Kompass für die Schweiz : Ein Blick in die politische Zukunft mit dem Sorgenbarometer der Credit Suisse Inhaltsverzeichnis 03 Vorwort Thomas Gottstein 04 Einführung René Buholzer 06 Arbeitslosigkeit 08 Die berufliche Karriere in Würde beenden können Jean Christophe Schwaab 10 Die ausgewogene, weitsichtige Politik bröckelt Valentin Vogt 12 Migration 14 Die Schweiz : Das Chancenland des 21. Jahrhunderts Flavia Kleiner 16 Die Schweiz ist das weltoffenste Land Luzi Stamm 18 Altersvorsorge 20 Von der Jugend lernen Maurus Blumenthal 22 Sinn macht gesund Hans Groth 24 Energie 26 Kein Sensorium für Risiken Armin Eberle 28 Die Energiewende : Unsere grösste Chance Adèle Thorens Goumaz 30 Resultate Sorgenbarometer 2015 Vo r w o r t Liebe Leserin, lieber Leser Wir durchleben turbulente und anspruchsvolle Zeiten : Die rasante Digitalisierung verändert unser Leben, unser Konsumverhalten und unser Arbeiten grundlegend. Der starke Franken zwingt unsere Exportunternehmen, noch effizienter zu werden. Die Negativzinsen sind eine Herausforderung für die Pensions- und die Kranken kassen. Unsere Beziehungen zu Europa müssen seit dem Ja zur Masseneinwander ungsinitiative neu definiert werden. Die Schweiz steht vor Entscheidungen, die für die Zukunft unseres Landes von grösster Bedeutung sind. Wir alle – Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – sind hierbei gefordert. Wir müssen wegweisende Entscheide fällen, deren Konsequenzen auch noch unsere Kinder und Enkel tragen werden. Wie stehen wir zur Frage der Personenfreizügigkeit, wie zur Energiewende ? Wie sichern wir unsere Altersvorsorge, wie unsere Arbeitsplätze ? Wie eng oder wie locker wollen wir mit unseren europäischen Nachbarn künftig wirtschaftlich und politisch zusammenarbeiten ? Auf diese wichtigen Fragen gibt es keine einfachen und keine schnellen Antworten. Wir müssen uns – als Gemeinschaft – die Lösungen vielmehr erarbeiten, in offenen, harten, aber fairen Diskussionen. Wir haben acht Fachleute aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eingeladen, für das vorliegende Heft die für die Schweizerinnen und Schweizer seit Jahren dräng enden Themen aus ihrer Sichtweise zu beleuchten. Unser Ziel ist eine von Respekt geprägte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen und Visionen. Natürlich, jede und jeder soll beherzt für die eigenen Werte und für die eigenen Positionen einstehen – aber immer im Wissen, dass auch in den Argumenten der Andersdenkenden ein Kern Wahrheit stecken kann. Ich bin überzeugt, dass wir nur in einem fairen Wettstreit der Ideen und Konzepte zu den besten Lösungen kommen – für unser Land und für die Menschen, die hier leben. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Thomas Gottstein Chief Executive Officer Swiss Universal Bank Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 3 Einführung Nachdenken über die Sorgen von bleibender Aktualität Die Schweiz befindet sich im Wandel – und mit ihr die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Allerdings scheinen einige Sorgen nahezu «zeitlos» zu sein. Was sind die Gründe dafür ? Und wie sehen mögliche Lösungen aus ? «Einige Themen sind seit fast vierzig Jahren von geradezu zeitloser, bleibender Aktualität.» Natürlich, das Credit Suisse Sorgenbarometer ist immer auch eine flüchtige Momentaufnahme, ein Spiegel des jeweiligen Zeitgeistes. Das liegt in der Natur von Umfragen. Der Umweltschutz etwa, der in den 1980er- und 1990er-Jahren regelmässig als eine der Topsorgen genannt wurde, stiess in jüngster Zeit auf weniger Beachtung. Das Verhältnis zu Europa dagegen, früher kaum als Sorge wahrgenommen, wird heute immer häufiger als Problem angesehen. Was aber auffällt : Einige Themen sind seit fast vierzig Jahren von geradezu zeitloser, bleibender Aktualität. 1976 liess die Credit Suisse erstmals in einer repräsentativen Meinungsumfrage die Befindlichkeit der Schweizer Bevölkerung untersuchen. Die meistgenannte Sorge damals – die Arbeitslosigkeit – ist seither praktisch unangefochten an der Spitze geblieben. 1976 ebenfalls unter den Top 3 figurierte die Altersvorsorge, die auch dieses Jahr wieder weit vorn auf der Sorgen-Liste erscheint. Die Themen, die den Schweizerinnen und Schweizern in der langfristigen Perspektive unter den Nägeln brennen, interessieren uns dieses Jahr besonders. Wir haben darum vier der wichtigsten Sorgen ausgewählt und lassen sie von jeweils zwei Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Anspruchsgruppen kontrovers diskutieren : Neben der Arbeitslosigkeit und der Altersvorsorge sind das Migrationsund Energiefragen. Was sind die Gründe für die Hartnäckigkeit dieser Sorgen, wie könnten mögliche Lösungen aussehen ? Die Angst vor Arbeitslosigkeit stehe symptomatisch für die bröckelnde Mittelschicht, die um ihre finanzielle Unabhängigkeit fürchte, schreibt der Waadtländer SP-Nationalrat und Vorstand des Schweizeri schen Bankpersonalverbands Jean Christophe Schwaab. Die Politik müsse dafür sorgen, dass ältere Arbeitnehmende ihre berufliche Karriere würdevoll beenden könnten, ohne auf Sozialhilfe zurückgreifen zu müssen. Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, interpretiert dies anders : Die herausragende Bedeutung der Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 4 Einführung Arbeitslosigkeit verdeutliche, wie wichtig Beruf und Arbeit für die eigene Identität seien. Es müsse uns nachdenklich stimmen, dass wir mit hemmenden Regulierungen daran seien, unseren dynamischen Arbeits markt – einen unserer grössten Trümpfe – zu verspielen. Beim Thema Migration streicht Flavia Kleiner, Co-Präsidentin der liberalen Bewegung «Operation Libero», den Erfolg der Weltoffenheit der Schweiz heraus. Unser Land sei eine der innovativsten und konkurrenzfähigsten Volkswirtschaften der Welt – vor allem auch dank der Leistung der zugewanderten Arbeitskräfte. Sie fordert : Wir sollten ihr Potenzial möglichst gut nutzen. Für Luzi Stamm dagegen, Vizepräsident der SVP und der AUNS und Aargauer Nationalrat, werden die Probleme der Einwanderung seit Jahren von den meisten Medien und Politikern heruntergespielt. Freie Einwanderung, schreibt er, habe nichts mit offenen Märkten zu tun. Wir müssten uns vielmehr dringend überlegen, wo die Grenzen der Einwanderung liegen. Die aktuelle Alterspolitik, kritisiert Maurus Blumenthal, Geschäftsleiter des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente, sei zu stark auf finanzielle und gesundheitliche Aspekte begrenzt. Das Potenzial der Seniorinnen und Senioren müsse gefördert und ihre Erfahrung besser genutzt werden. Ganz ähnlich argumentiert Hans Groth vom Thinktank «World Demographic & Ageing Forum». Die zunehmende Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung konfrontiere Arbeitgeber und Politik mit einer neuen Herausforderung : Nicht nur ein möglichst gesundes, sondern auch ein sinnhaftes und produktives Altern zu ermöglichen. Im Themenbereich Energie zeigt Armin Eberle, Geschäftsführer der Energie-Agentur der Wirtschaft, die Diskrepanz im Umgang mit Energiethemen zwischen der Öffentlichkeit und der Politik auf. Statt zu diskutieren, welche Technik in 50 Jahren die Schweiz beherrschen soll, müsse die Politik die richtigen Anreize setzen, damit die Energiekonsumenten selbstständig die richtigen Entscheide treffen. Dagegen sieht Adèle Thorens Goumaz, Co-Präsidentin der Schweizer Grünen und Waadtländer Nationalrätin, nach dem Entscheid des Bundesrats, keine neuen Kernkraftwerke zu bauen, auch die Schliessung der alten Anlagen als dringlich an. Die Energiewende sei eine grosse Chance, Mehrwert und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit diesen acht Beiträgen, die selbstverständlich nicht unbedingt der Meinung der Credit Suisse entsprechen müssen, wollen wir als Schweizer Bank den Dialog über die Zukunft unseres Landes aktiv fördern. Es würde uns freuen, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger daran beteiligten. Es lohnt sich – für uns alle. Dr. René Buholzer Head Public Policy & Sustainability Credit Suisse Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 5 XXX ARBEITSLOSIGKEIT Die Arbeitslosigkeit steht seit über 10 Jahren unangefochten an der Spitze der Sorgenrangliste der Schweizerinnen und Schweizer. Auch 2015 wurde sie als einziges Problem von einer Mehrheit der Befragten spontan zu den fünf wichtigsten Sorgen gezählt. Im Langzeitvergleich wird jedoch klar, dass die Angst vor dem eigenen Stellenverlust deutlich tiefer ist : Obschon 2015 die Arbeitslosigkeit von 56% der Befragten als Hauptsorge genannt wurde, befürchteten nur gerade 8% den Verlust ihres Arbeitsplatzes im Laufe des nächsten Jahres. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 6 XXX Kaum ein Indikator der Problemwahrnehmung korreliert so stark mit einer verwandten realwirtschaftlichen Grösse wie die Sorge um Arbeitslosigkeit mit der effektiven Arbeitslosenrate. Es scheint fast, als wüssten die Schweizerinnen und Schweizer sehr genau, wie sich die Arbeitslosenrate entwickelt.* Hauptsorgen (2015)* in % Stimmberechtigter Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit** AusländerInnen AHV/Altersvorsorge Flüchtlinge/Asyl EU/Bilaterale/Integration Euro-Krise/Euro-Kurs Gesundheit/Krankenkassen Persönliche Sicherheit Neue Armut Umweltschutz Sicherheit im Internet/Cyber-Spionage Trend Problembewusstsein (2010 – 2015)* 17 15 15 14 24 24 22 38 35 56 43 76 3.5 56 52 Problembewusstsein Arbeitslosigkeit addiert in % Stimmberechtigter 2.8 Arbeitslosenquote in % 49 2.9 2010 2011 2012 3.2 3.2 44 51 2013 2014 Trend Sorge Stellenverlust in den nächsten 12 Monaten (2015)* in % erwerbstätiger Stimmberechtigter, (x) Vergleich 2014 Ja Nein 1% (–) 8% (+1) Weiss nicht / keine Antwort 91% (–1) * gfs.bern. Credit Suisse Sorgenbarometer 2015. ** Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit seit 2014 getrennt befragt, für Darstellung addiert. