Globale Verdunkelung: Leben unter der Dunstglocke

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Interview
Globale Verdunkelung:
Leben unter der Dunstglocke
Interview mit Klimaforscherin Dr. Beate Liepert
„Global warming“, Erderwärmung, kennen wir schon. Der Grund
dafür ist die hohe Konzentration an Treibhausgasen. Was wir an
Schadstoffen in den Himmel blasen, sorgt aber nicht nur für eine
aufgeheizte Atmosphäre. Der Dreck hängt in der Luft, fast wie
der Schmutzschleier auf dem Glas einer Windschutzscheibe. Die
Sonnenstrahlen kommen nicht mehr richtig durch – mit massiven
Folgen für unser Klima. „Global dimming“ heißt dieses Phänomen.
Klimaforscherin Dr. Beate Liepert gehört zu den EntdeckerInnen
der sogenannten globalen Verdunkelung. ad hoc international hat
mit ihr gesprochen.
ad hoc: Frau Liepert, was ist „global dimming“ und was passiert
bei diesem Prozess?
Liepert: „Global dimming“, also globale Verdunkelung, steht
ursprünglich für die weltweit beobachtete Abnahme der Sonneneinstrahlung von den 1950er Jahren, dem Beginn der Messungen,
bis in die 1980er. In den 1990ern hat die Sonneneinstrahlung
übrigens wieder zugenommen. Ein Teil der Abnahme konnte auf
natürliche Wetterveränderungen zurückgeführt werden, aber nicht
alles. Untersuchungen zeigen, dass zunehmende Luftverschmutzung, zum Beispiel durch Ruß, auch zur Verdunkelung beiträgt.
Das geht sowohl direkt, indem Sonnenstrahlung von den braunen
Teilchen absorbiert oder von weißen Teilchen reflektiert wird,
oder indirekt, indem die Teilchen die Wolkenbildung beeinflussen. Diese Wolken reflektieren dann die Sonnenenergie. In
der Diskussion heute ist „global dimming“ zum Synonym für
global zunehmende Luftverschmutzung durch diese Aerosol­
partikel geworden.
Zyniker behaupten, dass man
mit künstlicher Luftverschmutzung die
Erderwärmung mindern kann,
aber das Klima ist komplizierter.
ad hoc: Welche Folgen hat „global dimming“?
Liepert: Wie man sich gut vorstellen kann, bedeutet ein Rückgang der Sonnenstrahlung eine Temperaturminderung, aber
natürlich nur tagsüber und nicht in der Nacht. Das heißt, ein Teil
des Treibhauseffektes wird unterdrückt: Die Tage werden wärmer,
aber nicht so viel wärmer wie die Nächte. Meine Forschung
zeigt jedoch, dass die wichtigste Folge mit dem Wasserkreislauf
zusammenhängt. Sonnenstrahlung verdunstet Wasser an der
Erdoberfläche, was zu Wolken und Niederschlagsbildung führt.
Reduzieren wir die Energie für die Verdunstung, reduzieren
wir auch den Niederschlag. Ich habe in meiner Arbeit theoretisch
gezeigt, dass bei dem heutigen Ausmaß des „global dimming“
tatsächlich die erwartete Niederschlagszunahme durch globale
Erwärmung wieder aufgehoben wird, was sogar zu einer globalen
Abnahme des Niederschlags führt trotz mehr Feuchte in der
Atmosphäre. Geht die Sonneneinstrahlung zurück, hat das zum
Beispiel auch zur Folge, dass die Bäume im Norden schlechter
wachsen. Das konnte man an der Dichte der Baumringe nachweisen.
ad hoc: Die Politik hat „global warming“ im Visier, „global dimming“
offenbar nicht. Wieso?
