Den Kräutern liebevoll zugewandt

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Lisa Peyer beim Sammeln von Malvenblüten
Malva sylvestris, auch Käslikraut genannt.
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Von den Terrassen des Kräutergartens in Frümsen
überblickt man das St. Galler Rheintal.
DEN KRÄUTERN
LIEBEVOLL
ZUGEWANDT
Vo n Ca r m en Ho c ker
Lisa Peyer ist die Enkelin
einer Appenzeller
Kräuterfrau und gibt als
Grossmutter nun ihrerseits
ihr wertvolles Wissen
weiter: ihrer Enkelin und
allen anderen Kräuterbegeisterten.
FOTOS: BENEDIKT DITTLI
«Ich habe gar nicht gewusst, dass das Käslikraut eine Herzpflanze ist!», ruft ein Kursteilnehmer überrascht aus. «Ist es
auch nicht, aber es fühlt sich im Beet der Herzpflanzen wohl
und darf deshalb dort bleiben», erklärt Lisa Peyer. Eigentlich
ist der Heilkräutergarten der Bachblüten- und Phytotherapeutin nach Krankheitsgebieten geordnet. Bei Führungen
erleichtert diese Einteilung es, den Überblick über die rund
250 verschiedenen Heilkräuter zu behalten. So die Theorie.
In der Praxis wandern manche Pflanzen dorthin, wo es ihnen
am besten gefällt. «Dann ist das eben der richtige Standort»,
meint Lisa Peyer. Für sie muss ein Kräutergarten wild sein,
dürfen sich Pflanzen ihren Lieblingsplatz selbst aussuchen.
Benötigt eine mehr Schatten, wächst sie im nächsten Jahr
vielleicht hinter einer grossen Staude. Vieles reguliere sich
von selbst, wenn man es nur zulasse. Das heisst natürlich
nicht, dass sie nicht hier und da behutsam eingreift. Als der
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Engelwurz
Weinraute
Steinklee
Gänsefingerkraut
Moxa-Kraut
Gelb-bunter Beifuss
Alant sich aufmachte, ihren Garten in einen Dschungel zu
verwandeln, gebot sie ihm beherzt Einhalt.
Vor vielen Jahren, während einer Exkursion ins Wallis,
hatte Lisa Peyer auf einer Blumenwiese einen Gedankenblitz:
«Ich muss heimgehen und einen Heilkräutergarten anlegen.»
Damals absolvierte die vierfache Mutter und studierte Sozialpädagogin gerade eine Weiterbildung zur BachblütenTherapeutin. Da der Umschwung ums Haus als Selbstversorger-Garten genutzt wurde, musste für den Kräutergarten ein
anderer Platz gefunden werden. Während sich Lisa noch
sorgte, wie sie ihr Hirngespinst ihrem Mann plausibel machen sollte, reagierte dieser wenig überrascht: «Das passt zu
dir, das machen wir», sagte er nur, nahm einen Block und
liess seine Frau ihre Ideen zu Papier bringen. Schliesslich
fanden sie einen Landwirt, der auf freiem Feld 600 m2 Land
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Bei den Rezepturen legt
Lisa Peyer grossen Wert auf
eine einfache Zubereitung,
ohne eine Vielzahl von
verderblichen Zutaten.
FOTOS: BENEDIKT DITTLI
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In Lisas Kräuterwelt umranken
duftende Rosen Bögen und säumen Wege.
absteckte, auf dem Lisa ihren ersten Kräutergarten anlegte
– noch ohne Ziel, zur eigenen Freude und zur Beobachtung.
VOM MOND UND ANDEREN EINFLÜSSEN
Als Familie Peyer vor zehn Jahren ihr heutiges Bauernhaus
samt 1500 m2 Umschwung beziehen konnte, zügelte Lisa ihren Kräutergarten vom Feld auf die drei sonnigen Terrassen
am Haus. Um den Pflanzen einen guten Start zu geben, wählte sie dafür im Mondkalender Tage, die dem Sternbild Jungfrau zugeordnet sind. Stolz erzählt sie, dass alle Pflanzen am
neuen Ort Wurzeln geschlagen hätten. Sie glaube fest daran,
dass der Stand des Mondes auf die Natur grossen Einfluss
nehme. Gleichzeitig ist Lisa Peyer aber bewusst, dass der
Alltag auch im Garten Flexibilität erfordert. Im Zweifel sei
Liebe und Dankbarkeit gegenüber den Pflanzen mehr wert
als jeder Mondkalender. Zum Trocknen von Duftpflanzen
wählt sie, wann immer möglich, Blütentage. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Pflanzen den Duft so länger halten.
