ISSN 1435-8387 Loccumer Pelikan 1/16 Religionspädagogisches Magazin für Schule und Gemeinde des Religionspädagogischen Instituts Loccum Religion und Musik Musik und Evangelium – eine wunderbare Beziehung Musik und Religion – ein didaktisches Traumpaar Evangelische Tradition in aktuellen Liederbüchern Die Jonageschichte musikalisch umsetzen Reformation durchs Lied: gesungener Protest „Du hast ihn nie verraten, deinen Plan von Glück!“ „Musibel“ – Musicals selbst produzieren „You´ll never walk alone“ – Fangesänge und Religion „Klasse! Wir singen“ loccum inhalt Silke Leonhard editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 inhalt grundsätzlich Jochen Arnold Musik und Evangelium – eine wunderbare Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Peter Bubmann Musik und Religion – ein didaktisches Traumpaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 nachgefragt Thomas Ebinger und Til von Dombois Welche Rolle spielt die evangelische Tradition in aktuellen Liederbüchern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 praktisch Almut Volkers „Manchmal geht es mir wie Jona“. Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken … . . . . . . . . . . . . 16 Eva Gotthold Reformation durchs Lied: gesungener Protest. Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums . . . . . 22 Franziska Jaap „Du hast ihn nie verraten, deinen Plan von Glück!“ Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Axel Klein „Musibel“ – Musicals selbst produzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Christhard Lück „96, alte Liebe“ oder „You´ll never walk alone“. Fangesänge und ihre religiösen Implikationen als Gegenstände eines lebensweltorientierten Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 informativ Gerd-Peter Münden „Klasse! Wir singen“. Ein kulturübergreifendes Musikprojekt für Klassenstufe 1 bis 7. . . . . . . . . . . . . . . . 43 Oliver Friedrich Die Kinder des Monsieur Mathieu. Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Sönke von Stemm und Claudia Kasprzyck Konfirmandenarbeit mit musischen Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Ausgestellt: Jürgen Born: Jazz colours – von der Sichtbarkeit der Töne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interaktive Wanderausstellung „Religramme. Gesichter der Religionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In eigener Sache: Matthias Hülsmann neuer Dozent für Theologische Fortbildung und Kirchenpädagogik . . . . . Buch- und Materialbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachrichten aus Schule, Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veranstaltungen von März bis Mai 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 49 50 50 53 54 55 Titelbild: „Klasse! Wir singen“ Loccumer Pelikan 1/2016 editorial editorial 1 Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wäre das Leben ohne Religion und ohne Musik? Beide verbindet eine gewisse Verwandtschaft: Musik und Religion sind kulturell geprägt, sie haben etwas Spirituelles und sie bringen Menschen zusammen. Für diese Metaphorik gibt es gründliche Gründe. Wir widmen das vorliegende kompakte Heft – auch im Nachklapp zum Treffpunkt Religion im vergangenen Herbst – dieser Dimension, die Menschen zu durchdringen, Generationen, Religionen und Völker zu kennzeichnen, aber auch zu verbinden vermag. In den letzten Monaten hat sich ein Thema besonderes Gehör verschafft: Die Frage nach Hilfe im Umgang mit Flüchtlingen ist auf vielen Ebenen zu einem der brennendsten Themen der Öffentlichkeit geworden. Persönliche und politische Erfahrungen werden berührt, pädagogische und religiöse Belange sind betroffen und liegen in Bezug auf aufbrechende Fragen, wie Bildung und Erziehung ermöglicht und organisiert werden, oben auf. Die Jahreslosung 2016 antwortet auf Leiderfahrung, aber auch auf entstehende Verunsicherung mit einer Trostverheißung, indem sie prophetisch Glauben im Gleichnis familiärer Verwurzelung aufgreift. Gott spricht [den Menschen zu]: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet (Jesaja 66,13). Dass Musik hilft, zeigt Heinz-Rudolf Kunzes gleichnamige Initiative, mit der Instrumente für die