrzehntelang gemeinsam regierten, hat sich hier der Begriff „Koalitionsgeschichtsschreibung“ etabliert (Cinar, 2015; Thaler, 2001). Inhaltlich legitimiert wurde dieses Geschichtsbild durch linientreue HistorikerInnen, vor allem aber „durch einflussreiche nichtakademische Forscher und Publizisten mit oftmals engen Verbindungen zur Bildungsbürokratie“ (Thaler, 1999: 281). Die Parteien-nahe „Bildungsbürokratie“ konnte dann diese Geschichtskonstruktion durch Schulbücher und andere „Bildungs-“Medien (inkl. parteinaher Zeitungen oder der Austria Wochenschau) weiten Teilen der Bevölkerung zugänglich machen (vgl. Cinar, 2015; Hanisch, 2004). Österreich wurde dabei als dem Wesen nach „Nicht-Deutsch“ konstruiert, was „die Projektion von allem Schlechten auf die neu konstruierten deutschen ‚Anderen‘“ (Karner, 2005: 417) mit einschloss. Bande zu Deutschland „wurden als politisch rechtsradikal ausgelegt und als anti-österreichisch und anti-demokratisch angesehen“ (Cinar, 2015: 54). Vor allem die ÖVP-nahen Österreichische Monatshefte und die KPÖ-nahe Weg und Ziel waren zunächst die Hauptorgane der diskursiven Abgrenzung zu Deutschland und der Vermittlung eines negativen Deutschlandbildes. Generell wurde dieses Narrativ aber von weiten Teilen der österreichischen Medien getragen. Vor allem von „links“ wurde gegebenenfalls schnell der Vorwurf erhoben, im Falle von Zweifeln an dieser Geschichtsauffassung (und dem damit verbundenen negativen Deutschlandbild) Österreichs Eigenständigkeit zu bezweifeln und „deutschnational“ zu sein (Cinar, 2015: 55). Starke anti-deutsche Strömungen gab es nicht nur in der ÖVP und KPÖ, sondern auch bei der SPÖ, wobei Adolf Schärf als einer der „Scharfmacher“ agierte. Schärf wirkte beispielsweise intensiv auf die Formulierung von Artikel 22 Ziffer 13 des 1955 unterzeichneten österreichischen Staatsvertrages hin (Hansen, 1995: 226f), der aus der „Erstes Opfer“-These einen Reparationsanspruch gegenüber Deutschland ableitete und die Enteignung weiter Teile des beträchtlichen deutschen Vermögens in Österreich bedeutete. „Die SPÖ verfolgte hier deshalb eine harte Linie, weil sie die verstaatlichte Industrie, in welche die deutschen Unternehmen überführt worden waren, zur wichtigsten Einflußsphäre ihrer Partei zählte“ (Hansen, 1995: 227). Mueller-Graaf, der damalige deutsche Botschafter in Wien, schrieb im Oktober 1955 nach Bonn: „Der Deutschenhaß ist im Wachsen, und selbst am Ballhausplatz [d.h. innerhalb der österreichischen Bundesregierung] hält man es kaum noch für nötig, ihn zu tarnen. Wahrscheinlich denken weite Volksschichten ja nicht so, und auch in der leitenden Schichte […] gibt es natürlich gemäßigte Leute. Freunde haben wir aber keine in diesem Lande. Es ist ein tragischer geschichtlicher Vorgang, in dem wir stecken“ (zitiert in Hansen, 1995: 246). und Mozart. Die Vereinnahmung Mozarts für die österreichische Identitätspolitik war nach 1945 ein zentrales Element der Selbstvergewisserung nach innen und der Überzeugungsarbeit nach außen, um die neu entworfene „Kulturnation“ Österreich von der „Kriegsnation“ Deutschland abzugrenzen (vgl. z.B. Pape, 1997, 2000). 4 So wurden z.B. Bilder von Friedrich II. und Maria Teresia mit scheinbar klar verteilten Täter- und Opferrollen konstruiert, und der „kriegerische“ preußische König „wurde einer friedliebenden, mütterlichen Kaiserin gegenübergestellt, die genauso „harmlos“ erschien, wie Österreich sich nach dem Zweiten Weltkrieg sehen wollte“ (Leidinger, Moritz, & Moser, 2010: 50). 