Den ganzen Bericht, den wir in unserem letzten

Unser Essen hält Körper und
Geist fit
Der Mensch möchte essen: Essen ist ein sinnliches Erlebnis. Es geht
einher mit befriedigenden sensiblen Rückmeldungen zu Geschmack,
Geruch, Konsistenz und Temperatur. Essen ist ein Genuss.
Der Mensch muss essen: Unser Organismus meldet sich mit existenzieller Kraft, wenn die Zufuhr von Energie und Baustoffen nicht funktioniert. Essen ist Notwendigkeit.
Was aber, wenn das Essen gestört ist? Wenn die Nahrungsaufnahme
schwierig wird? Das Kauen und Schlucken erfordern ein exaktes Zusammenspiel verschiedener Muskeln und Strukturen. Eine Meisterleistung
von Koordinationsprozessen, die ähnlich dem Sprechen ist. Die Nahrung
passiert vom Mund bis in den Magen mehrere sehr störanfällige Stellen.
Reflexe werden angesprochen. Besonderheiten im Körperbau können
problematisch werden. Psychische Belastungen wirken sich aus. Die
Ursachen von Schwierigkeiten sind vielfältig und ein einfaches
Verschlucken kann schnell gefährlich werden.
In der Entwicklung von allen Kindern gibt es Phasen,
in denen es Probleme mit dem Essen gibt. Wenn
diese Phasen so lang werden, dass die ausreichende
Aufnahme von Nährstoffen gefährdet ist, muss etwas
passieren. Die Zuführung von Nahrung über eine Sonde
kann dabei eine Lösung sein.
Wir möchten in diesem Zusammenhang über Max Bischoff berichten.
Im Gespräch mit seiner Mutter haben wir die Anlage seiner Ernährungssonde rückblickend betrachtet. Heute ist das eine Erfolgsstory: Sie sehen
Max auf diesen Seiten in bester Verfassung, aktiv und lebensfroh. Vor
zwei Jahren war das noch anders.
Es ist aber auch eine Geschichte, die zeigt, dass die Entscheidung für eine
Sonde nicht leicht fällt. Manchmal liegt das an ganz falschen Vorstellungen und Informationen zu diesem Thema. Das möchten wir gerne
ändern und Mut machen.
Was ist eine PEG-Sonde?
Die PEG-Sonde stellt eine direkte Verbindung zum Inneren des Magens
her. In einem medizinischen Eingriff unter video-endoskopischer Kontrolle wird ein weicher Kunststoffschlauch durch Bauch – und Magenwand
bis in den Magen oder Dünndarm eingebracht und gegen ein unbeabsichtigtes Herausrutschen gesichert. Durch diesen Zugang können
Flüssigkeit, Nahrung und Medikamente gegeben werden, die dann von
unserem Verdauungssystem verwertet werden können.
Heute geht es Max wieder richtig
gut
Ute Bischoff, die Mutter von Max, empfängt mich bei
sich zu Hause zu unserem vereinbarten Gespräch. Sie
Was ist Sondenkost?
Zuerst einmal all das, was über die Sonde verabreicht wird. Das können die ganz normalen Getränke und Mahlzeiten sein, so wie sie jeder
zu sich nimmt. Die Nahrung muss dabei nur entsprechend zerkleinert
macht einen fröhlichen, entspannten Eindruck. Einzig
und dünnflüssig gemacht werden. Als Sondenkost wird aber auch die
ihr Knie bereitet ihr zurzeit Sorgen. Das ist aber etwas
industriell hergestellte Fertignahrung bezeichnet, deren Bestandteile
Einfaches. Ute Bischoff kennt andere Probleme und
eine in jeder Hinsicht ausgewogene und ausreichende Ernährung
viele davon hingen in der Vergangenheit mit Max und
garantieren.
seinem Essen zusammen.
