Jörn Dege Leicht gesagt Leicht gesagt Ein kleines Plädoyer für Gelassenheit angesichts einer großen Aufgabe Jörn Dege Um es vorweg zu sagen: Ich bin Laie oder, streng genommen, nicht einmal das. Die einzige Gelegenheit, bei der ich auf einer Kanzel stand, war beim Sound-Check, und wenn nicht etwas Unvorhergesehenes geschieht, wird es auch bei dieser Einmaligkeit bleiben. Doch vielleicht war die Frage nach dem Funktionieren des Mikrofons nicht meine einzige Motivation, einmal die Holzstufen hinauf zu steigen (es wäre sogar möglich, dass diese Frage bereits weitgehend geklärt war). Es liefen die Vorbereitungen für einen der letzten von insgesamt 16 Gottesdiensten, die wir, im Rahmen des homiletischen Seminars, in der Lutherkirche am Leipziger Johannapark gefeiert hatten – und ich war schlicht neugierig. Denn über Wochen hatte ich gemeinsam mit Prof. Alexander Deeg, seinem Assistenten Johannes Misterek und einer Gemeinde-aufZeit unten in den Bänken gesessen. Und während draußen die Sommerabende für Grillfeste genutzt wurden, drehte sich bei uns alles um Fragen, wie: Was hat die Predigerin oder der Prediger aus der Werkstatt mitgenommen? An welchen Stellen hat sich der Entwurf verändert? Wie wird die Predigt wirken, wenn sie nicht in unserem Seminarraum am Pult vorgetragen wird, sondern auf der Kanzel in einem öffentlichen Gottesdienst? Ich hätte nie für möglich gehalten, dass mich diese Fragen einmal derart beschäftigen würden. Es sind ungewöhnliche Wochen gewesen. Dieses Seminar war grundsätzlich anders als alles, woran ich bisher als Teilnehmer oder Leiter beteiligt war. Immer wieder geriet ich in die Verlegenheit, Menschen aus meinem Umfeld zu erklären, was ich da gerade machte und immer wieder wurde mir klar, wie wenig sich das vermitteln lässt. Über die Zeit hinweg haben sich gewisse Formulierungen herausgebildet. Es handele sich um eine Art theologisch-literarische Predigtwerkstatt. Aha. Es gehe darum, Studierende beim Schreiben ihrer ersten Predigt zu unterstützen und dabei auch nach den sprachlichen Möglichkeiten zu fragen. Die Reaktionen auf meine hilflosen Erklärungen waren unterschiedlich, doch es gab kaum jemanden, den das völlig kalt ließ. Nicht selten entstanden Gespräche und allein das Stichwort „Predigt“ löste bei allen etwas aus, jeder hatte eine Meinung dazu. Angesichts einer Bedeutungslosigkeit, die der Predigt angeblich zunehmend drohe, erscheint mir das zumindest bemerkenswert. Ebenfalls bemerkenswert: Viele meiner Bekannten aus dem literarischen Umfeld fanden meine Beschäftigung wenig sonderbar. Vor allem Autoren, die Erfahrungen mit literarischen Werkstätten gemacht hatten, wie sie beispielsweise am Leipziger LiGött. Predigtmed. 68, 158–161, ISSN 0340-6083 © 2014 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Leicht gesagt 159 teraturinstitut zum Kern der künstlerischen Ausbildung gehören, kam eine solche Annäherung sehr plausibel vor. Ein Kollege, der neben seiner literarischen Arbeit Kurse im literarischen Schreiben leitet, fragte mich, ob denn der „handwerkliche“ Zugang etwas Besonderes sei. Eine Predigt sei doch auch nur ein Text, der erst einmal „gemacht“ werden müsse. Ja, würde ich heute sagen, ja und nein. Das ist übrigens symptomatisch: Hätte ich diesen Artikel vor einem Jahr schreiben sollen, wären mir eindeutige Stellungnahmen nicht schwer gefallen. Aber je mehr Erfahrungen ich machte, desto unschärfer wurde das Bild, desto mehr möchte ich Aussagen abschwächen oder Anführungsstriche benutzen. Was ich sagen kann: Predigten haben, meiner Meinung nach, mit literarischen oder journalistischen Texten