Was ist romantisch? - L-Mag

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Deutschland € 4,50 | Österreich € 5,20 | Schweiz CHF 5,90
www.l-mag.de | Januar/ Februar
Das Magazin für Lesben
MAG
GROSSE
GEFÜHLE
Carol – der Film
des Jahres
GROSSE
KLAPPE
Skunk Anansie –
Skin im Interview
2016
JahresHoroskop
EventVorschau
Superstar Cate Blanchett in Carol
Das Romantik-Heft
Sehnsucht nach Liebe
Zu Tränen gerührt oder zu cool für Kitsch?
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*03 Editorial_00 Editorial Relaunch : Vorlage allgemein 04.12.15 18:20 Seite 3
INTRO
L-MAG Januar/Februar 2016
Das Romantik-Heft
L-MATES
Coverfoto: Cate Blanchett im Film „Carol“
Jetzt wird’s romantisch. Und da geht es heiß her. Denn Romantik ist ein hochbrisantes Thema,
zu dem wirklich alle eine starke und leidenschaftliche Haltung haben. Das passt nicht nur wunderbar
zum Film des Jahres, „Carol“, der grandios große Gefühle und Anspruch miteinander verbindet,
sondern auch zu den von uns ausgewählten „Lesbian Pulp-Fiction“-Buchcovern. Die wilde Mischung
von Trash, Kitsch und Drama zierte auch den allerersten Roman seiner Art, „Spring Fire“ von
Vin Packer (aka Marijane Meaker), 1952 in den USA erschienen.
ANJA HINRICHS, 52,
ist auch ohne Smartphone in der Großstadt überlebensfähig und achtet im
L-MAG-Verlag Special Media SDL streng
auf die Einhaltung von Verwaltungs vorschriften. Sie verfügt über Wissen aus
vielen Lebensbereichen und hat für uns
Cornelia Scheels Buch gelesen.
CAMILLA STORGAARD, 26,
studiert Fotografie in Berlin. Neben
vielen anderen Tätigkeiten gehört ihre
Leidenschaft dem Porträtieren der LGBTCommunity, indem sie den Menschen in
Berlin „unter die Haut“ geht. Für dieses
Heft kam sie sechs Lesben aus sechs
Ländern beim Thema Romantik näher.
Coverfoto: dcm, Fotos: Privat
Das Romantik-Heft
Sehnsucht nach Liebe
Zu Tränen gerührt oder zu cool für Kitsch?
L-MAG
SUSANNE LÜCK, 47,
ist Sprach-Liebhaberin und schreibt, übersetzt und lektoriert Bücher, Artikel oder
Werbung. Sie lebt mit Hund, Frau und
Home Office in Köln. Sie hat Roman autorinnen und Verlegerinnen zum
Thema Romantik befragt.
3
*04-05 Inhalt_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:52 Seite 4
INHALT
3 EDITORIAL
50 FOTO
Partyfotos aus London von Egle Trezzi
4 INHALT
6 LESERINNENPOST/
IMPRESSUM
8 MAGAZIN
Verabschiedung der Nationalspielerinnen Nadine
Angerer und Celia Šašić | Nachruf auf Gudrun
Hauer | Anti-Diskriminierungsgesetz in der
Ukraine| Keine „Homo-Propaganda“ in Litauen |
Heldin: Frieda Belinfante
11 L-KAMPAGNE
Rock-Ikone: Melissa Etheridge
12 MAGAZIN REGIO
Berlin: Stolperstein für Elli Smula |
München: Rainbow City | Berlin: UnisexToilette in Senatsverwaltung | BadenWürttemberg: „Netzwerk LSBTTIQ“
14 JAHRES-HOROSKOP
18 POLITIK
Flucht aus Syrien: Der Traum von einer Zukunft
Frauenarmut: Für immer ohne Kohle
22 PERSONALITY
Künstlerin Toni Schmale: Geliebte Knochenarbeit
26 INTERNATIONAL
Südafrika: Perverses Paradies
30 ABO
54 MUSIK
Skunk Anansie:„Wir lieben Widersprüche“ |
Eliot Sumner: Einfach Eliot
60 MUSIK L-SOUNDS
62 FILM
„Carol“ – Ganz große Gefühle | „The Danish Girl“ |
„Janis: Little Girl Blue“
68 BUCH
„Hannah Arendt – Eine Denkbiografie“ |
„Mädchen für alles“ | „Endlich daheim“ |
„The Rental Heart and Other Fairytales“ |
„Anti-Genderismus“ | „Mildred Scheel –
Erinnerungen an meine Mutter“
72 DIGITALES LEBEN
Digitale Romantik – Widerspruch oder Ergänzung?
74 EROTIK
Kamin-Stimmung im Bett –
romantisches Sexpsielzeug
76 EVENTS 2016
Jahresvorschau: Festivals, CSDs und
Großereignisse im kommenden Jahr
80 KLATSCH
82 KOLUMNE
32 TITELTHEMA
ROMANTIK
4
EVENTS 2016
Tanzen, Feiern und
Demonstrieren
David Bowie | Jeanne Added | Amy Antin |
Savages | Bianca Casady | Dota | Mynabirds |
Für Hilde
Runter vom Sofa
Romantik heute und gestern | Roman oder
Romantik – Expertinnen im Gespräch | Umfrage:
Zwischen Heteronorm und Kerzenschein | Baldrian
fürs Volk: Anti-Romantik | Mord, Vampirinnen,
Tod: Die dunkle Seite | Pro und Contra Valentinstag: Im Namen der Rose? | Wie romantisch bist
du? – Der L-MAG-Romantik-Check
76
62
FILM
„Carol“:
Große Gefühle
L-MAG im Internet: www.l-mag.de
L-MAG
*04-05 Inhalt_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:52 Seite 5
L-MAG JANUAR / FEBRUAR 2016
32
ROMANTIK:
SEHNSUCHT NACH LIEBE
Zu Tränen gerührt oder
zu cool für Kitsch?
54
MUSIK
Skunk Anansie –
Skin im Interview
50
FOTO
Party in London
[Velvet Ibiza Festival, dcm, Jackie Baier, Egle Trezzi, Illustration: Barye Phillips ]
L-MAG
5
*06-07 Leserinnenpost_00 Editorial Relaunch : Vorlage allgemein 04.12.15 20:02 Seite 6
LESERINNENPOST
Keine Lust, zum Laden zu gehen?
ÜBER
Die aktuelle L-MAG-Ausgabe bequem und portofrei online bestellen bei:
www.magazineshoppen.de
Ein kleines Lob zwischendurch heitert
den Alltag der Redaktion auf:
Hallo, liebes L-MAG-Team,
ich bin seit Jahren treue Leserin und wollte
euch auch schon lange dafür loben, dass ihr
seit einiger Zeit weitestgehend die
geschlechtergerechte Sprache verwendet.
Herzliche Grüße aus dem Rheinland,
Beate
Anregungen von Leserinnen unterstützen unsere Kreativität:
Sehr geehrte Redaktion,
mich würde es sehr freuen, wenn Sie einen Artikel
zum Thema Asexualität machen könnten. Es gibt
unter uns Asexuellen auch homoromantische
Asexuelle, also auch lesbische Asexuelle. Leider
kommt das Thema so selten irgendwo vor, dass
viele erst mit über 20 Jahren oder noch später
überhaupt darauf kommen, dass es das gibt und
sie damit nicht allein sind.
Liebe Grüße
Luca
Liebes L-MAG-Team,
meine Partnerin und ich sind seit Jahren treue und
begeisterte Leserinnen. Besonders gefallen uns
die Vielseitigkeit der Beiträge und die Aktualität.
Was wir (und auch andere) jedoch extrem vermissen, ist das Thema Regenbogenfamilie. Lesben
und Schwule sollten als selbstverständliche und
gleichwertige Mitglieder in der Gesellschaft
integriert sein. Genau so selbstverständlich muss
es dann aber auch sein, dass sie Familien gründen
können. Da uns das der deutsche Gesetzgeber
nicht gerade leicht macht, wäre es toll, wenn
L-MAG nicht nur als „Motor“ für Partys und
Freizeit gilt, sondern auch bei der Familiengründung unterstützt. Konkret wünschen wir uns:
– eine Übersicht über die rechtlichen Möglichkeiten zur Insemination in verschiedenen Ländern,
Samenspende und Eizellenspende
– In welchen Ländern ist die ROPA-Methode
(Eizellspende der Partnerin) erlaubt?
– Vorstellung amerikanischer Kliniken
– Erfahrungsberichte (vielleicht ein Serie) von
lesbischen Paaren, die ihren Kinderwunsch erfüllt
haben
Es wäre toll und zeitgemäß, wenn ihr das mal im
Team besprechen könntet!
Viele Grüße
Sabine
Liebe Sabine,
L-MAG plant für das Jahr 2016 eine Ausgabe
mit dem Themenschwerpunkt Familie, die
viele deiner Fragen beantworten wird. Es heißt
also: Nur noch ein wenig Geduld.
Dein L-MAG-Team
Die nächste L-MAG,
Ausgabe März/April 2016,
erscheint am 26. Februar 2016
Post(s) von
L-MAGFreundinnen
auf Facebook
17.000
FANS!
Eine neue Studie fand heraus, dass die
meisten Frauen entweder lesbisch oder
bisexuell sind:
Ciara S.:
Das weiß ich schon seit der Schule, hatte
nur eine Freundin, die Frauen strikt
abgelehnt hat, der Rest war jedenfalls
nicht abgeneigt.
Jaina S.:
Glaub ich sofort, wenn es um Sex geht.
Aber ansonsten bevorzugen die meisten
Frauen das „sorgenfreie“ Leben mit einem
Mann!!!
Eine Britin muss acht Jahre ins Gefängnis, weil sie sich beim Sex als Mann
ausgab:
Stefanie H.:
Ich hab auch keine Ahnung, dass ich mit
einer Frau verheiratet bin. Das hat mich
total überrascht. Oder, M.?
Claudia B.:
Das kann mir keine Hetera erzählen, dass
sie den Unterschied zwischen Mann und
Frau, einem natürlichen bzw. künstlichen
Penis nicht erkennt. Wer das glaubt, glaubt
auch an den Weihnachtsmann.
Martina R.:
Rechts- und Machtmissbrauch kommt mir
da so in den Sinn.
IMPRESSUM
L-MAG ist Deutschlands Magazin für Lesben.
Es erscheint zweimonatlich in Deutschland,
Österreich und der Schweiz.
Verlag: Special Media SDL GmbH,
Ritterstraße 3, 10969 Berlin,
Tel.: (030) 23 55 39-0, Fax: -19
Geschäftsleitung: Gudrun Fertig, Manuela Kay
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Creative Director print und Chefredaktion:
Manuela Kay (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Dana Müller
Artdirektion: Sandy Volz
Grafik & Layout: Stef Morgner
Redaktion www.l-mag.de: Karin Schupp
6
Gestaltungskonzept: Ann Katrin Siedenburg
Online-Design und Programmierung:
Büro Dedering
Anzeigenverkauf:
Tel.: (030) 23 55 39-34, [email protected]
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Anzeigenschluss für L-MAG 2/16: 5.2.2016
Vertrieb: Partner Medienservices GmbH,
70597 Stuttgart, Tel.: (0711) 725 24 41
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Druck: Möller Druck, 16356 Ahrensfelde,
www.moellerdruck.de
Einzelverkaufspreis: Deutschland: 4,50 €,
Schweiz: 5,90 CHF, Österreich: 5,20 €.
Im Special Media SDL Verlag erscheint außerdem:
SIEGESSÄULE Queer Berlin, www.siegessaeule.de
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Die Abo-Einzüge werden turnusgemäß laut
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Die Special Media SDL GmbH Gläubiger-ID:
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L-MAG im Internet: www.l-mag.de
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An der Special Media SDL GmbH sind Gudrun Fertig,
Journalistin und Dipl. Volkswirtin, Berlin, und Manuela
Kay, Journalistin, Berlin, mit je 45 % beteiligt.
L-MAG
*06-07 Leserinnenpost_00 Editorial Relaunch : Vorlage allgemein 04.12.15 20:02 Seite 7
LESERINNNEN
Wer liest L-MAG?
Wir stellen die Leserin des Monats vor
Unsere treuste Abonnentin:
Brigitte Stadelmann (46)
aus Bregenz in Österreich
Werde auch du Leserin des Monats.
Schreib uns, warum es lohnt, dich vorzustellen, an: [email protected]
Foto: privat
Brigitte Stadelmann ist L-MAG-Abonnentin
der ersten Stunde und Vollzeit-Aktivistin.
Sie ist die Erste in unserer neuen Reihe
„Wer liest L-MAG“. Brigitte wohnt gemeinsam mit zwei Frauen und zwei Kindern am
Bodensee. L-MAG wird von allen im Haushalt gelesen. Im Alter von 28 hatte Brigitte
ihr Coming-out. Heute ist sie als queerfeministische Mädchenarbeiterin bei
Amazone angestellt, einem Verein zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit.
Ansonsten ist Brigitte ehrenamtlich beim
LGBT-Verein Go West aktiv. Ihr Traum:
eine Anlaufstelle mit Café, Kultur und
vielleicht sogar einer WG für LGBT in ihrer
Region zu errichten.
Wer war die erste Frau, in die du dich
verliebt hast?
Das war wahrscheinlich schon die Lehrerin in
der Volksschule oder die Kindergärtnerin. Das
hab ich aber stark verdrängt. Ich habe sehr
lange in einer Hetero-Beziehung gelebt, die
L-MAG
eigentlich sehr glücklich war, nur irgendwie
nicht ganz. Ich hatte immer das Gefühl, nicht
ganz zu leben. Nach der Trennung ist es mir
wie Schuppen von den Augen gefallen.
Gab es etwas in deinem Coming-out, das
dich bis heute prägt in deinem Umgang mit
dem Lesbischsein?
Ja, meine Mama. Sie war auch schon damals
nicht mehr die Jüngste und ist sehr katholisch
aufgewachsen. Auch wenn mir bewusst war,
dass sie mich niemals fallenlassen würde und
mich immer lieben wird, hatte ich trotzdem
Angst, dass sie Schwierigkeiten damit haben
könnte. Doch ihre erste Reaktion war: „Das ist
der schönste Tag in meinem Leben, denn jetzt
weiß ich, dass du wirklich glücklich bist.“
Wie bist du auf L-MAG aufmerksam
geworden?
Über eine Freundin, die hat das am Lindauer
Bahnhof gekauft. Mittlerweile kriegt man
L-MAG ja fast überall am Kiosk. Aber damals
war das noch sehr anrüchig: das „Magazin für
Lesben“ war in der Pornoecke deponiert.
Warum hast du L-MAG abonniert?
Zum einen zur Unterstützung. Es ist wichtig,
mit dem Abo ein Stück weit die Zeitung zu
sichern. Und weil es einfach bequem ist, sie zu
Hause im Briefkasten zu finden.
Was liest du als erstes im Heft?
Ich schaue mir immer als Erstes Musik und
Literatur an, weil das meine Quelle für
reflektiertere Dinge im Kulturbereich ist. Danach
alles zum Thema Feminismus und Menschenrechte. Aber eigentlich schau ich mir das ganze
Heft sehr genau an – sogar das Horoskop,
obwohl ich absolut nicht esoterisch bin.
Was würdest du gern an L-MAG ändern?
Ich bin sehr kritisch und stänkere immer
überall rein, aber bei euch fällt es mir echt
schwer. Am Anfang fand ich die Abbildungen
von Frauen sehr einseitig, aber das hat sich
mittlerweile verändert. Insgesamt finde ich,
L-MAG hat eine super Mischung aus tiefsinnigen
Themen und Klatsch und Trasch.
Und wen wünscht du dir auf dem Cover?
Ellen DeGeneres.
// dm
7
*08-11 Magazin L-Kampagne_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 20:08 Seite 8
L.MAGAZIN
26. November in Duisburg: Verabschiedung und Ehrung von Nadine Angerer
(2. v. links) und Célia Šašić (2. v. rechts) mit Noch-Bundestrainerin Silva Neid (ganz links)
GOODBYE GIRLS
Nadine Angerer und Célia Šašić beenden ihre Fußball-Karriere
Nadine Angerer ist die Weltfußballerin des Jahres 2013, Célia Šašić ist
aktuell „Europas Fußballerin des Jahres und steht in diesem Jahr neben Carli Lloyd (USA) und Aya Miyama (Japan) als Weltfußballerin
zur Wahl. Gemeinsam gewannen sie Bronze bei den Olympischen
Spielen 2008 und wurden 2009 und 2013 Europameisterinnen. 2007
wurde Angerer Weltmeisterin, Šašić brach sich kurz vorher das
Schienbein und verpasste diesen Titel. Die eine wurde mit dem
goldenen Handschuh als beste Torhüterin bei der Weltmeisterschaft
2007, die andere mit dem goldenen Schuh als beste Torschützin bei
der WM 2015 geehrt. Kapitänin Nadine Angerer und Stellvertreterin
Celia Šašić gaben in diesem Jahr das Ende ihrer aktiven Karriere nach
der Weltmeisterschaft bekannt. Im Rahmen des Länderspiels gegen
England am 26. November wurden sie zunächst für ihre über 100
8
Länderspiele ausgezeichnet. 14 von 21 Nationalspielerinnen kamen
nach Duisburg, um diese Auszeichnung entgegenzunehmen. Darunter
auch Renate Lingor, Pia Wunderlich, Silke Rottenberg, Steffi Jones
und Silvia Neid, die im Anschluss die offizielle Verabschiedung übernahm. Mit Nadine Angerer und Celia Šašić verlassen zwei Leistungsträgerinnen und Gesichter des Frauenfußballs das DFB-Team und hinterlassen eine große Lücke. Célia wird nun erst einmal ihr Studium
beenden und Natze wird, wie Anfang Dezember bekannt wurde,
Trainerin bei ihrem Ex-Verein in den USA, den Portland Thorns.
Zunächst aber soll alles angesagt sein, was Spaß macht, denn Natze
hat „im Moment überhaupt keinen Bock auf Sport“ und spielt lieber
eine Nebenrolle bei ihrer Lieblingsserie „Die Rosenheim Cops“.
// Uta Zorn
L-MAG
*08-11 Magazin L-Kampagne_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 20:08 Seite 9
Abschied von Gudrun Hauer
Österreichische Bewegungsakteurin ist gestorben
Mit Gudrun Hauer hat Österreich eine entschieden feministisch und herrschaftskritische Akteurin der Lesben- und Schwulenbewegung verloren.
Sie wirkte als Journalistin, Wissenschaftlerin und Aktivistin.
Bereits in den 1970er Jahren nahm sie an der ersten Demonstrationen
zum Frauentag teil. Seit Beginn der 1980er Jahre war sie zunächst bei
der Homosexuellen Initiative (HOSI) Salzburg und später in Wien aktiv.
1985 wurde die überzeugte Feministin als erste Frau in den Wiener
Vorstand der HOSI gewählt. Sie verfasste unzählige Beiträge und Leitartikel für die lesbisch-schwule Zeitschrift Lambda-Nachrichten der HOSI
und war die letzten zehn Jahre auch deren Chefredakteurin.
Gudrun Hauer beförderte die Auseinandersetzung mit dem Thema
Lesben und Homosexualität im Nationalsozialismus, dem sie sich mit
Leidenschaft widmete: schreibend, forschend, demonstrierend, im
Rahmen öffentlicher Veranstaltungen und in ihrer Funktion als HOSIMitarbeiterin. Außerdem arbeitete sie als promovierte Politikwissenschaftlerin und unterrichtete viele Jahre an der Universität Wien. Auch
dort trug sie maßgeblich dazu bei, feministische und lesbische Perspektiven und Themen zu etablieren.
Am 4. November 2015 starb Gudrun Hauer nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 63 Jahren.
// Julia Roßhart
Bereit für die EU?
Fotos: Uta Zorn, HOSI Wien, istock
Ukrainisches Parlament stimmt gegen Anti-Homo-Gesetz
Mit einer knappen Mehrheit von 234
Stimmen haben die 450 Abgeordenten
des ukrainischen Parlaments im Oktober ein Gesetz verabschiedet, das Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen
sexueller Orientierung verbietet. Das
„Ja“ zur umstrittenen Gesetzesänderung
kam für Beobachterinnen über raschend und war erst im fünften
Anlauf an einem Sitzungstag durchgekommen. Damit schafft die krisengeschüttelte Ukraine eine von der EU
geforderte Voraussetzung für visafreies
Reisen in den Schengen-Raum. Präsident Petro Poroschenko hatte den
Obersten Rat mehrfach aufgefordert,
den Antidiskriminierungspassus anzunehmen. Parlamentschef Wladimir
Groisman hatte noch vor der letzten
Abstimmung klar formuliert: „In der
Ukraine wird es keine gleichgeschlechtliche Ehe geben. Das wird
nicht geschehen, und Gott bewahre,
dass dies geschehe.“ Die Regierungspartei stehe für „familiäre Werte“,
betonte er weiter.
Nun beinhaltet das Arbeitsgesetz einen
Passus, der Arbeitgeberinnen und -gebern verbietet, Arbeitnehmerinnen und
-nehmer „wegen Rasse, Hautfarbe,
politischer oder religiöser Über zeugung sowie Geschlechts identität,
L-MAG
sexueller Ausrichtung und des Vorhandenseins beziehungsweise Verdachts
auf HIV oder Aids“ zu benachteiligen.
Ob die neue Regelung tatsächlich im
Berufsalltag berücksichtigt wird, will
die schwullesbische Community in der
Ukraine genau beobachten: „Unsere
Erfahrung aus den vergangenen Jahren
zeigt, dass neue Gesetze dieser Art
selten akkurat angewendet werden“,
erklärt Emma Cassidy, Pressesprecherin
von ILGA-Europe (International
Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association) gegenüber L-MAG.
„Sollte dies auch dieses Mal der Fall
sein, werden wir das bei den ukrainischen Behörden ebenso beklagen wie
bei EU-Institutionen.“ Die ILGA sei
überrascht gewesen, wie viel Widerstand es gegen die Gesetzesreform im
Parlament gegeben habe – dabei sei
bereits in der aktuellen Verfassung der
Schutz jedes Individiums festge schrieben. „Außerdem hätte die
Gesetzesreform schon viel früher umgesetzt werden können, schließlich hat
sich 2014 die Regierung gegenüber
Brüssel dazu verpflichtet, um den Weg
in die Europäische Union zu ebnen.“
// Jana Schulze
www.ilga-europe.org
9
*08-11 Magazin L-Kampagne_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 20:08 Seite 10
L.MAGAZIN
Frieda Belinfante
DIE HELDIN
Widerstandskämpferin, Dirigentin und Cellistin
1904 Amsterdam – 1995 Santa Fe (USA)
Frieda Belinfante wurde 1904 in Amsterdam
geboren. Ihre Mutter war Hausfrau, ihr Vater
Pianist und Besitzer einer Musikschule. Er
sorgte dafür, dass Belinfante und ihre drei
Geschwister eine äußerst musikalische Kindheit und Jugend genossen. Als Teenager
verliebte sie sich in die Komponistin Henriëtte Bosmans und führte sieben Jahre lang eine Beziehung mit ihr, von der allerdings nur
ihr Freundeskreis wissen durfte. In dieser Zeit
besuchte sie nicht nur das Konservatorium,
sie entdeckte auch das heimliche politische
Engagement für sich. Mit nur 16 oder 17
Jahren fälschte sie zum ersten Mal einen
Pass, um einer russischen Freundin die
Rückkehr zu ihrem Geliebten in Russland zu
ermöglichen.
Nachdem 1940 die Deutschen die Niederlande
besetzten, begann Belinfante, ihr Fälscherinnentalent für Jüdinnen und Juden einzu setzen, die versuchten, sich vor den Nazis zu
verstecken. Irgendwann begannen allerdings
die deutschen Besatzerinnen und Besatzer,
die gefälschten Papiere mit den im Bevölkerungsregister gelagerten Originalausweisen
zu vergleichen und Belinfante war schnell
klar: Das Register musste zerstört werden.
Mit einer Gruppe, der unter anderem der
schwule Maler Willem Arondel angehörte,
plante sie einen Sprengstoffanschlag auf die
Behörde. Der Anschlag glückte und wird
heute zu den wichtigsten Aktionen des
niederländischen Widerstandes gezählt. Fast
alle ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter
wurden verhaftet und ermordet. Belinfante
selbst konnte sich verstecken, indem sie sich
als Mann verkleidete und dabei so erfolgreich durchging, dass nicht einmal ihre eigene
Mutter sie auf der Straße erkannte. Sie versuchte weiterhin, Papiere zu fälschen und
flüchtete schließlich, um ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht zu gefährden, über
Paris in die Schweiz.
1947 wanderte sie nach Kalifornien aus,
arbeitete in Los Angeles an der University of
California und gründete als Dirigentin
mehrere Orchester. Bis kurz vor ihrem Tod
schwieg sie über ihre Zeit im Widerstand.
1995 starb sie in Santa Fe (New Mexiko) an
Krebs.
// Katrin Kämpf
„Ich habe nie ohne Grund etwas
Gefährliches gemacht.
Aber ich habe etwas getan,
das getan werden musste“
Keine „Homo-Propaganda“
Litauisches Parlament lehnt Antrag nach russischem Vorbild ab
10
Er hatte sich gegen die Abstimmung über den Gesetzesentwurf ausgesprochen: „Wir glauben, dass das Gesetz
in einem Rechtsstaat nicht möglich ist.“ Der Abgeordnete
Vytautas Matulevičius wiederum bemerkte, es sei Ironie,
dass ausgerechnet Gražulis als geschiedener Politiker den
Entwurf eingebracht habe und sich auf den „Schutz der
Familie“ berufe. Die litauische Lesben- und Schwulenorganisation LGL hatte den Entwurf als „höchst gefährlich
für die LGBT-Bewegung in Litauen“ bezeichnet und davor
gewarnt, dass sich Litauen damit von den europäischen
Werten verabschiede. Diese allerdings fehlen bereits an
einigen Stellen: Das Jugendschutzgesetz verbietet etwa
Schulen und Bibliotheken, Informationen bereitzustellen,
die „Minderjährige zu sexuellen Beziehungen ermutigen,
die Familienwerte verunglimpfen oder ein Konzept von
Ehe und Familie fördern, das nicht in der Verfassung
vorgesehen ist“.
// Jana Schulze
Fotos: sndfilms, Brigitte Dummer
Mit 64 „Ja“- und 10-„Nein“-Stimmen hat das Parlament in
Vilnius im Oktober den Antrag des rechtsliberalen Politikers
Petras Gražulis abgelehnt: Der hatte einen Gesetzesentwurf eingebracht, demzufolge die Verunglimpfung von
„verfassungsmäßigen Familienwerten“ mit Geldstrafen
geahndet werden sollte: Bei „Ersttätern“ zwischen 300
und 900 Euro, im Wiederholungsfall zwischen 900 und
1.800 Euro. Zudem sollte „jede positive Darstellung von
Homosexualität“ verboten werden, dazu zählen auch
Lesben- und Schwulenparaden. Als Begründung schrieb
Gražulis, dass „Menschen, die heterosexuelle Beziehungen
wertschätzen“, diskriminiert werden würden, wenn „für
nicht-traditionelle Beziehungen geworben“ werde. Bereits 2014 hatte Gražulis versucht, dieses Gesetz im
Parlament einzubringen – und scheiterte an der internationalen Kritik. Das Gesetz würde Grundrechte einschränken, erklärte der liberale Abgeordnete Eligijus Masiulis.
L-MAG
*08-11 Magazin L-Kampagne_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 20:08 Seite 11
Lesbisch –
Like the Way I Do
Sie schrieb DIE lesbische Hymne,
deren Zeilen Generationen von Lesben
bis heute im Gefühlstaumel herausbrüllen: „Baby, tell me does she love
you like the way I love you?“
Melissa Etheridge ist eine
lesbische Rockikone. Seit ihrer ersten
Platte 1988 veröffentlichte sie mittlerweile 18 Alben, ein Oscar und zwei
Grammys zieren ihre Trophäensammlung. 1993 zelebrierte sie mit
ihrem Song „Yes I Am“ ihr öffentliches
Coming-out. Seitdem setzt sie sich
stark für die LGBT-Community ein.
So spendete sie zum Beispiel die
kompletten Einnahmen ihres Songs
„The Uprising of Love“ an die russische
LGBT-Gemeinde. 2014 heiratete sie
ihre Lebensgefährtin Linda Wallem.
L-MAG traf die sympathische
Musikerin, die wie kaum eine andere
für lesbsiche Sichtbarkeit steht, bei
ihrem letzten Konzert in Berlin
im April.
// dm
*12-13 Magazin Regio_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:15 Seite 12
L.MAGAZIN REGIONAL
„Staatsabträglich“
Stolpersteinverlegung für Elli Smula (1914–1943) in Berlin
Vor rund 60 Menschen ist am
16. November in der Singer straße in Berlin-Mitte ein Stolperstein im feierlichen Gedenken
an Elli Smula verlegt worden.
Die Initiative dazu kam von Dr.
Claudia Schoppmann, Historikerin und Mitarbeiterin der
Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Die Berliner Straßenbahnschaffnerin Elli Smula war
im September 1940 von ihrem
Arbeitgeber, den Berliner
Verkehrsbetrieben (BVG), als
lesbisch bei der Gestapo denunziert und angezeigt worden.
Nach sechs Wochen Haft folgte
die Deportation ins KZ RavensErinnerung an Elli Smula gegenüber der Singerstraße 120 in Berlin-Mitte
brück, wo Smula wohl 1943
ermordet wurde. Die direkte
Verfolgung von Homosexuellen
nach Paragraf 175 bezog sich
ausschließlich auf männliche Personen, was die Spurensuche bei verfolgten Lesben erschwert.
Offiziell wurden letztere meist als „asozial“ oder – wie im Fall Smulas – „politisch“ verfolgt und inhaftiert,
bei Smula jedoch mit Aktenvermerk „lesbisch“. Persönliche Aufzeichnungen existieren nicht; ob Elli
Smula lesbisch war oder gelebt hat, ließe sich daher nicht mit letzter Sicherheit sagen, erklärt Claudia
Schoppmann. Ein wichtiger Anhaltspunkt allerdings, auf den sie bei ihren Nachforschungen stieß, war
der Name einer weiteren Frau, die mit Smula bei der BVG dienstverpflichtet war und mit ihr gemeinsam
in das KZ nach Ravensbrück kam. „In diesem Fall konnte ich aus dem Gestapo-Dienststellenkürzel
rekonstruieren, dass es sich um das Sachgebiet für Homosexuelle handelte, welches beide Frauen
vernommen hatte“, erzählt die Historikerin. Aus dem Verhörprotokoll Margarete Rosenbergs ergeben
sich weitere Hinweise zum Tatvorwurf, den die BVG beiden Frauen gegenüber der Gestapo zur Anzeige
brachte: mit den Kolleginnen nachts ausschweifenden Partys gefrönt und lesbisch verkehrt zu haben.
Durch verspäteten Dienstbeginn hätten die Frauen den reibungslosen Verkehrsbetrieb
gestört – „staatsabträgliches Verhalten“ im NS-Jargon.
// Melanie Götz
Vorbild-Stadt
München wird Rainbow City
Die bayrische Landeshauptstadt
München ist dem europäischen
Netzwerk „Rainbow Citys“ beigetreten. Ziel der Vernetzung ist es,
sich über Strategien, Praxisbeispiele und Hindernisse im
Umfeld kommunaler Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsarbeit für LGBT auszutauschen. München setzt sich seit
Jahren für die Gleichstellung von
Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgender ein und unterstützt
entsprechende Maßnahmen: Erst
vor wenigen Wochen wurde ein
Regenbogenfamilienzentrum eingerichtet. Der gemeinnnützigeMünchener Verein LesMamas wird
den Verein Lesbentelefon e. V. bei
der Ausgestaltung der neuen Anlaufstelle unterstützen. Erste Maßnahmen sind bereits für Anfang
2016 geplant.
