Weiterbildung SVBB, Arbeitskreis 9 Gemeinsame Sorge – gemeinsame Betreuung: Wer trägt die Kosten des Kindes? 3. und 4. September 2015 Wer trägt die Kosten des Kindes? 1 Allgemeines 1.1 Alleinige - gemeinsame/alternierende Obhut Heute ist die gemeinsame elterliche Sorge Standard, d.h. im Falle einer Trennung oder Scheidung behalten die Eltern das gemeinsame Sorgerecht. Damit ist aber nicht geregelt, welcher Elternteil in welchem Ausmass die Kinder betreut, d.h. wer die tatsächliche Obhut innehat. Im Idealfall und überwiegend verständigen sich die Eltern über die tatsächliche Obhut, notfalls entscheidet das Gericht. Dabei ist zu beobachten, dass die Parteien nicht selten originelle Betreuungsmodelle vorschlagen, deren Umsetzung aber dem Kindeswohl abträglich sein können. Ein alltagstaugliches Betreuungsmodell von gewisser Konstanz muss Ziel sein. Dafür schauen wir mit den Parteien unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Tätigkeit an, wer die Kinder wann direkt betreuen kann. Ausgangspunkt dazu soll vor allem das bisher gelebte Rollenmodell sein. Eine Trennung resp. Scheidung gibt unseres Erachtens keinen Anspruch auf Reduktion eines Arbeitspensums, um eine erhöhte Kinderbetreuung wahrnehmen zu können. In guten Zeiten haben sich die Parteien auf ein gelebtes Rollenmodell geeinigt, was grundsätzlich weiter gelten soll. Als ungefährer Richtwert dient deshalb das in gemeinsamen Zeiten gelebte Betreuungs- und Arbeitspensum resp. generierte Familieneinkommen. Bevor Kinderkosten verteilt resp. Kindesunterhalt festgelegt werden kann, sind vorab die Betreuungsanteile der Eltern festzulegen. Dabei bestimmt das Gesetz nicht, ab wann alleinige Obhut resp. ab wann gemeinsame/alternierende Obhut besteht. Wir sind der Ansicht, dass nicht jeder minimale Betreuungsanteil (bspw. Besuchsrecht alle 14 Tage) unter die gemeinsame Obhut fällt. Im Berner Oberland orientieren wir uns an folgendem Raster: 1.2 Kosten des Kindes - Kindesunterhalt Gemäss Art. 276 ZGB haben die Eltern für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Der Unterhalt wird durch Pflege und Erziehung oder, wenn das Kind nicht unter der Obhut der Eltern steht, durch Geldzahlung geleistet. Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen (Art. 285 ZGB). Gesetz und Rechtsprechung schreiben keine bestimmte Berechnungsmethode vor. 1 Weiterbildung SVBB, Arbeitskreis 9 Gemeinsame Sorge – gemeinsame Betreuung: Wer trägt die Kosten des Kindes? 3. und 4. September 2015 Es gibt einen grossen Ermessensspielraum. Vermutlich per 2017 tritt zudem das System Betreuungsunterhalt in Kraft, was für den Kanton Bern eine Abkehr von der geschätzten Prozentregel zur Folge haben dürfte. Anhand der nachfolgenden Beispiele sollen Möglichkeiten für die Verteilung der Kinderkosten aufgezeigt werden. Grundlage hierzu bildet in Bern die abstrakte Methode (Prozentregel) oder die Bedarfsmethode mit Überschussverteilung. In anderen Kantonen wird regelmässig auf die Zürcher Tabellen abgestellt. 2 2.1 Fallbeispiele Gemeinsame elterliche Sorge, alleinige Obhut bei der Mutter 2.1.1 Hochzeit 2008, eine gemeinsame Tochter (Jg. 2009), Scheidung 2015 gemeinsame elterliche Sorge, alleinige Obhut bei der Mutter, Tochter ist jedes zweite Wochenende von Freitag Abend bis Sonntag Abend und drei Wochen Ferien pro Jahr beim Vater Ehefrau (Jg. 1980), zur Zeit nicht erwerbstätig, KV-Ausbildung und war vor Kind berufstätig Ehemann (Jg. 1979), arbeitet 100% als Elektriker und verdient monatlich CHF 4‘900.00 netto (inkl. Anteil 13. Monatslohn) zuzüglich CHF 230.00 Familienzulagen. 