Ernährung nach Bauchoperationen

Ernährung nach
Bauchoperationen
Dr. med. A. Kruschke
Leitender Oberarzt
der
Klinik für Allgemeine, Visceralund Gefäßchirurgie
Die Abbildungen mussten aufgrund
möglicher copyright-Verletzungen
unkenntlich gemacht werden
Der
Verdauungstrakt
(Intestinaltrakt)
 Der Verdauungstrakt
des Menschen ist insges.
ca. 7-12m lang
 Die innere Oberfläche
hat durch Falten, Zotten
und Bürstensaum des
Darmes in etwa die Fläche
eines Tennisplatzes
Falten, Zotten und Bürstensaum
des Darmes
Das „Darmhirn“
enterisches Nervensystem ENS
énteron = griech. Darm/Eingeweide
Komplexes Geflecht aus
ca. 100 Mio. Nervenzellen
(4-5 mal mehr als im
Rückenmark!)
Das ENS arbeitet autonom
aber z.T. auch eng mit dem
Gehirn (ZNS) zusammen
Das autonome Nervensystem
Das „kleine Gehirn“ sendet mehr
als es empfängt
 Nur etwa 10-15% der Nervensignale zw.
Kopf und Bauch kommen vom Gehirn,
85-90% der Kommunikation läuft vom Bauch
in das Gehirn!
 Da die Überträgerstoffe (Transmitter) der
Bauchnerven mit denen des zentralen
Nervensystems übereinstimmen, haben
bestimmte Schmerzmittel wie auch manche
psychotrope Medikamente einen starken
Einfluss auf die Eingeweidefunktion
Gesunde Darmflora
(gewichtiger Teil des sogenannten „Mikrobioms“)
 Das Mikrobiom des Darmes ist ein komplexes Ökosystem von etwa
100 Billionen Bakterien (ca. 10 mal mehr als unser Körper Zellen hat!)
 ca. 1 bis 2 kg des Körpergewichts sind Darmbakterien
 Die Darmbakterien sind unerlässlich für die Aufspaltung der Nahrung,
produzieren Vitamine und sind Teil des Immunsystems
 Auch die Vielfalt der Darmbakterien ist von besonderer Bedeutung für
die Gesundheit (etwa 36.000! Bakterienarten sind bekannt – hiervon
kommen ca. 500-1000 Arten auf einen einzelnen Menschen)
Das Mikrobiom des Darmes
 Darmbakterien erzeugen etwa 5-10%
unseres täglichen Energiebedarfes
 Ist die Darmflora intakt (d.h. richtig
zusammengesetzt) kann sie schädliche
Mikroorganismen wie z.B. krankmachende
Salmonellen verdrängen
 Da unsere meisten Bakterien im Dickdarm
leben sind auch ca. 70% der „Abwehrzellen“
unseres Immunsystems in der Schleimhaut
des Dickdarmes angesiedelt
Buttersäure (Butansäure)
 Butansäure (BS) dient den Epithelzellen
des Dickdarms als Energiequelle
 Im menschlichen Dickdarm entsteht BS
vor allem beim Abbau von präbiotischen
Kohlenhydraten (nicht durch das Essen
von Butter!) mittels Laktobazillen und
Bifidobakterien (z.B. in Joghurt)
 d.h. ohne Bakterien keine Buttersäure
und die Dickdarmschleimhaut „hungert“
 Darüber hinaus verschiebt BS den pHWert in den sauren Bereich und macht
das Milieu für z.B. Salmonellen und
andere Krankheitserreger ungünstig
Darmbakterien wirken weit über den
Darm hinaus
 Es konnte nachgewiesen werden, dass
Darmbakterien verschiedene biologisch
aktive Substanzen produzieren die z.T.
komplexe Auswirkungen auf unsere
Gesundheit haben
 Eine bakterielle Fehlbesiedelung des
Dickdarms kann z.B. Allergien,
Depressionen, Multiple Sklerose, chron.
Darmentzündungen, Diabetes und
Fettleibigkeit fördern
Darmbakterien und Darmzellen
können das Gehirn beeinflussen
 Mäuse, die mit Antibiotika behandelt werden sind im Experiment nur
eingeschränkt denk- und merkfähig
 Mäusen denen man regelmäßig Probiotika wie z.B. das Lactobacillus
rhamnosus zuführt und diese mit Hilfe von Präbiotika im Darm
ernährt, haben deutlich weniger Angst und sind aktiver
 Untersuchungen an Menschen mit Angststörungen und Depressionen
zeigen bestimmte Veränderungen der Darmflora und eine vermehrte
Durchlässigkeit der Darmwand für Bakterienbestandteile
Schützen bestimmte Darmbakterien
vor Übergewicht?