// Sabine Mahler
2015: die Aktion „Wir sind für
dich da“, vorgestellt von Ulrike
Mößbauer (li.)und Andreas
Unterforsthuber (re.) von der
Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und
Oberbürgermeister Dieter Reiter
Fotos: Claudia Schoppmann, Michael Nagy/Presseamt, Uta Zorn
www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/7460
12
L-MAG
*12-13 Magazin Regio_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 17:53 Seite 13
Ein Klo für alle
Senatsverwaltung in Berlin führt erste Unisex-Toilette ein
Unisex-Toilette im 4. Stock der Senatsverwaltung
für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin
In Berlin hatte die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen zum Fototermin geladen. Staatssekretärin Barbara Loth schreitet zum Akt: Die Plexiglasscheibe
wird hochgeschoben, das Piktogramm der Männer-Toilette wird herausgenommen
und durch ein Papier mit dem Aufdruck „WC für alle Geschlechter“ ersetzt. Ein
geeignetes Symbol, was auf geschlechtsspezifische Darstellung verzichtet, konnte
noch nicht gefunden werden, deshalb soll es zunächst bei „WC“ bleiben. Die Landesbehörde möchte dazu beitragen, „dass trans- und intergeschlechtliche Menschen
bei einer so alltäglichen Sache wie der Nutzung einer öffentlichen Toilette keine
Diskriminierung mehr erleben“, erläuterte Roth. „Wir möchten vorangehen und
zugleich andere öffentliche und private Einrichtungen ermutigen, dem Beispiel zu
folgen.“ Unisextoiletten sind längst in der Bahn, im Flugzeug, in Kleinstgaststätten
oder auch als City-Toiletten vorhanden. In dem großen Berliner Verwaltungsgebäude
bedarf es allerdings guter Ortskenntnis, um die geschlechtsneutralen Einzeltoiletten
im vierten Stock zu finden.
// Uta Zorn
Gemeinsame Positionen
Landesweit qualifizierte Beratung in Baden-Würtemberg
Beratungsstellen für die LSBT-Community sind wichtig. Hier können Ratsuchende
ihre Ängste und Sorgen zum Ausdruck bringen, Gleichgesinnte finden oder rechtliche
Informationen erhalten. Um das Beratungsangebot in Baden-Württemberg zu
optimieren, hat das „Netzwerk LSBTTIQ – Baden-Württemberg“ nun das Projekt
„Etablierung landesweiter Beratung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle,
transgender, intersexuelle und queere Menschen“ gestartet. Durch enge Zusammenarbeit und intensiven Erfahrungsaustausch der verschiedenen LSBT-Mitgliedsgruppen sollen Synergieeffekte auf Landesebene entstehen. Das Beratungsangebot
kann so deutlich verbessert werden. Zudem möchten die Mitgliedsgruppen zu zentralen Themen eine gemeinsame Position erarbeiten und diese dann auch gemeinschaftlich vor landespolitischen Entscheidungstragenden vertreten.
// Sabine Mahler
www.netzwerk-lsbttiq.net
L-MAG
Logo des neuen „Netzwerk LSBTTIQ – Baden-Würtemberg“
13
*14-17 Jahreshoroskop_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:39 Seite 14
DAS JAHRESHOROSKOP
2016
Ein Mars-Jahr im Zeichen des Kampfes steht an:
Zwölf Monate, in denen zwölf Sternzeichen allerhand erleben werden,
weiß L-MAG-Astro-Experte Thomas Schneider
Widder
21. März – 20. April
Kristen Stewart
Mit Mars als Leitstern des Jahres wird 2016 ein Widderjahr! Kämpfen lohnt sich, könnte das
Motto des kommenden Jahres sein. Kämpfen ist natürlich ein komplexer Prozess, eine
Philosophie für sich. Wie kämpft man am besten? Im Laufe des Jahres wird dieses Kämpfen ganz
unterschiedliche Formen annehmen: mal ist es gut, direkt zu sein und sofort schnell zu handeln,
auch anzugreifen und bestimmte Verhältnisse offen, möglicherweise auch aggressiv anzusprechen.
Dann ist es wieder besser, mit Überraschungen zu arbeiten. Ab September kommt ein starker Jupiter
in Waage-Einfluss dazu, hier ist wieder mehr der zivile Ungehorsam gefragt, also Widerstand
leisten, sich nicht unterkriegen lassen. Diplomatie und Kompromisse sind dann die Mittel der
Wahl. Für die Widder-Frau ein starkes Entwicklungsjahr, in dem der eigene Kampfgeist sehr
stark geschult wird. Deine Kompetenz im Kämpfen, im Sich-Auseinandersetzen und SichDurchsetzen wird wachsen und du an Souveränität gewinnen. Wie kämpft man am
besten, am schlausten, am effektivsten? Wie kämpft man in der Liebe? Wie
kämpft man am besten im Bett? Wann kämpft man spielerisch? Am Ende
des Jahres kommst du der Meisterschaft des Kämpfens, dass ist ja
das Entwicklungsziel des Widderzeichens, ein großes
Stück näher. Auch in der Liebe und im Bett.
Zwillinge
Im Mars-Jahr müssen wir unsere eigene Art zu kämpfen entdecken und entwickeln.
Du als Zwillinge-Frau bist eigentlich eine Jongleurin. Du magst es mehr, mit den
Bällen zu spielen, als sie zu werfen. Kreativität und Einfallsreichtum sind für dich
unerlässlich beim Kämpfen, willst du nicht in eine dir fremde Dynamik hineingeraten.
Spielerisch kämpfen entspricht dir am meisten. Witz, Humor, Schnelligkeit, Schlagfertigkeit sind deine Stärken. Verstehe 2016 als eine Art gesellschaftliches Brettspiel,
bei dem eine oder einer am Ende gewinnt. Am besten: du! Das solltest du auch vor Augen
haben – das Gewinnen-Wollen. Auch wenn du es als Zwillinge-Frau nicht schlimm
findest, doch nicht zu gewinnen, denn es gibt ja noch so viele andere Spiele. Zum
Beispiel das Spiel der Liebe. Auch hier magst du das Jonglieren sehr gerne und hast
oft mehrere Flirtpartnerinnen gleichzeitig. Für dich ist diese Vielzahl von leicht
erotischem Geknister sehr wichtig. Du solltest eine Partnerin haben, die das
verstehen kann und dir auch deine Leichtigkeit darin nicht übelnimmst. Du
als Zwillinge-Frau brauchst viele Kontakte. Du bist keine Krebs- oder
Skorpion-Frau, die aus der Symbiose Kraft zieht. Für dich ist die
Bedingung für Zweisamkeit, dass du neben der Zweier beziehung viele soziale und manchmal auch (verbal-)
erotische Kontakte hast.
14
Stier
21. April – 20. Mai
Ulrike Folkerts
Ein Teil der Jahresaufgabe 2016 ist es, das Kämpfen zu entdecken und
zu lernen. Kämpfen heißt ja weit mehr als draufhauen und losstürmen.
Deine Kreativität ist gefragt. Wie erreichst du das, was du willst, am besten
und am schlausten? Du als venusgeprägtes Zeichen hast Angst vor
Aggressionen. Schuldgefühle abzuschütteln, was dein eigenes Wollen und
Verlangen angeht, ist immer ein erster Schritt. Durch Jupiter in Jungfrau ist
eine Hauptstrategie des Kämpfens und des Erreichen-Wollens die SalamiTaktik, auch eine Kriegstaktik: Schritt für Schritt vorankommen. Eine kleine
Hürde nach der anderen nehmen, ist bis September beruflich der beste
„Kriegspfad“. Es kommen ab Mai in Sachen Sex ungeahnte Intensitäten
dazu. Die Liebe, der Sex wird „skorpionisch“. Vieles wird einen
giftigen Stachel haben, einen leicht bitteren Nachgeschmack.
Du selber wirst aber auch diese Intensität suchen oder
zumindest provozieren. Also ein bisschen S/M
wird wohl in der Liebe ab Mai mit von
der Partie sein ...
L-MAG
Fotos: imago/APress, netflix, imago/Future Image
21. Mai – 21. Juni
Lea DeLaria
*14-17 Jahreshoroskop_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:39 Seite 15
Krebs
22. Juni – 22. Juli
Bettina Böttinger
Nach den Krisen im letzten Jahr ist 2016 eine Art Erntezeit. Du profitierst
von dem, was du, auch über dich selbst, erfahren hast. Ein bisschen Rückzug und Verzicht im Privaten wird dir guttun, vor allem im Frühjahr. Du weißt
sehr genau, worauf es für dich ankommt, und bist dir über den Unterschied
zwischen „Haben“ und „Sein“ sehr bewusst geworden. Lass dich nicht von
äußeren Dynamiken verwirren, sondern genieße und lebe das, worauf es dir
ankommt. Das ist deine (Wahl-)Familie und die Intimität und
Exklusivität von Beziehungen. Lilith im Skorpion kann diese Intimität, diese Enge in der Paar-Beziehung noch weiter – bis zum Klammern – aufheizen. In diesem Falle solltest du nicht gehen! Es geht auch
darum, die eigene Freiheit in der Intimität nicht zu verlieren und sie
nicht an die Partnerschaft zu „verkaufen“. Trotz dieser
Intimität und Zweisamkeit fordert Lilith nämlich, dass man
die eigene Freiheit nicht aufgibt, wie auch immer
diese für dich persönlich aussehen mag.
Jungfrau
24. August – 23. September
Pink
Löwe
[Illustrationen:
istock]Image, imago stock&people, imago/UPI Photo
Fotos:
imago/Future
23. Juli – 23. August
Cara Delevingne
L-MAG
Du als Löwe-Frau weißt, wie man um Dinge und um Menschen
kämpft. Das findest du zwar anstrengend und eigentlich magst du
lieber das Leben genießen, aber es wird ein paar Unterbrechungen
im Genießen geben: Kampf ist ein großes Jahresthema, ohnehin ist
Auseinandersetzung Teil unseres täglichen Lebens und man sollte
es dieses Jahr sportlich nehmen und bereit sein, sich darauf einzulassen, wenn nötig. Die Liebe ist aber auch in deine Richtung
unterwegs. Schon am Jahresanfang könnte es nur so knallen.
Löwe-Frauen verlieben sich ja gerne und Gelegenheiten wird es
zuhauf geben. Auch in bestehenden Partnerschaften kann
man sehr viel Tiefe erreichen, hier ist mit kleinen und
größeren Kämpfen zu rechnen, die aber sehr intensivierend auf die Friedenszeit danach einwirken
können. Bestenfalls hat man einen größeren,
tieferen und echteren Frieden zu zweit
erkämpft. Dafür lohnt es sich
doch zu streiten!
Jupiter in Jungfrau, das bedeutet in der Gegenwart die
Aufnahme der Flüchtlinge (Jupiter) in Deutschland (Jungfrau),
gebunden an einen höheren Zweck (Jupiter). Ein höherer Zweck,
das muss für die Jungfrau immer etwas Nützliches sein. Diese
Großzügigkeit, das Übergehen der eigenen Ängste, bleiben dir
noch bis zum Herbst erhalten. Du musst für dich etwas suchen und
finden, an das du deine Großherzigkeit (Jupiter) binden kannst,
etwas, das auch für die Gemeinschaft nützlich ist (Jungfrau). Das
kann sehr vieles sein – und muss natürlich überhaupt nichts mit
Flüchtlingen zu tun haben. Es geht allerdings ums Helfen, darum,
etwas Sinnvolles für eine Gemeinschaft zu tun. Das kann aber
auch ein Betrieb oder ein Unternehmen sein, mit dessen übergeordneten Zielen du dich identifizierst. Es geht dir darum, im
Dienste einer Sache oder Gemeinschaft zu stehen und dich
darin mit deinen ganzen Fähigkeiten einzubringen.
Jupiter lässt dich weiterhin große Schritte wagen und
macht es möglich, aus Mut und nicht aus Angst zu
handeln, das ist viel wert im Energiefeld der
„German Angst“, in dem wir leben. Trau
dich was, ist das Motto für die Jungfrau im kommenden Jahr!
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*14-17 Jahreshoroskop_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:39 Seite 16
JAHRESHOROSKOP 2016
Waage
24. September – 23. Oktober
Brittney Griner
Schritt für Schritt geht es bis zum Herbst weiter. Hier eine kleine An erkennung, dort ein Schulterklopfen, hier einen, aber eben nur einen, Schritt
weiter. Das ist der Rhythmus bis zum Herbst. Aber dann, ab August, und sehr
viel stärker ab September, geht es los. Endlich machst du den großen Schritt,
auf den du schon so lange hoffst. Vergiss aber nicht, wenn die große gute Laune
(Jupiter) im September kommt, was du in den letzten zwei Jahren gelernt hast!
Nämlich zu kämpfen! Dieses Jahr steht ganz im Zeichen des Mars, dem großen
Lehrmeister der Waagen. Lieben, Frieden bringen, Kompromisse schließen,
Verstehen und Nachgeben, das kannst du. Das muss dir niemand beibringen,
ganz im Gegenteil. Dennoch gehört es für uns dazu, dass wir an unserem
Gegenteil wachsen und das ist für dich der „Krieg“, der Kampf. In der
Mythologie ist Harmonia ja die Tochter von Venus und Mars. Du hast
in den letzten zwei Jahren gelernt, wie Kämpfen geht. Setze nun
dieses Wissen ein, gepaart mit deiner Fähigkeit zur
Friedensstiftung, und die Harmonie, die du dann
erreichen wirst, ist echt und kann bleiben.
Skorpion
24. Oktober – 22. November
Nadine Angerer
Lilith – ein rebellischer Geist – macht sich sehr unterirdisch in dir breit. Deine Empfindsamkeit, was Ungerechtigkeiten angeht, ist sehr hoch in diesem Jahr, und du wirst sehr
private, sehr intime Kämpfe um deine persönliche Freiheit kämpfen. Vor allem im Sexuellen
kannst du – mit Lilith an deiner Seite – viel erleben. Die dunklen Seiten wollen zu ihrem Recht
kommen. Man findet Gefallen daran, zu lästern, sich zu rächen, „perverse Sachen“ auszuprobieren und Dinge zu tun, die einem andere oder man sich selbst nicht erlaubt. Der Spaß an
Tabubrüchen, am Dionysischen (um einen ähnlichen, bekannteren Mythos zu zitieren) ist
groß. Schummrige Partys mit „gefallenen Mädchen“ und illegalen Drogen sind ein weiteres
Bild, dass die Lilith-Stimmung einfängt und wiedergibt. Davon fühlst du dich angezogen.
Wie viel du davon auslebst, bleibt dir und deiner Vernunft überlassen. Hier ist eine
strenge Steinbock- oder eine vernünftige Jungfrau- oder eine stabile Stier-Freundin
als Ratgeberin sicherlich sehr hilfreich, um dich davon abzuhalten, in jeden
Abgrund hineinzuschauen. Denn in Abgründe schauen ist das, was dich
umtreibt in 2016. Belasse es oftmals beim Schauen und überlege dir
gut, auf welche und vor allem auf wessen Abgründe du dich
einlassen willst.
Schütze
Fotos: imago sportfotodienst, imago/Horst Galuschka, imago/ZUMA Press
23. November – 21. Dezember
Sia
Saturn lehrt dich, dass nicht nur Fülle und „Mehr“ glücklich machen können, sondern auch
Verzicht und vor allem die Reduktion aufs Wesentliche. Auf das, was zu dir gehört und zu dir
passt. Das ist nämlich auch das, was dich glücklich macht. Wenn du es ernst meinst, kannst du
auch hoch hinaus wollen, überprüfe aber deine eigene Integrität. Bist du wirklich bereit, das, was
du willst, voll und ganz zu verkörpern oder voll und ganz dahinter zu stehen? Die „Ein- oder
Zwei-Augen-zumachen-Taktik“ funktioniert bei Saturn-Transiten schlecht. Es geht darum, in diesem zwei- bis dreijährigen Transit zu seinem eigenen „nackten“ Kern zurückzukehren und sich
selbst von da aus neu zu starten. Alles Überflüssige, alles „Falsche“, alles, was nicht (mehr) zu
einem passt, sollte abgeworfen werden. Um dann ein neues, wesensgerechteres Leben
aufzubauen. Das ist Ziel dieses Saturn-Transits, der noch bis 2017 anhält.
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L-MAG
*14-17 Jahreshoroskop_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:39 Seite 17
Wassermann
21. Januar – 19. Februar
Ellen DeGeneres
Das könnte doch ein Jahr der Liebe werden – dieses Mars-Jahr 2016! Die Venus ist oft und lange gut gestellt zu
deinem Sternzeichen und du bist im Herzen schüchtern, so dass die Liebe oftmals ein Schattendasein führt im
Leben der Wassermann-Frauen. Dieses Jahr kann das anders werden. Du solltest dich aktiv auf die Suche machen.
2016 ist auch ein Jahr des Kampfes, also in der Sprache der Liebe gesprochen: ein Jahr der Eroberung. Mach
dich also auf die Suche, und wenn dir jemand gefällt, dann ran an die Bouletten! Lass dich doch mal wieder
auf Flirts und neue Bekanntschaften ein. Es ist viel los in Liebesdingen, und spätestens ab Herbst 2016
kann es auch richtig knallen oder auch richtig ernst werden. Beruflich geht es gut los, dann gibt es
kleine Funkstörungen, die bis Ende Januar anhalten, schwächer werden und ab März ausgestanden sind. Dann kann es richtig losgehen. Ein gutes Jahr wartet auf dich!
n
t
n
t
Steinbock
Fotos: imago/PicturePerfect, imago/foto2press, imago/UPI Photo
22. Dezember – 20. Januar
Steffi Jones
Für viele Steinbock-Frauen zahlen sich die schweren Krisen der letzten Jahre
aus. Du kannst deine Schätze öffnen. Nicht nur Geld kommt dabei zum
Vorschein, sondern auch eine gewachsene, eine echte Souveränität, eine
wirkliche Fähigkeit, zu helfen und andere zu coachen. Du bist zu wahrer
Leitung fähig, die keine Verleugnungen oder Schönfärbereien enthält und vor
allem auch die (eigenen) Grenzen kennt – und das ist das Entscheidende.
Falsche Führung oder Leitung entsteht ja immer aus falschen Ansprüchen
heraus. Viele Steinböcke erreichen 2016 Positionen großer beruflicher
Souveränität, von wo aus sie viel Wirkung auf andere und auf die Leistungen des jeweiligen Unternehmens haben. Das ist, was du als SteinbockFrau willst. In Liebesdingen müsste es obendrauf auch noch gut
laufen, denn die Jupiter-in-Jungfrau-Energien entsprechen
deinen unpathetischen Liebesvorstellungen sehr und machen
aus der Liebe eine Schritt-für-Schritt-Erfahrung, an der
du langsam, aber sicher stärkere Gefühle und vor
allem echte Bindungen aufbauen kannst.
Fische
20. Februar – 20. März
Ellen Page
Durch das Saturn-Quadrat heißt es für viele Fische-Frauen, sich auf das Wesentliche
zu konzentrieren und das zu pflegen und wertzuschätzen, was da ist. Das Erreichte zu
vertiefen und zu pflegen. Viele Fische mögen das Kämpfen überhaupt nicht, und da
das Jahr unter Mars-Einfluss steht, wird es immer Herausforderungen in diese Richtung
geben. Als Fische-Frau musst du dich nicht auf jeden Streit einlassen, und das „Aussitzen“ von Problemen und Streitereien ist ja eine durchaus erfolgreiche Methode.
Das Glück ist dieses Jahr da, wo du es nicht vermutest. Das heißt, du wirst dich eher
unverhofft auf dem Finanzamt verlieben als auf einer schicken Party. Auch in
bestehenden Partnerschaften kann sich Alltag und Routine breit machen, hier
kommt es auf die Fähigkeit der Wertschätzung und der Wachsamkeit im
Kleinen an. Expansion ist nicht dein Thema 2016, sondern der Blick
nach innen und das Entdecken des Wunderbaren im Alltag und im
Unscheinbaren.
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*18-19 Politik Flucht_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:24 Seite 18
POLITIK
Der Traum von
einer Zukunft
Ein Abend in Berlin-Kreuzberg, eine Flasche
Weißwein, Zigaretten und ein Laptop. Enana
sitzt auf einer Matratze in ihrem WGZimmer. Sie sucht nach einem Musikvideo
auf YouTube. Die Freundinnen und Freunde
wissen, was jetzt kommt. Enana nimmt den
Rhythmus langsam auf, wippt mit dem Fuß
und beginnt leise zu singen, erst dann singen
alle mit. Die Sängerin hat eine kräftige,
gefühlvolle Stimme – etwas Besonderes.
Vor wenigen Monaten hat die 21-jährige
Enana ihre Heimat Syrien und alles, was sie
liebte, verlassen. Vor ein paar Wochen
fanden dann auch ihre Freunde Dani, Motaz
und Noor aus Damaskus den Weg nach
Berlin und zu ihr. „Ich kann mit den
Menschen zusammen sein, die ich liebe, und
ich bin in Sicherheit – das ist ein Privileg“,
erzählt sie glücklich und teilt das wenige, das
sie hat, mit ihren Freunden. Wein und Tabak
werden herumgereicht, die Musik wird aufgedreht. Erst als durch das geöffnete Fenster
ein Böller zu hören ist, wird die scheinbare
Normalität, der chillige, gesellige Abend, für
einen kurzen Moment unterbrochen.
Das ist ja wie in Syrien, wird gescherzt,
Sarkasmus macht sich breit. Doch Enana
18
schweigt und wird ernst. Sie regt sich über
die Schadenfreude auf, die einige Syrerinnen
und Syrer nach den Anschlägen von Paris auf
Facebook verbreitet haben. Sie hingegen hat
wie viele andere in Europa die französische
Flagge für ihr Profil gewählt. Nicht als politisches Statement, sondern für die getöteten
Menschen. Leute die nichts mit der Krise in
Syrien zu tun haben. „Es ist unheimlich. Du
bist hierher gerannt, um diesem Scheiß zu
entfliehen. Und jetzt sind sie hier. Was ist nur
los mit dieser Welt? Es ist, als würde sie
auseinanderfliegen.“
Die letzten Tage steckte Enana in einer Krise,
war deprimiert. Sie ist müde von den immer
wiederkehrenden Fragen: Wo kommst du
her? Wie war dein Leben in Syrien? Wie ist
es dir auf der Flucht ergangen? Sie hilft
regelmäßig am LAGeSo (Landesamt für
Gesundheit und Soziales, die Berliner
Anlaufstelle für die Erstregistrierung von
Geflüchteten).
Und weil sie hervorragend Englisch spricht,
wird sie nicht sofort als Geflohene erkannt
und hört Sätze wie: „Oh wow, du bist Flüchtling und hilfst hier?“ Ihre Antwort ist kurz
und scharf: „Habe ich etwa nur eine Hand?“
Enana hat diese Fragen satt, weil in jeder
Antwort schon die nächste Frage liegt. Doch
damit ist jetzt Schluss. Sie plant eine Show,
mit der sie auf ihre Weise Antworten geben
will. Es soll eine Art Stand-up-Comedy werden, ein Dialog mit ihrem Freund und Schauspieler Noor. Sie arbeiten gerade an einem
Video als Auftakt. Der derzeitige Arbeitstitel
lautet prägnant: „Do you think living in Syria
was a perfect example of ,La vie en rose?‘“
(Glaubst du das Leben in Syrien ist ein Paradebeispiel für ,La vie en rose’“?) Die Arbeit
an diesem Projekt hat ihr wieder Kraft
gegeben. Wenn sie darüber spricht, leuchten
ihre Augen. Die Vorfreude darauf, den
Menschen, die sie immer das Gleiche fragen,
einfach das Video zu zeigen, bringt sie zum
Lachen.
Enana hat immer von Deutschland geträumt.
Die Fußball-WM 2006 hat sie im Libanon
verfolgt. 2014, am Tag ihres zwanzigsten
Geburtstags, hat sie die sieben Tore gegen
Brasilien bei der WM als Geschenk angesehen.
Basketball und Fußball (mit den Jungs auf
der Straße) spielte sie auch in Damaskus.
Jetzt kickt sie bei einem Kreuzberger Verein.
Toreschießen ist nicht ihrs, sie verteidigt lieber
Fotos: Uta Zorn
Enana floh aus Syrien nach Berlin.
Hier fühlt sie sich frei und tanzt auch mal auf der Straße.
L-MAG traf die mutige Frau
L-MAG
*18-19 Politik Flucht_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:24 Seite 19
auf der Außenbahn und verteilt die Bälle.
An der Uni konnte sie aus fünf europäischen
Sprachen wählen. Sie entschied sich für
Deutsch – zwei Semester lang. Es war aber
nicht nur dieser Traum, der sie nach Berlin
brachte, sondern die bittere Erkenntnis: „Es
gibt keine Zukunft für Lesben oder Schwule
in Syrien. In dieser Zeit ist es noch nicht
einmal sicher, ob es für irgendjemanden eine
Zukunft in Syrien gibt“.
Aufgeflogen mit „L-Word“-DVDs
Homosexualität ist illegal in Syrien. Wenn
man mit Homophobie auf der Straße nicht
schon in brutaler Form in Berührung kommt,
wird sie laut Gesetz mit bis zu drei Jahren
Gefängnis bestraft. Doch Enana war schon
früh in ihrem Freundeskreis offen lesbisch.
Vor ihren Eltern versuchte sie es zu verheimlichen und gab ihren Freundinnen Männernamen. Erst die „L-Word“-DVDs aus einem
Sexshop ließen sie auffliegen.
Als sie von ihrer ersten großen Liebe verlassen
wurde, machte sie einen schwerwiegenden
Fehler. Getrieben von Selbstmordgedanken
betrank sie sich in einer Bar. Dem Mann, der
sie anmachte, antwortete sie, um ihn los zu
werden „Sorry, I’m lesbian“. Das war unüberlegt und kindisch, urteilt sie heute. Mit ihrem
L-MAG
öffentlichen Coming-out hat sie sich selbst in
Gefahr gebracht. Auf der Straße wurde sie
als „halb Frau-halb Mann“ bezeichnet. Jetzt
war sie öffentlich „die Lesbe mit dem rasierten
Kopf“.
einem Lautsprecher in der einen und einer
Flasche Bier in der anderen Hand. Sie hört
laut Musik und tanzt dazu. Die Passanten
drehen sich noch nicht einmal nach ihr um
und das findet sie „wirklich cool“.
„Wie lebendig begraben“
Wenn vieles möglich wird
Eine Freundin starb bei einem Bombenangriff. Sie selbst entging bei einer der willkürlichen Passkontrollen auf offener Straße nur
knapp den Kugeln der Miliz. In dem Auto, in
dem sie mit einem Freund unterwegs war,
stecken noch immer die Patronenhülsen. „Es
geht nicht darum, getötet werden zu können“,
erklärt sie, „und es geht auch nicht darum,
durch eine Bombe zu sterben. Es geht darum,
dass deine Seele getötet wird. Es ist, als
wenn du lebendig begraben wirst.“
Als sie von zwei Geheimpolizisten vom Fahrrad geholt, als Lesbe beschimpft und übel
verprügelt wird, ist der Wendepunkt
gekommen. Sie droht ihren Eltern, sich selbst
anzuzünden, wenn sie ihr nicht das Geld für
die Flucht nach Europa geben.
Hier in Berlin interessiert es jetzt niemanden
mehr, wie sie aussieht, was sie in der Öffentlichkeit tut und wen sie liebt. Freitags hat sie
ein kleines Ritual: Bevor sie irgendwo „Party
macht“, geht sie raus auf die Straße mit
Die letzten Takte des Musikvideos sind zu
hören. Enana schaut auf den Bildschirm,
schaut sich selbst an und genießt noch
einmal den Applaus. Es ist der Applaus aus
einer anderen Zeit. Es ist der Befall aus dem
vergangenen Jahr, den sie für ihre jazzige
Interpretation von Adeles Song „Set Fire to
the Rain“ in einem kleinen Club in Damaskus
erhielt. Enana hatte bereits einige Auftritte
und war durchaus in ihrer Generation
bekannt. Jetzt fängt sie wieder bei null an.
Sobald sie bleiben darf, möchte sie wieder
studieren. In Damaskus hat sie zwei Jahre
Englische Literatur studiert. Das könnte sie
fortsetzen, doch sie möchte ein anderes Lied
anstimmen und Gesang studieren. Dass es
schwer wird, ist ihr bewusst. Sie will hart
dafür arbeiten und sagt optimistisch: „Wenn
du aus Syrien kommst und jetzt bist du plötzlich in Deutschland – wenn es möglich ist,
hier zu sein, dann ist irgendwie alles möglich.“
// Uta Zorn
19
*20-21 Politik Frauenarmut_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:18 Seite 20
POLITIK
Für immer ohne Kohle
Beim Taschengeld fängt es an – bei der Rente hört es auf!
Zum Start der Kampagne gegen Frauenarmut lohnt ein Blick auf die Verarmung von Lesben
Wenn Christina M.
durch die Dresdner
Neustadt läuft, fällt
niemand auf den
ersten Blick auf,
dass sie womöglich
arm ist. Die 50-Jährige achtet auf ihr
Äußeres,
trägt
schlichte schwarze
Kleidung und passt
in das Erscheinungsbild des trendigalternativen UmPostkartenmotive zur bundesweiten Kampagne gegen
felds. „Es macht mir
Frauenarmut (oben u. unten)
nichts aus, dass ich
kein Geld habe, um
mir Reichtümer und Dinge anzuhäufen, die niemand braucht“, erzählt sie im Gespräch mit L-MAG. „Aber ich schäme mich, wenn mir
der Strom abgestellt wird, weil ich die Rechnung nicht bezahlen kann
und dass ich eigentlich immer in den Miesen bin.“ Aus ihrer letzten
Wohnung wurde sie „geräumt“. Eine Sanierung, Nebenkosten und
verspätete Zahlungen der Agentur für Arbeit führten zu einer Klage.
Dem Kampf mit Behörden und Vermieter hielten ihre Nerven nicht
stand. Christina leidet an einer schweren Depression. Wie die Armut
sieht ihr die Krankheit niemand an.
Seit drei Monaten lebt die gelernte Buchhändlerin nun in einer Wohngemeinschaft. Ein Zimmer, knapp zwanzig Quadratmeter, beherbergt
alles, was sie hat; die Dinge, an denen sie wirklich hängt, wie sie sagt.
Sie ist „Aufstockerin“ – Bürokratendeutsch für Hartz IV-Empfängerin
mit wechselndem zusätzlichen Einkommen. In Zeiten von OnlineVersandhäusern werden auch Buchhändlerinnen nicht mehr
gebraucht und so hält sie sich mit Aushilfsjobs über Wasser. „Im
Sommer mache ich Urlaubsvertretungen, zur Weihnachtszeit helfe ich
bei einem Buchdiscounter aus.“ Zwischen 800 und 1.000 Euro hat sie
damit im Monat zur Verfügung.
980 Euro sind die offizielle Armutsgrenze
Ist das arm? Darüber streiten sich Politiker und Wissenschaftler
trefflich. Manche halten ein zu geringes Einkommen, vielleicht eine
kleine Rente, für einen Indikator, andere das Leben in sozialen Brennpunkten, Obdachlosigkeit oder Überschuldung. Statistisch wird
20
Armut in der sogenannten
Armutsquote ausgedrückt. Sie
beziffert den Bevölkerungsanteil,
der ein Einkommen unterhalb
der Armutsgrenze bezieht. Die
Armutsgrenze liegt in Deutschland derzeit bei rund 980 Euro
im Monat. Auch für Christina
eine magische Zahl. In guten Monaten liegt sie kaum darüber, in
schlechten darunter. Was bedeutet
dieses Leben am Existenz minimum für sie, will ich wissen.
