Am Flughafen verfliegt der Liebesschmerz

Montag, 21. September 2015 / Nr. 217
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Kultur
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Am Flughafen verfliegt der Liebesschmerz
MUSIKTHEATER In «Arrivals
& Departures» zeigen Studierende der Hochschule Luzern
ihr Bühnentalent: mit starken
Stimmen, lauten Handygesprächen und leisem Witz.
SIMON BORDIER
[email protected]
Links der Bühne sieht das Publikum
eine Aufseherin, die wie eine Fluglotsin
mit steifen Bewegungen für Ordnung
sorgt, rechts einen Flüchtling im Schlafsack. Die beiden werden wie das Publikum Zeugen der zahlreichen Dramen,
die sich am Samstagabend im Musiktheater «Arrivals & Departures» auf der
Bühne des Stadttheaters Sursee abspielen: Abschiedsszenen, Heiratsanträge,
Liebesabenteuer, Eifersuchtsanfälle und
eine Geburt folgen einander Schlag auf
Schlag, mal auf Italienisch, mal auf
Deutsch, dann wieder auf Englisch.
Idealer Schauplatz
Eine derart geballte Ladung an Ereignissen und Emotionen könnte das Publikum schnell mal überfordern. Doch
die Gesangsstudentinnen und -studenten
der Musikhochschule Luzern haben für
ihre Auswahl an Opernnummern von
Mozart, Purcell, Händel und anderen
auch modernen Komponisten einen
Schauplatz gewählt, wo sich die Ereignisse tatsächlich überstürzen können:
in der Transitzone eines internationalen
Flughafens – ideale Kulisse für das StageLab-Projekt, mit dem die Hochschule
seit einigen Jahren dem Gesangsnachwuchs Bühnenpraxis bietet.
In leichter Abwandlung des Originaltitels «We, The Spirits Of The Air» von
Henry Purcell ist das Putzpersonal des
Flughafens zu Beginn im Chor mit «We,
The Spirits Of The Airport» zu hören.
Offenkundige oder leise Witze durchziehen die Aufführung. Eine hinreissende Kabarettnummer bieten die Sopranistin Bettina Bucher und der Bariton
Serafin Heusser als Liebespaar, das seine Beziehungsfragen lauthals per Handy löst. Es ist eine Nummer aus Gian
Carlo Menottis Oper «The Telephone»,
bei der das Gespräch in dramatischen
NACHRICHTEN
The-Who-Sänger
Daltrey erkrankt
NEW YORK sda. Die Rockband
The Who hat ihre Jubiläumstour
durch Nordamerika vorerst abgesagt. Sänger Roger Daltrey leide an
einer Hirnhautentzündung Dem
71-Jährigen gehe es zwar schon
besser, doch sei ihm von den Ärzten strikte Ruhe verordnet worden.
Die Tour zum 50-jährigen Bestehen der Band soll jetzt im
nächsten Frühjahr starten, wie
Gitarrist Pete Townshend mitteile.
Regisseur Volker
Kühn gestorben
BERLIN sda. Der Berliner Regisseur
und Kabarett-Autor Volker Kühn ist
tot. Er starb mit 81 Jahren nach
langer Krankheit, wie seine Ehefrau,
die Schauspielerin Katherina Lange,
mitteilte. Kühn gehörte in den
1960er-Jahren zu den wichtigsten
Kabarett-Textern. Er war Mitautor
und Regisseur von Programmen des
Berliner «Reichskabaretts» («Der
Guerilla lässt grüssen», 1968) oder
der Berliner «Wühlmäuse»
(«Deutschland, wir kommen!»,
1971). Er schrieb für Lore Lorentz,
Wolfgang Neuss, Hanns Dieter
Hüsch und Jürgen von Manger. Mit
Dieter Hildebrandt startete er für
das ZDF die «Notizen aus der Provinz». Kühn produzierte TV-Dokumentationen, etwa zur Unterhaltung
in der Nazi-Zeit und zum Kabarett
in den NS-Konzentrationslagern.
Emotionen in hektischer Atmosphäre: der Flughafen als Schauplatz für Operndramatik.
Bild Roger Grütter
Koloraturen der Sopranistin gipfelt.