Flüchtlingsarbeit gesammelt werden. Viele Informationen finden Sie im Themenportal des RPI zu Flüchtlingen (www.rpi-loccum.de/ThemenportalFluechtlinge). Beim Weiterlesen dieser Ausgabe finden Sie grundsätzliche Überlegungen, Gedanken, Informationen und Anregungen zu klingender Praxis in Kita, Schule und Konfirmandenarbeit. Singen gehört zur Menschwerdung hinzu – diese Erfahrung zieht sich durch das Heft, in dem Impulse im Kontext von Musikprojekt, fächerverbindendem Unterricht, kirchengeschichtlichen Themen Loccumer Pelikan 1/2016 und anderen Impulsen mehr bis zur singenden Schule gegeben werden. Jochen Arnold kristallisiert heraus: Als Botschaft versetzt Musik den Menschen von einer anderen Sphäre her in Schwingungen. Insofern ist sie performativ und inszeniert Gottes bei uns wohnende Zuwendung. Peter Bubmann zeigt entwicklungsbezogen die anthropologischen Funktionen und Bildungschancen einer subjektorientierten Didaktik auf, die durch und mit Musik arbeitet. Das Projekt Klasse! Wir singen gibt ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass Musik nicht nur leistungsbetonten Könnern gegönnt ist, sondern mit körpereigenen Instrumenten kulturelle Teilhabe und (Schul-)Gemeinschaft stiftet. Geliebte, aber auch ungeliebte Ohrwürmer sind hartnäckig, das hat in ähnlicher Weise der amerikanische Neurologe Oliver Sacks bereits beobachtet. Im Alltag fragt man sich oft: Muss es immer gleich J.S. Bach sein, damit menschliche Wirklichkeit bereichert wird? Und ist das eine Geschmacksfrage? Erste Hinweise darauf gibt die Rubrik nachgefragt. Wir werden im Frühjahr mit einer neuen Ausstellung von Jürgen Born auch Musik sichtbar machen. Verlocken möchte ich Sie noch anderweitig zum Hin sehen – auf die Gesichter verschiedener Religionen in der interaktiven Wanderausstellung Religramme der Landes kirche (www.gesichter-der-religionen.de/ausstellung). Haben Sie heute schon gesungen, zumindest gesummt? Wenn nicht: Lassen Sie Ihrer Stimme einmal freien Lauf und beobachten Sie, was passiert. Mit dem Team des RPI wünsche ich Ihnen und uns allen ein klingendes, segensreiches und friedvolles Jahr! Herzlich grüßt Ihre Dr. Silke Leonhard Rektorin ausgestellt 2 Jazz colours – von der Sichtbarkeit der Töne Jürgen Born zeigt Werke im Religionspädagogischen Institut K ann man Musik malen? Können Klänge in Bildern „hörbar“ werden? Der Maler Jürgen Born geht dieser Frage in seinen Arbeiten nach. „Jazz colours“ nennt er das, was er auf der Leinwand tut. Dem Jazz Farbe geben. „Es sind die Farben des Jazz, die Born faszinieren. Erst mit den Farben des Jazz endete der Widerstreit zwischen Malerei und Musik. Erst mit dem Jazz gelingt es Jürgen Born, Töne sichtbar zu machen, Schallwellen in Lichtwellen umzuwandeln.“ (www.jazzcolours.de) Viele der großformatigen Werke des Künstlers, der seit vierzig Jahren mit der Jazzszene in Hannover verbunden ist, zeigen Musiker und Musikerinnen bei dem, was ihre Leidenschaft ist: Musik machen, Jazz spielen. Die Menschen und ihre Instrumente stehen im Mittelpunkt der Bilder von Jürgen Born, die impulsiv und farbintensiv daher kommen. Seine Bilder sind voller Schwingungen und Emotionen – so wie die Musik, die die Menschen auf den Bildern machen. Borns Werke wurden in den vergangenen Jahren bei zahlreichen Jazzfestivals gezeigt, u.a. beim Jazzfestival St. Ingbert und beim internationalen Jazzfestival in Göttingen. Darüber hinaus sind seine Interpretationen von Künstlern und Musik als Festivalmotive beliebt. Vom 4. April bis zum 23. Juli präsentiert das Religionspädagogische Institut eine Auswahl der „Jazzcolours“ von Jürgen Born. Das RPI ist montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr, sonnabends und sonntags, 9 bis 12 Uhr, geöffnet. Jürgen Born, Street-Trumpetplayer, 2015, Öl auf Passepartout, 97 x 90 cm Oliver Friedrich Loccumer Pelikan 1/2016 grundsätzlich Von Jochen Arnold D er Philosoph Jürgen Habermas bezeichnete sich bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (2001) bekanntlich als „religiös unmusikalisch“ und verwendete damit ein Bonmot, das von Max Weber stammt. Es erzeugt eine pointierte Verknüpfung von Musik und Religion. Religion bekommt dadurch