„Vor allem, dass mein Denken
immer ums Geld kreist und darum, was alles nicht geht“, meint sie
ohne zu zögern. In der DDR habe sie als Lesbe zwar kein angepasstes
Leben geführt, aber Geldsorgen hätten sie nicht geplagt. Kurz vor der
Wende reiste Christina aus und lebte danach lange Jahre im Rheinland. Nach einer schmerzlichen Trennung zog sie 2003 wieder nach
Sachsen. Trotz einem guten Start in der Buchbranche erhielt sie
schießlich 2006 die Kündigung. „Seither bekam ich ein paar
Maßnahmen, war krank und hielt mich halt irgendwie über Wasser“,
erzählt sie lakonisch. Ob nun die Arbeitslosigkeit zur Depression oder
die Depression in die Armut geführt habe, wisse sie auch nicht. Es fehle
grundsätzlich an Absicherung und Solidarität, findet Christina.
Nie über die Rente nachgedacht
Ortswechsel. Wenige Tage später besuche ich Inge K., eine pensionierte
Fotografin aus Stuttgart. Mit einem kurzen Silberhaarschnitt und
einem markanten
Gesicht erinnert
sie ein wenig an
Jamie Lee Curtis.
Inge lebt mit ihrer
Lebensgefährtin
in einem winzigen
Reihenhaus aus
der Nachkriegszeit im Stuttgarter
Stadtteil Degerloch. Über ihr
Alter schweigt sie
L-MAG
*20-21 Politik Frauenarmut_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:18 Seite 21
sich lieber aus. Sie sei ein „Late Bloomer“, eine spät erweckte Lesbe.
Die Liebe zu einer Frau hatte zur Scheidung geführt. „Ich war gerne
freiberuflich“, erzählt sie. Drei Kinder habe sie erzogen, sei über viele
Jahre zuhause geblieben und habe ihren Job „nur nebenher“
gemacht. Ihr Mann, Finanzbeamter, sei wegen einem Herzleiden früh
verrentet worden. Erst als sie die Scheidung eingereicht habe, hätte
sie ihre Anwältin als Erste darauf angesprochen, wie es eigentlich um
ihre Rente bestellt sei. „Darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht.
Ich war immer sparsam und war davon ausgegangen, dass es schon
reichen würde.“ Ihre Rente beträgt heute knapp 800 Euro. „Meine
Freundin und ich teilen uns die Miete. Wenn sie nicht wäre, hätte ich
hier schon lange ausziehen müssen.“ Auch Inge spricht von Scham
und von ihren Kindern, die ihr manchmal aushelfen wie zuletzt mit
einer Zuzahlung zu einer Kur. Inge ist kulturell interessiert, achtet
aber darauf, dass sie Veranstaltungen besucht, die keinen Eintritt
kosten. „Es gibt ja auch Vergnügen, die kostenlos sind“, meint sie.
Einmal die Woche passt sie auf einen kleinen Jungen in der Nachbarschaft auf. „Das ist mein Taschengeld. Damit spare ich dann auf die
Geschenke für die Enkel.“
Auf das Sterben von Lesbenbars und anderen alternativen Angeboten
für Frauen angesprochen meint Inge, dass dies doch eher etwas für
„junge Leute“ sei. Sie hätte ihren festen Kreis von Freundinnen,
darunter natürlich auch lesbische Paare. „Da stehen private Unternehmungen im Vordergrund. Vielleicht mal eine Lesung oder ein
Tanznachmittag im Frauencafé, aber eher selten.“
Illustrationen: Maike Przybill und Johanna Wolf
Lesben sind noch häufiger von Armut betroffen
Für die 1.900 Frauenbeauftragten der Kommunen, die im November
die bundesweite Kampagne gegen Frauenarmut starteten, sind die
beiden Fälle keine Überraschung. In Ost und West, in Städten und auf
dem Land – überall „ist Frauenarmut ein Armutszeugnis“, so die
Gleichstellungsbeauftragte des Berliner Bezirksamtes Pankow Heike
Gerstenberger bei der Auftaktveranstaltung. Die Probleme sind nicht
neu, aber gemeinsam mit der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend Manuela Schwesig sind die Frauen beim Start der
Kampagne wild entschlossen, diese nun offensiv zu bekämpfen. Elke
Ferner (Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) bringt es auf den Punkt:
„Wir haben hier kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.“
Auf die Situation von Lesben angesprochen, wird aber in vielen
Gesprächen schnell deutlich, dass es hier doch auch ein Erkenntnisdefizit gibt. So weist die Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz seit Jahren
darauf hin, dass Lesben in der Armutsforschung keine ausgewiesene
Gruppe sind. Dabei ist zu vermuten, dass Lesben besonders häufig
von Armut betroffen sind, da sie oftmals schon im Erwerbsleben auf
Vorurteile stoßen und selten von „Versorgungsehen“ profitieren. So
lange die heterosexuelle „Normalfamilie“ etwa durch Ehegatten splitting oder Witwenrente subventioniert wird, wird die Armut auch
gerade für Lesben ein Thema bleiben. Daran wird auch die für 2017
vorgesehene Mindestrente kaum etwas ändern, denn mit 850 Euro
liegt diese bereits heute unterhalb der Armutsgrenze.
Als ich Christina die Postkartenmotive der Kampagne zeige, nickt sie
zustimmend. „Arbeit für die Katz“ steht auf einer Karte. „Ja, das
Gefühl kenne ich“.
// Sonya Winterberg
Kampagne gegen Frauenarmut: www.frauenbeauftragte.org
Dachverband Lesben und Alter: www.lesbenundalter.de
L-MAG
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*22-25 Personality Schmale_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:02 Seite 22
PERSONALITY
Geliebte Knochenarbeit
Von der Fußballnationalspielerin über Profiboxerin hin zur Bildenden Künstlerin.
L-MAG traf Toni Schmale aus Wien, die ihre schweren,
massiven Kunstwerke in Berlin ausstellt
„bend over your boyfriend“,
2010. Aus der Porträtserie
„zwischen-durch“
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*22-25 Personality Schmale_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:02 Seite 23
„Es war schon irgendwie schizophren.
Tagsüber in Formation zu spielen und dann
am Abend wieder zurück in die Wagenburg“
Foto: Courtesy Galerie Christine König, Wien, Christin Lahr
Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg: Eine schmale Gestalt sitzt vor
dem neu renovierten Laden, der früher mal die legendäre Kneipe
Bierhimmel war. Sie nippt an einer frisch geöffneten Flasche Gerstensaft und irgendwie weiß man, dass sie sich in der nächsten Sekunde
eine Zigarette drehen wird. Gegenüber, in der O-Straße 25, erstrahlt
im winterlichen Dunkel hinter der Buchhandlung Kisch & Co der
Ausstellungsraum der nGbK (neue Gesellschaft für bildende Kunst),
ein basisdemokratischer Kunstverein, der sich seit 1969 für Kunstschaffende jenseits des Mainstreams stark macht. Am nächsten Abend
wird hier eine große Einzelausstellung mit Arbeiten von Toni
Schmale eröffnen, und zuvor treffe ich sie. Toni Schmale ist Jahrgang
1980 und lebt in Wien. 2013 hat sie dort an der Akademie der
bildenden Künste in der Klasse für Performative Bildhauerei ihr
Studium beendet.
Wir gehen ins Möbel Olfe, denn da darf man rauchen und Bier trinken, ohne dass jemand schräg guckt. Toni Schmale wurde in Hamburg geboren und war Profifußballerin, bevor sie Künstlerin wurde.
Im Alter von sechs Jahren fing sie an zu trainieren, bis ihr die Disziplin in allen Poren steckte. „Es war schon irgendwie schizophren. Ich
fühlte täglich die Ambivalenz, tagsüber in Formation zu spielen und
dann am Abend wieder zurück in die Wagenburg, wo ich wohnte,
und die für mich auch für Individualität und politische Engagement
L-MAG
stand.“ Toni spielte erst in der Regional-, dann in der Bundesliga und
schließlich in der Frauen-Nationalmannschaft. Zeitgleich ging sie auf
Demos und stromerte herum. Dabei entdeckte sie im Hamburger
Freihafen diese leerstehenden Fabrikgebäude, Industriebrachen, die
eine magische Anziehungskraft hatten, weil man dort machen konnte, was man wollte, keiner sah zu, die Leere dort lud förmlich zur
Selbstentfaltung ein. Toni fing an, Fotos zu machen, sich selbst zu
inszenieren.
Irgendwann aber hält sie den Spagat zwischen Freiheit und Disziplin
nicht mehr aus, kurz nach der Jahrtausendwende bricht sie ihren
Jahresvertrag und wird gesperrt. „Ganz ehrlich, glaubst du, man kann
ewig mit solch engmaschigen Regeln, wie sie im Fußballsystem üblich
sind, leben? Die messen die zulässige Rasenhöhe in Millimetern!“,
erinnert sie sich.
Selbstverwirklichung beim Schweißen
Toni geht für 18 Monate nach Berlin, bewirbt sich in Leipzig an der
Hochschule für Grafik und Buchkunst und zieht, als sie angenommen
wird, mit ihrer damaligen Freundin dorthin. Obwohl sie im Studiengang Medienkunst eingeschrieben ist, verbringt sie die meiste Zeit in
der Metallwerkstatt. Der Werkstattleiter entdeckt Tonis Talent, sie
„hl. antonia“, 2015
Installationsansicht, nGbK 2015
23
*22-25 Personality Schmale_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:02 Seite 24
PERSONALITY
„Ich habe nach und nach die Disziplin und
die Verausgabung, die ich als Leistungssportlerin kannte, in die Kunst gelegt“
Foto: Christin Lahr
„queening machine“, 2012
Installationsansicht, nGbK 2015
24
L-MAG
*22-25 Personality Schmale_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:02 Seite 25
schweißt wie eine Eins und er macht sie zu seiner studentischen
Hilfskraft. „Ich hab’ mich da einfach wohl gefühlt! Ich hab’ ja auch
schon in Hamburg Metallschrott abgeschraubt und selbst verbaut.
Und ich mag es auch, wenn alles ölig und schmierig ist, und dann
dieser metallische Geruch“, schwärmt Toni und dreht sich noch eine
Zigarette. Dann spricht sie darüber, dass Leipzig sie gut aufgenommen
und weit nach vorn gebracht habe, aber ihr fehlte die queer Kultur,
die sie in Hamburg umgab. Toni macht mit der Uni eine Exkursion
nach Wien und hängt sofort ein Jahr Aufenthalt, gefördert durch das
Erasmus-Programm, an. In Wien eröffnet sich ihr schlagartig eine
neue Welt. Hier gibt es viel mehr künstlerische Freiheit und zudem
eine funktionierende Community. „Ich habe nach und nach die Disziplin und die Verausgabung, die ich als Leistungssportlerin kannte,
in die Kunst gelegt.“
Toni Schmale liebt die queer Community in Wien
Das Leben der Künstlerin duftet nun nach Abenteuerspielplatz. Und
andere werden auf sie aufmerksam. Ihre Arbeiten sind verwegen,
brauchen keine Attitüde. Toni Schmale erhält 2011 den BirgitJürgenssen-Preis und 2013 den Preis der Akademie der Künste Wien.
„Was mich antreibt, sind die inneren Verbindungen der Skulpturen,
denn sie bestehen alle aus mehreren Teilen, aber von außen gesehen
erscheinen sie als eins, dieses unsichtbare Innenleben mit seinen Nahtstellen bereitet mir wirklich Kopfzerbrechen,“ sagt die Künstlerin.
Toni Schmale hat in Wien zwar eine eigene Wohnung, aber die nutzt
sie eher als Abstelllager, denn wenn sie nach für gewöhnlich zwölf
Stunden Knochenarbeit ihre Werkstatt verlässt, möchte sie nicht
zurück in ihre eigenen vier Wände, sondern feiern, etwas trinken und
den Abend mit ihrer Freundin genießen. Toni mag Wien, denn auch
wenn die Kulturmetropole ihre grummeligen und unfreundlichen
Seiten hat, sie ist auf angenehme Weise überschaubar und hat eine
tolle queer Community.
Wenn man die Skulpturen von Toni betrachtet, sieht man die viele
Arbeit, die darin steckt, und auch eine Riesenportion Humor. Die
L-MAG
Arbeiten sind harsch und gleichzeitig wunderschön: „hafenperle“,
„queening maschine“, „analdusche“, „kontaktgrill“ oder „bettwurst“
sind die humorvollen Titel der Bodenskulpuren aus Stahl. Sie sind
feuerverzinkt oder pulverbeschichtet, kontrastiert mit Messing, teils
aus Gummi oder Beton. Ungewöhnliche Materialien für eine Frau,
Materialien von unerbitterlicher Härte, kühl, konsequent. Ohne
Verausgabung im Atelier ist die Bearbeitung absolut undenkbar.
Knochenarbeit. Geliebte Knochenarbeit.
Fitnessgerät, Folterinstrument oder auch Sexspielzeug
Die Arbeiten spielen damit, Fitnessgerät, Folterinstrument oder
auch Sexspielzeug zu sein, sie beziehen sich auf queer Inhalte,
überzeichnen diese aber auf großartige und ziemlich freie Weise.
Die bekannten Inhalte sind plötzlich zu groß und passen nicht mehr
ins Handtäschchen und schon gar nicht in eine Schublade. Die Werke
sind keine Abbildungen von Inhalten. Sie sind Projektionsflächen
ohne Vorgaben und man ist ganz auf sich gestellt beim Betrachten.
Toni Schmales Skulpturen sind Angebote für den Kopf, sie sprechen
von Begehren und von Unerreichbarkeit.
Die Ausstellung in Berlin zeigt aber auch noch etwas ganz anderes:
Winzige animierte Entwurfsskizzen der Künstlerin, aufgeblasen zu
einem raumhohen, mit Musik unterlegten Kunstvideo „You can’t
have a Hot Lover, a Hot Job and a Hot Apartment all in the Same
City“ – dieser Loop trainiert die Lachmuskulatur: Bauchmuskeln,
Mimik, Epidermis, alles wird bewegt, denn die gezeichneten Einzelbild-Animationen sind superlustig, supersexy und so eindeutig easy,
dass es kracht.
// Lena Braun
Die Ausstellung „Superego“ läuft noch bis 24. Januar in der nGbK in
Berlin-Kreuzberg, Oranienstr. 25
Führung mit der Künstlerin: Sonntag, 24. Januar, 18 Uhr
25
*26-29 International_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:03 Seite 26
INTERNATIONAL
Perverses Paradies
Kapstadt gilt als paradiesische Stadt in Südafrika – vor allem
für Homosexuelle. Doch die Realität sieht für viele, insbesondere
schwarze Menschen, anders aus. Rassismus und die Folgen von
gnadenlosem Kapitalismus machen aus Kapstadt eine Insel für
ein paar Privilegierte. Ein sehr persönlicher Reisebericht aus
dem Frühjahr 2015 von L-MAG-Autorin Leila van Rinsum
26
L-MAG
*26-29 International_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:03 Seite 27
Stiller Moment:
L-MAG-Autorin Leila
van Rinsum (re.) mit ihrer
kenianischen Freundin in
Kapstadt am Meer
Allein trat ich um Mitternacht aus dem Flugzeug auf den geteerten
Boden des Kapstädter Flughafens in Südafrika, wartete mit einigen
wenigen auf mein Gepäck und zog schließlich meinen Koffer hinter
mir her. Erst als ich Leute mit Schildern sah, auf denen verschiedene
Namen standen und andere mich fragten, ob ich ein Taxi bräuchte,
wunderte ich mich, wie ich durch die Grenzkontrolle gelangt war.
Ich kramte meinen Pass hervor, und tatsächlich stand neben einem
Stempel „drei Monate“. In Kapstadt war ich, da ich mich spontan
entschieden hatte, meine Partnerin zu einem Mitarbeiterinnentreffen
ihrer Arbeitsstelle zu begleiten. Allein war ich, da meine Partnerin –
Kenianerin – ihr Visum noch nicht bekommen hatte. Schon in der
südafrikanischen Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi
lächelte die Dame an der Auskunft beim Anblick meines deutschen
Passes und sagte, ich würde das Visum am Flughafen erhalten. Dass
dies jedoch so reibungslos geschehen würde, hatte ich nicht erwartet.
Meine Partnerin durfte sich hingegen mit Formularen, Ausdrucken,
Kopien und Schlangestehen in der Botschaft herumschlagen und
musste zunächst in Nairobi zurückbleiben.
Fotos: Daniel Müller Jansen, privat
Ausländer sind Schwarze aus anderen Ländern
Südafrika hat wie viele andere Länder seinen Grenzschutz
hochgefahren, und zwar für jene, die keinen europäischen oder
nord-amerikanischen Pass haben. Die Rhetorik der kapitalistischen
Logik ist dabei die gleiche wie in Deutschland. Nicht das System,
das den Reichtum in den Händen der Weißen und einer überschaubaren schwarzen Elite lässt, nicht Steuerhinterziehung,
nicht Vormachtstellung von Konzerninteressen, nicht legale
Arbeitsarmut, Landraub oder Gentrifizierung sind für die
wirtschaftlichen Ungleichheiten, die Armut und Ausbeutung von
Generationen an Südafrikanern und -afrikanerinnen verantwortlich, sondern Ausländer. Und nicht jene Ausländer und
Ausländerinnen, die sich dieses Land nahmen und es sich samt
der Bevölkerung aneigneten oder jene, die Dank der wirtschaftlichen Vormachtstellung ihrer Herkunftsländer als Banker, Manager,
Entwicklungshelfer oder Berater diese Strukturen vertiefen und
ausnutzen sind gemeint. Nein, „Ausländer“ sind Schwarze aus
anderen afrikanischen Ländern. Nur ein paar Tage vor meiner
Ankunft im April 2015 hatte die Welle der medialen Sensationsinszenierung „fremdenfeindlicher Angriffe“ in Südafrika begonnen.
Südafrikaner in den armen Gegenden hatten zuvor afrikanische
Einwanderer brutal ermordet. Als ich auf meinen Anschlussflug
L-MAG
in Johannesburg wartete, sah ich auf einem riesigen Flatscreen vor
mir, dass der südafrikanische Präsident Jacob Zuma sich gegen
Fremdenhass aussprach. Ein paar Tage später erklärte er auf einer
Beerdigung, dass man aber auch sehen müsse, dass es viel zu viele
„Ausländer“ gäbe. Das kam mir bekannt vor. Nur ein paar Tage
später starben wieder hunderte Flüchtlinge vor Europas Küste, was
natürlich „bedauerlich“ war. Aber: „Schließlich können wir nicht
,alle aus Afrika‘ bei uns aufnehmen“, so die wiederkehrende Polemik einiger deutscher Politikerinnen, Politiker und Medien.
Unser Reichtum hat jedenfalls nichts mit den globalen Wirtschaftsstrukturen zu tun, eher scheinen wir einfach isoliert moralisch
und wirtschaftlich überlegen zu sein. Da muss man mehr in
Abwehrtechnologie investieren und militärisch gegen die
Schlepper vorgehen!
Wo queer draufsteht, sind meist nur Schwule drin
Ich nahm also ein Taxi und beäugte müde die glitzernden Lichter der
angeblich queersten Stadt Afrikas – Kapstadt. Am Morgen durchstöberte ich die Auslagen des Hotels und mir fiel das Out Africa Magazine in die Hände. Es war eine alte Ausgabe von 2010 und neben dem
Titel „Out and Proud“ blickte mich mit zusammengekniffenen Augen
ein halbnackter, mit Six-pack ausgestatteter, blonder Jüngling an.
Dies war auch das Bild, das ich von meinem ersten Spaziergang durch
den Schwulenbezirk entlang der Somerset Street bekam. Von dem
queeren Backpacker-Hostel grölten weiße junge Männer herunter und
die Bars waren besetzt von überwiegend weißen Männern, ein paar
Frauen hier und da. Nur einige wenige Kellner waren schwarz und
natürlich die unsichtbaren Arbeiterinnen und Arbeiter in der Küche.
Dass die LGBT-Bewegung überwiegend von weißen, mittelständischen Männern dominiert wird, ist nicht neu. Auch in Deutschland
stehen die Männer meist im Zentrum. Sie sind es, denen der Kapitalismus zugutekommt. Aus dem Kampf nach Anerkennung von
sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wurde ein weißer männlicher
Prototyp, der ganz „normal“ ist, nur eben schwul. Auch in Deutschland fällt auf, dass die meisten Restaurants, Bars oder Geschäfte von
Schwulen für Schwule geführt werden. Politisch und wirtschaftlich
werden Frauen noch immer in die Hinterreihen verbannt. Ihre
Geschichten werden erst dann herausgekramt, wenn es um ganz
spezifisch weibliche oder lesbische Inhalte geht. Die Lebensrealitäten
von nicht-weißen Menschen und denjenigen die unterhalb des
wirtschaftlichen Mittelstands leben, werden ausgeklammert.
27
*26-29 International_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:03 Seite 28
INTERNATIONAL
Allein unter Weißen in der Szene
Meine Partnerin erhielt nach knapp einer Woche bürokratischen Widerstands schließlich doch noch ihr Visum und kam verspätet am weißesten
Zipfel Afrikas an. Bald erkundeten wir gemeinsam die städtische, nächtliche Szene und landeten nach ein paar Clubs in der berüchtigten
lesbischen Bealuah Bar, die sich nach und nach zum Ersticken füllte.
Meine Freundin war und blieb an diesem Abend die einzige Schwarze.
Kapstadt, wie andere südafrikanische Städte, ist komplett segregiert.
Schwarze Afrikanerinnen und Afrikaner wurden systematisch und noch
bis in die späten 1980er aus ihren Siedlungen vertrieben und in die
sogenannten Townships verfrachtet, die weit angelegten Slums, denen bis
heute vieles an Infrastruktur fehlt. Die Innenstadt dagegen ist traumhaft
gelegen, umringt vom Tafelberg und weiten Küstenstreifen. Aber schon
die Straßennamen hier wie „Kloof“ und „Hertzog Boulevard“ bezeugen,
dass sie den Weißen gehört. Täglich wandern tausende Schwarze von
ihren Townships in die Stadt, um den Weißen zu dienen, ihre Häuser zu
bauen und sauber zu machen, in den Kellern und Hinterzimmern der
Restaurants, Hotels oder Läden zu arbeiten.
Vom Kolonialismus zur kapitalistischen Apartheid
Fotos von Daniel Müller Jansen aus der Serie „there is me &
there is you“. In seiner Fotoserie stellt der Fotograf die
Gegensätze der Townships, in denen Schwarze in Armut
leben, und der Gated Communities (bewachte,
abgeschlossene Wohngebiete für Reiche) in Kapstadt
gegenüber
28
Fragt man queere Einwohnerinnen und Einwohner Kapstadts nach der
Lage von Schwulen und Lesben in ihrer Stadt, so heißt es, es sei die freieste
Stadt in Afrika, hier könne man ungestört Partys feiern. Aber in den
Townships, da sei es noch schlimm. Die dann folgende Analyse endet
meist auf die eine oder andere Weise damit, dass es in den afrikanischen
Kulturen begründet sei, Homosexualität zu verachten. Fragt man Kapstädterinnen und Kapstädter aus den Townships, wird die Verbindung
von Rassismus, Kapitalismus und Frauenfeindlichkeit klar: Hier geht es
um eine Gesellschaft, der über Generationen ihr Land, ihre Würde, der
Zugang zu Wasser, Gesundheit, Leben und Bildung genommen wurde. Es
geht um Menschen, deren Geschichte, Gegenwart und Zukunft gewaltsam geraubt wurde – erst unter Kolonialismus, dann Apartheid und nun
schließlich unter kapitalistischer Apartheid.
Mehr als eine Barriere hindert sie daran, in die Bars in der Stadt zu gehen
oder am CSD, dem weiß dominierten „Cape Town Pride“ teilzunehmen.
Ihre Vorstellung von Freiheit hat wenig mit öffentlichem Händchenhalten
zu tun. Die zahlreichen Fälle von Gewalt, von „korrigierenden Vergewaltigungen“ (Vergewaltigungen von Lesben, deren sexuelle Identität damit hin
zur Heterosexualität „korrigiert“ werden soll) und Morden sind nicht bedauernswerte einzelne homophobe Vorfälle, sondern ein gewebtes Netz
aus Rassentrennung, Gewalt und der Erschaffung und dem Erhalt von
Armut. Nicht nur Armut an Geld, auch an Möglichkeiten zur Entfaltung
sowie Armut an Lebensraum, Gerechtigkeit und einem menschenwürdigen Freiraum.
Ob Kapstadt oder Berlin, Kapitalismus hat längst auch die LGBT-Community vereinnahmt und propagiert eine schmalspurige Akzeptanz, solange
wir nicht gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Mechanismen
der Ausgrenzung und Unterdrückung hinterfragen. Nur zu oft werden
dabei die verschiedenen und sehr diversen Lebensumstände von Lesben,
Schwulen, Bi- und Transsexuellen ausgeklammert.
Trotzdem bewegt sich auch in Südafrika einiges. Noch in unseren letzten
Tagen in Kapstadt eroberte eine neuere Generation die Stadt. Studentinnen und Studenten erhoben sich in Massenprotesten und forderten die
Entfernung kolonialer Relikte in ihrer Universität sowie bezahlbare Schulgebühren. Sie sprachen dabei von der Beziehung zwischen Kolonialismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Kapitalismus.
Und so verließen wir Kapstadt, während sich die Proteste im ganzen Land
ausbreiteten.
L-MAG
*26-29 International_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:03 Seite 29
*30-31 ABO _00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:33 Seite 30
L-MAG – Wo gibt
L-MAG nicht am Kiosk?
Das L-MAG-Abo
Worauf wir stolz sind: L-MAG ist eine Zeitschrift, die
es im Zeitschriftenladen gibt, nicht nur im Abo.
Das ist uns wichtig, um lesbische Sichtbarkeit am
Kiosk zu demonstrieren. Doch immer wieder
fragen Leserinnen: „Wo kann ich L-MAG kaufen, bei
meinem Zeitschriftenladen gibt es sie nicht?!“ Das
hat verschiedene Gründe.
In Deutschland gibt es rund 120.000 Stellen, an
denen Zeitschriften verkauft werden – Kioske,
Tankstellen, Supermärkte, Buchhandlungen.
Wir drucken rund 17.000 Hefte, diese können also
nur in einer bestimmten Auswahl an Läden im
Regal liegen.
Außerdem wird es generell immer schwieriger, ein
Magazin dauerhaft im Kiosksortiment zu halten.
Verkaufsstellen haben das Recht, eine Zeitschrift,
die sich aus ihrer Sicht nicht genügend verkauft,
völlig aus dem Sortiment zu schmeißen. Und das,
obwohl die Pressefreiheit in Deutschland garantiert,
dass ein Kiosk grundsätzlich alle Magazine in sein
Sortiment nehmen muss. Das benachteiligt
kleinere Verlage.
Leserinnen, die sichergehen
wollen, ihr Heft regelmäßig und
pünktlich zu bekommen, sind
am besten mit einem Abo bedient.
Ein schöner Nebeneffekt: die
Abonnentin spart Geld und beim
Verlag bleibt im Vergleich zum
Kioskverkauf mehr Geld hängen.
STANDARD-ABO
12 Ausgaben für 49 Euro
6 Ausgaben für 27 Euro
FAIR-ABO
12 Ausgaben für 39 Euro
6 Ausgaben für 23 Euro
PROBE-ABO
3 Ausgaben für 10 Euro
Wir wollen, dass L-MAG weiterhin im Zeitschriftenhandel erhältlich ist und alle, die
bisher das Heft im Laden kaufen, dies auch
weiter tun können. Dennoch werden andere
Kanäle immer wichtiger, der Kioskverkauf kann
die Zukunft des Magazins nicht sichern.
Das Print-Abo bestellen:
www.l-mag.de/abo
*30-31 ABO _00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:13 Seite 31
bt’s denn sowas?
L-MAG am Kiosk
Überblick zum Verkauf
am Kiosk in Deutschland auf
www.mykiosk.de
Überblick zum Verkauf am Kiosk
in Österreich und der Schweiz auf
www.l-mag.de/verkaufsstellen
L-MAG online kaufen
Bequem und portofrei bei
www.magazineshoppen.de
L-MAG als E-Paper
Das E-Paper online bestellen bei
www.l-mag.de/l-mage-paper
E-Paper als Abo mit der
kostenlosen L-MAG-App im
Apple Store, bei Amazon
oder Google Play bestellen.
E-Paper als Abo ohne App bestellen bei
www.pressekatalog.de
Romantik
*32-35 TT Aufmacher + Epoche_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:18 Seite 32
*32-35 TT Aufmacher + Epoche_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:18 Seite 33
Romantik:
zwischen tiefen Gefühlen und
trivialer Emotionsbeschwörung
Im Journalismus gibt es
sogenannte „weiche“ und „harte“
Themen. Letztere sind solche wie
Politik, Krieg oder Krisen, „weiche“
Themen sind Liebe, Haustiere oder
Wellness. Mit dem Thema Romantik dachte L-MAG eigentlich, bei
einem weichen Thema gelandet
zu sein. Doch welch Überraschung:
Die Ansichten, Klischees und
Abwehrhaltungen zur Romantik
riefen gar starke Emotionen bei
allen Befragten hervor. Romantik
ist ganz offensichtlich ein Thema,
das polarisiert. Überraschend
heftig wurde sich dafür oder dagegen geäußert. Man könnte fast
meinen, es handle sich um ein
politisch brisantes Thema. Pro
oder contra Romantik – die Gefühle waren groß, die Diskussionen
lang und die Recherche intensiv.
Viele Bekenntnisse zur Romantik
und zur Sehnsucht nach großen
Gefühlen stehen neben totaler
Ablehnung und klaren feministischen Postionen. Somit wurde
plötzlich politisch und anspruchsvoll, was so leicht daher kommen
sollte. Das Ergebnis: Für hoffnungslose Romantikerinnen ist nun
genauso viel geboten wie für
Romantikhasserinnen und
spät-berufene UndergroundRomantikfans.
Viel Vergnügen!
Ist es Kitsch oder ehrliches Gefühl?
Was ist romantisch? L-MAG auf der Suche
nach den Wurzeln der Romantik
Illustration: Barye Phillips
Bebildert haben wir das Thema mit Buchcovern sogenannter Lesbian Pulp Fiction,
romantische Romane aus den 1950er Jahren,
die milionenfach verkauft wurden und eine
ganze Epoche prägten. Jede lesbische Frau
in den USA hatte sie offen oder heimlich im
Schrank. Das Bild links zeigt einen Ausschnitt
des Original-Buchcovers von „Carol“,
erschienen 1953 bei Bantam Books in den
USA unter dem Titel „The Price of Salt“.
Geschrieben hat es Patricia Highsmith unter
dem Pseudonym Claire Morgan. Auch wenn
es sich bei „Carol“ um Literatur handelte,
wurde die damals gerade für lesbische
Geschichten so beliebte, romantisch-sinnliche
„Pulp“-Optik verwendet. 62 Jahre später
wurde das Buch mit Cate Blanchett in der
Titelrolle verfilmt. Ein Szenenfoto ziert das
Cover dieses Hefts. Alles zu einem der
romantischsten Liebesfilme des Jahres
findet sich auf Seite 56.