Ruhe kehrt spätestens mit dem Countertenor Martin Caduff ein, der als «Verwirrter» die Händel-Arie «Stille amare»
anstimmt: Leise, traurig, ohne Nachdruck singt er in hoher Tonlage seinem
Liebestod entgegen und bricht tatsächlich zusammen. Sogleich eilt das ErsteHilfe-Team des Flughafens herbei, bestehend aus Maria Korovatskaya, Katharina Rückl und Susanne Andres, die sich
zu Mozarts «Ein holder Jüngling sanft
und schön» um den Patienten streiten.
Mozart entzückt auch als Quintettmusik,
mit der sich zwei Soldaten (Serafin
Heusser, Remy Burnens) zärtlich von
ihren Freundinnen trennen (Simone
Felber, Kathrin Hottiger), während Benjamin Widmer seinen schönen Bass
beisteuert.
Wehenschreie mit Anfeuerung
Als Höhepunkt ist die Geburtsszene
zu erleben, in der die Wehenschreie der
hochschwangeren Stewardess (Katharina Rückl), die anfeuernde Klavierbegleitung (Nadia Carboni) und die «Push»Rufe des Chors die Grenzen zwischen
Geräusch, Klang und Musik verschwinden lassen. Die Szene stammt aus der
Oper «Flight» von Jonathan Dove.
Das 1998 uraufgeführte Stück «Flight»
spielt ebenfalls in einem Flughafenterminal mit einem Aufseher und einem
Flüchtling als Protagonisten. «Arrivals
& Departures» lehnt sich an die Oper
an, ohne die Handlung zu betonen.
Vielmehr verschwinden die Aufseherin
(Olivia Allemann) und der Flüchtling
(Stefan Wieland) an die linke und rechte Bühnenseite, werden so zu einem Teil
der Kulisse und mischen sich nur spo-
radisch ins Geschehen ein (Regie: Regina Heer). Am nächsten kommen sich
die Sopranistin und der Countertenor
gleich zu Beginn in den gemeinsam
gesungenen Melismen in der Musik von
Jonathan Dove, um dann gebannt den
Stimmen ihrer Kollegen zu lauschen.
Das musikalische Niveau und die schauspielerische Leistung sind beachtlich.
HINWEIS
Das Musiktheater «Arrivals & Departures» läuft
heute Abend um 19.30 Uhr im Theater Pavillon
Luzern (Abendkasse ab 18.15 Uhr).
Schafft das Teenie-Idol den Quantensprung?
und Justin Timberlake, schaffen den
POP Der Schweizer TeenieAusbruch aus der Teenie-Falle.
Schwarm Luca Hänni ist flügge
«Ich kann es besser als Bohlen»
geworden. Bisher fremdbeLuca Hänni ist sich dessen bewusst
stimmt, muss er seine Karriere und hat deshalb in seinem Umfeld fast
umgekrempelt. «Ich bin an einem
in die eigenen Hände nehmen. alles
Wendepunkt», sagt er, «ich bin erwachBurgruine Klöch in der Südsteiermark.
Der Vorhang fällt, Luca Hänni und seine neue Band stehen auf der Bühne,
weibliche Fans kreischen sich die Seele
aus dem Leib. Miriam, Sarah und Co.
haben ein Ticket für die Albumpräsentation gewonnen und sind aus der
Schweiz, Deutschland und Österreich
angereist. «Wahnsinn», sagt dazu Luca
Hänni oft und gern. Es ist der normale
Wahnsinn im Leben eines Teeniestars.
Luca Hänni ist der Justin Bieber der
Schweiz, ein Teeniestar zum Anfassen.
Über 330 000 Tonträger hat der Sieger
von «Deutschland sucht den Superstar»
(DSDS) in Deutschland, Österreich und
der Schweiz verkauft. Das soll ihm erst
mal einer nachmachen.
