Vertragsanbahnung - T

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Anbahnung des Arbeitsvertrags
I. Einleitung der Vertragsanbahnung
- Eigenbewerbung („Initiativbewerbung“)
- Vermittlung durch die Arbeitsagenturen (§§ 35 – 37
SGB III)
- Empfehlungen durch andere Mitarbeiter
- Personalberater („Headhunting“)
- Stellenausschreibung („Stellenangebot“)
! Unterscheide: interne Stellenausschreibung / externe
Stellenausschreibung
Im öffentlichen Dienst: Sowohl interne als auch externe
Stellenausschreibung notwendig
In der Privatwirtschaft: Freie Wahl, Betriebsrat kann
aber eine innerbetriebliche Ausschreibung verlangen
(§ 93 S. 1 BetrVG)
! Ausschreibung muss geschlechtsneutral erfolgen
(§ 611b BGB), Ausnahme: Geschlecht ist
unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit.
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! Ausweitung des Gebots neutraler Ausschreibung
durch das geplante „Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz“ [früher noch:
„Antidiskriminierungsgesetz“]
II. Ansprüche des Stellenbewerbers
1. Ersatz von Vorstellungskosten?
Nach h.M. nur unter zwei Voraussetzungen:
(1) Aufforderung zur Vorstellung durch den AG und
(2) kein ausdrücklicher Ausschluss der
Kostenübernahme
Kostenerstattung aber auch durch die Arbeitsagentur
möglich, §§ 45 f. SGB III.
Etwaigen Verdienstausfall trägt dagegen grds. der alte
Arbeitgeber (§§ 629, 616 BGB).
2. Rückgabe der Bewerbungsunterlagen
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3. Vernichtung von Personalfragebögen, wenn kein
Arbeitsverhältnis zustande kommt
III. Auswahl eines Stellenbewerbers
1. Informationsrechte des Arbeitgebers
Interessenkonflikt: AG will möglichst viel über den
Bewerber wissen, um eine sachgerechte
Auswahlentscheidung treffen zu können ↔ AN will
sich in möglichst gutem Licht darstellen und wenig
Nachteiliges preisgeben
a. Aufklärungspflichten des Bewerbers
Nur solche Umstände, die die Erfüllung des
Arbeitsvertrags unmöglich machen oder sonst für den
Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind
(Treu und Glauben, § 242 BGB).
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! Wer die elementarsten Grundanforderungen des
Vertrags nicht erfüllen kann und trotzdem auf ein
Vertragsangebot eingeht, verhält sich treuwidrig.
Der Bewerber muss bspw. offenbaren: Krankheiten
oder Behinderungen, wenn die Einsatzfähigkeit auf der
ausgeschriebenen Stelle dadurch unmöglich wird oder
erheblich herabgesetzt wird.
Bevorstehender Antritt einer Freiheitsstrafe oder ein
Wettbewerbsverbot.
Nicht dagegen: Schwangerschaft!
Der Arbeitgeber muss ggf. offenbaren: Bevorstehende
Zahlungsunfähigkeit; außergewöhnliche
Tätigkeitsanforderungen, die nicht ohne Weiteres
erkennbar sind (z.B. Auslandseinsatz); noch
ausstehende oder fehlende Zustimmung des
Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 BetrVG.
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b. Fragerecht des Arbeitgebers
Ist v.a. durch Art. 12 GG geschützt. Muss aber
entgegenstehende berechtigte Interessen des AN
berücksichtigen. Diese sind geschützt durch:
- Spezielle Diskriminierungsverbote (§ 611a BGB
[Geschlecht]; § 81 SGB IX [Schwerbehinderung] und
zukünftig im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“)
- Besondere Grundrechte (z.B. Art. 3 Abs. 3 GG; Art. 4
Abs. 1 GG; Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG; Art. 12 GG)
- Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artt. 2
Abs. 1, 1 Abs. 1 GG)
! Interessenabwägung im Einzelfall nötig, um die
Zulässigkeit einer Frage zu ermitteln!
Grundsatz des BAG daher: Der AG muss im Hinblick
auf das Arbeitsverhältnis ein berechtigtes,
billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der
Beantwortung der Frage haben, das das Interesse des
AN, seine persönlichen Lebensumstände geheim zu
halten, überwiegt.