Werbung, Medien, Film und Literatur
sind voll von romantischen Bildern und
Anspielungen. Dabei geht es um Sehnsucht,
Liebe, Wehmut und Verzweiflung
Was die einen in den siebten Himmel der
Gefühle versetzt, verursacht bei anderen
Fluchtreflex und Abneigung. Romantik und
was damit gemeint ist, hängt durchaus vom
Auge der Betrachtenden ab. Gibt man das
Adjektiv „romantisch“ bei Google ein, erscheint
folgende Definition:
1. voller Gefühl oder das Gefühl
ansprechend
2. die Romantik betreffend oder aus ihr
stammend
Die Romantik als kulturelle Epoche prägt die
gegenwärtige Alltagsverwendung des Begriffs
wesentlich – wenn diese auch arg trivialisiert
erscheint. So bemerkt der Germanist und
Lyriker Axel Sanjosé etwas verächtlich: „Wie
weit entfernt ist diese ästhetische Grundsatzerklärung von dem, was als trivialisierter Begriff
heutzutage unter dem Stichwort Romantik in
den Köpfen herumschwirrt! Der verkitschte See
bei Mondschein, das für zwei Personen gedeckte
Tischlein mit Kerzenschimmer enthalten nur
noch völlig degenerierte Spuren jenes Kunst- und
Lebenskonzeptes.“
Diffuse Alltagsromantik
Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, was
„romantisch“ heutzutage eigentlich meint. Die
Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel meint:
Der Begriff Romantik „steht für ein spezifisch
ambivalentes Gefühlsgemisch aus freudiger
Begeisterung und Wehmut, das bei richtiger
Dosierung einen höchst angenehmen Kontrast
zur nüchternen Alltagswelt unseres technisch
hochgerüsteten Zeitalters darstellt.“
Romantik – als Gegenpol zur Technisierung der
Kulturen – kann demnach das Erleben und
Ausleben positiver Sehnsucht und Emotion
ermöglichen. Ist Romantik also eine Hilfskonstruktion für unterdrückte Emotionen?
Beim Betrachten der Verwendung von
33
*32-35 TT Aufmacher + Epoche_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:51 Seite 34
ROMANTIK
„Das romantisierte
Konstrukt der Weiblichkeit
basierte auf klaren
Geschlechterdifferenzen,
die das Patriarchat
stabilisierte und Frauen
in dienende Funktionen
verbannte“
Buchcover von „Spring Fire“, Fawcett Publications, 1952. Ein Jahr vor „Carol“ erschien
dieser als Ursprung der „Lesbian Pulp Fiction“ geltende Roman um eine lesbische Liebe,
geschrieben von Vin Packer, was das Pseudonym von Marijane Meaker war. Meaker sollte
später zwei Jahre lang eine Liebesbeziehung mit „Carol“-Autorin Patricia Highsmith
haben, worüber sie ebenfalls ein Buch –„Meine Jahre mit Pat“ (2003) – schrieb.
romantisch und Romantik in den Medien
drängt sich der Eindruck auf, dass der Begriff
sich einer klaren Definition gerne entzieht und
lieber diffus uneindeutig rund um Wohlfühlgefühle und Liebe herumwabert. Da wird der
„romantische Urlaub“ angepriesen, die
romantische Ader pulsiert in der Trivialliteratur
und Wanderungen an romantische Orte wollen
die Zweisamkeit mit positivem Adjektiv
vermarkten. Ein gängiges Wortpaar ist die
„romantische Liebe“. „Romantik sells“ und prägt
sich mit der Vermarktung gleichzeitig als
Bedürfnis einer jeden fühlenden Person ein.
Jede und jeder hat doch irgendwo eine
romantische Ader – so wird suggeriert. Zu viel
davon ist auch nicht gut und brandmarkt die
Vollzeitromantikerinnen und -romantiker
womöglich als schwärmerisch, naiv, weltfremd
und lebensuntüchtig.
Sinn und Sinnlinchkeit
Ambivalenz prägt auch die kunsthistorische
und literarische Epoche der Romantik. Schon
in der präzisen zeitlichen Einordung gibt es bis
34
heute Unstimmigkeiten. Die deutsche
Romantik bildet sich ab 1789 als philosophische und künstlerische Strömung heraus
und endet Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie ist
geprägt von einer Abgrenzung zur Vernunft,
dem Ideal der Aufklärung.
Was heißt das? Die romantische Betrachtungsweise sieht den Menschen als empfindendes
Wesen. Das Gefühl wird zum Leitmotiv
musischen Schaffens. Die Sehnsucht nach einer
Gegenwelt im Zeichen von Industrialisierung
und sozialen Probleme führt zu einer inhaltlichen Fokusverschiebung: das Wunderbare,
die Exotik, das Abenteuer und die Sinnlichkeit
werden interessant. Natur und Vergangenheit,
insbesondere das Mittelalter, werden zu
(idealisierten) Sehnsuchtsorten. Die Romantik
ist eine Kultur des Aufbruchs, die Sinn für alles
hat, was Empfindungen anregt. So auch für
das Unheimliche, Bizarre, Groteske, Okkulte,
Gespenstische, Abgründige und Surreale. Die
angestrebte Poetisierung des Lebens sucht
Poesie und Mythologie miteinander zu
verbinden und proklamiert die Freiheit der
Fantasie. Angestrebt wird eine ganzheitliche
Romantisierung der Welt auf der Suche nach
dem Sinn des Lebens. Über allem künstlerischen Schaffen steht der Grundsatz der dichterischen Freiheit.
Musen, Geliebte und Seelenpartnerin
Doch wie steht es um Freiheit, Aufbruch und
Empfinden der künstlerisch tätigen Frauen in
der Romantik? Mit der Kritik an Vernunft und
Moderne, der Sehnsucht nach einer höheren
Welt und dem Erblühen des romantischen
Individualitäts-Ideals beginnt eine zaghafte
Teilhabe von Frauen am literarischen Leben.
Sicherlich vorrangig als von Männern geschaffene Kunstfiguren: als Musen, Geliebte, Seelenpartnerinnen und naturhafte Wesen – kurz: als
romantisches Konzept. Friedrich Schlegel
schrieb den interessanten Satz: „In den Frauen
liegt jetzt das Zeitalter, nur unter ihnen gibt’s
noch interessante Charaktere.“ Charaktere, die
*32-35 TT Aufmacher + Epoche_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:51 Seite 35
nicht nur in den idealisierten Kunstfiguren
aufzufinden sind. Vereinzelt treten auch reale
Frauen als Literatur- und Kunstschaffende auf
die Bühne der Romantik.
Eine der aus lesbischer Sicht vielleicht interessantesten und tragischsten Dichterinnen der
Romantik ist Karoline von Günderrode (17801806). An ihre Freundin Gunda Brentano
schrieb sie 1801: „Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben – warum ward
ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für weibliche
Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das
Wilde, Große, Glänzende gefällt mir (…) ich bin
ein Weib und habe Begierden wie ein Mann,
ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd
und so uneins mit mir.“ 1806 brachte Karoline
von Günderode sich am Rhein um, nachdem
ihr Geliebter, der Philologe Friedrich Creuzer,
ihr die Trennung in einem Brief mitteilte. Ein
Selbstmord aus Leidenschaft – ganz in romantischer Manier.
„Das Wesen der
Frauen ist Poesie“ (Friedrich
Schlegel)
Trotz vereinzelter Frauen, die mit Biografie und
Werk schon zu Lebzeiten Spuren hinterließen,
kann von Emanzipation in der Romantik kaum
die Rede sein. Das romantisierte Konstrukt der
Weiblichkeit basierte auf klaren Geschlechterdifferenzen, die das Patriarchat stabilisierte
und Frauen in dienende Funktionen verbannte. Allerdings ist die Epoche der Romantik mit
einem lesbischen, feministischen Blick betrachtet eine Fundgrube auch für feministisch
und homoerotisch deutbare Ansätze.
Was bleibt noch zu sagen über die Romantik?
Was heute mit damals verbindet, ist wohl in
allererster Linie Ambivalenz und Gefühl –
wenn auch die gegenwärtige Bedeutung von
Romantik die damalige nur in „degenerierten
Spuren“ abbildet. Romantisch ist wohl schlussendlich das, was Gefühle zu erwecken und
Sehnsüchte auszulösen vermag. Und
schließlich ist die relative Undefinierbarkeit
des Begriffs durchaus ein Vorteil, denn Romantik ist das, was für romantisch gehalten wird!
Und romantisch ist die, die sich in Wort und Tat
daran orientiert. So leicht kann es sein.
// Judith Czakert
Erinnerung
Ich denke dein im trauten Kreis der Freunde,
Ich denke dein in dem Gewühl der Schlacht,
Ich denke dein beim Neidgezisch der Feinde,
Und wenn die Felsenkluft vom Donner kracht.
Ich denke dein im finstern Stadtgewühle
Und in dem Tal, wo nur der Hirte pfeift,
Ich denke dein in sehnsuchtsvoller Stille
Und auf dem Feld, wo schon die Ähre reift.
Ich denke dein, ich sitze oder stehe,
Du schwebst, o Traute, überall um mich
Und, wenn in stiller Schwermut leis ich gehe,
Vergeß ich alles, alles; nur nicht dich.
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
Auf diesem
Hügel überseh
ich meine Welt!
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist's, worin sich hier der Sinn gefällt?
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz
umstellt,
Nichts ist's, was mir den Blick gefesselt hält.
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Und könnt ich Paradiese überschauen,
Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick
sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.
Vorzeit,
und neue Zeit
Ein schmahler rauher Pfad schien
sonst die Erde.
Und auf den Bergen glänzt der
Himmel über ihr,
Ein Abgrund ihr zur Seite war die Hölle,
Und Pfade führten in den Himmel
und zur Hölle.
Doch alles ist ganz anders jetzt geworden,
Der Himmel ist gestürzt, der Abgrund
ausgefüllt,
Und mit Vernunft bedeckt, und sehr
bequem zum gehen.
Des Glaubens Höhen sind nun demoliert.
Und auf der flachen Erde schreitet der
Verstand,
Und misset alles aus, nach Klafter und
nach Schuen.
Karoline von Günderrode (1780-1806)
Die Einzige
Wie ist ganz mein Sinn befangen,
Einer, Einer anzuhangen;
Diese Eine zu umpfangen
Treibt mich einzig nur Verlangen;
Freude kann mir nur gewähren,
Heimlich diesen Wunsch zu nähren,
Mich in Träumen zu bethören,
Mich in Sehnen zu verzehren,
Was mich tödtet zu gebähren.
Karoline von Günderrode (1780–1806)
Bettina von Arnim (1785–1859)
35
*36-37 TT Expertinnen_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:04 Seite 36
ROMANTIK
Liebesromane mit lesbischen
Figuren und großen Dramen
finden seit Jahrzehnten
viele treue Anhängerinnen
L-MAG sprach mit Autorinnen
und Buchverlegerinnen
über Sehnsucht, Herzschmerz
und Happy End
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Noch nie gab es auf dem Buchmarkt mehr
Lesbenliebesromane als heute. Ob „romantic
suspense“ in Krimiform oder „paranormal
romance“ mit sexy Vampirinnen: Das Angebot
ist groß und wächst. Unter den Buchrezensionen
von L-MAG waren „schnulzige Love-Storys von
Anfang an dabei“, erklärt Chefredakteurin
Manuela Kay, „und sie sind bis heute gefragt“.
Auch die Frauen, die Geschichten fürs Herz
schreiben oder verlegen, sind sich einig: Das ist
keine Modeerscheinung.
„Es gibt ein universales Grundbedürfnis nach
Romantik“, sagt Claudia Gehrke, die mit ihrem
Konkursbuch Verlag und der Reihe „Liebesleben“ zu den Großen im lesbischen Marktsegment gehört. „Das ist nicht nur bei Lesben
ausgeprägt. Im Leben geht es ja kaum so
romantisch zu wie in
manchen Liebesromanen. Lesen ist
Entspannung, Urlaub
vom Alltag. Die Sehnsucht nach Romantik
hat mit dem Wunsch zu
tun, sich in romantische
Traumwelten entführen
zu lassen“, erklärt Gehrke
weiter. Einen gewissen
Hang zum Eskapismus
erkennt auch Anne Bax,
Königin des lesbischen
Happy Ends mit Humorbonus,
bei sich und ihrer äußerst treuen Fangemeinde: „Ich glaube,
dass Lesben meiner Ü-50-Generation mehr glückliche Liebesgeschichten brauchten, weil es
die in Büchern und Filmen lange
nicht gab und sicher auch, um sie
der doch oft schwierigen Lebensrealität entgegenzusetzen.“ Eine
literarische Bestätigung der heilen
Gefühlswelt könnte aber auch
jüngeren Frauen angesichts wieder
salonfähig werdender Homophobie
von zum Beispiel den „Besorgten
Bürgern“ gerade recht kommen.
Dafür sprächen unter anderem die
wachsenden Umsätze des Ylva-Verlags.
Das noch junge Unternehmen setzt in
ROMAN ODER
36
*36-37 TT Expertinnen_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:04 Seite 37
seinem Programm komplett auf Liebes
romane. Der Erfahrung von Verlegerin Astrid
Ohletz nach haben jüngere Lesben nicht weniger Interesse an Geschichten mit Herz, sie
wünschen sich nur andere Inhalte: „Der Wunsch
nach Romantik ist immer noch da. Die heutige
junge Generation ist nicht mehr so an Coming-out-Geschichten interessiert. Aber die
neuen Trends sprechen für sich, etwa bei der
,paranormal romance’, der durch die ,Twilight‘Romane angestoßen wurden, oder in der
,erotic romance’ à la ,Fifty Shades of Grey’.“ Ja,
auch im Fahrwasser des weichgespülten Popohaue-Megasellers hatten sich flugs lesbisch
orientierte Nachfolgerinnen eingefunden.
Das Interesse ist also da und bleibt. SubGenres haben ihre Höhen und Tiefen, genau
wie beim Krimi oder Psychothriller. Auch das
sind übrigens Genres, die sich nicht schlecht
mit romantischen Handlungssträngen
verknüpfen lassen. Anne Bax, die jüngst mit
dem Krimi „Herz Kammer Spiel“ punkten konnte, sieht es so: „Für mich sind die von mir
beschriebenen Taten so etwas wie die dunkle
Seite der Liebe, und die kann man gut
zusammen mit der hellen Seite beschreiben …
die leuchtet dann noch etwas heller.“
Was ist überhaupt ein romantisches Buch?
Mirjam Müntefering, die fast jährlich etwas
Neues für Herz und Seele der Lesbenwelt zu
„Es gibt ein
universales
Grundbedürfnis
nach Romantik“
Papier bringt, nennt ihre Schreibworkshops
„ROMANtische Inspirationen“. Für sie hängen
Genre und Grundthema selbstverständlich
zusammen: „In den Workshops geht es ums
Handwerk zum Romanschreiben, aber die
romantische Seite bleibt nie außen vor. Die
Protagonistinnen müssen Herz und Einsatz
zeigen, ein bisschen verklärt sein und von der
Liebe einfach alles erwarten – auch wenn der
Alltag natürlich ernüchternd sein kann.“
Karen-Susan Fessel gehört zu den Autorinnen,
deren Leserinnen ohnehin jedes ihrer Bücher
kaufen, egal welchem Genre es sich zuschreiben
„Die Valentinstagund HochzeitsIndustrie suggeriert
den Leuten,
was Romantik sei“
lässt. Die Berliner Autorin findet, „dass
Romantik ja nur eine Umschreibung für Sehnsucht ist. Und Sich-Sehnen ist ja wiederum
etwas höchst Befriedigendes.“ Die Schöpferin
von „Bis ich sie finde“ führt das eigene Schaffen
bis auf die Literaturepoche der Romantik
zurück: „Diese Phase war von einer Neubesinnung auf die tiefere Gefühlswelt und die
Fantasie gekennzeichnet. Auf diese Dinge
besinne ich mich in meinen Büchern ja auch
immer wieder. Sehnsucht, Leidenschaft,
Individualität, Abgründe der Seele – also,
wenn ich es recht bedenke, bin ich eine Autorin
der Romantik in modernem Gewand.“
Natürlich ist nicht jede der Materie so
zugeneigt. Regina Nössler beschreibt in ihrem
teilautobiografischen Roman „Die Kerzenschein-Phobie“ regelrechten Romantikterror in
einer Beziehung, der zu einer kompletten
Verweigerung der Protagonistin von Rosen,
Kerzen und so weiter führt. Sie sagt klipp und
klar: „Die Valentinstag- und Hochzeits-Industrie
suggeriert den Leuten, was Romantik sei. Aufgesetzt und künstlich. Mich kann man damit
jagen.“
Es würden ihr sicherlich einige zustimmen. Die
Anfänge gefühlsbetonter Lesbenliteratur
waren entsprechend holperig. Vor 30 Jahren
belächelte die Liedermacherin Carolina
Brauckmann in ihrem Song „Lesbenbücher“
die schlichte Strickart „süffiger Lesbenliteratur,
wo zweie sich lieben und kriegen und haben.“
Gleichzeitig, erzählt sie, sei sie aus Mangel an
positiven Lesbengeschichten damals süchtig
gewesen nach „etwas Sex und viel Seelenschmelz, egal, welche Qualität die Romane
hatten. So viele von uns lesbischen Küken
waren einfach auf der Suche nach lesbischen
Heldinnen.“
Ulrike Anhamm, die lange Jahre das Lesbenmagazin Lespress herausgab, erinnert sich, wie
es weiterging: „In den 90ern wurde auf einmal
vieles Camp, was vorher als Kitsch oder politisch nicht korrekt galt. Das war eine schicke
Wendung, die uns vieles leichter machte.“
Diese Veränderung machte sich nach und
nach auch bei den Verlagen bemerkbar. Ruth
Gogoll brachte ihren Roman „Taxi nach Paris“
heraus und gründete auf dessen Erfolg ihren
eigenen Verlag mit Herzschmerzschwerpunkt.
„Seither hat édition el!es die weitere Lesbenliteratur geprägt, und glücklicherweise sind
heute lesbische Liebesromane mit glücklichem
Ausgang nichts Besonderes mehr“, erzählt sie.
Das Angebot wird fast täglich größer. Besonders seit sich die technischen Möglichkeiten
verbessert haben. Die Selbstverlegerinnen
sind auf dem Vormarsch und bringen mit dem
günstig produzierbaren E-Book neuen Liebesstoff unters Lesbenvolk. Die Gefahr eines Nachschubstopps besteht also nicht. „Mit Romantik
ist es schöner“, erklärt Ruth Gogoll. „Und alles,
was schöner ist, machen wir öfter.“
Den Kitschvorwurf mussten sich die meisten
von ihnen schon gefallen lassen. „Aber was ist
schlimm an Kitsch und Klischees?“, gibt Gogoll
selbstbewusst zurück. „Beides gehört zum
Leben und beides ist Teil des Lebens … Kitsch
ist nur eine Frage der Wahrnehmung. Was die
eine als Kitsch empfindet, ist für die andere
Romantik!“ Anne Bax verteidigt ihre unvermeidlichen Happy Ends: „Wenn ich meine
Geschichten beginne und den Figuren folge,
fällt es mir einfach schwer, sie nicht glücklich
werden zu lassen. Und ja, ich weiß, dass das
nicht realistisch ist“, schließt sie. „Möglicherweise heißt es deshalb Fiktion.“
// Susanne Lück
ROMANTIK
37
*38-41 TT Umfrage_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:06 Seite 38
ROMANTIK
Zwischen Heteronorm und Kerzenschein
Sechs Frauen aus sechs Ländern und ihr Konzept von Romantik
befragt von Isabel Lerch, fotografiert von Camilla Storgaard-Larsen
Erica, Engländerin mit südafrikanischen
Wurzeln, 50
Der Romantikbegriff ist historisch so stark
aufgeladen, dass ich zuallererst an all die
populären Symbole denke – rote Herzen,
Rosen, Valentinstag. Aber da ich mich als
radikale, lesbische Feministin definiere, fügt
sich Romantik für mich in einen Haufen von
heteronormativem Scheiß ein – davon
möchte ich kein Teil sein. Ich würde mich
also definitiv als nicht-romantisch
bezeichnen. Gleichzeitig hat es mich vor
über einem Jahr, als ich meine aktuelle Partnerin getroffen habe, so heftig erwischt,
dass meine bisherigen Einstellungen durcheinandergewirbelt wurden. Auf einmal
passierte all das, von dem ich immer gelesen
und immer gedacht hatte, dass es niemals
passieren würde. Es gibt einen ganz besonderen Moment, der dieses Gefühl ausdrückt: Ich habe ihr damals die Geschichte
erzählt, wie ich eines Abends ganz starkes
Heimweh nach meiner Heimat Südafrika
verspürte. Als Künstlerin habe ich diesen
Abend in einer Geschichte festgehalten und
sie ihr dann zugeschickt. Und als ich am
nächsten Morgen aufgewacht bin, sah ich,
dass sie mir ein selbstkomponiertes Lied
zugeschickt hatte – mit einem Text, der auf
meiner Geschichte beruht. Das hat mich
vollkommen umgehauen: sie hatte meinen
Worten so viel Aufmerksamkeit geschenkt.
38
*38-41 TT Umfrage_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:06 Seite 39
Zehra, Deutsch-Türkin, 34
Bei Romantik kommt mit sofort dieses ganze schnulzige Geschwafel mit Rosen,
Wein und Kerzenlicht in den Sinn. Ich selbst würde mich aber als absolut nicht
romantisch bezeichnen. Klar, ich überrasche meine Freundin auch mal ab und
an, aber dann mit Kleinigkeiten. Denn diese alltäglichen Dinge sind für mich
viel kostbarer und aufrichtiger als einmalige romantische Gesten. Für mich
geht es dabei um Zuneigung, wertschätzende Liebe und gegenseitige Rücksichtnahme. Meine Freundin und ich sind jetzt seit 15 Jahren zusammen – ich
habe sie nicht ein einziges Mal mit Rosenmeer und Kerzenschein überrascht.
Dafür habe ich eine Geschichte, die zwar nicht unbedingt romantisch ist, aber
in der meine Freundin einfach süß und super aufmerksam war. Ich bin unter
anderem Schauspielerin und hatte eine wirkliche wichtige Aufführung. Erst
hieß es, dass sie nicht kommen kann, weil sie arbeiten muss. Ich war tierisch
aufgeregt an dem Abend und es war niemand da, den ich kannte. In diesem
Moment habe ich mich ein bisschen allein gefühlt. Als es dann soweit war und
ich vor dieser ganzen Menschenmasse stand, habe ich sie auf einmal entdeckt
– sie stand, etwas versteckt, in der hintersten Ecke. Das war für mich ein sehr
kostbarer Moment, weil mir das sehr viel Sicherheit gegeben hat. Das sind
diese Momente in denen ich merke, dass ich wirklich geliebt werde.
Sasha, Russin, 32
Bei Romantik denke ich vor allem an die klassische russische
Literatur: Bulgakow, Dostojewski, Jessenin – deren Werke
handeln alle von Leid und davon, dass Liebe auch immer mit
Leid verbunden ist. Das ist typisch für Russland: Wir lieben es zu
leiden und dies mit anderen zu teilen, das ist Teil der russischen
Kultur. Was die Romantik angeht, kommt es auf die gesellschaftliche Schicht an, über die wir sprechen. Wenn wir über
die Mittelklasse in Moskau sprechen, sind materielle Dinge sehr
wichtig. Teure Geschenke, teure Blumen, ein teures Restaurant
– es gilt als romantisch, wenn man seinem Date etwas Teures
schenkt. Dies entspricht aber nicht meinem Verständnis. Für
mich bedeutet Romantik nichts Materielles, sondern meiner
Partnerin Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu
verstehen. Ihr geht es genauso. Ich habe lange Zeit an Depressionen gelitten und war in einem wirklichen schlechten
Zustand. Ich lag über Wochen im Bett und konnte mich nicht
bewegen und nichts machen. Meine Partnerin hat mich lange
beobachtet. Eines Tages kam sie nach Hause, nahm mich,
steckte mich einfach ins Auto und sagte mir nicht, wo es
hingeht. Sie fuhr drauflos und sagte gar nichts. Sie fuhr mit mir
ans Meer. Mitten im Winter. Es tat so gut. Sie zeigte mir damit,
dass ich ihr wirklich wichtig bin und dass sie auf mich achtgibt.
Diese leergefegte Küste im Winter und sie an meiner Seite – das
war einer der romantischsten Momente, die ich je erlebt habe.
39
*38-41 TT Umfrage_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:06 Seite 40
ROMANTIK
Alison,US-Amerikanerin, 42
Für mich bedeutet Romantik Fantasie – man malt sich aus, wie
etwas auf eine bestimmte Art und Weise passieren könnte.
Man glorifiziert eine Situation. Alle Sinne sind geschärft. Man
ist sehr präsent und befindet sich genau im Moment. Man
gleitet einfach ab in diese Magie und diese Gefühle. Es ist eine
körperliche Empfindung, die man überall spüren kann. Ich
selbst bin absolut romantisch. Meine Ex-Freundin war sogar
manchmal von mir genervt, weil sie an so viel Romantik nicht
gewöhnt war. Mit meinen verschiedenen Partnerinnen habe
ich viele tolle Momente erlebt und jede war auf ihre Art ganz
besonders. Aber eine Geschichte toppt alles: Als ich 15 Jahre
alt war, habe ich meine erste große Liebe getroffen – Erika aus
Österreich. Sie war Austauschschülerin an meiner High School
in den USA. Wir waren für neun Monate zusammen. Nach dem
Schuljahr zog sie zurück nach Österreich und ich sah sie nie
wieder. Für lange Zeit haben wir uns Briefe hin und her
geschrieben, doch das ließ irgendwann nach. Danach habe ich
nichts mehr von ihr gehört. Viele Jahre lang habe ich immer
mal wieder nach ihr gesucht und es gab keinen Weg, sie
ausfindig zu machen. Eines Abends – vor ungefähr einem Jahr
– beende ich eine meiner Kochschichten im Restaurant. Ich
trage also den Müll raus, gehe um die Ecke und auf einmal
steht da diese Frau. Es ist unglaublich aber wahr – es war Erika.
Katayun, Iranerin, 52
Ich glaube, ich bin wirklich die romantischste Frau des Jahrhunderts. Ich habe
quasi die Romantik erfunden. Vielleicht kommt das durch mein persisches
Dasein. Ich bin stark beeinflusst von dem persischen Dichter Rumi, der nur über
Liebe geschrieben hat. Er hat einmal gesagt: Wo immer du bist, was immer du
tust, sei verliebt. Ich glaube fest daran: Für mich ist Liebe die Lösung. Ich bin
sehr realistisch, aber ich finde, dass man letztendlich alles durch Liebe schaffen
kann. Und Romantik ist eine Verpflichtung, dem Menschen, den man liebt,
durch Gesten oder Bewegungen zu zeigen, dass man ihn liebt. Ich hatte eine
Trennung von einer Freundin und bin dann erstmal für zwei Wochen nach
Kreta geflogen. Ich hatte mir eines geschworen – nie wieder Frauen! Der Urlaub
war schön. In der letzten Nacht war ich mit einer Reisebekanntschaft essen.
Alles verlief harmlos – bis ich auf einmal zum anderen Tisch hinüber sah. Da saß
eine Frau mit blauen Augen, braun gebrannt – sie leuchtete fast. Ich war so
begeistert. Ich habe mein Essen liegen gelassen, bin aufgestanden, zu ihr
gegangen und habe gesagt „Hör zu, ich fliege morgen weg. Wäre ich hier
geblieben, hätte ich alles getan, um dich kennenzulernen!“ Ich habe dann noch
schnell bezahlt und bin gegangen. Später habe ich noch einen Cocktail am
Strand getrunken. Auf einmal kam sie an, setzte sich zu mir und von da an
haben wir uns nicht mehr getrennt. Drei Monate später ist sie zu mir gezogen
und wir waren danach 16 Jahre zusammen. Das war die große Liebe und das
Schönste, was mir je passiert ist.
40
*38-41 TT Umfrage_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:06 Seite 41
Paulita, Spanierin, 27
Was mir persönlich durch den Kopf
geht, wenn ich an Romantik und
Spanien denke, ist, dass 2015 schon
über 40 Frauen aus romantischen
Gründen ermordet wurden. Ich
finde, dass viele sexistische
Verhaltensweisen und Beziehungsmuster unter dem Deckmantel der
Romantik entschuldigt oder sogar
als positiv anerkannt werden,
obwohl sie für mich schon sehr an
Gewalt grenzen. Meiner Meinung
nach gibt es in Spanien einen
Mangel an alternativen RomantikBildern. Das ist schon alles sehr
klischeehaft, was die MainstreamMedien vermitteln. Darstellungen,
die sich davon abgrenzen, gehen
dann gleich ins andere Extrem. Zum
Beispiel die Filme von Pedro
Almodóvar – da wird die Romantik
zwar übertrieben und daher irgendwie auch kritisiert. Aber dies
geschieht mit einer Art von Humor,
bei der ich bezweifele, ob diese
wirklich als Kritik oder nicht doch
eher als eine Reproduktion von
eben jener Vorstellung von
Romantik gelesen wird. Ich bin auf
jeden Fall feministisch und gegen
dieses verkäufliche Konzept von
Romantik und heuchlerischen
Gesten. Ich habe ein alternatives
Konzept von Romantik: Ich persönlich finde es romantisch, wenn ich
mich eben nicht an das Datum
erinnere, an dem meine Partnerin
und ich uns zum ersten Mal geküsst
haben. Ich finde es romantisch,
wenn solche Dinge egal sind.
41
*42-43 TT AntiRomantik_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:10 Seite 42
ROMANTIK
BALDRIAN FÜRS
Unsere Vorstellung von
Romantik ist geprägt
durch Normen und
Kommerz. Es geht
um mehr als die intime
Zweisamkeit. Es geht um
gesellschaftliche
Anpassung – eine kritische
Betrachtung der Romantik
Traut man einer kursorischen Google-Suche zum Begriff
„Romantik“ zu, Aussagen über kulturelle Praktiken in
deutschsprachigen Ländern zu treffen, verhält es sich mit der
romantischen Praxis hierzulande derzeit ungefähr so: Zuerst
geht man zu zweit barfuss bei Sonnenuntergang einen Strand
entlang, bohrt mit der großen Zehe Herzchen in den Sand, um
dann in ein mit Ikea-Teelichtern zugerümpeltes Romantikhotelzimmer einzukehren. Anschließend nimmt man sekttrinkend ein Schaumbad in einer Eckbadewanne voller Rosenblätter. Nachdem die halbwelken Blättchen von der nassen
Haut gepult sind, liegen die Romantikerinnen, in weiße Hotelfrottierbademäntel gehüllt, zusammen auf dem Kingsize-Boxspringbett herum, starren Löcher in die Luft und dichten sekttrunken unfreiwillige Schüttelreime über die ewige,
klebrige Zweisamkeit.
Romantik-Hotels und Dosen-Prosecco
Buchcover von
„I Am a Woman“
von Ann Bannon,
Fawcett Publications,
1959
42
Die Soziologin Eva Illouz beobachtete bereits Ende der 1990er
Jahre, dass die romantischen Anbahnungsrituale symbiotischer Pärchenverschmelzung im Laufe des 20. Jahrhundert
nahezu komplett durchkommerzialisiert wurden. Sei es der
gemeinsame Kinobesuch, das Dinner bei Kerzenschein oder
auch nur der geteilte Dosen-Prosecco auf dem MelissaEtheridge-Konzert – sämtliche populären RendezvousVarianten sind gegenwärtig mit Konsumpraktiken verknüpft
und Konsum wiederum wurde somit mehr und mehr mit
romantischen Vorstellungen aufgeladen. Erst mit dem Date als
Beziehungsanbahnungsinstrument, das die ältere Praxis der
„Vorstellung“ bei den Eltern der Angebeteten im 19. Jahrhundert
langsam ablöste, verlagerte sich die romantische Praxis heraus
aus der Familie in die Öffentlichkeit und damit in die Sphäre
des Konsums. Doch nicht nur das. Mit ihren Wurzeln in der
Frühphase der bürgerlichen Ehe war Romantik immer schon
untrennbar mit der heteronormativen Geschlechterordnung
verknüpft. Romantische Liebe, verstanden als Einheit sexuellen
Begehrens, unkontrollierbar erscheinender emotionaler
Anziehung und gleichzeitiger Partnerschaftswütigkeit, konnte
sich erst im späten 18. und 19. Jahrhundert als Ideal durchsetzen.