Unter der Vielzahl an Mondkalendern nutzt sie jenen von
Maria Thun. Deren Sohn hat ihr gesagt, dass seine Mutter
und er auch die Schaltjahre bei ihren Berechnungen berücksichtigten.
Lisa Peyer merkte schnell, dass sie ihr Wissen über Heilkräuter weitergeben möchte. Und zwar möglichst einfach.
Von komplizierten Anweisungen für Gartenbau und Verwendung hält sie nichts. Sie möchte sich nicht von bestimmten
Vorstellungen beirren und einschränken lassen. Sie habe
gelernt, ihren Pflanzen etwas zuzumuten und sich auf ihr
Bauchgefühl zu verlassen. Diese Einstellung vermittelt sie
auch in ihren privaten Kursen und an der Kräuterakademie.
Letztere hat sie 2007 zusammen mit einer Bauersfrau und
anderen Heilkräuter-Enthusiasten gegründet. In einem modularen System können sich Interessierte in ganz unterschiedlichen Bereichen weiterbilden. Dazu zählen Anbau und
Vermehrung, Küche, Färben, Mythologie und Wildfrüchte.
Lisas Spezialität ist die Herstellung von Tinkturen, Heilsalben und Naturkosmetik. Von der Zahnpasta über Shampoo
bis hin zum Deo stellt sie alles selbst her. Bei den Rezepturen
legt sie auf eine einfache Zubereitung Wert, ohne eine Vielzahl verderblicher Zutaten. So blieben die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Begeisterung bei der Sache.
VON DER GROSSMUTTER ZUR ENKELIN
Lisa Peyer reist oft ins benachbarte Allgäu, wo Kräuterfrauen
und -männer ihr Wissen von Generation zu Generation weitertragen. Dort sei das Wissen wirklich authentisch, da es
ohne Unterbrüche weitergegeben werde. Das spüre man auch
bei Büchern. Bücher haben für sie eine Seele, wenn die Autoren gelebtes Wissen vermitteln, wenn sie wirklich wüssten,
wovon sie schrieben. In Lisas Peyers Familie war es die Grossmutter, die ein riesiges Kräuterwissen hatte. Sie versorgte
das halbe Dorf mit Tinkturen, Salben und Teemischungen.
Als Mutter von nur einer Tochter blieb ihr genügend Zeit, sich
neben der Arbeit am Hof um ihren Heilkräutergarten zu kümmern. Anders war dies eine Generation später. Lisas Mama
hatte fünf Kinder und einen grossen Hof. So kam es, dass erst
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Echter Kümmel
Kalifornischer Goldmohn
Blaue Verbene
Steppen-Beifuss
Schafgarbe
Kamille
wieder die Enkelin Lisa sich in die Welt der Heilkräuter vertiefte. Prägend dabei war der fürsorgliche Umgang, den die
Grossmutter mit den Pflanzen pflegte, und deren Achtung
vor der Natur. Interessanterweise hat die Kräuterlust anschliessend wieder eine Generation übersprungen. Wiederum ist es eine Enkelin, die mit ihren zehn Jahren schon viel
über Heilpflanzen weiss und theatralisch angekündigt hat,
die Tradition fortzuführen: «Grosi, wenn du einmal nicht
mehr lebst, übernehme ich deinen Kräutergarten!» Momentan geniesst Lisa Peyer es, mit ihrer Enkelin zusammen durch
den Garten zu streifen und sie beim Ernten der Heilkräuter
in das eine oder andere Gartengeheimnis einzuweihen. Was
aus dieser gemeinsamen Leidenschaft noch entstehen mag,
überlässt sie vertrauensvoll dem Schicksal.
Lisa Peyer hat für unsere
Leserinnen und Leser
vier Heilpflanzen-Rezepte
ausgewählt, die einfach in
der Herstellung sind
und zur Linderung ganz
unterschiedlicher
Beschwerden dienen.
Weitere Infos: www.lisas-kraeuterwelt.ch, www.kraeuterakademie.ch
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Die Jungfer im Grünen schaut keck zwischen den sonnengelben Blüten der Wiesen-Arnika hervor.
Arnica chamissonis WIESEN-ARNIKA
Herkunft: Nordamerika, winterharte
Staude | Standort: sonnig bis halbschattig
Blütezeit: Juni bis September | Blütenfarbe: sonnengelb | Höhe: bis 70 cm
«Schon meine Grossmutter wusste,
dass die Wiesen-Arnika in ihrer
Heilwirkung mit der einheimischen
Arnika Arnica montana vergleichbar
ist. In ihrem appenzellischen Garten
wuchsen beide. Bei uns, auf nur 450 m
Höhe, gedeiht die Wiesen-Arnika aber
besser. Sie vermehrt sich über
Wurzelrhizome und ist für die Kultur
im Garten unkomplizierter. Grund-
sätzlich darf man seinen Pflanzen
ruhig etwas zutrauen, denn sie sind
anpassungsfähiger, als wir denken.