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 7 3.1 2015 Arbeitslosigkeit Die berufliche Karriere in Würde beenden können Die Angst vor der Arbeitslosigkeit steht symptomatisch für die bröckelnde Mittelschicht. Sie fürchtet um ihre finanzielle Unabhängigkeit und ihren sozialen Status. Es ist ein Paradoxon : Die grösste Angst der Bevölkerung in der Schweiz, in einem Land also mit florierender Wirtschaft, ist die Arbeitslosigkeit. Das spiegelt einerseits die Verbundenheit der Schweizer und Schweizerinnen mit der Arbeit wider. Gleichzeitig liegt dieser Verbundenheit aber nicht nur der Wille zugrunde, seinen eigenen Unterhalt und den der Familie zu gewährleisten. Es geht auch darum, seinen Beitrag zur Schaffung des Wohlstands des Landes zu leisten. Diese Angst zeigt jedoch, insbesondere durch ihre langjährige Konstanz, dass die Arbeitslosigkeit nicht als vorübergehendes Übel gesehen wird, von dem man sich schnell wieder erholt. Vielmehr ist es die Angst vor einer langwierigen Arbeitslosigkeit, vor dem Verlust der finanziellen Unabhängigkeit oder sogar des sozialen Status. Sie steht symptomatisch für die Fragen, die sich die Mittelschicht stellt. Diese sieht, wie sich ihre Situation verschlechtert, während ein kleiner Teil reicher Menschen den Grossteil des aus dem Wirtschaftswachstum resultierenden Gewinns abschöpft. Immer mehr Arbeitslosen gelingt der Wiedereinstieg in ihre Branche nach Ablauf der Rahmenfrist nicht, woraufhin sie sich mit einem weniger anspruchsvollen Beruf abfinden müssen, der ausserdem noch schlechter bezahlt ist. Diese Arbeit entspricht dann weder ihrem Knowhow noch ihrer Ausbildung. Manche müssen sogar dem «ersten Arbeitsmarkt» den Rücken kehren und Sozialhilfe beantragen. Für diese Arbeitnehmenden ist dieser Zeitraum ohne Arbeit kein einfach zu überwindendes Hindernis, sondern das Ende einer Karriere. Schlechte Chancen für Ältere Sicher, die meisten Arbeitslosen schaffen den Wiedereinstieg in das Berufsleben und erleben wieder dieselbe Zufriedenheit bei der Arbeit oder erhalten dasselbe Gehalt wie zuvor. Alle fürchten sich jedoch davor, dass der Verlust der Arbeit gleichbedeutend mit einer erzwungenen Umschulung ist. Diese Ängste werden durch die Arbeitslosenversicherung nur noch geschürt, da sie keine wirkliche berufliche Umorientierung ermöglicht und dazu verleitet, die erstbeste Stelle, die man «akzep- Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 8 Arbeitslosigkeit tabel» findet, anzunehmen, selbst wenn sie nicht wirklich den eigenen Erwartungen entspricht. Diese Schwelle der «akzeptablen» Stelle senkt sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zunehmend. Die geschilderten Ängste existieren insbesondere bei Arbeitnehmenden über 50 Jahren, denn sie wissen um ihre schlechten Chancen auf eine neue Stelle, auch wenn sie noch so gut ausgebildet oder motiviert sind. In vielen Fällen werden sie ihr Arbeitsleben mit «Nebenjobs» zu Ende bringen müssen. Diese Jobs sind oftmals unsicher und entsprechen weder der Ausbildung noch der Erfahrung der Arbeitnehmenden. Der Lohnrückgang ist dauerhaft, denn die Pensionskasse wird schwächer ausgestattet sein. Eine vorzeitige Pensionierung kommt sie teuer zu stehen. Jene, die am wenigsten Glück haben und Sozialhilfe beantragen müssen, sind gezwungen, zunächst die 2. Säule aufzulösen, das Gesparte aufzubrauchen und gegebenenfalls ihr Haus oder ihre Wohnung zu verkaufen. So sieht sicherlich nicht das gewünschte Ende einer Laufbahn aus ! Was die Politik tun kann Was kann die Politik tun, um für alle Arbeitnehmenden eine berufliche Karriere zu gewährleisten, die insbesondere würdevoll endet ? Einerseits muss die Arbeitsmarktfähigkeit während der gesamten Karriere verstärkt werden. Die Weiterbildung sowie die Umschulung müssen für alle Arbeitnehmenden gewährleistet sein, unabhängig von Alter, Funk tion und Arbeitgeber. Dabei muss die Arbeitslosenversicherung mitspielen und sich am dänischen Modell orientieren. Dieses Modell ermöglicht eine wirkliche Umschulung, auch wenn dadurch die Versicherten, die eine neue Ausbildung beginnen, langfristig entschädigt werden müssen. Das könnte auch eine Lösung für den Fachkräftemangel sein. Die Sozialversicherung sollte zudem das Risiko besser abdecken, dass man aufgrund fortgeschrittenen Alters keine neue Stelle mehr findet. So könnten beispielsweise die Überbrückungsrenten ausgeweitet werden. Sie würden es älteren Arbeitnehmenden ermöglichen, ihre berufliche Karriere würdevoll zu beenden, ohne auf Sozialhilfe zurückgreifen zu müssen. Dieses System zeigt im Kanton Waadt bereits seine positive Wirkung. Auch sollte die Finanzierung der 2. Säule überdacht werden. Wir müssen verhindern, dass man hauptsächlich auf seine letzten beruf lichen Jahre zählen muss, um sich ein ausreichendes Vorsorgegut haben aufzubauen. Schliesslich müssen auch die Arbeitgeber eine soziale Verantwortung gegenüber ihren älteren Arbeitnehmenden übernehmen. Sollten die Kündigungen ohne zwingenden Grund zunehmen, wäre ein gesetzlicher Schutz gegen Entlassungen für Arbeitnehmende über 50 angemessen. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 9 «Die Weiterbildung sowie die Umschulung müssen für alle Arbeitnehmenden gewährleistet sein.» Dr. jur. Jean Christophe Schwaab ist Waadtländer SP-Nation alrat, Jurist, Vors tandsmitglied des Schweizerischen Bankp ersonalverbands (SBPV), Vorsitzender des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks und ehemaliger Zentrals ekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. Arbeitslosigkeit Die ausgewogene, weitsichtige Politik bröckelt Das Erfolgsgeheimnis der Schweiz ist ihr dynamischer Arbeitsmarkt. Diesen Trumpf dürfen wir nicht mit hemmenden Regulierungen verspielen. «Gerade in der Schweiz sind Beruf und Arbeit Teil der eigenen Identität und mithin sinnstiftend.» Die Arbeitslosigkeit ist die grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer. Für viel Erstaunen hat dieser Spitzenplatz im diesjährigen Sorgenbarometer der Credit Suisse aber nicht gesorgt. Seit 2003 liegt die Arbeitslosigkeit jeweils zuvorderst, womit sie Themen wie Migration, Sozialsysteme oder das bilaterale Verhältnis mit der EU von den Spitzenpositionen verdrängt. 2015 zählten 56% der Befragten die Arbeitslosigkeit zu den dringendsten fünf Problemen der Schweiz – mehr noch als im vergangenen Jahr. Dass die Arbeitslosigkeit noch stärker als Sorge wahrgenommen wurde als in den vergangenen Jahren, ist aus meiner Sicht weniger Ausdruck der gegenwärtigen Situation des Arbeitsmarkts. Vielmehr ist es der Blick in die Zukunft, der die Schweizerinnen und Schweizer mit Sorge erfüllt. Die weltweite Wirtschaftslage ist nach wie vor mit vielen Fragezeichen behaftet. Mit Ausnahme der USA und Deutschlands sind die Signale der wirtschaftlichen Entwicklung eher negativ. Weiterhin unklar bleibt zudem, wie sich die Verhandlungen der Schweiz mit der EU über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative entwickeln werden. Es ist anzunehmen, dass der Schweizer Arbeitsmarkt – das Herzstück unserer Volkswirtschaft – davon negativ tangiert wird. Erfolgsgeheimnis Dynamik Die herausragende Bedeutung der Arbeitslosigkeit in der Sorgenliste der letzten Jahre verdeutlicht auch, wie wichtig und dominierend Arbeit für das eigene Leben ist. Selbstverständlich spielt dabei der Lohn erwerb eine wesentliche Rolle. Aber eben nicht nur : Gerade in der Schweiz sind Beruf und Arbeit Teil der eigenen Identität und mithin sinnstiftend. Wer seine Arbeit verliert, verliert darum einen Teil seiner Identität. Die Arbeitslosigkeit kann zugleich zu gesellschaftlicher Isolation führen. Meist sind damit gesundheitliche Risiken verbunden. Die Arbeitslosigkeit bedeutet also weitaus mehr als Lohnverlust. Sie kann den Sinn des eigenen Lebens fundamental in Frage stellen. Mit einer Arbeitslosenquote von 3,3% und einer Jugendarbeitslosenquote von 3,5% (Stand Oktober 2015) trotzt die Schweiz den wirt- Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 10 Arbeitslosigkeit schaftlichen Widrigkeiten besser als viele andere Länder. Dieser Erfolg gründet auf der Flexibilität des Schweizer Arbeitsmarkts. Die Ausgewogenheit der Schweizerischen Politik früherer Jahre sorgte dafür, dass nur wesentliche und wichtige Regulierungen die Dynamik und den Kreislauf des Arbeitsmarkts beschnitten. Diese Dynamik ist das Erfolgsgeheimnis der Schweiz : Pro Jahr treten rund 550 000 Personen – das entspricht 2500 Personen pro Arbeitstag – in ein neues Arbeitsverhältnis ein, davon rund 300 000 durch einen Stellenwechsel in der bestehenden Firma oder bei einem neuen Arbeitgeber. Diese eindrücklichen Zahlen beweisen, dass ein Austritt aus der Arbeitswelt – gewollt oder ungewollt – in der Schweiz nicht zwangsläufig in eine Sackgasse führt. Gute Arbeitsmarktpolitik beschränkt sich also nicht einfach darauf, den Status Quo zu erhalten. Gute Arbeitsmarktpolitik fördert vielmehr die Anpassung der Wirtschaft an die strukturellen Veränderungen. Die hohe Dynamik des Schweizer Arbeitsmarkts ist entsprechend Ausdruck seiner raschen Anpassungsfähigkeit. Wenn nun die Arbeitslosigkeit im Sorgenbarometer 2015 trotzdem als grösseres Problem wahrgenommen wird als in den vergangenen Jahren, kann das auch als Befürchtung aufgefasst werden, dass eben diese Dynamik des Arbeitsmarkts verloren gehen könnte. Dies ist im Kern natürlich eine Kritik an der jetzigen Politik. Gefährliche Regulierungen Solche Einwände sind tatsächlich angebracht : Kontingente, Inländervorrang, Quoten oder Lohnpolizei sind nur einige Begriffe, die in jüngster Zeit wieder den Weg in den politischen Diskurs gefunden haben. Hinter diesen Begriffen stehen politische Vorstösse, mit denen dem Arbeitsmarkt unnütze Fesseln angelegt werden sollen. Wer die politischen Debatten der letzten Jahre verfolgt hat, konnte erkennen, in welchem Ausmass von verschiedenster Seite immer wieder versucht wurde, den Arbeitsmarkt mit tiefgreifenden und gefährlichen Regulierungen zu belasten. Es muss uns alle sehr nachdenklich stimmen, dass wir mit solchen Regulierungen unseren dynamischen Arbeitsmarkt – und damit einen der grössten Trümpfe der Schweiz – zu verspielen drohen. Die gestiegene Besorgnis über die Arbeitslosigkeit ist aus dieser Warte auch ein Ausdruck eines übergeordneten Zweifels, dass die Schweizer Politik derzeit einen Teil ihrer Besonnenheit, Ausgewogenheit und Weitsichtigkeit, durch die sie sich in der Vergangenheit auszeichnete, verloren hat. Diese Sorge, man muss es in aller Deutlichkeit sagen, ist mehr als berechtigt. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 11 Valentin Vogt ist Präsident des Schweiz erischen Arbeitgeberv erbands sowie Präsident des Verwaltungsrats und Miteigentümer der Burckhardt Compression Holding AG in Winterthur. Er schloss sein Studium an der Universität St. Gallen im Jahr 1984 als lic. oec. HSG ab. XXX Eine klare Mehrheit der befragten Schweizerinnen und Schweizer (47%) möchte in erster Priorität die bilateralen Verträge fortsetzen; nur 18% möchten sie dagegen künden. Überraschend viele Anhänger findet die Idee, dem Europäischem Wirtschaftsraum EWR beizutreten.* Trend Problembewusstsein (2010 – 2015)* in % Stimmberechtigter 37 36 32 31 AusländerInnen Flüchtlinge/Asyl EU/Europa 23 21 2011 2012 Trend Problembewusstsein nach Sprachregion (2010 – 2015)* ICH 26 24 20 2013 2014 2015 66 58 46 46 39 36 36 33 24 39 50 41 23 35 36 2012 2013 2014 40 8 2010 Künftiges Verhältnis Schweiz – EU (2015)* 28 62 in % Stimmberechtigter FCH 35 16 14 2010 37 20 19 DCH 43 40 2011 2015 47 13 Bilaterale Verträge fortsetzen in % Stimmberechtigter 18 28 EWR beitreten 1. Priorität 2. Priorität 18 6 Bilaterale Verträge kündigen 8 15 EU beitreten 9 37 Weiss nicht / keine Antwort 0 10 20 30 40 50 60 * gfs.bern. Credit Suisse Sorgenbarometer 2015. