Den Islam kennen lernen

MUSALAHA
Frühjahr 2015
GEHT UND ERZÄHLT ...
Als Jesus gekreuzigt wurde, verließen
ihn viele seiner Anhänger. Von denen,
die blieben, waren die meisten Frauen,
die aus der Ferne zusahen, wie Jesus
starb und begraben wurde. Römische
Soldaten wurden vor dem Grab in Stellung gebracht, um jeden Versuch, den
Leichnam zu stehlen, zu vereiteln. Wir
können uns die Angst und die Verzweiflung vorstellen, die die Anhänger Jesu
befielen, insbesondere die Frauen, die
treu und aufmerksam ausharrten.
Drei Tage später, nachdem der Sabbat vorüber war, kamen Maria Magdalena und die andere Maria zurück zum
Grab (Mt. 28), und ein Engel erschien
ihnen und sagte ihnen, Jesus sei von
den Toten auferstanden. Als die Frauen
voll Angst und Freude davonliefen, begegnete ihnen Jesus, und jetzt war ihre Freude groß. Er befahl ihnen, zu den
übrigen Jüngern zu gehen und ihnen die
gute Nachricht zu bringen.
In der Zwischenzeit gingen die Soldaten in die Stadt, um zu berichten,
was passiert war und dass der Leichnam weg sei. Die religiösen und die
militärischen Machthaber entwickelten einen Plan, nach dem behauptet
werden sollte, der Leichnam Jesu sei
in der Nacht gestohlen worden. Matthäus sagt, „dass dieses Gerücht bei
den Juden bis heute verbreitet ist“ (Mt.
28,15). Viele Menschen akzeptierten
diese Aussage, glaubten ihr und gingen davon aus, dass das Leben Jesu
vorbei sei, sein Leichnam gestohlen
worden sei.
Interessanterweise schickt Jesus
Frauen, um seine Jünger ins Bild zu setzen. In der damaligen Gesellschaft galten Frauen nicht als zuverlässige Zeugen – dennoch sind sie es, denen Jesus
als Erstes erscheint und denen er seine
ersten Anordnungen nach der Auferstehung gibt. Gleichzeitig versuchen
die religiösen und militärischen Machthaber, der Auferstehung etwas entgegenzusetzen und nutzen ihren Einfluss,
um eine andere Botschaft in Umlauf zu
bringen.
Heute nehmen die Gläubigen die Auferstehung als wirkliches Geschehen an.
Aber hätten wir es geglaubt, wenn wir
vor 2000 Jahren damit konfrontiert worden wären? Würden wir der Aussage
einer an den Rand gedrängten Bevölkerungsgruppe wie den Frauen glauben,
dass Jesus lebt? Oder würden wir den
tatsächlichen Machthabern glauben,
dem religiösen und militärischen Establishment, die behaupten, Jesus sei
tot und sein Leichnam gestohlen? Was
würden wir tun, wenn wir einander so
widersprechende Informationen hätten?
Tatsächlich stehen wir heute einander widersprechenden Informationen
gegenüber, der Hoffnungslosigkeit und
den zweifelhaften Botschaften unseres politischen Establishments, die ihre
exklusiven Vorrechte behalten wollen.
Aber dieses von Hoffnungslosigkeit geprägte Narrativ ist nicht das einzig denkbare. Wir wissen, dass es Hoffnung gibt,
dass Jesus immer noch Menschenleben verändert und dass er will, dass wir
gemeinsam ihm nachfolgen.
Unsere wachsende Frauenarbeit ermutigt mich: all die Frauen, die treu
zusammenkommen und mit- und füreinander beten, obwohl aus unseren
Gesellschaften so viele negative Nachrichten kommen und sie immer wieder
Angriffen und Einschüchterungen aus
der eigenen Gemeinschaft ausgesetzt
sind. Wie die Frauen, die Jesus gesehen
hatten, liefen, um die Botschaft weiterzusagen, so gehen diese Frauen zurück
zu ihren Gemeinschaften und tragen die
Botschaft von der Versöhnung weiter.