etwas Spielerisches, die Musik dagegen etwas Spirituelles. Sicherlich gibt es viele Menschen, die (wie Habermas) wenig Affinität zum Religiösen haben. Ebenso wenig strittig scheint es, dass Musikalität eine Gabe ist, die der eine weniger und die andere mehr in die Wiege gelegt bekommen hat. Dennoch richtet sich der folgende Beitrag nicht nur an besonders Gläubige oder besonders Musikalische, sondern an alle, die Freude daran haben, ungewöhnliche Bezüge zwischen verschiedenen Welten herzustellen, z. B. zwischen der Kunst und dem Wort. Was ist, wenn ein Gedanke plötzlich gemalt wird? Was passiert, wenn eine schöne Melodie unerwartet mit treffender Botschaft unterlegt wird? Sagen wir es deutlicher: Es geht im Folgenden um das Verhältnis von Musik und Evangelium. Was ist das Evangelische an der Musik und was ist das Musikalische am Evangelium?1 Nota bene: Wir sprechen im Folgenden bewusst von Musik (im Allgemeinen) und nicht zwingend von Kirchenmusik und beziehen uns dabei auf biblische, reformatorische und zeitgenössische Texte. Was ist das Evangelische an der Musik? Gehen wir zunächst von der ursprünglichen Bedeutung dessen aus, was evangelisch meint. Evangelisch kommt aus dem Griechischen von eu-angelion, gute, schöne Kunde oder Botschaft. Das deutsche Wort Engel (Bote) stammt daher. Es geht also um Klänge, die nicht aus uns selbst, sondern als Botschaften von außen, ja vielleicht sogar aus einer anderen Sphäre entgegenkommen. Zugleich eignet dem Begriff eu-angelion etwas Ereignishaftes, heute würde man sagen: etwas Performatives, an. Unser Leben wird durch dadurch zum Positiven verändert, vom Schönen bezaubert, in Bewegung versetzt zum Guten hin. Damit ist nicht gesagt, dass Musik per se göttlich sei. Dies würde christlichem Musikverständnis nicht entsprechen. Musik – und sei sie noch so schön gespielt oder gesungen – kann Staunen und Begeisterung wecken, aber soll nicht selbst zum Gegenstand der Anbetung oder Verehrung werden. Sie ist Gabe, nicht Idol. Doch der Reihe nach. Beginnen wir phänomenologisch. Die Welt ist voll von Musik. Ein Blatt raschelt im Wind, Bienen summen und Vögel singen. Ja, sogar Fische und Wale im Meer können Töne und Gesänge von sich geben. Luther schreibt: „Ich wollte von Herzen gerne diese schöne und köstliche Gabe Gottes, die freie Kunst der Musica, hoch loben und preisen. […] Denn wenn man die Sache recht betrachtet, so befindet man, dass diese Kunst von Anfang der Welt allen […] Creaturen von Gott gegeben, und von Anfang mit allen geschaffen ist.“2 Dass die Welt klingt, ist ein Geschenk von höchster Stelle, eine Art „Schöpfungsevangelium“. Vorsichtig interpretiert können wir sagen: Die Schöpfung ist einem aufgeschlagenen Buch vergleichbar. Musikalisch gesprochen ist sie eine zum Klingen gebrachte Partitur, die auf ihren Schöpfer, den göttlichen Komponisten, und seine Weisheit verweist. Treffend heißt es deshalb in Psalm 19,2: Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und seiner Hände Werk kündet das Firmament. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Nikolaus Harnoncourt formuliert dazu: „Musik ist ein Rätsel, ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt, ei- 1 Vorab sei bemerkt, dass der Begriff „evangelisch“ im Folgenden nie konfessionell enggeführt ist, sondern immer das zum Evangelium gehörige Adjektiv meint. Loccumer Pelikan 1/2016 2 Martin Luther, Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Georg Rhau (1538), WA 50, 371, Übersetzung Johann Walter. grundsätzlich praktisch Musik und Evangelium – eine wunderbare Beziehung 3 grundsätzlich 4 Jürgen Born, Carmen Souza singing, 2011, Öl auf Leinwand, 135 x 115 cm ne Sprache des Unsagbaren, die aber manchen letzten Wahrheiten und geheimnisvollen Erlebnissen näher kommt als die Sprache der Worte.“3 Die geheimnisvolle Schönheit der Weltenmusik ist also auf Musik im Allgemeinen übertragbar. Jede Art menschlicher Musik lässt etwas von der Phantasie und Weisheit des göttlichen Komponisten erahnen – die kunstvolle Reihe der klingenden Obertöne etwa, aber auch das Zusammenklingen von Tönen in einer Harmonie usw. Die Ordnung und Schönheit solcher Klänge zielt darauf, Menschen zu erfreuen und ihnen die Weisheit des göttlichen Logos (vgl. Joh 1; Weish 7,25-29) sinnlich erfahrbar zu machen. Der Dirigent Bruno Walter sagte einmal: „Ich glaube sogar, dass dem Menschen kein unmittelbarerer Zugang zum Erahnen des Logos und seines Wirkens gegeben ist als durch Musik, die von seinem göttlich schöpferischen und ordnenden Wesen tönende Kunde gibt.