 Amerikanische Forscher haben Mäusen Darmbakterien von
menschlichen Zwillingen „transplantiert“ von denen einer dick und der
andere schlank war
 Die Nager, die die Darmflora von dem adipösen Zwillingsmenschen
bekamen wurden ebenfalls dick, die anderen blieben schlank!
 z.Z. gibt es mehrere wissenschaftliche Studien mit Hilfe von FäkalTransplantationen (von Mensch zu Mensch) Krankheiten zu
therapieren
Ein artenreicher Bakterienmix im
Darm
 Untersuchungen des Darmmikrobioms von isoliert
lebenden Amazonasindianern (Yanomami-Stamm der
erst 2008 entdeckt wurde!) zeigen eine deutlich
vielfältigere Bakterienflora als in der „zivilisierten“
Welt
 Die zum Vergleich untersuchten Nordamerikaner
haben eine um 40% reduzierte Biodiversität
 Als Gründe werden falsche oder übertriebene
Hygiene, westliche (fast food) Ernährung und ein zu
hoher Antibiotikaverbrauch vermutet
Menschen lassen sich anhand
ihrer Darmflora einteilen
 Ähnlich wie bei den Blutgruppen lassen sich Menschen anhand
ihrer Darmflora in sog. „Enterotypen“ einteilen
 Die Enterotypen werden nach der vorherrschenden Bakterienart
benannt:
I. Bacteroides-Typ
II. Prevotella-Typ
III. Ruminococcus-Typ
 Das bedeutet, dass die Verdauung bei jedem von uns etwas
anders verläuft
(Der Bacteroides-Typ hat z.B. den Nachteil einer stärkeren
Kohlenhydrat-Produktion und wird nachweislich schneller
übergewichtig!)
Fäkal-Transplantation
 Hierbei wird zuvor der Kot des „Spenders“ aufwendig
mikrobiologisch untersucht, verflüssigt und filtriert
 Die an „Cappuccino“ erinnernde Stuhlflüssigkeit wird
dann über eine Sonde in den Dickdarm des
Empfänger „geimpft“
 Die Methode wird in Deutschland bislang nur in
Studien und in Einzelfällen wie z.B. bei einer lebensgefährlichen Falschbesiedelung des Dickdarmes mit
Clostridium difficile (Krankenhauskeim) angewandt
Chirurgie im Wandel
 Früher musste man vor einer Bauchoperation Diät
halten und sich einer intensiven Darmreinigung
unterziehen
 Baucheingriffe wurden häufig über große Schnitte
operiert und man benötigte größere Mengen von
Schmerzmitteln die den Verdauungstrakt lähmten
 Die prophylaktische Gabe von Antibiotika
erstreckte sich über viele Tage
 Nach dem Eingriff durfte man längere Zeit nicht
essen/trinken und wurde zur „Schonung“ im Bett
belassen
 Das sog. Postaggesionssyndrom konnte sich so
stärker ausbilden
Das Postaggressionssyndrom PAS
Das PAS ist eine angeborene stereotype Reaktion des Körpers
die der Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit junger
Individuen in lebensbedrohlichen Stresssituationen dient (z.B. bei
Kampf-, Flucht- und Verletzungssituationen)
Es kommt zu:
 einer Freisetzung von Hormonen zur Blutdruckstabilisierung
bei Blut- und Flüssigkeitsverlusten
 einer schnellen Bereitstellung von Energieträgern
 einem Stillstand der Verdauungsprozesse (Darmatonie)
 und damit zu einer zehrenden Stoffwechsellage (Katabolie)
Die vier Stadien des PAS
1. Verletzungsphase: ca. 2 – 3 Tage nach der Operation
der Patient ist depressiv, hat Schmerzen, verspürt Durst, ist
appetitlos und hat eine geringe Darmbewegung (Atonie)
2. Wendephase: ab 4. postoperativer Tag
Puls, Blutdruck, Atmung und Darmperistaltik (vegetative
Funktionen) normalisieren sich
3. Aufbauphase: dauert ca. 2 – 3 Wochen
der Eiweißaufbau (positive Stickstoffbilanz) setzt ein, es
besteht erhöhter Schlafbedarf, die Stimmungslage bessert sich
4. Reparationsphase: Wochen bis Monate
es kommt zur Gewichtszunahme (Anabolie), Leistungsfähigkeit
und Hochgefühl
Das Fast-Track-Konzept in der
Chirurgie
In der „Schnellspur-Chirurgie“ möchte man die Erholung des
Patienten nach dem Eingriff beschleunigen.
