Wiss. Mit. Oliver Aldea 1 Anbahnung des Arbeitsvertrags I. Einleitung der Vertragsanbahnung - Eigenbewerbung („Initiativbewerbung“) - Vermittlung durch die Arbeitsagenturen (§§ 35 – 37 SGB III) - Empfehlungen durch andere Mitarbeiter - Personalberater („Headhunting“) - Stellenausschreibung („Stellenangebot“) ! Unterscheide: interne Stellenausschreibung / externe Stellenausschreibung Im öffentlichen Dienst: Sowohl interne als auch externe Stellenausschreibung notwendig In der Privatwirtschaft: Freie Wahl, Betriebsrat kann aber eine innerbetriebliche Ausschreibung verlangen (§ 93 S. 1 BetrVG) ! Ausschreibung muss geschlechtsneutral erfolgen (§ 611b BGB), Ausnahme: Geschlecht ist unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit. Wiss. Mit. Oliver Aldea 2 ! Ausweitung des Gebots neutraler Ausschreibung durch das geplante „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ [früher noch: „Antidiskriminierungsgesetz“] II. Ansprüche des Stellenbewerbers 1. Ersatz von Vorstellungskosten? Nach h.M. nur unter zwei Voraussetzungen: (1) Aufforderung zur Vorstellung durch den AG und (2) kein ausdrücklicher Ausschluss der Kostenübernahme Kostenerstattung aber auch durch die Arbeitsagentur möglich, §§ 45 f. SGB III. Etwaigen Verdienstausfall trägt dagegen grds. der alte Arbeitgeber (§§ 629, 616 BGB). 2. Rückgabe der Bewerbungsunterlagen Wiss. Mit. Oliver Aldea 3 3. Vernichtung von Personalfragebögen, wenn kein Arbeitsverhältnis zustande kommt III. Auswahl eines Stellenbewerbers 1. Informationsrechte des Arbeitgebers Interessenkonflikt: AG will möglichst viel über den Bewerber wissen, um eine sachgerechte Auswahlentscheidung treffen zu können ↔ AN will sich in möglichst gutem Licht darstellen und wenig Nachteiliges preisgeben a. Aufklärungspflichten des Bewerbers Nur solche Umstände, die die Erfüllung des Arbeitsvertrags unmöglich machen oder sonst für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (Treu und Glauben, § 242 BGB). Wiss. Mit. Oliver Aldea 4 ! Wer die elementarsten Grundanforderungen des Vertrags nicht erfüllen kann und trotzdem auf ein Vertragsangebot eingeht, verhält sich treuwidrig. Der Bewerber muss bspw. offenbaren: Krankheiten oder Behinderungen, wenn die Einsatzfähigkeit auf der ausgeschriebenen Stelle dadurch unmöglich wird oder erheblich herabgesetzt wird. Bevorstehender Antritt einer Freiheitsstrafe oder ein Wettbewerbsverbot. Nicht dagegen: Schwangerschaft! Der Arbeitgeber muss ggf. offenbaren: Bevorstehende Zahlungsunfähigkeit; außergewöhnliche Tätigkeitsanforderungen, die nicht ohne Weiteres erkennbar sind (z.B. Auslandseinsatz); noch ausstehende oder fehlende Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 BetrVG. Wiss. Mit. Oliver Aldea 5 b. Fragerecht des Arbeitgebers Ist v.a. durch Art. 12 GG geschützt. Muss aber entgegenstehende berechtigte Interessen des AN berücksichtigen. Diese sind geschützt durch: - Spezielle Diskriminierungsverbote (§ 611a BGB [Geschlecht]; § 81 SGB IX [Schwerbehinderung] und zukünftig im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“) - Besondere Grundrechte (z.B. Art. 3 Abs. 3 GG; Art. 4 Abs. 1 GG; Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG; Art. 12 GG) - Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) ! Interessenabwägung im Einzelfall nötig, um die Zulässigkeit einer Frage zu ermitteln! Grundsatz des BAG daher: Der AG muss im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung der Frage haben, das das Interesse des AN, seine persönlichen Lebensumstände geheim zu halten, überwiegt. Wiss. Mit. Oliver Aldea 6 Faustformel: Je mehr die Frage in die private Sphäre des AN hineinreicht, desto eher ist sie unzulässig. aa. Generell zulässige Fragen - Fachliche Qualifikation für die Stelle, - Ausbildung (Schulabschlüsse, Studiengang) - Beruflicher Werdegang, - Sprachkenntnisse - letzte Tätigkeit etc. bb. Begrenzt zulässige Fragen - Vorstrafen: Nur zulässig, wenn (1) die Tat für die angestrebte Tätigkeit Bedeutung hat und (2) noch nicht im Bundeszentralregister zu tilgen bzw. getilgt ist oder nicht in ein Führungszeugnis einzutragen ist (§ 51 Abs. 1 BZRG). - Krankheit: Zulässig, wenn durch Krankheit die Eignung für die Tätigkeit dauerhaft oder regelmäßig Wiss. Mit. Oliver Aldea 7 beeinträchtigt wird oder die Krankheit ansteckend ist und Kollegen und Kunden gefährden kann. - Vermögensverhältnisse: Zulässig nur bei Führungskräften oder AN mit Vertrauensstellung - Zugehörigkeit zu einer Partei, Gewerkschaft, Religionsgemeinschaft: Zulässig nur, wenn der AG einen grundrechtlich geschützten Tendenzzweck verfolgt (z.B. Kirche, Partei, Gewerkschaft, politische Stiftung)! s. auch die Ausnahme im geplanten „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ - Schwerbehinderteneigenschaft: Grundsätzlich unzulässig, außer bestimmte körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit sind wesentliche und entscheidende Voraussetzung für die angestrebte Tätigkeit. Grund: Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB IX und im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ - Rasse/ethnische Herkunft; sexuelle Identität: In Zukunft (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) wohl Wiss. Mit. Oliver Aldea 8 nur zulässig, soweit keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung. cc. Generell unzulässige Fragen - h.M.: Schwangerschaft Grund: Frage benachteiligt Frauen wegen ihres Geschlechts und daher Verstoß gegen § 611a BGB bzw. das geplante „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ [a.A.: Frage zulässig bei befristetem Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverbot während des wesentlichen Teils der Vertragslaufzeit] c. Rechtsfolgen von Falschauskünften / unterlassenen Auskünften - Bei zulässiger Frage: ● Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, ggf. § 119 Abs. 2 BGB ● Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB [c.i.c.] Wiss. Mit. Oliver Aldea 9 ● Schadensersatz aus Delikt (bspw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) - Bei unzulässiger Frage: Keine Folgen („Recht zur Lüge“) 2. Sonstige Auswahlinstrumente a. Fragebögen Dürfen nur solche Fragen enthalten, die auch in einem Vorstellungsgespräch zulässig wären. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, § 94 Abs. 1 BetrVG. b. Einstellungstests (z.B. Leistungstests, analytische Intelligentests, Persönlichkeitstests) Zulässig, soweit mit dem Test die Eignung des Bewerbers festgestellt werden kann und er nicht unangemessen ausgeforscht wird. Der Test muss wissenschaftlich anerkannt sein und der Bewerber muss (konkludent) zustimmen. Wiss. Mit. Oliver Aldea 10 c. Graphologische Gutachten Zulässig, mit Einverständnis des Bewerbers. Nach h.M. stellt die Einsendung handgeschriebener Unterlagen auf Anforderung eine konkludente Zustimmung dar. d. Einstellungsuntersuchungen Erfordert das Einverständnis des Bewerbers und entbindet den Arzt zugleich von seiner Schweigepflicht. Einschränkungen in der Eignung dürfen dem AG aber nur mitgeteilt werden, wenn er auch danach hätte fragen dürfen. Bei Jugendlichen ist die Untersuchung zwingend, § 32 Abs. 1 JArbSchG. Wiss. Mit. Oliver Aldea 11 IV. Beispielsfall A bewirbt 2006 sich im Juweliergeschäft des B um eine Stelle als Verkäufer. Die Stelle bringt es mit sich, dass A häufig alleine im Geschäft ist und abends die Abrechnung machen muss. B fragt ihn im Bewerbungsgespräch, ob er vorbestraft sei. A verneint dies, obwohl er 1996 bereits wegen Unterschlagung und Diebstahls zu 90 Tagessätzen verurteilt worden war und erst 2004 wegen Trunkenheit im Verkehr zu 100 Tagessätzen. A hat auch einige „Punkte in Flensburg“. Auch