“4 Das Evangelische an der Musik ist demnach, dass sie vom Göttlichen Kunde gibt und damit menschliche Wirklichkeit bereichert. Das tut sie nicht zuletzt dadurch, dass Menschen beim Musizieren zu sich und zu anderen finden. Yehudi Menuhin (1916-1999), einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts, schreibt im Vorwort zu „il canto del mondo“, einer von ihm initiierten Initiative zur Förderung des Singens: „Das Singen ist die eigentliche Muttersprache aller Men schen: Denn sie ist die natürlichste und einfachste Weise, in der wir ungeteilt da sind und uns ganz mitteilen können – mit all unseren Erfahrungen, Empfindungen und Hoffnungen.“5 3 5 4 6 Vgl. Harnoncourt, Die Macht der Musik, 7f. Vgl. Walter, Von der Musik und vom Musizieren, 18f. Singen hilft uns, in der Gegenwart anzukommen und authentisch Gefühle zu erleben und weiterzugeben. Indem wir aufeinander hören, wird die Achtsamkeit aufeinander gestärkt und die soziale Kompetenz, vor allem bei Kindern, gefördert. Studien zeigen auch, dass aktives Musizieren und Singen die Sprachkompetenz stärkt. Musik tut also gut und bildet die Person. Ja, mehr noch, sie macht glücklich. Schon das rezeptive Hören von Musik und noch mehr aktives Singen und Musizieren können enorme Glücksgefühle auslösen. Bei einer einzigen Stunde Singen werden ungefähr dreimal so viele Glückshormone (z. B. Oxytocin und Serotonin) ausgeschüttet wie sonst.6 In kaum vergleichbarer Weise kann so unser vegetatives Nervensystem harmonisiert werden. Über das sog. limbische System, den Hypothalamus und den Hirnstamm, wird dies realisiert. Eine besondere Chance besteht darin, dass durch Musik Erfahrungen aus der Tiefe des Gedächtnisses wiederkommen. Wenn ein Musikstück an Schnittstellen unseres Menuhin, Zur Bedeutung des Singens. Vgl. Grape, Does singing promote well-being? Loccumer Pelikan 1/2016 7 Rilling, Gedanken zur Musik, schreibt: „Bachs Musik „sagt etwas zu Themen, die heute aktuell sind, etwa in den Passionen zu Hass, Liebe und Furcht, zu Macht und Intrigen, zu Leiden und Sterben – aber auch zu Hoffnung und Sehnsucht auf Erlösung. Und wir heutigen Menschen erfahren Bachs musikalische Sprache als eine gewaltige Rede, die uns erreicht, bewegt und bereichert und zum Nachdenken zwingt“ (13f). Loccumer Pelikan 1/2016 gelebt, ja immer wieder zum Ereignis. Damit sind musikalische Ensembles ein Ort, an dem das Wunder „Friede auf Erden“ pars pro toto erfahren werden kann. Hier wird Lebenskunst eingeübt, die Kunst des ungeteilten Daseins im Spiel, das nie nur ein Dasein für sich selbst, sondern ein Dasein füreinander ist und zum Frieden anstiftet. Peter Bubmann schreibt: „Wenn Menschen Musik schaffen oder hören, kann dies als Ausdruck von Frieden erfahren werden: als Frieden mit sich selbst, in der Gesellschaft, in der Natur oder mit Gott. Musikalische Erfahrungen werden so zum Gleichnis des inneren, gesellschaftlichen oder himmlischen Friedens.“8 Fragen wir zuletzt: Gibt es spezifische musikalische Mittel, die das alles belegen oder gar beweisen? Ja und nein. Komponisten arbeiten zu allen Zeiten mit einem schier unermesslichen „Arsenal“ von Ausdrucksmitteln. Die Parameter sind Tempo und Takt, Rhythmus und Harmonie, Dynamik und Artikulation usw. Viele sind, z. B. durch Volkslieder und Kirchenlieder, auch in einem „kollektiven Langzeitspeicher“. Die Melodie eines Liedes etwa kann zahlreiche dieser Parameter (Tonhöhen, Takt, Tempo, Rhythmus, evtl. Textbezug) in sich vereinigen. Je nach Kontext und Person wirkt sie auf die Hörenden oder Singenden/Musizierenden beruhigend oder belebend, tröstend oder stimulierend. Freude wird z. B. durch ein schnelles Tempo, vielleicht einen tänzerischen Dreiertakt, große Sprünge in der Melodie, (helle) strahlende Stimmen oder Instrumente, evtl. auch eine Dur-Tonalität