Wurden Ehen vormals primär als wirtschaftliche Zweckverbindung oder als Erbfolge-Absicherungsmaßnahme
geschlossen, brauchte die bürgerliche Ehe, die auf Gründung
einer Kleinfamilie abzielte, noch etwas zusätzlichen „Kitt“, um
sie als Beziehungsmodell attraktiv erscheinen zu lassen:
Die romantische Liebe.
*42-43 TT AntiRomantik_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:10 Seite 43
VOLK
Zweisamkeit als Schlüssel zum Glück?
So wurde bürgerlichen Frauen die Rolle zugedacht, sich mit Hilfe stark ritualisierter
romantischer Gesten – Blumen, kleine Geschenke et cetera – „erobern“ zu lassen, um
dann später als ebenso emotionale wie sittliche Gattin über Haus und Kinder zu wachen,
während der Gatte die Sphäre der Öffentlichkeit und Berufsarbeit bespielte. Wie Literaturwissenschaftlerin Judith Coffey beschreibt, ist die moderne Form von romantischer Liebe
also auch das, was die heterosexuelle Gesellschafts- und Geschlechterordnung nicht nur
beständig bestätigt, sondern sie begehrenswert erscheinen lassen soll. In dieser Vorstellung liegt in der heterosexuellen romantischen Zweisamkeit mit einem – und nur einem –
Partner der Schlüssel zum Glück und erfüllten Leben.
Romantik ist also keineswegs nur eine hübsche Beziehungsanbahnungsspielerei, sondern
für Frauen und Lesben strenggenommen Arbeit an der eigenen Marginalisierung: „Liebe
ist Baldrian fürs Volk“, sangen die Lassie Singers schon in den 90er Jahren. Zwar hat die
romantische Liebe, insbesondere in Form der bürgerlichen Ehe, in den Jahrzehnten seit
der sogenannten „Sexuellen Revolution“ einiges an Kritik erfahren müssen. Doch gerade
in den letzten Jahren erfreut sie sich einer unheimlichen Renaissance. Heiraten, Romantikwochenenden, ja sogar Verlobungen sind plötzlich auch unter Lesben beliebt. Selbst die
Filmindustrie hat Lesben als Zielgruppe romantischer Komödien entdeckt: Da überleben
dann zwar ausnahmsweise meist beide Hauptdarstellerinnen, Singlezuschauerinnen
sollen sich allerdings schon zu Tode gelangweilt haben – und Pärchen gucken so was ja
nur, weil im Dunkeln Knutschen so romantisch ist.
Abbildung: Spinnboden, Berlin
Romantik-Coaching für schal gewordene Liebe
Das Gute an der Romantik ist allerdings, dass sie nicht ewig hält. Auch hieraus weiß die
Romantikindustrie Kapital zu schlagen: Paartherapien, völlig unsinnige Beziehungsratgeber und sogar Romantik-Coaches befassen sich mit dem drohenden Scheitern der romantischen Zweierbeziehung und versuchen, die schal gewordene Liebe durchs verflixte
siebte Jahr zu retten. Denn genau das, was sie eigentlich erträglich machen soll, verträgt
die Romantik am allerwenigsten: Alltag. Mit der Einkehr des Alltags in die Beziehung wird
aus dem kerzendekorierten Hotelzimmer die heimische Wohnhöhle, in der Netflix in
unendlicher Dauerberieselung eine HBO-Serie nach der anderen zur Ablenkung von der
Banalität des Alltags ausspuckt und an Zeiten erinnert, in denen man noch Träume hatte.
Statt Rosenblättern säumen nun halbleer gefressene Chipstüten, Brösel von der Tiefkühlpizza und müffelnde Socken die gemeinsame Lagerstätte. Das entromantisierte Paar
praktiziert die Höhepunkte zweisamer Einsamkeit nun in Snoopiemuster-Flanellpyjamas
auf der Couch. Dort singen sie sich nach dem Fernsehen gegenseitig Lieder von Christiane
Rösinger über die Überbewertung der Liebe vor und dann fängt entweder endlich der
chillige Teil der Beziehung an oder es geht mithilfe von Parship und Lesarion in eine neue
Runde des Rosenteile-Konsumterrors.
// Katrin Kämpf
L-MAG
43
*44-45 TT Dunkle Romantik_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:17 Seite 44
ROMANTIK
MORD,
VAMPIRINNEN,
TOD:
Die dunkle
Seite der Romantik
In Düsternis gehüllter Kitsch
oder morbide Lust an
Todessehnsucht?
Düstere Romantik spaltet
Geister und Gemüter – in Poesie
und Realität
44
*44-45 TT Dunkle Romantik_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:17 Seite 45
Abbildung:Yale University Library, Beinecke Rare Book and Manuscript Library
Buchcover von „Three Women“
von March Hastings,
Beacon Books,
1958
Die dunkle, abgründige Seite der
Romantik flutet in diversen Motiven
durch unsere Medien und legt damit
subtil fest, wann wir etwas als romantisch empfinden und wie wir dabei
fühlen (sollen). Besonders offensichtlich wird die moderne Düster-Romantik
in dem Vampir-Hype der letzten Jahre
und in millionenfach gelesenen SMRomanen abgefeiert. Subkulturen wie
die Gothic- oder die Emo-Szene
definieren sich über Ausprägungen
der Schwarzen Romantik.
Düsternis und Romantik – da hat sich
wohl ein neues Traumpaar gefunden.
Neu? Gar nicht so neu: Bereits in der
namensgebenden Epoche, besonders
deutlich in der Spätromantik, zeichnet
sich eine Vorliebe für das Bizarre und
Groteske in Literatur und Kunst ab. Als
virtuoser Darsteller der düsteren, sarkastischen Sicht auf Verhältnisse kann allen voran
der romantische Autor E.T.A. Hoffmann
(1776–1822) genannt werden. Mit seiner
literarischen Hinwendung zum Unheimlichen
ist er ein Meister der Schauerromantik. Seine
Werke zielen pointiert auf die Nachtseiten und
Abgründe der menschlichen Seele. Das erwachende Interesse am Wahnsinn und anderen
dunklen Seiten des Seins rechtfertigt Hoffmanns Zeitgenosse Friedrich Schlegel
(1772–1829) so: „Aus dem romantischen
Gesichtspunkt haben auch die Abarten der
Poesie, selbst die exzentrischen und monströsen, ihren Wert, als Materialien und Vorübungen der Universalität, wenn nur irgend etwas
drin ist, wenn sie nur original sind.“
Originalität also über alles; da rücken auch
Abarten in den Fokus und werden bewusst in
literarische Szene gesetzt. Offensichtlich mit
nachhaltigem Erfolg, denn der romantische
Reiz des Dunklen und Abgründigen ist heute
ebenso en vogue wie damals.
Die Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel
definiert Schwarze Romantik in ihrem Buch
„Nachtmeerfahrten“ als Geisteshaltung, „die
aus einem besonderen, von Zweifel und Ambivalenz gekennzeichneten Weltempfinden
herrührt.“ Sie beschreibt damit eine Haltung,
die in einigen gegenwärtigen Strömungen
und (Sub-)Kulturen bewusst forciert wird und
die Szenekulturen schwarzromantisch prägt.
So etwa den Vampirismus. Die Hingezogenheit
zu Vampiren erlebt im aktuellen Jahrtausend
einen kollektiven Aufschwung, wie die
steigende Häufigkeit des Motivs in Literatur
und Film annehmen lässt.
Liebe über den Tod hinaus
Die geheimnisvolle Aura der Untoten, ihr
Auftreten, ihre besonderen Ästhetik und allen
voran ihr Begehren und Lieben, scheinen eine
romantische Trivial-Ader der Zeit zu treffen.
Das Motiv bietet mit der Figur der lesbischen
Vampirin auch Identifikationspotenzial für
Lesben. Erstmalig setzt Sheridan Le Fanu in
seinem Roman „Carmilla“ (1872) die frauenverführende, sadistische Vampirin in die literarische Welt. Es ist ein düsterer, unheimlicher,
auch erotischer Roman, der durchaus – wenn
auch in altmodisch anmutendem Sprachduktus – Züge einer SM-Geschichte trägt. Die
spezielle dunkle Romantik, die der Roman
transportiert, lässt sich in folgenden Worten
Carmillas erahnen: „Meine tiefe Demütigung
genießend, lebe ich in deinem
warmen Leben, und du wirst in mein
Leben hineinsterben – süß sterben.“
Liebe, Sehnsucht, Grausamkeit,
gepaart mit ein wenig Besessenheit.
Ein Buch, das es sich auch heute noch
zu lesen lohnt und in dem bereits
angelegt ist, was sich in einer der
derzeitigen Formen schwarzromantischer Auswüchse wiederfindet:
BDSM-Romantik. In dem eigenen
(Trivial-)Genre, genannt BDSMRomance, werden Liebe und BDSM
verknüpft in Erzählungen von
erotischem Spiel, Unterwerfung,
Schmerz, Abgrund und Verlangen.
Durchzogen von einem romantischen
Grundton, ist es in erster Linie
Sehnsucht, die in den BDSM-Romanzen
bedient wird. Sehnsucht scheint der
Motor für romantische Empfindungen
jeglicher Art zu sein. So auch für den romantisch inszenierten Mord oder Selbstmord aus
Liebe. In Japan gibt es sogar eigene Bezeichnungen dafür: „Shinjū“ ist der Tod in gegenseitigem Abkommen von zwei oder mehr
Menschen, die sich emotional nahe stehen.
Für Liebespaare gibt es einen eigenen Begriff:
„Jōshi“ bezeichnet den gleichzeitigen Selbstmord zweier Liebender. Kunst und Literatur
bedienen sich des Motivs noch heute und
erschaffen dabei eine Vorstellung von Romantik,
die die große Liebe in der Treue über den Tod
hinaus definiert. Ein recht endgültiger Sinn für
Romantik, über den sich streiten lässt. Fakt ist:
Wie damals in der Spätromantik geht auch
heute noch eine Faszination von Düsterem und
Abgründigem aus; oft untermalt von Dunkelheit und Nacht. Die Nacht als Konterpart zum
Tag steht für das Rätselhafte, Unheimliche –
letztendlich für den Tod als Aufhebung aller
Grenzen. Und ein Mittel, dem Tod in all seiner
Unfassbarkeit zu begegnen, ist die romantische
Überhöhung. So sagte schon einst Karoline
von Günderrode (1780-1806): „Zum Lebensgipfel wird des Daseins Ende“, und brachte sich
mit drei Stichen ins Herz um.
Ende.
// Judith Czaakert
45
*46-47 TT Valentinstag_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:52 Seite 46
ROMANTIK
IM NAMEN DER ROSE?
Valentinstag – Fest der Romantik oder abgeschmackter Konsumkitsch für die bürgerliche
Vorstellung von Zweisamkeit? Die L-MAG-Redaktion ist gespaltener Meinung
Für mich solls’s rote Rosen regnen
Dana Müller (Redakteurin)
Zugegeben, es ist wohl der kitschigste Tag im Jahr.
Und ja, er wurde von der Blumenindustrie erfunden –
es ist Konsum und Kommerz. Na und? Das Gleiche gilt
für Weihnachten. Den Weihnachtsmann mit Rauschebart und rotem Mantel hat Coca Cola erfunden. Und
trotzdem freuen sich Kinder unterm Weihnachtsbaum, wenn der alte Patriarch vor ihnen steht und mit
kapitalistischen Gütern um sich wirft – sollen sie auch!
Mit ihrer kindlichen Naivität fragen sie nicht nach
Kommerzialisierung oder religiöser Tradition eines
christlichen Festes. Im Idealfall genießen sie die
familiäre Idylle. Was Weihnachten angeht, habe ich
die kindliche Naivität schon lange verloren. Ich sehe
nur Kommerz und zwanghaften Familienfrieden, der
in den meisten Fällen nicht mal den Heiligen Abend
übersteht.
Aber beim Valentinstag hab ich mir meine verträumte
Naivität trotz Liebesdramen bewahrt. Vielleicht liegt
es daran, dass ich mir ja aussuchen kann, wem ich ein
traumhaftes Frühstück mit Rose verziert ans Bett
bringe. Vielleicht liegt es an dem Versprechen, den
Tag oder wenigstens die Nacht gemeinsam mit einer
Auserwählten im Bett zu verbringen. Weihnachten
hingegen zottelt man von einem Familienmitglied
zum nächsten – das ist Stress. Aber am Valentinstag
kann ich tun, was mir gefällt. Ich kann einer tollen
Frau Freude bereiten – egal ob ich grad Single bin
oder in einer Beziehung.
Klar könnte man seiner Angebeten jeden Tag eine
Nettigkeit schenken. Aber mal ehrlich, wer macht das
noch nach jahrelanger Beziehung? Irgendwann
schleicht sich der Alltag ein und aus anfänglichen
Liebesbriefen werden kurze Notizen à la „Schatz,
komme heute später. Kannst du einkaufen? Kuss.“
Und dann ist Valentinstag. Egal wie cool und
kämpferisch wir sind, ganz tief in unserem Herzen
freuen wir uns über eine kleine Aufmerksamkeit. Und
darum geht es: Aufmerksamkeit. Und um die Aussage
„Du bist etwas Besonderes für mich“. Es müssen ja
nicht rote Rosen sein. Es kann auch einfach eine handgeschriebene Liebeserklärung mit geheimnisvoller
Einladung sein. Und dann geht’s zu dem Ort, an dem
man sich zum ersten Mal geküsst hat, oder vielleicht
einfach ins Theater. Danach schaut man gemeinsam in
den Sternenhimmel und vergisst für ein paar Minuten
den Alltag. Von mir aus kann es auch ein gemeinsamer
Fallschirmsprung sein. Was zählt, ist die Aufmerksamkeit. Und das gilt auch für alle Singles. Nutzt doch die
Gunst der Stunde. Es gibt da eine interessante Frau?
Doch ihr seid zu schüchtern? Eine einzelne Rose
heimlich in den Briefkasten gesteckt, sagt mehr als
1.000 Worte. Ich halte es jedenfalls mit Hildegard
Knef: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“.
46
Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen
Manuela Kay (Chefredakteurin)
Welch schöne Tradition: Am 14. Februar wurde jemandem der Kopf
abgehackt und aus diesem Anlass schenken sich Pärchen nun Rosen.
Im Römischen Reich soll ein gewisser Valentin verliebte (Hetero-)paare
mit Blumen aus seinem Garten beschenkt haben und diese auch nach
christlichlicher Art getraut haben, was einem im 3. Jahrhundert in Rom,
als das Christentum noch verboten war, schon mal den Kopf kosten konnte.
Jahrhunderte später, als das Christentum seine unrühmliche Beinahe-Weltherrschaft erlangte, wurde Valentin zum Heiligen erklärt, und der Tag seiner
Köpfung zum „Tag der Liebenden“. So zu erfahren übrigens auf so aufschlussreichen Webseiten wie hausfrauenseite.de – wenn das nicht alles sagt!?
Wie bei vielen christlichen Traditionen geht es um die Zelebrierung der
monogamen und möglichst ewigen Zweierbeziehung. Was mit Blumen am
Valentinstag vielleicht in erster Verliebtheit beginnt, endet mit Ehe, Kinder,
Küche, Scheidung …
Auch wir Lesben wachsen in einer Welt auf, die zwei Sorten Menschen
unterscheidet: Singles, deren Dasein beklagenswert ist und geändert werden
muss, und jene, die es „geschafft“ haben, weil sie nämlich jemanden
„abbekommen“ haben. Und wer „vergeben“ ist und „eine bessere Hälfte“
hat (grusel …), demonstriert dies am Valentinstag mit kitschigen Karten,
Blumensträußen und Pralinen an eine Person, die man für „die große Liebe“
hält. Seht her: Ich hab jemanden! Die Botschaft an die Beschenkte lautet
allerdings eher: Du gehörst mir, bleib gefälligst da!
Und Lesben mischen in unendlicher Naivität mit. Sich möglichst so wie
Heteros verhalten, dann mögen uns auch alle viel mehr und wir können
unsere „Normalität“ feiern und uns normgerecht mit Rosen bewerfen. Wenn
ich eine Frau wirklich mag, begehre oder liebe, brauche ich wohl kaum einen
Valentinstag, um ihr dies zu zeigen. Rosen, Pralinen, Kinogutscheine – das ist
doch eher armselig und einfallslos als überzeugend. Wer will so was? Ist das
romantisch? Oder einfach nur saublöd?
Können wir uns nicht mal neue Riten und Wege ausdenken? Auf der Webseite
Jesus-News24.de (wo man überall landet wenn man sich mit dem Valentinstag beschäftigt) ist zu erfahren, dass der 14. Februar auch mal als Fest der
sexuellen Freizügigkeit begangen wurde. Es gab Feste, bei denen Frauen
die Wiederkehr des Lebens nach langem Winter feierten und dabei auch
erotische Spiele ausprobierten. Auf Papyrusstreifen schrieben sie ihren
Namen und warfen sie in einen Kelch, aus dem (nackte!) Männer einen Zettel
zogen. Die beiden gingen daraufhin eine vorübergehende Beziehung ein …
Na, also: War ja nicht alles schlecht bei den Christen. Freizügigkeitsfest – da
könnten sich Lesben doch zum Valentinstag mal ‘ne Scheibe von den Heteros
abschneiden, oder?
*46-47 TT Valentinstag_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:12 Seite 47
NUR VORRÜBERGEHEND
L-MAG
47
*48-49 TT Test_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:54 Seite 48
ROMANTIK
WIE ROMANTISCH
BIST DU?
DER L-MAG-ROMANTIK-CHECK
1.
Was ist dein Lieblingslied?
 „Call Your Girlfriend“ (Robyn) 3
4.
 „Atemlos durch die Nacht“ (Helene Fischer) 5
 „Heterowelt – leck mich am Arsch“ (UnterRock) 1
 „Total Eclipse of the Heart“ (Bonnie Tyler) 7
2.
Welcher Film rührt dich zu Tränen?
 „Blau ist eine warme Farbe“ … schmacht! 5
 Ich heul nicht bei Filmen, höchstens wenn meine
Katze sich das Bein bricht 3
 Alle Disney Filme. Ich brauch nur dran zu denken
und mir steigen die Tränen in die Augen 7
 Tränen? Was ist das? 1
3.
Was liest du deinem Date
oder deiner Liebsten vor?
 Eine Reise mit einem „Room in Rome“ und
Candle-Light-Dinner 7
 Auf jeden Fall was Persönliches, wie eine
selbstgebackene Torte mit ihrem Gesicht 5
 Ich kann nicht jeder ein Geburtstagsgeschenk machen.
Wenn ich das Datum weiß, bekommt sie eine SMS 1
 Gutschein von Ikea oder Grillbesteck
(sie macht einfach die besten Burger) 3
5.
Was machst du zum ersten Date?
 Bei mir gibt’s nur erste Dates 1
 Das erste Date ist das Beste an allem. Die Aufregung,
das Kribbeln, die Frage „Mag sie mich?“… Am Ende auf
jeden Fall der Spaziergang mit Knutschen vor der Haustür 5
 Gedichte von Sappho 5
 Wenn ich doch mal wieder ein Date hätte.
In meinem Umfeld sind kaum Lesben und
bei Lesarion trifft man nur Freaks 3
 Ich les’ doch ner Frau nix vor. Ich will Action!
Wenn ich ihr was vorlesen muss, bin ich weg 1
 Um mir weitere Enttäuschungen zu ersparen, habe
ich mein letztes erstes Date gleich geheiratet 7
 Ich liebe vorlesen. Bei dem Gedanken wird mir schon ganz
warm ums Herz. Am besten etwas Selbstgeschriebenes 7
 L-MAG oder den Wetterbericht 3
48
Was schenkst du ihr zum Geburtstag?
*48-49 TT Test_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:54 Seite 49
8.
6.
Wie sieht deine Traum-Hochzeit aus?
Die erste Nacht ist vorbei.
Was machst du am Morgen danach?
 Wenn die Chemie stimmt, bekommt sie meine
Telefonnummer 3
 Die Ehe ist eine patriarchische Institution und ein
Rückschritt in der homosexuellen
Emanzipationsbewegung. Die Privilegierung der
monogamen Zweierbeziehung gehört abgeschafft! 1
 Bei mir gibt’s natürlich das komplette Verwöhn-Programm.
Frühstück ans Bett ist das Mindeste 5
 Der Traum: Bali am Strand, weiße Tauben fliegen in den
Sonnenuntergang, zwei Kinder tragen die 10-MeterSchleppe, des weißen Prinzessinenkleides 7
 Wenn wir jemals im Bett landen, halte ich sie morgens so
lange wie möglich fest und will das Bett nie wieder
verlassen 7
 Wenn es wirklich die große Liebe ist, dann nur mit einer
Riesenparty und einem tollem Outfit 5
 Da bin ich schon längst wieder in meinen eigenen vier
Wänden und schlafe 1
7.
Was machst du am Valentinstag?
 Ich hasse Valentinstag! Am Ende sitze ich doch alleine
mit meiner Katze auf der Couch, esse kiloweise Eis
und schau mir „L Word“ an 3
 Eigentlich ist die Ehe überholt. Aber steuerlich bringt
sie schon Vorteile. Dafür reicht das Standesamt 3
9.
Was machst du bei Liebeskummer?
 Ich heule bei jeder Gelegenheit. Ein Freund erzählt von sei
nem Bali-Urlaub? Ich breche in Tränen aus.
Da wollten wir doch immer heiraten ... schluchz! 7
 Wann ist der noch mal? März? April? 1
 Hatte ich das letzte Mal, als ich unsterblich in meine
Sportlehrerin verliebt war. Das war ich 12 Jahre alt 1
 Ich beende mit Überzeugungskraft und pfiffigen
Ideen mein Single-Dasein. Wenn ich in einer Beziehung
bin, gibt es Verwöhnprogramm 5
 Mit Freundinnen Bier trinken, bis ich vom Hocker falle und
sie mich nach Hause tragen. Am nächsten Tag weiß ich
dann nicht, was schlimmer ist: Liebeskummer oder Kater 3
 Kreisch! Valentinstag. Wenn ich nicht schon im Dezember
weiß, was ich meinem Schatz schenken soll, dreh ich durch 7
 Hach ja, irgendwann erwischt es jede. Ich leide, kann nicht
essen und denke nur an sie. Aber mit guten Freundinnen
und Freunden jeder Menge Ablenkung übersteht man auch
das bis zur Nächsten 5
Anti-Romantikerin
9–17 Punkte
Realistin
18–35 Punkte
Romantikerin
36–53 Punkte
Die Hoffnungslose
54–63 Punkte
Du kommst gern ohne Kerzenschein und schnulzige Musik aus.
Du hast die Verlogenheit von
Weihnachten, Valentinstag und
Co. durchschaut und widmest
dich lieber echter Action oder
politischem Engangement statt
scheinheiliger PseudoGeborgenheit.
Für Romantik hast du keine Zeit.
Gefühle gehören für dich zur
richtigen Zeit an den richtigen
Ort, dazu brauchst du aber
keinen Sonnenuntergang, lieber
ein vernünftiges Gespräch.
Du stehst eben auf Blumensträuße, tiefe Blicke in die Augen,
Kaminfeuer, Kerzenschein … das
ganze Programm. Und du stehst
dazu und lässt auch andere an
deinen romantischen Anwandlungen teilhaben.
Du bist hoffnungslos verloren in
Sehnsucht nach ewigem Schnulz
und Kitsch. Du heiratest (auch
wiederholt) in Weiß und am
Strand und bist nah am Wasser
gebaut, auch wenn nur eine
kitschige Pralinenwerbung im
Fernsehen läuft.
49
*50-53 Foto_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:24 Seite 50
FOTO
50
L-MAG
*50-53 Foto_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:24 Seite 51
Die Fotografin Egle Trezzi tauchte in die Londoner Partynächte ein.
L-MAG zeigt eine Auswahl ihrer Fotos von der Partyreihe „Lemon Juice“
London Calling
Egle Trezzi ist Fotografin in London und zeigt
Frauen beim Feiern, Lachen, Tanzen und
Küssen. Entstanden sind die Bilder bei „Lemon
Juice“ im East-Londoner Stadtteil Dalston –
einer Partyreihe, organisiert von vier Frauen.
Giula Astesani, Jessie McLaughlin, Roshana
Rubin-Mayhew und Lalu Delbracio lernten sich
während des Master-Studiums für Kunst und
Fotografie am London College of Communication kennen und riefen 2014 das Künstlerinnenkollektiv GJRL ins Leben. Alle drei Monate
feiert das queere Partyvolk bei „Lemon Juice“
in immer wechselnden Lokalitäten rund um
London. Das Konzept ist einfach und spontan:
Die Frauen von GJRL suchen nach einer
Location, organisieren DJs und Liveacts und
informieren alle Freundinnen, die wiederum
ihrem Bekanntenkreis Bescheid geben und so
weiter. Giula, Jessie, Roshana und Lalu
finanzieren sich mit „Lemon Juice“ eigene
Kunstausstellungen und Projekte, wollen aber
gleichzeitig auch einen Raum für Queers
schaffen, in dem sie Spaß haben, sich austauschen und feiern können. Für das überwiegend
weibliche Publikum wird jede mögliche Musik
gespielt: von 90er über Prince und Riot Grrrl bis
hin zu Rihanna. Bisher fanden vier „Lemon
Juices“ statt und bald steht eine neue Party an,
irgendwo in London mit jeder Menge Frauen!
www.cargocollective.com/GJRL
www.egletrezzi.tumblr.com
51
*50-53 Foto_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:24 Seite 52
FOTO
52
*50-53 Foto_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:24 Seite 53
53
*54-57 Musik Skin_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:05 Seite 54
MUSIK
„Anarchytecture“ heißt das neue Album von Skunk Anansie,
der Band um die charismatische Frontfrau Skin.
Über das Album und die Herausforderungen einer politischen Rockband
sprach L-MAG mit Sängerin Skin und Schlagzeuger Mark
„Wir lieben Widersprüche“
Kaum eine Band schafft es, lässiger zu
altern als Skunk Anansie. In ihrer über 20jährigen Bandgeschichte haben sie die Welt
mehrfach umtourt, über fünf Millionen
Platten verkauft und dabei FanGenerationen mit Kult-Hits wie „Hedonism“
oder„Weak“ versorgt. An Aufhören ist nicht
zu denken. Ihr neues, sechstes Studioalbum
„Anarchytecture“ erscheint im Januar 2016
und vereint pathosreiche Balladen, tanz baren Elektro-Pop und energetischen
Agit-Rock. Unverwechselbar wie alterslos
bleiben dabei Stimme und Stil von Skin, die
sich neben der Band als Künstlerin, DJ und
Mode-Ikone etabliert hat. Im Februar laden
Skunk Anansie dann zur gemeinsamen
Energiekur auf ihre Europatour ein. L-MAG
traf die Band bei bester Laune bereits vorab
in einem Berliner Hotel.
In den 90ern habt ihr regelrechte Hymnen
des Alternative Rock geschaffen. Was
macht euren Sound heute aus?
SKIN: Zuallererst sind wir eine Rockband. Aber
wir lieben es, zu experimentieren. Das mochten wir schon immer. Heute nutzen wir mehr
elektronische Einflüsse, klingen etwas grooviger. Es wäre ja auch traurig, wenn wir nach
21 Jahren immer noch gleich spielen und
klingen würden.
MARK: Wir sind erwachsen geworden und damit hat sich auch der Sound entwickelt. Aber
54
ich denke, wir sind trotzdem noch die Gleichen, wenn es um
Dinge wie Ärger und Frustration geht, um starke Emotionen
und damit auch um den den bandeigenen Klang.
„Anarchytecture“ heißt euer neues Album: Anarchie trifft auf
Architektur. Was meint ihr damit?
SKIN: Mit dem Titel verbinden wir alle etwas anderes. Für mich
beschreibt er, wie wir grundsätzlich jede Form von Beziehung
gestalten. Beziehungen sind unvorhersehbar, anarchistisch. Um
dieses chaotische Gebilde bauen wir dann ein Glashaus, das
alles zusammenhalten soll. Es geht darum, eine Struktur um
den Wahnsinn zu schaffen. Das funktioniert eben nicht immer.
MARK: Für mich ist es mehr studiobasiert. Alle vier Bandmitglieder versuchten gemeinsam ein Album zu erschaffen, zu
konstruieren. Das war witzig, aber chaotisch.
Herausgekommen sind 11 sehr unterschiedliche Songs.
MARK: Das Album arbeitet mit Gegensätzen. Es gibt Balladen neben schnellem Rock.
SKIN: Der Titelsong „Love Someone Else“ ist nahezu eine DanceNummer. Das ist auch unerwartet. Wir lieben Widersprüche, wir
sind voll von ihnen.
Welche Widersprüche machen euch aus?
SKIN: Mein ganzes Leben ist von Widersprüchen geprägt. Ich bin
eine lesbische, schwarze Frau und Rockstar. Das ist ein
riesiger Widerspruch in sich.
MARK: Ja, da gibt es wohl fast keinen größeren.
S KIN : Immer gegen Konventionen zu handeln und dabei
Aushängeschild einer mittlerweile bekannten UndergroundBand zu sein. Da gibt es dann auch viele Widersprüche als Band.
Wer wir sind, was wir heute machen oder für wen wir gehalten
werden. Aber das ist Teil von Skunk Anansie und davon, immer
Außenseiter zu sein.
In Italien seid ihr Superstars.
SKIN: Ja, dort bin ich in der Jury der TV-Mainstreamshow „The X
Factor“. In Italien sind wir Megastars. Wir sind auch nicht
wirklich eine Underground-Band, aber wir machen Underground-Musik.
In einigen Songs geht es darum, aufzubegehren. Wovon habt
ihr genug?
L-MAG
*54-57 Musik Skin_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:05 Seite 55
„Ich bin eine lesbische,
schwarze Frau und Rockstar.
Das ist ein riesiger Widerspruch in sich“
Fotos: Jackie Baier
Skin gewohnt cool beim
Interview mit L-MAG im Hotel
L-MAG
55
*54-57 Musik Skin_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:05 Seite 56
MUSIK
SKIN: In Europa gibt es aktuell einen Rechtsruck. Da ist es wichtiger denn je, solidarisch
dagegen zu sein und sich einzumischen.
Schon zu Beginn von Skunk Anansie hatten
wir feste politische Überzeugungen und
wollten etwas mit den Songs sagen, das
wollen wir auch immernoch.
M ARK : Ja, viele halten sich in politisch
heiklen Zeiten raus und passen sich einer für
sie gefälligeren Mehrheit an. Mehr Haltung
wäre gut.
Skin, es gibt Fotos von dir auf feministischen
Demos.
SKIN: Ja, das Thema ist mir enorm wichtig. Damals in den 90ern gab es eine Menge Bands
mit Frontfrauen. Wir waren gemeinsam wie eine starke Bewegung. Feministisch zu sein,
wird heute aber nicht mehr als so cool wahrgenommen. Daher finde ich es wichtig, wenn
sich eine kommerziell erfolgreiche Beyoncé
selbst als Feministin bezeichnet. Pop-Feministinnen sind in den Charts mit
ihren Alben und Videos und wollen
verdammt nochmal machen, was sie wollen.
Das finde ich gut. Dafür müssen wir nicht alle
Ansichten teilen.
Du hast dich auch für die Homo-Ehe eingesetzt und 2013 Christiana Wyly geheiratet.
Warum war dir das wichtig?
S KIN : Warum sollten Lesben und Schwule
nicht alle rechtlichen Privilegien erhalten?
Was, wenn deiner Partnerin etwas zustößt?