Liepert: Es ist technisch deutlich einfacher, den Ausstoß von
Aerosolpartikeln oder Schwebstoffen wie Ruß zu reduzieren, um
„global dimming“ zu begrenzen – wenn man nicht schummelt,
wie VW es mit den Dieselautos getan hat. Das ist ja auch in vielen
Ländern seit den 1990er Jahren geschehen. Klimamodelle und
auch Untersuchungen zeigen, dass die Reduzierung der Luftverschmutzung zu einer Zunahme der Sonnenstrahlung geführt hat.
Das wiederum hat die Erderwärmung verstärkt. Das heißt für die
Politik, dass die positiven Initiativen der Luftreinhaltung Initiativen des Klimaschutzes entgegenwirken. Das klingt paradox.
Man kann sich nicht auf eines von beiden konzentrieren.
ad hoc: „Global dimming“ muss also auf die Agenda in der Klimadebatte.
Beate Liepert: Genau, Luftverschmutzung muss in der Klimadebatte berücksichtigt werden und man kann dieses Problem in
den Griff bekommen. Zyniker behaupten, dass man mit künstlicher Luftverschmutzung die Erderwärmung mindern kann,
aber das Klima ist komplizierter. Dann verändert man nämlich
den Niederschlag. „Cap and Trade“, also Emissionshandel als
­Lösungsansatz des Klimaproblems, kann meiner Meinung nach
nicht funktionieren. Das wird hier in den USA viel diskutiert, vor
allem bei den Liberalen. Es bedeutet, dass man durchaus lokal verschmutzen kann, wenn man anderswo die CO2-Ausstöße verringert.
Aber diese Emissionen sind meist gekoppelt an andere Emissionen
bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Diese kurzlebigen
Gase und Schwebstoffe verursachen Luftverschmutzung und
„Verdunkelung“ in der Region, wo sie emittiert werden.
ad hoc: Liebe Frau Liepert, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Interview: Julia Harrer Klagen für Umwelt und Klima
Der Jurist,
ein aufstrebender
Klimakämpfer
von Waleria Schüle, LL. M.
Wie tragen Juristen zum Klimaschutz bei? Während auf dem
­internationalen Parkett die Frage von Verlust- und Schadens­ersatz
noch verhandelt wird, steigt weltweit die Anzahl der Fälle, in denen
Verantwortung für Vermeidung von und Anpassung an den Klima­
wandel eingeklagt wird. Derzeit prüft die Hamburger Anwältin Roda Verheyen die Erfolgsaussichten der Klage eines peruanischen Kleinbauers gegen den
Energiekonzern RWE auf Zahlung von 20.000 Euro für die
­Umsetzung von Schutzmaßnahmen gegen klimabedingte Flutrisiken in Peru. 20.000 Euro entsprechen einem Hundertstel der
drohenden Kosten. Diese ­Berechnung stützt sich auf eine
­Studie aus dem Jahr 2013, die die ausgestoßenen Emissionen
der vergangenen 150 Jahre zu 90 Konzernen zurückverfolgt.
RWE ist einer davon. Diese Art von Studien machen es erstmals
möglich, die Mitverantwortung der Großkonzerne an der globalen Klimaerwärmung quantitativ auszudrücken und vor Gericht
in Zahlungsansprüche zu übersetzen. Der Fall von RWE ist der
erste seiner Art und würde einen globalen Präzedenzfall setzen.
Aber nicht nur Konzerne, sondern auch Staaten geraten ins Visier
der Juristen. So hat im Juni 2015 ein niederländisches Gericht
einer bis dahin beispiellosen Klage stattgegeben: Es stellte fest,
dass die niederländische Regierung gesetzlich verpflichtet sei, die
niederländischen CO2-Emissionen bis 2020 um ein Viertel im
Vergleich zu 1990 zu senken, um seine Bürger vor den Folgen des
Klimawandels zu schützen. Eine ähnliche Klage wird auch in Australien und Norwegen geprüft. Diese Fälle zeigen, dass Klimaschutz zunehmend auf juristischer Front betrieben wird.
