Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Literarische Orte Das Hans-Werner-Richter-Haus in Bansin auf Usedom (3) von Susanne von Schenck Sendung: 02.09.2015, hr2-kultur Sprecherin: Autorin O-Töne von: Martin Bartels (Pfarrer), Claudia Bluhm (Leiterin H.-W.-R.-Haus), Hans Werner Richter hr2-kultur / Bildung Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Anmoderationsvorschlag Er ist der berühmteste Sohn des Kaiserbades Bansin auf Usedom: Hans Werner Richter. 1908 im benachbarten Neu-Sallenthin geboren, wuchs er in Bansin auf. Später lebte der Begründer der Gruppe 47 vor allem in Berlin und München - und sehnte sich immer wieder nach der Ostsee. Auf Usedom ist der Schriftsteller begraben, und in Bansin ist im Hans Werner Richter Haus u.a. sein Arbeitszimmer zu besichtigen. Seine Kindheit schildert der Schriftsteller anschaulich in seinem Roman „Spuren im Sand“ – vielen der dort beschriebenen Orte kann man auf der Insel nachspüren. Susanne von Schenck hat einige davon aufgesucht und auch das Hans-Werner-Richter-Haus besucht. ____________________________________________________________________________ Beitrag 1 Atmo Zug mit Ansage Bansin Autorin Auf dem Weg vom polnischen Swinemünde nach Züssow hält die Usedomer Bäderbahn auch in Bansin. Zwei Gleise, ein Gebäude mit ausladendem roten Dach – das ist der Bahnhof. Zitator (345) „Jeder fährt mal ab“, sagte sie. Sie stand auf dem Bahnhof und sah dem Zug nach, und ich hing aus dem Fenster und winkte. Doch sie winkte nicht. Sie stand nur da und sah dem Zug nach, und ihr Kopftuch flatterte im Nordwestwind.“ 2 Evt. Atmo Zug fährt los (Archiv) Autorin Neunzehn Jahre alt ist Hans Werner Richter, als seine Mutter ihn an einem regnerischen Novembertag des Jahres 1927 von der Bansiner Seestraße zum Bahnhof begleitet. Es geht nach Berlin. Der Abschied von Usedom steht im letzten Teil seines autobiographisch geprägten Romans „Spuren im Sand“. Er spielt über weite Strecken in Bansin, wo Hans Werner Richter als fünftes von sieben Kindern aufwuchs. Seite 2 von 6 3 OT Ba.Hoflage 0.33 Die wohnten eigentlich in einer ärmlichen Kate in einem Dorf zwei Kilometer weg in Sallenthin, da ist auch Hans Werner geboren, 1908, und 1910 haben sie dieses Grundstück gekauft, diese ganze Hoflage hier, und haben dieses Haus gebaut, immer so viel Geld, wie da war, um zu vermieten. Hier waren Garagen, und hier auf dieser freien Stelle war die erste Tankstelle von Bansin, die Richard, sein Vater, betrieben hat. Aber das kann man alles wunderschön nachlesen. Autorin In Bansin könne man an jeder Straßenecke etwas über Hans Werner Richter erzählen, sagt Martin Bartels, Pfarrer im Ruhestand, der den Schriftsteller noch gut gekannt hat. Er steht in der Seestraße 68 vor der Villa Paula; einem weiß grundierten und blau umrahmten Haus, mit Giebelchen und Erkerchen. Dort lebte bis vor wenigen Jahren noch hochbetagt Hans Werner Richters jüngste Schwester Paula. Jetzt hat in dem ehemaligen Richterschen Familienhaus eine Buchhandlung eröffnet. Das hätte den Schriftsteller gefreut, der erst in Swinemünde seine Buchhändlerlehre abbrach und später wegen seines besonders schlechten Zeugnisses in Berlin von einem unkonventionellen Buchhändler eingestellt wurde. 4 Atmo Meer und Möwen 5 O-Ton Ba Heimweh 0.18 Dann hatte er in Berlin solche verflixte Sehnsucht immer nach Bansin und dieser Straße, wo wir jetzt hier gehen, weil er einfach verrückt war nach dem Rauschen des Meeres und, dann sagt er, wegen seiner grünen Bohnen, die seine Mutter so gut kochen konnte, ist er ja immer wieder in Berlin ausgerissen. Autorin Aber in Berlin, so Martin Bartels, entdeckt Hans Werner Richter seine Liebe zur Literatur, beginnt selbst zu schreiben und gründet nach dem zweiten Weltkrieg die Gruppe 47, Keimzelle der deutschen Nachkriegsliteratur – hier ist er zu hören in einer alten Rundfunkaufnahme. 