5 Das Konzept „Mitteleuropa“ ist in der österreichischen Auslegung oft eng mit dem „Habsburg-Mythos“ verknüpft und geografisch deckungsgleich mit dem Habsburger-Gebiet von 1867. Gebiete, die am deutschen Einigungsprozess nach 1866 beteiligt waren, sind darin nicht enthalten (vgl. z.B. Cinar, 2015; Le Rider, 2008). 2 Politisch hat sich in Österreich seitdem einiges verändert, beispielsweise durch die WaldheimAffäre, den EU-Beitritt und die Abnahme der Dominanz von ÖVP und SPÖ. Der auf Deutschland bezogene Mediendiskurs hat sich in den letzten Jahren entschärft. Einige Medien können mittlerweile über Deutsche und Deutschland berichten, ohne dies implizit oder explizit wertend in Bezug zu Österreich setzen zu müssen; vereinzelt setzen sich mittlerweile bestimmte Zeitungen sogar selbstkritisch und offen mit diesem Thema auseinander. Dennoch ist der Zwang, zwischen beiden Ländern polarisieren zu müssen, bei vielen Medien auch heute noch als Grundtendenz zu beobachten. Da die jahrelange „Erziehung“ in dieser Frage nicht einfach verschwindet, bedient die Vermittlung eines eher negativen Deutschlandbildes damit natürlich auch ein latentes Bedürfnis vieler ÖsterreicherInnen, für die die polarisierende Abgrenzung zu Deutschland immer noch ein „emotionales Bedürfnis“ ist (Wodak et al., 1999: 192) in das sie im Laufe ihres Lebens emotional viel „investiert“ haben (Karner, 2005: 418). Im Vergleich zu Ressentiments gegenüber anderen Nationalitäten ist Anti-Germanismus und die damit einhergehende Reproduktion negativer Stereotypisierungen von Deutschen in Österreich nicht politisch inkorrekt und durchaus in weiten Teilen der Bevölkerung salonfähig. Implizit können positive (und teilweise auch neutrale) Einschätzungen zu Deutschen und Deutschland immer noch als „deutschnational“ interpretiert bzw. konstruiert werden, vor allem im linksliberalen Umfeld, was umgekehrt Anti-Germanismus bzw. Deutschenfeindlichkeit in diesen Kreisen sogar als politisch-korrekt erscheinen lässt (Greth & Köllen, 2016). Aus der Politik heraus wird diese Tendenz von keiner Seite öffentlich kritisiert. Es wird vielmehr eher versucht, den mit der Abgrenzung verbundenen antideutschen Diskurs so zu kanalisieren bzw. zu bagatellisieren, dass er in Deutschland selber entweder nicht mitbekommen oder anders interpretiert wird, um das tendenzielle „Zuckerguss-Bild“ Österreichs dort nicht zu gefährden (vgl. Godeysen, 2010). Im halböffentlichen bzw. im mehr oder weniger „privaten“ Diskurs treten anti-deutsche Ressentiments häufig sehr viel deutlicher und expliziter zu Tage. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Begriffs „Piefke“ ein, da sich in diesem Begriff - von österreichischer Seite aus - alle negativen, nicht-österreichischen, stereotypen Zuschreibungen zu „den Deutschen“ verdichten lassen. Seine (zumeist nicht widersprochene) Verwendung kann daher unter ÖsterreicherInnen schnell die Funktion der gegenseitigen Selbstvergewisserung des eigenen Anders- und Besser-Seins einnehmen. In Bezug auf die alltägliche selbst-aufwertende Abgrenzung hat daher „kein anderer Begriff die österreichische Bevölkerung so umfassend geeint, wie „Piefke““ (Godeysen, 2010: 255f.). Aufgrund seines stark abwertenden Charakters wird der Begriff im öffentlichen bzw. dem Mediendiskurs mittlerweile fast nicht mehr verwendet und hat alternativen Bezeichnungen Platz gemacht. Im halböffentlichen und privaten Diskurs ist er allerdings nach wie vor sehr präsent. Deutsche, die in Österreich arbeiten, sind mit diesem Begriff also durchaus konfrontiert. Neben diesem und anderen abwertend gemeinten Synonymen für „die Deutschen“ ist die Sprache generell ein zentraler Polarisationspunkt im (Arbeits-)Alltag (Köllen et al., unter Begutachtung). Da die österreichische Art und Weise Deutsch zu sprechen für viele ÖsterreicherInnen sehr identitätsstiftend ist (Wodak et al., 1999: 193), stellt die Sprache nicht selten den Ausgangspunkt bzw. den vordergründigen Anlass für das österreichische Selbstbild aufwertende alltägliche Polarisierungspraktiken gegenüber Deutschen dar (Greth & Köllen, 2016). Da umgekehrt Österreich für das Selbstbild der Deutschen keine Rolle spielt und österreichische Medien, und damit der polarisierende Mediendiskurs, in Deutschland so gut wie gar nicht wahrgenommen werden6 (z.B. Markovits, 1996: 101), werden viele Deutsche, die zum Arbeiten nach Österreich kommen, überrascht von den Polarisierungs- und Abgrenzungstendenzen. Vor diesem Hintergrund zeigen die folgenden deskriptiven Ergebnisse der Studie einige wesentliche Aspekte des (Arbeits-)Alltages der Deutschen in Österreich. 6 Eine Ausnahme bildete die Berichterstattung von Michael Frank (bis 2012 Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung), der den anti-deutschen Diskurs immer wieder explizit aufgegriffen hat (z.B. Frank, 1999, 2010). 3 Stichprobe An der 2014 durchgeführten online-Befragung haben etwa 600 in Österreich arbeitende Deutsche teilgenommen. Die TeilnehmerInnen wurden über viele verschiedene Wege eingeladen, wobei der Schwerpunkt auf dem sozialen Online-Netzwerk Xing lag. Etwa 54% der TeilnehmerInnen sind männlich, 91% der TeilnehmerInnen haben als höchsten Bildungsabschluss mindestens das Abitur und 71% der Befragten haben einen Hochschulabschluss. 34% der TeilnehmerInnen sind zwischen 26 und 35 Jahre alt, 37% zwischen 36 und 45 und 24% zwischen 46 und 55 Jahre. Die Herkunft innerhalb Deutschlands und der aktuelle Wohnort innerhalb Österreichs kann den nachfolgenden Grafiken entnommen werden. Die deutschen Bundesländer sind in etwa ihrer Größe entsprechend repräsentiert, wobei Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg etwas stärker und NordrheinWestfalen, Hessen und Niedersachsen etwa schwächer vertreten sind. Bei den Bundesländern in denen die befragten Deutschen in Österreich wohnen und arbeiten ist Wien mit großem Abstand am stärksten vertreten, gefolgt von Nieder- und Oberösterreich. Wohnbundesländer in Österreich Deutsches HerkunftsBundesland (in %, N = 596) (in %, N = 596) GrenzgängerIn 1,0 Vorarlberg 0,7 Tirol Thüringen 2,5 Schleswig-Holstein 2,7 Sachsen-Anhalt 2,0 Sachsen 3,0 4,5 Saarland Steiermark 3,9 Salzburg 2,9 1,5 Rheinland-Pfalz 4,0 Nordrhein-Westfalen Oberösterreich 19,1 Niedersachsen 9,1 Mecklenburg-… 8,2 2,2 Hessen Niederösterreich 10,2 Kärnten Hamburg 1,8 Burgenland 6,4 4,0 Bremen 1,3 Brandenburg 1,8 Berlin 0,7 5,2 Bayern Wien 67,6 0 20 40 18,1 Baden-Württemberg 60 15,4 0 4 5 10 15 20 Zuzugsmotive Gründe für die Einwanderung nach Österreich (in %, N= 596, Mehrfachnennung möglich) Studium 13 politische Situation 1 Attraktivität des Wohnortes 17 Landschaft 6 Lebensgefühl 12 finanzielle Gründe 4 Familie/Beziehung/Liebe 39 Arbeit 59 0 10 20 30 40 50 60 70 Bei den Gründen für die Einwanderung nach Österreich geben die meisten Befragten die Arbeit als Motiv an7. Für knapp 40% war die Liebe bzw. die Familie ein Grund, nach Österreich zu gehen. 