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 12 XXX MIGRATION Migrationsrelevante Fragen (hier subsumiert unter den Kategorien «AusländerInnen», «Flüchtlinge & Asyl» und «EU/Bilaterale/ Integration») nehmen im Sorgenbarometer der Credit Suisse seit Jahren eine wichtige Rolle ein. Die Tendenz ist weiter steigend : Die aktuelle Flüchtlingsdebatte und die Berichters tattung über Konflikte im Nahen und Mittleren Osten oder in Afrika dürften dazu beigetragen haben, dass die Migrationst hematik deutlich stärker wahrgenommen wird. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 13 Migration Die Schweiz : Das Chancenland des 21. Jahrhunderts Die heutige Schweiz ist nicht nur eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte – sondern auch das Ergebnis erfolgreicher Integration. «Es ist seit jeher die Vielfältigkeit unserer Kultur und Gesellschaft, welche die Schweiz ausmacht.» Zum Einstieg zwei Fragen : Gibt es eine Region auf der Welt, in der Sie die Schweiz lieber verorten würden als da, wo sie liegt ? Und : Gibt es eine Zeit, in der Sie lieber in der Schweiz leben würden als heute ? Ich selbst beantworte beide Fragen mit einem Nein. Ich tue es deshalb, weil ich der Ansicht bin, dass die Schweiz – mitten in Europa – unglaublich stark positioniert ist. Unsere Nachbarn garantieren für unsere Sicherheit; ihre Volkswirtschaften und Konsumenten sind Abnehmer unserer Baumaschinen, Kochtöpfe oder Bankprodukte. Wir fühlen uns heute sicherer und wohlhabender als je zuvor, gerade weil unsere Nachbarstaaten untereinander – und wir mit Ihnen – verbandelt sind. Ich halte den Erfolg einer weltoffenen Schweiz für offensichtlich : So ist die Schweiz eine der innovativsten und wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt. Und dieser Erfolg basiert massgeblich auf der Leistung zugewanderter Arbeitskräfte. Die aktuelle Zuwanderungspolitik, ein möglicher Wegfall der bilateralen Abkommen oder etwa eine transatlantische Freihandelszone ohne Schweiz : Das alles bedroht die Innovationskraft der Schweiz und damit etwas, worauf wir die künftigen Erfolge der Schweiz bauen wollen. Es ist seit jeher die Vielfältigkeit unserer Kultur und Gesellschaft, welche die Schweiz ausmacht. Es ist befremdlich, wenn gesagt wird, es gebe eine einheitliche schweizerische Kultur, die so und so beschaffen sei und die es gegen fremde Einflüsse zu verteidigen gelte. Ich bin stolz auf Schweizer Eigenheiten – sie machen uns aus –, aber ich sehe darin keinen Anlass für die Abgrenzung gegen aussen. Nicht bereit, die Kosten der Abgrenzung zu tragen Wenn wir die wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren der Weltoffenheit übertragen auf die politisch notwendigen Rahmenbedingungen für die Fortschreibung der Erfolgsgeschichte, so halte ich ein interessenbasiertes Verhältnis zur Europäischen Union, der wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Partnerin der Schweiz, für unabdingbar. Dem Streben nationalkonservativer Kräfte nach verlustbringender Selbst bestimmtheit trete ich entgegen : Ich bin nicht bereit, die Kosten einer Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 14 Migration Abgrenzung zu tragen. Denn damit werden unweigerlich auch unsere Chancen für die Zukunft kleiner. Und das möchten auch die Stimmbürger nicht. Im diesjährigen Sorgenbarometer der Credit Suisse wünschten sich 47% der Befragten in erster Priorität die Fortsetzung der bilateralen Verträge, nur 18% sprachen sich für eine Kündigung aus. Mehr Probleme mit restriktiver Migrationspolitik Ich möchte hier die Herausforderungen, mit denen die Schweiz konfrontiert ist, abwägen. So strömt eine beeindruckende Bilderflut durch mediale Kanäle. Bilder der Grausamkeit von islamistischen Terrormilizen im Irak oder in Somalia etwa; von Menschen, die in grosser Armut leben oder sich auf der Flucht befinden, und von immer neuen wirtschaftlichen Krisenszenarien, die kaum zu überblicken sind. Der Anspruch an die Bürgerin und den Bürger, diese Eindrücke einzuordnen und nicht in Angst zu verfallen, ist gross. Doch was ist der Schlüssel, um mit dieser komplexen Welt umzugehen ? Es ist nicht die Besitzstandwahrung. Natürlich, die Welt wandelt sich und die schiere Masse an schwer einzuordnenden Ereignissen könnte uns erdrücken. Aber Abschottung und Abgrenzung lösen keine Probleme. Die Schweiz soll die sich verändernde Welt als Chance sehen für noch grösseren Erfolg in der Zukunft. Das gilt auch für die Zuwanderung : Viele Einwanderer sind Menschen mit grossem Antrieb, sie wollen sich ein besseres Leben erarbeiten. Sie tragen zu wirtschaftlichem Erfolg bei und wir sollten ihr Potenzial möglichst gut nutzen. Einwanderung ist nur dann ein Problem, wenn Einwanderer ausgegrenzt und in ihren Möglichkeiten beschnitten werden. Dann finden sie keinen Platz im Arbeitsmarkt und stehen sozial am Rand. Je restriktiver eine Migrationspolitik ist, umso mehr Probleme schafft die Migration, nicht umso weniger Migration gibt es. Hydraulische Metaphern Schliesslich würde eine vernünftige Migrationsdebatte die zahlenmässigen Relationen wahren. Stattdessen greifen Politikerinnen und Politiker auf entmenschlichende hydraulische Metaphern zurück, sie sprechen gerne von Flüchtlingswellen, -fluten und -strömen. Wenn also nationalkonservative Kräfte Feindbilder erschaffen, weil sie keine Argumente haben, dann machen sie unser Land nicht fit für die Zukunft in einer globalisierten Welt, sondern wollen uns an Bäume im Hinterwald binden. Eine Schweiz, die zuversichtlich auf Veränderungen blickt und die Zukunft als Ort wachsenden Erfolgs sieht, kann selbstbewusst vorangehen. Auf dass wir auch in zehn, in fünfzig, in hundert Jahren mit Gewissheit sagen können : Wir liegen gut in Europa, und wir lieben es, in unserer Zeit zu leben ! Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 15 Flavia Kleiner ist Co-Präsidentin der «Oper ation Libero». Die Bewegung wurde nach der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinit iative gegründet, ist wirtschafts- und gesellschaftsliberaler Gesinnung und verfolgt das Ziel, eine aktive Rolle in der politischen Debatte zu spielen. Migration Die Schweiz ist das weltoffenste Land Freie Einwanderung hat nichts mit offenen Märkten zu tun. Wir müssen uns dringend überlegen, wo die Grenzen der Einwanderung liegen. Kein Wunder, wird die Einwanderung im Sorgenbarometer seit Jahren als eines der wichtigsten Probleme des Landes wahrgenommen : Auch wenn aus meiner Sicht die Zuwanderungsprobleme von den meisten Medien lange heruntergespielt wurden, hat die Bevölkerung gemerkt, wie bedrohlich die Lage wird. Leider wird diese zentrale Debatte durch Schlagworte dominiert. Die einen werden als «liberal» und «weltoffen» gepriesen, die anderen als «isolationistisch» und «abschottend» abqualifiziert. Sachdienlicher wäre es, wenn Fakten und Zahlen auf den Tisch gelegt würden. Selbst Politiker in höchsten Ämtern, so meine Erfahrung, haben oft keine Ahnung von den Grössenordnungen. Und die Wirtschaftsführer haben begreiflicherweise nur sehr beschränkte Zeit, sich dem Thema zu widmen. Unter den Staaten mit über einer Million Einwohnern ist die Schweiz das weltoffenste Land der Welt. Man betrachte schon nur die Zahl der Ausländer, die in der Schweiz wohnen : Gut zwei Millionen Menschen ohne Schweizer Pass leben dauerhaft hier, das sind rund 25% der ständigen Wohnbevölkerung (nur in einigen Kleinststaaten sind die Werte höher). In keinem Land sind die Einwohner derart international ausgerichtet, pflegen sie so viele internationale Kontakte und sind sie mit so vielen ausländischen (Ehe-)Partnern liiert wie in der Schweiz. «Wir beschäftigen über zwei Millionen Ausländer im In- und Ausland», schrieb der welsche Wirtschaftsprofessor François Schaller, «wir haben mit der EU 130 Abkommen geschlossen. Und das nennt man Abkapselung, Alleingang und Réduit-Mentalität ?» Wohlstand durch wirtschaftliche Öffnung Unsere Elterngenerationen haben es geschafft, die Schweiz innerhalb von nur rund 100 Jahren vom Armenhaus zum reichsten Land der Welt zu machen (ebenfalls im Vergleich mit Ländern mit über 1 Mio. Einwohnern). Erreicht hat die Schweiz diese grossartige Leistung mit einer offenen, liberalen Politik. Ökonomisch ausgedrückt, ist unser Land das Musterbeispiel einer «SMOPEC», einer SMall OPen EConomy. Die Frage der Einwanderung wird oft mit der Frage der wirtschaftlichen Öffnung gleichgesetzt. Das ist ein Taschenspielertrick. Im Grunde genommen müsste jeder Politiker und jeder Ökonom wissen, dass freie Einwanderung nicht das Geringste mit Marktöffnung zu tun hat. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 16 Migration Trotzdem werden unter dem Slogan «Wir brauchen offene Märkte» diejenigen als wirtschaftsfeindlich dargestellt, die eine Kontrolle der Einwanderung fordern. Bei Leuten, die sich nur wenig mit der Politik oder mit Ökonomie beschäftigen können, ist mangelndes Sach- und Fachwissen entschuldbar, nicht aber bei den Politikern, welche die massgebenden Entscheidungen treffen. Diese müssten zumindest die Zahlen kennen. Schlimm genug, dass sich der Bundesrat um bis das Zehnfache verschätzt hat, als er die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit pro gnostizierte. Zumindest sollte die Landesregierung nun die weltweiten Rekordwerte der Einwanderung offen kommunizieren : So ging er im Jahr 2000 im Abstimmungsbüchlein zur Volksabstimmung «Bilaterale Abkommen der Schweiz mit der Europäischen Union» von netto 8000 bis 10 000 Zuwanderern pro Jahr aus. In Realität hat die Netto-Zuwanderung in den letzten Jahren aber um die 80 000 Menschen betragen. Jahr für Jahr werden mehr als 150 000 neue Aufenthaltsbewilligungen ausgestellt – eine für die kleine Schweiz unglaublich hohe Zahl. Das ist, als ob die EU Jahr für Jahr rund 10 Millionen neue ZuwanderungsBewilligungen erteilen würde – eine Zahl, die sie nie akzeptieren würde. «Politiker und Ökonomen müssten wissen, dass freie Einwanderung nichts mit Marktöffnung zu tun hat.» Zuwanderung via Asyl Neben der Personenfreizügigkeit, also der freien – für uns nicht mehr steuerbaren – Zuwanderung aus der EU, wird für unser Land die «Zuwanderung via Asyl» immer problematischer. Welche Zahlen sich via «Asyl-Schiene» entwickeln können, zeigt insbesondere das Beispiel Kosovo. Heute leben rund 200 000 Menschen mit kosovarischem «Migrationshintergrund» in der Schweiz. Wenn die Balkanstaaten in fünf, zehn oder zwanzig Jahren der EU beitreten, wird die Personenfreizügigkeit auch mit diesen Ländern gelten. Werden dann zusätzliche 100 000, 500 000 oder sogar 1 000 000 Personen allein aus dem Kosovo nach ziehen ? Kein Land verkraftet unlimitierte Einwanderung. Die Verantwortungsträger unseres Landes täten gut daran, darüber nachzudenken, wo die Limiten liegen. Luzi Stamm Luzi Stamm ist Ökonom und Rechtsanwalt. In den 1980er-Jahren war er Gerichtspräsident in Baden, seit 24 Jahren ist er SVP-Nationalrat. Luzi Stamm ist dort Mitglied der Aussenpolitischen Kommission und der Rechtskommission. 