Noch vor zwei Jahren saß Max fast nur im Rollstuhl. Ihm war
Unglaublich! Max läuft alleine, er ist viel zufriedener. Ich kann mit
ständig kalt, er hatte tiefe Ringe unter den Augen, war kraftlos und
ihm eine gute Stunde an der Hand rausgehen. Das war vor zwei
ständig unzufrieden. „Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn
Jahren gar nicht denkbar. Da hat ihm eindeutig etwas gefehlt. Er hat
ich daran zurückdenke“, so Ute Bischoff.
heute viel mehr Kraft und auch das Gehirn arbeitet besser. Ich bin
richtig stolz auf ihn.“
Max konnte nicht richtig essen. Vieles von dem, was ihm seine Mutter
geduldig gab, kam wieder zurück. „Er hat immer wieder aufgestoßen
Was hatte Ute Bischoff solange davon abgehalten, der Anlage einer
und kam erst zur Ruhe, wenn das meiste wieder draußen war.“ Ein
PEG-Sonde zuzustimmen? Ganz eindeutig ist ihre Antwort nicht. Sie
wenig kam an, aber längst nicht genug für den damals Zwölfjährigen,
hatte Angst vor Entzündungen oder dass Max sich die Sonde selbst
dessen Organismus die in der Pubertät notwendigen Wachstums-
herausziehen könnte. Sicherlich war es auch der Eingriff selbst, den
und Umstellungsprozesse zu bewältigen hatte.
sie ihrem Sohn gerne erspart hätte. Letztlich war es dann die schlichte
Notwendigkeit, die sie zustimmen ließ.
Zusammen mit Max war sie bei etlichen Spezialisten. Er unterzog sich
Operationen, die das Problem beheben sollten. Letztlich ohne Erfolg.
Rückblickend ist es so gelaufen, dass Max den Eingriff locker weg
Die Nahrung blieb vor dem Magen liegen, es kam zu wenig an. Max
gesteckt hat. Für zwei Tage war er zusammen mit seiner Mutter in der
hatte ständig Hunger, er stand permanent unter Stress und auch Ute
Klinik. Danach sind sie zusammen noch in einer speziellen Therapie-
Bischoff war deswegen rund um die Uhr unter Druck. Sie entschied
Einrichtung gewesen, um die richtige Nahrungszusammensetzung
sich, Max eine Sonde zur Ernährung anlegen zu lassen.
für Max zu finden und um den Umgang mit dem System zu lernen.
Ute Bischoff heute: „Ich bin sowas von glücklich. Ich strahle über das
Die Einstichstelle muss heute noch nicht mal mehr verbunden wer-
ganze Gesicht! Unsere ganze Situation hat sich dermaßen verbessert.
den. Sie hat sich zwar einige Male leicht entzündet, das war aber mit
Pro und Contra PEG-Sonde:
Die wichtigsten Punkte
+ Einfache Sicherstellung der ausreichenden Nahrungszufuhr, dadurch
mehr Kraft, Ausdauer, Lebensqualität, Aufmerksamkeit und Verbesserung der Wärmeregulation
+ Sichere und exakte Gabe von notwendigen Medikamenten
- Medizinischer Eingriff und kurzer stationärer Aufenthalt (ein bis zwei
Tage) mit zirka dreiwöchiger Ausheilungsphase
- Etwas Neues, das zu Beginn unsicher macht
einer einfachen Salbe schnell wieder in Ordnung. Max hat sich am
Anfang auch die Sonde gezogen. Seit dem letzten Sommer aber kein
Unser Standpunkt
einziges Mal mehr. Mutter und Sohn haben die richtige Handhabung
jetzt gefunden und Max hat sich daran gewöhnt. Heute ist das für
Die Ernährung über eine Sonde ist sicherlich nicht für jeden der rich-
ihn alles ganz normal und er akzeptiert es vollständig.
tige Schritt. Aber es ist wichtig, diese Form der Hilfe zu akzeptieren
und mit in das Repertoire der Möglichkeiten aufzunehmen.
