Nr. 8/2015 - Schleswig-Holsteinischer Richterverband

SCHLESWIGHOLSTEINISCHER
RICHTERVERBAND
verband der richterinnen
und richter,
staatsanwältinnen und
staatsanwälte
Kiel, im August 2015
Stellungnahme Nr. 08/2015 (neu)
Abrufbar unter www.richterverband.de
Stellungnahme zu der gesetzgeberischen Initiative
zur Aufgabenverlagerung in der Justiz
– KomPakt – Kompetenzen stärken, Potenziale aktivieren –
(Entwurf eines Gesetzes zur flexiblen Aufgabenübertragung
in der Justiz [Stand: 22.07.2015])
Der Schleswig-Holsteinische Richterverband spricht sich gegen die gesetzgeberische Initiative zur Aufgabenverlagerung in der Justiz (KomPakt) aus.
I.)
Zum Gesetzesentwurf insgesamt
Gegenstand des Gesetzentwurfs ist die Eröffnung weiterer Möglichkeiten für die
Länder, einerseits richterliche Aufgaben auf den Rechtspfleger und andererseits
Rechtspflegeraufgaben auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in verschiedenen Sachgebieten zu übertragen.
Der Gesetzentwurf sieht die Übertragung von richterlichen Aufgaben auf Rechtspfleger bei
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Nachlasssachen,
-
der ersten Kostenerinnerung und
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Verbraucherinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren
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sowie die Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bei
-
der Kosten- und Vergütungsfestsetzung im Sinne von § 21 RPflG und
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der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen
vor.
Der Schleswig-Holsteinische Richterverband stellt sich gegen den Vorschlag neuer
Länderöffnungsklauseln. Sie führen zu einer weiteren Rechtszersplitterung. Gerade vor dem Hintergrund der europäischen Annäherung ist ein immer größer werdender „Flickenteppich“ in der Anwendung von Verfahrensgesetzen nicht zu befürworten.
Der Gesetzesentwurf geht davon aus, dass die technischen Entwicklungen im EDVBereich, unter anderem die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der
elektronischen Akte in der Justiz, mittel- und langfristig zu einer sinkenden Auslastung des Servicebereichs führen werde.
Dieser Einschätzung tritt der Schleswig-Holsteinische Richterverband entgegen. Die
flächendeckende Umstellung der gerichtlichen Praxis auf elektronische Informationsund Kommunikationstechnologie ist ein sehr ambitioniertes Projekt, das große Kraftanstrengungen bei allen Beteiligten erfordert. Die Einführung des elektronischen
Rechtsverkehrs und insbesondere der elektronischen Aktenführung führt mindestens mittelfristig zu einem erhöhten Personalbedarf. Eine effektive und nachhaltige Umstellung des gerichtlichen "Workflows" auf elektronische Informations- und
Kommunikationstechnologie setzt dabei eine Verstärkung der IT- und Organisationsabteilungen voraus. Personal ist auch für die wichtige Aufgabe der Schulung der
Richter und sonstigen Mitarbeiter in der Justiz erforderlich. Schulung ist hier nicht nur
als einmalige Einweisung in den Arbeitsplatz zu verstehen, sondern - zumindest mittelfristig – auch als dauerhafte Betreuung und Begleitung der Anwender.
II.)
Zu den einzelnen Änderungsvorschlägen
1.)
Zur Aufgabenübertragung bei der ersten Kostenerinnerung
Die in einem neuen § 3a RPflG-E vorgesehene Öffnungsklausel soll es den Ländern
ermöglichen, die Zuständigkeit für Entscheidungen über die erste Kostenerinnerung
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(§§ 66 Abs. 1 GKG, 57 Abs. 1 FamGKG, 81 Abs. 6 GNotKG, 22 JVKostG, 5 Abs. 2
GvKostG) bzw. die erste Vergütungserinnerung (§ 56 Abs. 1 RVG) einheitlich auf
den Rechtspfleger zu übertragen.
Dieser Gesetzesvorschlag wird zu einer Mehrbelastung der Gerichte vor allem
dann führen, wenn die angefochtene Kosten- oder Vergütungsrechnung den Mindestbeschwerdwert (z.B. § 66 Abs. 2 S. 1 GKG) von EUR 200,- nicht übersteigt.
Denn es würden mit der Kosten- bzw. Vergütungsrechnung bei demselben Gericht
insgesamt drei statt bisher zwei Gerichtspersonen befasst werden können. Zunächst
wird die Kostenrechnung durch einen Kostenbeamten erstellt (erste Gerichtsperson).
Über die erste Erinnerung entscheidet nach dem Gesetzesvorschlag ein Rechtspfleger (zweite Gerichtsperson) auch dann, wenn in der Hauptsache der Richter zuständig gewesen ist. Entscheidet der Rechtspfleger über die erste Erinnerung, ist hiergegen die zweite Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG statthaft. Über diese entscheidet
nun der Richter (dritte Gerichtsperson). Nach der bisherigen Rechtslage sind mit der
Kostenrechnung lediglich der Kostenbeamte und auf die (einzige) Erinnerung der
Richter, soweit er auch in der Hauptsache zuständig gewesen ist, befasst.
2.)
