Ausbruch aus der Spießer-Welt - LS

8. KW 2015
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LS Journalismus und PR, Taunusstein
Das Redaktionsbüro von Lutz Schulmann
Ausbruch aus der
Spießer-Welt
ZDF-Dreiteiler „Ku’damm 56“ beschreibt anhand einer Familiengeschichte
die gravierende Veränderung der Nachkriegs-Gesellschaft
(LS) Was für uns längst ein gesellschaftlich
und gesetzlich anerkannter Wert ist, die Selbstbestimmung von Mann und Frau, war Mitte der
50er Jahre für viele nur ein Wunschtraum. Die
Bundesrepublik stellte sich in Mehrheit prüde
1956: Das Kriegsende liegt
etwas mehr als ein Jahrzehnt
zurück, die ersten Aufbaujahre
haben vielen Menschen einen
bescheidenen Wohlstand gebracht. Manch einen hat es
ganz nach oben gespült, und es
gibt auch wieder Reichtum.
West-Berlin mit seiner politi-
und konservativ dar, aber unter der Oberfläche
brodelte es. Die Generation der Jugendlichen
und jungen Erwachsenen begehrte – leise oder
lauter – auf. Davon handelt der ZDF-Dreiteiler
„Ku’damm 56“ am 20., 21. und 23. März.
schen Insellage nimmt eine Sonderstellung ein. Hier begegnen
sich die unterschiedlichsten
Typen: Glücksritter, kalte Krieger, Otto Normalverbraucher.
An der aufblühenden Nobelmeile Kurfürstendamm versucht Caterina Schöllack (Claudia Michelsen), deren Mann
Gerd seit 1944 vermisst wird,
sich mit ihren drei Töchtern so
gut wie möglich durchzuschlagen. Sie betreibt die Tanzschule
„Galant“, in der ausschließlich
Standardtänze und Benimm
gelehrt werden. Einen Großteil
ihrer Zeit investiert sie darin,
Monika (Sonja Gerhardt), Helga
(Maria Ehrich) und Eva (Emilia Schüle) möglichst vorteilhaft unter die Haube zu bringen. Die Töchter verhalten sich
allerdings längst nicht immer
so, wie es sich die Mutter
wünscht.
Rebellion mit
Rock ’n’ Roll
Bei Helga Schöllacks Hochzeit: Uwe Ochsenknecht als Fritz Assmann,
der gute Geist der Tanzschule „Galant“, Heino Ferch und Emilia Schüle
als Paar Professor Fassbender und Eva Schöllack sowie Sabin Tambrea,
der Monikas Verehrer Joachim darstellt.
Foto: ZDF/Stefan Erhard
Gewiss nicht
nur gute
Erinnerungen
(LS) Die 50er Jahre in der
Bundesrepublik Deutschland waren die Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders. Endlich hatten die Menschen nach Kriegsende wieder genug zu essen, mancher
schaffte sich durch übermäßigen Verzehr den so genannten Wohlstandsbauch an.
Doch der ökonomische Aufschwung verschleierte vieles, was heute als skandalös
bezeichnet werden würde.
Autorin Heike NelsenMinkenberg arbeitet in ihrem
ZDF-Beitrag „Ku’damm 56
– Die Dokumention“ heraus,
in welchem Zustand sich
Staat und Gesellschaft damals befanden. Gesendet wird
er am Sonntag, 20. März,
21.45 Uhr, direkt im Anschluss
an den ersten Teil der Familiengeschichte „Ku’damm 56“.
Zu den Ungeheuerlichkeiten jener Zeit gehörte, dass
Homosexualität als Krankheit angesehen wurde und
strafbar war. So wie der angehende Staatsanwalt Wolfgang von Boost in der Spielhandlung musste auch Manfred Bruhns, der sich in der
Dokumentation äußert, damals seine sexuelle Orientierung unter allen Umständen
verleugnen. Jahrzehntelang
hielt er seine Homosexualität geheim. Mittlerweile ist
der ehemalige Bundesanwalt in Pension.
