Institut für Pädagogik und Schulpsychologie – IPSN Abstract des Vortrags bei der Tagung „Herausforderung Vielfalt – Schule gemeinsam gestalten!“ Vielfalt lernen! Konstruktive Lernkultur in einer sich globalisierenden Welt Foto: Universität Bamberg Annette Scheunpflug Selten wurde es so deutlich wie in den letzten Wochen: Die Welt wird globaler. Der Handel ist global organisiert und Waren werden über Staatengrenzen hinaus angeboten und verkauft. Flüchtlingsströme erreichen Europa in nicht gekanntem Ausmaß. Die Vereinten Nationen haben mit den Sustainable Development Goals nach den Millennium Development Goals erstmals Entwicklungsziele verabschiedet, die für alle Staaten dieser Erde gleichermaßen gelten sollten. Nachrichten gehen fast in Echtzeit um den Globus. Eine hohe Anzahl von Jugendlichen macht weltweit Erfahrungen als Freiwillige. All dieses sind Zeichen einer sich globalisierenden Welt. Herausforderung Partizipation Der Sozialphilosoph Niklas Luhmann hat schon in den siebziger Jahren beschrieben, dass die heutige Gesellschaft von ihrem Charakter her als Weltgesellschaft zu verstehen ist, da gesellschaftliche Kommunikation heute nicht mehr unabhängig von weltgesellschaftlichen Zusammenhängen möglich ist. Seine zentrale These lautet, dass jede Gesellschaft heute Weltgesellschaft ist, weil sie immer auch Teil eines globalen Kontextes ist. Dementsprechend gibt es für Gesellschaften heute kein Außen mehr, von wo Annette Scheunpflug aus die Welt als ein Ganzes beobachtet werden könne. Weltgesellschaft ist auch nicht als Weltenstaat oder Weltenorganisation beobachtbar. Sie ist nur im Besonderen ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Vielfalt zu erkennen. Die Weltgesellschaft ist in sich fragmentiert und betrifft Menschen in sehr unterschiedlichen Dimensionen; die Partizipation an ihr ist sehr ungleich. Sie hat sich nicht intentional so entwickelt. In ihrer abstrakten Gestalt hat sie jedoch für alle spürbare Auswirkungen. Die aktuelle Flüchtlingssituation ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Es ist herausfordernd, mit dieser neuen sozialen Qualität umzugehen. Was heißt dies für das Lernen? Diese Entwicklung führt zu sehr unterschiedlichen Lernherausforderungen. Es wird notwendig zu lernen, mit den Folgen der Globalisierung umzugehen, d.h. eine abstrakte Form des Sozialen zu lernen, Vorurteilen kritisch zu begegnen, globale Solidarität zu üben, mit kultureller und religiöser Vielfalt umzugehen zu wissen, zwischen sprachlichen Registern zu wechseln und sich in unterschiedlichen Sprachen angemessen ausdrücken zu können. Damit werden auch Herausforderungen im Umgang mit sozialen Medien und dem Internet markiert. Es bedeutet Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu erfahren, ohne dass diese auf Kosten anderer gehen. Und es bedeutet, gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Zusammenhänge in einem globalen Horizont vor der Perspektive globaler Verantwortung wahrzunehmen, zu beurteilen und in Handlung zu überführen. (Vgl. ausführlich Scheunpflug 2011) Anspruchsvolle Didaktik Diese Entwicklung stellt auch das Bildungswesen vor Herausforderungen. Der nur für einen kurzen, aber das Bildungswesen prägenden Zeitraum gegebene Zusammenhang zwischen „Kultur“ und „Gesell- schaft“ wird lockerer. Schule führt über eine Kul- zialräumlichen Bezug und in neuen virtuellen Räutur in Gesellschaft ein, und je kulturell heterogener men statt. Diese Räume werden ebenfalls immer die Schülerschaft und deren Eltern wird, umso an- stärker „glokal“ (vgl. Robertson 1998), d.h. sie verspruchsvoller wird diese Aufgabe im Hinblick auf die schränken lokale mit globalen Gegebenheiten. Ich kulturellen Dimensionen des Curriculums. Unterricht schlage vor, Bildungslandschaften stärker auch als findet in Settings steigender Heterogenität statt und „glokale“ Landschaften in den Blick zu nehmen. wird didaktisch anspruchsvoller. Mehr Aufmerksamkeit ist auf die