7 Wenn den nachfolgenden Tabellen und Grafiken teilweise leicht unterschiedlich große Stichprobenumfänge zugrunde liegen (abgekürzt mit N) kann dies entweder an als „ungültig“ gewerteten Antworten liegen oder am Abbruch der Umfrageteilnahme durch einzelne TeilnehmerInnen im Fragebogenverlauf. Die meisten Angaben sind Prozentangaben – hier können Rundungseffekte auf ganze Zahlen dazu führen, dass von der Summe von 100% um einen Prozentpunkt abgewichen wird. Neben Österreich wurden auch in der Schweiz Daten erhoben. Der Schweizer Bericht wurde 2015 veröffentlicht (Köllen, 2015). 5 Alltagserfahrungen von Deutschen in Österreich Wie häufig passieren Ihnen folgende Dinge in Ihrem Alltag in Österreich? 40 30 20 10 0 Sie werden mit weniger Respekt behandelt als andere Menschen (in %). 36 33 34 29 27 25 23 20 22 8 8 8 7 3 5 3 3 3 fast jeden Tag einmal pro Woche männlich (n = 317) mehrmals pro Monat mehrmals pro Jahr weiblich (n = 272) weniger als einmal pro Jahr nie Gesamt (N = 589) Manche Menschen verhalten sich Ihnen gegenüber, als hielten diese Menschen sich selbst für etwas Besseres (in %). 40 30 20 10 0 32 33 32 4 3 4 fast jeden Tag 7 3 5 einmal pro Woche 19 20 19 11 14 12 mehrmals pro Monat mehrmals pro Jahr 28 26 27 weniger als einmal pro Jahr nie Sie werden weniger höflich behandelt als andere Menschen (in %). 40 30 20 10 0 30 23 4 3 3 fast jeden Tag 8 4 6 einmal pro Woche 26 24 25 24 32 30 31 9 7 8 mehrmals pro Monat mehrmals pro Jahr weniger als einmal pro Jahr nie Sie erhalten in Restaurants und Geschäften einen schlechteren Service als andere Menschen (in %). 60 50 40 30 20 10 0 51 50 51 18 17 17 0 0 0 3 3 3 5 4 5 fast jeden Tag einmal pro Woche mehrmals pro Monat 6 mehrmals pro Jahr 22 26 24 weniger als einmal pro Jahr nie Sie werden beleidigt oder beschimpft (in %). 50 40 30 20 10 0 32 33 33 40 40 40 20 20 20 1 1 1 3 3 3 4 3 3 fast jeden Tag einmal pro Woche mehrmals pro Monat männlich (n = 317) mehrmals pro Jahr weiblich (n = 271) weniger als einmal pro Jahr nie Gesamt (N = 588) Was denken Sie, ist der Hauptgrund für diese Erfahrungen? (in %, N = 588) 7 5 9 Mein Bildungsstand oder Einkommen Mein Aussehen 2 2 2 Mein Gewicht 1 1 0 Meine Körpergröße 0 0 1 Mein Alter 1 2 1 86 85 87 Meine Nationalität (z.B. identifiziert durch meine deutsche Aussprache) 3 5 0 Mein Geschlecht 0 Gesamt 20 weiblich 40 60 80 100 männlich Die vorangegangenen Grafiken zeigen, dass Deutsche im österreichischen Alltag verschiedenen Arten von Zurücksetzung oder Ungleichbehandlung in unterschiedlichen Häufigkeiten erleben. Werden sie jedoch erlebt, dann wird zumeist das eigene Deutsch-Sein als der auslösende Faktor identifiziert. 7 Deutsch-Sein in Österreich Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? (Antworten in %, N = 471) 8 10 Die meisten ÖsterreicherInnen bewerten Deutsche nicht auf Basis ihrer Nationalität. 