hervorgerufen. Trost und Beruhigung werden durch ein ruhiges Tempo und eine lineare, gesangliche Melodie bzw. durch eine dunklere Instrumentierung vermittelt usw. Musik ist aufs Ganze gesehen eine performative Kunst, sie bringt etwas in Bewegung, was so noch nicht da war. Ihre lebensdienlichen Wirkungen für den Menschen lassen sich bestenfalls voraussehen, aber kaum planen. Doch fragen wir nun umgekehrt: Was ist das Musikalische am Evangelium? In seiner Vorrede zum Septembertestament (1522) schreibt Martin Luther: „Euangelion ist ein griechisch Wort, und heißt auf deutsch gute Botschaft, gute Mär, gute Neuzeitung, gut Geschrei, davon man singet, saget und fröhlich ist.“9 Damit ist ein (rezeptions-)ästhetisches Kommunika tionsprogramm beschrieben: Der frohen, schönen und guten Botschaft von der Gnade Gottes in Christus entspricht eine gute und schöne Form der Mitteilung. Inhalt und Form entwickeln dabei eine so innige Beziehung, dass sie schlechterdings nicht voneinander ablösbar sind. Das Ziel ist es, Menschen glücklich und froh zu machen, weil Gott in Christus für sie da ist. Diese Nachricht ist so wichtig und aktuell, so weltbewegend und ergreifend, dass sie erklingen und hinausgesungen werden muss. Zu 8 Bubmann, Musikalische Friedenserziehung, 90. WA NT 6,2. 9 5 grundsätzlich praktisch Lebens eine Bedeutung gewonnen hat, weil es z. B. Freude oder Trauer, Liebe oder Hoffnung auszudrücken vermochte, bleibt es oft untrennbar mit unserer Lebensgeschichte verbunden. Man denke nur an den Film Casablanca und die berühmte Szene, in der Ingrid Bergman sagt: „Spiel unser Lied, Sam!“. Etwas später sagt sie sogar: „Sing es, Sam“. Es ist dieses Lied, das die beiden Liebenden (Ilsa und Rick) verbindet. Man nennt dies in der Forschung auch das „Darling, they are playing our tune“-Phänomen. Wer mit alten Menschen singt, wird diese Erfahrung vielfach bestätigt bekommen. Selbst demente Personen finden durch das Singen eines Volkslieds oder Chorals zu lange zurückliegenden Erfahrungen zurück, sie erleben altes Glück aufs Neue. Im therapeutischen Bereich geschieht Ähnliches: Das Hören „emotional heller“ Musik kann dazu helfen, dass Resilienzen gestärkt und Traumata verarbeitet werden. Durch aktives Trommeln im einen Fall, durch das passive Sich-Fallen-Lassen in eine meditative Musik (z. B. Air von Bach o.ä.) im anderen Fall. In vielen Kulturen gibt es auch (heilsame) Klagelieder und Klagegesänge, um aktuelle Trauer zu verarbeiten; man denke an die herzzerreißende Klage des Orpheus oder an die Totenklage in manchen afrikanischen Ländern, wo oft eine ganze Woche lang von einer Frau im Totenhaus gesungen wird. Ähnliches wissen wir aus dem iro-schottischen Raum: Die sog. „Keening-Woman“ ist eine Leiterin von Trauer- und Bestattungsritualen, die den Abschied von der verstorbenen Person wesentlich erleichtert. Es ist bewegend, dass gerade die großen Passionen Bachs Menschen bis heute in ihren Bann ziehen. Sie rühren zu Tränen und geben Raum für eigene Schmerzerfahrungen, deuten aber auch neu den Sinn, den ein Leiden und Sterben – in diesem Fall das Sterben Jesu – bekommen kann, wenn es für Andere geschieht. Viele Menschen finden darin Trost und Hoffnung.7 All diese heilenden oder zumindest heilsamen Wirkungen lassen sich in einem weiten Sinne als „evangelisch“, d.h. heißt als wohltuend, lebensdienlich, vielleicht sogar als Zeichen göttlicher Zuwendung interpretieren. In meinen Augen ist die Musik vielfach dazu geeignet zu beruhigen und zu trösten, aber auch zu beleben und neue Freude zu wecken. Doch damit nicht genug: Musik schult, gerade im Blick auf aktuelle Bildungsprozesse. Zuhören, Mithören und Aufeinander-Hören sind Kardinaltugenden gelingenden Musizierens. Weltanschauliche und persönliche Differenzen rücken durch gemeinsames Musizieren oft in einen veränderten Horizont. In Tausenden von Chören und Ensembles finden Menschen innerhalb und außerhalb von Kirche beim Musizieren zueinander, die sonst nichts oder wenig gemeinsam haben. Hier wird Gemeinschaft grundsätzlich 6 Jürgen Born, Marcus Miller, 2015, Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm Luthers Zeit waren es die Auftritte des