2003 bis 2007 war er Mitglied des Europarats und gehörte dort der Migrations-Kommission an. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 17 XXX ALTERSVORSORGE Der Zustand der Altersvorsorge bereitet den Schweizerinnen und Schweizern seit vielen Jahren Sorgen. Im Jugendbarometer der Credit Suisse belegt das Thema 2015 mit 43% den zweiten Platz der Sorgenrangliste, im Sorgenbarometer gehört es – mit Ausnahme des Jahres 2011 – seit mehreren Jahren zu den Top 3 der grössten wahrgenommenen Probleme. Allerdings hat sich die Problematik im Vergleich zum letzten Jahr nicht akzentuiert, trotz der grossen Priorität, die dem umstrittenen Thema eingeräumt wird. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 18 XXX Die von Bundesrat und Parlament angedachte Reform «Altersvorsorge 2020» scheint den angestauten Problemdruck etwas verringert zu haben. Allerdings erachtet die Mehrheit der Stimmbürger die Sanierung der Altersvorsorge immer noch als prioritär, wenn es um die aktuellen politischen Ziele geht.* Wichtigkeit aktueller politischer Ziele (2015)* in % Stimmberechtigter AHV/IV 15 Jugendarbeitslosigkeit 11 10 Kontrolle der Zuwanderung mit Kontingenten Treibhausgasemissionen 8 8 8 Bildung fördern Wirtschaftliches Wachstum Geregelte Beziehungen zur EU 7 Attraktivierung Steuerstandort 6 Familie/Beruf 4 Integration 3 Offener Zugang zu ausländischen Märkten Weiss nicht /keine Antwort 19 1 Trend Problembewusstsein Altersvorsorge (2010 – 2015)* in % Stimmberechtigter 45 36 2011 38 2014 2015 29 27 2010 37 2012 2013 Hauptsorgen Jugendbarometer (2015)** in % Jugendlicher 51 AusländerInnen/Personenfreizügigkeit/ Zuwanderung 43 AHV/Altersvorsorge 38 Flüchtlinge/Asylfragen Umweltschutz/Klimaerwärmung/ Umweltkatastrophen EU/Bilaterale/Europäische Integrationsfragen * gfs.bern. Credit Suisse Sorgenbarometer 2015. ** gfs.bern. Credit Suisse Jugendbarometer 2015. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 19 25 23 Altersvorsorge Von der Jugend lernen Kindheit und Jugend wurde eine gesellschaftliche Funktion verliehen – nun wird es Zeit, eine Vision für das Alter zu entwerfen. Wenn es um die grössten politischen Probleme der Schweizerinnen und Schweizer geht, erscheint die Altersvorsorge im Sorgenbarometer der Credit Suisse immer auf einem der vorderen Ränge. Die Altersvorsorge ist aber nicht ausschliesslich bei den Erwachsenen ein Thema, erstaunlicherweise wird sie auch im Jugendbarometer der Credit Suisse immer wichtiger. Dass bei der AHV Reformbedarf besteht, ist in der Politik zwar unumstritten. Alle wichtigen Reformen der letzten 20 Jahre dazu wurden aber verworfen. Mit dem Reformprojekt Altersvorsorge 2020 hat der Bundesrat nun einen neuen Anlauf genommen, der auch bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eine Mehrheit finden soll. Doch auch diesmal droht die Gefahr, dass die Neuerungen zwischen parteipolitischen Mühlen zermahlen werden; und was wieder fehlt, ist eine gesellschaftspolitische Einbettung. Alter ohne gesellschaftspolitische Funktion Die demografische Entwicklung, die steigenden Pflege- und Gesundheitskosten sowie die Finanzierungsmodelle sind die bekanntesten Herausforderungen in der Altersvorsorge. Die Folgen der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden in Zukunft ihren Einfluss auf das Leben im Alter, und somit auch auf die Altersvorsorge, noch verstärken. Deshalb geht es bei der Altersvorsorge um mehr als nur um die Finanzierung der Lebenshaltungskosten im Alter. Es geht um nicht w eniger als um das Leben im Alter an sich. Das Alter ist vom Lebensabend, wo man früher aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitstätig sein konnte, zu einer eigenständigen Lebensphase geworden, die heute ähnlich lange dauert wie Kindheit und Jugend zusammen. Was man gerne vergisst : Kindheit/ Jugend sind erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts als eigenständige Abschnitte mit klaren gesellschaftspolitischen Funktionen entstanden; sie dienen der Sozialisation in der Gesellschaft (Kindheit) und der Ausbildung für das Berufsleben (Jugend). Was aber ist der Sinn und Zweck der 10, 20, manchmal sogar 30 Jahre, die nach dem Berufsleben folgen ? Was ist ihre gesellschaftspolitische Funktion, abgesehen vom privaten Leben und vielleicht der Betreuung der Enkelkinder ? Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 20 Altersvorsorge Nationales Generationenprojekt «Leben im Alter» Bei zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Schweizerischen Seniorenrat, der Grossmütterrevolution oder den Grauen Panthern sowie in der Generationen- und Altersforschung sind diese Fragen sehr aktuell. Die momentane Alterspolitik ist aber zum allergrössten Teil auf finanzielle und gesundheitliche Aspekte begrenzt. Fragen zur Förderung des Potenzials der Senioren und Seniorinnen, zu ihrer Innovationskraft und den Möglichkeiten, die sich durch ihre Erfahrung ergeben, werden meistens ausgeklammert. Wir sollten uns damit befassen, welchen Mehrwert diese Personen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bringen können, und nicht nur damit, wie man sie pflegen und für sie vorsorgen kann. Was fehlt, ist eine generationenübergreifende Vision des Lebens im Alter. Erst darauf aufbauend kann eine ganzheitliche, von der Zivilgesellschaft mitentwickelte Alterspolitik formuliert werden. Der Staat und die Wirtschaft sollen dabei die Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer solchen Vision anbieten, um Initiativen sowie neue partizipa tive Instrumente zu fördern, die zum Ziel haben, einen gesellschaftlichen Kompass für das Leben im Alter in der Schweiz zu entwickeln. Dabei könnten folgende Fragen im Zentrum stehen : Welche Funktion soll das Alter in unserer Gesellschaft haben ? Welche Bedürfnisse haben Seniorinnen und Senioren gegenüber der Gesellschaft und der Politik, und welche Ressourcen können sie dort einbringen ? Welchen Einfluss werden die individuellen Lebensbiografien, die vielfach keine klare Abtrennung der drei Lebensphasen aufweisen, auf das Alter haben ? Wie wird die Arbeitswelt das Leben im Alter beeinflussen ? Wird es gar einen nicht monetären Markt der sozialen Interaktionen, der Sinngebung und der Kreativität geben ? Wie sehen die Jugendlichen von heute ihrem Alter entgegen ? Um solche gesellschaftspolitische Fragen beantworten zu können, braucht es ein nationales Generationenprojekt. Dafür müssen neue Instrumente der politischen Partizipation geschaffen werden, um die Visionen, Bedürfnisse und Lösungsansätze der Schweizer Bevölkerung zu erfassen – ansonsten werden sie überhaupt nicht oder nur durch die direkte Demokratie geäussert, was nicht unbedingt deren Sinn und Zweck ist. Dabei sollen nicht nur Experten und Interessengruppen einbezogen werden, sondern die gesamte Bevölkerung. Neue innovative Ideen und Ansätze sind nicht nur in der Wirtschaft nötig, um den grossen Herausforderungen zu begegnen, sondern auch in der Politik – dazu braucht es auch die richtigen Instrumente. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 21 «Was fehlt, ist eine generationenü ber greifende Vision des Lebens im Alter.» Maurus Blumenthal ist seit 2012 Geschäfts leiter des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente DSJ. Der DSJ ist das nationale Kompetenzzentrum im Bereich Jugend und Politik und fördert seit 20 Jahren die politische Partizipation von Jugend lichen. Der DSJ arbeitet unter dem Motto «von der Jugend für die Jugend». Altersvorsorge Sinn macht gesund Die Alterung zwingt die Schweiz, darüber nachzudenken, wie zukünftig Wohlstand und Wohlfahrt für alle Generationen generiert und erhalten werden sollen. Dies geht nur über die Veränderung lieb gewonnener Lebenspläne und Ansprüche. «Der Arbeitsmarkt für ältere Menschen muss flexibilisiert werden. Die Arbeitgeber sind gefordert.» Die Lebenserwartung der Schweizer Bevölkerung nimmt seit dem 18. Jahrh undert stetig zu. Bereits in zehn Jahren werden die über 65Jährigen mehr als 20% der Bevölkerung ausmachen. 2050 werden sogar 2,8 Millionen Menschen oder 27% der Wohnbevölkerung 65 Jahre und älter sein. Frauen und Männer in der Schweiz verbringen bereits heute den überwiegenden Teil ihrer Pensionsjahre bei guter Gesundheit : Die Lebenserwartung im Alter von 65 beträgt heute ungefähr 20 Jahre (Männer 19,5; Frauen 21,1) und zwei Drittel dieser Zeit werden bei «guter Gesundheit» verbracht. Lebensweise, soziales Umfeld, Bildung, medizinische Versorgung, Umwelt sowie die Gene sind Faktoren eines zunehmend längeren Lebens. Die Lebenserwartung nimmt jedoch nicht gleichmässig zu : Bildungsnahe Personen erreichen durchschnittlich ein höheres Alter (in der Schweiz beträgt der Unterschied zwischen bildungsnahen und -fernen Menschen 9 Jahre). Dies wohl auch deshalb, weil chronische Krankheiten und schlecht kontrollierte Risikofaktoren bei bildungsfernen Bevölkerungsgruppen häufiger vorkommen. Und obwohl Frauen eine höhere Lebenserwartung haben, sind sie im Alter im Durchschnitt krankheitsanfälliger als Männer. Potenzial nicht ausgeschöpft Die zunehmende Lebenserwartung wirft neue Fragen im Hinblick auf die Lebensgestaltung auf. Auch in der dritten Lebensphase (in der Regel ab 65) wollen die Menschen ein erfülltes Leben führen. Sinnhaftigkeit fördert die Gesundheit : Menschen, die «gebraucht werden» sind weniger häufig krank und zufriedener als weniger aktive Personen. Dies erklärt einen beachtlichen Anteil der Unterschiede bei der Lebenserwartung in Zusammenhang mit dem Bildungsstand : Je höher die Bildung, desto stärker sind die sozialen Netzwerke und die berufliche Einbindung auch nach dem 65. Lebensjahr. Während besser qualifizierte Personen auch mit 70 Jahren noch eine berufliche Beschäftigung finden können, ist dies oft unmöglich für Personen, die einen Beruf mit hohen körperlichen Belastungen hatten oder deren Qualifikationen nicht gefragt sind. Arbeitgeber und Politik sind also mit einer Herausforderung konfrontiert, zu der ihnen die Erfahrungen fehlen : Ältere Menschen in ihrem Bestreben zu unterstützen, in ihren «Pensionsjahren» eine produktive Sinnhaftigkeit zu finden. Der sogenannte Ruhestand war ur- Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 22 Altersvorsorge sprünglich dafür gedacht, dass Menschen nach einem anstrengenden und arbeitsreichen Leben die wenigen verbleibenden Jahre in Ruhe verbringen können. Heute aber