KEP-Nachrichten-Sonderservice zur Ausgabe 2/2016 (aus DVZ Nr. 2 vom 8. Januar 2016) Das Erwachen der Macht FOTOS: CESARE ANDREA FERRARI/ISTOCKPHOTO; FOTOLIA/PHOTOGRAPHEE.EU [M] Die etablierten Paketdienste bekommen einen starken Konkurrenten. Amazon plant ein deutschlandweites Netz. F. APPEL Kein Krieg der Sterne, aber ein Kampf um den direkten Zugang zum E-Commerce-Kunden: Der US-Konzern Amazon wird mit seiner Macht den deutschen Paketmarkt verändern. Von Sebastian Bollig D er US-Onlinehändler Amazon wird in Deutschland einen eigenen Paketdienst aufbauen. Derzeit kümmert sich bereits ein Team bei Amazon Logistics um die Suche nach geeigneten Standorten. Dabei dient das seit Mitte Oktober in Betrieb befindliche Verteilzentrum in Olching bei München als Modellprojekt, welches im Erfolgsfall deutschlandweit ausgeweitet wird. „Zunächst werden wir andere Metropolen angehen und in Stadtnähe Verteilzentren aufbauen“, erläuterte Bernd Schwenger, Director Amazon Logistics, im Gespräch mit der DVZ. Ihm ist es wichtig, eigene Kapazitäten aufzubauen, bevor Engpässe entstehen. Amazons Pläne seien kein Ausdruck mangelnden Vertrauens in die derzeitigen Fähigkeiten der Logistikpartner. Auch der Leistungsabfall bei DHL wegen des Streiks im Sommer vergangenen Jahres sei nicht der entscheidende Grund gewesen. „Ich brauche weiterhin starke, verlässliche Paketdienstleister“, sagte Schwenger, „aber ich will Flexibilität gewinnen, neue Services wie Same-Day-Zustellung anzubieten. Hier hilft ein eigenes Angebot.“ Die Standortsuche sei kein Selbstgänger. „Es ist derzeit sehr schwierig, passende Logistikimmobilien im Umland der Großstädte zu finden“, sagte Schwenger. Klar ist, dass Pakete künftig grundsätzlich zuerst im eigenen Netz landen. Gesteuert wird dies durch eine selbst entwickelte Software. Dabei muss Amazon Logistics als interner Dienstleister durch Qualität überzeugen. Dies vorausgesetzt, wird bei der Auftragsvergabe künftig das eigene Paketnetz Priorität haben. Erst wenn die Kapazitätsgrenze eines Verteilzentrums erreicht sei, werde ein externer Dienstleister beauftragt. Ein flächendeckender Einstieg des US-Versandhändlers ins Paketsegment hätte große Auswirkungen auf das Geschäft der etablierten deutschen Netzanbieter, betonte Marktexperte Klaus Esser, Geschäftsführer der Kölner Beratungsgesellschaft KE-Consult. Amazon sei der dominante Onlinehändler in Deutschland mit entsprechend sehr hohem Sendungsvolumen. Darüber hinaus entstünde für DHL, Hermes oder DPD ein finanzstarker und marktmächtiger Konkurrent, der neue Trends und Standards setzen kann, hinter denen die etablierten Paketdienste nicht zurückbleiben könnten. E-Commerce Amazon setzt etablierte Paketdienste unter Druck Von Sebastian Bollig A uch wenn aus den Chefetagen der großen deutschen Paketdienste offiziell nur Beschwichtigungen kommen, dürften die Nerven dort blank liegen. Dass mit Amazon der Haupttreiber des beispiellosen Paketbooms der vergangenen Jahre nun in Deutschland selbst ins Geschäft einsteigt, war seit Monaten befürchtet worden. Jetzt ist es offiziell. Während Amazon in deutschen Großstädten bereits geeignete Logistikflächen für weitere Paketzentren sucht, kann das Management bei DHL, Hermes oder DPD über Konzepten grübeln, wie sich die drohenden Profitabilitätsverluste durch den Wegfall eines großen Teils des Amazon-Paketaufkommens kompensieren lassen. Zur Einordnung: Der E-Commerce-Riese schlägt mit seinem im Aufbau befindlichen Netz in München bereits rund 20 000 Pakete am Tag um. DPD kommt dort täglich auf gut 14 000 und Hermes auf rund 23 500 Sendungen. Die Deutsche Post erreicht im für weite Teile Südbayerns zuständigen Paketzentrum Aschheim durchschnittlich 250 000 Pakete am Tag. Dies zeigt die Marktmacht des US-Konzerns. Er hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass das Management bereit ist, finanzielle Risiken einzugehen, um das Kerngeschäft auszuweiten. Hierin liegt die Hauptgefahr für die etablierten Dienstleister. Während diese mit dem Paketgeschäft Geld verdienen müssen, kann und wird sich Amazon notfalls hohe Anlaufverluste leisten, damit am Ende die Kunden ein besseres Einkaufserlebnis bekommen. Denn der Onlinehändler will näher an seine Kunden heranrücken, damit mehr über sie erfahren und so möglichst weitere Produkte verkaufen. Auf diesem Weg sah sich