Spielmanns, die das „Leitbild“ für die Kommunikation des Evangeliums im Alltag waren. Mit seinen Bänkelliedern zog er singend und sagend durch die Lande und brachte Neuigkeiten und Geschichten auf Plätze und Märkte. Aufmerksam lauschten die Leute und staunten über das Un-erhörte. Im übertragenen Sinne heißt das: Wer das Evangelium aufnehmen will, muss hören, vielleicht sogar sehen, fühlen und begreifen. Denn Gott schenkt sich sinnlich. Die geprägte Wendung von der „viva vox evangelii“ zielt jedenfalls genau darauf: Der Glaube kommt aus dem Hören des Wortes (vgl. Röm 10,17). Dieses Wort erklingt in einer lebendigen (persönlich vermittelten) Performance, deren Grundstimmung die Freude ist. Sie zielt auf Hoffnung und neue Zuversicht, auf Trost und Versöhnung. Betrachten wir dazu ein Beispiel aus dem Bereich des Neuen Geistlichen Liedes. Wichtig ist es, dass wir zunächst nur auf den Text sehen. Lothar Teckemeyer dichtete: 1. Vorbei sind die Tränen, das Weinen der Schmerz. Vorbei sind das Elend, der Hass und der Streit … Das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft, es ist da im Hier und im Jetzt. Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt, wie es ist. Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht. Aufregend ist, wie hier das Ende der Trauer bei den Menschen und das Neuwerden von Himmel und Erde zum Ereignis wird, ja förmlich in die Gegenwart hineinkommt. Zunächst ist von Gott nicht die Rede. Es passiert einfach. In der dritten Strophe heißt es dann deutlicher: Gott wohnt bei den Menschen, die Zeit ist erfüllt, Gott wischt ab die Tränen er tröstet, er lacht, Gott macht alles neu, gibt uns neue Kraft, er ist da im Hier und im Jetzt. Refr.: Himmel und Erde werden neu … Dieses wunderbare Gedicht ist für mich Evangelium pur. Es „inszeniert“ im Hier und Jetzt Gottes Zuwendung als Lachen und Trösten, als Abwischen aller Tränen. Die neue Schöpfung beginnt im Hier und Jetzt. Nun könnte man fragen: Braucht es zu einem so treffenden Text auch noch Rhythmus und Klang? Nicht zwingend. Und doch: Wenn dann auch noch die pulsierenden Rhythmen (Latin) und „nach oben ziehenden“ Klänge von W. Teichmann das Gedicht zum Lied der Freiheit und der Erlösung machen, zeigt sich, was passiert, wenn das Evangelium von einer Melodie getragen wird, ja einem Text geradezu Flügel gibt: Wer singt, verkündigt doppelt.10 Loccumer Pelikan 1/2016 Was ist das Evangelische an geistlicher Musik? Der explizite Auftrag, Gottes Handeln zu besingen, wurzelt in den Hymnen des Psalters. Hier finden sich zahlreiche Aufforderungen zum Singen und Spielen. Die klassische lautet: Singt dem Herrn ein neues Lied! (vgl. Ps 96/98). Sie wird mit dem Hinweis auf Gottes rettendes und helfendes Handeln begründet: Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder … Diese Stilfigur geht wahrscheinlich auf das uralte Lied der Miriam am Roten Meer zurück, vgl. Ex 15,21: Singet dem Herrn, denn er hat eine große Tat getan. Es bleibt nicht bei der Erzählung der Rettung Israels aus der Hand der Ägypter, es kommt auch zu einer musikalischen Resonanz, ja zu einer „ganzheitlichen Performance“. Die Prophetin Miriam singt mit Pauken und Tanz: Ein spontanes, ganzheitliches, sinnliches Musizieren beginnt, das Andere zum Mitmachen und zur Freude animiert. Eine neutestamentliche Begründung für das Singen und Spielen des Evangeliums findet sich in Kol 3,16. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt folgendermaßen: Das Wort Christi wohne reichlich unter euch. In aller Weisheit lehrt und lenkt einander mit Psalmen, Hymnen und geistgewirkten Liedern, singt in euren Herzen anmütig vor Gott.11 Die Kommunikation des Wortes Christi soll demnach nicht nur in gesprochener, sondern in poetisch-musikalischer Weise geschehen. In dreierlei Formen, nämlich in Psalmen, Hymnen und vom Geist inspirierten Liedern, bekommt das Evangelium eine facettenreiche Klanggestalt. Sie künden von Gottes Gnade in Christus, ja mehr noch: Christus selbst ist es, der sich durch sie der Gemeinde mitteilt. Eduard Schweizer kommentiert: „Subjekt solchen Gottesdienstes ist nicht eigentlich die Gemeinde, […] sondern das Wort Christi selbst. Es ist das, was Paulus das ‚Evangelium‘ nennt.