6 O-Ton Richter 0.24 Ich habe immer in meinem Leben gerne Fest gegeben und jetzt gebe ich einmal im Jahr ein Fest, das nennt man die Gruppe 47, dieses Fest. Und ich lade alle Leute ein, die mir passen, die mit mir befreundet sind und wir lesen uns gegenseitig vor und amüsieren uns und reden sehr viel und tanzen abends und es ist ein Fest, das drei Tage dauert. Und dann gehen wir alle wieder auseinander. Und der Freundeskreis existiert immer, den nennt man Gruppe 47. Seite 3 von 6 Musik Autorin Ein großes Ölgemälde im Hans-Werner-Richter-Haus zeigt den spiritus rector der Gruppe 47: mit Pfeife, hochgeklapptem Mantelkragen, rotem Schal, die Haare vom Wind zerzaust – Hans Werner Richter sieht melancholisch-verwegen aus. Es war seine Frau Toni, die sich, unterstützt von Pastor Bartels, dafür einsetzte, ihrem 1993 verstorbenen Mann in Bansin ein Literaturhaus zu widmen. Damals flossen die Gelder noch, und so konnte das über hundert Jahre alte Feuerwehrhaus in der Bansiner Waldstraße umgebaut und im Jahre 2000 als Literaturhaus eröffnet werden [[ - mit der Stadtbibliothek, einer kleinen Ausstellung über die aus Usedom stammende Publizistin und Schriftstellerin Carola Stern. Und vor allem mit zahlreichen Erinnerungsstücken von Hans Werner Richter selbst.]] Claudia Bluhm, die das Haus leitet, zeigt auf einige Fotos. 7 O-Ton Cl Photos 0.50 Zum Beispiel geht es hier 1942 los, wie er in den Kriegsdienst muss, als Hilfszollbetriebsassistent, das war seine erste Aufgabe, wobei es ihn als überzeugter Pazifist da nie hinzog, an der Waffe tätig zu werden. er hat es auch versucht, weitestgehend hinauszuschieben. Aber ganz ist es ihm nicht gelungen, weil er dann bei der Schlacht bei Montecassino in amerikanische Kriegsgefangenschaft kam von 1943- 46, das zeigt das zweite Bild. [[Dann geht es im Nachkriegsdeutschland weiter, er kehrt Ostern 46 nach Deutschland zurück, zu seiner jungen Frau, sie haben beide noch im Krieg geheiratet und ab 1947 gab es dann die regelmäßigen Treffen in Form der Gruppe 47.]] Autorin In einer Vitrine liegen sein Gehstock, der Hut, den er zur Hochzeit trug, das Türschild seiner Münchner Wohnung, ein handschriftliches Manuskript mit dem Titel „Bruder Martin“ 8 O-Ton CL Schrift, Martin 0.13 Die Geschichte „Bruder Martin“ das ist die letzte Geschichte aus dem Band „Reisen durch meine Zeit“, das ist eine wunderschöne Geschichte und bezieht sich darauf, wie er auf Einladung Martin Bartels gereist ist nach Usedom und in der Benzer Kirche gelesen hat. Seite 4 von 6 Autorin Das war am 29. Juli 1986. Hans Werner Richter sollte in der Kirche lesen, in der er über sechzig Jahre zuvor konfirmiert worden war. 9 O-Ton Ba Ereignis 0.39 Es war ein Ereignis. (Ein westdeutscher Schriftsteller in der DDR zu lesen war so wieso ein Unding. Westdeutsches Ausland war ja schlimmer als alles andere. Da musste man spezielle Genehmigungen haben und um diese Genehmigung habe ich gekämpft, und es war bis kurz vor der Veranstaltung noch nicht raus. Dann kriegte ich die Genehmigung. Es war ein Ereignis,) erst mal Hans Werner Richter wieder zuhause, zweitens ein westdeutscher in der DDR und drittens für den Benzer Kirchensommer die Atmosphäre, die Kirche war rappelvoll. Zitator (s. 135) „Ich wagte nicht, aufzusehen…. Immer noch wurden Stühle hereingetragen, jeder freie Platz wurde mit Stühlen ausgefüllt.“ Autorin Erinnert sich Hans Werner Richter in seiner Martin Bartels gewidmeten Erzählung „Bruder Martin“. Zitator „Es kam mir vor, als hätte sich der ganze Landkreis versammelt, alle, die um viele Ecken herum mit mir verwandt waren. Sie waren aus den umliegenden Dörfern gekommen, Sellin, Sallenthin, Neppermin, Bansin. Aber auch andere, von denen ich nichts wußte und die ich nicht kannte.“ Autorin Im Erdgeschoß des Hans Werner Richter Hauses kann man im Arbeitszimmer des Schriftstellers in seinen zum Teil vergriffenen Büchern stöbern oder sich die Fotos in einem Band über die Gruppe 47 anschauen. Das gesamte Inventar mit dem kleinen, aber erlesenen Schreibtisch stammt aus der Münchner Wohnung, erklärt Martin Bartels. Seite 5 von 6 10 O-Ton Ba Zimmer 0.27 Aus dem Zimmer haben wir alles hier nach Bansin bekommen, sein wissenschaftlicher Nachlass ist in der Akademie der Künste in Berlin, aber wir haben also die privaten Sachen vor allen Dingen schöne Bilder hier, und die Bibliothek im kleinen Umfang, alles, was mit ihm und der Gruppe 47 zusammenhängt, das steht hier im Arbeitszimmer. Autorin Hans Werner Richter ist 1993 in München gestorben. Aber er wurde, wie später seine Frau Toni, auf dem Bansiner Friedhof beerdigt, von Pastor Martin Bartels. Dass der Schriftsteller selbst zahlreiche, meist autobiographisch geprägte Romane und Erzählungen geschrieben hat und nach 1945 Antikriegsliteratur verfasste, das wissen nur noch wenige. Seite 6 von 6
© Copyright 2024 ExpyDoc