H E IL K R Ä UTE R Lisa Peyer beim Sammeln von Malvenblüten Malva sylvestris, auch Käslikraut genannt. 16 BIOTERRA 1 / 2016 HEILKRÄ UTE R Von den Terrassen des Kräutergartens in Frümsen überblickt man das St. Galler Rheintal. DEN KRÄUTERN LIEBEVOLL ZUGEWANDT Vo n Ca r m en Ho c ker Lisa Peyer ist die Enkelin einer Appenzeller Kräuterfrau und gibt als Grossmutter nun ihrerseits ihr wertvolles Wissen weiter: ihrer Enkelin und allen anderen Kräuterbegeisterten. FOTOS: BENEDIKT DITTLI «Ich habe gar nicht gewusst, dass das Käslikraut eine Herzpflanze ist!», ruft ein Kursteilnehmer überrascht aus. «Ist es auch nicht, aber es fühlt sich im Beet der Herzpflanzen wohl und darf deshalb dort bleiben», erklärt Lisa Peyer. Eigentlich ist der Heilkräutergarten der Bachblüten- und Phytotherapeutin nach Krankheitsgebieten geordnet. Bei Führungen erleichtert diese Einteilung es, den Überblick über die rund 250 verschiedenen Heilkräuter zu behalten. So die Theorie. In der Praxis wandern manche Pflanzen dorthin, wo es ihnen am besten gefällt. «Dann ist das eben der richtige Standort», meint Lisa Peyer. Für sie muss ein Kräutergarten wild sein, dürfen sich Pflanzen ihren Lieblingsplatz selbst aussuchen. Benötigt eine mehr Schatten, wächst sie im nächsten Jahr vielleicht hinter einer grossen Staude. Vieles reguliere sich von selbst, wenn man es nur zulasse. Das heisst natürlich nicht, dass sie nicht hier und da behutsam eingreift. Als der BIOTERRA 1 / 2016 17 H E IL K R Ä UTE R Engelwurz Weinraute Steinklee Gänsefingerkraut Moxa-Kraut Gelb-bunter Beifuss Alant sich aufmachte, ihren Garten in einen Dschungel zu verwandeln, gebot sie ihm beherzt Einhalt. Vor vielen Jahren, während einer Exkursion ins Wallis, hatte Lisa Peyer auf einer Blumenwiese einen Gedankenblitz: «Ich muss heimgehen und einen Heilkräutergarten anlegen.» Damals absolvierte die vierfache Mutter und studierte Sozialpädagogin gerade eine Weiterbildung zur BachblütenTherapeutin. Da der Umschwung ums Haus als Selbstversorger-Garten genutzt wurde, musste für den Kräutergarten ein anderer Platz gefunden werden. Während sich Lisa noch sorgte, wie sie ihr Hirngespinst ihrem Mann plausibel machen sollte, reagierte dieser wenig überrascht: «Das passt zu dir, das machen wir», sagte er nur, nahm einen Block und liess seine Frau ihre Ideen zu Papier bringen. Schliesslich fanden sie einen Landwirt, der auf freiem Feld 600 m2 Land 2 18 BIOTERRA 1 / 2016 Bei den Rezepturen legt Lisa Peyer grossen Wert auf eine einfache Zubereitung, ohne eine Vielzahl von verderblichen Zutaten. FOTOS: BENEDIKT DITTLI HEILKRÄ UTE R In Lisas Kräuterwelt umranken duftende Rosen Bögen und säumen Wege. absteckte, auf dem Lisa ihren ersten Kräutergarten anlegte – noch ohne Ziel, zur eigenen Freude und zur Beobachtung. VOM MOND UND ANDEREN EINFLÜSSEN Als Familie Peyer vor zehn Jahren ihr heutiges Bauernhaus samt 1500 m2 Umschwung beziehen konnte, zügelte Lisa ihren Kräutergarten vom Feld auf die drei sonnigen Terrassen am Haus. Um den Pflanzen einen guten Start zu geben, wählte sie dafür im Mondkalender Tage, die dem Sternbild Jungfrau zugeordnet sind. Stolz erzählt sie, dass alle Pflanzen am neuen Ort Wurzeln geschlagen hätten. Sie glaube fest daran, dass der Stand des Mondes auf die Natur grossen Einfluss nehme. Gleichzeitig ist Lisa Peyer aber bewusst, dass der Alltag auch im Garten Flexibilität erfordert. Im Zweifel sei Liebe und Dankbarkeit gegenüber den Pflanzen mehr wert als jeder Mondkalender. Zum Trocknen von Duftpflanzen wählt sie, wann immer möglich, Blütentage. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Pflanzen den Duft so länger halten. Unter der Vielzahl an Mondkalendern nutzt sie jenen von Maria Thun. Deren Sohn hat ihr gesagt, dass seine Mutter und er auch die Schaltjahre bei ihren Berechnungen berücksichtigten. Lisa Peyer merkte schnell, dass sie ihr Wissen über Heilkräuter weitergeben möchte. Und zwar möglichst einfach. Von komplizierten Anweisungen für Gartenbau und Verwendung hält sie nichts. Sie möchte sich nicht von bestimmten Vorstellungen beirren und einschränken lassen. Sie habe gelernt, ihren Pflanzen etwas zuzumuten und sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen. Diese Einstellung vermittelt sie auch in ihren privaten Kursen und an der Kräuterakademie. Letztere hat sie 2007 zusammen mit einer Bauersfrau und anderen Heilkräuter-Enthusiasten gegründet. In einem modularen System können sich Interessierte in ganz unterschiedlichen Bereichen weiterbilden. Dazu zählen Anbau und Vermehrung, Küche, Färben, Mythologie und Wildfrüchte. Lisas Spezialität ist die Herstellung von Tinkturen, Heilsalben und Naturkosmetik. Von der Zahnpasta über Shampoo bis hin zum Deo stellt sie alles selbst her. Bei den Rezepturen legt sie auf eine einfache Zubereitung Wert, ohne eine Vielzahl verderblicher Zutaten. So blieben die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Begeisterung bei der Sache. VON DER GROSSMUTTER ZUR ENKELIN Lisa Peyer reist oft ins benachbarte Allgäu, wo Kräuterfrauen und -männer ihr Wissen von Generation zu Generation weitertragen. Dort sei das Wissen wirklich authentisch, da es ohne Unterbrüche weitergegeben werde. Das spüre man auch bei Büchern. Bücher haben für sie eine Seele, wenn die Autoren gelebtes Wissen vermitteln, wenn sie wirklich wüssten, wovon sie schrieben. In Lisas Peyers Familie war es die Grossmutter, die ein riesiges Kräuterwissen hatte. Sie versorgte das halbe Dorf mit Tinkturen, Salben und Teemischungen. Als Mutter von nur einer Tochter blieb ihr genügend Zeit, sich neben der Arbeit am Hof um ihren Heilkräutergarten zu kümmern. Anders war dies eine Generation später. Lisas Mama hatte fünf Kinder und einen grossen Hof. So kam es, dass erst BIOTERRA 1 / 2016 19 H E IL K R Ä UTE R Echter Kümmel Kalifornischer Goldmohn Blaue Verbene Steppen-Beifuss Schafgarbe Kamille wieder die Enkelin Lisa sich in die Welt der Heilkräuter vertiefte. Prägend dabei war der fürsorgliche Umgang, den die Grossmutter mit den Pflanzen pflegte, und deren Achtung vor der Natur. Interessanterweise hat die Kräuterlust anschliessend wieder eine Generation übersprungen. Wiederum ist es eine Enkelin, die mit ihren zehn Jahren schon viel über Heilpflanzen weiss und theatralisch angekündigt hat, die Tradition fortzuführen: «Grosi, wenn du einmal nicht mehr lebst, übernehme ich deinen Kräutergarten!» Momentan geniesst Lisa Peyer es, mit ihrer Enkelin zusammen durch den Garten zu streifen und sie beim Ernten der Heilkräuter in das eine oder andere Gartengeheimnis einzuweihen. Was aus dieser gemeinsamen Leidenschaft noch entstehen mag, überlässt sie vertrauensvoll dem Schicksal. Lisa Peyer hat für unsere Leserinnen und Leser vier Heilpflanzen-Rezepte ausgewählt, die einfach in der Herstellung sind und zur Linderung ganz unterschiedlicher Beschwerden dienen. Weitere Infos: www.lisas-kraeuterwelt.ch, www.kraeuterakademie.ch 20 BIOTERRA 1 / 2016 FOTOS: BENEDIKT DITTLI HEILKRÄ UTE R Die Jungfer im Grünen schaut keck zwischen den sonnengelben Blüten der Wiesen-Arnika hervor. Arnica chamissonis WIESEN-ARNIKA Herkunft: Nordamerika, winterharte Staude | Standort: sonnig bis halbschattig Blütezeit: Juni bis September | Blütenfarbe: sonnengelb | Höhe: bis 70 cm «Schon meine Grossmutter