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Faustformel: Je mehr die Frage in die private
Sphäre des AN hineinreicht, desto eher ist sie
unzulässig.
aa. Generell zulässige Fragen
- Fachliche Qualifikation für die Stelle,
- Ausbildung (Schulabschlüsse, Studiengang)
- Beruflicher Werdegang,
- Sprachkenntnisse
- letzte Tätigkeit etc.
bb. Begrenzt zulässige Fragen
- Vorstrafen: Nur zulässig, wenn (1) die Tat für die
angestrebte Tätigkeit Bedeutung hat und (2) noch nicht
im Bundeszentralregister zu tilgen bzw. getilgt ist oder
nicht in ein Führungszeugnis einzutragen ist (§ 51 Abs.
1 BZRG).
- Krankheit: Zulässig, wenn durch Krankheit die
Eignung für die Tätigkeit dauerhaft oder regelmäßig
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beeinträchtigt wird oder die Krankheit ansteckend ist
und Kollegen und Kunden gefährden kann.
- Vermögensverhältnisse: Zulässig nur bei
Führungskräften oder AN mit Vertrauensstellung
- Zugehörigkeit zu einer Partei, Gewerkschaft,
Religionsgemeinschaft: Zulässig nur, wenn der AG
einen grundrechtlich geschützten Tendenzzweck
verfolgt (z.B. Kirche, Partei, Gewerkschaft, politische
Stiftung)! s. auch die Ausnahme im geplanten
„Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“
- Schwerbehinderteneigenschaft: Grundsätzlich
unzulässig, außer bestimmte körperliche Funktionen,
geistige Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit sind
wesentliche und entscheidende Voraussetzung für die
angestrebte Tätigkeit.
Grund: Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB IX
und im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“
- Rasse/ethnische Herkunft; sexuelle Identität: In
Zukunft (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) wohl
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nur zulässig, soweit keine wesentliche und
entscheidende berufliche Anforderung.
cc. Generell unzulässige Fragen
- h.M.: Schwangerschaft
Grund: Frage benachteiligt Frauen wegen ihres
Geschlechts und daher Verstoß gegen § 611a BGB bzw.
das geplante „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“
[a.A.: Frage zulässig bei befristetem Arbeitsverhältnis
und Beschäftigungsverbot während des wesentlichen
Teils der Vertragslaufzeit]
c. Rechtsfolgen von Falschauskünften /
unterlassenen Auskünften
- Bei zulässiger Frage:
● Anfechtung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, ggf. § 119
Abs. 2 BGB
● Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs.
2, 241 Abs. 2 BGB [c.i.c.]
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● Schadensersatz aus Delikt (bspw. § 823 Abs. 2 BGB
i.V.m. § 263 StGB)
- Bei unzulässiger Frage:
Keine Folgen („Recht zur Lüge“)
2. Sonstige Auswahlinstrumente
a. Fragebögen
Dürfen nur solche Fragen enthalten, die auch in einem
Vorstellungsgespräch zulässig wären.
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, § 94 Abs. 1
BetrVG.
b. Einstellungstests (z.B. Leistungstests, analytische
Intelligentests, Persönlichkeitstests)
Zulässig, soweit mit dem Test die Eignung des
Bewerbers festgestellt werden kann und er nicht
unangemessen ausgeforscht wird. Der Test muss
wissenschaftlich anerkannt sein und der Bewerber muss
(konkludent) zustimmen.
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c. Graphologische Gutachten
Zulässig, mit Einverständnis des Bewerbers. Nach h.M.
stellt die Einsendung handgeschriebener Unterlagen auf
Anforderung eine konkludente Zustimmung dar.
d. Einstellungsuntersuchungen
Erfordert das Einverständnis des Bewerbers und
entbindet den Arzt zugleich von seiner Schweigepflicht.
Einschränkungen in der Eignung dürfen dem AG aber
nur mitgeteilt werden, wenn er auch danach hätte fragen
dürfen. Bei Jugendlichen ist die Untersuchung
zwingend, § 32 Abs. 1 JArbSchG.
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IV. Beispielsfall
A bewirbt 2006 sich im Juweliergeschäft des B um eine
Stelle als Verkäufer. Die Stelle bringt es mit sich, dass
A häufig alleine im Geschäft ist und abends die
Abrechnung
machen
muss.
B
fragt
ihn
im
Bewerbungsgespräch, ob er vorbestraft sei. A verneint
dies, obwohl er 1996 bereits wegen Unterschlagung und
Diebstahls zu 90 Tagessätzen verurteilt worden war und
erst 2004 wegen Trunkenheit im Verkehr zu 100
Tagessätzen. A hat auch einige „Punkte in Flensburg“.
Auch die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
verneint A, obwohl er Mitglied von ver.di ist. B fragt
weiter, ob A schwer behindert sei, was A mit
„nein“ beantwortet, obwohl dies der Fall ist (GdB 50 %).
