BZ_150627_Slogan

26 Diese Woche
Die bz in Reinach
NORDWESTSCHWEIZ
SAMSTAG, 27. JUNI 2015
Pfeif auf den Slogan!
B/ 27.6.15
bz in Reinach Von einem Ort, der ein bisschen zu schnell erwachsen geworden ist
Blick über Reinach Richtung Süden. Links die Dorfkirche, rechts davon das
rötliche Hochhaus, das im Volksmund einen netten und einen bösen Namen
trägt: «Badwännli-Hochhuus» oder «Dr bluetig Duume».
KENNETH NARS
VON BENJAMIN WIELAND
Dieser Fall müsste eigentlich in jedem
Marketing-Lehrbuch stehen. Weil er so
selten ist.
Eine Gemeinde kreiert einen Slogan.
Die einen finden ihn schrecklich, die anderen sind entzückt. Nur kalt lässt ihn niemand. Der Slogan wird verrissen und vergöttert. Dann eingeführt. Kurze Zeit später kennt ihn weit über die Gemeindegrenzen hinaus jedes Kind.
«Kaff mit Pfiff» nannte sich Reinach fünf
Jahre lang. Von 1997 bis 2002. Dann wird
das «Kaff» amputiert. Drei Pünktchen rücken an seine Stelle. «. . . mit Pfiff!»,
prangt nun auf Briefpapier, Kugelschreibern und Webseite. Später, 2005, fällt
auch das «Pfiff». Ein neuer Slogan erblickt
die Welt. «Die Stadt vor der Stadt», nennt
sich Reinach ab 2007. Obwohl bis heute
verwendet, kennt man ihn kaum. «Kaff
mit Pfiff» bewies: Identität ist etwas Heik-
les, Schwieriges. Selbstbeschreibungen
noch mehr. Reinach hat es doppelt
schwer: Die Gemeinde schwankt zwischen Grösse und Beschaulichkeit. Im Baselbiet eine Macht – in Basel verlacht. Wäre Reinach eine Person, man würde über
sie sagen: irgendetwas stimmt nicht. Die
Ärmel zu kurz oder die Arme zu lang. Die
drei Wörter trafen einen Nerv.
Reinach ist kein Kaff, rein statistisch betrachtet. Das ist die Gemeinde spätestens
seit 1965 nicht mehr. Damals überschritt
das ehemalige Bauerndorf die 10 000-Einwohner-Schwelle. 1950 warens noch
3500. Ein regionales Zentrum, das ist Reinach aber auch nicht. In Reinach wird vor
allem geschlafen – Boom im Kägen-Gebiet
hin oder her.
Noch immer geistert das Kaff herum.
Das hat auch Eva Rüetschi, Präsidentin
Reinachs von 1990 bis 2004, festgestellt.
Sie war es, die den Slogan im Gemeinderat
durchboxte. «Die Abstimmung», erinnert
sie sich, «endete knapp, mit 4 zu 3». Der
Widerstand blieb. Als das Pfiff getilgt wird,
ist Rüetschi noch nicht lange aus dem Amt.
Schüler lieferten den Vorschlag
Speziell ist nicht nur der Slogan, sondern auch seine Entstehung: An der Jungbürgerfeier 1997 lancierten Rüetschi und
der damalige Verwalter einen Ideen-Wettbewerb. Eine Gruppe Schüler lieferte den
später gewählten Vorschlag.
Das Kaff liess den Kritikern keine Ruhe.
«Es hiess», sagt Rüetschi, «man dürfe sich
doch nicht selber desavouieren.» Sie aber
fand, dass gerade das Pfiff die Spannung,
die das Kaff erzeugte, wieder neutralisierte. Wie bei einer elektrischen Entladung.
«Ein Kaff hat keinen Pfiff», sagt Rüetschi.
«Wir waren aber gerade damals, in den
1990ern daran, Reinach neues Leben einzuhauchen.» Die Debatte sei zu ernst geführt worden, sagt sie heute. «Es ist doch
wie bei einem Menschen: Wer nicht über
sich selber lachen kann, nimmt sich zu
wichtig.» Der Nachfolger von Eva Rüetschi
sagt, er habe den Slogan zwar lustig gefunden. «Aber es ist wie mit jedem guten
Witz oder Zitat», sagt Urs Hintermann.
«Sie können es nicht beliebig lang wiederholen. Irgendwann wird es peinlich.»
Der neue Slogan «Stadt vor der Stadt»
gefalle ihm nach wie vor. «Wir sind eine
Stadt», sagt Hintermann. «Wir haben jedoch auch eine enge und gute Beziehung
zur ‹richtigen› Stadt, also Basel. Und wir
sehen uns auch immer mehr als Teil der
Birsstadt.»
Auch Hintermann erwähnt die Widersprüche, die für Reinach typisch sind.
«Wenn ich einkaufe, dann kaufe ich im
Dorf ein. Und wenn ich sage, ich gehe in
die Stadt, dann meine ich Basel.» Das sei
aber normal für eine Agglo-Gemeinde.
Und was würde eigentlich Reinach sagen, wäre es eine Person? «Ich pfeife auf
Slogans. Ich bin schliesslich eine Stadt.»
REINACH
GEMEINDE-WOCHE
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Sechs Tage in der
Stadt vor der Stadt
Kommende Woche spielt Reinach die Hauptrolle in der bz.
Den Anfang machen am Montag der Märli-Pfad und das
Fest «50 Johr Stadt Rynach».