Juristischer Klimaschutz hat viel
Potential, europäische Staaten und
Unternehmen zu mehr Engagement im
Klimaschutz zu bewegen.
Neben der Feststellung der Verantwortung für klimabedingte
Schäden und Verluste leisten Juristen weltweit bereits einen
wichtigen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen. Die juristisch
erstrittene Verhinderung von Kohlekraftwerken in den USA zeugt
von einer enormen Wirkungskraft des Juristen im Kampf gegen den
Klimawandel.
wurde eine breit aufgestellte juristische Kampagne der ältesten
amerikanischen Umwelt-Nichtregierungsorganisation Sierra Club.
Der Sierra Club befürchtete, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke
die USA für lange Zeit auf eine veraltete, klima- und umweltschädliche Form der Energiegewinnung festlegen würde. So wurde
im Rahmen der Beyond Coal-Kampagne eine Armada an Umweltjuristen gezielt darin geschult, Baugenehmigungen gerichtlich zu
hinterfragen und juristisch anzugreifen. Mit Erfolg.
Als der Bau der neuen Kraftwerke vom Tisch war, wurde die
Kampagne auf die schon laufenden 523 Kraftwerke ausgeweitet.
Bis September dieses Jahres waren 204 vom Netz genommen
oder umgerüstet worden. Die Beyond Coal-Kampagne trug dazu
bei, dass die USA im Jahr 2014 bei der Reduktion von Kohlenstoffemissionen weltweit an erster Stelle standen.
Während in den USA der „aktivistische“ Jurist seit Langem ein
etablierter Akteur der Zivilgesellschaft ist, ist diese Rechtskultur
in Europa erst im Entstehen. Vorreiter ist hier die pro-bono Kanzlei
ClientEarth, deren 60 Anwälte sich Vollzeit mit Umwelt- und
Klimaschutz beschäftigen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die
Energiewende. So verhinderten die Anwälte von ClientEarth
den Bau von Kohlekraftwerken in Großbritannien und Polen.
In Polen wurde ihre Tätigkeit zunächst mit massivem Misstrauen
aufgenommen. Der polnische Sicherheitsdienst beschattete involvierte Anwälte und Medien brandmarkten sie als „Ökoterroristen“.
Mittlerweile berät die Kanzlei politische Entscheidungsträger
bei der Entwicklung moderner und sauberer Energiekonzepte.
Juristischer Klimaschutz hat viel Potential, europäische Staaten und
Unternehmen zu mehr Engagement im Klimaschutz zu bewegen.
Ansatzpunkte bestehen insbesondere in der Umwelthaftung,
bei der Anwendung bereits bestehender Emissionsstandards, der
Abschaltung veralteter Kohlekraftwerke und der Entwicklung
zeitgemäßer Energiepläne. Viele osteuropäische Staaten verfolgen
noch immer kohlelastige Energiepläne, deren Umsetzung schwer
mit den Dekarbonisierungszielen der Europäischen Union vereinbar sind. Auch Deutschland ist auf dem Radar der Klimajuristen.
Allein ein Viertel der 280 europäischen Kohlekraftwerke stehen
in der Bundesrepublik. Viele von ihnen sind veraltet und entsprechen nicht mehr modernen Standards. f
Dr. Beate Liepert studierte und promovierte in Meteorologie an der LudwigMaximilians-Universität in München. Sie gehört zu den EntdeckerInnen des
Phänomens „global dimming“ und forscht dazu in den USA am Lamont-­
Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York sowie für
NorthWest Research Associates in Seattle. Im Jahr 2001 beschloss der damalige US-Präsident George W.
Bush die amerikanische Kohleindustrie wieder zu beleben und
schloss eine Vereinbarung mit dem Privatsektor um 220 neue
Kohlekraftwerke zu bauen. Trotz der Begeisterung der Kohleindustrie wurden davon nur drei Kraftwerke gebaut. Zum Hindernis
p Oft mangelt es nicht an
Gesetzen, sondern an
deren Anwendung.