Bei mir wächst die Wiesen-Arnika
sogar auf festem, lehmhaltigem
Boden. Arnika hilft bei Verletzungen
durch Stoss oder Stich sowie vor und
nach einer Operation oder Geburt. Sie
regeneriert verletztes Gewebe.»
ARNIKA-ÖL
7 Ringelblumenblüten
10 Arnikablüten
500 ml Sonnenblumenöl
Die Blüten mit Öl übergiessen, zwei
bis drei Wochen stehen lassen, jeden
Tag etwas bewegen, damit sich die
gelösten Stoffe mit dem Öl verbinden
können. Abseihen und je 12 Tropfen
ätherisches Öl von Lavendel und
Zitrone hinzufügen – Lavendel
beruhigt, Zitrone ist erfrischend.
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Gut geeignet für Sportmassage, bei
Muskelkater oder Verspannungen, bei
Neuralgien und Durchblutungsstörungen (kalte Füsse oder Hände).
Wichtig ist, dass reine ätherische Öle
verwendet werden, wobei deren
Wirkung nicht zu unterschätzen ist.
Grundsätzlich sollte man sie
vorsichtig verwenden und in der
Schwangerschaft gar nicht.
Geranium robertianum
STINKENDER
STORCHSCHNABEL
Herkunft: einheimische, einjährige
Wildpflanze | Standort: halbschattig,
steinreicher Lehmboden | Blütezeit: Mai bis
Oktober/November | Blütenfarbe: tiefrosa,
hell purpurviolett | Höhe: 10 bis 50 cm
«So bescheiden der Stinkende
Storchschnabel wirkt, so gross ist er
als Heilpflanze. Mit seinem gefiederten Laub und den kleinen Blüten
ist seine Erscheinung eher unauffällig. Anders als andere GeraniumArten ist er nicht fest im Boden
verankert, sondern tanzt elfengleich
über dem Beet. Er ist so anpassungsfähig, dass er selbst in Mauerritzen
und auf Kies wächst. Da er sich
versamt, kommt er das ganze Jahr
über immer wieder. Ich nutze ihn im
Frühling als Bodendecker, lasse ihn
überall hinwandern, solange er nicht
stört. Der Stinkende Storchschnabel
kommt bei mir dort zum Einsatz, wo
die Ringelblume als Heilpflanze für
die Haut nicht mehr helfen kann, zum
Beispiel bei nässenden oder trockenen
Ekzemen.»
KRÄUTERMASKE
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0,5 l
Handvoll blühendes Kraut,
ohne Wurzeln
Jojobaöl
Hafermehl
«Das blühende Kraut verkleinern und
mit Jojobaöl übergiessen, drei Wochen
an der Wärme stehen lassen. Es darf
auch etwas Morgen- oder Abendsonne
haben, denn die Kraft der Sonne wirkt
unterstützend. Anschliessend
abseihen, mit Hafermehl vermischen,
bis ein Brei entsteht, und in ein Glas
abfüllen. Vor Gebrauch mit etwas
Wasser oder Tee verdünnen, so dass
ein streichfähiger Brei entsteht. Auf
eine Tasse Wasser einen Teelöffel
Kraut, frisch oder getrocknet, 5 bis 7
Minuten zugedeckt ziehen lassen. Die
Maske auf Gesicht oder andere
betroffene Stellen aufbringen und
trocknen lassen. Wenn sie bröckelt,
vorsichtig wieder lösen, mit Tee
abwaschen. Zur Unterstützung sollte
der entschlackende Tee auch innerlich
angewandt werden. Zur Abwechslung
kann Tee von Ringelblume, Ackerstiefmütterchen oder Veilchen getrunken
werden.»
Artemisia vulgaris
BEIFUSS
Herkunft: einheimische Wildstaude
Standort: sonnig | Blütezeit: Juli bis
September | Blütenfarbe: gelbliche bis
rötlich-braune Rispen | Höhe: bis 2 m
«Die griechische Göttin Artemis,
Schutzherrin der Kräuterheilkundigen, hat der Pflanze ihren Namen
gegeben. Der Beifuss ist eine uralte
Heilpflanze, die nicht nur bei uns,
sondern bis nach Persien verwendet
wird. Seit dem Mittelalter wird Artemisia als Mutter aller Heilkräuter
verehrt. Als Frauenheilpflanze soll sie
die Fruchtbarkeit stärken, Menstruationsschmerzen lindern und die Geburt
erleichtern. Früher wurde Artemisia
jedoch auch für Abtreibungen
verwendet – das Mass macht das Gift.