16 17 8 4 8 Ich denke oft, dass ÖsterreicherInnen ungerechtfertigterweise beschuldigt werden, deutschenfeindlich zu sein. 28 15 18 22 12 11 10 Die meisten ÖsterreicherInnen haben eine wesentlich stärkere anti-deutsche Einstellung, als sie es mir gegenüber tatsächlich ausdrücken. 15 7 11 Beim Umgang mit ÖsterreicherInnen habe ich das Gefühl, dass sie mein Verhalten ständig daraufhin interpretieren, dass ich deutsch bin. 28 10 14 14 9 Mein Deutsch-Sein hat keinen Einfluss darauf, wie ÖsterreicherInnen mit mir umgehen. 12 16 15 9 16 16 16 7 8 0 5 28 19 8 Stereotype gegenüber Deutschen berühren mich nicht persönlich. 29 17 11 13 6 24 10 22 14 15 20 stimme völlig zu stimme zu stimme eher zu weder noch stimme eher nicht zu stimme nicht zu 25 30 35 stimme überhaupt nicht zu Die alltägliche Wahrnehmung einer anti-deutschen Grundstimmung wird von vielen Deutschen in Österreich geteilt, allerdings in unterschiedlichen Intensitäten. Die damit zusammenhängenden unterschiedlichen Ebenen von Anti-Germanismus bzw. Deutschen- und Deutschlandfeindlichkeit werden auch am Arbeitsplatz erlebt, wie die nachfolgenden Ergebnisse zeigen. von Deutschen in der Schweiz 8 Die Arbeitsplatzsituation von Deutschen in Österreich Wie sehr stimmen Sie den folgenden Aussagen über Ihren Arbeitsplatz in Österreich zu? (Angaben in %, N = 518 bis 544) „An meinem Arbeitsplatz...“ 11 haben viele Leute Vorurteile über Deutsche und behandeln mich so, als wären diese wahr. 33 10 21 25 10 habe ich manchmal das Gefühl, dass DeutschSein ein Defizit ist. 27 11 werden ÖsterreicherInnen und Deutsche gleich behandelt. 19 18 5 4 13 14 5 habe ich manchmal das Gefühl, dass andere versuchen mich am Weiterkommen zu behindern, weil ich Deutsch bin. 12 11 18 14 7 54 21 22 22 10 15 0 10 34 21 12 ist das Erzählen anti-deutscher Witze üblich. 51 17 9 ist meine deutsche Aussprache eine Beeinträchtigung. blicken andere auf mich herab, wenn ich mich so verhalte, wie es in Deutschland üblich ist. 20 38 27 24 25 30 stimme voll zu stimme eher zu weder noch stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu 9 46 26 5 habe ich das Gefühl, dass andere mich aus ihren Aktivitäten ausschließen, weil ich deutsch bin. 33 40 50 60 „An meinem Arbeitsplatz...“ 12 25 müssen sich Deutsche ständig legitimieren bzw. dafür rechtfertigen in Österreich zu sein. 9 18 36 16 nehme ich das ständige Polarisieren zwischen Deutschem und Österreichischem als belastend wahr. 24 12 15 33 16 26 gelten abwertende Kommentare über Deutsche nicht als politisch inkorrekt. 13 15 29 6 13 14 18 war mein Deutsch-Sein ein großes Thema im Bewerbungsprozess. 48 3 enthalten mir meine TeamkollegInnen gewisse arbeitsbezogenen Informationen vor, die sie mit österreichischen KollegInnen teilen. 9 13 15 59 1 5 verbreiten meine nicht-österreichischen KollegInnen eine anti-deutsche Stimmung. 11 14 68 3 12 12 verbreiten meine österreichischen KollegInnen eine anti-deutsche Stimmung. 22 51 30 33 werden politische oder sportliche Ereignisse ständig herangezogen, um zwischen Deutschem und Österreichischem zu polarisieren. 8 12 16 0 10 20 30 40 stimme voll zu stimme eher zu weder noch stimme eher nicht zu stimme überhaupt nicht zu 10 50 60 70 80 Welches Verhalten von ÖsterreicherInnen nehmen Sie Ihnen gegenüber an Ihrem Arbeitsplatz wahr? (Angaben in %, N = 499 bis 500) 14 15 Bei externen Ereignissen (Sport, Politik, etc.) wird national polarisiert. 