Zielsprache Deutsch zu legen, zumal sie nicht immer in informellen und non-formalen Die glokale Bildungslandschaft Nürnbergs Settings vermittelt wird, sondern in manchen Fällen ausschließlich in der Schule. Gleichzeitig werden der In einigen Strichen soll das am Beispiel von NürnSpracherwerb in internationalen Verkehrssprachen berg erläutert werden. Welche Schritte sind zu gewie Englisch bzw. bilinguale Schulangebote an Be- hen, um eine solche glokale Bildungslandschaft zu deutung zunehmen. Durch die steigende Fragmen- ermöglichen? tierung der Gesellschaft steigen die Anforderungen an die inkludierende Funktion der Schule und an Glokalität ist eine Haltung und beginnt im Kopf. das Angebot gesellschaftlicher Partizipation durch Eine Bildungslandschaft benötigt die Vision eines loBildung. Schülerinnen und Schüler aus bildungsfer- kal wie global ausgewogenen sozialen Miteinanders. nen oder ärmeren Bildungsschichten haben weniger Wir arbeiten für eine Schule, die „Toleranz sowie Zugang zu non-formalen und informellen Lerngele- Achtung der Menschenrechte praktiziert“, heißt es genheiten, so dass die Frage bedeutsamer wird, wie im Leitbild des Instituts für Pädagogik und Schulpsydiese eigentlich dem Bildungswesen entzogenen chologie. Formen des Lernens intentional gestärkt werden können (vgl. Rauschenbach 2007). Glokalität ist als abstrakte Perspektive im Konkreten sichtbar zu machen: Der Sonnenkollektor auf schulbezogenen Einrichtungen, die Straße der MenFormales und non-formales Lernen schenrechte, das Mahnmal für die Opfer der NSUMorde, der fair gehandelte Kaffee in der Schule, In dem Zusammenspiel dieser Fragen spielt die Ge- Schulpartnerschaften mit dem globalen Süden oder staltung von kommunalen „Bildungslandschaften“ ein Filmfestival zu Menschenrechten: All dies sind eine immer größer werdende Rolle. Mit diesem symbolische Hinweise auf Schritte hin zu globaler Konzept wird in der Bildungspraxis der normative Gerechtigkeit in der Einen Welt, die ein informelles Anspruch markiert, diese bisher getrennt gesehenen Lernklima schaffen, das glokale Perspektiven erWelten formellen und informellen Lernens bzw. for- möglicht und – so wäre es in jedem Fall zu wünmaler und non-formaler Bildung in der Steuerung schen – durch schulisches Lernen entsprechend unregionaler und kommunaler Bildungskontexte stär- terstützt wird. ker aufeinander zu beziehen und damit synergetisch fruchtbar zu machen. Gerade im Kontext von Bemü- Glokalität beginnt mit Bildungsgerechtigkeit vor Ort: hungen um stärkere Bildungsgerechtigkeit ist dieses Bildungsgerechtigkeit im globalen Maßstab beginnt ein zentrales Anliegen (vgl. Bleckmann/Schmidt mit Bildungsgerechtigkeit vor Ort. Dazu gehören 2012). Der Begriff der »Bildungslandschaft« kenn- zum Beispiel Sprachkurse für Mütter, Familienbilzeichnet also einen Blick auf Bildungsangebote, die dungszentren, Übergangsmanagement, eine Bilunabhängig von der jeweiligen Trägerstruktur aus dungsberichterstattung, die soziale Disparitäten ins der Perspektive des lernenden Subjektes beschrie- Bewusstsein bringt, eine Stadtbibliothek mit mehrben werden. Mit der Erweiterung des Bildungsbe- sprachigem Angebot. All dies sind Bemühungen, griffs geht auch eine Erweiterung und Neufassung einzelne Talente zu fördern und Bildungsdisparitädes räumlichen Bezugs einher: Bildung findet gleich- ten zu verringern. zeitig in territorial definierten Räumen, in einem so- Prof. Dr. Annette Scheunpflug ist Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Von 2001 bis 2013 lehrte sie an der Friedrich-Alexander Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind weltbürgerliche Bildung, Bildungsqualität und pädagogische Anthropologie. 2 Impressum: Institut für Pädagogik und Schulpsychologie IPSN, Fürther Straße 80a, 90429 Nürnberg, Tel.: 0911 231-2519, -4098, Fax: 0911 231-4146, E-Mail: [email protected], Internet: www.ipsn.nuernberg.de
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