Hierzu sollte der Patient:
 vor der Op nur kurzfristig nüchtern sein und nicht komplett
abgeführt werden
 einen sog. Periduralkatheter erhalten (nach der OP weniger
Schmerzen und mehr Darmperistaltik durch Sympatikolyse)
 möglichst mit einer minimal invasive Op-Methode (SchlüssellochChirurgie) behandelt werden
 noch am Tage der Op essen, trinken und mobilisiert werden
 möglichst keine längerfristigen Antibiotikagaben, keine Katheter
und Drainagen erhalten
Modernes Konzept präoperativer
enteraler Ernährung
Die früher praktizierte präoperative (Langzeit-)Nüchternheit und die
komplette Darmreinigung ist nur noch in Ausnahmefällen sinnvoll.
Das Essen von festen Speisen bis zu 6 Stunden vor dem Eingriff und
das Trinken von klaren, kohlenhydrathaltigen Flüssigkeiten bis zu 2
Stunden vor der Narkose verbessern nachweislich:
 das Wohlbefinden und die Blutzucker-Regulationsfähigkeit des
Patienten
 mindern das Risiko für postoperative Komplikationen
 ermöglichen einen schnelleren Kostaufbau und Erholung des
Patienten nach der Operation
Enterale Ernährung nach Eingriffen
- so schnell wie möglich!  Die Ernährung über den Mund oder per Sonde über
den Darm hat gewichtige Vorteile gegenüber einer
Infusionsernährung (Tropf) über die Venen
Die frühzeitige enterale Ernährung:
 erhält die Aufnahmefähigkeit der Darmschleimhaut
 erhöht die Durchblutung der Baucheingeweide
 erhält die immunologische Funktion des Darms und
reduziert den Durchtritt von Bakterien in das Blut
(Bakterientranslokation)
Wichtigkeit einer „Mini“-Ernährung
des Darmes nach großen Operationen
„Zottenernährung“
 Im Gegensatz zu anderen Organen
kann der Darm nicht über lange Zeit
ausschließlich parenteral (d.h. über
Infusionen) gesund erhalten werden
 Die Darmzotten benötigen eine
minimale enterale Ernährung damit
sie nicht atrophieren und die sog.
Mukosaintegrität (Dichtigkeit
gegenüber Bakterien) erhalten bleibt
gesunde Darmzotten
Fehlende „Zotten-Ernährung“
Die Mukosaintegrität des Darmes
gesunde Dünndarmwand
Darmwand eines
Schockpatienten
Diät nach Baucheingriffen
 „Die“ Diät nach Baucheingriffen gibt es nicht
 Je nach betroffenem Organ oder Ausdehnung der Operation (z.B. bei
Kurzdarmsyndrom) können aber zeitlebens Diätempfehlungen
bestehen
 Allgemein sind postoperativ kalorienreiche, leicht verdauliche
Nahrungsmittel günstig (z.B. fettarme gesäuerte Milchprodukte,
Kartoffeln, Reis, Haferflocken, geriebener Apfel, Bananen, Birnen,
Karotten, trockener Kuchen etc.)
 Ungünstig sind blähende Nahrungsmittel, sehr scharfe Gewürze und
hochprozentiger Alkohol
 6-8 kleine Mahlzeiten pro Tag
Kann eine „geschädigte“ Darmflora
durch eine Diät restauriert werden?
 Eine falsch zusammengesetzte Darmflora (z.B. nach einer
antibiotischen Therapie) zeigt keine typischen Symptome
 So sind z.B. Blähungen, Völlegefühl, Verstopfung/zu weicher Stuhl und
fehlende Vitalität nur wenig richtungweisend
 Eine komplette Darmbakterien-Diagnostik ist teuer (mind. 2000 €) und
noch nicht ausreichend erforscht - daher kann eine Empfehlung
bestimmte Bakterien (Probiotika) „einzunehmen“ i.d.R. nicht gegeben
werden
 Für eine „Regenerierung“ der Darmflora gibt es aber dennoch DiätEmpfehlungen die auf bestimmte Milchsäurebakterien setzt
 So werden z.B. nicht pasteurisiertes Sauerkraut, der sog. Brottrunk und
saure Milchprodukte zusammen mit ballaststoffreichen Speisen wie
z.B. Äpfeln, Bananen, Radieschen, Chicorée, Kartoffeln und
Haferflocken als günstig eingeschätzt
Schlusswort
 In der modernen chirurgischen Therapie werden
zunehmend schonendere chirurgische Verfahren, wie z.B.
laparoskopische Op‘s zur schnelleren Rekonvaleszenz der
Patienten entwickelt und eingesetzt
 Die „Störung“ der Verdauungsfunktion im Rahmen eines
chirurgischen Baucheingriffs wird heute möglichst kurz
gehalten
 Notwendige Antibiotikagaben werden auf ein Mindestmaß
beschränkt um das Gleichgewicht des Mikrobioms nicht
nachhaltig zu stören