sind Menschen im Alter von 65 noch 10 bis 15 Jahre in guter körperlicher und geistiger Verfassung. Beschäftigung macht also einen grossen Teil der Sinnstiftung aus. Der Arbeitsmarkt für ältere Menschen muss flexibilisiert werden. Die Arbeit geber sind gefordert, Stellen und Positionen zu schaffen, die ältere Menschen ansprechen. Insbesondere müssen die Chancen für bildungsferne Menschen erhöht werden. Die neue Herausforderung ist also nicht nur ein langes, möglichst gesundes Altern, sondern auch ein sinnhaftes, produktives Altern. Derzeit ist dieses Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft – mit innovativen Modellen könnte der Arbeitsmarkt neu definiert werden. Und im Einklang mit gesellschaftlichen Entwicklungen könnten neue Märkte entstehen. Der Schlüssel unserer Gesellschaft Eine Veränderung von Strukturen und Regelwerken braucht im Arbeitsmarkt und auch in der Altersvorsorge eine Mehrheit der Stimmbürger. Diese können politisch kaum überzeugt werden, solange nicht mit erfolgreichen Pilotprojekten Alternativen erprobt wurden. Unternehmen und Einzelpersonen müssen vorangehen. Wenn sich die Einsicht verbreitet, dass das Neue wirklich funktioniert, werden Innovationen akzeptiert und mehrheitsfähig. Im Sorgenbarometer der Credit Suisse kommt deutlich zum Ausdruck : Das Thema Altersvorsorge ist seit über zehn Jahren eine der Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Was ist zu tun ? Die neuen Lösungsansätze für ein produktives Altern sind nicht nur der Schlüssel zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft – hier liegt auch der Lösungsansatz für eine nachhaltige und demografietaugliche Altersvorsorge in der Schweiz. Dieser Veränderungsprozess ist nicht ohne Hürden. Er benötigt einen neu ausgerichteten Kompass für alle Beteiligten mit angepassten Erwartungen und Einstellungen. Dr. med. Hans Groth, MBA, ist Verwaltungsratspräsident des mit der Universität St. Gallen assoziierten «World Demographic & Ageing Forum» und Verwaltungsrat der RehaClinic Bad Zurzach. Der demog rafische Wandel bildet seit 14 Jahren den Fokus seiner Arbeit. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 23 ENERGIE Das Thema (Kern-)Energie nahm im Sorgenkatalog der Schweizer Bevölkerung bis anhin keine Spitzenposition ein. Zwar hat es in den letzten zehn Jahren kontinuierlich an Relevanz gewonnen und rangierte in den «Top Ten» der grössten Sorgen – wenn auch auf den hinteren Plätzen. 2015 rutschte die Sorge darüber allerdings klar ab und wird heute nur noch an 12. Stelle der Hauptsorgen genannt. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 24 XXX Die Energiefrage ist aktuell eines der Probleme, welche die (politische) Elite stark beschäftigen. Das Stimmvolk indes zählt diese Thematik nicht zu den wichtigsten Problemen, die es in der Schweiz aktuell zu lösen gilt, sondern räumt ihr allenfalls eine mittlere Dringlichkeit ein.* Trend Problembewusstsein (2010 – 2015)* in % Stimmberechtigter 18 16 Energiefragen/Kernenergie/ Versorgungssicherheit Umweltschutz/ Klimaerwärmung/ Umweltkatastrophen 15 18 16 19 16 17 15 16 13 11 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Der Fukushima-Effekt ist zwischenzeitlich definitiv abgeklungen, und nebst dem konstant nur wenig priorisierten Umweltschutz (15%) sind auch Energiefragen (13%) zurück an das untere Ende der Problemhierarchie der Stimmbevölkerung gerutscht.* Trend künftig erwartete Probleme (2010 – 2015)* in % Stimmberechtigter 62 55 55 47 Energiefragen Arbeitslosigkeit/ Jugendarbeitslosigkeit 52 39 AHV/Altersvorsorge 37 29 AusländerInnen 31 17 2010 20 48 38 32 37 22 32 19 47 33 40 39 19 13 2011 * g fs.bern. Credit Suisse Sorgenbarometer 2015. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 25 2012 2013 2014 2015 Energie Kein Sensorium für Risiken Wir diskutieren, welche Technik in 50 Jahren die richtige sein soll. Doch die Zukunft ist kaum planbar. Nötig wären vielmehr die richtigen Anreize. Energie ist ein typisches Un-Thema. Dass sie jederzeit verfügbar ist, wird als selbstverständlich erachtet. Die Konsumenten schätzen das Produkt, mit der Infrastruktur möchten sie aber lieber nichts zu tun haben. Mehr noch : Sie stört. Handyantennen und Strommasten zum Beispiel. Auch die Kosten für Energie sind kaum bekannt. Wer kennt schon die Höhe seiner Stromrechnung ? Dies gilt auch für viele Unternehmen. Energie wird nur dann zum grossen Thema, wenn sie fehlt, unzuverlässig geliefert oder teurer wird («Ölpreisschock»). Solche Störungen sind besonders für die rund 1000 energieintensiven Industrieunternehmen in der Schweiz ein Problem, denn für sie sind Energiepreise und die Verfügbarkeit von Energie entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. In der Bevölkerung wird Energie vor allem dann Beachtung geschenkt, wenn ein neues Kraftwerk gebaut werden soll («nicht vor meiner Haustür»), es zu Blackouts oder zu Landschaftsbeeinträchtigungen kommt. Im Normalfall aber steht Energie im Problembewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer nicht an vorderer Stelle. Im Sorgen barometer der Credit Suisse führte nicht einmal das Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 zu einem markanten Anstieg des Problembewusstseins der Schweizer Bevölkerung. Ganz im Gegensatz zur Politik : «Fukushima» hat in der Schweiz die Energiewende und die «Energiestrategie 2050» eingeleitet, die das politische System auch in den nächsten Jahren prägen werden. Gegensätzliche Risikowahrnehmung Möglicherweise liegt diese Diskrepanz im Umgang mit Energiethemen im Unvermögen, Risiken objektiv wahrzunehmen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat in einer aktuellen Studie eine länger andauernde, schwere Strom-Mangellage als das grösste aller Risiken für die Schweiz bezeichnet. Sowohl ihre Wahrscheinlichkeit als auch ihre Auswirkungen wären grösser als beispielsweise diejenigen von Pandemien, Erdbeben oder Flüchtlingswellen. Die Bevölkerung reagiert allerdings kaum, denn der Mensch hat kein exaktes Sensorium für Wahrscheinlichkeiten und Risiken. Im Gegenteil, die Intuition trügt oft. So haben viele Reisende etwa Angst vor dem Fliegen, nicht aber vor der risikoreicheren Autofahrt zum Flughafen. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 26 Energie Die Auswirkungen einer Strom-Mangellage mit all ihren Nebenwirkungen sind zudem schwer fassbar. Computer und Steuerungen würden ausfallen, Heizungen, aber auch Lastwagen, denn ohne Strom für Pumpen könnten sie auch kein Diesel mehr tanken. Ähnlich verhält es sich mit dem CO 2-Ausstoss. Die Folgen des Klimawandels sind noch kaum spürbar. Wir sehen und riechen CO 2 nicht, Pflanzen brauchen es. Laut Wissenschaftlern ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des Klimawandels sehr hoch. Doch wann trifft er wen wie hart ? Kaum planbare Zukunft Die Diskussion um die Energiezukunft und die Energieversorgung ist deshalb vor allem ein Expertenthema. Hier greift die Politik ein, und das ist gut so. Doch auch hier gilt : Die Zukunft ist kaum planbar. Sowohl die Energiesysteme als auch die Klimaentwicklung sind langfristige, träge Systeme. Umgekehrt werden regelmässig die Dynamik der Wirtschaft und die technische Innovationskraft unterschätzt. Etwas tun oder nichts tun, beides hat Konsequenzen, die erst in Jahrzehnten sichtbar werden : Soll eine technische Lösung gesucht werden, mit der beliebig viel Energie nahezu gefahr- und abfalllos produziert werden kann (Fusion) oder ist die Lösung dezentral und erneuerbar, rein sonnenbasiert ? Muss diese Entwicklung durch den Staat definiert, gesteuert und subventioniert werden ? Oder sollten wir eher auf «Schwarmintelligenz» setzen, auf dezentrale Entscheide, die in die richtige Richtung gehen ? Entscheidend ist die aktuelle Diskussion der künftigen Rahmenbedingungen; sei es durch die Energiestrategie 2050 oder die Einführung von Lenkungsabgaben in der Höhe der ungedeckten Umweltkosten und Risikoprämien. Anreize zum Umdenken Punkto Energieeffizienz hat sich etwa bei Firmen ein auf Anreizen beruhender Ansatz bewährt : Unternehmen, die sich verpflichten, ihre CO2-Emissionen zu vermindern, erhalten dafür die CO 2-Abgabe rückerstattet. So haben sie konkrete finanzielle Anreize, verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit und leisten einen grossen Beitrag zum Klimaschutz. Dank solchen Zielvereinbarungen, die wirtschaftliche Massnahmen mit Lenkungsabgaben kombinieren, ist hier eine nachhaltige Lösung gelungen, die sowohl wirtschaftlich und gesellschaftlich als auch ökologisch Mehrwert brachte. Dieses erfolgreiche Beispiel zeigt : Statt zu diskutieren, welche Technik in 50 Jahren die Schweiz oder die Erde beherrschen soll, müsste die Politik die richtigen Anreize setzen, damit Energiekonsumenten selbstständig die richtigen Entscheide treffen. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 27 «Die Zukunft ist kaum planbar : Energiesysteme und Klima entwicklung sind langfristige, träge Systeme.» Dr. Armin Eberle ist seit 2009 Geschäftsführer der EnergieAgentur der Wirtschaft. Der promovierte Volksw irt und Ingenieur ETH befasst sich seit 20 Jahren mit Fragen der Energiewirtschaft und -nutzung und kennt sow ohl die Anwenderals auch die Produktionsseite. Energie Die Energiewende : Unsere grösste Chance Die Angst vor einem nuklearen Unfall ist verschwunden. Viele glauben, dass die Energiewende auf gutem Wege und alles geregelt ist. Falsch ! Diese Haltung gefährdet das Land und verhindert 85 000 neue Arbeitsplätze. «Es ist zu befürchten, dass die Umsetzung des Atomausstiegs der nächsten Generation überlassen wird.» Die Energiewende wird seit dem Atomunfall in Fukushima, der sich einige Monate vor den eidgenössischen Wahlen 2011 ereignete, intensiv im Parlament diskutiert. Dennoch scheint das Thema in der Bevölkerung nicht die gleiche Priorität zu haben : Im Sorgenbarometer der Credit Suisse wird es seit mehreren Jahren von nur knapp 20% der Befragten als eines der Hauptprobleme der Schweiz angesehen. 