Die angestrebte Tätigkeit beeinträchtigt dies gleichwohl
nicht.
Einen
vor
anderthalb
Jahren
erlittenen
Nervenzusammenbruch erwähnt A erst gar nicht. B
schließt am Ende des Gesprächs mit A einen
Arbeitsvertrag.
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Unglücklicherweise erfährt B kurze Zeit später aber die
Wahrheit. Nach anwaltlicher Beratung erklärt B nun die
Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger
Täuschung des A. Besteht dieser Anfechtungsgrund?
I. Vorüberlegung: Welche Fragen hat A falsch
beantwortet bzw. welche Tatsachen nicht offenbart?
- Vorstrafen:
1. Diebstahl/Unterschlagung, 90 Tagessätze, 1996
2. Trunkenheit im Verkehr, 100 Tagessätze, 2004
- „Punkte in Flensburg“
- Gewerkschaftszugehörigkeit
- Schwerbehinderung
- Nervenzusammenbruch
II. Anfechtungsgrund § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB?
a. Täuschung über Tatsachen?
!
Positives
Tun
oder
Unterlassen.
! Hier:
aa. Aktive Täuschung über
- Vorstrafen (+),
(bei
Aufklärungspflicht)
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- Gewerkschaftszugehörigkeit (+),
- Schwerbehinderung (+)
- Einträge im Verkehrszentralregister („Punkte in
Flensburg“) (-)
! Keine Vorstrafen. B hat aber nur nach
„Vorstrafen“ gefragt.
bb. Unterlassene Aufklärung hinsichtlich
- Nervenzusammenbruchs
! Bestand Aufklärungspflicht?
! Bei Krankheiten nur, wenn die Einsatzfähigkeit auf
der ausgeschriebenen Stelle dadurch unmöglich wird
oder erheblich herabgesetzt wird.
! Hier wohl (-), da enge Auslegung
- Eintragungen im Verkehrszentralregister (-), da keine
Auswirkungen auf die Vertragsdurchführung
b. Dadurch Irrtum des B (+)
c. Ursächlichkeit für Einstellung seitens B (+)
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d. Arglist des A (+) ! Vorsatz
e. Rechtswidrigkeit der Täuschung? (ungeschriebenes
Tatbestandsmerkmal, h.M.)
! Grds.: Täuschung ist rechtswidrig.
! Ausnahme: Falsche Antwort auf eine unzulässige
Frage des Arbeitgebers. Täuschung ist dann nicht
rechtswidrig (sog. Recht zur Lüge).
! Waren die Fragen des B unzulässig?
aa. Vorstrafen: Frage zulässig, wenn (1) die Tat für die
angestrebte Tätigkeit Bedeutung hat und (2) noch nicht
im Bundeszentralregister getilgt ist oder nicht in ein
Führungszeugnis einzutragen ist (§§ 51 Abs. 1, 53
Bundeszentralregistergesetz [BZRG]).
! Verurteilung wg. Diebstahls/Unterschlagung zu
90 Tagessätzen: Ist nicht in ein Führungszeugnis
einzutragen (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a BZRG) und i.Ü.
nach fünf Jahren (2001) zu tilgen bzw. bereits getilgt.
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! Verurteilung wg. Trunkenheit im Verkehr zu 100
Tagessätzen: Keine Tilgung, Aufnahme im
Führungszeugnis, aber: Tat hat wohl keine Bedeutung
für Tätigkeit als Verkäufer bei B.
bb. Schwerbehinderung
! Frage grundsätzlich unzulässig, außer bestimmte
körperliche Funktionen, geistige Fähigkeiten oder die
seelische Gesundheit sind wesentliche und
entscheidende Voraussetzung für die angestrebte
Tätigkeit (Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 SGB
IX).
! hier: Behinderung hat keine Auswirkungen auf die
Tätigkeit. Frage nach h.M. unzulässig [a.A. früher das
BAG]
cc. Gewerkschaftszugehörigkeit
! Ist vom Recht auf Vereinigungsfreiheit umfasst, Art.
9 Abs. 3 S. 2 GG.
! Abwägung mit AG-Interessen: Frage nur bei
Unternehmen mit Tendenzzweck zulässig (hier z.B.:
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Gewerkschaft). Anderenfalls kein berechtigtes Interesse
des AG denkbar.
! Hier: Frage unzulässig.
f. Ergebnis
Alle Fragen waren unzulässig. A hatte „Recht zur Lüge“.
Täuschung war nicht rechtswidrig. Anfechtungsgrund
nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB (-)