Amazon durch die eingekaufte Leistung gefährdet. Alle gegenteiligen Beteuerungen können nicht verschleiern, dass die gebotene Qualität nicht mehr stimmt. Vor allem die Deutsche Post scheint mit der Last des quasi explodierenden Paketaufkommens nicht zurechtzukommen. Es fehlt vielerorts zunehmend an qualifiziertem Personal. Gleichzeitig drängen Anbieter wie DPD auf den boomenden B2C-Markt und setzen den Branchenprimus unter Druck. In Großbritannien lässt sich bei der Royal Mail beobachten, wie der Paketboom zunehmend an einer Post vorbeigeht. Hier liefert Amazon bereits selbst aus. Diese Macht ist nun in Deutschland erwacht – und wird den Paketmarkt nachhaltig verändern. q Ihre Meinung zum Kommentar [email protected] Von Sebastian Bollig D er deutsche Paketmarkt steht vor einem Umbruch. Mit dem US-Onlinehändler Amazon steigt einer der Haupttreiber des Mengenwachstums der vergangenen Jahre selbst ins Geschäft ein. Am 19. Oktober vorigen Jahres hatte Amazon in Olching westlich von München ein Paketverteilzentrum in Betrieb genommen. „Am ersten Tag waren es 209 Sendungen“, berichtet Bernd Schwenger, Director Amazon Logis tics. 20 Mitarbeiter arbeiteten am Eröffnungstag im Verteilzentrum. Das hat sich mittlerweile geändert: Knapp drei Monate später beschäftigt Amazon bereits 130 Arbeitskräfte – großteils über eine Zeitarbeitsfirma –, die während der Startphase pro Tag mehr als 20 000 Pakete umschlagen. Und dabei hat die Halle ihre letzte Ausbaustufe noch gar nicht erreicht. Gearbeitet wird an sechs Tagen in drei Schichten rund um die Uhr. Offiziell läuft das Verteilzentrum in Olching bisher als ein Pilotversuch, doch dass Amazon dieses Konzept auf ganz Deutschland ausrollen will, ist ein offenes Geheimnis. „Ich muss dem Management in Luxemburg und Seattle Erfolge zeigen, erst dann starten wir durch“, betont er. Er ist jedoch sehr zuversichtlich. Ab 7.30 Uhr liefern knapp 240 Fahrzeuge der sechs festen Transportpartner die Sendungen in München aus. Olching ist eine reine Umschlaganlage. Hier werden keine Waren verpackt oder kommissioniert. Die Pakete werden nachts aus den Amazon-Logistikzentren angeliefert. Für Same-Day-Lieferungen treffen am Nachmittag weitere Pakete in Olching ein, derzeit konzentriert man sich noch auf normale Sendungen. Same Day Delivery mache deshalb weniger als 1 Prozent der Lieferungen aus, erst im ersten Quartal 2016 werde dieser Dienst verstärkt über Amazon Logistics bedient, erläutert der Manager. „Wir haben auf die Auswahl unserer Transportdienstleister im Sommer viel Zeit verwendet“, sagt Schwenger. Vorgabe ist: Die Partner dürfen keine Subunternehmer einsetzen. Gefunden wurden schließlich sechs regionale Partner: Interkep, Liefery, Rico Logistics, Systemlogistik, Krae Transport und AZ Logistik. „Entscheidend war das Commitment der mittelständischen Dienstleister, in den eigenen Fuhrpark mit fest angestellten Fahrern zu investieren“, betont Schwenger. „Wir wollen die Kundenbeziehung an die erste Stelle setzen, und dafür muss ich wissen, welcher Fahrer welche Tour fährt.“ Kein Kampf um jedes Paket Jeder Fahrer hat fest zugeteilte Liefergebiete, für die er vier Wochen geschult wird. Zudem gibt Amazon vor, dass die Fahrer einen Stundenlohn erhalten und nicht wie teilweise bei der Konkurrenz üblich nach Paket bezahlt werden. Schwenger gibt zu, dass die Frachtraten ohne diese Von München aus Deutschland erobern XPO Logistics als Partner Zwischen 22 und 6 Uhr liefern die LKW aus den neun deutschen und den weiteren europäischen AmazonLogistikzentren die Pakete an. Für diese Linienverkehre hat Schwenger in einer Ausschreibung XPO Logistics als Dienstleister gewonnen. „Mir war wichtig, dass das Unternehmen eigene Assets hat“, hebt er hervor. Dass XPO in Deutschland noch reichlich Potenzial aufweise, dürfte bei den Verhandlungen nicht geschadet haben. „Wir wollen gemeinsam mit XPO in Deutschland wachsen“, meint Schwenger. Im Lauf der nächsten Wochen werden die anderen europäischen Logistikzentren an Olching angebunden. Amazon Logistics konnte viel ausprobieren und musste einiges lernen. München wurde zunächst in fünf Gebiete mit 21 Clustern von A bis Z und insgesamt 3000 Zonen eingeteilt. In den nächsten Wochen sollen als nächster Ausbauschritt weitere Zonen und Cluster hinzukommen. Doch bereits vor dem offiziellen Start im Oktober wurden Fahrer auf virtuelle Touren geschickt, um die Routingsoftware und die Prozesse zu testen. Dies sprach für ein Pilotprojekt in München, dem Standort des deutschen Amazon-Headquarters. „Unsere eigenen Mitarbeiter durften im Sommer als Testpersonen vorab Pakete über AMZL bestellen und mussten anschließend berichten, ob sie mit Fahrer und Zustellprozess zufrieden waren.