Wie können wir heute auf die einander widersprechenden Botschaften
von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit
reagieren? Indem wir immer wieder zusammenkommen, von der Güte Gottes
für uns reden und so Zeugen sind von
der Einheit, die wir haben, weil Jesus
gestorben und auferstanden ist. Als Jesus nach der Auferstehung den Frauen
erschien, warfen sie sich ihm zu Füßen
und beteten ihn an. Aber das ist nicht
das Ende der Geschichte, denn Jesus
sagte zu ihnen: „Habt keine Angst. Geht
und erzählt ... .“ Lasst uns nicht zu Jesu Füßen sitzenbleiben. Lasst uns seine
Botschaft furchtlos zu den Menschen
um uns herum bringen – es ist eine Botschaft der Kraft und eine Botschaft der
Hoffnung!
von Salim J. Munayer
Junge Mütter treffen sich
Den Islam kennen lernen
Am Freitag, den 6. Februar, kamen etliche
lassen, und dass es in Israel Dörfer gibt, in
unserer jungen Mütter zum ersten Trefdenen man angenommen werden muss,
fen des Jahres zusammen. Es ist eine geum dort leben zu können. Die Israelinnen
mischte Gruppe mit vielen verschiedenen
war erstaunt, vor welchen Schwierigkeiten
Interessen. Manche suchen in unseren
israelische Araber stehen, wenn sie einen
Treffen noch mehr geistlichen Gehalt, insPalästinenserin heiraten wollen und welche
besondere mehr Zeit für Anbetung und GeWasserknappheit es in der Region Bethbet. Andere wollen lieber mehr über all die
lehem gibt, wo manche Familien nur jede
Fragen reden, die mit dem Konflikt in unsezweite Woche Wasser bekommen.
rem Land zusammenhängen, den täglichen
Nach diesem Treffen sagten viele
Problemen und wie unterschiedlich das LeFrauen, sie seien dankbar für diese Geleben in Israel oder der Westbank ist. Dieses
genheit, mehr über die anderen zu erfahMal hatten wir uns entschieden, uns mehr
ren. Eine sagte, dass diese Übung für uns
mit der Unterschiedlichkeit unserer ErfahThemen „geknackt“ habe, die sonst immer
rungen zu beschäftigen.
unter dem Teppich bleiben. Eine PalästiWir hatten Hedva eingeladen, die
nenserin sagte, sie habe so die Scheu
bei Musalaha die Frauenarüberwunden, über diese
beit leitet. Sie sollte unsere
Dinge zu reden. Eini(Eine Israelin): Ich hatte
Diskussion leiten. Nach
ge Israelinnen baten
keine Ahnung, wie schwierig
ein bisschen Zeit zum
sehr nachdrücklich
es ist, wenn eine Palästinenserin aus
Warmwerden und eidarum, dass wir
der Westbank einen israelischen Araber
ner Zeit der Anbetung heiraten will: Er muss seinen Wohnsitz beim nächsten Mal
begann sie. Wir wurweitermachen; sie
in Israel behalten, damit er nicht seinen
den in Zweiergruppen
wollten noch mehr
Pass verliert, kann aber den Partner
aufgeteilt und bekamen
erfahren, denn „es
aus der Westbank nicht hineinFragen wie: „Welche Verist wichtig, dass wir die
bringen nach Israel...
antwortung haben die Bürger
verschiedenen Meinunbei euch?“, „Wie wird eine Geburt
gen hören, dass wir zu
registriert?“, „Was muss man
verstehen versuchen und
tun, wenn man Land kauerklären können ... Ich
(Eine Palästinenserin):
fen/behalten oder ein
glaube, dass wir über
Ich weiß, dass es für euch Chris­
Haus kaufen will?“,
alles reden können,
ten eine schwierige Entscheidung ist,
„Kannst du als Frau
eure Kinder in die israelische Armee zu wenn wir es lernen,
nachts allein aus dem
mit dem Wunsch
schicken, aber es ist gut, Christen an
Haus gehen?“, „Wie
nach Verständigung
den Checkpoints zu haben: Sie gelernen Mann und Frau
zu hören und zu rehen gnädiger mit uns um.
sich kennen, wie geht die
den.“ Ein weiterer KomBrautwerbung vor sich?“, „Womentar lautete: „Ich habe
her bekommt ihr, wie gebraucht
so viel Neues über das Leihr Wasser?“ und „Wenn
ben in Israel gehört“,
du jetzt zum Strand wollund: „Ich habe
(Eine Israelin): Es ist egal, wie viele
test – wie kommst du
das Gefühl, dass
Personen in einem Haushalt leben – ihr
da hin?“ Zwei Minuten
ich endlich anfankriegt nicht mehr Wasser als jemand,
hatten wir Zeit für ein Inge, diese Frauen
der allein lebt?
