Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales: Wie lassen sich Einkommensunterschiede zwischen Berufen „erklären“? HBS-Tagung, Hattingen 1.6.2015 Dr. Anja Hall Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) Arbeitsbereich "Qualifikation, berufliche Integration und Erwerbstätigkeit“ Robert-Schuman-Platz 3 53175 Bonn ® Einkommen: Alles relativ? Ziel und Fragestellung Theoretischer Hintergrund Daten/ Untersuchungsgruppe/ Operationalisierungen Deskriptive und multivariate Ergebnisse Zusammenfassung ® Einkommen nach ausgeübter Tätigkeit (KldB 2010) Interquartilsabstand Interquartilsabstand Interquartilsabstand und Median undund Median der Median monatlichen der monatlichen der monatlichen Bruttoarbeitsentgelte Bruttoarbeitsentgelte Bruttoarbeitsentgelte 2013 nach 20122012 ausgeübter nachnach ausgeübter Qualifikation Tätigkeit Tätigkeit (KldB 2010) - sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte (ohne Auszubildende) in Deutschland - alle Tätigkeitsbereiche 25%-Quantil 75%-Quantil Median 75%-Quantil => x Naturwissenschaft, Geografie, Informatik Unternehmensorga,Buchhalt,Recht,Verwalt. Geisteswissenschaften, Kultur,Gestaltung 75%-Quantil => x Rohstoffgewinnung, Produktion, Fertigung Gesundheit, Soziales, Lehre u. Erziehung Bau,Architektur,Vermessung,Gebäudetechn. Kaufm.Dienstl.,Handel,Vertrieb,Tourismus Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit Land-, Forst-, Tierwirtschaft, Gartenbau 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 4.500 5.000 Euro x = Nachweis nicht sinnvoll, da errechneter Wert über der niedrigsten, für dieses Gebiet geltenden Beitragsbemessungsgrenze (4.900 Euro) liegt. Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Beschäftigungsstatistik, Sozialversicherungspflichtige Bruttoarbeitsentgelte (Entgeltstatistik), Nürnberg, Stichtag 31. Dezember 2013 ® Einkommen nach Berufsfeldern (KldB 1988) Mittleres monatliches Bruttoarbeitsentgelt (Median) für Vollzeitbeschäftigte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne Personen in Ausbildung) Gesamt Männer Frauen Alle Beschäftigte 2.702 2.932 2.312 Pflege- und Gesundheitsberufe ohne Approbation (BF 48) 2.244 2.748 2.127 Soziale Berufe (BF 49) 2.752 3.171 2.676 BF 48+49 2.372 2.860 2.264 Quelle: Beschäftigtenstatistik (2010), Berufe im Spiegel der Statistik, KldB 1988, eigene Berechnungen ® Ziel und Fragestellung In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (14. Mai 2015) weist Thomas Böhle, Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, darauf hin, dass der ErzieherInnenberuf schon heute der "am besten bezahlte Ausbildungsberuf" im öffentlichen Dienst sein. Frauen mit einer schulischen Ausbildung in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen haben ein um 10 Prozent höheres Einkommen als betrieblich ausgebildete Frauen (Hall/Krekel 2014). Wie lassen sich die Einkommensunterschiede zwischen Frauen mit unterschiedlichen Ausbildungsberufen im Bereich Gesundheit/Soziales „erklären“? Welche Rolle spielt der erlernte Beruf für das spätere Erwerbseinkommen, wenn individuelle, betriebliche und berufliche Merkmale kontrolliert werden? ® Theoretischer Hintergrund Das beruflich gegliederte Bildungssystem mit seinen standardisierten und berufsspezifischen Qualifikationen ist die institutionelle Basis des berufsförmig segmentierten Arbeitsmarktes (Beck/Brater/Daheim 1980). Bildungsspezifischen Segmentierung der Berufsausbildung Verwertbarkeit der Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt (Tauschwert) Berufe als Institutionen des Arbeitsmarktes Betriebsinterne