Wenn Mieter partout nicht zahlen

Wenn Mieter partout nicht zahlen | Manuskript
Drohende Obdachlosigkeit - wenn Mieter partout nicht zahlen
Beitrag: Julia Cruschwitz
Annett Bergmann: Das ist jetzt die Kündigung. Und wenn Sie nicht spuren, wenn Sie nicht
bezahlen, dann müssen Sie wieder ausziehen.
So klingt es, wenn Annett Bergmann mit ihrer Kundschaft verhandelt.
Annett Bergmann: „Auf geht’s.“
Wenn sie anrollt, dann ist es wirklich ernst. In Halle-Neustadt sucht die Beraterin Mieter
heim, die nicht bezahlt haben.
Annett Bergmann: Die haben die fristlose Kündigung bekommen oder hatten sie schon und
ich gehe jetzt ohne Termin hin auf gut Glück, dass ich sie antreffe.
Die erste von acht Adressen heute. Annett Bergmann klingelt gar nicht erst an der Haustür.
Direkt an der Wohnung kann man sie schlecht abwimmeln.
Annett Bergmann: So, das ist jetzt die Wohnung.
Der junge Mann steht bei der Wohnungsgesellschaft GWG mit über 800 Euro in der Kreide.
Keiner zuhause. Die Frage ist, ob überhaupt noch jemand dort wohnt.
Annett Bergmann: Hier sehen sie z.B., das ist verplombt, beim Nachbarn. Der hat keinen
Strom mehr. Hier ist noch der Strom. Also der Kasten läuft noch. So dass der Mieter
eigentlich auch da sein müsste.
Dem Mieter droht schon die Räumung. Seine letzte Chance: morgen vorzusprechen.
Annett Bergmann: Weil der Termin sehr kurzfristig ist, gleich für morgen, dann mache ich
die Einladung an die Tür, klemm ich die dran, in der Hoffnung, dass er den Brief heute noch
sieht. Oh, da ist doch jemand da, kucke an. Schönen guten Tag! Guten Morgen!
Nachbar: Was ist denn hier los?
Bergmann: Ja hallo! Wir wollten eigentlich zu Ihrem Nachbarn.
Nachbar: Der ist unterwegs.
Auch den Nachbarn spannt Annett Bergmann gleich mit ein.
Bergmann: Soll er dann da bei mir vorsprechen.
Nachbar: Okidoki!
Bergmann: Ja, um alles zu klären.
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Allein in diesem Jahr rückten Annett Bergmann und ihre Kollegin schon über 400 Mal zum
Hausbesuch aus - Tendenz steigend. Und oft sind es immer dieselben Klienten, die nicht
bezahlen.
Annett Bergmann: Das ist hier ein Fall, die Mieterin hatte im April bereits die Kündigung
bekommen.
Auf Briefe reagiert die Arbeitslose nicht.
Bergmann / Mieterin
Bergmann: Ich hatte Sie ja für den 05. eingeladen.
Frau: Ich konnte den Tag nicht kommen.
Bergmann: Aber da hätten Sie mich zumindest anrufen können.
Frau: Ja, das ist richtig. Hab ich vergessen.
Bergmann: Wann können Sie zu mir kommen diese Woche?
Frau: Morgen.
Bergmann: Morgen.
Das Jobcenter hatte die Miete versehentlich direkt an die Dame überwiesen. Und die gab
das Geld gleich anderweitig aus, beim Vermieter kam das es nie an. Nichts Neues für Annett
Bergmann.
Annett Bergmann
Ich sage zu den Mietern immer: die Miete und die Energiekosten haben die höchste
Priorität. Aber das ist leider in den Köpfen unserer Mieter nicht mehr drin.
Ich: Sondern? Was hat da die Priorität?
Bergmann: Handyverträge, Geld für Sachen ausgeben, Fernseher, also für alle anderen
materiellen Dinge, aber nicht Miete.
Keine Miete zahlen, das bedeutet am Ende oft Obdachlosenheim. Jens Wrobel lebt seit
einem Jahr hier.
Jens Wrobel
Willi, kannst mir mal einen Löffel bringen, bitte! Einen großen!
Bei uns gibt es heute Rindergulasch mit Champignons und als Gemüse machen wir
Apfelrotkohl und Kartoffeln dazu.
In der schmucklosen Gemeinschaftsküche im Haus der Wohnhilfe kocht Jens Wrobel alles
frisch, selbst den Rotkohl. Gelernt ist schließlich gelernt. 35 Jahre lang war er Koch. Und
dann kam der Absturz, schleichend. Die Knie kaputt vom vielen Stehen, den Job verloren.
Jens Wrobel
Das fing alles an: Meine Mutter damals gestorben, meine Ehe ist in die Brüche gegangen.