Die Nahrung wird jeden Monat zusammen mit den Überleitungssystemen geliefert. Zusätzliche Kosten entstehen keine. Der Umgang
Mit der Anlage einer Sonde wird die sinnliche Seite des Essens nicht
mit der Pumpe, die auch gestellt wird, und dem Schlauchsystem ist
beeinträchtigt. Der Geschmack und die besondere Sensitivität des
nicht schwierig. Dadurch, dass die Pumpe akkubetrieben ist, kann
Mundinnenraums können völlig unverändert auf all die verschiede-
Max Pumpe und Nahrung immer in seinem Rucksack dabei haben
nen Weisen angesprochen werden, die auch vorher möglich waren.
und es ist einfach, ihm über den Tag verteilt die richtige Nahrungsmenge zuzuführen.
Der Umgang mit der Einstichstelle und dem Ernährungssystem
ist nicht schwierig. Das kann man gut und schnell lernen, und die
Und was ist nun mit der Currywurst? Wo bleiben Speichelfluss,
Einstichstelle ist nach einiger Zeit völlig reiz- und komplikationslos -
Geschmack, Genuss? Max wurde nichts genommen! Er kann das
ähnlich wie ein Ohrloch,
alles weiterhin so wie vorher. Heute geht es nur viel einfacher und er
hat nicht mehr andauernd Hunger. Er bekommt seine Medikamente
Die Sonde ändert nichts an den vorhandenen Fähigkeiten. Sie ist ein
genau richtig dosiert. An manchen Tagen reicht es aus, ihm über die
Zusatz zu den bestehenden Möglichkeiten und schränkt nicht ein.
Sonde nur die notwendige Flüssigkeitsmenge zu geben. Er braucht
auch nur die Nahrungsmenge über die Sonde, die ihm nach dem
Die Sonde ist kein Rückschritt. Sie kann die Basis für Fortschritte sein.
Essen sonst noch fehlen würde.
Ihr Einsatz muss gut überlegt sein und viele Aspekte sind gegeneinander abzuwägen. Die Entscheidung für die Anlage einer Sonde ist
Max hat sich seit der Anlage der Sonde prima entwickelt. Und das
ein sehr individueller Prozess mit weitreichenden Konsequenzen.
Verhältnis von Mutter und Sohn ist wieder deutlich entspannter.
Gerade in der Pubertät, in der die Beziehung oft angespannt ist, ein
Eine Sonde kann auch nur für eine bestimmte Zeit sinnvoll sein und
großer und wichtiger Vorteil für beide Seiten.
dann wieder entfernt werden.
Aus dem Buch Lotta Wundertüte von Sandra Roth, Kiepenheuer&Witsch, Köln, 2013 « Dr. Waltz: „Frau Roth, haben Sie schon mal über eine Sonde
nachgedacht?“ „Eine Sonde?“ „Wenn ich mir das mit dem Wasser und dem Löffel so anschaue ...“ „Aber Sie ist doch nicht dehydriert, oder?“ „Nein,
aber gut ist das nicht.“ „Das wird wieder besser.“ „Viele Eltern zögern sehr lange, bevor sie eine Magensonde akzeptieren. Und später sagen die
meisten: Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich es eher gemacht. Das kann eine Familie sehr entlasten. Die Mahlzeiten wären wieder ein
fröhliches Zusammensein und kein Stress. Auch für Lotta. Sie würde sich nicht mehr so oft verschlucken.“ „Aber ...“ „Wir würden zuerst eine Sonde
durch die Nase legen und erst sehr viel später eine PEG-Sonde.“ Neues Wort: Perkutane endoskopische Gastrotomie - PEG. Die PEG-Sonde ist ein
künstlicher Zugang zum Magen, ein Plastikschlauch in Lottas Bauch. „Nein.“ „Denken Sie darüber nach.“ „Das wird wieder. Und wenn es doch auch
so geht. Nur weil es für mich anstrengend ist ...“ „Auch das kann ein guter Grund für eine Sonde sein. Sie müssen auch an sich denken.“ „Nein. Ich
habe die Sitzschale akzeptiert, den Reha-Buggy, die Medikamente, die Embos, das Diazepam. Ich weigere mich zu akzeptieren, dass Lotta ein Loch
im Bauch braucht.»