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Interview
Globale Verdunkelung:
Leben unter der Dunstglocke
Interview mit Klimaforscherin Dr. Beate Liepert
„Global warming“, Erderwärmung, kennen wir schon. Der Grund
dafür ist die hohe Konzentration an Treibhausgasen. Was wir an
Schadstoffen in den Himmel blasen, sorgt aber nicht nur für eine
aufgeheizte Atmosphäre. Der Dreck hängt in der Luft, fast wie
der Schmutzschleier auf dem Glas einer Windschutzscheibe. Die
Sonnenstrahlen kommen nicht mehr richtig durch – mit massiven
Folgen für unser Klima. „Global dimming“ heißt dieses Phänomen.
Klimaforscherin Dr. Beate Liepert gehört zu den EntdeckerInnen
der sogenannten globalen Verdunkelung. ad hoc international hat
mit ihr gesprochen.
ad hoc: Frau Liepert, was ist „global dimming“ und was passiert
bei diesem Prozess?
Liepert: „Global dimming“, also globale Verdunkelung, steht
ursprünglich für die weltweit beobachtete Abnahme der Sonneneinstrahlung von den 1950er Jahren, dem Beginn der Messungen,
bis in die 1980er. In den 1990ern hat die Sonneneinstrahlung
übrigens wieder zugenommen. Ein Teil der Abnahme konnte auf
natürliche Wetterveränderungen zurückgeführt werden, aber nicht
alles. Untersuchungen zeigen, dass zunehmende Luftverschmutzung, zum Beispiel durch Ruß, auch zur Verdunkelung beiträgt.
Das geht sowohl direkt, indem Sonnenstrahlung von den braunen
Teilchen absorbiert oder von weißen Teilchen reflektiert wird,
oder indirekt, indem die Teilchen die Wolkenbildung beeinflussen. Diese Wolken reflektieren dann die Sonnenenergie. In
der Diskussion heute ist „global dimming“ zum Synonym für
global zunehmende Luftverschmutzung durch diese Aerosol­
partikel geworden.
Zyniker behaupten, dass man
mit künstlicher Luftverschmutzung die
Erderwärmung mindern kann,
aber das Klima ist komplizierter.
ad hoc: Welche Folgen hat „global dimming“?
Liepert: Wie man sich gut vorstellen kann, bedeutet ein Rückgang der Sonnenstrahlung eine Temperaturminderung, aber
natürlich nur tagsüber und nicht in der Nacht. Das heißt, ein Teil
des Treibhauseffektes wird unterdrückt: Die Tage werden wärmer,
aber nicht so viel wärmer wie die Nächte. Meine Forschung
zeigt jedoch, dass die wichtigste Folge mit dem Wasserkreislauf
zusammenhängt. Sonnenstrahlung verdunstet Wasser an der
Erdoberfläche, was zu Wolken und Niederschlagsbildung führt.
Reduzieren wir die Energie für die Verdunstung, reduzieren
wir auch den Niederschlag. Ich habe in meiner Arbeit theoretisch
gezeigt, dass bei dem heutigen Ausmaß des „global dimming“
tatsächlich die erwartete Niederschlagszunahme durch globale
Erwärmung wieder aufgehoben wird, was sogar zu einer globalen
Abnahme des Niederschlags führt trotz mehr Feuchte in der
Atmosphäre. Geht die Sonneneinstrahlung zurück, hat das zum
Beispiel auch zur Folge, dass die Bäume im Norden schlechter
wachsen. Das konnte man an der Dichte der Baumringe nachweisen.
ad hoc: Die Politik hat „global warming“ im Visier, „global dimming“
offenbar nicht. Wieso?