einiges gemeinsam und insbesondere das „Machen“ von Predigten kann von den Einsichten und Techniken profitieren, die andere beim Schreiben von Erzählungen, Essays oder Reportagen entwickelt haben. Das war auch gewissermaßen die Arbeitshypothese, unter der wir als Team dieses Seminar angegangen sind. Und sie hat sich bewährt: Die Annahme, dass auch bei Predigten Form und Inhalt nicht getrennt, sondern aufeinander bezogen sind, ist so naheliegend wie zutreffend. Und wie sich mit der Machart auch die Wirkung einer Predigt ändert, war immer wieder über die Wochen hinweg zu beobachten. Wenn aber das, was ich sage, davon abhängt, wie ich es sage, rücken – neben performativen Aspekten – die Möglichkeiten sprachlicher Gestaltung in den Vordergrund. Und wo ließe sich da besser nach Anregung suchen, als bei den Kollegen aus der Literatur und dem Journalismus? So bin ich zunehmend davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, eine Reportage von, sagen wir, Alexander Osang oder einen Essay von Kathrin Röggla auf die konkrete Predigtarbeit hin zu lesen. Und zwar weniger im Sinne einer Interpretation, sondern mehr mit Blick auf die Machart: Wie werden die Textebenen miteinander verknüpft? Wo sind die Schnitte gesetzt? Mit welchen Hilfsmitteln wird erzählt, wie kommentiert und welchen Effekt hat das auf mich? Ich würde sogar behaupten, diese Fragen können ab einem gewissen Punkt mehr ausrichten als einschlägige Fachliteratur. Nicht, dass Fachkompetenz bei der Predigtarbeit unwichtig wäre, im Gegenteil. Mein Eindruck ist nur, dass PfarrerInnen und solche in spe hinsichtlich theologischer Fachfragen ziemlich gut ausgebildet sind – hinsichtlich Form- und Gestaltungsfragen von Predigten aber wenig bis gar nicht. Doch gerade letztere werden beim Schreiben akut: Wie mache ich das? Wie komme ich vom Nachdenken über einen biblischen Text zu einer Sprache, die nicht nur der Reihe nach gute und richtige Aussagen wiedergibt, sondern die dem Potenzial in diesem Text Raum gibt, es lebendig vor Augen führt und in die Lebenswirklichkeiten der Hörerinnen und Hörer hinein erweitert? Oder es zumindest versucht. Denn das Schöne bei Predigten scheint mir: Es handelt sich immer um einen essai, einen Versuch im besten Sinne – und inwiefern dieser Versuch gelingt, liegt nicht allein in der Verantwortung derer, die predigen. Mal abgesehen davon, dass sich ohnehin nicht eindeutig sagen lässt, was eine „gelungene“ Predigt sein soll, oder wie man so etwas schreibt. Eindeutig scheint mir allerdings, dass es wichtig ist, sich über diese Fragen auszutauschen. Es ist wichtig, während des Entstehungsprozesses eine Distanz zum eigenen Entwurf zu gewinnen – allein schon, 160 Jörn Dege um sich der inhaltlichen und handwerklichen Entscheidungen bewusst zu werden und über Alternativen nachzudenken: Wie ließe sich dieser Zusammenhang zeigen, anstatt ihn lediglich zu behaupten? Wie kann ich von mir berichten, ohne dass es eitel wird oder privat? Welche Vorteile hätte an jener Stelle die Erlebte Rede gegenüber dem Inneren Monolog? Was wird als Zentrum meines Textes gehört, wie nah kommt das meiner Intention und wie kann ich dieses Verhältnis beeinflussen? Solche Fragen werden auch in literarischen Werkstätten gestellt und es ist wohl kein Zufall, dass Literaturinstitute, Journalistenschulen und Orte für homiletische Aus- und Weiterbildung damit ähnlich gute Erfahrungen machen. An anderen Stellen aber hat es mich überrascht, wie wenig sich Predigten, und die konkrete Arbeit an ihnen, mit anderen Sprachformen vergleichen lassen. Deutlich wurde das zum Beispiel an einer Stelle