2015 sank diese Zahl gar auf 13%. Wichtiger als Fukushima waren in den Augen der Schweizerinnen und Schweizer im gleichen Zeitraum die Arbeitslosigkeit und Fragen rund um die Einwanderung bzw. das Zusammenleben mit der auslän dischen Bevölkerung. Der Entscheid der SNB, den Euromindestkurs im Verhältnis zum Franken aufzuheben, oder eine mögliche Wirtschafts krise infolge des Scheiterns der Bilateralen liegen dieses Jahr weit vorn in der Sorgenrangliste der Bevölkerung – sie werden als eine grös sere Bedrohung wahrgenommen als ein potenzieller nuklearer Unfall. Alte Werke schliessen Der schnelle Entscheid des Bundesrats nach Fukushima, keine Neubauten von Kernkraftwerken mehr zu genehmigen, hat einen grossen Teil der Bevölkerung beruhigt, viele betrachten das Problem als erledigt. Doch das ist es nicht. Es ist nicht genug, keine weiteren Kernkraftwerke zu bauen, um den beschlossenen Atomausstieg zu erreichen. Auch die bestehenden alten Kraftwerke müssen geschlossen werden. Vor Fukushima sahen die Betreiber Laufzeiten von etwa 40 bis 50 Jahre vor. Beim Kraftwerk Mühleberg bestehen bereits Sicherheitsprobleme, und Beznau ist das älteste noch in Betrieb stehende Kernkraftwerk der Welt. Nach dem Entscheid des Bundesrats, keine neuen Kernkraftwerke zu bauen, bekommt die Frage nach der Schliessung der alten Anlagen eine neue Dringlichkeit : Sie dürfen nun nicht durch neue Kraftwerke ersetzt werden, sondern man muss auf erneuerbare Energien und Energieeffizienzmassnahmen setzen. Dadurch werden zusätzliche För- Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 28 Energie dermassnahmen nötig, zumal die Schweiz in diesem Bereich anderen Ländern hinterherhinkt. Die seither im Parlament diskutierte Energiestrategie 2050 soll Lösungen für diese grossen Herausforderungen und gegen den Klimawandel liefern. Leider ist der Atomausstieg darin keineswegs abschlies send geregelt. Die Energiestrategie beinhaltet keine Laufzeitbegrenzung für alte Kraftwerke und ermöglicht sogar Laufzeitverlängerungen auf über 60 Jahre, während Kernkraftwerke weltweit im Schnitt nach weniger als 30 Jahren stillgelegt werden. Darüber hinaus werden die in der Strategie enthaltenen, durchaus vernünftigen Massnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz von den konservativen Parteien angegriffen. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass die Umsetzung des Atomausstiegs der nächsten Generation überlassen wird. Gleichzeitig wird in Kauf genommen, dass massive Investitionen in eine veraltete Technologie erfolgen und dass das Risiko eines nuklearen Unfalls ansteigt. Es ist daher zu erwarten, dass das Thema wieder in den Fokus der Bevölkerung rückt. Die Grünen haben eine Volksinitiative gestartet, die verlangt, dass Atomkraftwerke nach 45 Jahren vom Netz genommen und durch saubere Energien ersetzt werden müssen. Sie wird dem Volk als Ergänzung zur Energiestrategie 2050 vorgelegt, da diese hinsichtlich der Schliessung der alten Kraftwerke keine befriedigende Lösung bereithält. Die Energiestrategie selbst könnte zudem durch konservative Bewegungen mit einem Referendum attackiert werden. Sie ist deshalb mit aller Vehemenz vor dem Volk zu verteidigen. Neue Arbeitsplätze Somit könnte die Energiewende schnell ihren hinteren Platz, den sie derzeit – wie ich finde – zu Unrecht in der Prioritätenliste der Schweize r innen und Schweizer einnimmt, verlassen und in den Vordergrund treten. Das Thema ist ausserdem hochaktuell und für die Zukunft unserer Volkswirtschaft von enormer Bedeutung. 85 000 neue Arbeitsplätze können nach Schätzungen der Schweizerischen Energie-Stiftung bis 2035 in der Schweiz durch die Energiewende geschaffen werden. Durch höhere Energieeffizienz werden zudem finanzielle Mittel frei, die Wett bewerbsfähigkeit unserer Unternehmen wird grösser und die Kaufkraft der Haushalte nimmt zu. Die Energiewende markiert nicht nur den Übergang von einer veralteten und gefährlichen Technologie hin zu sauberen und innovativen Technologien. Sie ist auch unsere grösste Chance, Mehrwert und neue Arbeitsplätze für die schweizerische Volkswirtschaft zu schaffen, deren Zustand uns derzeit so grosse Sorgen bereitet. Adèle Thorens Goumaz ist seit 2007 Waadtländer Nationalrätin und seit 2012 Kopräsidentin der Schweizer Grünen. Sie ist Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 29 R e sXuXlX tate Resultate Credit Suisse Sorgenbarometer 2015 Das Land hat gewählt, jetzt stehen wichtige Aufgaben an : Die Beziehungen zur EU sind unter Druck, der Gotthard-Basistunnel, das grösste eidgenössische Bauprojekt aller Zeiten, geht 2016 auf, die Immigration wird Volk und Politik weiterhin beschäftigen. Der passende Moment, um zu fragen, wie es um die Befindlichkeit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger steht. Die repräsentative Umfrage wurde vom Forschungsinstitut gfs.bern durchgeführt; die Sorgenbarometert exte verfasste Andreas Schiendorfer (schi) unter Mitarbeit von Simon Brunner. Die vollständigen Resultate des Sorgenbarometers finden Sie unter folgendem Link : www.credit-suisse.com/sorgenbarometer 1 – Die Sorgen der Schweizer Ausländer, Arbeitslosigkeit, Altersvorsorge Was beschäftigt die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ? Die Zu wanderung erscheint zunehmend bedrohlich, man fürchtet sich vor dem Verlust der Arbeitsstelle und sieht die Rente gefährdet. Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern mit einem besonders hohen Ausländera nteil, welcher in den letzten 30 Jahren stark zugenommen hat : Anfang der 1980er Jahre betrug der Anteil der ständigen ausländischen Wohnbevölk erung weniger als 15%, heute sind es fast 25%. Diese Entwicklung wird laut der aktuellen Umf rage im Rahmen des diesjährigen Credit Suisse Sorgenbarometers zunehmend als belastend wahrgenommen. 2003 bezeichneten erst 18% «Ausländer» als ein Hauptproblem der Schweiz, heute sind es 43%. Die Annahme der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» im Februar 2014 hat die Wahrnehmung nicht verändert – im Gegenteil, das Thema «Ausländer» stieg seither in zwei Befragungen nochmals um 6 Prozentpunkte (pp) in der Sorgenrangliste und befindet sich damit auf einem Rekordhoch. Zudem wird die Verschärfung der weltweiten Flüchtlingssituation auch Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 30 in der Schweiz wahrgenommen. 35% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bezeichnen Flüchtlinge als Pro blem; mehr waren es letztmals 2006 (39%), die Spitzen in den Jahren 1999 bis 2004 lagen jedoch mit bis zu 56% noch deutlich höher. Der hohe Anteil an Zuzügern verunsichert also die Bevölkerung. Seit 2003 stellt die Arbeitslosigkeit ununterbrochen die Hauptsorge der Schweizerinnen und Schweizer dar. Um dies besser zu verstehen, wird seit letztem Jahr im Sorgenbarometer zwischen Arbeitslosigkeit (41%, +5 pp*) und Jugendarbeitslosigkeit (26%, +4 pp) unterschieden**. Während die Jugendarbeitslosigkeit erwartungsgemäss bei potenziell direkt betroffenen jungen Menschen bis 25 Jahre eine weit verbreitete Sorge darstellt (47%), gibt es bei der Arbeitslosigkeit als allgemeinem, nicht altersspezifischem Thema einen markanten Unterschied zwischen der Romandie (48%) und der Deutschschweiz (38%). R e sXuXlX tate Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre bezeichneten 60% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eine ihrer Haupt sorgen. Und in der Nähe dieses Wertes befinden sich auch die neusten Resultate. Der Spitzenwert des Jahres 1993 (89%) ist allerdings weit entfernt wie auch der höchste Wert aus jüngerer Vergangenheit (2010 : 76%). Dazu passt, dass die Arbeitslosenquote seit zwei Jahren stabil bei 3,2% liegt. AHV beschäftigt mehr als Gesundheit Drei weitere Phänomene sind seit Jahren vorne in der «Hitparade» der Sorgen. Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre folgen der Arbeitslosigkeit (60%) nach wie vor das Gesundheitswesen (44%) und die AHV (42%). Die Sicherung der Altersvorsorge zählt auch 2015 zu den Hauptsorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Diesmal wurde die AHV von 38% (+1pp) thematisiert; mehr waren es letztmals im Jahr 2010 (45%). Beim Gesundheitswesen hingegen kann man seit 2003 einen beinahe linear verlaufenden, starken Rückgang von 64% auf heute 22% feststellen. Die Massnahmen gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen scheinen das Vertrauen der Bevölkerung in die betreffenden Akteure gestärkt zu haben. Die Sorgen um die Europäische Union nehmen zu, auf derzeit 24% (+10pp seit 2011). Das könnte im Zusammenhang mit der Umsetzung der Masseneinwanderungs initiative und den Unsicherheiten rund um die bilateralen Verträge stehen. Doch das aktuelle Niveau ist weit entfernt von jenem der Jahre direkt nach der Ablehnung des EWR-Beitritts und während der Aushandlung der ersten bilateralen Abkommen (1999) : Durchschnittlich sorgten sich 40,5% zwischen 1995 und 2000 um die Beziehung zur Europäischen Union. Und welche Probleme werden die Schweizerinnen und Schweizer in zehn Jahren beschäftigen ? Nach heutigem Empfinden sieht die Rangliste wie folgt aus : Arbeitslosigkeit (55%), Altersvorsorge (46%), Ausländer Abb. 1 : Hauptsorgen der Schweizer Bevölkerung Wo der Schuh drückt «Legen Sie bitte von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen.» 1. Jugend-/Arbeitslosigkeit 56% (+5) 2. Ausländerfragen 43% (+3) 3. AHV/Altersvorsorge 4. Flüchtlinge/Asyl 35% (+9) 5. Eurokrise/Eurokurs 24% (+8) 5. EU/Bilaterale 24% (+4) 7. Gesundheit/Krankenkasse 9. Umweltschutz 15% (–1) 9. Neue Armut 15% (+1) 12. Drogen/ Alkohol 22% (–1) 17% (–) 8. Persönl. Sicherheit 11. Sicherheit im Netz 38% (+1) 14% (–) 13% (–3) 12. (Kern-)Energie 13% (–4) 14. Soz. Sicherheit 15. Inflation/ Teuerung 12% (–4) 11% (–2) (39%), Flüchtlinge (32%), neue Armut (24%), Gesundheitswesen (22%), so ziale Sicherheit (19%) sowie persönliche Sicherheit und die Europäische Union (beide 18%). In einer Schweiz im Umbruch bleibt etwas also konstant : die Hauptsorgen der Bevölkerung. (schi) Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 31 * Wo nicht anders angegeben, beziehen sich die Prozentpunkte-Vergleiche auf 2014. ** Einige Befragte nennen Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit als Problem, darum ist der kumulierte Wert 56% und nicht 26% (Jugendarbeitslosigkeit) plus 41% (Arbeits losigkeit). R e sXuXlX tate 2 . Ve r t r a u e n u n d S t ä r k e n d e r S c h w e i z Auf die Politik ist Verlass Regierung und Parlament geniessen einmaliges Vertrauen, Banken und Kirchen haben ihren Ruf verbessert. Gewerkschaften und Arbeitgeber organisationen hingegen verlieren an Glaubwürdigkeit. Das Bundesgericht führt zum siebten Mal in den letzten zehn Jahren die Vertrauensrangliste an. 68% (+6pp) der Schweizerinnen und Schweizer spre- chen dem obersten Gericht in Lau sanne ihr Vertrauen aus. Der letztjährige Spitzenreiter, die Schweizerische Nationalbank, wurde zurückgestuft, möglicherweise wegen der Aufhebung des Frankenmindestkurses, und rutschte mit 52% (–12pp) auf Rang 8 ab. Die Polizei, welche 2012 letztmals die Rangliste anführte, belegt mit 57% (–3pp) wie im Vorjahr den dritten Platz. Auf sie ist – wie Abb. 2 : Wem die Schweizer vertrauen Bundesgericht zurück an der Spitze des Vertrauens «Von 1 (kein Vertrauen) bis 7 (grosses Vertrauen), wie gross ist Ihr persönliches Vertrauen in die hier vorgelegten Institutionen ?» 