1 Verhätschelt, verwöhnt? Referat für das St. Galler Forum 2015 - von Gabriela Braun Das Thema Verwöhnen ist ein Dauerbrenner - nicht nur im Mamablog, wofür ich unter anderem schreibe. Es ist seit einigen Jahren in den Medien allgegenwärtig. Von der «Verwöhn-Falle» ist dabei die Rede. Einer «Verwahrlosung im Glitzerlook» - oder verwöhnte Kinder würden aggressiv. Im Internet gibt es als Folge Tests, die man als Eltern machen kann, um herauszufinden, ob das eigene Kind verwöhnt ist. Spricht man mit allerdings anderen Eltern über das Thema, hat man nicht den Eindruck, dass jemand von sich selbst das Gefühl hat, er verwöhne die eigenen Kinder übermässig. Und wenn schon, was ist schon dabei? Ich wage zu behaupten: Würde ich jeden einzelnen von Ihnen fragen wie sehr Sie ihre Kinder verwöhnen, dann antworten Sie mit: «Ach, so mittel.» Oder: «Ich glaube nicht allzu sehr». Auch eine gute Bekannte von mir antwortete auf die Frage, wie verwöhnt ihre Kinder seien, mit: «überhaupt nicht.» Dies, obwohl, sie und ihr Mann ihre Kinder mit materiellen Geschenken richtiggehend überschwemmen – wie ich finde. Ihre Kinder haben vom Materiellen her gesehen schlicht alles. Gewandt mit Messer und Gabel umgehen kann der 10jährige Sohn aber nicht. Muss er auch nicht, die Eltern schneiden ihm noch immer die Pizza oder das Fleisch. Ist der Junge nun verwöhnt? Oder einfach gut umsorgt? Ich persönlich setze mich mit dem Thema Verwöhnen seit Jahren auseinander – nicht nur journalistisch. Ich finde zum Beispiel auch nicht, dass ich meinen Sohn, der heute 13 Jahre alt ist, übermässig verwöhne oder verwöhnt habe. Mein Mann ist in dieser Hinsicht allerdings anderer Meinung. Er glaubt, ich habe meinen Sohn als er noch im Kindergarten und der Primarschule war, mit viel zu viel Aufmerksamkeit verwöhnt. Kam er vom Kindergarten heim, liess ich gleich alles stehen und liegen. Und unterhielten sich mein Mann und ich ein paar Sätze lang, liess ich mich jedes Mal vom Kind ablenken. Statt zu sagen: «Warte bitte, wir wollen noch etwas zu Ende diskutieren», habe ich das Gespräch abrupt abgebrochen und mich zu meinem Sohn gewandt. Was haben wir während all der Jahre nicht über dieses eine Thema diskutiert... Wir merken: Jeder versteht unter Verwöhnen etwas anderes. Das Kind zur Schule fahren: Geht das unter verwöhnen? Dem Achtjährigen die Schuhe binden: Verwöhnen? Oder versteht man vielmehr materielle Dinge darunter: Handy, Kleider, teure Ferien? Oder ist es eher ein Übermass an 2 Aufmerksamkeit, die wir den Kindern entgegenbringen? Wir etwa die Kinder vor allem negativen bewahren möchten und für sie immer und sofort Partei ergreifen? Verwöhnung kann vieles bedeuten. Ich gehe heute nicht gross auf jene Form des Verwöhnens ein, die man nur zu einer speziellen Gelegenheit tut, etwa an einem Geburtstag. Nein, es vielmehr um das verhätschelnde, alltägliche Verwöhnen von Eltern. «Verwöhnen beginnt, wo die Herausforderung ausbleibt», habe ich kürzlich in einem Artikel zum Thema gelesen. Und diese Definition des Begriffs trifft es meiner Meinung nach gut. Denn Verwöhnung verhindert Interesse, Neugier, Ausdauer und Zielstrebigkeit. Wer also häufig für sein Kind handelt, es zu lange füttert, anzieht, ihm die Spielsachen wegräumt, bei Konflikten sofort Partei für das eigene Kind ergreift, der schützt seinen Nachwuchs nicht, sondern macht ihn schutzlos. Es gibt zahlreiche Definitionen zum Begriff. Jene des Autors Jürg Frick in seinem Buch «Die Droge Verwöhnung» möchte ich Ihnen gerne näher bringen. Er schreibt, Verwöhnung ist... - Das Übermass an Zärtlichkeit - Das Übermass an Besorgnis - Das Übermass an Hilfsbereitschaft - Das Übermass an Entlastung - Das Übermass an Geschenken, Geld, Spielsachen - Der Mangel an Zutrauen, Ermutigung - Der Mangel an Forderung: zu Ausdauer, Anpacken, Ausprobieren - Der Mangel an Grenzsetzung Diese Beispiele