“ Automatisch verfolgt die Amazon-Software per GPS-Tracking die Performance jedes Fahrers. Wenn nach vier Wochen Einarbei- tung der Fahrer erstmals allein auf seine Tour geschickt wird, wird langsam die Paketmenge erhöht. Ideale Routen für Elektro-Vans Die Kunden erkennen nicht, dass Amazon die Pakete liefert. Denn weder auf den Fahrzeugen noch der Kleidung der Fahrer prangt das Amazon-Logo. Schwenger schließt dies zwar für die Zukunft nicht aus, aber: „Wichtiger ist mir, dass wir so schnell wie möglich Elektrofahrzeuge einsetzen.“ Interkep fährt bereits mit vier elektrisch betriebenen Transportern vom Typ Nissan E-NV 200 für Amazon Logistics. Die Touren in München haben eine Länge zwischen 70 und 120 km – ideal für die Reichweite eines Elektrofahrzeugs. „Momentan ist der limitierende Faktor die Zahl der Ladestationen“, berichtet Schwenger. Bei der Zustellung in den Abendstunden für die Same-Day-Dienste erhöht ein nahezu lautloses Fahrzeug die Akzeptanz der Anwohner. Schwenger will durch den Einsatz von E-Transportern zudem die Prozesse verbessern. „Ein Elektrofahrzeug könnte in die Umschlaghalle reinfahren, direkt mit vorbereiteten Boxen beladen werden und sofort losfahren“, führt er aus. Dadurch könnte die Umschlagzeit pro Fahrzeug von 30 auf rund 8 Minuten sinken. Fahrer sollen schließlich Pakete beim Kunden abliefern und ihre Arbeitszeit nicht im Verteilzentrum verbringen. Basis für das Transportmodell in Deutschland war das bewährte System in Großbritannien. Die Routenplanung und ein innovatives Ordnungssystem für die Pakete im Fahrzeug hat Amazon eigens für Deutschland in Zusammenarbeit mit den sechs Dienstleistern fortentwickelt und deutsche Besonderheiten eingepflegt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein System besser in unserem Sinne funktioniert, wenn wir es von Grund auf selbst aufbauen“, sagt Schwenger. Deshalb habe er sich gegen die Lösung entschieden, die Amazon in Frankreich verfolge. Dort hatte das Unternehmen diesen Herbst den Dienstleister Colis Privé übernommen. Der von Amazon an die Fahrer ausgegebene Handheld ist „hoch intelligent“, wie Schwenger berichtet. Integriert ist ein GPS-gesteuertes Navigationssystem mit hinterlegter Routenlogik, mit Scanner und Kamera. Die Tourensoftware speichert, wenn Empfänger zu bestimmten Uhrzeiten mehrmals nicht erreicht wurden. „Jedoch nutzen wir diese Informationen noch nicht“, merkt Schwenger an. Nur wenn ein Geschäftskunde eine offizielle Schließzeit habe, werde dies bei der Zustellung vorab berücksichtigt. Bei Privatkunden sei vor allem der Fahrer mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen wichtig. FOTOS: CORBIS, FOTOLIA; ISTOCKPHOTO (2), SUPERB [M] Der US-Konzern Amazon setzt einen eigenen Paketdienst in Deutschland auf. Das Pilotprojekt in Bayern dient dabei als Vorbild. edingungen deutlich niedriger wäB ren – „aber hier habe ich bewusst nicht nach Preis ausgewählt“. Den Weg der Pakete berechnet die eigene Software. Schwenger schwärmt: „Diese Algorithmen sind unsere Stärke. Nur so können wir unser Kundenversprechen einhalten, zum zugesagten Zeitpunkt die Waren zu liefern.“ Mit jedem Transportdienstleister wurden die Routen besprochen und Preise berechnet. Dabei wurden Sondereffekte wie der Einsatz von Elektro-Vans oder von 7,5-Tonnern mit Hebebühne für Großkunden berücksichtigt. „Wir hatten mit allen Dienstleistern sehr offene Gespräche, und die Zusammenarbeit klappt gut“, betont Schwenger. Morgens passieren in vier Wellen jeweils 50 bis 60 Fahrzeuge das Verteilzentrum in Olching. Nach 30 Minuten müssen die Fahrzeuge beladen den Hof verlassen. Um die Fahrer besser zu koordinieren, setzt Amazon fünf sogenannte Yard-Manager ein. Zwei Weltmarken auf Erfolgskurs: Der aktuelle „Star Wars“-Blockbuster ist der umsatzstärkste US-Film aller Zeiten. Vom Münchner Westen kommend schwärmen Amazon-Zusteller seit einigen Wochen über die Stadt aus.
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