die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit verneint A, obwohl er Mitglied von ver.di ist. B fragt weiter, ob A schwer behindert sei, was A mit „nein“ beantwortet, obwohl dies der Fall ist (GdB 50 %). Die angestrebte Tätigkeit beeinträchtigt dies gleichwohl nicht. Einen vor anderthalb Jahren erlittenen Nervenzusammenbruch erwähnt A erst gar nicht. B schließt am Ende des Gesprächs mit A einen Arbeitsvertrag. Wiss. Mit. Oliver Aldea 12 Unglücklicherweise erfährt B kurze Zeit später aber die Wahrheit. Nach anwaltlicher Beratung erklärt B nun die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung des A. Besteht dieser Anfechtungsgrund? I. Vorüberlegung: Welche Fragen hat A falsch beantwortet bzw. welche Tatsachen nicht offenbart? - Vorstrafen: 1. Diebstahl/Unterschlagung, 90 Tagessätze, 1996 2. Trunkenheit im Verkehr, 100 Tagessätze, 2004 - „Punkte in Flensburg“ - Gewerkschaftszugehörigkeit - Schwerbehinderung - Nervenzusammenbruch II. Anfechtungsgrund § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB? a. Täuschung über Tatsachen? ! Positives Tun oder Unterlassen. ! Hier: aa. Aktive Täuschung über - Vorstrafen (+), (bei Aufklärungspflicht) Wiss. Mit. Oliver Aldea 13 - Gewerkschaftszugehörigkeit (+), - Schwerbehinderung (+) - Einträge im Verkehrszentralregister („Punkte in Flensburg“) (-) ! Keine Vorstrafen. B hat aber nur nach „Vorstrafen“ gefragt. bb. Unterlassene Aufklärung hinsichtlich - Nervenzusammenbruchs ! Bestand Aufklärungspflicht? ! Bei Krankheiten nur, wenn die Einsatzfähigkeit auf der ausgeschriebenen Stelle dadurch unmöglich wird oder erheblich herabgesetzt wird. ! Hier wohl (-), da enge Auslegung - Eintragungen im Verkehrszentralregister (-), da keine Auswirkungen auf die Vertragsdurchführung b. Dadurch Irrtum des B (+) c. Ursächlichkeit für Einstellung seitens B (+) Wiss. Mit. Oliver Aldea 14 d. Arglist des A (+) ! Vorsatz e. Rechtswidrigkeit der Täuschung? (ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, h.M.) ! Grds.: Täuschung ist rechtswidrig. ! Ausnahme: Falsche Antwort auf eine unzulässige Frage des Arbeitgebers. Täuschung ist dann nicht rechtswidrig (sog. Recht zur Lüge). ! Waren die Fragen des B unzulässig? aa. Vorstrafen: Frage zulässig, wenn (1) die Tat für die angestrebte Tätigkeit Bedeutung hat und (2) noch nicht im Bundeszentralregister getilgt ist oder nicht in ein Führungszeugnis einzutragen ist (§§ 51 Abs. 1, 53 Bundeszentralregistergesetz [BZRG]). ! Verurteilung wg. Diebstahls/Unterschlagung zu 90 Tagessätzen: Ist nicht in ein Führungszeugnis einzutragen (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a BZRG) und i.Ü. nach fünf Jahren (2001) zu tilgen bzw. bereits getilgt. Wiss. Mit. Oliver Aldea 15 ! Verurteilung wg. Trunkenheit im Verkehr zu 100 Tagessätzen: Keine Tilgung, Aufnahme im Führungszeugnis, aber: Tat hat wohl keine Bedeutung für Tätigkeit als Verkäufer bei B. bb. Schwerbehinderung ! Frage grundsätzlich unzulässig, außer bestimmte körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit sind wesentliche und entscheidende Voraussetzung für die angestrebte Tätigkeit (Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB IX). ! hier: Behinderung hat keine Auswirkungen auf die Tätigkeit. Frage nach h.M. unzulässig [a.A. früher das BAG] cc. Gewerkschaftszugehörigkeit ! Ist vom Recht auf Vereinigungsfreiheit umfasst, Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. ! Abwägung mit AG-Interessen: Frage nur bei Unternehmen mit Tendenzzweck zulässig (hier z.B.: Wiss. Mit. Oliver Aldea 16 Gewerkschaft). Anderenfalls kein berechtigtes Interesse des AG denkbar. ! Hier: Frage unzulässig. f. Ergebnis Alle Fragen waren unzulässig. A hatte „Recht zur Lüge“. Täuschung war nicht rechtswidrig. Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (-)
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