betreffen verschiedene Bereiche. Es geht dabei um: ServiceLeistungen, um Materielles, um Partei ergreifen. Es geht also einerseits um materiellen Überfluss und Eltern, die einem Kind jeden Wunsch von den Lippen ablesen – und ihn auch erfüllen. Es dreht sich um Konsum. Viele Mütter und Väter tendieren dazu, ihren Kindern so früh wie nur möglich sehr viel bieten zu wollen. Spielzeug, Handys, Markenkleider, Reisen: Es braucht all die Dinge, glauben viele Eltern, dass es glücklich sein kann und akzeptiert. Und man will nicht, dass das Kind von den Klassenkameraden ausgegrenzt wird. Doch Kinder und Jugendliche werden heute nicht nur mit materiellen Gütern überschüttet, sondern auch mit einem Überangebot an Unterhaltung, Freizeitprogrammen, Kursen, usw. Ein anderer Aspekt des Verwöhnens ist jener der sogenannten 3 «Bemutterung» - oder gar einer «Übermutterung» - wobei übrigens auch die geschätzten Väter gemeint sind. Es ist die subtilere Form des Verwöhnens, doch auch hier werden – wie beim materiellen Verwöhnen – die aktuellen Bedürfnisse sofort befriedigt. Beim Verhätscheln geht es um das Mass der Aufmerksamkeit, die ein Kind erhält. Aus (falsch gemeinter) Fürsorglichkeit und wohl auch Ehrgeiz, nehmen Eltern dem Kind so viel wie möglich ab: Sie ersparen ihrem Kind etwa jegliche Anstrengung. Die Mutter oder der Vater bedient das Kind quasi, indem es ihm einfachste Dinge und Aufgaben abnimmt. Das Schuhebinden, das Zimmer aufräumen, die Schulsachen für den nächsten Tag bereit machen – und wenn das Kind älter ist, das eigene Zimmer putzen. Stattdessen erstellen Eltern für die Kinder in der Freizeit Terminpläne, kutschieren es im Auto überallhin, weil man will für das Kind ja nur das Beste und es soll doch gefördert werden. Das macht, dass die Kinder während ihrer schulfreien Zeit, also in ihrer Freizeit, kaum einmal unbeaufsichtigt sind. Und sind es die Kinder einmal, überwachen sie viele Eltern mittels speziellen Handys und Apps. Die Kinder kennen Langeweile genauso wenig wie sie mit Freunden spontane Pläne schmieden können. Solche Eltern, die ihre Kinder einer Drohne gleich konstant überwachen und kontrollieren, nennt man auch Helikoptereltern. Ihr Wunsch ist es, die Kinder vor jedem Unglück zu bewahren und ihnen jede Entscheidung abzunehmen, indem sie jeden Schritt des Lebens vormachen. Der Grund für das konstante Umkreisen des Kindes hat womöglich damit zu tun, dass ein Paar im Schnitt weniger Kinder hat als früher und bei der Geburt der Kinder älter ist. Eltern mit nur einem oder zwei Kindern neigen zu übermässiger Bemutterung und Fürsorge, für die in Grossfamilien früher gar keine Zeit war. Je seltener Elternschaft geworden ist und je später sie im Leben der Eltern zustande kommt, desto stärker wird sie überhöht. Die subjektive Bedeutung des Kindes und des Elternseins nimmt enorm zu. Es ist die ganz grosse Sache, der Nachwuchs wird gehegt und gepflegt. Auf dass er keinen Schaden nehme und keine Förderung versäume. Doch auch der wachsende gesellschaftliche Druck ist dafür verantwortlich. Elsbeth Stern, Verhaltenswissenschaftlerin und Professorin an der ETH Zürich, sagte unlängst in den Medien: «Wenn den Kindern heute etwas passiert, werden die Eltern gnadenlos verurteilt.» Doch natürlich bleibe eine solche Überfürsorge nicht ohne Wirkung. «Die Kinder werden unselbständig.» 