8 7 Von mir wird verlangt, dass ich rechtfertige, warum ich in Österreich lebe. 4 3 Mir wird ein Gefühl des 'NichtDazugehörens' vermittelt. 16 7 16 5 3 5 Mir wird mit abwertender Körpersprache, Tonfall, Mimik oder Gestik begegnet. 5 3 2 Ich werde aufgefordert, doch wieder 'nach Hause' zu gehen. 2 2 1 6 10 49 23 56 75 14 20 19 7 45 24 24 9 Meine Aussprache wird kommentiert oder imitiert. 0 51 21 18 5 3 2 Mir gegenüber herrscht ein reserviertes Verhalten. 44 12 10 29 15 20 30 40 50 nie weniger als einmal pro Jahr mehrmals pro Jahr mehrmals pro Monat einmal pro Woche fast jeden Tag 60 70 80 Auch am Arbeitsplatz erleben viele Deutsche häufig ein ihnen entgegengebrachtes großes Abgrenzungs-, Abwertungs- und Polarisierungsbedürfnis seitens ihrer österreichischen KollegInnen. Dies geht oftmals mit ganz konkreten Ausschlusserfahrungen einher. Ein wichtiger Polarisierungspunkt ist dabei die Sprache bzw. die Aussprache. Mit diesen Erfahrungen bzw. mit der Erwartung dieser Erlebnisse gehen die deutschen Beschäftigten in unterschiedlicher Weise um. Dies zeigen die folgenden Ergebnisse. 11 Der Umgang mit Anti-Germanismus am Arbeitsplatz Wie häufig kommt folgendes Verhalten bei Ihnen am Arbeitsplatz vor? „Ich...“ 4 versuche anti-deutsche Kommentare zu überhören. 29 rede manchmal weniger oder gar nicht, damit ich aufgrund meiner deutschen Aussprache nicht als Deutscher identifiziert werde. 1 erzähle von Freizeitaktivitäten, die ich mit ÖsterreicherInnen unternommen habe, um zu zeigen, wie gut ich integriert bin. 1 4 4 1 3 versuche durch mein Verhalten bestimmten positiven deutschen Stereotypen zu entsprechen. 0 1 versuche zu verbergen, dass ich deutsch bin. 1 verstelle mein Verhalten, um 'weniger deutsch' zu wirken. vertrete eine Deutschland-kritische Meinung in Bezug auf Politik oder Sport, um meine KollegInnen davon zu überzeugen, dass ich ja gar nicht 'allzu deutsch' bin. 1 0 51 17 78 24 1 3 versuche Gesprächsthemen zu vermeiden, die einen Deutschlandbezug haben. fast immer/immer 16 71 21 75 17 79 13 5 4 86 23 71 33 62 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 häufig manchmal nie Manche Deutsche versuchen einfach „wegzuhören“. Andere versuchen durch auf die Polarisierungspraxis bezogen opportunes Verhalten oder durch Vermeidungsstrategien Geringschätzungen zu entgehen, bzw. „Bonuspunkte“ zu sammeln. Dieses Vorwegnehmen und Abwehren von auf anti-deutschen Ressentiments basierenden Anfeindungen wird nicht von allen praktiziert. Dennoch ist es für sehr viele Deutsche ein Thema, dem allerdings auch offensiver begegnet werden kann, wie die nächste Grafik zeigt. 12 Wie häufig kommt folgendes Verhalten bei Ihnen am Arbeitsplatz vor? „Ich...“ sagen meinen KollegInnen, dass ich es persönlich beleidigend finde, wenn in verallgemeinernder Weise negativ über 'die Deutschen' gesprochen wird. 6 10 springe anderen Deutschen zur Seite, wenn ich mitbekomme, dass sie von KollegInnen mit anti-deutschen Kommentaren angegangen werden. 14 16 41 29 3 stelle vor meinen KollegInnen 'deutsche' Eigenschaften als etwas Positives dar. 10 korrigiere andere, wenn sie annehmen, dass ich nicht deutsch bin. 42 45 12 16 34 38 18 21 wehre mich gegen abwertende Verallgemeinerungen in Bezug auf Deutsche. 52 9 15 beziehe offen Stellung gegen anti-deutsche Witze und Vorurteile. 