im Seminar, als die Studierenden das erste Mal eine Kurzpredigt schreiben sollten, nachdem bereits, angeregt durch Schreibübungen, eine ganze Reihe kleiner Texte entstanden sind. Auf einmal wurde es kompliziert, ohne dass ich sagen konnte, warum. Bei einigen änderte sich die Sprache. Es schien, als ob die Wörter auf einmal mehr transportieren mussten, ihnen aber gleichzeitig weniger zugetraut wurde. Abseits der Themen, die verhandelt wurden, bekam der Text eine gewisse Durchlässigkeit für Dinge im Hintergrund: Prägungen durch Vorbilder und den biografischen Hintergrund, Identitätsfragen bzw. Fragen nach der Person des Predigers: Wer bin ich, dass ich predige? Ich war überrascht, wie stark diese Dinge in die Textarbeit hineinreichen und beeinflussen können. Dazu kam eine Grundschwierigkeit, die ich aus vergleichbaren Schreibwerkstätten nicht kannte: Wie von etwas sprechen, das unverfügbar ist? Wie etwas spürbar werden lassen, das sich meiner Kontrolle entzieht? Vielleicht müsste es das Ziel sein, gerade diese Unmöglichkeit produktiv zu wenden und zum Ausgangspunkt zu machen. Eine Predigt, die auf dem Widerspruch aufbaut, etwas leisten zu müssen, was (aus eigener Kraft) nicht erreicht werden kann, könnte gelassener mit gewissen Ansprüchen umgehen. Wenn aber beispielsweise theologische Adäquatheit an erster Stelle steht, kommt man schwerlich an Differenzierungen vorbei, die nur für Insider relevant sind, oder über Aussagen hinaus, gegen die zwar nichts einzuwenden ist, die sich aber durch die Last der großen Begriffe nicht mehr bewegen können. Wenn ich in einem entsprechenden Gottesdienst sitze, wünsche ich mir nichts lieber als eine Predigt, die sich angreifbar macht. Wann hört man schon eine Predigt, die überrascht, im guten Sinne verunsichert oder zum Lachen bringt? Zugegeben, im Kontext unseres Seminars kam das nicht selten vor. Wenn der aaronitische Segen zum göttlichen Brühwürfel wird, eine Predigt als Reportage über ein untergehendes Südsee-Atoll beginnt, eine Jesaja-Predigt von einem Kitsch-Traum über einen prophetischen Traum zum „Wirklichkeitstraum“ Gottes wird, eine Predigt zu Lukas 14 mit den Worten einsteigt: „Hasst eure Familie!“ – oder einfach nur das plötzliche Gefühl: Da ist tatsächlich eine Person, die zu mir spricht, keine Instanz – dann bleibe ich hinterher noch sitzen und freue mich darauf zu hören, wie die anderen das erlebt haben. Dass diese Ansprüche ebenfalls lähmen können, ist klar. Und dass das von den Bänken aus leicht gesagt ist, auch. Ich denke nur, mir würde es als Prediger helfen, Leicht gesagt 161 diese schwere Aufgabe mal versuchsweise auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn Predigen – soviel steht fest – kann mit Lust geschehen und wenn man sich zudem anschaut, wie häufig literarische und journalistische Texte um Banalitäten kreisen, müsste klar werden: Das Material, das mir als Prediger zur Verfügung steht, ist das beste, was es gibt. Nicht zuletzt deshalb könnte man als Autor fast neidisch werden und versucht sein, selbst einmal die Holzstufen hinauf zu steigen. Oben angekommen, wirkt dann die Kirche noch größer als zuvor, die Bänke haben eine andere Farbe angenommen und trotz der Höhe fühlt man sich gut aufgehoben, was nicht nur am Massivholz liegen kann. Beim Abstieg wird allerdings klar, dass es nicht so leicht ist, da wieder runterzukommen. Und das Mikrofon? Wird schon funktionieren. Jörn Dege, geb. 1982, ist Autor von Prosatexten und Chefredakteur der Zeitschrift „Edit“. Industriestr. 46, 04229 Leipzig [email protected]
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