Seinerzeit wurden psychisch Kranke in vielen Fällen
mit Elektroschocks gequält,
der Berliner Psychiater Professor Hanfried Helmchen
verbindet mit den 50er Jahren beklemmende Erinnerungen an die so genannte
Elektrokrampftherapie.
Eine Erinnerung ganz anderer Art ist die von Playboy
und Party-Legende Rolf Eden,
dessen Familie in der Nazizeit nach Palästina floh.
1956 kehrte er als junger
Mann nach Berlin zurück und
eröffnete hier seinen ersten
Club, den „Eden Saloon“.
Für die damalige Zeit geradezu rebellisch gebärdet sich
Monika, die es fertigbringt,
gegen den Willen der Mutter
bei „Galant“ den ersten Rock’n’-Roll-Kurs in einer Berliner
Tanzschule überhaupt zu veranstalten. Beziehungsmäßig
zwischen einem Fabrikantensohn und einem jungen Wilden
hin und her gerissen, findet sie
schließlich ihren eigenen Weg.
Monika ist die zentrale Figur
in „Ku’damm 56“, an ihrem
Werdegang und ihrer Gedankenwelt wird die Geschichte
aufgerollt.
Sendetermine der drei Teile
von „Ku’damm 56“ sind Sonntag, 20., Montag, 21., und Mittwoch, 23. März. Die anderthalbstündigen Folgen beginnen jeweils um 20.15 Uhr. Das Buch
schrieb Annette Hess, Regie
führte Sven Bohse. Als Produzenten zeichnen Nico Hofmann und Benjamin Benedict
von UFA Fiction verantwortlich, die zusammen mit dem
ZDF die Fernseh-Erfolge „Dresden“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“ realisiert haben.
Lutz Schulmann
Ihr Schicksal ist mit der Tanzschule „Galant“ am Kurfürstendamm 56 aufs Engste verknüpft: Caterina Schöllack
(Claudia Michelsen) mit ihren Töchtern (von links) Helga (Maria Ehrich), Monika (Sonja Gerhardt) und Eva
(Emilia Schüle).
Foto: ZDF/Stefan Erhard
„Unvorstellbar für mich“
(HP/MM) Sie verkörpern
in „Ku'damm 56“ vier sehr
unterschiedliche Frauen. Was
hat Sie gereizt, bei diesem
Dreiteiler mitzuspielen?
Claudia Michelsen (Caterina Schöllack): Es gibt sehr
wenige verfilmte Geschichten aus dieser Zeit. Für mich
war vor allem interessant, die
Rollen der Frau von damals
und heute zu begreifen. Welche Auswirkungen haben die
Erlebnisse unserer Eltern bis
hinein in unsere Generation
und sogar in die Generation
unserer Kinder?
Sonja Gerhardt (Monika):
Als ich die Bücher das erste
Mal gelesen habe, wollte ich unbedingt Monika Schöllack spielen. Mich haben vor allem die
Entwicklung der Figur wie auch
das Rock-’n’-Roll-Tanzen und
die geschichtlichen Hintergründe der 50er Jahre gereizt.
Maria Ehrich (Helga): Ich
habe mich immer mehr vom inneren Konflikt meiner Figur begeistern lassen. Die Tatsache,
dass es solche Fälle wirklich
gab, dass homosexuelle Männer
eine Frau heirateten, um ihren
gesellschaftlichen Stand zu
wahren, und diese Frauen ihr
persönliches Glück aufgaben,
um als „ordentlich“ zu gelten
– unvorstellbar für mich.
Emilia Schüle (Eva): Meine
erste Assoziation mit 1956 war
das deutsche Wirtschaftswunder und dass der Film knallig
und bunt wird. Doch im Gegenteil: Er beleuchtet, was
hinter der Fassade stattfand.
Ich empfand es als extrem
reizvoll, jemanden darzustellen, dessen „absurde“ Grundvorstellungen vom Leben und
der Liebe so komplett anders
waren als meine.