4 Nun, man könnte dieses Verhalten des Überbehütens auch einfach als verantwortungsvolles Erziehen ansehen. So, als wäre ein Kind ein total zerbrechliches Wesen. Doch das ist nicht der Fall, schreibt etwa der Lehrer und Schulpsychologe Josef Kraus im Buch «Helikopter-Eltern - Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung». Natürlich sei es notwendig Kinder vor Gefahren zu schützen. Vor Verkehr, vor Giftigem und so weiter. Doch man kann auch übertreiben – und das ist für das Kind nicht gut. Was dabei gerne vergessen geht, sind die wirklichen Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes. Psychologen und Kinderärzte sind sich einig: Wenn Eltern – einer Drohne gleich – ihre Kinder konstant überwachen und kontrollieren und sie vor allem Möglichen verschonen und ihnen vieles im Alltag abnehmen, so bringen sie ihre Kinder um lebenswichtige Lernchancen. Die Kinder lernen nicht mit Gefahren umzugehen sowie eigene Verantwortung und Initiative zu übernehmen. Doch genau das ist von essentieller Bedeutung. Denn eine solche Überfürsorge bleibt nicht ohne Wirkung: Noch nie haben sich Eltern so sehr um die Zukunft ihrer Sprösslinge gesorgt und noch nie waren die Praxen von Therapeuten so voll mit verhaltensauffälligen Kindern. Die Kinder und Jugendlichen haben materiell zwar vielleicht alles, was sie wollen und brauchen – und noch mehr. Doch sie bekommen zu wenig von dem, was sie wirklich brauchen. Viele von ihnen wissen nichts, mit sich anzufangen, können sich kaum mehr freuen. Kinder, denen nichts zugemutet wird – eine Leistung, ein Verzicht oder Frustrationen – erfahren auch nicht die Hochs und Tiefs, die zum Leben gehören. Kinder müssen die Erfahrung machen dürfen, dass sie Konflikte und Schwierigkeiten meistern können. Verwöhnt und übermässig umsorgt werden ist nicht nur ungesund, es kann Kinder auch krank machen: In einer Befragung im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von Anfang 2015 gab jeder dritte Schweizer Schüler an, unter Stresssymptomen zu leiden. Die Kinder und Teenager klagten über Bauchschmerzen und Schlafstörungen. Die Studie nannte als Gründe volle Terminkalender mit Sport-, Musik-, und Förderlektionen sowie Reizüberflutung und den konstanten Leistungs- und Erwartungsdruck von Schule und Eltern. Es ist von Erschöpfungsdepressionen die Rede, auch Burnout genannt. Interessant, bzw. erschreckend dabei sind die Auswirkungen, die verwöhnte Kinder im Erwachsenenalter zeigen – und wie sehr sich die Symptome mit jenen von vernachlässigten Kindern gleichen. 5 Obwohl man doch denken würde, die Begriffe verwöhnt und vernachlässigt könnten gegensätzlicher nicht sein: Denn verwöhnte Kinder werden von ihren Eltern zwar verhätschelt – doch immerhin kümmern sie sich um sie. Bei vernachlässigten Kindern, geht man davon aus, ist dies traurigerweise nicht der Fall. Sie werden wohl mehrheitlich sich selbst überlassen. Doch die verwöhnten und vernachlässigten Kinder eint mehr, als man im ersten Moment denken würde. Studien zeigen: Im Erwachsenenalter zeigen die verwöhnten und vernachlässigten Kinder ähnliche Symptome: Ihnen fehlt die Ausdauer Sie neigen schnell zur Resignation Sie tendieren zur schnellen Schuldzuweisung Sie zeigen Angst vor neuen Aufgaben und Anforderungen Sie haben eine immense Konsumhaltung Ihnen fehlt das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten Albert Wunsch, ein bekannter Erziehungswissenschaftler und Buchautor zum Thema Verwöhnen schreibt denn auch: «Die Verwöhnung ist das Schlimmste, was einem Kind angetan werden kann. Sie ist ein Verbrechen, weil die Kraft und der Lebensmut des Kindes gebrochen werden.» Auch der Schweizer Familien- und Paartherapeut Peter Angst warnt Eltern davor, Kinder zu sehr zu verwöhnen. Peter Angst ist Pflegevater von acht erwachsenen Kindern. Er schreibt in seinem Buch «Verwöhnte Kinder fallen nicht vom Himmel»: «Verwöhnung ist immer hausgemacht. Im fortgeschrittenen Stadium ist das fast nicht mehr oder nur sehr mühsam zu korrigieren.» Nun haben wir viel Negatives zum Thema gehört: Was Verwöhnen beinhaltet und dass es nicht gut ist, dem Kind zu viel abzunehmen. Doch was um Himmelswillen ist denn nun das Beste für ein Kind, mag man sich als Eltern fragen. Ja, was ist das Beste für ein Kind? Eine prägnante Antwort darauf habe ich irgendwo mal gehört. Sie lautet wie folgt: «Das Beste ist: Die