“12 10 Das Original „Wer singt, betet doppelt“ (qui cantat bis orat) wird Augustin zugeschrieben. 11 Die Interpunktion zwischen den beiden (partizipialen) Neben sätzen ist grammatikalisch offen. Man lehnt sich hier an die Parallele in Eph 5,19 an und versteht das Singen als Ereignis, das sowohl Verkündigungs- (16b) als auch Lobcharakter (16c) hat. Ähnlich übersetzt Luther 1534: „Lasset das wort Christi vnter euch reichlich wonen / Inn aller weisheit / leret vnd vermanet euch selbs / mit Psalmen und lobsengen und geistlichen lieblichen (das ist trostlichen / holdseligen / gnadenreichen) liedern / und singet dem Herrn inn ewrem Herzen.“ 12 Vgl. Schweizer, Brief an die Kolosser, 156f. Der Ausdruck logos tou Christou (Kol 3,16 und Eph 5,19) ist also im Sinne eines doppelten Genitivs zu deuten: als ein „Wort, das von Christus zeugt“ (gen. obj.), aber mehr noch als ein „Wort das Christus Loccumer Pelikan 1/2016 Zugleich ereignet sich aber auch etwas im Inneren der Menschen, im Herzen. Glaube wird geweckt, Trost und Gewissheit gestärkt.13 Musik beim Evangelium hat demnach eine sinnliche und eine spirituelle Dimension. In unübertrefflicher Weise kommen Inhalt und Wirkung der Kommunikation des Evangeliums in Luthers letzter großer Gesangbuchvorrede von 1545 zum Ausdruck: „Singet dem Herrn ein neues Lied. Singet dem HERRN alle Welt. Denn Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer solches mit Ernst glaubt, der kann’s nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass es Andere auch hören und herzukommen.“14 Das neue Lied erzählt eine ganze große Geschichte, die Himmel und Erde umfasst und auf den Kopf stellt. Es jubelt über eine universale und endgültige Befreiung: Das „Dreierpack“ von Sünde, Tod und Teufel ist am Boden. Es kann uns nichts mehr anhaben (vgl. Röm 8,38f). Für diese Botschaft braucht es eine „große Glocke“. Christen verstecken sich deshalb zum Singen nicht im Keller, sondern „posaunen“ die Botschaft so kräftig hinaus, dass viele dazukommen. Sie richten sich damit an alle. Keiner ist ausgeschlossen. Negativ gewendet: Wer mit der musikalischen Kom munikation dieser Freiheitsbotschaft hinter dem Berg hält, vergibt eine riesige Chance. Besonders im emotiona len Bereich fehlt dann eine komplette Dimension: die Lebendigkeit von Rhythmus und Artikulation, die kontrastreiche Dynamik von piano und forte, die signifikante Mehrstimmigkeit, die klanglich differenzierten Stimmlagen von Hohem und Tiefem, die darauf zielen, Körper und Herzen zu bewegen und Seelen zum Schwingen zu bringen. Kein Wunder, dass (für etliche Reformatoren und die lutherische Kirche) das Evangelium unbedingt auch gesungen werden muss; dann steht der Chor bzw. die Gemeinde, die sich das Evangelium zusingt, im Gottesdienst gleichwertig neben der Predigt.15 Kirchenmusik ist daher für eine evangelische, d.h. durch das Evangelium konstituierte, Kirche kein Adia phoron (Mittel- oder Zwischending), das grundsätzlich verzichtbar oder auch beliebig wäre: Sie gehört substanziell zum Gottesdienst der Gemeinde, die sich durch das selbst redet (gen. subj.) und austeilt“. Vgl. dazu auch Mayer, Das Volk Gottes als singende Gemeinde, 218. 13 Vgl. Heymel, In der Nacht ist sein Lied bei mir: „Singen und Musizieren gehören unabdingbar zur Vermittlung der Botschaft von Jesus Christus, weil das Evangelium selbst auf Musik, genauer: auf den Klang der lebendigen Stimme hin angelegt ist. Wo Gottes Wort als sermo und vox wirksam wird, wo es im Gottesdienst zu Gehör kommt, weckt es im Herzen als Personmitte eine überfließende Freude an Gottes Güte und Vergebung, die sich durch Singen und Sagen verlautbaren muss“ (107). 14 Vorrede zum Babstschen Gesangbuch, WA 35, 477. 15 Vgl. dazu Bubmann, Das Amt der Kirchenmusik im Kuratorium der Lebenskunst, 270 bzw. Arnold, Das kirchenmusikalische Amt als prophetischer Dienst. 7 grundsätzlich praktisch Damit kommen wir an die Begründungsfrage religiöser oder – sagen wir vielleicht besser: geistlicher – Musik. Suchen wir dazu sowohl Spuren im Alten als auch im Neuen Testament: 10 Evangelium gegründet und getragen weiß. Johann Walter, der Kantor der Reformation, dichtete: „Die Music braucht Gott stetz also beim heilgen Evangelio. Ist nicht die Music itzt noch stet Bei Gottes wort und seim Gebet?