Als Freundin kannst du über nichts ent scheiden und doch alles verlieren. Der Punkt
ist: Wir sollten alle gleich behandelt werden
und daher gleiche Rechte haben. Christiana
und ich haben uns aber letzten Februar
getrennt. Ich weiß auch nicht, ob ich nochmal heiraten würde. Ich bin wirklich davon
ausgegangen, dass es ein „Für-immer“-Ding
ist. Jedenfalls sollte es zumindest eine
Option sein dürfen.
Das klingt nach großen Veränderung in den
letzten Jahren.
M ARK : Definitiv. Ich bin seit 12 Jahren
trocken. Das ist eine riesige Sache für mich.
56
Hätte ich das nicht geschafft, wäre ich wohl heute nicht hier. Das Alter bringt auch
Gutes. Du wirst bescheidener und offener, wenn du Niederschläge wegsteckst.
SKIN: Ich bin jetzt 48 und es hat sich viel verändert. Mein Songwriting ist reifer und
präziser. Und ich kann heute verrückte Dinge mit meiner Stimme machen, die damals undenkbar waren.
Auch die Ehe hat mich verändert. Die Vorstellung, wieder One-Nights-Stands
haben zu müssen, ist schrecklich. Das wäre ein Albtraum, aufzuwachen und sich
zu fragen, was das denn wieder sollte. Jetzt bin ich gern dauerhaft mit einer
Person zusammen und habe Lust auf gemeinsame Strukturen.
Gibt es denn eine neue Liebe?
S KIN : Ja, ich habe eine neue Freundin. Wir leben in London zwei Minuten
voneinander entfernt. Sie hat ihr Haus, ich habe meins, wir beide haben Hunde.
Sie heißt Stephanie und arbeitet im Finanzbereich. Und ich weiß, Lesben sind
schnell, wenn es ums Zusammenziehen geht. Aber da bin ich erst einmal raus. Ich
bin gerade wieder zurück in mein Haus gezogen, und da werde ich vorerst auch
bleiben.
Das Album endet mit der sehr getragenen Nummer „I'll Let You Down“ und
schließt mit der Zeile „I'm just not good enough“. Warum dieses selbstkritische
Ende?
S KIN : Der Song handelt von dem Druck, immer perfekt sein zu sollen. Das
begleitet die Band und mich ständig. Ich wollte das auch sein – mehr als vegan
und umweltbewusst. Aber ich dachte, nie allem voll entsprechen zu können. Diese
Perfektion gibt es einfach nicht. Und ich war es wohl auch nie.
MARK: Doch, das bist du.
// Steff Urgast
Neues Album: „Anarchytecture“ ab 15. Januar 2016
Europatour im Februar 2016
www.skunkanansie.net
L-MAG
*54-57 Musik Skin_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:05 Seite 57
MARKTPLATZ
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Aufenthalts- und Asylrecht
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Gewaltschutz/Stalking
L-MAG
L-MAG
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*58-59 Musik Eliot Somner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:27 Seite 58
MUSIK
Einfach Eliot
Neuer Stil, neues Selbstbewusstsein: erstmals präsentiert sich
Eliot Sumner als Solokünstlerin mit neuem Album. L-MAG sprach mit ihr
über ihre neue Platte, Schubladen und ihre Beziehung mit dem Model Lucie von Alten
„Ich habe aufgehört,
mich definieren zu wollen“
In den letzten Jahren ist es still geworden um Eliot Sumner, der
Tochter von Sting. Nun meldet sich das frühere Gesicht der Band
„I Blame Coco“ solo und mit bü r gerlichem Namen zurü c k. Im
Januar 2016 erscheint ihr neues Album „Information“. Damit ist
es Eliot gelungen, sich musikalisch und optisch nochmals neu zu
erfinden. Entstanden ist ein in den Bann ziehender, düster-melancholischer Sound zwischen Post-Punk, Rock und Dark Pop.
Synthesizer treffen dabei auf Gitarrenriffs und verbinden sich mit
58
Eliots ganz eigenem, tiefen Gesang. Attitude und Optik verbreiten
zudem die Aura einer rebellischen Jugend. Unaufgeregt und doch
geheimnisvoll. Auf der Bühne brilliert Eliot mit coolem Understatement, intelligentem Songwriting und energiegeladener
Bühnenpräsenz. Sie spielt sich wahrhaft aus jedem väterlichen
Schatten heraus. Zum Auftakt der Deutschlandtour traf L-MAG
Eliot beim Soundcheck für das spä t er von den Fans gefeierte
Konzert im Berliner Maschinenhaus.
L-MAG
*58-59 Musik Eliot Somner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:27 Seite 59
können mein Aussehen nicht einordnen. Es scheint sie zu ärgern,
nicht zu wissen, ob ich Mann oder Frau, lesbisch oder hetero bin.
Aber das finde ich eher amüsant und lasse die Leute da gerne im
Ungewissen.
Funktionieren deine Beziehungen auch ohne Schubladen?
Auch meine Beziehung label ich nicht als lesbisch. Ich sage immer nur,
dass ich eine Freundin habe. Und ein Coming-out hatte ich nie. Ich
habe meine Beziehungen einfach immer gelebt. Ich bin glücklicherweise von Leuten umgeben, die mich so akzeptieren, wie ich bin. Das
ist wundervoll und ein Privileg.
Über Instagram bist du immer wieder mit dem Model Lucie von Alten
zu sehen, sonst ist eure Beziehung kaum Thema in der Öffentlichkeit.
Für mich ist es wichtig, meine Beziehung zu schützen. Ich möchte
nicht, dass alle alles über mein Privatleben wissen. Sie hat ihre Karriere
als Model, ich habe meine. Seit zwei Jahren sind wir jetzt zusammen,
leben gemeinsam in London und New York und sind einfach glücklich
miteinander. Wir haben beide viel zu tun und müssen oft pendeln.
Manchmal reisen wir auch gemeinsam, wie auf dieser Tour. Im kommenden Jahr habe ich aber auch vor, nach Berlin zu ziehen. Das
möchte ich gern einmal ausprobieren. Gerade lerne ich sogar ein bisschen Deutsch, da Lucie auch aus Deutschland kommt. Das sind gute
Gründe, die Sprache zu lernen.
Das ist wunderbar. Was reizt dich an Berlin?
Ich liebe es, in Berlin zu sein, und hatte hier schon tolle Shows. Mein
erster Gig war im Berghain und einmal habe ich mit Lykke Li im
Admiralspalast gespielt. Das war eine beängstigend riesige und doch
grandiose Bühne. Aber es ist auch der Geist der 80er Jahre, der die
Stadt für mich bis heute ausmacht.
Die 80er waren der Glanzzeit des Synthiepop. Hast du dich davon
auch zu deinem Sound inspirieren lassen?
Für das aktuelle Album haben wir wirklich viel aus den 80ern gehört
– insbesondere von Kraftwerk. Ihren Synthesizer-Sound finde ich
absolut genial. Sie sind definitiv eine meiner Lieblingsbands. Aber
auch Bands der 70er sind für mich wichtig, wie Harmonia, Can und
noch einige andere deutsche psychodelische Musik. Diese Verbindung
hat stark zu dem düsteren Sound des Albums beigetragen.
// Interview: Steff Urgast
Album: „Information“ (Universal Music)
www.eliotsumnerofficialmusic.tumblr.com
Foto: Universal Music
L-MAG: Fünf Jahre nach deinem Debütalbum „The Constant“ mit der
Band „I Blame Coco“ bist du nun unter deinem eigenen Namen unterwegs. Was hat sich für dich verändert?
Eliot Sumner: Heute ist meine Musik viel mehr ein Teil von mir
selbst und eher die Musik, die ich wirklich machen möchte. Jetzt gibt
es ein Konzept, eine Richtung, und ich habe auch mehr Kontrolle,
während ich früher noch stark von außen beeinflusst wurde. Aber ich
war eben jung, habe mich ausprobiert und musste erst noch herausfinden, was mich wirklich ausmacht. Mit meiner neuen Band arbeite
ich nun zwei Jahre zusammen und jetzt fühlt es sich so an, als ob ich
Coco hinter mir gelassen habe – dieser Neuanfang ist toll.
Erste Kritiken beschreiben deine Musik jetzt als erwachsener.
Sie ist jetzt wirklich reifer und auch etwas rauer als früher. Die Songs
sind komplexer geworden. Das ist eine Frage von Entwicklung, aber
auch der Übung. Wenn du jeden Tag Songs schreibst, wirst du mit
jedem Mal besser. Und ich hatte fast fünf Jahre Zeit, um nichts anderes
zu machen, als immer wieder Songs zu schreiben.
Dein aktuelles Album heißt „Information“. Was erfahren wir darin über
dich?
Alles über alle wissen zu wollen, ständig zu kommunizieren, darum
dreht sich auch der Titelsong „Information“. Ich denke, wir wissen
letztlich aber nur ziemlich wenig von dem, was in der Welt wirklich
passiert. Daher lese ich auch keine Zeitungen mehr und spreche auch
kaum über Politik. Ich habe nur eine App, die mir gute Nachrichten
sendet. Generell mag ich solche gesellschaftlichen Zwänge nicht. Der
Song „Species“ zum Beispiel handelt davon, man selbst sein zu
können. Das ist mir heute sehr wichtig. Ich finde es toll, Teil einer
Generation zu sein, in der viele Leute einfach so leben können, wie sie
es möchten, und dabei auch ohne Definitionen auskommen können.
Auf welche Definitionen kannst du verzichten?
Ich habe aufgehört, mich definieren zu wollen. Ich nutze gar keine
Labels für mich und denke auch nicht, das diese nötig sind. Ich möchte auch nicht gegendert werden. Ich bin einfach Eliot. Seit knapp zwei
Jahren fühle ich mich mit dieser Idee viel wohler. Als Teenager war
ich sehr unzufrieden.
Auch weil du ständig in Schubladen gesteckt wurdest?
Bei Fotoshootings ist das häufiger vorgekommen. Ich sollte zum
Beispiel Sachen anziehen, die ich nicht tragen wollte. Heute mache
ich solche Erfahrungen nicht mehr. Mittlerweile sind Menschen aber
auch eher von mir irritiert, finden meine Stimme zu androgyn oder
L-MAG
59
*60-61 Musik L-Sounds_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:08 Seite 60
MUSIK
L-SOUNDS
Ein Stern kehrt zurück
David Bowie
Er kann es noch immer. Nachdem David Bowie 2013 mit dem Album
„The Next Day“ ohne Vorankündigung quasi über Nacht sein 10jähriges musikalisches Schweigen brach und mit einer vollkommen
neuen No-Marketing-Strategie einmal mehr zum Vorreiter wurde, ist
es nun die episch-experimentelle Vorabsingle „Black Star“ aus seinem
gleichnamigen, im Januar erscheinenden Album, die ihn erneut zum
meistdiskutierten Künstler der Branche macht. Knapp zehn Minuten
mäandert die spukig-jazzige Klangexegese dahin, eröffnet der Hörerin
einen ganzen gespenstischen Kosmos. Ein Lied wie eine durchwachte
Nacht. Das Album, das mit sieben Songs und einer Laufzeit von etwas
über 40 Minuten erfrischend pointiert und kurz ausgefallen ist, wird
über weite Strecken von einem entfesselten Saxofon und stoischen
Drums getragen. Aus meist chaotisch anmutenden Strophen brechen
refrainartige Melodiegebilde, die einer beim Hören aufregend kalte
Schauer über die Haut jagen. David Bowie ist zurück und schafft mit
69 Jahren das, was viele junge Hipster vergeblich versuchen: im
wahrsten Sinne des Wortes queere Musik. „Black Star“ ist ohne Frage
das beste Bowie-Album seit langer, langer Zeit.
// Jan Noll
„Blackstar“ | Sony Music
www.davidbowie.com
Sensationell
Jeanne Added
Mit dem Duo The Dø machte sich die expressive Sängerin und
Performerin Jeanne Added einen Namen in der französichen IndieSzene. Nach ihrer bemerkenswerten EP „A War Is Coming“ erscheint
nach mehrmaligem Verschieben im Januar das erste Solo-Album der
Französin „Be Sensational“, auf dem sie überaus abwechlungsreich
mit ihrer angenehmen, jazzig angehauchten Stimme auf Englisch
singt. Eine echte Entdeckung! Mehr zu Jeanne Added in der nächsten
L-MAG.
// kay
„Be Sensational“ | Naive
www.jeanneadded.com
Wild und punkig
Amy Antin
Savages
Eine Frau, ihre Gitarre, ihre Stimme und eine
Küche – so das schlichte Konzept dieses mittlerweile fünften Albums der in Köln lebenden
New Yorker Singer/Songwriterin Amy Antin.
Zwölf rein akustische Songs in der neuen Reihe „Kitchen Recordings“,
tatsächlich in der Büroküche mit kleiner, aber feiner Technik beim
Label Meyer Records aufgenommen. Vertonte Gedichte, schwermütige, philospophische Texte, mit glasklarer Stimme eingesungen, das ist
romantische Musik für viele Tassen Tee (gern mit Rum) in der Küche
oder für die ganz langen Winterabende am Kamin.
// kay
„Already Spring“ | Meyer Records
www.amyantin.de
Nach drei Jahren Stille kehrt die Londoner
Post-Punk Revival Band mit ihrem zweiten
Album „Adore Life“ zurück. Treffender könnte
eine Bandname kaum sein. Savages heißt
nämlich „die Wilden“ und genau das ist die Musik und ihre Konzerte.
Dennoch wurde nach Bandgründung der Name ein Jahr diskutiert.
Warum nur? Auf dem neuem Album geht es nun um „Veränderung
und die Macht zur Veränderung“ heißt es in der Selbstbeschreibung.
Auf jeden Fall geht es ordentlich auf die Ohren – nichts für softe
Gemüter. Aber alle Punk-Fans kommen auf ihre Kosten.
// dm
„Adore Life“ | Matador Records
www.savagesband.com
60
Fotos: Sony Music, Marikel Lahana
AUF
TOUR
Küchenmusik
L-MAG
*60-61 Musik L-Sounds_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 18:08 Seite 61
Mehr Soundtrack als Album
Bianca Casady
Bei den Projekten von Bianca Casady, der jüngeren der CocoRosieSchwestern, drängt sich ein Vergleich zu Peaches auf. Beide setzen ihr
musikalisches Können auch perfomativ ein und verhandeln Themen
wie Körperkult, Diversität und Genderfragen. In ihrem aktuellsten
Projekt ohne ihre große Schwester Sierra wird sie von der Band The
C.i.A. und dem Tänzer Biño Sauitzvy begleitet. „Oscar Hocks“ ist
dabei der musikalische Teil zu einem „nicht traditionellen KonzertKonzept“. Biancas Stimme und die gewohnte CocoRosie-Instrumentalisierung sorgen zwar für einen Wiedererkennungswert, doch fehlt
der Bezug zu den aufgeworfenen Fragen und der tieferen Lesart.
„Oscar Hocks“ präsentiert eher einen teilweise musikalisch interessanten, streckenweise etwas dahinplätschernden Klangteppich.
// SV
„Oscar Hocks“ | FANTASYmusic
Revolution für Softies
AUF
TOUR
Liebeslieder
Dota
Mynabirds
Die Kleingeldprinzessin meldet sich zurück.
Nur ist sie schon lange keine Straßenmusikerin mehr. Und Dota ist nicht allein. Ihre
Band „Dota und die Stadtpiraten“ heißt nun
kurz „Dota“. Musikalisch und lyrisch bleibt alles wie gehabt. Die Texte
sind politisch brisant. Auf ihrem neuem Album fragt sie zum Beispiel:
„Warum schützt man die Grenzen der Staaten so gut und die Grenzen
der Menschen so schlecht?“ Kaum eine deutsche Sängerin bringt die
Dinge so auf den Punkt und regt zum so Nachdenken an. Dota steht
für sanfte Liedermacherinnen-Musik zum Mitwippen mit starkem
Inhalt. Auch ihr neues Album ist Musik für Revolutionärinnen und
Friedenskämpferinnen, die eher liebliche Klänge bevorzugen. // dm
„Keine Gefahr“ | Broken Silence
www.kleingeldprinzessin.de
Frontsängerin Laura Burhenn tourte mit der
Band Postal Service 2013 zweimal durch die
USA, danach solo durch Südafrika. Sie verweilte noch eine Weile in Europa und kehrte
nach zwei Jahren mit jeder Menge Inspirationen und Songs im
Gepäck zurück. Für sie steht fest: „Liebe – oder ihr Mangel – ist unser
aller gemeinsamer Nenner. Sie kann uns zerstören, kann uns aber
auch öffnen und Licht ins Dunkel bringen. Und sie ist die Sache, die
uns zum Singen bringen kann.“ Kein Wunder also, dass sich auf dem
neuen Album Lieder finden wie „When I Love, I Love with All My
Heart.“ Das Album der Indie-Pop-Band schreit regelrecht nach Sehnsucht. Es ist schwermütig, verträumt und doch nie langweilig. // dm
„Lovers Know“ | Saddle Creek Records
www.themynabirds.com
Oft kopiert, nie erreicht
Fotos: JM Ruellan, Promo
Für Hilde
L-MAG
Oft kopiert, so gut wie nie erreicht. So einige Interpretinnen haben
sich an den Liedern von Hildegard Knef versucht. Eine brandneue
Edition mit Coverversionen bekannter Titel und drei bislang unveröffentlichten Songs versammelt die Compilation „Für Hilde“. Aus Anlass
des 90. Geburtstag der 2002 verstorbenen Diva interpretiert Deutschlands aktuelle Pop-Szene ihre Lieder neu. Das Line-up ist ansehnlich
und die Versionen sind manchmal überraschend, manchmal na ja.
Frech und frisch wie die junge Knef singt Mieze (Mia) von Berlins
„Sommersprossen“. Samy Deluxe gelingt bei „Von nun an ging’s bergab“ ein originelles und lakonisches Duett mit der Originalinterpetin.
Clueso steuert ein melancholisches „Ich bin zu müde“ bei und die
schöne Cosma Shiva Hagen fasziniert mit „Der Mond hatte frei“. Außerdem dabei: Cäthe, Die Fantastischen Vier, Selig, Jupiter Jones
oder Bela B. Ein Extra-Wow für Platnums „Meine Lieder sind anders“.
Ihr glaubt man das sofort, ansonsten fehlt der große Flash irgendwie.
Aber die Knef muss ja nicht für immer die beste Interpretin ihrer
Songs bleiben.
// Frank Hermann
„Für Hilde“ | Sony Music
www.fuerhilde.de
61
*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:15 Seite 62
FILM
Ganz große Gefühle
„Carol“ ist der Film des Jahres!
Großes Gefühlskino basierend auf einem legendären Roman.
L-MAG sprach mit Regisseur Todd Haynes und Hauptdarstellerin Rooney Mara
Cate Blanchett brilliert in ihrer Rolle als mondäne Carol
62
L-MAG
*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:15 Seite 63
Es ist der Film, auf den wir gewartet haben. 63 Jahre, um genau zu
sein. Denn so lange ist es her, seit eine gewisse Claire Morgan den
sensationellen lesbischen Liebesroman „Carol“ – damals unter dem
Titel „Salz und sein Preis“ in den USA veröffentlichte.
Wir schreiben das Jahr 1952 in New York: Es herrscht romantische
Vorweihnachtsstimmung und in einem großen Kaufhaus der Ausnahmezustand. Die junge Therese
arbeitet in der Spielzeugabteilung. Hier begegnet ihr die
mondäne Kundin namens Carol,
eine wunderschöne, offensichtlich reiche und etablierte Frau,
deren Blicke sie geradezu verschlingen. Die beiden Frauen
fädeln ein weiteres Treffen ein.
Was zunächst wie eine harmlose
Freundschaft zwischen einer
unreifen, jungen, abenteuerlustigen Verkäuferin und einer Ehefrau und Mutter aus der Oberschicht aussieht, entwickelt sich
zu einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte zwischen Carol und Therese. Gegen alle Konventionen
und den Widerstand ihrer männlichen Lover beziehungsweise Ehemanns begeben sich beide auf eine lange gemeinsame Reise durchs
Land und auf den risikoreichen Weg einer lesbischen Liebesbeziehung
in den prüden USA der 50er Jahre.
Der erste Roman, in dem Lesben nicht sterben
In der Realität von 1952 in New York vögelt sich eine noch nicht sehr
bekannte Schriftstellerin durch die Schlafzimmer von High-Society
Damen und inszeniert zahlreiche lesbische Liebesdramen. Ihr Name
ist Patricia Highsmith und sie soll in den kommenden Jahrzehnten
eine der erfolgreichsten und angesehensten Krimi-Autorinnen der
Welt werden. Eines ihrer wohl bekanntesten Werke ist, spätestens seit
der preisgekrönten Hollywood-Verfilmung, „Der talentierte Mr.
Ripley“. Mit „Carol“ bringt sie 1952 nach „Strangers on a Train“
(1950) ihr zweites Buch auf den Markt und obwohl dies atemberaubend offen und provozierend die Geschichte einer lesbischen Liebe
behandelt, traut sich Highsmith nicht, es unter ihrem echten Namen
zu veröffentlichen.
Highsmith war in Dutzende von Frauen verliebt und hatte Äffären mit
noch mehr. „Öfter als Ratten Orgasmen bekommen“, wie sie selber
sagte. Man kann nur staunen bei der Frage, warum sie bis Anfang der
90er Jahre brauchte, um ihr Coming-out als Autorin von „Carol“ zu
haben. So richtig wollte sie nie zu dem Roman stehen und auch nicht
darüber reden. Umso dankenswerter, dass er nun wunderbar gelungen vom schwulen Regisseur Todd Haynes verfilmt wurde. Haynes,
der 1991 mit dem Aids-Film „Poison“ einen Teddy auf der Berlinale
bekam, verfilmte zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch. Aus der
Highsmith-Vorlage machte Autorin Phyllis Nagy ein spannendes
Script. In den Hauptrollen bezaubern eine verführerische Cate
Blanchett als Carol und Rooney Mara als die vermeintlich unschuldige
Therese.
Im L-MAG-Gespräch verriet der aus Los Angeles stammende Haynes,
dass er „Carol“ zuvor nicht kannte: „Meine lesbischen Freundinnen
waren entsetzt, dass ich das Buch nicht kannte. Ich wusste nicht, dass
Patricia Highsmith eines der bedeutendsten lesbischen Bücher überhaupt und zudem noch unter einem Pseudonym geschrieben hat. Dazu noch einen lesbischen Liebesroman, der als erster in der Geschichte kein tödliches Ende hat.“ Und das ist tatsächlich eine weitere
Besonderheit der Romanvorlage: Total untypisch für die Ära bringt
sich keine Lesbe um oder wird umgebracht, im Gegenteil, es gibt ein
hoffnungsvolles Ende und vor allem keinerlei „heterosexuelle Bekehrung“. Doch auch wenn man die Story als geradezu kämpferisch und
L-MAG
emanzipatorisch bezeichnen kann, sagt Haynes über den Film: „Es ist
zuerst und vor allem eine Liebesgeschichte. Eine mit der jede was anfangen kann.“ Haynes arbeitet gern mit Schauspielstars zusammen, in
seinem Film „Velvet Goldmine“ (1998) mit Ewan McGregor oder in
dem Drama „Dem Himmel so fern“ (2002) mit Julianne Moore und
Dennis Quaid. Dennoch hat er den „Stallgeruch“ der LGBTCommunity behalten und ist kein
abgehobener Hollywood Star –
im Gegenteil. Der sympathische
Filme macher, der in New York
lebt,
erklärt,
dass
auch
„Carol“ keine große Studioproduktion ist, sondern mit Hilfe
vieler Geldquellen umgesetzt
wurde: „Es ist keine HollywoodProduktion, das meiste Geld kam
aus Großbritannien von der
Produktionsfirma Film4 und es
ist ein ausgesprochener LowBudget-Film der in nur 34 Tagen
in Cincinnati (Ohio) gedreht
wurde.“ Low Budget sind zwar
immerhin noch knapp 12 Millionen US-Dollar, doch ähnlich wie bei
Roland Emmerichs „Stonewall“ gibt es in den großen HollywoodStudios immer noch kein Geld für Homo-Themen.
„Wir müssen noch viel über die Prä-Stonewall-Ära lernen“
„Es sollte kein ,Heutzutage-ist-alles-besser-Film‘ werden“, erklärt
Haynes auf die Frage, ob „Carol“ denn ein politischer Film sei. „Es gibt
noch so viele Dinge, die wir über die Prä-Stonewall-Ära lernen
müssen. Wie die Leute sich damals Freiräume schufen. 1952 war es
durchaus möglich, dass zwei Frauen zusammenlebten oder sich
gemeinsam ein Hotelzimmer nahmen, was für ein unverheiratetes
Heteropaar nicht ging“, so der Regisseur. Dennoch ist der 50er-JahreMief im Film fast erdrückend, was Carol (die auch schon zuvor mit
Frauen zusammen war) und Therese, die praktisch ihr Coming-out
hat, noch mutiger erscheinen lässt. Gerade die Figur der Carol, die so
wunderbar von Cate Blanchett gespielt wird, ist nicht immer
sympathisch. Sie ist eine untreue Ehefrau, eine nicht immer wirklich
überzeugte Mutter und obendrein ein reicher Snob. Vielleicht wird
deshalb der Roman von Highsmith als semi-autobiografisch
bezeichnet?
Wo „Blau ist eine warme Farbe“ von der Kritik – zu Unrecht – dafür
verrissen wurde, dass hier ein Mann eine lesbische Geschichte
inszeniert, stehen Todd Haynes und auch sein Publikum offensichtlich
über den Dingen. An „Carol“ hatte bisher niemand auszusetzen, dass
ein männlicher Regisseur diese fragile, romantische und gefühlvolle
lesbische Geschichte verfilmte. Außer Haynes waren allerdings auch
fast nur Frauen an dem Projekt beteiligt, wie er erklärt: „Ohne die
vielen beteiligten Frauen wäre der Film nicht vorstellbar: Produktion,
Drehbuch, die Vorlage, das Casting, die Schauspielerinnen, die
Ausstattung und die Kostüme. Ich habe beim Film zwar alles von
Frauen gelernt, dennoch möchte ich mehr Frauen hinter der Kamera
sehen. Vor allem die Regie ist noch immer so eine männliche Domäne.“
Immerhin ist es Todd Haynes gelungen, einen der wichtigsten
lesbischen Romane von einer der berühmtesten Lesben des 20. Jahrhunderts angemessen, unterhaltsam und herrlich gefühlvoll zu
verfilmen. Ein ganz großer lesbischer Liebesfilm für die ganz großen
Gefühle des Lebens.
// Manuela Kay
„Carol“, Regie: Todd Haynes, mit: Cate Blanchett, Rooney Mara, Kyle
Chandler, Sarah Paulson u. a., USA/GB/F 2015, 118 Min., Kinostart:
17. Dezember
63
*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:15 Seite 64
FILM
Rooney Mara spielt in „Carol“ die jugendlich-naive Therese.
Zuvor war sie die rebellische Lisbeth Salander in der US-Version von „Verblendung“.
Im L-MAG-Interview erzählt sie vom Sex mit Cate Blanchett,
ihrer Vergangenheit als Lisbeth und ihrem Hund Oskar
Er versteht Frauen wie kaum
Wie haben Sie sich auf Ihre
ein anderer Regisseur, den ich
Rolle in „Carol“ vorbereitet?
kenne. Und weil er sie so gut
Rooney Mara: Da gab es ja die
versteht und respektiert, gab
Romanvorlage von Patricia
es uns die Sicherheit, diese
Highsmith, die aus der Sicht
wirklich sensible und intime
meiner Figur Therese ge Liebesgeschichte zu erzählen.
schrieben ist. Das war meine
Mit jedem anderen wäre das
Hauptquelle, noch mehr als
sehr viel schwieriger ge das Drehbuch. Im Roman steht
worden.
alles, was ich über sie wissen
Waren die Sexszenen mit Cate
musste. Und ich habe schon
Blanchett eine HerausfordeMonate vorher mit meinem
rung?
Regisseur
Todd
Haynes
Ich habe in meinem Leben
geredet, er hatte wahnsinnig
davon so viele gedreht, ich bin
viel recherchiert und für Cate
da abgeklärt. Jede Sexszene ist
und mich ein Buch gemacht, in
anders. Cate ist sehr viel
dem er alle Bezüge und
softer, sie hat eine unglaublich
Referenzen aus dieser Ära aufweiche und glatte Haut. Aber
geführt hat, um uns zu zeigen,
für mich macht es keinen
wie er sich den Film visuell
Unterschied, ob es mit einem
vorstellt. Das waren hauptMann oder einer Frau ist. Es
sächlich New Yorker Straßenist ein Mensch, eine Person.
fotografien aus dieser Zeit wie
Und eine Person, in die man
die von Vivian Maier oder Ruth
nicht verliebt ist. Und um
Orkin. Außerdem gab er mir
einen herum stehen Leute, die
etliche selbstgebrannte CDs
sich um den technischen Kram
mit Musik und Filmen, die ihn
kümmern. Dann sagt dir der
für „Carol“ inspirierten. Und
Regisseur, was du zu tun und
ich finde, man sieht es. Der
wie du dich zu bewegen hast.
Film sieht nicht so aus, als wäEs ist alles sehr choreografiert
re er von 2015. Schon allein Rooney Mara als das schüchterne Mädchen Therese
und professionell. Es kann
die Kostüme, die Sandy Powell
trotzdem peinlich oder komisch werden, aber ob das mit einer Frau
geschneidert hat! Sie machen einen Großteil einer Figur aus, hier
oder einem Mann stattfindet, ist völlig egal. Ich bin 30, wir haben
noch mehr als sonst. Schon allein, wie man sich in diesen Kleidern
2015, das ist wirklich kein Thema für mich.
bewegt, wie man sitzt, sehr unbequem und restriktiv. Aber genau so
Als Therese reden Sie nicht viel. War das schwierig?
fühlte es sich wahrscheinlich an, eine Frau in den 50er Jahren zu sein.
Nicht beim Dreh selbst, aber im Vorfeld. Ich habe mich die ganze Zeit
Die Kostüme helfen also sehr, in die Rolle zu kommen.
gefragt, ob ich das schaffe. Ich habe nicht viel Dialog, das meiste
Bereiten Sie sich immer so intensiv vor?
spielt sich über Blicke und zwischen den Zeilen ab. Doch wie mache
Ich bin Perfektionistin. In „Verblendung“ zum Beispiel musste ich als
ich Subtext und Innenleben sichtbar? Ich fühlte mich unsicher, aber
Lisbeth Salander Motorrad fahren. Also habe ich fast drei Monate
sobald ich am Set war und Cate als Gegenüber hatte, auf die ich reageübt. Dabei fahre ich in 98 Prozent des Films gar nicht selbst,
gierte, war alles plötzlich ganz einfach und klar.
sondern steige nur auf oder ab. Aber ich wollte, dass das so echt wie
Im Mai wurden Sie bei den Filmfestspielen in Cannes für die Rolle als
möglich aussieht. So als ob ich es schon seit Jahren mache.
beste Schauspielerin ausgezeichnet.
Was ist das Besondere an Regisseur Todd Haynes?
64
L-MAG
*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:15 Seite 65
Das war eine große Ehre und wirklich eine Überraschung, ich hatte
damit nicht im Geringsten gerechnet. Ich fühlte mich richtig gut, aber
so etwas hält bei mir nie lange. Ich bleibe ja doch dieselbe, mit
denselben Zielen und Zweifeln. Auszeichnungen sind toll, aber
dadurch habe ich nicht plötzlich das Gefühl, irgendwo angekommen
zu sein. Ich habe noch so viel vor mir, so viel zu beweisen und viele
Fehler zu machen. Ich habe noch immer Angst, schlecht zu sein. Bei
jedem Film denke ich, Mist, das hättest du besser machen können.
Das treibt mich an.
Sie werden auch für einen Oscar gehandelt. Machen Sie sich darüber
keine Gedanken?