Liepert: Es ist technisch deutlich einfacher, den Ausstoß von
Aerosolpartikeln oder Schwebstoffen wie Ruß zu reduzieren, um
„global dimming“ zu begrenzen – wenn man nicht schummelt,
wie VW es mit den Dieselautos getan hat. Das ist ja auch in vielen
Ländern seit den 1990er Jahren geschehen. Klimamodelle und
auch Untersuchungen zeigen, dass die Reduzierung der Luftverschmutzung zu einer Zunahme der Sonnenstrahlung geführt hat.
Das wiederum hat die Erderwärmung verstärkt. Das heißt für die
Politik, dass die positiven Initiativen der Luftreinhaltung Initiativen des Klimaschutzes entgegenwirken. Das klingt paradox.
Man kann sich nicht auf eines von beiden konzentrieren.
ad hoc: „Global dimming“ muss also auf die Agenda in der Klimadebatte.
Beate Liepert: Genau, Luftverschmutzung muss in der Klimadebatte berücksichtigt werden und man kann dieses Problem in
den Griff bekommen. Zyniker behaupten, dass man mit künstlicher Luftverschmutzung die Erderwärmung mindern kann,
aber das Klima ist komplizierter. Dann verändert man nämlich
den Niederschlag. „Cap and Trade“, also Emissionshandel als
­Lösungsansatz des Klimaproblems, kann meiner Meinung nach
nicht funktionieren. Das wird hier in den USA viel diskutiert, vor
allem bei den Liberalen. Es bedeutet, dass man durchaus lokal verschmutzen kann, wenn man anderswo die CO2-Ausstöße verringert.
Aber diese Emissionen sind meist gekoppelt an andere Emissionen
bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Diese kurzlebigen
Gase und Schwebstoffe verursachen Luftverschmutzung und
„Verdunkelung“ in der Region, wo sie emittiert werden.
ad hoc: Liebe Frau Liepert, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Interview: Julia Harrer Klagen für Umwelt und Klima
Der Jurist,
ein aufstrebender
Klimakämpfer
von Waleria Schüle, LL. M.
Wie tragen Juristen zum Klimaschutz bei? Während auf dem
­internationalen Parkett die Frage von Verlust- und Schadens­ersatz
noch verhandelt wird, steigt weltweit die Anzahl der Fälle, in denen
Verantwortung für Vermeidung von und Anpassung an den Klima­
wandel eingeklagt wird. Derzeit prüft die Hamburger Anwältin Roda Verheyen die Erfolgsaussichten der Klage eines peruanischen Kleinbauers gegen den
Energiekonzern RWE auf Zahlung von 20.000 Euro für die
­Umsetzung von Schutzmaßnahmen gegen klimabedingte Flutrisiken in Peru. 20.000 Euro entsprechen einem Hundertstel der
drohenden Kosten. Diese ­Berechnung stützt sich auf eine
­Studie aus dem Jahr 2013, die die ausgestoßenen Emissionen
der vergangenen 150 Jahre zu 90 Konzernen zurückverfolgt.
RWE ist einer davon. Diese Art von Studien machen es erstmals
möglich, die Mitverantwortung der Großkonzerne an der globalen Klimaerwärmung quantitativ auszudrücken und vor Gericht
in Zahlungsansprüche zu übersetzen. Der Fall von RWE ist der
erste seiner Art und würde einen globalen Präzedenzfall setzen.
Aber nicht nur Konzerne, sondern auch Staaten geraten ins Visier
der Juristen. So hat im Juni 2015 ein niederländisches Gericht
einer bis dahin beispiellosen Klage stattgegeben: Es stellte fest,
dass die niederländische Regierung gesetzlich verpflichtet sei, die
niederländischen CO2-Emissionen bis 2020 um ein Viertel im
Vergleich zu 1990 zu senken, um seine Bürger vor den Folgen des
Klimawandels zu schützen. Eine ähnliche Klage wird auch in Australien und Norwegen geprüft. Diese Fälle zeigen, dass Klimaschutz zunehmend auf juristischer Front betrieben wird.
Juristischer Klimaschutz hat viel
Potential, europäische Staaten und
Unternehmen zu mehr Engagement im
Klimaschutz zu bewegen.