wusste, dass die Wiesen-Arnika in ihrer Heilwirkung mit der einheimischen Arnika Arnica montana vergleichbar ist. In ihrem appenzellischen Garten wuchsen beide. Bei uns, auf nur 450 m Höhe, gedeiht die Wiesen-Arnika aber besser. Sie vermehrt sich über Wurzelrhizome und ist für die Kultur im Garten unkomplizierter. Grund- sätzlich darf man seinen Pflanzen ruhig etwas zutrauen, denn sie sind anpassungsfähiger, als wir denken. Bei mir wächst die Wiesen-Arnika sogar auf festem, lehmhaltigem Boden. Arnika hilft bei Verletzungen durch Stoss oder Stich sowie vor und nach einer Operation oder Geburt. Sie regeneriert verletztes Gewebe.» ARNIKA-ÖL 7 Ringelblumenblüten 10 Arnikablüten 500 ml Sonnenblumenöl Die Blüten mit Öl übergiessen, zwei bis drei Wochen stehen lassen, jeden Tag etwas bewegen, damit sich die gelösten Stoffe mit dem Öl verbinden können. Abseihen und je 12 Tropfen ätherisches Öl von Lavendel und Zitrone hinzufügen – Lavendel beruhigt, Zitrone ist erfrischend. BIOTERRA 1 / 2016 21 H E IL K R Ä UTE R Gut geeignet für Sportmassage, bei Muskelkater oder Verspannungen, bei Neuralgien und Durchblutungsstörungen (kalte Füsse oder Hände). Wichtig ist, dass reine ätherische Öle verwendet werden, wobei deren Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Grundsätzlich sollte man sie vorsichtig verwenden und in der Schwangerschaft gar nicht. Geranium robertianum STINKENDER STORCHSCHNABEL Herkunft: einheimische, einjährige Wildpflanze | Standort: halbschattig, steinreicher Lehmboden | Blütezeit: Mai bis Oktober/November | Blütenfarbe: tiefrosa, hell purpurviolett | Höhe: 10 bis 50 cm «So bescheiden der Stinkende Storchschnabel wirkt, so gross ist er als Heilpflanze. Mit seinem gefiederten Laub und den kleinen Blüten ist seine Erscheinung eher unauffällig. Anders als andere GeraniumArten ist er nicht fest im Boden verankert, sondern tanzt elfengleich über dem Beet. Er ist so anpassungsfähig, dass er selbst in Mauerritzen und auf Kies wächst. Da er sich versamt, kommt er das ganze Jahr über immer wieder. Ich nutze ihn im Frühling als Bodendecker, lasse ihn überall hinwandern, solange er nicht stört. Der Stinkende Storchschnabel kommt bei mir dort zum Einsatz, wo die Ringelblume als Heilpflanze für die Haut nicht mehr helfen kann, zum Beispiel bei nässenden oder trockenen Ekzemen.» KRÄUTERMASKE 2 0,5 l Handvoll blühendes Kraut, ohne Wurzeln Jojobaöl Hafermehl «Das blühende Kraut verkleinern und mit Jojobaöl übergiessen, drei Wochen an der Wärme stehen lassen. Es darf auch etwas Morgen- oder Abendsonne haben, denn die Kraft der Sonne wirkt unterstützend. Anschliessend abseihen, mit Hafermehl vermischen, bis ein Brei entsteht, und in ein Glas abfüllen. Vor Gebrauch mit etwas Wasser oder Tee verdünnen, so dass ein streichfähiger Brei entsteht. Auf eine Tasse Wasser einen Teelöffel Kraut, frisch oder getrocknet, 5 bis 7 Minuten zugedeckt ziehen lassen. Die Maske auf Gesicht oder andere betroffene Stellen aufbringen und trocknen lassen. Wenn sie bröckelt, vorsichtig wieder lösen, mit Tee abwaschen. Zur Unterstützung sollte der entschlackende Tee auch innerlich angewandt werden. Zur Abwechslung kann Tee von Ringelblume, Ackerstiefmütterchen oder Veilchen getrunken werden.» Artemisia vulgaris BEIFUSS Herkunft: einheimische Wildstaude Standort: sonnig | Blütezeit: Juli bis September | Blütenfarbe: gelbliche bis rötlich-braune Rispen | Höhe: bis 2 m «Die griechische Göttin Artemis, Schutzherrin der Kräuterheilkundigen, hat der Pflanze ihren Namen gegeben. Der Beifuss ist eine uralte Heilpflanze, die nicht nur bei uns, sondern bis nach Persien verwendet wird. Seit dem