22 43 20 2 suche besonders den Kontakt zu deutschen KollegInnen. 0 fast immer/immer 46 38 häufig 9 10 30 20 30 manchmal 59 40 50 60 70 nie Die befragten Deutschen begegnen der vielfach erlebten antideutschen Grundstimmung an ihrem Arbeitsplatz auf unterschiedlichen Weisen. Viele Deutsche beziehen zwar offen Stellung gegen Abwertungen, dennoch wirkt sich ein antideutsches Arbeitslima auf Dauer u.a. negativ auf die emotionale Verbundenheit mit Ihrem Arbeitgeber und mit ihrem Arbeitsort/-land aus. Der Wunsch und die Entscheidung in Österreich zu verbleiben bzw. das Land zu verlassen wird maßgeblich vom Arbeitsklima beeinflusst, wobei hier dann auch die Alltagserfahrungen abseits des Arbeitsplatzes eine große Rolle spielen8. 8 Vergleicht man die Werte für die einzelnen österreichischen Bundesländer, so weisen die Daten auf ein gewisses West-Ost Gefälle hin. Demnach scheint das Abgrenzungs- und Abwertungsbedürfnis zu bzw. von Deutschem in Wien besonders groß zu sein. Für belastbare Aussagen bräuchte man allerdings größere Teilstichproben aus den westlichen Bundesländern. 13 Österreichbild und „Deutsch-Werden“ Antwortoption Wie hat sich Ihr Gesamtbild, das Sie von Österreich haben, vom Zeitpunkt Ihres Zuzuges bis heute verändert? Anzahl der Nennungen (N = 449) 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 3 7 13 19 23 26 29 32 35 38 41 44 47 50 53 56 59 62 65 68 71 74 77 80 83 86 89 92 95 99 0 Bewertung (0= sehr zum Negativen; 50 = gar nicht; 100 = sehr zum Positiven) Viele Deutsche, die zum Arbeiten nach Österreich kommen, werden überrascht von der Intensität der permanent ablaufenden Polarisierungs-, Abgrenzungs-, und teilweise auch Abwertungsprozesse in Bezug auf ihr Deutsch-Sein. Sowohl im Arbeitsalltag als auch in ihrer Freizeit werden sie oftmals, sobald als Deutsche identifiziert (z.B. durch die deutsche Aussprache), auf ihre Nationalität reduziert wahrgenommen und mit zum Teil wenig schmeichelhaften Attributen und den dazugehörigen Erwartungshaltungen an ihr Verhalten belegt. Verdichten lässt sich diese Erfahrung, die viele Deutsche in Österreich machen, mit der folgenden Aussage, die nur von einem geringen Teil der befragten Deutschen wirklich abgelehnt wird. Wie sehr stimmen Sie der folgenden Aussage zu? "Nach Österreich kommt man nicht als Deutscher, sondern man wird in Österreich erst zum Deutschen gemacht." (in %, N = 439) stimme voll zu 17 stimme eher zu 35 weder noch 19 stimme eher nicht zu 15 stimme überhaupt nicht zu 14 0 5 10 14 15 20 25 30 35 40 Literatur Cinar, M. U. (2015). Collective Memory and National Membership: Identity and Citizenship Models in Turkey and Austria. Basingstoke: Palgrave Macmillan. Fellner, F. (1988). The Problem of the Austrian Nation after 1945. The Journal of Modern History, 60(2), 264-289. Frank, M. (1999). Haß auf Piefkes und andere Fremde. Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 1999, 13. Frank, M. (2010). Die Piefke-Saga. Süddeutsche Zeitung, 9. September 2010, 9. Godeysen, H. (2010). Piefke: Kulturgeschichte einer Beschimpfung. Klosterneuburg: Edition Va Bene. Greth, J., & Köllen, T. (2016). Perceived Anti-Germanism in Austria. Studies in Ethnicity and Nationalism, 16(1). Hanisch, E. (2004). Die Dominanz des Staates. 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