Kunst, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel für seine Kinder da zu sein.» Aber so gut der Satz auch klingt, konkret damit anfangen können wir damit eigentlich nicht viel. Nicht zu wenig und auch nicht zu viel für sein Kind da zu sein... Versuchen wir Eltern das nicht alle? Was gilt als Übertreibung? Wo verläuft die Grenze zwischen liebevoller Zuwendung und ungutem Verhätscheln? Man bekommt als Mutter und Vater zuweilen den Eindruck, dass man nur verlieren kann. Hält man den Nachwuchs zurück, aus Angst, er sei noch nicht reif genug für mehr Selbständigkeit, bremst man ihn unnötig. Traut man ihm jedoch zu früh zu viel zu, überfordert man ihn. 6 Wie findet man also das richtige Mass in Sachen Umsorgen und Behüten? Wann engt man das Kind ein, wann schenkt man ihm zu wenig Aufmerksamkeit? Von Bauchgefühl ist in diesem Zusammenhang die Rede, von Intuition und gesundem Menschenverstand, den Eltern anwenden sollten. Doch das scheint gar nicht mehr so einfach. Was Kinder in diesem Zusammenhang wirklich brauchen, ja, was «das Beste» für ein Kind ist – dazu möchte ich Ihnen folgende interessante Aussagen zeigen, welche von Pädagogen, Psychologen und Betreuern stammen. Von Menschen also, die sich von Berufes wegen mit dem Thema auseinandersetzen. - «Kinder brauchen authentische Beziehungen. So gestärkt, können sie sich an Widerständen messen und die Welt erforschen.» Herbert Renz-Polster, Kinderpsychologe und Vater von vier Kindern. - «Die Kunst ist es zu erkennen, ab wann ein Kind etwas alleine kann.» Albert Wunsch, Erziehungswissenschaflter - «Geld ist nicht entscheidend für eine gute Kindheit. Viel wichtiger ist Geborgenheit in der Familie.» Christian Alt, Soziologe am Deutschen Institut München. - «Verwöhnen ist eine Mischung aus falschem Helfen, fehlender Herausforderung und ausbleibender Begrenzung.» Peter Angst, Psychologe und Autor des Buches „Verwöhnte Kinder fallen nicht vom Himmel“ – und Peter Angst sagt auch: - Schenkt euren Töchtern und Söhnen wieder eine eigene Kindheit. Sie können noch lange genug erwachsen sein. - Schenkt ihnen wieder ein eigenes Übungsfeld mit Langeweile, Forderungen, Problemen, Widerständen und Grenzen. - Haltet sie möglichst fern vom Konsumieren. Kinder brauchen kein Konsumparadies, aber ihre eigene Jugendzeit. Kann man Babys verwöhnen? Exkurs zur Bindungstheorie Ich nehme an, viele in diesem Raum kennen den Satz, den ich jetzt sagen werde. Vielleicht haben ihn viele von Ihnen – wie auch ich – schon selber gehört: «Pass nur auf, dass du dein Baby nicht zu sehr verwöhnst». Es ist mir wichtig, darauf einzugehen, denn all das, was wir zuvor übers Verwöhnen gehört haben – ich sprach dabei von Kindern und Jugendlichen – das gilt für Kinder im Babyalter nicht. 7 Hierzu eine kleine Geschichte aus meinem eigenen Erleben. Als ich schwanger war, gab mir eine ältere Bekannte gut gemeinte Schlaf- und Verhaltenstipps mit auf den Weg. Sie sagte, ich solle das Baby, auch wenn es lange schreien würde, einfach schreien lassen. «Es hört dann schon auf», meinte sie. Gehst du aber zu ihm hin, dann hast du den Salat: Du verwöhnst es von Beginn weg und das Kind tanzt dir danach immer auf der Nase herum. » Ich hörte zum Glück nicht auf diese gutgemeinten Ratschläge, die Intuition war stärker. Früher glaubte man in der Tat der Theorie der älteren Frau. Doch heute geht die Bindungstheorie aufgrund zahlreicher Studien davon aus, dass der Mensch von Geburt an ein biologisches Bedürfnis nach Zugehörigkeit hat. Das Baby versucht auf seine Weise durch Weinen, Schreien, Anklammern, der Bezugsperson zu signalisieren, welche Bedürfnisse es hat. Und immer geht es darum, ob die Bezugsperson auf diese Signale angemessen reagiert. Es geht nicht darum, das Kind in dieser Phase sehr zu verwöhnen. Sondern es geht vielmehr darum auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Das