Teilarbeitsmärkte ® Bildungsspezifischen Segmentierung der Ausbildung Der Zugang zur Berufsausbildung wird als eine Gatekeeping-Situation auf der gestaltenden und regulativen Ebene der beruflichen Bildung verstanden (Konietzka 2010). Schulische Ausbildung: Zugangsvoraussetzung auf regulativer Ebene, es wird überwiegend ein mittlerer Schulabschluss vorausgesetzt, z.T. auch Fachabitur (Erzieher/-innen). Trotz der rechtlichen Zugangsfreiheit zur dualen Ausbildung stehen den unteren Bildungsgruppen in der Realität erhebliche Barrieren entgegen (Uhly 2010, Baethge 2010) Betriebliche Ausbildungsstrategie; Investitions- vs. Produktionsmodell (Neubäumer 1999) → Einkommen bei abituriententypischen Ausbildungsberufen höher (Blien und Hong Van 2010) H1: Personen mit (Fach-)Abitur sollten höhere und Personen mit Hauptschulabschluss geringere Bruttostundenlöhne erzielen als Personen mit mittlerer Schulbildung. ® Verwertbarkeit der Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt Die „Tauschwertseite“ bezieht sich weniger auf die einzelnen Arbeitsinhalte, sondern auf die Verwertbarkeit dieses Arbeitskönnens auf dem Arbeitsmarkt und die Abschottung und Vermarktung der Ausbildung unter Konkurrenzbedingungen (Beck/Brater/Daheim 1980) Der Logik der berufsfachlichen Arbeitsmärkte (Lutz/Sengenberger 1974) und der Humankapitaltheorie (Winkelmann 2006) zufolge, führt ein (unfreiwilliger) Berufswechsel zu einem hohen Verlust berufsspezifischen Humankapitals. Neben einer adäquaten Ausbildung bestimmt die Angebots-Nachfrage-Relation im jeweiligen Berufssegment die Zugangschancen in Berufe, s.a. Ausbildungsstrategien von Betrieben (Neubäumer 1999) → Einkommenseinbußen im Falle von unfreiwilligen Berufswechseln (Hall 2009) H2: Personen, die ihren erlernten Beruf unfreiwillig gewechselt haben sollten geringere Bruttostundenlöhne erzielen als Personen, die im erlernten/verwandten Beruf arbeiten bzw. ihren Beruf freiwillig gewechselt haben. ® Berufe als Institutionen des Arbeitsmarktes Regulierung des beruflichen Qualifikationserwerbs (Abraham et al. 2011, Hoffman et al. 2011) -> Standardisierung, Zertifizierung (Abraham et al. 2011, Hoffman et al. 2011) Berufsspezifizität: Institutionalisierte Qualifikations- und Tätigkeitsbündel -> Signalfunktion von Berufen (Hoffman et al. 2011, Stuth 2014) Regulierung des Zugangs in Erwerbsberufe -> Substituierbarkeit und formelle Schließung Soziale bzw. berufliche Schließung ist eine Konsequenz institutionalisierter beruflicher Zuordnungsregeln (Weeden 2002, Abraham et al. 2011, Hoffman et al. 2011, Haupt 2012, Stuth 2014). → Das Einkommen steigt mit dem Schließungsgrad an (Abraham et al. 2011, Haupt 2012) H3: Je geschlossener ein Beruf ist, desto höher sollte der Bruttostundenlohn sein. ® Berufliche Teilarbeitsmärkte Der Arbeitsmarkt zerfällt in Teilarbeitsmärkte, die sich im Hinblick auf Beschäftigungsstabilität, Einkommen und Aufstiegschancen einerseits und die von Seiten der Unternehmen geleisteten Ausbildungsinvestitionen andererseits unterscheiden (Sengenberger 1987) Im betriebsinternen Segment dominieren Großbetriebe und der öffentliche Dienst. → Große Betriebe bezahlen in der Regel deutlich höhere Löhne (Brown/Medoff 1989). → Verdienstchancen von Frauen im ÖD höher als in Privatwirtschaft (Tepe/Kroos 2010) H4a: Personen, die im Öffentlichen Dienst beschäftigt sind, sollten höhere Bruttostundenlöhne erzielen als außerhalb des Öffentlichen Dienstes. H4b: Personen, die in Betrieben mit mindestens 250 Mitarbeiter/-innen beschäftigt, sollten höhere Bruttostundenlöhne erzielen als Personen in kleineren