terview, danach sollten wir
zu verstehen. Es war
die Rollen tauschen. So erfuhren wir
gut, dass wir einander so
ein bisschen über das alltägliche
konkrete Fragen gestellt haben,
Leben in der anderen Gemeindas würde ich gerne wieder
(Eine Paläs­
schaft. Die Gespräche liefen
machen.“
tinenserin): Ich wuss­
schnell und einfach bei fast
Im Rückblick auf
te nicht, dass es in Israel ein
allen Fragen, und wir hätten Problem ist, zivil zu heiraten, weil
dieses Treffen schreibt
gut mehr als zwei Minuten nur die orthodoxen Rabbiner jüHedva: „Wenn wir den
füllen können. Hier sind ein
täglichen Stress und
dische Trauungen durchfühpaar Stimmen (Mitte).
den Druck verstehen,
ren können.
dem die anderen ausgesetzt
sind, werden wir füreinander
Gegen Ende sammelte Hedva uns
menschlicher.“ Dieses Treffen
wieder in der großen Gruppe und
war ernsthaft und fruchtbar
bat uns zu erzählen, was wir neu
und machte wieder einmal
erfahren hatten. Wir hatten viel
deutlich, dass – obwohl wir
über Kultur und Leben der andeuns räumlich nah sind – unren gelernt: Die Palästinenseser alltägliches Leben sehr
rinnen waren erstaunt, dass
verschieden ist und wir viel
die Israelis ihre Neugeborenen
über einander zu lernen hazum Innenministerium bringen
ben.
müssen, um sie registrieren zu
Der radikale Islam ist zweifelsohne ganz vorne
in unseren Medien, in Gesprächen und sogar in
den Gedanken. Dennoch scheinen nur wenige
Bescheid zu wissen über den Islam, und wohl
noch weniger wissen, was die Muslime selbst
von diesem Thema halten. Wir waren daher der
Ansicht, dass dies ein wichtiges Thema ist, und
machten den Islam und seine aktuellen Erscheinungsformen zum Inhalt eines Vortragstreffens.
Die Ankündigung fand viel positives Echo, und
zahlreiche Interessenten meldeten sich an.
Unser Redner war ein muslimischer Gelehrter, der über interreligiösen Dialog forscht,
für Humanität wirbt und Extremismus ablehnt.
Er begann mit einer grundsätzlichen Darlegung
dessen, wie ein Muslim seinen Glauben versteht
und praktiziert, und erklärte die Grundwerte des
Islam. Dann kamen einige Konflikte, Teilungen,
Kriege und Strukturen zur Sprache, die aus den
unterschiedlichen Textauslegungen hervorgingen. Ein Teilnehmer war sehr erschrocken, wie
ähnlich diese Auslegungskonflikte denen im Judentum und Christentum sind und sagte: „Sie
haben dieselben Themen wie wir!“ Ein anderer
äußerte sein Erstaunen über die Fülle von verschiedenen islamischen Denkrichtungen und
Auslegungen: „In den Medien erscheinen die
Muslime immer wie ein großer Block; jetzt sehe
ich erst, wie irreführend das ist.“
Die Diskussion drehte sich um mehrere Themen, u.a. den Aufstieg des politischen Islam,
Gewalt, die Fragen von Frauen und Eheschließungen. Viele Teilnehmer waren hier besonders
interessiert, um die islamischen Praktiken und
den Umgang der Geschlechter besser verstehen
zu können.