1. Bundesgericht 68% (+6) 2. Bundesrat 63% (+6) 3. Banken 57% (+11) 3. Nationalrat 57% (+1) 3. Polizei 57% (–3) 57% ich findet s lizei be en Top 3. o P ie D in d Jahren seit 20 6. Kirchen 56% (+10) 7. Ständerat 55% (–) 8. Radio 52% (–2) 8. SNB 52% (–12) 10. Bezahlte Ztg. 51% (+3) 10. Armee 51% (+1) 12. Fernsehen 50% (–9) 13. Staatl. Verwaltung 49% (–1) 14. Internet 48% (+3) 15. NGO 47% (–) 15. Arbeitnehmerorg. 47% (–9) 17. Politische Parteien 46% (+4) 17. Gratiszeitungen 46% (–3) 19. Europäische Union 42% (+5) 20. Arbeitgeberorg. 38% (–15) Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 32 auch auf das Bundesgericht – Verlass, finden die Befragten. Die grosse Siegerin ist die Landesr egierung, die seit dem Tiefpunkt von 2003 (37%) die Vertrauensbasis im Volk kontinuierlich steigern konnte. Mit 63% (+6pp) belegt der Bundesrat damit erstmals überhaupt den zweiten Platz. Von einem derart hohen Ver t r auen können andere Regierungen nur träumen (in ähnlichen Umfragen in Deutschland und Österreich vertrauen weniger als 50% der jeweiligen Re gierung). Auch das eidgenössische Parlament konnte das Vertrauen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger auf hohem Niveau halten, der Nationalrat mit 57% (+1pp) auf Rang 3 und der Ständerat mit unverändert 55% auf Platz 7. Die politischen Parteien verzeichneten einen Vertrauenszuwachs auf 46% (+4pp) und kommen damit der Verwaltung (49%, –1pp) recht nahe. Banken : grösster Vertrauensgewinn Den grössten Vertrauensgewinn von +11pp (innert Jahresfrist) verzeichneten die Banken mit nunmehr 57%, was zusammen mit der Polizei und dem Nationalrat den dritten Platz bedeutet. Im Gegensatz zur Dotcom-Krise, die 2001 zum Tiefstwert von 33% geführt hatte, überstanden die Banken die Finanzkrise in den Augen der Schweizer Bevölkerung ausgesprochen gut. Die Kirchen gewannen in diesen Jahren der Verunsicherung an Zuspruch und vermochten das Vertrauen der Be völkerung seit 2008 (36%) kontinuierlich zu steigern, in diesem Jahr sogar um 10pp auf 56%. Auch der Armee vertraut mit 51% (+1pp) noch eine Be völkerungsmehrheit. Die erstmals zur Auswahl stehenden Nichtregierungsorganisationen vermochten diese Grenze nicht zu über treffen (47%). Dies gilt auch für die EU mit einer angesichts der Griechenlandund der Flüchtlingskrise eher über raschenden Steigerung um 5pp auf den bisher höchsten Wert von 42% (das langjährige Mittel liegt bei 29%). Den Vergleich innerhalb der Medien gewinnt das Radio mit 52% R e sXuXlX tate Abb. 3 : Stärken der Schweiz Politik besser in Form als die Wirtschaft «Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Stärken der Schweiz. Legen Sie bitte die fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf wichtigsten ansehen.» platz Finanz rke als Stä r e d ie w wird nden. empfu Wirtschaft Schweizer Qualität 28% (+4) Politik Neutralität Pharmaindustrie Bildung Finanzplatz/ Banken Frieden 18% (+1) Uhrenindustrie Zusammenleben der Kulturen 17% (–2) Tourismus Demokratie Wirtschaft generell Stabilität 25% (+6) 22% (+9) 16% (–1) 15% (+3) Landwirtschaft Ordnung und Sauberkeit (–2pp), dies aber nur, weil das Fernsehen einen noch grösseren Vertrauensverlust auf den bisherigen Tiefs t wert von 50% (–9pp) erlebte. Die bezahlt en Zeitungen gewannen nicht nur an Vertrauen (51%, +3pp), sondern konnten auch die Gratiszeitungen (46%, –3pp) überholen. Ebenfalls an Glaubwürdigkeit gewonnen hat das Internet (48%, +3pp). Die massiven Rückschläge der Arbeitnehmerorganisationen in der Vertrauensrangliste um –9pp auf 47% und der Arbeitgeberorganisationen um sogar –15pp auf 38% sind gravierend und schwierig zu deuten. Eine Erklärung könnte der an die Wirtschaftsvertreter gerichtete Vorwurf sein, in schwierigen Zeiten das Gemeinwohl zu wenig zu verfolgen. Trotzdem vertreten wie schon im 48% (+15) 32% (–6) 30% (+2) 29% (–2) 27% (–8) 26% (–) 25% (+6) Vorjahr 65% der Befragten die Ansicht, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen nie (14%) oder nur selten (51%). Zuvor hatte die Wirtschaft letztmals im Jahr 2000 eine vergleichbar gute Bewertung erhalten. Schweiz steht für Neutralität Bei den Stärken der Schweiz liegen politische Merkmale vorne, vor allem die Neutralität mit 48% (+15pp), die Bildung mit 32% (–6pp), der Frieden mit 30% (+2pp) sowie das Zusammenleben der Kulturen mit 29% (–2pp). Erst dann folgt als stärkster wirtschaftlicher Aspekt die Schweizer Qualität mit 28% (+4pp). Zwischen 2006 und 2011 hatte dieser Begriff stets den ersten oder zweiten Platz mit Spitzenwerten bis zu 50% belegt. Immerhin konnte der letztjährige Wert wieder leicht Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 33 gesteigert werden, was auch für die meisten Branchen gilt : die Pharmaindustrie um +6pp auf 25%, der Finanzplatz um +9pp auf 22%, die Uhrenindustrie um +1pp auf 18% und die Landwirtschaft um +3pp auf 15%. Einzig das Gesundheitswesen (24%, –2pp) und der Tourismus werden etwas schlechter eingestuft (17%, –2pp). Wie ambivalent die Einstellung gegenüber der Wirtschaft momentan allerdings ist, unterstreicht die Tatsache, dass nur 16% (–1pp) der Befragten von einer generell starken Wirtschaft als einer der Hauptstärken des Landes sprechen. (schi) R e sXuXlX tate 3 . D a s We s e n d e r S c h w e i z Jahr der Neutralität Einem Land, das für Neutralität, Sicherheit und Frieden steht, kann sich scheinbar niemand entziehen : Der Nationalstolz ist weiterhin auf Rekordhoch. «Machet den Zun nit zu wit» soll Bruder Klaus (1417–1487), Eremit und Schutzpatron der Schweiz, seine Landsleute frühzeitig zur Selbstbeschränkung ermahnt haben, er meinte damit so viel wie «Mischt euch nicht in fremde Händel». Ein bis heute viel zitiertes Wort, auf das sich die Eidgenossen nach der verlorenen Schlacht bei Marignano (1515) angeblich besannen. Die sich daraus entwickelnde Neutralität ist für viele ein zentraler Bestandteil des Erfolgs des alpinen Kleinstaates. Dauerhaft etabliert wurde die Neutralität der Schweiz 1815 am Wiener Kongress durch den Willen und die Schutzgarantien der mächtigen Bezwinger Napoleons. Unabhängigkeit zeitgemäss ? Die mit der Beendigung des Kalten Krieges aufkeimenden Diskussionen über den Ursprung, den Sinn und das Wesen der Neutralität sind im Zusammenhang mit dem diesjährigen Doppeljubiläum «500 Jahre Schlacht bei Marignano» und «200 Jahre Wiener Kongress» wieder intensiv geführt worden. Relevant ist dabei vor allem die Frage, ob die Schweizer Neutralität noch zeitgemäss ist. Das Sorgenbarometer vermittelt eine klare Botschaft : Für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ist die Neutralität ein unverrückbarer Wert, sie erklären 2015 gewissermassen zum «Jahr der Neutralität». Wie schon im Vorjahr sind 96% der Befragten stolz oder sehr stolz auf die Neutra- lität. Zudem wird sie von 48% (+15pp) als Hauptstärke der Schweiz empfunden. Dazu beigetragen hat möglicherweise die international gelobte Ver mittlerrolle der Schweiz als Vorsitzende der OSZE im Ukraine-Konflikt. Schliesslich wurde auch bei den Dingen, für die die Schweiz steht, kein anderer Begriff so oft genannt wie die Neutralität mit 32% (+12pp; Durchschnitt seit 2004 : 20%). Sicherheit und Frieden Für 19% (+1pp) der Stimmbürger steht die Schweiz aber auch für Sicherheit und Frieden. Das ist keine Überraschung, im langjährigen Durchschnitt waren sogar 22% dieser Meinung. Auf Rang 3 liegt die Landschaft, die für 13% der Befragten typisch schweizerisch ist (–1pp; Durchschnitt seit 2004 : 16%). Der artverwandte Begriff Alpen/Berge hingegen kam diesmal mit 5% (–6pp; Durchschnitt seit 2004 : 10%) nicht ganz nach oben. Dafür machten die Banken mit 12% (+7pp; Durchschnitt seit 2004 : 7%) einen grossen Schritt nach vorne. Sie gehören nach Ansicht des Souveräns untrennbar zur Schweiz. Neben den Banken wurde auch der Finanzplatz (6%, + 3pp) häufiger als im Vorjahr genannt. Das Bankkundengeheimnis blieb stabil bei 1%. Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch einen ausgeprägten Schweizer Nationalstolz aus. Zwischen 2004 und 2006 äus s erten im Schnitt bereits 75% der Befragten ihren Stolz auf das Land. Bis 2013 stieg der Durchschnitt auf 84% an. Im Jahr 2014 erreichte der Swissness-Trend mit der Durchbrechung der 90%-Marke eine neue Dimension, und nun sind es sogar 94%. Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 34 Wie einzigartig dieser Wert ist, wird offensichtlich, wenn man das Gegenteil betrachtet : Lediglich 5% der Befragten sind explizit nicht stolz darauf, Schweizerin oder Schweizer zu sein (1% ohne Antwort). Für den grossen Anstieg zeichnen vor allem die Westschweiz und die politische Linke verantwortlich. Betrug der Unterschied zwischen der stolzen deutschsprachigen Mehrheit und der skeptischeren französischsprachigen Minderheit im langjährigen Schnitt 29 Prozentpunkte, so ist es 2015 zum Gleichstand gekommen. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei den politisch Interessierten : Die Differenz zwischen rechts und links betrug bisher im Durchschnitt 21 Prozentpunkte, nun herrscht praktisch Gleichstand. Erst zum zweiten Mal zeichnet sich übrigens die politische Mitte durch den am stärksten ausgeprägten Nationalstolz aus, normalerweise liegen deren Werte leicht unter jenen der Rechten. Noch verblüffender ist die Entwicklung in der Gruppe der Befragten, die «sehr stolz» auf die Schweiz sind. Betrug 2005 die Differenz zwischen rechts und links 41 Prozentpunkte, so sind es nun noch deren 13pp – aber mit umgekehrtem Vorzeichen ! 51% der linksstehenden Stimmbürger sind sehr stolz auf ihr Schweizersein; bei den rechtsstehenden sind es nur 38% (gegenüber 64% im Jahr 2009). Typisch schweizerische Branchen Besonders stolz sind die Schweizer nicht nur auf die Neutralität (96% sehr / ziemlich stolz), sondern auch auf die Bundesverfassung (93%), die Volksrechte (89%), die Unabhängigkeit (84%) sowie den Föderalismus und das Zusammenleben (je 81%). Etwas tiefere Werte erreichen die Konkordanz (79%) sowie das Milizsystem und die Sozialpartnerschaft (je 77%). Bei der Beurteilung der Wirtschaft ist der Stolz auf verschiedene Branchen sehr ausgeprägt. Branchen, die von grossen Teilen der Bevölkerung als typisch schweizerisch angesehen werden, geniessen in der Regel auch einen sehr guten Ruf. An der Spitze liegt die R e sXuXlX tate Uhren i ndustrie (97% der Befragten sind stolz auf diese) vor den Themen «Internationaler Qualitätsruf» und «Starke Schweizer Marken im Ausland» (je 96%), den KMU und der Maschinenindustrie (je 95%) sowie der Forschung (93%). Geringfügig tiefere Werte erreichen die Pharmaindustrie und die Innovationskraft (je 89%) sowie die Service-public-Unternehmen (88%). Auf hohem Niveau, aber etwas distanziert sind die internationalen Konzerne in der Schweiz (82%), der Finanzplatz (80%) und das Bankkundengeheimnis (78%). Die politischen Begriffe erreichen bei der Frage, worauf man stolz sei, eine ansehnliche Durchschnittsquote von 84% (–4pp). Wirtschaftliche Begriffe werden mit 90% (+2pp) sogar noch etwas höher eingestuft, obwohl sie bei den Stärken etwas schwächer abschneiden als die politischen Faktoren. Die Wirtschaft trägt demnach stark zum hohen Nationalstolz bei. (schi) Abb. 4 : Identität Wer sind wir ? 