Von Gleichberechtigungsgesetz bis Kuppelparagraph
Unsere heutige Gesellschaft genießt Freiheiten, die in den 50ern noch undenkbar waren / „Straftat“ Homosexualität
(ÖG) Die Gesetzeslage in
den 50er Jahren erscheint
heute vollkommen antiquiert.
Hierzu einige Beispiele.
• Am 1. Juli 1958 trat das
Gleichberechtigungsgesetz in
Kraft und verbesserte die rechtliche Lage der Frauen. Zuvor
war es Frauen nicht gestattet, ohne die Erlaubnis ihres Mannes
den Führerschein zu machen.
• Fortan durften Frauen ihr
Vermögen in der Ehe selbst
verwalten, und es stand ihnen
nun die Hälfte des in der Ehe
erwirtschafteten Gewinns zu.
• In den 50er Jahren durften
verheiratete Frauen lediglich
mit der Erlaubnis ihres Mannes
berufstätig sein. Bis zum Gleichberechtigungsgesetz konnte
Ungeheuerlich: Monika Schöllack (Sonja Gerhardt) tritt mit Freddy Donath (Trystan Pütter) als Rock-’n’-RollTänzerin auf. Szene aus Teil 2 von „Ku’damm 56“ am Montag, 21. März, 20.15 Uhr.
Foto: ZDF/Stefan Erhard
der Mann ohne die Zustimmung seiner Ehefrau ihr Arbeitsverhältnis kündigen.
• Im Jahr 1959 erreichten
die Festnahmen von homosexuellen Männern ihren Höhepunkt. Etwa 3.800 Männer
wurden nach § 175 wegen ihrer sexuellen Orientierung verurteilt. Erst im Jahr 1994 wurde der Artikel aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
• Laut Kuppelparagraph 180
des Strafgesetzbuchs konnten
Hauseigentümer angeklagt werden, wenn sie unverheirateten
Paaren eine Wohnung vermieteten. Sie wurden der Kuppelei
bezichtigt, da sie den Unverheirateten ermöglichten, Geschlechtsverkehr zu haben.
Erst im Jahr 1969 wurde dieses Gesetz aufgehoben.
Voller Entbehrung und Hoffnung
Nachkriegskinder machten das Beste aus einem schweren Start
(LS) Deutschland lag in Trümmern, etliche
Menschen wurden vertrieben, hatten keine Wohnung, kaum etwas zu essen. In „Wir Nach-
kriegskinder“ erinnern sich Prominente aus
Ost- und Westdeutschland an ihre jungen Jahre,
die bei alledem voller Hoffnung waren.
Da wird cool die Kippe gequält. Für Kinder hatte die Nachkriegszeit oft
auch etwas Abenteuerliches.
Foto: ZDF/privat
Die zweiteilige ZDF-Dokumentation ist an den Dienstagen
15. und 22. März, jeweils ab
20.15 Uhr, zu sehen. Buch und
Regie teilten sich Peter Adler,
Peter Hartl, Jobst Knigge und
Annette Köhler. Auf ihre Kindheit und Jugend schauen unter
anderen die Schauspieler Peter
Sodann, Winfried Glatzeder
sowie Fritz und Elmar Wepper
zurück, die allesamt ohne ihre
im Krieg vermissten Väter aufwuchsen. Ingrid van Bergen und
Eva-Maria Hagen verbrachten
ihre Kinderjahre zum Teil in
Flüchtlingquartieren.
Marie-Luise Marjan erfuhr
erst mit 16, wer ihre leiblichen
Eltern waren. Michael Degens
Vater war dem Massenmord an
den Juden zum Opfer gefallen,
er selbst hatte den Holocaust
zusammen mit seiner Mutter im
Versteck überlebt.Wibke Bruhns,
erste Moderatorin der „heute“Sendung, wurde als „Verräterkind“ beschimpft, weil ihr Vater
als Mitwisser des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 hingerichtet worden war.
Zwei, die später als Schauspieler berühmt wurden: die Brüder Fritz (links)
und Elmar Wepper.
Foto: ZDF/privat