Datenhighway fürs Auto

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Datenhighway fürs Auto
IAV untersucht in einem BMBF-Projekt den Einsatz von Ethernet im Fahrzeug
N
eue Sensoren wie Videokameras
oder 3-D-Laser erzeugen immer
größere Datenmengen mit hohen
Echtzeit-Anforderungen, die über den CANBus nicht übertragen werden können. Als Ergänzung oder möglicher Nachfolger bietet
sich Automotive Ethernet an: Der Standard ermöglicht große Datenübertragungsraten,
hat sich in der IT-Welt bewährt und könnte in
Zukunft die Grundlage für die Vernetzung im
Fahrzeug sein. Ein Versuchsfahrzeug zeigt,
was die neue Technik leisten kann.
Bei einem Megabit pro Sekunde (Mbps) pro
Segment hat der CAN-Bus spätestens sein
Geschwindigkeitslimit erreicht. Schon heute
reicht das nicht mehr aus, um eine große Zahl
von Steuergeräten über einen einzigen Bus
miteinander zu vernetzen – darum arbeiten in
typischen Fahrzeugen wie dem VW Golf oder
dem VW Passat rund ein halbes Dutzend separater CAN-Busse, die jeweils für verschiedene Fahrzeugdomänen wie den Motor, Chassis, Infotainment oder Fahrerassistenz zuständig sind. Der Großteil der Datenkommunikation verläuft innerhalb einer Domäne, der
Rest wird über Gateways zwischen den Domänen abgewickelt.
In der jüngeren Vergangenheit haben zwar weitere Bus-Systeme wie MOST und FlexRay
Einzug ins Fahrzeug gehalten, sie sind aber
nicht so allgemein ausgelegt wie der CAN-Bus:
Während FlexRay zum Beispiel für die Fahrwerk- oder Motorsteuerung eingesetzt wird,
ist MOST auf den Umgang mit Infotainmentsystemen spezialisiert. Um die Begrenzungen
der existierenden Bus-Systeme zu umgehen,
setzen viele Automobilhersteller darum auf
proprietäre Lösungen, mit denen sie neue
Sensoren mit dem Fahrzeug verbinden können: „Teilweise werden Fahrerassistenzbaugruppen mit Kameras analog oder über LVDS
(Low Voltage Differential Signaling) an das Fahrerassistenzsystem angebunden oder es wird
Ethernet proprietär als Punkt-zu-Punkt-Verbindung verwendet“, erklärt René Röllig, SeniorProjektleiter für Fahrerassistenzsysteme bei
IAV. „Besser wäre es allerdings, wenn es auch
für hohe Datenraten einen einheitlichen Standard gäbe.“
Hohe Echtzeit-Anforderungen im
Fahrzeug
Die Anforderungen an ihn sind klar: Der neue
Standard muss hohe Datenraten weit oberhalb
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von einem Mbps erlauben sowie eine hohe
Übertragungssicherheit und einen geringen
Jitter aufweisen – dahinter verbergen sich unerwünschte Verzögerungen der Nachrichten
gegenüber dem Systemtakt. Entscheidend ist es, ob das
System die hohen
Echtzeit-Anforderungen im Fahrzeug erfüllen kann:
„Sicherheitsrelevante Signale an
die
Bremsen
oder das Chassis
müssen innerhalb
von streng definierten zeitlichen Toleranzgrenzen übertragen werden“, so Röllig. „Der CAN-Bus kann
in seiner Geschwindigkeitsklasse seit jeher damit umgehen: Dort setzt sich die wichtigste
Nachricht durch. Ein Nachfolger muss dazu
ebenfalls in der Lage sein.“
Ein aussichtsreicher Kandidat ist Automotive
Ethernet, ein Ableger des aus der IT bekannten Übertragungsstandards. „Diese neue
Technologie erwacht gerade“, berichtet Röllig. „Allerdings gibt es heute nur wenige Hersteller, die Chips dafür produzieren.“ Während
im Computerumfeld derzeit Datenraten von
mehr als zehn Gigabit pro Sekunde (Gbps)
möglich sind, erreicht die aktuelle Version fürs
Fahrzeug maximal 100 Mbps. Ursache dafür
ist die einfache Zweidraht-Leitung für den Datentransport – in der IT kommen hingegen
meist geschirmte Kabel mit vier oder acht Leitungspaaren oder Lichtwellenleiter zum Einsatz. Umgekehrt ist das aber auch ein großer
Vorteil von Automotive Ethernet: Es kommt mit
den gleichen Kabeln aus, die auch der CANBus nutzt. Oberhalb der physikalischen Übertragungsschicht sind die aus der Netzwerktechnik und dem Internet bekannten Protokolle IP (Internet Protocol, Netzwerkschicht)
und TCP (Transport Control Protocol, Transportschicht) für den Datenaustausch verantwortlich.
Time-Triggered Ethernet mit
garantierten Verzögerungen
Allerdings müssen die Kommunikationsprotokolle zuvor an die Echtzeit-Anforderungen im
Fahrzeug angepasst werden: Denkbar sind kleinere Paketgrößen und ein Zeitmultiplex-Verfahren, das den Zugriff der einzelnen Steuergeräte auf den gemeinsamen Bus regelt.
Durch verschiedene statische Regeln für TimeDivision-Multiple-Access (TDMA) kann das
Time-Triggered Ethernet (TTE) einen zuverlässigen Datentransfer und vorhersehbare
Verzögerungszeiten garantieren. „Eine weitere zentrale Frage ist die Netzarchitektur“, sagt
Röllig. „Denkbar ist eine Stern-Topologie, bei der
Multiport-Switches die Daten verteilen. Alternativ könnte man aber auch jedes Steuergerät mit zwei Ports als Ein- und Ausgang ausstatten und alle hintereinanderschalten.“
Wie die Daten-Backbones in den Fahrzeugen
der Zukunft aussehen könnten, untersucht
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IAV derzeit gemeinsam mit der Hochschule für
Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW).
Im Rahmen des BMBF-Projekts RECBAR (Realtime Ethernet In-Car Backbones) haben die beiden Partner einen Golf 7 mit zusätzlichen
Sensoren wie einer HD-Kamera und 3-D-Laserscannern ausgestattet, die über TTE mit
dem Fahrzeug verbunden sind. „Ihre hohen Datenraten erzeugen großen Stress im System“,
so Röllig. „So können wir feststellen, ob Automotive Ethernet diesen Anforderungen gewachsen ist.“ Über Gateways können Botschaften zwischen TTE und den CAN-Bussen
ausgetauscht werden – so lässt sich auch untersuchen, ob sie mit ausreichender Priorität
ihre Empfänger erreichen.
Simulationen bilden kritische
Netzwerkzustände nach
Um das komplexe Netzwerk im Fahrzeug zu
untersuchen, nutzen IAV und HAW aber auch
Simulationen, die TTE-Komponenten nachbilden und die Kommunikation detailliert analysieren können. „Die bisherigen Ergebnisse
zeigen, dass der Datenaustausch die grundsätzlichen Anforderungen erfüllen kann“, berichtet Röllig. „In Zukunft werden wir bewusst
kritische Systemzustände anfahren und Konzepte untersuchen. Denkbar wäre beispielsweise, Daten über einen zusätzlichen redundanten Link zu routen und Ausfallszenarien
durch das Abschalten bestimmter Dienste
und Teilnehmer zu modellieren.“
Das Projekt läuft noch bis Mitte 2016. Mit dem
ersten Serieneinsatz von Automotive Ethernet jenseits proprietärer Nischen rechnet
Röllig frühestens 2018.
Kontakt: [email protected]