Zum Schluss wurde der radikale Islam angesprochen, wobei unser Redner sehr klar stellte,
dass Gruppen wir der IS absolut keinen „echten
Islam“ repräsentieren. Einige Teilnehmer staunten über seine Aussage: „Was in den vergangenen zwei Jahren geschehen ist, hat die muslimische Welt in Schock versetzt; wir müssen neu
bedenken, wie wir unseren Glauben verstehen,
und die Verbrechen, die verübt werden, zurückweisen ... Ich sehe das mehr und mehr als einen
Reformprozess; was wir brauchen, ist ein Martin
Luther, der eine solche Veränderung anführt.“
Ein Teilnehmer brachte zum Ausdruck, dass
er froh sei, dieses Thema in einem sicheren Umfeld ansprechen zu können. Er sei sehr ermutigt
durch das Vorgetragene. Ein anderer kommentierte: „Es ist erfrischend, einmal etwas anderes
zu hören als den Hass und die Gewalt, die durch
die Medien gehen. Wir können zusammenarbeiten und unseren Gemeinschaften helfen.“
Ganz überwiegend war gegenseitiger Respekt zu spüren, und das macht Hoffnung darauf, dass sich nicht nur die Gläubigen versöhnen
können, sondern dass hier auch Menschen mit
unterschiedlichem Glauben aufeinander zugehen können. Den größten Gewinn hatte ich gar
nicht erwartet: den Optimismus, der uns hoffentlich weiterhin begleiten wird.
von Jack Munayer
Emotionale Widerstände gegen ein Narrativ
Das Ziel der letzten Frauenkonferenz war
es, mit den emotionalen, ideologischen
und geistlichen Herausforderungen umgehen zu lernen, die wir im Kontakt mit
„der anderen Seite“ erleben. In der Folge wurden wir eingeladen, einen Vortrag
über die emotionalen Widerstände gegen ein Narrativ zu halten.
Unserer Erfahrung nach ist der Umgang mit den unterschiedlichen Ansichten eines der größten Probleme.
Das kommt besonders deutlich heraus,
wenn wir über die Geschichtserzählungen (Narrative) sprechen – darüber, was
geschehen ist und wie wir es in Erinnerung haben. Israelis und Palästinenser
bewerten dieselben historischen Geschehen vollkommen verschieden, und
diese riesige Unterschiedlichkeit zu sehen, kann ein Schock sein. Wir haben
mit allen Teilnehmerinnen gesprochen,
darunter Frauen, die schon bei anderen
Musalaha-Veranstaltungen über Narrative nachgedacht hatten, und solche, die
sich damit noch nie auseinander gesetzt
hatten. Wir stellten ihnen die Funktion
unserer Geschichtserzählungen vor und
forderten sie auf, die starken und unterschiedlichen Gefühle wahrzunehmen.
Danach gaben wir ihnen ein paar Werkzeuge an die Hand, um mit den Unterschieden konstruktiv umzugehen.
Zuerst gab es ein bisschen Hintergrundtheorie, dann stiegen wir in die Aktion ein.
Wir zeigten den Frauen verschiedene
Bilder zu unserer Geschichte und dem
Konflikt und baten sie, uns spontan die
ersten Wörter zu sagen, die ihnen in den
Sinn kamen. Als wir den Frauen zum Beispiel Zeitungsbilder zur Unabhängigkeit
Israels und der Staatsgründung durch
Ben Gurion zeigten, bekamen wir diese
Antworten:
Die jüdisch-messianischen Teilnehmerinnen benannten starke, positive Gefühle
wie Stolz, Hoffnung, Dankbarkeit, Aufgeregtheit, Wunder. Die palästinensischen
Teilnehmerinnen dagegen brachten starke
negative Gefühle zum Ausdruck wie Traurigkeit, Verlust, Katastrophe (Nakba), Krieg
und Pessimismus.
Auch politische Führer, wie Arafat, werden durch die Brille des Narrativs wahrgenommen. Darum ist er für die Israelis
ein Übeltäter und für die Palästinenser ein
Symbol der Hoffnung. Hier hatten wir einige der wichtigsten Ereignisse der jüngeren
Geschichte gesehen und auf unsere Gefühle geachtet. Wir sahen, wie verschieden
Gerechtigkeit
Misstrauen
Hoffnung
Sicherheit
Verdacht
Frieden
Betrug
böse
wir dasselbe Bild betrachten. Da kamen
viele einander widersprechende Emotionen
hoch, und wir konnten darüber sprechen,
wie wir mit diesen großen Unterschieden
umgehen.
Gut zuzuhören will geübt sein, wenn wir
offen und ehrlich miteinander umgehen wollen. Fünf praktische Tipps gab es, die wir im
persönlichen Alltag und bei Gruppentreffen
anwenden können, und dazu praktische
Beispiele aus unserer eigenen Erfahrung.