Neben der Feststellung der Verantwortung für klimabedingte
Schäden und Verluste leisten Juristen weltweit bereits einen
wichtigen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen. Die juristisch
erstrittene Verhinderung von Kohlekraftwerken in den USA zeugt
von einer enormen Wirkungskraft des Juristen im Kampf gegen den
Klimawandel.
wurde eine breit aufgestellte juristische Kampagne der ältesten
amerikanischen Umwelt-Nichtregierungsorganisation Sierra Club.
Der Sierra Club befürchtete, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke
die USA für lange Zeit auf eine veraltete, klima- und umweltschädliche Form der Energiegewinnung festlegen würde. So wurde
im Rahmen der Beyond Coal-Kampagne eine Armada an Umweltjuristen gezielt darin geschult, Baugenehmigungen gerichtlich zu
hinterfragen und juristisch anzugreifen. Mit Erfolg.
Als der Bau der neuen Kraftwerke vom Tisch war, wurde die
Kampagne auf die schon laufenden 523 Kraftwerke ausgeweitet.
Bis September dieses Jahres waren 204 vom Netz genommen
oder umgerüstet worden. Die Beyond Coal-Kampagne trug dazu
bei, dass die USA im Jahr 2014 bei der Reduktion von Kohlenstoffemissionen weltweit an erster Stelle standen.
Während in den USA der „aktivistische“ Jurist seit Langem ein
etablierter Akteur der Zivilgesellschaft ist, ist diese Rechtskultur
in Europa erst im Entstehen. Vorreiter ist hier die pro-bono Kanzlei
ClientEarth, deren 60 Anwälte sich Vollzeit mit Umwelt- und
Klimaschutz beschäftigen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die
Energiewende. So verhinderten die Anwälte von ClientEarth
den Bau von Kohlekraftwerken in Großbritannien und Polen.
In Polen wurde ihre Tätigkeit zunächst mit massivem Misstrauen
aufgenommen. Der polnische Sicherheitsdienst beschattete involvierte Anwälte und Medien brandmarkten sie als „Ökoterroristen“.
Mittlerweile berät die Kanzlei politische Entscheidungsträger
bei der Entwicklung moderner und sauberer Energiekonzepte.
Juristischer Klimaschutz hat viel Potential, europäische Staaten und
Unternehmen zu mehr Engagement im Klimaschutz zu bewegen.
Ansatzpunkte bestehen insbesondere in der Umwelthaftung,
bei der Anwendung bereits bestehender Emissionsstandards, der
Abschaltung veralteter Kohlekraftwerke und der Entwicklung
zeitgemäßer Energiepläne. Viele osteuropäische Staaten verfolgen
noch immer kohlelastige Energiepläne, deren Umsetzung schwer
mit den Dekarbonisierungszielen der Europäischen Union vereinbar sind. Auch Deutschland ist auf dem Radar der Klimajuristen.
Allein ein Viertel der 280 europäischen Kohlekraftwerke stehen
in der Bundesrepublik. Viele von ihnen sind veraltet und entsprechen nicht mehr modernen Standards. f
Dr. Beate Liepert studierte und promovierte in Meteorologie an der LudwigMaximilians-Universität in München. Sie gehört zu den EntdeckerInnen des
Phänomens „global dimming“ und forscht dazu in den USA am Lamont-­
Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York sowie für
NorthWest Research Associates in Seattle. Im Jahr 2001 beschloss der damalige US-Präsident George W.
Bush die amerikanische Kohleindustrie wieder zu beleben und
schloss eine Vereinbarung mit dem Privatsektor um 220 neue
Kohlekraftwerke zu bauen. Trotz der Begeisterung der Kohleindustrie wurden davon nur drei Kraftwerke gebaut. Zum Hindernis
p Oft mangelt es nicht an
Gesetzen, sondern an
deren Anwendung.
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