Betrieben. ® Daten: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen 2012 Grundgesamtheit: Erwerbstätige Personen ab 15 Jahren (ohne Auszubildende) mit einer bezahlten Tätigkeit von mindestens zehn Stunden pro Woche Kernerwerbstätige Stichprobenziehung: Zufallsstichprobe nach dem Gabler-Häder-Verfahren Stichprobengröße: 20.000 Erwerbstätige Befragungsform: Computergestützte telefonische Befragung (CATI, Ø 40 min) Gewichtung und Hochrechnung: am Mikrozensus 2011 Klassifizierung der Erwerbs- und Ausbildungsberufe: KldB 1992, 2010; ISCO-88, -08 ® Anja Hall, AB 2.2 Untersuchungsgruppe/ Fallzahl Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales Vergleichsgruppe: Frauen mit anderer Berufsausbildung KldB 1992 Fallzahl Altenpflegerinnen (ohne Helfer) 8640 148 Krankenpflegerinnen 853 546 Erzieherinnen 863 326 (Zahn-)Medizinische Fachangestellte 856 338 Gesundheit/Sozial Sonst BG 85-86 sonst 377 Berufsausbildung sonst BG sonst 4329 Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 ® Operationalisierungen Bruttostundenlohn: Bruttomonatsverdienste/tatsächliche Wochenarbeitszeit Validierung: Bruttomonatslohn (Median) aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten (ohne Azubis) • BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 : 2.700 € (35+ h/Woche); bei 2.800 € (40+ h/Woche). • Validierung Entgeltstatistik (Bundesagentur für Arbeit 2013, Stand 31.12.2011): 2.800 € Unfreiwilliger Berufswechsel: Jetzige Tätigkeit hat mit (letzter) Ausbildung nichts mehr zu tun (subjektive Angabe). Gründe: In meinem erlernten Beruf habe ich keine Stelle gefunden, familiäre, gesundheitliche Gründe, Arbeitszeit Schließungsgrad (angelehnt an Haupt 2012): Index von 0-4 • Die Ausbildung ist zum Beruf kongruent (Tätigkeit im erlernten bzw. verwandten Beruf) • Das Wissen ist überbetrieblich (Kenntnisse in erster Linie in der Ausbildung erworben) • Das berufliche Wissen ist in hohem Maße nutzbar (Hohe Verwertung der Ausbildungsinhalte) • Die Stelle setzt eine berufliche Qualifikation voraus (Anforderungsniveau mindestens Berufsausbildung) ® Validierung Einkommen Verdienste von Frauen im Erwerbsberuf 2010 – Amtliche Daten Krankenpflegerinnen Monatliche Bruttoarbeitsentgelt (Median), KldB88 * Bruttomonatsverdienst (Vollzeitbeschäftigte) 2.819 Verdienststrukturerhebung 2010 (Mittelwert), KldB88 ** Bruttomonatsverdienst (Vollzeitbeschäftigte) 2.826 Bruttostundenverdienst 16,7 Erzieherinnen (Z)MFA 2.631 1.660 2.696 15,9 2.095 12,4 *Beschäftigtenstatistik (2010), Berufe im Spiegel der Statistik, siehe http://bisds.infosys.iab.de sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne Auszubildende) ** Statistisches Bundesamt (2013), Verdienststrukturerhebung 2010: Beschäftigte in Betrieben mit zehn und mehr sozialversicherungspflichtigen Beschäftigte Verdienst von Frauen im Erwerbsberuf – BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 ETB 2012, KldB1992 Bruttomonatsverdienst (Median)* Bruttomonatsverdienst (Mittelwert)** Bruttostundenverdienst (Mittelwert)** Krankenpflegerinnen Erzieherinnen (Z)MFA 2.593 2.715 17,1 2.436 2.532 15,5 1.849 2.120 12,5 * sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne Auszubildende) in Vollzeit (38 h+/Woche) ** Bruttomonatslohn entspr. der Abgrenzung der Verdienststrukturerhebung 2010; Stundenlohn auf Basis der vereinbarten Arbeitszeit Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 ® Deskriptive Ergebnisse Verdienst im Berufsfeld Gesundheit/Soziales im Vergleich zu allen Erwerbstätigen mit Berufsausbildung und zu allen Erwerbstätigen Erwerbsberuf Altenpflegerinnen (ohne Helfer) Krankenpflegerinnen Erzieherinnen (Zahn-)Medizinische Fachangestellte Alle mit Berufsausbildung Alle Personen Frauen 12,6 15,5 15,5 12,6 13,5 14,7 Männer (12,1) 17,1 (14,4) -15,5 17,7 Gesamt 12,6 15,8 15,4 12,6 14,6 16,3 Angaben in Klammer Fallzahl n<50 Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 ® Deskriptive Ergebnisse Verdienst von Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales im Vergleich zu allen Personen mit Berufsausbildung Erlernter Beruf Bruttostundenlohn Altenpflegerinnen Krankenpflegerinnen Erzieherinnen (Z)MFA 8586 Sonst BA Sonst 13,1 15,3 14,9 13,0 13,5 13,4 4% 2% 5% 15% 5% 18% Tauschwert Unfreiwilliger Wechsel Bildungsspezifische Segmentierung: (Fach-)Abitur 13% 24% 37% 14% 28% 16% Hauptschulabschluss 27% 11% 7% 20% 19% 34% 3,3 3,2 2,8 2,4 2,9 2,0 Berufliche Schließung Index 0-4 Berufliche Teilarbeitsmärkte Öffentlicher Dienst 47% 53% 62% 17% 37% 18% Betriebsgröße 250 MA+ 7% 53% 11% 14% 20% 25% Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 ® Multivariate Ergebnisse zur Lohnprämie Determinanten des Einkommens von Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales (logarithmierter Bruttostundenlohn, OLS-Regressionen) M1 Altenpflegerinnen M1_1 M1_2 M1_3 M1_4 M2 ,065 ,062 ,037 -,014 ,069+ ,004 Krankenpflegerinnen ,181** ,136** ,148** ,111** ,071** -,017 Erzieherinnen ,172** ,099** ,148** ,130** ,137** ,050+ (Zahn-)Medizinische FA -,030 -,045+ -,040 -,054* -,007 -,042 Sonst Gesundheit/Sozial ,087** ,057* ,064** ,043+ ,066** ,005 Berufserfahrung (in Jahren) ,020** ,021** ,020** ,021** ,019** ,021** Berufserfahrung (quadriert) -,030** -,027** -,030** -,030** -,028** -,026** Erwerbsunterbrechung -,055** -,038** -,041** -,037** -,055** -,022+ Arbeitsort Ost -,215** -,243** -,204** -,215** -,214** -,231** Teilzeit -,078** -,074** -,068** -,069** -,051** -,039** (Fach-)Abitur Max. Hauptschulabschluss ,177** ,140** -,148** -,111** Unfreiwilliger Berufswechsel -,217** Berufliche Schließung -,115** ,062** ,043** Öffentlicher Dienst ,135** ,111** Betrieb >= 250 MA ,207** ,198** 0,182 0,261 R² 0,118 0,175 0,147 0,154 Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012. Anm.: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Frauen mit Berufsausbildung, n=4.387 RG: Berufsausbildung sonst, mittlere Schulbildung Signifikanzniveau: + p < 0.10, * p < 0.05, ** p < 0.01 ® Einkommenshöhe vs. Einkommenszufriedenheit Zufriedenheit mit Einkommen bei Frauen mit Berufsausbildung (Tätigkeit im erlernten/ verwandten Beruf) 100% 8,7% 12,8% 13,0% 13,2% 14,6% 90% 80% 14,5% 22,5% 30,2% 70% 25,0% 29,5% 34,0% 35,4% 60% 50% 40% 56,6% 50,0% 30% 52,9% 52,5% 47,2% 45,3% 20% 10% 12,3% 7,0% 5,7% 5,0% 4,7% 7,6% Gesundheit/Soziales Gesamt Altenpflegerinnen Krankenpflegerinnen Erzieherinnen (Z)MFA 0% Andere Berufsausbildung Sehr zufrieden Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 Zufrieden Weniger zufrieden Nicht zufrieden ® Zusammenfassung Wie lassen sich die höheren Einkommen von Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales erklären? Entscheidend für Einkommensunterschiede sind: • die bildungsspezifische Segmentierung • ein unfreiwilliger Berufswechsel • die Zugangschancen in den ÖD und Großbetriebe • die berufliche Schließung Eine andere Frage ist: Ist die Bezahlung angemessen bzw. leistungsgerecht? Diskrepanz: Trotz höherer Lohnprämie bei Frauen mit Berufsausbildung im Berufsfeld Gesundheit/Soziales hohe relative Unzufriedenheit mit dem Einkommen Werden die hohen Arbeitsbelastungen entsprechend honoriert? ®
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