Und Scheidung und Beerdigung an einem Tag, das war für mich der i-Punkt. Da brach dann
alles zusammen. Ich hatte keinen Bock, ganz ehrlich, ich hatte kein Interesse an nichts
mehr. Ich habe nur noch zu Hause gesessen und vor mich hingeguckt und den Tag kommen
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lassen, wie es kommt. Ich habe erstmal den Briefkasten nicht aufgemacht. Und wenn der
voll war, habe ich alles in eine Tüte gepackt und nicht mehr geöffnet und ganz einfach alles
ignoriert.
Bis zur Zwangsräumung. Wieder eine eigene Wohnung zu bekommen ist jetzt ein langer
Weg. Erste Übung dafür mit Sozialarbeiterin Karin Dubberke: Briefe lesen.
Karin Dubberke:
Er hat darum gebeten, dass die Post über meinen Schreibtisch geht. Das machen manche,
die so Angst haben, Behördenpost alleine zu öffnen, weil sie eigentlich wissen, dass was
wegrutschen könnte. Da machen wir die hier zusammen auf, d.h. ich öffne die, er kuckt sie
sich durch, wird mir sicherlich auch gleich sagen, was drin steht, worum es geht, dass wir
das zusammen besprechen können, uns einen Schlachtplan machen können. Kucken wir
mal. So, worum geht es in dem Brief?
Er: Um meine Autoversicherung, die ich nicht bezahlt hatte.
Sie: Wie würden Sie jetzt verfahren, wenn ich jetzt nicht hier wäre?
Er: Na, ich hab jetzt, wann war das, vorige Woche? Donnerstag habe ich 50 Euro eingezahlt
und nächsten Monat mache ich das wieder.
In kleinen Schritten zum großen Ziel: nächstes Jahr wieder in den eigenen vier Wänden zu
wohnen.
Zurück zu Annett Bergmann, der Spezialistin für Mietschulden. Sie
detektivische Detailarbeit.
stürzt sich auch in
Annett Bergmann
Ich mache mir die Mühe und recherchiere und suche dann manchmal auch Eltern auf oder
eine Schwester oder einen Sohn.
Dieser enorme Aufwand lohnt sich tatsächlich. Die Mietschulden haben sich auch deshalb
bundesweit seit 2003 fast halbiert. Selbst vor einem Besuch am Arbeitsplatz schreckt die
resolute Annett Bergmann nicht zurück. Wie bei diesem jungen Mann.
Bergmann / Mieter
Ich müsste mit Ihnen dann mal kurz sprechen. Können Sie dann mal rauskommen? Sie
haben den Monat April nicht bezahlt und den Monat Mai haben Sie nicht bezahlt. 550 Euro
sind offen. Warum bezahlen Sie nicht Ihre Miete?
Er: Ich war zwei Monate in Vietnam. Weil meine Mutter war krank.
Bergmann: Ich möchte, wenn Sie die Wohnung behalten wollen, dass Sie morgen die zwei
Mieten einzahlen und dass Sie morgen in der Zeit zwischen 13 und 18 Uhr zu mir kommen.
Letzte Chance morgen.
Er: Morgen komme ich.
Bergmann: Das ist jetzt die Kündigung. Und wenn Sie nicht spuren, wenn Sie nicht
bezahlen, dann müssen Sie wieder ausziehen.
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Am nächsten Tag: Annett Bergmann wartet auf ihre Problemkundschaft. Ein hoffnungsvoller
Start. Gleich zu Anfang taucht Jan Koppa auf, der junge Mann mit dem aufmerksamen
Nachbarn.
Guten Tag! Kommen Sie rein!
Nicht nur die zwei Monatsmieten sind bei Jan Koppa überfällig. Er sitzt auf einem
Schuldenberg, angehäuft durch Kreditkäufe und Handyverträge. Nach einem Monat Arbeit
ist der Industriemechaniker seinen Job schon wieder los. Und der Restlohn kommt und
kommt nicht.
Dialog Bergmann / Koppa
Koppa: Ich will ja die Miete bezahlen. Es ist ja nicht so, dass ich da sitze und freu mich,
sage, weißt du was, ich verfeiere mein Geld, sondern es ist ganz einfach, dass ich auf
meine Gelder warte. Genauso wie Sie auch warten. Und da bin ich in den Verzug
gekommen.
Bergmann: Ist es möglich, dass Sie jetzt von dem Gehalt, was sie jetzt nochmal bekommen,
noch mal eine Miete bezahlen? Das wäre natürlich…
Koppa: Darauf warte ich ja schon die ganze Zeit.
Zumindest eine Räumung konnte sie heute verhindern, immerhin. Sonst taucht keiner der
Problemmieter mehr auf. Aber Annett Bergmann lässt nicht locker. Morgen wird sie ihnen
wieder auf den Geist gehen.
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