Wir versuchten auch aufzuzeigen, wie wir
für unsere Gefühle Verantwortung übernehDas sind typische Beispiele dafür, wie unmen können, indem wir mit uns selbst ehrser Narrativ unsere Wahrnehmung von
lich sind und einander mit Respekt begegGeschichte – und der Geschichte unseres
nen. Zum Schluss ging es noch darum, wie
Feindes – beeinflusst. Die Errichtung des
wir unsere Vergangenheit und Gegenwart
Staates Israel ist einer der wunderbarsten
anschauen.
Momente der Geschichte nach 2000 JahAlle müssen wir im Alltag mit widerspreren Leid und Verfolgung. Aber für die Paläs­
chenden Narrativen umgehen – z.B. wenn
tinenser markiert dieser Tag den Anfang ihzwei politische Parteien dasselbe Ereignis
res Leidens und ihrer Verfolgung.
interpretieren, oder wenn zwei
Kinder sich darüber streiten,
was passiert ist, und ganz sicher
Wunder
Nakba
in den israelischen und palästinensischen Medien und in den
Stolz
Katastrophe
Schulsystemen.
Traurigkeit Hoffnung
Im Rückblick fanden die
Teilnehmerinnen
die Tipps zum
Verlust
dankbar
guten Zuhören ein besonders
Stolz
Krieg
wertvolles Hilfsmittel, das sie von
aufgeregt
pessimistisch diesem Wochenende mitgenommen hatten.
Gottesfurcht Neugier
Shadia Qubti und
Ambreen Ben-Shmuel
Dann zeigten wir ihnen ein Foto von Yassir
Arafat bei seiner ersten Rede vor der UN
als Bild der öffentlichen Anerkennung des
palästinensischen Volkes und ein späteres
Foto von ihm. Die palästinensischen Teilnehmerinnen reagierten mit positiven Gefühlen wie Gerechtigkeit, Hoffnung, Sicherheit und Frieden.
Jüdisch-messianische Frauen nannten
die entgegengesetzten Gefühle: Misstrauen, Betrug, Verdacht, böse.
Musalaha und ich
Jeder hier hat eine Geschichte zu erzählen
und eine Meinung, die mit dieser Geschichte zusammenhängt. Das liegt daran, dass
jeder hier in Israel irgendwie vom Konflikt
mitbetroffen ist. Politische Entscheidungen
geben vor, wo du wohnst, welche Farbe
dein Nummernschild hat und wo du hinfahren kannst und wo nicht.
Das ist ein großer Unterschied zu meiner Heimat Großbritannien, wo ich (angeblich) frei von jeder staatlichen Kontrolle gelebt habe und wo die Themen Religion und
Politik auf jeden Fall vermieden werden:
Dort verbergen wir unsere Gedanken hinter
einer Maske aus Höflichkeit. Aber wenn ich
über mein Leben in London und das Leben
hier nachdenke, dann sehe ich, dass die
scheinbare Freiheit in Großbritannien eine
gewisse Gleichgültigkeit erzeugt und mich
unfähig macht, das zu schätzen, was ich
habe. Wenn mein Glaube direkter herausgefordert wäre, oder meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt, dann wären sie mir
vermutlich viel kostbarer.
Das ist mir bewusst geworden in Interviews mit Israelis und Palästinensern, die
an unterschiedlichen Stellen am MusalahaProgramm teilnehmen (die Interviews sollen bald veröffentlicht werden). Es hat mich
sehr berührt, dass die Menschen gerade
weil sie auf beiden Seiten mit Einschränkungen zu kämpfen haben, das Leben als
viel kostbarer bewerten, als ich es mir vorstelle.
Alle, Palästinenser und Israelis, haben
mir erzählt, wie wichtig es ist, zusammenzukommen, obwohl das emotional und
physisch einen hohen Preis haben kann.
Das kann bedeuten, in der eigenen Familie als Verräter beschimpft oder aus der
Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Dennoch wollen sie auf beiden Seiten
einander als Mütter,
Söhne und Töchter
wahrnehmen. Und ich
sehe, wie wichtig das
ist. Wenn du deinem Feind kein Gesicht
gibst, ist es so einfach, ihn zu entmenschlichen und gegen ihn zu kämpfen.