Bis jetzt noch nicht. Und ich habe ja schon einen Oscar zuhause.
Meinen kleinen Hund Oskar. Mit dem lässt sich auch viel besser
kuscheln.
Was machen Sie mit ihm, wenn Sie drehen oder auf Reisen sind?
Eigentlich will ich gar nicht so viel über ihn reden, er ist wie mein Baby.
Ein kleiner Hund, aber eine große Persönlichkeit. Ich könnte ihm
stundenlang zuschauen. Und ich nehme ihn so oft wie möglich mit.
Wenn es nicht geht, ist er meistens bei meinen Eltern.
„Carol“ trifft einen Nerv im Kampf um Gleichberechtigung. War das
auch für Sie ein Grund, die Rolle anzunehmen?
Nein. Mir ist natürlich klar, dass wir in den 50er Jahren weit
entfernt von Gleichberechtigung waren. Aber ich pendle zwischen
Los Angeles und New York und bin von progressiven Leuten umgeben. Mir ist oft gar nicht bewusst, dass es überhaupt noch ein Thema sein könnte. Aber natürlich ist es das, auch wenn ich damit
kaum konfrontiert werde, weil in meinem Umfeld alle leben können,
wie sie wollen.
Aber auch in dieser privilegierten Blase gibt es Ungerechtigkeiten.
Gerade gibt es mehrere Debatten in der Filmbranche, etwa über die
Frauenquote in Deutschland bei Regieaufträgen oder die niedrigere
Bezahlung weiblicher Stars in Hollywood.
In meiner persönlichen Blase der Menschen, mit denen ich mein
Leben teile, sind wir alle gleich. In der Filmbranche sieht es anders
aus, wie in jeder Berufsbranche. Da muss man nicht nur über die sehr
unterschiedlichen Gagen reden, sondern auch über die Bandbreite an
Rollen selbst. Aber ich habe den Eindruck, dass es besser wird. Sehen
Sie sich diesen Film an. Oder „Verblendung“. Oder den globalen
Erfolg der „Tribute von Panem“.
Wie hat sich Ihr Leben nach dem immensen Erfolg von „Verblendung“
verändert?
Mir fällt es schwer, einen distanzierten Blick zu meinem Leben einzunehmen und es zu reflektieren. Ich stecke mittendrin. Und meine Arbeit
definiert mich nicht als Mensch. Ja, es sind vier, fünf Jahre seitdem
vergangen und in meiner Karriere ist viel passiert, auch in meinem
Privatleben. Ich kann das nicht voneinander trennen. Aber natürlich
hat „Verblendung“ viele Türen für mich geöffnet.
Werden Sie als Lisbeth Salander zurückkehren?
Ich weiß es nicht. Nichts ist bestätigt. Ich würde nichts lieber tun, als
noch einmal in diese Rolle zu schlüpfen. Aber ich habe darüber keine
Kontrolle. Es wäre wirklich traurig, wenn es nicht dazu käme. Als ich
zusagte, hatte ich die ganze Trilogie im Hinterkopf, nicht nur den
ersten Teil. Ich hatte danach nicht das Gefühl, damit abgeschlossen zu
haben. Ich bin noch nicht fertig mit ihr. Das schmerzt, aber die
Entscheidung liegt nicht in meinen Händen.
// Interview: Thomas Abeltshauser
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*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:03 Seite 66
FILM
Eddie Redmayne in der Rolle von Einar beziehungsweise Lili
Plüsch statt Profil
Eine Seidenstrumpfhose ist es, die etwas in Einar Wegener (Eddie
Redmayne) auslöst, das sich nicht mehr wegdrücken lässt: in ihm
steckt Lili. Was für ihn und seine Frau Gerda (Alicia Vikander) als
Spaß und Fetisch beginnt – Einar geht als Frau gekleidet zu einer Party
und trägt beim Sex ein Kleid –, führt bald zu einer schweren Ehekrise
und schmerzhaften Prozeduren, die Einar das Frausein austreiben
sollen. Aber Lili drängt immer stärker nach außen, und eine
geschlechtsangleichende Operation, auch wenn sie noch nie zuvor
gelungen ist, wird zu ihrer letzten Hoffnung. Lilis Geschichte ist wahr
und ihr Ende tragisch: Einige Monate nach dem dritten Eingriff in
Dresden starb sie und ging als weltweit erste operierte Trans-Person in
die Geschichtsbücher ein (heute weiß man, dass sie intersexuell war).
Tom Hooper („The King’s Speech“) inszeniert die Bohème der
20er Jahre routiniert, aber altmodisch-brav und mit dramatischem
Geigen-Einsatz. Selten war die Wirklichkeit so viel spannender als die
Verfilmung: Dass das dänische Künstlerpaar eine offene Ehe führte
und Greta, eine erfolgreiche Malerin, überwiegend lesbisch lebte,
wollte der britische Regisseur dem Publikum wohl nicht auch noch
zumuten: Seine Gerda ist stockhetero, seine Lili eine unsichere,
asexuelle Teenagerin, die romantisch von Mann und Babys träumt.
66
Aus ihr einen dreidimensionalen Charakter zu machen,
gelingt da selbst Oscar-Gewinner Eddie Redmayne nicht. So wird
Gerda mit ihrem Hadern zwischen Liebe und Verzweiflung zur
spannenderen Figur – der Filmtitel „Two Danish Girls“ wäre tatsächlich passender gewesen. Um so neugieriger hätte da eine frühere Version
gemacht, deren Realisierung 2012 kurz vor Drehstart platzte: Darin
hätten zwei Frauen, Nicole Kidman als Einar/Lili und Rachel Weisz
als Gerda, die Hauptrollen gespielt. Inzwischen ist das Trans-Thema
in der Öffentlichkeit angekommen, kürzlich wurde beispielsweise
bekannt, dass im letzten Jahr weltweit mindestens 271 Menschen
wegen ihrer Geschlechtsidentität ermordet wurden. „The Danish Girl“
hätte der richtige Film zur richtigen Zeit sein können, stattdessen
erzählt er die Geschichte wie eine plüschige Episode aus lange vergangenen Zeiten: Eine verschenkte Gelegenheit.
// Karin Schupp
„The Danish Girl“, Regie: Tom Hooper, mit: Eddie Redmayne, Alicia
Vikander, Amber Heard u. a., USA/GB/D 2015, 120 Min., Kinostart:
7. Januar
Fotos: Universal, Arsenalfilmvereleih
In „The Danish Girl“ wird die Geschichte der ersten bekannten Transexuellen und
einer geschlechtsangleichenden Operation erzählt. Leider eine vertane Chance
L-MAG
*62-67 Film_00 Inhalt Relaunch 07.12.15 15:07 Seite 67
Tragische Rock-Ikone
„Janis: Little Girl Blue“ ist ein ergreifendes Zeugnis
feministischer Musikgeschichte
Ihre Stimme begleitete Generationen. Sie machte den Weg für Frauen
im Macho-Musik-Business frei und revolutionierte den Blues. Dabei
schaffte Janis Joplin in kürzester Zeit den Weg von der verhassten
Außenseiterin an ihrer Schule zur Musiklegende. Die Engstirnigkeit
der texanischen Kleinstädter und die konservative Enge im Elternhaus
vertrieben sie nach der Highschool aus ihrer Heimat. „Janis: Little Girl
Blue“ zeigt nun die Geschichte einer zutiefst verletzten Persönlichkeit,
die auch durch den schnellen Ruhm keine Befriedigung fand.
Viele Details ihrer Geschichte werden in einem Mix aus Interviews,
Orginalaufnahmen und persönlichen Briefen von Janis (gelesen von
Chan Marshal, Cat Power) gezeigt. Und trotzdem bleibt es stellenweise oberflächlich. Denn leider reflektiert kaum jemand der Interviewten über den eigenen Anteil an der Tragödie. Denn bereits mit 27
Jahren starb Janis Joplin an einer Überdosis Heroin – allein in einem
Motelzimmer. Trotzdem ist der Film ein Zeugnis faszinierender feministischer Rock-Geschichte. Allein schon wegen der ergreifenden Musik lohnt sich ein Kinobesuch. Und letztendlich ist es die berührenden
Geschichte einer Rock-Ikone, die im Grunde eine hoffnungslos gebrochen Seele war, auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. // dm
„Janis: Little Girl Blue“, Regie: Amy Berg, USA, 2015 115 Min., Kinostart: 14. Januar
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67
*68-71 Buch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:18 Seite 68
BUCH
An der Meisterin gescheitert
Theoretische Analyse zu Werk und Biografie von Hannah Arendt
Als Denkerin, Journalistin und politische
Theoretikerin veränderte Hannah Arendt die
Welt. Sie ist eine der bedeutendsten Wissenschaftlerinnen der Politischen Theorie. Ihre
Berichte als jüdische Reporterin für den New
Yorker bei dem Prozess in Israel gegen den
nationalsozialistischen Bürokraten Adolf
Eichmann 1961 sind legendär und lösten
eine breite gesellschaftliche Diskussion im
Umgang mit der NS-Zeit aus.
Ihre Theorie ist eng verknüpft mit ihren persönlichen Erfahrungen. So musste die aus
Hannover Stammende 1933 vor dem Nationalsozialistischen Regime fliehen. Zunächst
über Frankreich emigrierte sie schließlich in
die USA. Ihre persönlichen Erfahrungen im
Nationalsozialismus, die Aberkennung der
deutschen Staatsbürgerschaft und ihre Beobachtungen zur Machtergreifung Hitlers
beeinflussten Arendts Denken maßgeblich.
Über ihr Leben, Schaffen und ihre Theorie
sind bereits unzählige Werke verfasst worden. Die „Denkbiografie“ von Alexandra
68
Popp verfolgt nun die wenig kreative Idee,
anhand von Arendts Biografie ihr theoretisches Denken zu durchdringen – leider kaum
erfolgreich. Besonders anstrengend ist die
permanente Betonung des philosophischen
Ansatzes von Arendt, die sich selbst der Politische Theorie zuschrieb. Alexandra Popp
verbeißt sich regelrecht in die Idee, Arendt
als Philosophin zu betrachten – das ist ermüdend. Gleichzeitig versucht Popp, zu viele
Begriffe wie Freiheit, Macht, Gewalt, Herrschaft, Autorität, Souveränität, Totalitarismus bis hin zu Global Governance mit Bezug
auf wiederum zu viele Theoretiker wie Marx,
Kant, Hobbes, Locke, Darwin, Nietzsche bis
hin zu Aristoteles zu analysieren.
Letztlich ist Popps „Denkbiografie“ zu komplex, um als Einführungswerk in das Arendtsche Denken geeignet zu sein, für Arendt kennerinnen hingegen ist es eine
fragwürdige theoretische Analyse, die zu
breit aufgestellt ist, um in die Tiefe vorzudringen. Popps erklärtes Ziel ist es einerseits,
den engen Zusammenhang zwischen Biografie und Theorie zu belegen. Andererseits soll
das Buch die Bedeutung von Arendts Theorie
für aktuelle politische Probleme zeigen. Ersteres ist wenig tiefgreifend und wurde bereits
unzählige Male aufgegriffen. Letzteres hingegen wäre interessant, kommt jedoch zu kurz.
Insgesamt ist das Buch eine theoretische
Analyse, die viel will und durch philosophische und theoriepolitische Ausuferung wenig
erreicht.
// Dana Müller
Alexandra Popp:
„Hannah Arendt.
Eine Denkbiografie“
Schmetterling Verlag
232 Seiten
12,80 Euro
L-MAG
*68-71 Buch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:18 Seite 69
Rabenmutter wird böses Mädchen
Mehr Comic als Buch: Charlotte Roches „Mädchen für alles“
Natürlich weiß eine Bestsellerautorin, was
von ihr erwartet wird: gute Unterhaltung.
Roche bietet das, indem sie ein Tabu bricht.
Ihr dritter Roman „Mädchen für alles“ wagt
es, die neue deutsche Muttersein-Idylle als
trügerisch zu entlarven, denn in Wahrheit
zehrt Muttersein an den Nerven, das weiß
die Erfolgsautorin aus erster Hand. Christine
in „Mädchen für alles“ zelebriert ihr Dasein
als schlechte Mutter, sie ist manipulativ,
düster. Roches Protagonistin hat scheinbar
alles: einen Mann, eine Tochter und Geld.
Doch sie verbringt, Lebensflucht praktizierend,
ihre Tage vor dem Fernseher, Mutter und
Ehefrau zu sein ist verdammt langweilig und
alles, was in den Serien auf der Mattscheibe
geschieht, ist viel krasser und besser. Christine
fängt eine Affäre mit ihrer Babysitterin an.
Das ist gut, um depressive Symptome zu
vertreiben und außerdem recht lustig, denn
Christine hat Lust daran, anderen ihren Spaß
zu verderben. Die heterosexuelle Prota gonistin weiß, wo man bei anderen Frauen
den Finger reinsteckt, auch wenn sie es im
Roman vor dieser zugekoksten Zugfahrt noch
nie getan hat. Doch mit der blonden Nanny,
einem ungebildeten Frettchen, kann man
herrlich üben. „Mädchen für alles“ setzt Sex
eiskalt ein, da gibt es kein Abfeiern von
freiheitlicher Liebe. Sex ist Manipulationswerkzeug, es geht um Macht.
Charlotte Roche sagt selbst, dass sie mit
ihren Büchern Leute erreicht, die eigentlich
nicht lesen. Stilistisch gesehen ist „Mädchen
für alles“ daher auch nicht wirklich ein Buch,
eher ein Comic mit übergroßen Sprech blasen, in denen stehen Dinge wie: „Meine
Klitoris zwiebelt richtig“. Unbeschreiblich
weiblich, gewalttätig und böse, „Mädchen für
alles“ ist ein weiblicher Monolog, der Porno
sein möchte und es versucht. Denn böse
Mädchen kommen bekanntlich überall hin.
// Lena Braun
Charlotte Roche:
„Mädchen für alles“
Piper
240 Seiten
14,99 Euro
Der ultimative Albtraum
Foto: Fred Stein
„Endlich daheim“ von Regina Nössler
Die 13-jährige Kim steckt mitten in der
Pubertät und ist nicht glücklich. Sie hat keine
Freundschaften und wird in der Schule
gemobbt. Für die Erwachsenen um sie herum
ist das introvertierte Mädchen „gestört“, auch
ihre lesbische Tante Felicitas findet Kim oft
merkwürdig.
An diesem einen grauen Freitag fällt Mathe
aus und überhaupt ist Kim in besserer Stimmung als sonst, denn das Wochenende und
ihr 14. Geburtstag liegen vor ihr! Doch
zuhause passt plötzlich ihr Schlüssel nicht
mehr ins Schloss und ihr Name steht nicht
mehr an der Tür! Als Kim klingelt, antwortet
ein unbekannter Mann, der sie wegscheucht.
Quasi obdachlos und scheinbar plötzlich
unsichtbar für andere, streift sie durch
Berlin-Kreuzberg, das ihr plötzlich fremd
und seltsam leer vorkommt. Und zeigt nicht
diese eine Digitaluhr eine Zeit an, die es gar
nicht gibt?
„Endlich daheim“ lässt den ultimativen Albtraum wahr werden: die eigene Existenz
scheint ausgelöscht! Dabei spielt die Autorin
L-MAG
mit fundamentalen Ängsten wie dem Verlust
von Sicherheit, Wärme oder einem Dach
über dem Kopf. Und das eigentlich Unheimliche ist kein Science-Fiction-Szenario,
sondern ganz irdisch und alltäglich – die
Gleichgültigkeit und soziale Kälte, die Kim
erlebt. Geschickt kombiniert Nössler die
Erfahrungen eines Teenagers, der sich ausgeschlossen und unverstanden fühlt, mit
scheinbar Nebensächlichem und zufälligen
Begegnungen zu einem Thriller, dessen
bedrohlicher Atmosphäre man sich nicht
entziehen kann.
// Claudia Lindner
Regina Nössler:
„Endlich daheim“
Konkursbuch
Verlag
320 Seiten
10,90 Euro
*68-71 Buch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:18 Seite 70
BUCH
Übersetzen, bitte!
Diese Bücher sollte es auf Deutsch geben!
Kirsty Logan „The Rental Heart and Other Fairytales“
Kirsty Logan:
„The Rental Heart and
Other Fairytales“
Salt Publishing
Taschenbuch: 14,53 Euro
Kindle-Edition: 4,99 Euro
Webseite der Autorin:
www.kirstylogan.com
Schon die Titelgeschichte „The Rental
Heart“ („Das gemietete Herz“) vereint alles,
was Kirsty Logans Shortstorys so besonders
macht: eine schräge Atmosphäre und eine
märchenhafte, etwas düstere und alles andere
als heteronorme Welt voller intelligent
erdachter Metaphern für moderne Frage stellungen. Hinzu kommen Beziehungen,
die ohne viel Aufhebens Menschen unterschiedlicher Genderidentitäten verknüpfen,
sowie eine sehr eigene Sprache. „The Rental
Heart“ behandelt beispielsweise sehr
geschickt die Unmöglichkeit zu lieben, ohne
einen Teil von sich selbst zu riskieren. In der
Kurzgeschichte „Witch“ (Hexe) dagegen ist
ein Mädchen mit derjenigen verabredet, mit
der sie erste, unbeholfene Küsse tauschte,
und macht sich stattdessen auf die Suche
nach Baba Yaga. Statt der kinderfressenden
Hexe aus der slawischen Märchenwelt trifft
sie jedoch auf eine Frau, die womöglich
exakt richtig für sie ist. „Matryoshka“
wiederum verwebt das Thema Identität
geschickt mit jenen russischen, ineinander
geschachtelten Holzpuppen, die im Deutschen unter dem Namen „Babuschka“
bekannt sind, und dem AschenputtelMärchen – erzählt aus der Perspektive der
kleinen, egoistischen und lesbischen
Schwester des Prinzen. Dass der Stil der
gerade mal 31-jährigen, offen lesbischen,
schottischen Autorin von Kritiken und der
Leserinnenschaft gerne mit Kolleginnen wie
Sarah Waters („Die Muschelöffnerin“),
Jeanette Winterson („Orangen sind nicht die
einzige Frucht“) oder Angela Carter („Blaubarts Zimmer) verglichen wird, verwundert
keine, die in ihre Texte eintaucht: Kirsty
Logan verwebt folkloristische, mythologische
und märchenhafte Traditionen und Erzählweisen mit ihren sehr eigenen Interpreta tionen und erschafft dank ihrer besonderen
Sprache Bilder, die noch lange im Kopf
nachwirken: von wunderbar samtig bis hin
zu unerwartet verstörend.
// Simone Veenstra
Analysen um Sexualität und Gender
Der wissenschaftliche Sammelband „Anti-Genderismus“
Das Buch „Anti-Genderismus“ sammelt zum
ersten Mal wissenschaftlich-akademische
Beiträge, die sich auf einer analytischen Ebene
mit den politischen Auseinandersetzungen
rund um Gender und Sexualität beschäftigen.
13 verschiedene Aufsätze nehmen vor allem
die neo-konservativen bis rechten politischen
Kräfte in den Fokus, die sich mit einer „AntiHaltung“ gegenüber Gender profilieren.
Das von Sabine Hark und Paula-Irene Villa
im transcript-Verlag herausgegebene Buch
zeichnet sich durch eine breite Themen spanne aus: Neben einer Betrachtung des
„Anti-Genderismus“ im Internet und einer
Analyse der Kategorie Pädophilie geht es
auch um die Rolle von Gender in katholischen
und extrem rechten Kreisen. Interessant an
„Anti-Genderismus“ ist die transnationale
Perspektive: Die aktuellen politischen
Auseinandersetzungen zum Thema Gender
werden nicht nur im deutschen, sondern
70
auch im europäischen Kontext betrachtet –
so nehmen die Beiträge auch aktuelle
Strömungen in Polen, der Schweiz und
Frankreich in den Blick.
Die Autorinnen haben ihren Schwerpunkt in
den Sozial- und Kulturwissenschaften,
weshalb sich die Aufsätze einer sehr akademisch-anspruchsvollen Sprache bedienen.
Wer sich daran nicht stört, wird in diesem
Sammelband viele wertvolle Erkenntnisse
finden. Es ist vor allem die analytische Schärfe,
mit der die einzelnen Beiträge die Motive
von neo-konservativen Bewegungen frei legen, die überzeugt. So wurde heraus gearbeitet, dass sich hinter den verschiedenen
konservativen Protestbewegungen vor allem
eine Angst vor der Auflösung einer sozialen
Ordnung und einer kollektiven nationalen
Identität verbirgt – begünstigt durch einen
als abstrakt und sehr beschleunigt
empfundenen sozialen Wandel.
Ein spannendes Buch, das erstmalig eine
umfangreiche Sammlung sozial- und kulturwissenschaftlichen Analysen des sogenannten
„Anti-Genderismus“ vorlegt. Das Werk initiiert
eine akademisch geführte Debatte über die
gesellschaftspolitische Dimension von Gender
und Sexualität als ein Feld politischer
Auseinandersetzungen – ein wichtiger Schritt
in Zeiten zunehmender Diffamierungen.
// Isabel Lerch
Sabine Hark /
Paula-Irene Villa (Hg.):
„Anti-Genderismus“
Transcript Verlag
264 Seiten
26,99 Euro
L-MAG
*68-71 Buch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:18 Seite 71
Perspektive
Teilhabe
Präsenz
Vernetzung
Liebeserklärung
Cornelia Scheel erinnert an ihre Mutter – die Ex-First Lady
www.lesbenundalter.de
Gefördert durch das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Foto: Cornelia Scheel Privatbesitz
Vor 30 Jahren verstarb Mildred Scheel. Damals bekannt als Gründerin
der Deutschen Krebshilfe und ehemalige „First Lady“ von 1974 bis
1979, als ihr Mann Walter Scheel Bundespräsident war, ist sie mittlerweile fast in Vergessenheit geraten. Mit den Erinnerungen an ihre
Mutter legt Cornelia Scheel nun ein Buch vor, das uns zum einen in
die 70er Jahre der Bonner Republik zurückführt und amüsante
Einzelheiten aus dem Alltagsleben einer prominenten Familie erzählt,
inklusive zehn Jahre mit bewaffnetem Begleitschutz – Knutschen im
Kino ist da nich’. Zum anderen wird Mildred Scheel als eine Frau
gezeigt, die unbekümmert gegen Konventionen verstößt und dabei
mit eisernem Willen ihr Ziel verfolgt, eine „Bürgerbewegung gegen
den Krebs“ ins Leben zu rufen.
1963 bringt die unverheiratete Mildred Wirtz, Ärztin und jederzeit
dienstbereit, in München eine Tochter zur Welt. Ein uneheliches Kind,
damals ein Skandal! Für zwei Jahre gibt sie ihr „Cornelchen“ in ein
Kinderheim, um in der Zeit die Voraussetzungen für ein gemeinsames
„Nest“ zu schaffen. Ein Schock, doch Cornelia Scheel schreibt, dass sie
Gefühle wie Verlorensein oder den ständigen Wunsch, bei der Mutter
sein zu wollen, im Nachhinein besser versteht.
Auch die Tochter hat ein Geheimnis vor der Mutter: eine Liebes beziehung zu ihrer Reitlehrerin. Leider ertappt Frau Scheel sie
„inflagranti“, wie man damals sagte und reagierte sehr harsch auf die
Gefühle ihrer Tochter. Nach einem dramatischen Liebesende
beschließt Cornelia, „keine Frauen lieben zu wollen“. Wie wir wissen,
hat sie sich nicht daran gehalten und bedauert heute, mit ihrer Mutter
nicht mehr darüber gesprochen zu haben.
Ein offenherziges und liebevolles Buch, stellenweise etwas rührselig,
das an eine großartige, kämpferische Frau erinnert, die mit 52 Jahren
ausgerechnet an Krebs verstarb.
// Anja Hinrichs
L-MAG
Cornelia Scheel:
„Mildred Scheel –
Erinnerungen an
meine Mutter“
Rowohlt
240 Seiten
19,95 Euro
71
*72-73 Digitales Leben_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:30 Seite 72
DIGITALES LEBEN
Digitale Romantik –
Widerspruch oder
Ergänzung?
Digitales Leben – das ist schneller, einfacher Zugang
zu Informationen, Produkten oder Menschen auf
der anderen Seite der Welt.
Aber auch ständige Erreichbarkeit und Algorithmen,
die unsere privaten Daten auswerten.
Wo bleibt da die Romantik?
Die hier abgebildeten „Flirtmojis“ sind Symbole für
Küsse, Brüste, Mösen oder andere sexuelle Vorlieben, die man als eindeutige Botschaft effektvoll
per SMS oder E-Mail verschicken kann
www.flirtmoji.co
72
L-MAG
*72-73 Digitales Leben_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:30 Seite 73
In erster Linie scheint es im Digitalen vor
allem darum zu gehen, unser Leben und uns
selbst zu optimieren: Wir nutzen Zeitmanagement- und Sport-Apps. Es existieren auf
uns abgestimmte „Tamagochi“-Freundinnen
und Anwendungsprogramme, die versprechen, beim Daten, Flirten, ja selbst beim Sex
zu helfen. Ganz und gar unromantisch?
Oder sollten wir anders fragen: Was bedeutet Romantik eigentlich?
Die romantische Epoche begann als Gegenbewegung zur zunehmenden Entzauberung
der Welt durch die Aufklärung. Man war auf
der Suche nach dem Unsichtbaren,
Mysteriösen – kurz, nach dem Sinn hinter
Erklärungen, Formeln und Logik. Interessant
daran: Stattgefundene Entwicklungen sollten
nicht entwertet oder abgelöst werden. Es
ging eher darum, einen persönlichen
Umgang zu finden, der die Sehnsucht wachhielt. Heute würde das für uns bedeuten,
digitale Möglichkeiten zu nutzen und umzufunktionieren, anstatt unser Leben davon
diktieren zu lassen.
Illustrationen: Flirtmoji.com
Tinder, OkCupid und Co.
Die einen rümpfen die Nase, sagen „Ich habe
so etwas nicht nötig“, und sind der Meinung,
wer das Kontakteknüpfen einem Programm
statt der eigenen Courage überlässt, macht
sich zum Objekt. Die anderen finden, sie
erweitern ihren Horizont und lernen
Menschen kennen, die sie normalerweise nie
getroffen hätten. Eines vorweg: Ja, DatingSeiten und -Apps zwingen uns, Erwartungen
und Bedürfnisse auf den Punkt zu bringen.
Bin ich auf der Suche nach „der Einen“ oder
geht es mir um unverfänglichen Spaß?
Doch muss das automatisch negativ sein?
Den eigenen Standpunkt zu formulieren und
klare Verabredungen zu treffen, kann
befreiend sein, Zeit und verletzte Gefühle
ersparen. Die Frage ist also nicht, ob sich
Kontakte verflachen, weil wir dank dem
Mehr an Möglichkeiten austauschbarer
werden. Die Frage ist vielmehr: was wollen
wir eigentlich und wie kommunizieren wir
das? Beziehungsweise: wo lassen sich jene
Menschen finden, die mit uns auf einer
Wellenlänge liegen?
Auch bei Facebook, Twitter oder Instagram
lassen sich selbstverständlich Negativ beispiele finden. Nicht jedes Party-Knutschfoto sollte unbedingt ins Netz. Und wer vorschnell den Beziehungsstatus ändert
(womöglich samt eines Verweises auf die
ahnungslose „bessere Hälfte“), braucht sich
nicht über Irritation oder ärgerliche Meldungen zu wundern. Dennoch helfen diese
digitalen Möglichkeiten auch, in Kontakt zu
bleiben und einen Einblick in das Leben einer
anderen Person zu erhalten. Auf welche
Konzerte geht sie? Was isst sie gerne?
Welchen Standpunkt vertritt sie in Diskussio-
L-MAG
nen? Und auch wenn ein handgeschriebener
Brief sicher romantisch ist, er braucht Zeit,
und manchmal wollen wir eben nicht warten. Ein schneller, schriftlicher Schlagabtausch per Chat, SMS, WhatsApp oder E-Mail
kann fast ein Dialog sein und ein unbestreitbar romantisches Zeichen setzen. Der spontane digitale Kontak kann für „Ich denke an
dich“ oder „Guck mal, das wollte ich mit dir
teilen“ stehen.
Per Video-Skype sind wir in der Lage,
gemeinsam einen Film zu sehen, selbst wenn
wir in unterschiedlichen Städten wohnen.
Auf Spotify lassen sich Playlists füreinander
erstellen – die Mixtapes des 21. Jahr hunderts. Apropos: Geschenke übers Netz –
romantisch oder?
Auf die Fantasie kommt es an
Nicht nur am 14. Februar werden wir
bombardiert mit Anzeigen für ValentinstagKollektionen, vorgefertigten digitalen Grußkarten und Aufrufen, übers Netz mal eben
Blumen zu verschicken – die Konsumtaktik
verflacht romantische Gesten zum Kitsch,
oder? Wirklich neu sind nämlich weder die
Strategien noch die Produkte und niemand
zwingt uns, sie zu nutzen. Mit ein
bisschen Kreativität dagegen lassen sich
problemlos eigene digitale Fotos mit Audiofiles unterlegen oder aus einer Reihe Fotos
ein GIF oder eine Fotostory erstellen. Egal
ob extra zum Valentins-, Geburts-, Jahrestag
oder gar als Einladung zu einem Date.
Denn generell sind wir dank Internet immer
auf dem neusten Stand: Binnen kürzester
Zeit haben wir das optimale Ferienhaus
gefunden – samt Strandzugang, Kamin und
Sauna. Wir sind Facebookfans von Wallis
Bird, lesen, dass sie in der Nähe spielt, und
drei Klicks später haben wir zwei Tickets
ausgedruckt. Newsletter informieren über
ungewöhnliche Events und wir punkten mit
einer Nachtbegehung im Naturkunde museum statt dem immer gleichen Italiener.
Und Video-Tutorials sind eine wahre Fundgrube für romantische Extras: Okay, es
braucht etwas Zeit und einige Wiederholungen, aber dann überraschen wir sie mit einer
als Origami-Blüte gefalteten Einladung, auf
der ein Datum, eine Uhrzeit und zwei
Koordinaten stehen. Weiß sie mit der MapsApp umzugehen, kommt sie rechtzeitig zu
unserem Open-Air-Ständchen auf der Ukulele. Natürlich ihr Lieblingslied, das wir ebenfalls dank unermüdlichem Üben vor dem
Computer gemeistert haben …
Da soll noch mal eine behaupten, digitales
Leben und Romantik vertrügen sich nicht!
Denn letztendlich kommt es auf die Fantasie
und Kreativität der Nutzerinnen an, etwas
Persönliches und Besonderes zu zaubern.
Was übrigens auch bei allem Analogen gilt!
// Simone Veenstra
Digitaler Spieltipp:
„Life is Strange“
(DONTNOD)
Ab und an die Zeit zurückdrehen und so manche Entscheidung überdenken, das
wär’s. Schülerin Max Caulfield
kehrt nach fünf Jahren zurück in
ihre alte Heimat, der fiktiven
Stadt Arcadia Bay. Der Ort trieft
vor geheimnisvollen Geschehnissen und Verstrickungen. Ihre
ehemals beste Freundin Chloe,
eine aufmüpfige, kiffende, trinkende Punkerin, hatte in der
Zwischenzeit Max durch Rachel
Amber ersetzt. Diese ist nun
verschwunden. Gemeinsam begeben sich die ehemals besten
Freundinnen auf die Suche nach
der Wahrheit. Eine Geschichte
von Ausgrenzung, Freundschaft
und Wertvorstellungen. Max
muss immer wieder Entscheidungen mit folgenschweren
und teilweise schockierenden
Konsequenzen treffen. Gut, dass
sie an der Zeit drehen kann.