heisst: Es nicht unnötig lange weinen zu lassen. Seine Frustrationstoleranz nicht übermässig zu strapazieren. Das ist gemäss Bindungsforschern vor allem in den ersten drei Lebensjahren überaus wichtig. Denn Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die eine sichere Bindung erfuhren, haben eine - positive Sicht von sich selbst - besitzen eine gute Stressresistenz - sind beziehungs- und kontaktfähig - sind oft gesund und zufrieden. Gemäss Forschern ist es letztlich die Qualität der frühen Bindung, die den Grundstein bildet für ein sicheres und gesundes Leben. Eine gute Bindung ist deshalb genauso lebenswichtig wie etwa Schlaf, Bewegung oder das Stillen von Hunger und Durst. Bindung ist die emotionale Nahrung, die uns am Leben erhält. Eine Bindung muss ein Kind nicht ausschliesslich mit den Eltern haben. Weitere wichtige Bezugspersonen können Grosseltern, eine Krippenerzieherin oder Tagesmutter sein. Elementar dabei ist, dass diese Menschen verlässlich sind, feinfühlig – sowie liebevoll auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren. All dies kann gemäss Experten nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Angst, man verwöhne ein Kleinkind emotional zu sehr, ist gemäss Psychologen also unbegründet. 8 Nun aber wieder zurück zum eigentlichen Thema, dem Verwöhnen. Wann, in welchen Situationen verwöhnen wir unsere Kinder denn eigentlich? Erziehungswissenschaftler sind sich einig: Ein deutliches Zeichen für Verwöhnung ist die Schwäche der Eltern, Grenzen zu setzen. Die französische Psychoanalytikerin und Familientherapeutin Caroline Thompson schreibt in ihrem vielbeachteten Buch «Die Tyrannei der Liebe»: «Die Grenzen, die wir unseren Kindern nicht setzen können, spiegeln wider, wie unsicher die Grenzen zwischen ihnen und uns sind.» Unsere Identifikation mit unseren Kindern sei zu gross und hindere sie, autonom zu werden. «Wenn die elterliche Funktion darin besteht, unabhängige Menschen ins Erwachsenenalter zu führen, müssen wir das richtige Mass von Distanz wiederfinden, damit unsere Kinder selbständig leben und ihrerseits Kinder erziehen können.» Eine nicht zu unterschätzende Rolle hat dabei aber auch die elterliche Bequemlichkeit. Der Fünfjährige weigert sich, den Pulli anzuziehen? Also dann helfen wir ihm doch einfach dabei, es geht so schneller... So gehen wir aber den Weg des geringsten Widerstandes – und vermeiden ein Drama und verspätet im Kindergarten einzutreffen – und ev. im Job. Doch es gibt auch viele andere Situationen, in denen wir Eltern verwöhnen und verhätscheln –und oft jegliche Vorsätze über Bord werfen: Bei grossen Konflikten in der Familie. Bei schlechtem Gewissen, weil sich die Eltern z.B. haben scheiden lassen. Weil beide viel arbeiten. Wenn sich Eltern von ihrer besten Seite zeigen wollen. Wenn sie sich kritisch beobachtet oder unter Zeitdruck fühlen (z.B. beim Einkaufen). Kurz: Immer dann wenn wir uns unter Druck fühlen, neigen wir dazu, unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen. Tipps, wie Eltern die sogenannte Verwöhn-Falle umgehen, findet man in Fachartikeln, Ratgebern und Foren zuhauf. Diese Punkte, die ich allesamt für recht hilfreich halte, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Hinterfragen Sie Ihr Tun: Handeln Sie so, weil es um das Kind geht, oder um Sie selbst? Regeln und Grenzen müssen in der Familie besprochen werden. Nicht so viel reden; handeln! 9 Lassen Sie sich nicht erpressen Wer verwöhnt, traut den Kindern zu wenig zu Welche Situationen kennen Sie persönlich? Was hat Ihnen geholfen? Nov 2015/Gabriela Braun Quellen: Jürg Frick; Die Droge Verwöhnung Albert Wunsch; Die Verwöhnungsfalle Peter Angst; Verwöhnte Kinder fallen nicht vom Himmel Caroline Thompson; Die Tyrannei der Liebe Gerlinde Unverzagt, Klaus Hurrelmann; Konsum-Kinder
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