Mein Grossvater hat früher den Stall
mit Beifuss, Wacholder und Salbei
geräuchert. Traditionell wird Gänsebraten ein Sträusschen Beifuss
beigefügt, da seine Bitterstoffe helfen,
fettiges Essen leichter zu verdauen. Ein
Mangel an Bitterstoffen macht sich
manchmal durch häufiges Kopfweh
bemerkbar und kann ebenfalls mit
Beifuss gelindert werden. Seine
wärmende Wirkung fördert die
Durchblutung. Ein Kräuterkissen im
Bett beruhigt das Zentralnervensystem.»
BEIFUSS-FUSSBAD
2 Handvoll Beifuss
3 Liter Wasser
Beifuss in kaltes Wasser geben,
aufkochen lassen und zugedeckt
5 Minuten leicht köcheln lassen,
anschliessend abseihen und in ein
Fussbecken giessen. Bei Unterleibsstörungen, Bauchkrämpfen, Kopfschmerzen oder kalten Füssen mit
warmem Wasser auffüllen. Bei
geschwollenen Füssen im Sommer
beruhigt ein kalter Aufguss. Das Kraut
sollte schattig und luftig trocknen, da
die Sonne nicht nur die Farb-, sondern
auch die Heilstoffe der Pflanzen
reduziert.
ZU BESUCH BEI LISA PEYER
BESICHTIGUNG DES HEILKRÄUTERGARTENS UND HERSTELLEN VON SALBEN
UND TINKTUREN
Für unsere Leserinnen und Leser bieten wir zusammen mit Lisa
Peyer einen Ganztageskurs an ihrem Wohnort an. Lisa Peyer
wird durch den Garten führen und ihre rund 250 Heilkräuter
vorstellen. Danach können die Teilnehmenden unter Anleitung
Salben und Tinkturen herstellen. Interessiert?
Reservieren Sie sich folgendes Datum: Samstag, 28. Mai 2016, in
Frümsen SG. Wir werden diesen Tageskurs in unserer April-Ausgabe mit den detaillierten Informationen dazu ausschreiben.
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Geranium robertianum
Stinkender Storchschnabel
Der imposante, mehrjährige Alant
braucht für seine Entfaltung viel Raum.
Inula helenium
ECHTER ALANT
Herkunft: Zentralasien, winterharte Staude
Standort: sonnig bis halbschattig |
Blütezeit: Juli bis September | Blütenfarbe:
sonnengelb | Höhe: 180 bis 200 cm
«Wir gehen in den Dschungel», sagten
meine Grosskinder im Sommer, als
sie sich einen Weg durch die wild
wachsenden Alant-Stauden bahnten.
Damit der Alant zur Geltung kommt,
braucht er Raum, er sollte als Solitärpflanze gesetzt werden. Er ist eine
unproblematische Pflanze, die nicht
von Schädlingen befallen wird und an
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Artemisia vulgaris Beifuss
vielen Orten wächst. Alant ist eine
sogenannte Hustenpflanze, sie hilft
bei chronischen Bronchialleiden und
Reizhusten. Gerne wird er auch in
Mischungen, zusammen mit Thymian
und Spitzwegerich, verwendet. Er regt
Leber und Galle an und wird deshalb
auch bei Appetitlosigkeit angewandt.
Da er stark harntreibend wirkt, sollte
man dabei ausreichend Wasser
trinken. Alte Kräuterfrauen heben
immer wieder auch seine menstruationsfördernde Wirkung hervor. Die
Wurzeln wurden und werden zum
Räuchern verwendet, zum Reinigen
und um Altes abzuschliessen.»
ALANT-WEIN
30 g frische Wurzeln, fein geschnitten
30 g Weingeist, 80% (Trinkfeinsprit)
1 l Weisswein
«Die Wurzeln mit dem Weingeist
übergiessen und eine Stunde stehen
lassen, den Weisswein dazugeben, noch
nicht abseihen. Der Weingeist löst die
Heilstoffe, der Weisswein dient zur
Verdünnung. Zwei Tage bei Zimmertemperatur stehen lassen, anschliessend
abseihen. Zur Abwehrstärkung in der
Hustenzeit oder nach einer Operation
darf man täglich ein bis zwei Schnapsgläser trinken, nach dem Mittagessen
oder am Abend vor dem Zubettgehen.
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