Ein fesselndes Episoden-Abenteuer mit stimmungsvoller
Musik, von dem man auch fürs
wahre Leben etwas lernen kann,
und sei es nur: Jede Handlung
hat Konsequenzen. Und knistert
es vielleicht ein bisschen
zwischen Cloe und Max oder
doch nicht?
www.lifeisstrange.com
L-MAG VERLOST AUF
WWW.L-MAG.DE
Wir verlosen die limited
Box-Edition „Life is Strange“
(Komplette Episoden 1–5
mit Extras)
73
*74-75 Erotik Sextest_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:31 Seite 74
EROTIK
Kamin-Stimmung
im Bett
Sex & Romantik – geht das?
Mit diesem Spielzeug auf jeden Fall!
Erleuchtung
Ganzkörperlich
Flare ist ein wasserfester, zweimotoriger Doppelvibrator mit drei
Vibrationsintensitäten und vier Vibrationsprogrammen. Was ihn zum
romantischen Highlight macht, sind allerdings nicht seine vibrierenden
Hasenöhrchen, sondern die eingebaute Lightshow, die den Fuß des
Flare je nach Vibrations-„Mood“ bunt aufleuchten lässt. Dabei ist die
Beleuchtung tatsächlich so hell, dass sich damit auch unter der Bettdecke lesen lässt. Was könnte es Romantischeres geben, als sich mit
einer vibrierenden Taschenlampe erotische Prosa unter dem Federbett vorzulesen?
Der Flare wird mit der Sextoytesterin
Lieblingshassobjekt, einem
USB-Kabel, aufgeladen.
Nichts ist unerotischer als ein
Schreibtisch, auf dem zwischen Post-Its, ungeöffneten
Rechungen, Bürofrühstückskrümeln und Kaffeetassen
ein Vibrator zum Aufladen
herumfliegt. Als Nächstes
muss man dann Rasenmäher,
Fußhornhauthobel und die
Schermaschine für den Hund
zum Auftanken auf dem Schreibtisch parken …
Die neue französische Partnerfirma von
Fun Factory, YESforLOV, hat sich auf
Kosmetik und kleine Spielsachen für
romantisch-erotische Abende
spezialisiert. Im Angebot sind
beispielsweise Federpuschelchen für
fiese Kitzelspiele oder schwarze
Augenbinden, damit es bei der Kitzelei
ein paar Überraschungen geben kann.
Gar nicht unpraktisch ist das hypoallergene, ölfreie Ganzkörpermassagegel in der Einhandbedienungspumpflasche,
denn hier ist mit „Ganzkörper“ ausnahmsweise auch wirklich
der ganze Körper –
Augen ausgenommen
– gemeint: Das Gel
ist Gleitgel und
Massagecreme in
einem. Es ist kondomaber leider nicht silikondildokompatibel und
riecht dezent tantig nach
Frangipani.
FAZIT: Insgesamt ein schönes Objekt, die Webseite
beschreibt ihn als „die Erleuchtung für dein Liebesleben“,
das mag übertrieben sein, als Beleuchtung für die
Lieblingslesben taugt er allerdings allemal.
FAZIT: Amüsante kleine Gimmicks für glitschig-kitzelige
Tantenerotik.
Doppel-Vibrator Flare
Bezugsquelle: www.beate-uhse.com
Material: Silikon
Farben: Schwarz oder violett mit buntem Licht
Preis: 69,99 Euro
YESforLOV
Bezugsquelle: www.yesforlov.com, www.funfactory.com
Hauchzarte Feder: 12,90 Euro
Schwarze satinierte Augenbinden: 12,90 Euro
Ölfreies Ganzkörpermassagegel: 29,90 Euro
74
L-MAG
*74-75 Erotik Sextest_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:31 Seite 75
L-MAG
ARCHIV
Heiß und fettig
Romantik und Kerzenschein gehören auch in vielen lesbischen Haushalten untrennbar zusammen. Auch hier gilt: Desorientiert vor lauter
romantischem Taumel, schüttet man sich dabei leicht mal beim Griff
nach der Gleitgelflasche die halbe Kerze samt knallheißem Wachs
über die Pfoten. Wer sich nach derartigen Zwischenfällen wieder
mit dem Spiel mit dem Feuer anfreunden möchte, dem sei
die JimmyJane Afterglow Massagekerze ans Herz
gelegt. Afterglow besteht aus gehärteten Öl, das
schmilzt, sobald die Kerze brennt, und relativ
schnell abkühlt, ohne dabei voll auszuhärten. So
kann das „Wachs“ als warmes Massageöl
problemlos auf die Haut gegossen werden. Da auf
dem weißen Kubus-Kerzenhalter nur ein kleines,
recht dezentes Logo aufgedruckt ist, kann man
die Kerze auch gut herumstehen lassen, ohne dass
das Zimmer „wir ficken immer bei Kerzenschein und
reiben uns vorher mit heißem Wachs ein“ schreit.
L-MAG hat Sammlerwert
Vervollständige deine Kollektion mit früheren
Ausgaben von Deutschlands Magazin für Lesben.
Jetzt nur 2,50 Euro pro Stück. Gleich bestellen,
bevor sie endgültig vergriffen sind.
6/15
FAZIT: Die Variante „Pink Lotus“ riecht relativ blumig, wer
beim Sex etwas rustikaler duften möchte, kann für die
Vorspielmassage auch zur Duftsorte Gurkenwasser oder
Bourbon greifen.
Deutschland € 4,50 | Österreich € 5,20 | Schweiz CHF 5,90
Das Magazin für Lesben
MAG
JimmyJane Afterglow Massagekerze – „Pink Lotus“
Bezugsquelle: Amorelie.de
Preis: 25,90 Euro
Duft: Lotusblüte, Bourbon, Gurkenwasser, Dunkle Vanille, Kakao/Feige
www.l-mag.de | Juli / August 2015
Deutschland € 4,50 | Österreich € 5,20 | Schweiz CHF 7,60 | Italien € 6,10 | Luxemburg € 5,30
DEUTSCHLAND DISKUTIERT
Das Magazin für Lesben
Debatte um Homo-Ehe
sorgt für Unsicherheit
MAG
FRAUEN MIT MEINUNG
Rebellin Sarah Schulman
Vorzeigelesbe Beatrice Eli
ORT
KULTSP
ROLLERY
DERB
www.l-mag.de | Mai / Juni 2015
AUFBRUCHSTIMMUNG
Bereit für Dyke
March und CSD?
SENSATION IN BERLIN
Mega-Ausstellung
zur Homo-Geschichte
Lieblingsspielerinnen
im L-MAG-Interview:
Nadine Angerer
Nilla Fischer
CSD-Saison 2015
POLITIK ODER PARTY?
Wofür wir noch auf die Straße gehen
COMING-OUT DER CHAMPIONS
Alles zur WM in Kanada: Fußball, Frauen, Fans
5/15
4/15
315
2/15
1/15
6/14
5/14
4/14
3/14
Zuckerschock
Das Geschenkset „Pour un cocktail explosif – Voulez-Vous“ besteht
aus drei Einzelportionen wärmender Öle in den Geschmacksrichtungen
Banane, Bubble Gum und Piña Colada, einem Fläschchen aphrodisierendem Massageöl und zwei Dosen essbarem Körperpuder mit dazugehörigem Puderpuschelchen. Schon beim Öffnen der Verpackung
riecht der explosive Cocktail weniger nach Schnapsfahne, wie der Name vermuten ließe, denn vielmehr so stark nach Lavendel wie die Unterwäscheschublade einer mottenphobischen Großmutter. Lavendel
soll ja ein beruhigender Duft sein, insofern für Damen, die beim Sex
unter Nervosität leiden, sicher ein Pluspunkt. Die essbaren Püderchen
sehen auf den ersten Blick ein bisschen nach schlecht gestrecktem
Speed aus und schmecken wie zu gut gestrecktes Speed – primär
nach Zucker. Das aphrodisierende Ylang-Ylang-Öl riecht zitronig mit
leichter Kaugummi-Note, und so richtig aphrodisiert hat es hier
niemanden, allerdings hatten wir auch einen leichten Zuckerschock
von den Püderchen und waren vom Lavendel und den wärmenden
Ölen ganz vorbildlich entspannt.
FAZIT: Amüsante Spielerei für Zuckermäuler mit
Lavendelfetisch.
B E S T E L LC O U P O N
Coupon und 5,- Euro in bar (nur Inland) für zwei Hefte senden an:
Special Media SDL GmbH, Ritterstraße 3, 10969 Berlin
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Preis: 29,90 Euro
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Auslandsbestellung: 5,- Euro Portokosten habe ich beigelegt
L-MAG
7575 75
75
*76-79 Jahresplaner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:33 Seite 76
EVENTS 2016
Ob Festival, CSD oder Sport-Großereignis:
2016 hat viel zu bieten und wer zu spät kommt,
die bestraft das „Ausverkauft“-Schild.
Drei Seiten L-MAG-Event-Übersicht für die Frühbucherin in euch
Wir tanzen, feiern und demonstrieren
uns durch das Jahr 2016
Internationales Frauenfilmfestival
19.–24. April, Köln
Eine ganze Filmschau, deren Fokus auf der Arbeit von
Frauen liegt. Tolle Filme, interessante Filmschaffende und
ein wohltuend feministischer Ansatz.
Eurovision Song Contest
10.–14. Mai, Stockholm
www.frauenfilmfestival.eu
Der ESC hat bereits seit 1956 Tradition. 2014 setzte
Gewinnerin Conchita Wurst mit ihrem Auftritt ein Zeichen
für die LGBT-Community. Dieses Jahr treten im kühlen
Stockholm 43 Länder an. Das Grand Finale steigt am 14. Mai.
www.eurovision.de
L-Beach, Frauen Indoor Festival
21.–24. April, Weissenhäuser Strand,
Ostsee
Das Lieblingsfestival der deutschen Party-Lesbe. Zwischen
3.000 und 4.000 Lesben tummeln sich drei Tage in der etwas
gewöhnungsbedürftigen Familienferienanlage nahe Lübeck
bei einem super organisierten Musik-, Party-, und Spaßfestival. Bei „L-Beach“ sind große Gefühle, viele Flirts und
manchmal auch Dramen garantiert.
www.l-beach.com
The Dinah 30. März–3. April, Palm Springs
Dinah Vegas 28. April–1. Mai, Las Vegas
Aus eins mach zwei. So wurden aus dem legendären „Dinah
Shore“ 2006 zwei lesbische Super-Events. Los geht’s dieses
Jahr mit „The Dinah“ unter kalifornischen Sonne mit Pool,
Party und jeder Menge nackter Haut. Drei Wochen später
wird die Stadt, die niemals schläft, zum lesbischen Mekka.
76
www.thedinah.com
www.dinahshoreweekend.com
Ella, International Lesbian Festival
28. Mai–6. Juni, Palma de Mallorca
Sonne, Palmen, Meer und ein Haufen tanzwütiger Lesben
am Strand, dazu noch ein paar GoGo-Tänzerinnen, abends
ein laues Konzert und gemütliche kleine Partys – das ist
„Ella“. Allerdings ist hier keine gemeinsame Location für alle
Veranstaltungen vorgesehen. Letztes Jahr war der Traumstrand eher ein Strandabschnittchen. Dieses Jahr soll er nun
wieder größer geraten. Mit insgesamt 800 Besucherinnen ist
es nicht das Mega-Event – eher angenehm kuschelig. Und es
gilt: Noch nie waren Lesben so kommunikativ und offen wie
hier. Der erste Drink an der Bar genügt, und schon sind
Festival-Freundinnen gefunden.
www.ellafestival.com
*76-79 Jahresplaner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:33 Seite 77
L-MAG Velvet Ibiza Festival
PR ÄS
ENTIE
RT
2.–6. Juni, Club Punta Arabi, Ibiza
Eine ganze Ferienanlage mit über 300 Bungalows nur für die
Velvet-Besucherinnen bietet dieses Party- und
Musikfestival auf der Insel Ibiza, Palmen, Strand und super
Wetter inklusive! Für circa 300 bis 370 Euro kann man das
All-Inclusive-Paket mit allen Mahlzeiten, Eintritten und Drinks
im 1er, 2er, 3er oder 4er-Bungalow bereits buchen.
Das „Wildeste Wochenende nur für Frauen“ war bei seiner
Premiere letztes Jahr genau das – wild und ausgelassen – wie
unsere Fotos auf diesen Seiten beweisen. Das gesamte
Programm für das zweite „Velvet“, das von der Brüsseler Partyveranstalterin Carine de Mesmaeker organisiert wird, stand
bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Auf das Speeddating
und eine Schaumparty sowie die DJs Hildegard, Miss
Cupcake, Michelle Serr und Carita La Nina kann man sich jetzt
schon freuen.
L-MAG ist Medienpartner von „Velvet“ und wird euch auf dem
Laufenden halten.
www.velvetibiza.es
Fußball EM
10. Juni–10. Juli, Frankreich
Auch wenn es nur Männer sind, die hier spielen, spannend
dürfte die Europameisterschaft in Frankreich allemal werden,
vor allem wenn man sie in fachkundigem lesbischen Kreis
anschaut.
www.fussball-em-2016.com
EuroGames
29. Juni–2. Juli, Helsinki
Die 16. EuroGames bleiben nach Schweden im letzten Jahr in
Skandinavien und finden erstmals in Finnland statt. 3.000
Aktive aus ganz Europa werden erwartet. Mit der finnischen
Eishockey-Nationaltorhüterin Norra Räty hat man bereits die
erste prominente Sportlerin zur Unterstützung gewonnen.
Neue Disziplinen bei den Eurogames 2016 werden die Leichtathletiksparten Diskuswerfen, 5.000 Meter-Lauf sowie 10.000
Meter Cross-Country sein. Die Anmeldung für alle Sportarten
läuft bereits!
Ola Girls – Lesbian Mediterrain Getaway
Datum wird noch angekündigt, Calpe
Es ist das US-amerikanische Prinzip des Lesbenfestivals unter
spanischer Sonne. Höhepunkt ist die Poolparty, bei der sich
zahlreiche Lesben auf engestem Raum in einem Pool tummeln
und ausgelassen feiern.
www.olagirls.com
CSD/Dyke March Köln
1.–3. Juli, Demo: 3. Juli, DykeMarch: 2. Juli
Nach Karneval und Ringfest zählt der Kölner CSD zu den drei
größten Veranstaltungen der Rheinmetropole. Mit 800.000
Menschen bei der Parade ist er außerdem einer der meistbesuchten CSDs in Deutschland. Seit letztem Jahr wird auch in
Köln lesbische Sichtbarkeit mit dem Dyke March zelebriert.
www.colognepride.de
www.dykemarchcologne.de
CSD München
Angertorstraßenfest: 2. Juli
9.–10. Juli, Demo: 9. Juli
Es ist einer der ältesten CSDs des Landes. Und wie es sich für
eine Landeshauptstadt gehört, bietet er ein breites Programm
mit Pride Week, Straßenfest, Politparade und Rathausclubbing. Für mehr lesbische Präsenz und Sichtbarkeit wird es
auch dieses Jahr eine Woche vor der großen Parade das
Angertorstraßenfest geben. Das Schwerpunktthema für den
CSD ist dieses Jahr „Respekt“. Die Community ist aufgerufen,
sich an der Mottofindung zu beteiligen. Noch bis zum
8. Januar können Vorschläge mit einer kurzen Begründung
eingereicht werden. Letztes Jahr gab es erstmals 100.000
Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Parade.
www.csdmuenchen.de
www.letra.de
www.2016.eurogames.info
EuroPride
23. Juli–7. August, Amsterdam
Bereits seit 1992 wird jedes Jahr eine europäische Stadt für
den EuroPride ausgesucht. 2015 fand er in Riga statt. Dieses
Jahr ist es weniger politisch brisant in der niederländischen
Hauptstadt. Das Motto 2016: „Join Our Freedom“
www.epoa.eu
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*76-79 Jahresplaner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:33 Seite 78
EVENTS 2016
CSD Frankfurt
15.–17. Juli, Demo: 16. Juli
Frankfurt ist die gemütliche Variante eines Großstadt-CSD.
Anders als bisher muss dieses Jahr wegen Baumaßnahmen
noch eine Alternative zum Festplatz an der Konstablerwache gefunden werden.
www.csd-frankfurt.de
CSD Hamburg
5.–7. August, Demo: 6. August
Auch beim Hamburger CSD wird in Großsstadtmanier vor
der Demo am Samstag eine Pride Week mit Programm
geboten. Zur Parade ist dann wieder Massenalarm mit
180.000 Menschen angesagt.
CSD/Dyke* March Berlin
Lesbisch Schwules Stadtfest: 16.–17. Juli,
Dyke* March: 22. Juli, CSD: 23. Juli
Die Berliner CSD-Saison ist nichts für schwache Nerven.
Startschuss gibt das Lesbisch-Schwule Straßenfest am
Nollendorfplatz in Schöneberg.
Ohne Verschnaufpause geht es ein Wochenende später in
die nächste Runde. Und das gleich in Dreifaltigkeit. Seit
2013 findet am Freitag vor der Parade der von L-MAG
initiierte Dyke* March für lesbische Sichtbarkeit statt.
Samstag geht es dann auf zur Parade mit 750.000
Menschen. Wem das zu viel Party ist, kann auch nach Kreuzberg zum alternativen Transgenialen CSD gehen. Aber
Achtung: anders als üblich ist dieses Jahr die Berliner CSDSaison wegen der EM-Fanmeile im Juli.
www.stadtfest.berlin
www.csd-berlin.de
www.facebook.com/dykemarchberlin
www.hamburg-pride.de
Lesbisch Schwule Filmtage
18.–23. Oktober, Hamburg
Das größe, älteste und niveauvollste Filmfestival seiner Art
in Deutschland findet im Oktober zum 27. Mal statt. Sehr
viel gutgelauntes lesbisches Publikum, tolle Filme und sehr
lange Partynächte sind garantiert!
www.lsf-hamburg.de
11. Pornfilmfestival
26.–30. Oktober, Berlin
Zum 11. Mal findet das Filmfestival rund um das Thema
Sexualität statt. Starker feministischer Ansatz, rebellische
Frauen und eine schamfreie Atmosphäre machen das PFF
auch zu einem lesbischen Favoriten.
Olympische Sommerspiele
5.–21. August, Rio de Janeiro
Trotz Superkommerz, Doping und Homophobie – die
olympischen Spiele können auch schön sein. Machen wir
das Beste daraus und konzentrieren uns auf ungewöhnliche
Leistungen und hoffentlich mal mehr offen lesbische
Teilnehmerinnen.
www.rio2016.com
www.pornfilmfestivalberlin.de
Ella Winter Festival
28. Dezember–2. Januar,
Palma de Mallorca
Dieses Jahr wird erstmalig eine Winterausgabe des „Ella“
Festivals geboten, inklusive Gala Dinner zum Neujahrsstart.
www.ellafestival.com
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Zusammenstellung:
Verena Peldschus, Dana Müller, Manuela Kay
Stand: 1.12., Änderungen vorbehalten
Fotos:„Velvet Ibiza Festival“ 2015 (Fotografin Beli Klein)
*76-79 Jahresplaner_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:33 Seite 79
L-MAG
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*80-81 Klatsch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:37 Seite 80
KLATSCH
VON KARIN SCHUPP
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„Nein, das ist kein Coming-out, weil ich out
bin. Ich lebe offen“, sagte H O L L A N D
TAY LO R [ 1 ] in einem Radio-Interview,
nachdem sie beiläufig erwähnt hatte: „Ich
bin mit einer Frau zusammen (…), die meisten meiner Beziehungen waren mit Frauen.“
Über ihre Freundin verriet die 72-Jährige,
die Lesben als Peggy Peabody in „The
L Word“ und Heteros als Evelyn Harper in
„Two and a Half Men“ kennen, nur, dass
„ein sehr großer Altersunterschied zwischen
uns besteht.“ Tatsächlich verdichtet sich
schon seit dem Sommer das Gerücht, dass
es sich dabei um S A R A H PAU L S O N [ 2 ]
handelt, die 31 Jahre jünger als Taylor ist.
Die Schauspielerin, die in „Carol“ Cate
Blanchetts Ex spielt, erklärte kürzlich, dass
sie sich nicht labeln wolle. „Es tut mir leid,
wenn das als Verweigerung erscheint, zu
meiner Sexualität zu stehen, aber das ist es
nicht“, sagte sie der US-Zeitschrift Pridesource. „Ich kann mich morgen in einen
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Mann verlieben und ihn heiraten, und das
würde meine Erfahrungen, die ich mit Frauen hatte, nicht schmälern und umgekehrt.“
Die Schauspielerin outete sich 2005, indem
sie ihre damalige Freundin Cherry Jones
während der Tony Awards küsste. „Ich war
jung und verliebt, und sie hatte gerade
einen Tony gewonnen“, sagt Paulson heute
dazu, „da gebe ich ihr doch keinen ‚Daumen
hoch‘ und einen Klaps auf den Rücken.“
Jones, aktuell in der Amazon-Serie „Transparent“ zu sehen, heiratete 2015 die Schauspielerin Sophie Huber.
„Orange Is the New Black“-Star S A M I R A
W ILE Y [3] (Poussey) ist hingegen nicht nur
offen lesbisch und mit OINTB-Autorin
Lauren Morelli zusammen, sondern will
auch ein gutes Vorbild sein. „Meine Sichtbarkeit bedeutet auch Verantwortung, und
das nehme ich nicht auf die leichte Schulter.
Wer zu mir aufschaut, soll keine Scham
sehen, sondern Stolz“, sagte sie der Web -
seite MIMI. Ob Poussey und Soso in der
4. Staffel der Frauenknastserie (voraussichtlich im Juni 2016) ein Paar werden? Die
beiden passen gut zusammen, fand Wiley
schon im Sommer, ist aber nicht wählerisch:
„Ich hoffe, dass es eine Romanze zwischen
Poussey und irgendjemandem gibt.“
Sie habe ihrer Mutter nie erzählt, dass sie
lesbisch ist, bedauerte CORNELIA SCHEEL
[4] in einem RTL-Interview zum Erscheinen
ihres Buchs „Mildred Scheel – Erinnerung an
meine Mutter“ (siehe Seite 71). Und das,
obwohl sie mit ihrer Reitlehrerin in flagranti
erwischt wurde, als sie 16 war. Damals sei
sie „jung und feige“ gewesen, habe sich
„selbst belogen“ und „lauter Schwiegersöhne“ präsentiert. „Diese Lüge zerplatzte aber,
als Hella von Sinnen mir gegenüberstand
und sagte: ‚Kann es sein, dass du lesbisch
bist?‘ Da sagte ich: ‚Selbstverständlich‘.“
Dass die beiden schon seit 2014 kein Paar
mehr sind und neue Beziehungen haben,
L-MAG
Fotos: Christiane Pausch, imago/PicturePerfect, imago stock&people, imago/ZUMA Press
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*80-81 Klatsch_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:37 Seite 81
AKTUELLE PROMI-NEWS: K-WORD
DIE KLATSCH-KOLUMNE VON KARIN SCHUPP
Jeden Freitag auf www.l-mag.de
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Fotos: imago/Future Image(2), imago/ZUMA Press
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L-MAG
wurde erst bekannt, nachdem sie das Buch
Anfang November in Köln gemeinsam vorgestellt hatten. Noch im Frühsommer hatte
Scheel Trennungsgerüchte mit „die stimmen
vorn und hinten nicht“ dementiert.
Das tut auch A M B E R H E A R D [ 5 ] („The
Danish Girl“): Die bisexuelle Schauspielerin,
seit Februar 2014 mit Johnny Depp
ver heiratet, bezeichnet die hartnäckigen
Scheidungsspekulationen als „grässliche
Falschdarstellungen“. Papa Depp wusste
übrigens längst Bescheid, als sich seine Tochter
Lily-Rose Depp (16), Model und Schau spielerin, im Sommer outete, indem sie für
ein Foto-Projekt mit „nicht hundertprozentig
heterosexuellen Menschen“ posierte. „Alle
waren total überrascht, nur ich nicht“, erzählte er vor Stolz fast platzend der Daily
Mail. „Ich wusste das, weil wir supereng miteinander sind und sie mir alles erzählt.“
„Criminal Minds“-Star Kirsten Vangsness
(„Garcia“) hat sich mit einem Mann verlobt,
und das steht deswegen hier, weil sie sich
früher als „so queer wie ein lila Einhorn, das
Madonna singt“, bezeichnete. Nach der
Trennung von ihrer Verlobten Melanie
Goldstein 2013 fragte sie sich bereits:
„Zuerst war ich hetero, dann war ich
lesbisch – und jetzt? Was bin ich jetzt?“ Tja,
man könnte es bi nennen, aber das will sie
nicht: „Ich werde diesen Begriff nie
verstehen“, erklärte sie der Zeitschrift People.
Seit ihrem Coming-out habe sich doch
„nichts geändert, ich fühle mich nicht anders.
Der Mensch, mit dem ich zusammen bin, ist
der richtige für mich. Dass es ein Mann sein
würde, hätte ich auch nicht erwartet.”
Mit dem lange ersehnten WM-Titel für die
USA in der Tasche hat A B BY WA M B A C H
[ 6 ] im Dezember ihre Karriere beendet.
Die Weltfußballerin des Jahres 2012 hat bereits angedeutet, dass sie mit ihrer Frau
Sarah Huffman, ebenfalls Ex-Fußballprofi,
eine Familie gründen will, wird ihrem Sport
aber sicherlich in anderer Funktion treu
bleiben. Wie wär’s mit FIFA-Präsidentin?
Aktuell unterstützt Abby jedenfalls schon
mal eine Initiative, die in der männer klüngelnden FIFA-Führungsebene eine Frauenquote von 30 Prozent fordert.
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*82 Kolumne_00 Inhalt Relaunch 04.12.15 19:44 Seite 82
KOLUMNE
Die Verspießerung der Gesellschaft und auch der Lesbenszene ist in vollem Gange.
Somit ist es dringend Zeit für ein flammendes Plädoyer:
Raus aus den Puschen und ab auf die Straße – wir brauchen euch!
Liebe Biedermeierinnen,
runter vom Sofa!
Seit eine Jugendstudie 2010 konstatierte,
die „Jugend von heute“ sei erwachsen,
vernünftig, zielstrebig, bildungs- und karriereorientiert, wenig politisch engagiert und
träume von einem kleinen Haus mit Garten
oder einer hübschen Eigentumswohnung,
mehren sich die Kolumnen und Reportagen,
die in der Generation der „Millennials“
die neuen Spießerinnen und Spießer und
eine wahre „Generation Biedermeier“
erblickt haben wollen.
Auch unter uns L-MAG-Autorinnen hält sich
hartnäckig der Verdacht, die jüngere Leserin
freue sich aufs Verpartnern und Kinderkriegen, mache sich mehr Sorge darüber, ob
man denn in einer Beziehung masturbieren
dürfe, als über die politische Weltlage, und
träume eher von der Vereinbarkeit von
Kindern und Karriere als von der „Revolution
Grrrl Style now!“
Ginge es hier allerdings wirklich nur um
einen kleinen Generationenkonflikt, könnte
ich mir stolz den lesbischen Ehrentitel der
verbitterten Alten anziehen, demonstrativ
mein eigenes Unvermögen zugestehen, dass
eben jede Generation ihre eigenen Stil,
politisch zu sein, entwickeln muss, zur Schau
stellen und darauf warten, dass mir meine
jüngeren Freundinnen endlich einen Hund
schenken. Denn mit so einer boshaften
Person kann es nur ein derart einfältiges Tier
aushalten.
Doch meine eigenen Altersgenossinnen sind
ja kein Stück besser. Auch hier breitet sich die
neue Verspießerung schneller aus als in den
letzten 10 Jahren die Hipster-High-EndKaffeemanufakturen in Berlin Kreuzberg. Die
prekarisierten Kulturarbeiterinnen Mitte/Ende dreißig ziehen sich in heimelige Zwei82
samkeiten zurück, bauen Nester in den –
komplett überteuerten, aber eben zu zweit
gerade noch bezahlbaren – „Fast noch Innenstadt!“-Wohnungen und haben auf einmal
ökologische Balkonlandwirtschaft, die beste
Tupperware für den veganen Aufstrich und
Einbauküchen im Kopf statt Aktivismus,
Hedonismus und den ganzen anderen Sex,
Drugs & Rock ‘n’ Roll-Kram, mit dem wir uns
früher herumschlugen. Zwar lamentieren wir
gelegentlich noch gemeinsam über die aussterbende Gattung der Lesbenbar, doch wie
„Zuhause fressen
einem die Wollmäuse
das Gehirn weg“
soll die sich auch halten, wenn die Damen gegen 21.45 Uhr nach dem gerade mal zweiten
Drink schon finden, sie hätten jetzt aber
wirklich über die Stränge geschlagen und es
sei dann doch Zeit für Abendyoga, Zahnseide
und Spooning (also schön die Löffelchennummer) vor der „Heute-Show“ mit der
romantischen Zweierbeziehung. Am Wochenende ist dann vielleicht noch Grillen im
Garten oder vielleicht mal ein Picknick im
Park angesagt – aber nicht wieder so lange!
Ansonsten wird der Kontakt mit der Außenwelt auf Arbeit und Wochenendeinkauf
beschränkt. Der Rückzug ins entpolitisierte
Private ist in vollem Gange.
Die Homo-Community selbst wird nur noch
zu den traditionellsten Ritualveranstaltungen
wie Frauenfußball-WM, Eurovision-Song-
Contest und zum CSD konsumiert. Was man
strenggenommen auch niemandem übelnehmen kann. Denn ansonsten ist sie zur
Bühne für Erbstreitereien zwischen den
selbsternannten Nachlassverwaltern und
-verwalterinnen längst vergangener aktivistischer Kämpfe geworden und dient viel zu oft
als homonationalistisches Statistenreservoir,
das immer dann für konservative und neoliberale Politker und Politikerinnen interessant
wird, wenn angesichts allzu menschenfeindlicher Politik mal wieder irgendwo öffentlich
betont werden muss, wie „offen, tolerant und
so schön bunt hier“ doch alles ist. Ansonsten
gilt der Kampf um das Recht, die eigene
romantische Zweierbeziehung mit einem
staatlichen Segen versehen lassen zu dürfen
als Sternstunde des Aktivismus – und ist
nicht selten das primäre Ziel, auf das sich die
Community noch konzentriert.
„Dahoam sterben die Leut“, sagte meine Oma
immer. Zuhause fällt man nach dem Gardinenbügeln von der Leiter. Zuhause fressen
einem die Wollmäuse das Gehirn weg. Und
wo Biedermänner und -frauen vor dem Fernseher wegdämmern, haben es Brandstifter
und Brandstifterinnen leicht. Und von denen
gibt es derzeit mehr als genug. Es ist zu befürchten, dass nach den Anschlägen von Paris
rassistische Bewegungen wie Pegida und Co.
einen Aufschwung erleben werden. Deswegen,
liebe Biedermeiers: wir brauchen euch!
Kommt mit auf die Straßen, bringt gerne die
Tupperware mit den selbstangebauten BioGemüseschnitzen mit, wir bemühen uns
auch, pünktlich zum „Tatort“ wieder zuhause
zu sein. Aber ernsthaft, wer jetzt zuhause
entpolitisiert Cocooning betreibt, hält den
Brandstiftenden die Lunte.
// Katrin Kämpf
L-MAG
Titel_L-MAG_U2_U3_U4_01_16_Layout 1 07.12.15 15:02 Seite 4
SEIT 50 JAHREN LEISTEN GEWÖHNLICHE
MENSCHEN AUSSERGEWÖHNLICHES.
WERDE TEIL DER GRÖSSTEN MENSCHENRECHTSBEWEGUNG DER WELT UND KÄMPFE MIT UNS
GEGEN UNTERDRÜCKUNG UND GEWALT. SEI DABEI. MIT DEINER UNTERSCHRIFT. DEINER SPENDE.
DEINEM EINSATZ. AMNESTY.DE
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