Mittelalter wird Artemisia als Mutter aller Heilkräuter verehrt. Als Frauenheilpflanze soll sie die Fruchtbarkeit stärken, Menstruationsschmerzen lindern und die Geburt erleichtern. Früher wurde Artemisia jedoch auch für Abtreibungen verwendet – das Mass macht das Gift. Mein Grossvater hat früher den Stall mit Beifuss, Wacholder und Salbei geräuchert. Traditionell wird Gänsebraten ein Sträusschen Beifuss beigefügt, da seine Bitterstoffe helfen, fettiges Essen leichter zu verdauen. Ein Mangel an Bitterstoffen macht sich manchmal durch häufiges Kopfweh bemerkbar und kann ebenfalls mit Beifuss gelindert werden. Seine wärmende Wirkung fördert die Durchblutung. Ein Kräuterkissen im Bett beruhigt das Zentralnervensystem.» BEIFUSS-FUSSBAD 2 Handvoll Beifuss 3 Liter Wasser Beifuss in kaltes Wasser geben, aufkochen lassen und zugedeckt 5 Minuten leicht köcheln lassen, anschliessend abseihen und in ein Fussbecken giessen. Bei Unterleibsstörungen, Bauchkrämpfen, Kopfschmerzen oder kalten Füssen mit warmem Wasser auffüllen. Bei geschwollenen Füssen im Sommer beruhigt ein kalter Aufguss. Das Kraut sollte schattig und luftig trocknen, da die Sonne nicht nur die Farb-, sondern auch die Heilstoffe der Pflanzen reduziert. ZU BESUCH BEI LISA PEYER BESICHTIGUNG DES HEILKRÄUTERGARTENS UND HERSTELLEN VON SALBEN UND TINKTUREN Für unsere Leserinnen und Leser bieten wir zusammen mit Lisa Peyer einen Ganztageskurs an ihrem Wohnort an. Lisa Peyer wird durch den Garten führen und ihre rund 250 Heilkräuter vorstellen. Danach können die Teilnehmenden unter Anleitung Salben und Tinkturen herstellen. Interessiert? Reservieren Sie sich folgendes Datum: Samstag, 28. Mai 2016, in Frümsen SG. Wir werden diesen Tageskurs in unserer April-Ausgabe mit den detaillierten Informationen dazu ausschreiben. 22 BIOTERRA 1 / 2016 HEILKRÄ UTE R Geranium robertianum Stinkender Storchschnabel Der imposante, mehrjährige Alant braucht für seine Entfaltung viel Raum. Inula helenium ECHTER ALANT Herkunft: Zentralasien, winterharte Staude Standort: sonnig bis halbschattig | Blütezeit: Juli bis September | Blütenfarbe: sonnengelb | Höhe: 180 bis 200 cm «Wir gehen in den Dschungel», sagten meine Grosskinder im Sommer, als sie sich einen Weg durch die wild wachsenden Alant-Stauden bahnten. Damit der Alant zur Geltung kommt, braucht er Raum, er sollte als Solitärpflanze gesetzt werden. Er ist eine unproblematische Pflanze, die nicht von Schädlingen befallen wird und an FOTOS: BENEDIKT DITTLI Artemisia vulgaris Beifuss vielen Orten wächst. Alant ist eine sogenannte Hustenpflanze, sie hilft bei chronischen Bronchialleiden und Reizhusten. Gerne wird er auch in Mischungen, zusammen mit Thymian und Spitzwegerich, verwendet. Er regt Leber und Galle an und wird deshalb auch bei Appetitlosigkeit angewandt. Da er stark harntreibend wirkt, sollte man dabei ausreichend Wasser trinken. Alte Kräuterfrauen heben immer wieder auch seine menstruationsfördernde Wirkung hervor. Die Wurzeln wurden und werden zum Räuchern verwendet, zum Reinigen und um Altes abzuschliessen.» ALANT-WEIN 30 g frische Wurzeln, fein geschnitten 30 g Weingeist, 80% (Trinkfeinsprit) 1 l Weisswein «Die Wurzeln mit dem Weingeist übergiessen und eine Stunde stehen lassen, den Weisswein dazugeben, noch nicht abseihen. Der Weingeist löst die Heilstoffe, der Weisswein dient zur Verdünnung. Zwei Tage bei Zimmertemperatur stehen lassen, anschliessend abseihen. Zur Abwehrstärkung in der Hustenzeit oder nach einer Operation darf man täglich ein bis zwei Schnapsgläser trinken, nach dem Mittagessen oder am Abend vor dem Zubettgehen. BIOTERRA 1 / 2016 23
© Copyright 2025 ExpyDoc