2.1.2 Variante zu 2.1.1.: Eltern sind nicht verheiratet, Trennung 2015 2.1.3 Variante zu 2.1.1.: Der Vater betreut die Tochter zusätzlich jede Woche am Freitag Nachmittag, die Mutter arbeitet zu dieser Zeit 10 % in einem Treuhandbüro. 2.1.4 Variante zu 2.1.1.: Der Vater betreut die Tochter zusätzlich jede Woche den ganzen Freitag, die Mutter arbeitet zu dieser Zeit 20 % in einem Treuhandbüro. 2.1.5 Hochzeit 1998, eine gemeinsame Tochter (Jg. 1998, KV Lehre, 2. Lehrjahr, verdient CHF 1‘000.00), ein gemeinsamer Sohn (Jg. 2002, 7. Klasse) Gemeinsame elterliche Sorge, alleinige Obhut bei der Mutter, der Sohn verbringt jedes zweite Wochenende beim Vater, die Tochter trifft den Vater jeweils einmal pro Woche zum Mittagessen, sonst finden unregelmässige Besuche statt. 2 Weiterbildung SVBB, Arbeitskreis 9 Gemeinsame Sorge – gemeinsame Betreuung: Wer trägt die Kosten des Kindes? 3. und 4. September 2015 Ehefrau (Jg. 1970), arbeitet 50 % als Verkäuferin bei Coop und verdient CHF 2‘000.00 netto (inkl. Anteil 13. Monatslohn) zuzüglich Familienzulagen von CHF 580.00. Ehemann (Jg. 1970) arbeitet 100 % als Elektriker und verdient monatlich CHF 4‘900.00 netto (inkl. Anteil 13. Monatslohn). 2.2 Gemeinsame elterliche Betreuungsanteilen Sorge, alternierende Obhut mit gleichen 2.2.1 Hochzeit 2000, eine gemeinsame Tochter (Jg. 2000), ein gemeinsamer Sohn (Jg. 2003), Die Eltern wohnen in der gleichen Strasse und die Kinder sind jeweils von Sonntag Morgen bis Mittwoch Mittag bei der Mutter und von Mittwoch Mittag bis Sonntag Morgen beim Vater. Ehefrau (Jg. 1970), Ehemann (Jg. 1970), beide Eltern arbeiten je 70 % als Lehrer und verdienen je rund CHF 5'000.00 netto (inkl. Anteil 13. ML, exkl. Familienzulage und Betreuungszulage). 2.2.2 Variante zu 2.2.1.: Die Eltern sind nicht verheiratet 2.2.3 Variante zu 2.2.1: Der Ehemann arbeitet 70 % als Gymnasiallehrer und verdient rund CHF 5‘800.00 netto (inkl. Anteil 13. Monatslohn, exkl. Familien- und Betreuungszulagen). Die Ehefrau arbeitet als Coiffeuse und verdient CHF 2‘400.00 netto (inkl. Anteil 13. Monatslohn, exkl. Familienzulagen). 2.2.4 Variante zu 2.2.3.: Die Eltern sind nicht verheiratet. 2.2.5 Hochzeit 1997, Ehefrau (Jg. 1970), Ehemann (Jg. 1968), ein Sohn (17 Jahre) lebt bei der Mutter, ein Sohn (15 Jahre) lebt beim Vater. Die Eltern arbeiten beide 80 % als Lehrer und verdienen rund CHF 6‘000.00 netto. Der jüngere Sohn hat spielt erfolgreich Eishockey und hat 4 mal pro Woche Training, der ältere Sohn betreibt wettkampfmässig OL. 3 Weiterbildung SVBB, Arbeitskreis 9 Gemeinsame Sorge – gemeinsame Betreuung: Wer trägt die Kosten des Kindes? 3. und 4. September 2015 2.3 Gemeinsame elterliche Sorge, alternierende Obhut / geteilte Obhut mit unterschiedlichen Betreuungsanteilen 2.3.1 Hochzeit 2005, ein gemeinsamer Sohn (Jg. 2005) Der Sohn verbringt jedes zweite Wochenende von Freitag Abend bis Sonntag Abend beim Vater. Der Vater betreut den Sohn zudem jeden Montag Nachmittag sowie jeden Freitag. Am Donnerstag wird der Sohn von der Grossmutter betreut. Der Vater (Jg. 1980) arbeitet als selbständiger Softwareentwickler und verdient sehr unregelmässig, im Schnitt rund CHF 6‘000.00 netto pro Monat. Die Mutter (Jg. 1978) ist Juristin und arbeitet in einem 50 % Pensum beim Kanton Bern und verdient CHF 4‘000.00 netto pro Monat. 2.3.2 Variante zu 2.3.1.: Der Vater betreut den Sohn jeden Montag und Freitag. 2.3.3 Variante zu 2.3.1: Der Vater arbeitet 80 % bei einer Versicherung. Montags betreut er den gemeinsamen Sohn. Am Freitag besucht der Sohn jeweils die Tagesschule. Natalie Fritz, lic. iur. Rechtsanwältin Gerichtspräsidentin Regionalgericht Oberland Stefanie Pfänder Baumann, lic. iur. Fürsprecherin Gerichtspräsidentin Regionalgericht Oberland 4
© Copyright 2024 ExpyDoc