Es war ermutigend, aber auch ernüchternd zu sehen, dass trotz der Widerstände
und der fehlenden Freiheit die Zusammenkünfte, die Musalaha organisiert, etwas
extrem Hilfreiches werden. Die Menschen
lernen, was es heißt, jemanden zu lieben,
den sie sonst kaum zu mögen in der Lage
wären. Und ich sehe darin das, was Jesus
meinte, als er sagte: „Selig sind die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden
... Selig die Friedensstifter, denn sie werden
Kinder Gottes heißen.“
von Susie, freie Filmproduzentin aus
London, für drei Monate in Jerusalem
Neues von Familie Munayer
Weihnachten war herrlich – ein volles Haus,
Partys und Daniels Latinomusik, die Salim
sich inzwischen auch heruntergeladen hat.
Es war nur zu schnell vorbei, und danach
bekam ich eine Lungenentzündung, die
sehr hartnäckig war. Im Februar habe ich
meinen Winter-Besuch in Bolton gemacht,
und da John ja in London studiert, bin ich
dort kurz vorbeigeschneit – genau zu seinem 21. Geburtstag. Das war ein schöner
Tag voll vieler verschiedener Dinge. Nun
bin ich wieder in Jerusalem. Sam hat Prüfungen, Salim eine Allergie, die ihn Tag und
Nacht husten lässt. Jack leiht immer öfter
das Auto und lässt sich einen Bart stehen.
Musalaha
Schweiz
Musalaha, c/o amzi, Postfach 1232,
CH-4153 Reinach BL 1
Tel. 0041 (0)61 712 11-38, Fax -34
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Deutschland
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Salim Munayer
P.O. Box 52110, IL-91521 Jerusalem
Tel. 00972 2 672 0376
E-Mail: musalaha @ netvision.net.il
Internet: www.musalaha.org
Jack leitet im April den Wüstentrip für Jugendliche und die Fahrt mit den jungen Erwachsenen nach Irland im August. Er arbeitet für Musalaha, braucht aber Weisung für
den nächsten Schritt – ob er arbeiten oder
weiter studieren soll. Und außerdem juckt
der Bart ...
Daniel schreibt seine Abschlussarbeit und
hat im Mai seinen Abschluss. Salim und ich
werden bei der Zeugnisverleihung dabei
sein. Auch er braucht Gebet für den nächs­
ten Schritt: Arbeit oder Praktikum und wo?
Was wird in Zukunft sein?
John liebt London, die Uni, Schwimmen,
sein Fußball-Team, das Leben überhaupt.
Er hat gerade seinen 21. Geburtstag gefeiert, und es geht ihm richtig gut. Die Menge
und die Anforderungen der Arbeit in Englisch an der Uni sind eine Herausforderung.
Sam hat viele wichtige Prüfungen in den
letzten beiden Highschool-Jahren. Er sagt
immer wieder, dass es nicht so einfach sei,
es drei erfolgreichen Brüdern nachtun zu
müssen. Er schwimmt und bereitet sich auf
die nationalen Meisterschaften vor. Nach
1½ Jahren hat er sich die Haare geschnitten (ich sage gar nichts!).
Geographische Übersicht: Jack - Jerusalem; Daniel - American University, Washington DC (Studium Internationale Beziehungen); John - London, Kings College (Politik,
Religion, Gesellschaft); Sam - Jerusalem.
Salim wird im Juli 60 und irgendwie bin ich
25 geblieben! Um seinem Alter Rechnung
zu tragen, treiben wir beide Sport: Walking
(einzeln und zusammen), Gymnastik (er)
und Pilates (ich). Meine Arthritis bremst
mich etwas, aber eigentlich mache ich das
alles ja nur, um ihn zu motivieren (!?%#!?)
Der Sommer sieht zerfranst aus; bis jetzt
kann noch keiner von uns sagen, wann er
wo sein wird und was er genau tun wird, also planen wir nichts. Ich hoffe, dass Salim
und ich in Amerika ein bisschen Spaß und
Erholung finden, wenn wir zu Daniels Abschluss kommen. Wir wollen ein paar Tage
in Boston und New York anhängen, wo ich
noch nie gewesen bin.
Es gibt noch so viel Mühe und Plage hier...
Aber das ist es für heute,
Kay Munayer für den Rest der Familie
PS: Danke für alle Weihnachtspost!