Zur Aufgabenübertragung bei Verbraucherinsolvenzverfahren und Rest-
schuldbefreiungsverfahren
Die in einem neu gefassten § 19 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 Nr. 5 RPflG-E vorgesehene Öffnungsklausel soll es den Ländern ermöglichen, das Verbraucherinsolvenzverfahren
und das Restschuldbefreiungsverfahren vollständig auf Rechtspfleger zu übertragen.
Der Gesetzgeber hat bei Einführung der InsO die geteilte Zuständigkeit zwischen
Rechtspfleger und Richter, wie folgt, begründet:
"Dem Richter sind jedoch die Entscheidungen vorzubehalten, die zu treffen sind,
wenn ein Gläubiger Versagungsgründe entweder im Schlusstermin (§§ 289, 290 InsO), während der Dauer der 'Wohlverhaltensphase' (§§ 296, 297 InsO) oder im
Rahmen der abschließenden Anhörung (§ 300 InsO) geltend macht oder den Widerruf der (rechtskräftig) erteilten Restschuldbefreiung beantragt (§ 303 InsO). Diese
Tätigkeiten kommen der rechtsprechenden Tätigkeit i.S.v. Art. 92 GG zumindest
sehr nahe, da sie in einem kontradiktorischen Verfahren nach Anhörung der Beteiligten ergehen, regelmäßig schwierige Abwägungen und Bewertungen erfordern und
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tief in die rechtliche Stellung des Schuldners oder der Gläubiger eingreifen. Sie sind
daher aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Richter vorzubehalten."
Der Schleswig-Holsteinische Richterverband unterstützt diese verfassungsrechtliche Bewertung. Entscheidungen über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die
Versagung und den Widerruf der Restschuldbefreiung berühren sowohl Schuldner
als auch Gläubiger sehr stark in ihren Rechten aus Art. 14 GG: den Gläubiger, weil
er nach Ende der Wohlverhaltensperiode zumindest einen Teil seiner Forderung verliert, und den Schuldner bei Versagung oder Widerruf der Restschuldbefreiung, da
ihm dadurch ein Neuanfang ohne Schulden verwehrt ist. Aufgrund dieser erheblichen Grundrechtsrelevanz der Entscheidungen sollten diese durch einen Richter
erfolgen.
Ob die in der Begründung des Gesetzesentwurfs (S. 11 ff.) angeführte Entscheidung
des BVerfG NJW-RR 2010, 1063 verallgemeinerungsfähig ist, dürfte zu hinterfragen
sein. In seinem Nichtannahmebeschluss hatte sich das BVerfG mit einem Antrag auf
Neufestsetzung des Stimmrechts nach § 18 Abs. 3 RPflG zu befassen, über das der
Richter zu entscheiden hat. Bei diesem Verfahren handelt es sich aber nicht um ein
Erinnerungsverfahren im Sinne von § 11 RPflG, welches sich lediglich auf eine richterliche Kontrolle der Entscheidung des Rechtspflegers beschränkt.
Darüber hinaus ist mit einer echten Kapazitätsersparnis auf Richterebene bei dem
Gesetzesvorschlag nicht zu rechnen. Vielmehr wird von einer Mehrbelastung der
Gerichte auszugehen sein. Denn § 11 RPflG eröffnet die Erinnerung gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, was der Gesetzentwurf (S. 13 f.) im Bereich der
kontradiktorischen Entscheidungen als verfassungsrechtlich notwendig zuerkennt.
Regelmäßig wird also zu erwarten sein, dass auf der Grundlage des Gesetzesvorschlags regelmäßig zwei Gerichtspersonen mit der Sache befasst sein werden (nämlich der Rechtspfleger und auf die Erinnerung der Richter), statt bisher nur eine
(nämlich der Richter).
Der Gesetzesvorschlag führt auch zu einer Verlangsamung des Insolvenzverfahrens. Die mit der Erinnerung nach § 11 RPflG anfechtbaren Entscheidungen des
Rechtspflegers sind nicht mit Erlass, sondern erst zwei Wochen nach Zustellung
rechtskräftig (vgl. die Erinnerungsfrist nach § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG). Be einer eingelegten Erinnerung hat der Rechtspfleger über eine Abhilfe zu entscheiden, bevor
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dann im Falle der Nichtabhilfe der Richter abschließend entscheidet. Diese Verlangsamung des Verfahrens widerspricht dem im Insolvenzverfahren herrschenden Beschleunigungsgebot.
3.)
Zur Aufgabenübertragung bei Nachlassverfahren
Die in einem neu gefassten § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 RPflG-E vorgesehene Öffnungsklausel soll es den Ländern ermöglichen, Entscheidungen über Anträge, eine vom
Erblasser für die Verwaltung des Nachlasses durch letztwillige Verfügung getroffene
Anordnung außer Kraft zu setzen und Entscheidungen bei Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Testamentsvollstreckern auf Rechtspfleger zu übertragen.
Bereits durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz (BGBl. 2004 I, S. 298) wurden
die Länder in § 19 RPflG ermächtigt, zahlreiche Richtervorbehalte, insbesondere im
Bereich
der
Nachlasssachen,
aufzuheben.
Es
erscheint
dem
Schleswig-
Holsteinischen Richterverband als sinnvoll, zunächst die praktische Handhabung zu
§ 19 RPflG zu evaluieren, bevor der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erweitert
wird.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bewertung und der Wirkung einer Mehrbelastung für die Gerichte kann auf die Ausführungen zum Verbraucherinsolvenzverfahren und Restschuldbefreiungsverfahren verwiesen werden.