Und doch kommt die Karriere des
Berners erst jetzt in die schwierige entscheidende Phase. Denn Casting-Sieger
verschwinden in der Regel spätestens
nach dem zweiten Album von der Bildfläche. Dazu haben Teeniestars eine
besonders kurze Halbwertszeit. «Niemand ist so illoyal wie Teenies. Nichts
ist für eine 21-Jährige so uncool wie das,
was sie mit 14 gehört hat», sagt der
bekannte deutsche Pop-Produzent und
heutige Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner. Der Wechsel
zum respektierten Pop-Künstler ist etwas
vom Schwierigsten. Und nur die Besten,
wie Michael Jackson, Robbie Williams
sener geworden und will die Sache jetzt
in die eigenen Hände nehmen.» Bisher
war er weitgehend fremdbestimmt. Beim
ersten Album «My Name Is Luca» (2012),
gleich nach dem Sieg bei «DSDS», hat
Pop-Titan Dieter Bohlen Regie geführt
und dem damals 17-jährigen Greenhorn
alles pfannenfertig vorgesetzt. Zum
zweiten Album «Living Dream» (2013),
das er mit holländischen Produzenten
aufnahm, konnte er immerhin zwei
Songs beisteuern. Doch wirklich zufrieden war er damit nicht. «Ich spürte,
dass mehr drinliegt», sagt er, «besser als
Dieter Bohlen kann ich das sowieso.»
Luca lernte den in die USA ausgewanderten Schweizer Produzenten und
Komponisten Fabian Egger kennen, zog
für drei Monate nach Los Angeles und
bastelte dort mit einem US-Produzententeam unter der Leitung von Egger
am neuen Sound von Luca Hänni.
Das Ergebnis ist ein Quantensprung.
Klang Hänni bisher ziemlich altbacken,
im Stil des europäischen Dancefloor,
bewegt sich sein neuer Sound nun
Richtung Justin Timberlake. Der neue
Luca Hänni klingt nach amerikanischem
R ’n’ B und internationalem Pop und
macht damit seine Ambitionen deutlich.
«Ich will raus, in andere Länder.» Holland, Grossbritannien und die USA
stehen bereits auf der Agenda für 2016.
Familienunternehmen
Luca Hänni ist gerade etwas
diffus zwischen Teeniestar
und echtem Musiker.
PD/Amos Sussigan
Zum Emanzipationsprozess gehört,
dass er sich von seinem deutschen
Management, der deutschen BookingAgentur sowie vom Major Universal
getrennt und zum Schweizer Independent-Label Musikvertrieb gewechselt
hat. Gerade mit Blick auf seine internationalen Ziele ist das ein geschickter
Schachzug, denn das Schweizer Label
kooperiert seit neustem mit dem grossen
deutschen Independent-Label Pias. «Ich
will ein Label, das an mich glaubt und
mit mir den Weg gehen will», sagt Hänni. Gleichzeitig hat er das Booking der
Oltner Stargarage übergeben und das
Familienunternehmen Luca Music
GmbH gegründet, in dem sein Stiefbruder Cyril Schmid die Geschäfte leitet.
Luca Hänni hat alles unter Kontrolle.
Das Casting-Küken ist flügge geworden.
Live den Beweis erbringen
Das neue Luca-Universum ist schweizerischer, die Ansprüche internationaler.
Entscheidend wird sein, ob er das Teenie-Image abstreifen kann und neue,
auch ältere Fans gewinnen kann. Dabei
spielt Slädu eine zentrale Rolle. Der
46-jährige Berner ist einer der besten
Gitarristen der Schweiz, war bei Gölä,
DJ Bobo, Florian und zuletzt acht Jahre
musikalischer Direktor bei Bligg. Jetzt
will er seine langjährige Erfahrung dem
jungen Sänger weitergeben. «Luca muss
die bestehenden Vorurteile widerlegen,
und das geht am besten über Live-Konzerte», sagt Slädu. Wer live bestehen
kann, verschafft sich Respekt und besteht auch als Künstler.
Slädu hat die Band aus bestandenen
Schweizer Musikern formiert. Bisher ist
Luca Hänni auch oft solo mit Halb-Playback aufgetreten. Das Ergebnis war
unbefriedigend. Jetzt soll er nur noch
im Bandkontext auftreten. So wie am
Konzert auf der Burgruine in Klöch. Die
internationale Feuertaufe ist geglückt.
Slädu glaubt an Luca. «Ich bewundere seine Energie. Die Absturzgefahr ist
in diesem Entwicklungsprozess gross,
bei Luca sieht er sie nicht: «Er hat alles,
was es braucht. Er ist bodenständig,
zielstrebig, hochprofessionell, spielt
mehrere Instrumente, hat eine tolle
Bühnenpräsenz und kann singen.» Es
herrscht Aufbruchstimmung. Jetzt muss
er nur noch abheben. Flieg, Luca, flieg!
STEFAN KÜNZLI
[email protected]
Luca Hänni: When We Wake Up. Musikvertrieb/Pias.
Seit Freitag im Handel.