32% (+12) «Sagen Sie mir bitte drei Dinge, wofür die Schweiz für Sie persönlich steht.» +7pp Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 35 6% (+3) 6% (+4) Schokolade Freundlichkeit 6% (+3) Industrie 6% (–1) Tradition 6% (+3) Finanzplatz 7% (+5) 8% (+2) Sauberkeit Wohlstand 8% (+2) Freiheit 8% (–) Demokratie 9% (+2) 10% (+3) Schulsystem Solidarität 10% (+4) Ordnunsbewusst 10% Qualitätsbewusst (+3) 10% Heimat (–8) (+7) 12% Banken Landschaft Sicherheit Neutralität 13% (–1) 19% (+1) ? unden überw iv it h n fi ic e rt s krise d definie Finanz chweiz . S r te Ist die e tu d ti ntität nzins Die Ide er Fina b ü r e wied R e sXuXlX tate 4. Die Innensicht Abb. 5 : Gefahren für die Heimat ist ein Gefühl Schweizer Identität Was uns bedroht «Durch welche Ursachen sehen Sie die Schweizer Identität gefährdet ?» Wo sind die Schweizerinnen und Schweizer zu Hause ? Wie schätzen sie die eigene wirtschaftliche Situation ein ? Und was gefährdet ihre Identität ? Überraschende Antworten zur Gefühlslage der Befragten. Seit 1990 sind in der Schweiz nicht weniger als 707 Gemeinden – fast ein Viertel der Gesamtzahl – durch Fusionen verschwunden. Diese Zusammenschlüsse könnten, verbunden mit einer generell erhöhten Mobilität, ein Grund dafür sein, warum die Gemeinden nicht mehr das unbestrittene Zentrum der Identifikation darstellen. Hatten sich im Jahr 2011 44% der Stimmbürger in erster Linie der Gemeinde zugehörig gefühlt, so sind es heute nur 19% (+2pp). Die Swissness-Kurve der letzten Jahre steigt laut Sorgenbarometer nicht weiter an : Das Gefühl der Zugehö rigkeit zur Schweiz als Ganzem hat 2015 um 2pp auf 26% abgenommen. Mit 24% liegen die Sprachregion (+5pp) und der Kanton (+2pp) praktisch gleichauf. Die Resultate werden aussagekräftiger, wenn man auch noch hinzunimmt, wem sich die Befragten in zweiter Linie zugehörig fühlen : Die Schweiz mit 50% (–6pp) und die e igene Sprachregion mit 47% (+12pp) liegen nun deutlich vor dem Wohnkanton mit 36% (–5pp) und der Wohngemeinde mit 31% (+3pp). Europa mit 15% (–2pp) und die Welt mit 9% (–2pp) bieten nur für wenige eine Identifika tionsmöglichkeit. Werden die Sprachregionen also zunehmend wichtiger? Der langjährige Trend ist klar : 2007 fühlten sich nur 8% in erster Linie der Romandie, dem 1. Egoismus 71% (+4) 2. EU-Probleme 71% (–5) 3. Einwanderung 70% (–3) 4. Reformstau 67% (+3) 5. Inter. Öffnung 66% (–4) 6. Polarisierung 58% (+3) Tessin oder der Deutschschweiz zugehörig, heute sind es dreimal mehr. Dieser Trend zu grösseren Ein heiten beinhaltet anscheinend auch die Gefahr der Entsolidarisierung. Mittlerweile wird der Egoismus mit 71% (+4pp) als ebenso grosse Gefahr für die Schweizer Identität angesehen wie das Verhältnis zur EU; in der Romandie wird der Egoismus als noch etwas grössere Gefahr wahrgenommen (75%) als in der Deutschschweiz (71%). In dieses Bild passt, dass bei der offenen Befragung nach den Hauptproblemen der Schweiz das Desinteresse an wichtigen politischen Themen (14%) praktisch gleich oft genannt wurde wie die Altersvorsorge (16%). Zugenommen haben auch die Identitätsgefährdung durch Reformstau (67%, +4pp) und die Polarisierung (58%, +4pp). Steuern weniger selbstverständlich Auch bei der Frage nach Steuergerechtigkeit scheinen gewisse individualistische Tendenzen erkennbar. Natürlich zahlt niemand gerne Steuern, doch im Jahr 2011 bezeichneten immerhin 40% die Steuerbelastung als gerade richtig. Jetzt sind es noch 27%. Dementsprechend beklagten sich vor vier Jahren nur 54% über zu hohe Steuern, jetzt sind es 70%. Nimmt das Zu sammengehörigkeitsgefühl ab, werden wohl auch Steuern weniger selbstverständlich. Doch es gibt allenfalls auch einen Zusammenhang zwischen Steuerfragen und der Beurteilung der allgemeinen und der individuellen Wirtschaftslage. Hier lässt sich, auf sehr hohem Niveau, eine etwas pessimistischere Einschätzung der Zukunft feststellen, Abb. 6 : Zugehörigkeit Meine Scholle «Welcher geografischen Einheit fühlen Sie sich in erster Linie zugehörig ?» Schweiz Wohnkanton Sprachregion Wohngemeinde 39% 26% 18% 26% 24% 19% 12% Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 36 2010 lt en füh ei Jahr Land 2015 m Seit dr e d är h prim r man sic icht mehr de er das b a und n hörig, e g u rt z inde l verlie Geme sgefüh n o ti a k Identifi turen. an Kon R e sXuXlX tate obwohl nur 8% (+1pp) konkret befürchten, im Laufe der nächsten zwölf Mo nate die Arbeitsstelle zu verlieren. 63% (+3pp) bezeichnen ihre aktuelle wirtschaftliche Situation als gut oder sehr gut. Und dass sie im nächsten Jahr besser oder zumindest gleich gut sein wird, glauben 86% (–6pp). Umgekehrt beklagen sich zwar nur 6% (–1pp) über eine finanziell schlechte Situation; aber 13% (+6pp) befürchten eine Verschlechterung – so viele wie seit 2002 nicht mehr (1% gab keine Antwort). Nur 20% glauben an Aufschwung Noch etwas düsterer wird die allgemeine Konjunkturentwicklung gesehen. 28% (+11pp) haben eine Verschlechterung der allgemeinen Wirt schaftslage festgestellt, und 23% (+8pp) gehen davon aus, dass eine weitere Verschlechterung eintreten wird. Das ist zwar noch nicht beängstigend, aber an einen wirtschaftlichen Aufschwung glauben derzeit unverändert lediglich 20%. Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Ansicht, dass es der Schweiz in zehn Jahren besser gehen wird in Bezug auf den Zusammenhalt der Sprachregionen (65%, –8pp), die Umwelt (61%, +8pp) sowie die Zusammenarbeit der wichtigsten Parteien (51%, –4pp). Von einer Verschlechterung gehen die Befragten hinsichtlich der Verbreitung von Armut (64%, +0pp) und der Altersstruktur der Gesellschaft (57%, +2pp) aus. Eine Pattsituation gibt es bei der Frage, ob sich das Zusammenleben mit den Auslände rinnen und Ausländern verbessern (48%, –2pp) oder verschlechtern (48%, +3pp) wird. (schi) Abb. 7 : Persönliche Wirtschaftslage heute und morgen Geht gut und das bleibt so «Was würden Sie sagen, wie es Ihnen wirtschaftlich gesehen im Moment geht ? Und in den nächsten 12 Monaten ?» 1% 0% (–1) (–) 5% (–1) 1% (–) 10% 14% 13% (–) (–4) (+6) 31% (–1) 53% (+3) 72% (–2) Individuell heute sehr gut schlecht gut recht sehr schlecht weiss nicht Individuell Zukunft besser gleich weiss nicht schlechter Abb. 8 : Allgemeine Wirtschaftslage heute und morgen Die generelle Lage ist weniger gut «Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage in der Schweiz in den vergangenen 12 Monaten entwickelt ? Und wie wird sie sich in den kommenden 12 Monaten entwickeln ?» 5% (+2) 1% (–1) 16% 28% (–2) (+11) 20% 23% (–) (+8) 52% (–10) 55% (–8) Allgemein heute verbessert weiss nicht gleich verschlechtert Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 37 Allgemein Zukunft verbessern weiss nicht gleich verschlechtern R e sXuXlX tate 5. Der Blick nach aussen Besser als die anderen Die Politik solle sich im Ausland offensiv verhalten, denn das Image der Schweiz sei nach wie vor sehr gut, findet eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimm bürger. Doch das Selbstvertrauen bekommt Risse. Hat das Ansehen der Schweiz nach der Annahme der Initiative gegen die Masseneinwanderung gelitten ? Ja, aber nicht in dramatischem Ausmass, lautet die Einschätzung der Befragten. Glaubten vor zwei Jahren 31% der Schweizerinnen und Schweizer, das Image im Ausland habe sich innert Jahresfrist verschlechtert, so sind es nun 38%. Dieser Minderheit steht jedoch mit 40% eine grössere Anzahl an Stimmbürgern gegenüber, die meinen, eine Imagev erbesserung festgestellt zu haben. Folgerichtig geht eine Mehrheit von 73% (–3pp) davon aus, dass das Bild der Schweiz im Ausland gut oder sogar sehr gut ist. Allerdings haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit einer kritischen Sicht deutlich zugenommen auf nunmehr 25% (+14pp). Abb. 9 : Verhalten der Politik gegenüber dem Ausland Abb. 10 : Schweizer Wirtschaft Angriff oder Verteidigung ? Starke Wirtschaft «Wie sollte sich die Schweizer Politik gegenüber dem Ausland verhalten ?» «Wie steht die Schweizer Wirtschaft da im Vergleich zur auslän dischen Wirtschaft ?» 0% (–1) 1% (+1) 6% (+4) 7% (+3) 12% (+5) 37% (–3) 33% (–8) 11% (+3) 65% (–4) sehr offensiv eher offensiv eher defensiv sehr defensiv weiss nicht / keine Antwort 28% (–) sehr gut eher gut schlecht sehr schlecht weiss nicht/keine Antwort Credit Suisse · Kompass für die Schweiz ― Seite 38 Wirtschaftlich überlegen Nach wie vor sind 93% der Meinung, die hiesige Wirtschaft stehe besser da als die ausländische; für 28% schneidet sie im Vergleich sogar «sehr gut» ab. Dennoch relativieren zunehmend kritische Stimmen diesen Optimismus, und gerade in Bezug auf das politische Verhalten der Schweiz scheint eine gewisse Verunsicherung spürbar. Hielten noch 2013 zwei Drittel der Stimmbürger das Vorgehen der Politik für defensiv, so liegt dieses Lager inzwischen etwa gleichauf mit jenem, welches das Gegenteil für den Fall hält : Derzeit sind für 44% (–5pp) die Schweizer Politikerinnen und Politiker im Ausland eher offensiv, für 49% (+2%) hingegen eher defensiv. Nach wie vor stärkt aber eine Mehrheit von 64% (–15pp) der Politik den Rücken und wünscht sich in den kommenden zwölf Monaten ein (noch) offensiveres Vorgehen. Gleichzeitig haben sich noch nie so viele Befragte wie jetzt ein besonnenes, eher de fensives Agieren gewünscht : 30% (+13pp) im Vergleich zur bisherigen Höchstmarke von 22% im Jahr 2012. Wäre der EWR eine Alternative ? Konkret zum künftigen Verhältnis mit der Europäischen Union befragt, befürworten die meisten Schweizerinnen und Schweizer den Status quo, also die Fortsetzung der bilateralen Verträge. In erster Priorität sind 47% (–3pp) dafür, in zweiter Priorität würden weitere 13% (–3pp) den bilateralen Verträgen zustimmen. Als ernsthaft zu prüfende Alternative wird der Beitritt zum EWR von 18% (+6pp) der Befragten in erster Priorität sowie weiteren 28% (–1pp) in zweiter Priorität in Erwägung gezogen. Noch einen Schritt weiter gehen und Mitglied der Europäischen Union werden möchten lediglich 8% (+4pp) in erster beziehungsweise weitere 15% (+5pp) in zweiter Priorität. Für die Kündigung der bilateralen Verträge sind 18% (–6pp) in erster sowie 6% (–1pp) in zweiter Priorität. (schi) Dieses Dokument wurde von der Credit Suisse AG einzig zu Informationszwecken und zur Verwendung durch den Empfänger erstellt. Die darin geäusserten Meinungen sind diejenigen der Credit Suisse AG zum Zeitp unkt der Redaktion und können sich jederzeit und ohne Mitteilung ändern. 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