“16 grundsätzlich 8 Musik beim Evangelium gehört aber auch in einen zeitgenössischen Religionsunterricht, der Herz und Kopf ansprechen will und damit kognitive und emotionale Lernprozesse befördert. Performative Elemente wie Ritual und Gebet sind dazu adäquate Mittel. Ein wichtiger Schlüssel ist m. E. das Singen schon in den ersten Lebensjahren: Wie kaum ein anderes Medium ist es dazu geeignet, das Evangelium ins Leben der Kinder hinein zu tragen: Gottes Nähe wird affektiv vergewissert, Kinder erleben Freude, lernen biblische Geschichten und christliche Inhalte und bewahren sie oft bis ins hohe Alter als Schatz für das Leben. So entstehen Ohrwürmer und Herzwärmer des Glaubens. Die zentrale Strophe 3 kann daher gegen die Angst ansingen, ja den Tod sogar „verspotten“ (vgl. 1 Kor 15,55): An Ostern, o Tod, war das Weltgericht. Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht. Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht. Was wir heute an tödlichen Schrecken noch erleben, sind Rückzugsgefechte mit einer Macht, die schon gerichtet und besiegt ist. Von hier her bekommt das Osterlachen eine letzte Begründung: „Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht.“ Str. 4 und 5 lassen uns mitziehen im Reigen des Auferstandenen (vgl. Psalm 30: Betrachten wir dazu mit Jörg Zinks Wir stehen im Morgen nochmals ein neueres Lied, das der Musiker H. J. Hufeisen vertont hat. Poetisch setzt Zink ganz auf die Dreizahl: Zum einen drei gleich endende Reime in den fünf Strophen (AA’A’’), eine äußerst eingängige, aber selten praktizierte poetische Form. Dies wird durch das Versmaß des Daktylus (vgl. Bachs Jauchzet, frohlocket!) rhythmisch unterstrichen, die Melodie folgt dem Sprach-Rhythmus im Dreiermetrum des 6/8-Takts. Der Text lautet: Wir stehen im Morgen. Aus Gott ein Schein durchblitzt alle Gräber. Es bricht ein Stein. Erstanden ist Christus. Ein Tanz setzt ein. Halleluja… In Strophe 2 werden wir gar mit Himmel und Erde in einen kosmischen Tanz hineingezogen: Ein Tanz, der um Erde und Sonne kreist, der Reigen des Christus voll Kraft und Geist. Ein Tanz, der uns alle dem Tod entreißt. Damit ist das österliche Evangelium ausgerufen: Wir sind dem Tod entrissen. Christus nimmt uns an die Hand und führt uns als „Freudenmeister“ (vgl. EG 396) hinaus zum Reigen. Man fühlt sich an mittelalterliche Altarbilder erinnert, in der Christus (zwischen Karfreitag und Ostern) durch die Hölle zieht und die Toten herausholt. In neuerer Zeit hat Sydney Carter mit seinem Gedicht The Lord of the dance Ähnliches versucht.17 16 Walter, Lob und Preis der löblichen Kunst Musica, Blatt C. 17 Vgl. Loccumer Brevier, o.J. Rehburg-Loccum, 258f. Text: Jörg Zink, Musik: Hans-Jürgen Hufeisen. © dolce musica edizione, Zürich. Aus: Lebensweisen. Beiheft 5 zum Evangelischen Gesangbuch (Ausgabe Niedersachsen-Bremen), Lutherisches Verlagshaus, 5. Auflage 2015, Nr. 35. Loccumer Pelikan 1/2016 Der Komponist lässt uns dabei nicht nur singen, sondern auch innerlich (oder sogar äußerlich!) tanzen. Passend notiert er als Ausführungshinweis Gigue – sie war der schnellste Tanz in der Barockzeit. Summa: Musik und Evangelium – unzertrennliche Geschwister Fassen wir zusammen: Musik berührt. Vielfach lässt sie auch „die religiös Unmusikalischen“ etwas vom Geheimnis der Transzendenz, ja von der Gegenwart Gottes ahnen. Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, hat jüngst bekannt: „Es gibt eine Ausnahme, die für mich beweisen könnte, dass es doch einen Gott gibt: die Musik. Sie entsteht aus Materiellem, ist aber weder sichtbar noch greifbar. Aber sie existiert. Wenn es etwas Göttliches gibt, dann ist es für mich die Musik.“19 Musik und Kirchenmusik sind gleichermaßen dazu fähig, Gefühle auszurücken oder zu wecken, Trauer und Freude, Wut und Liebe, Angst und Hoffnung. Musik beim Evangelium kann zur Trägerin einer Trost- und Freudenbotschaft (eu-angelion) werden und die entsprechende Resonanz der Dankbarkeit (eu-charistia) auslösen. In dieser umfassenden Dimension von Wort und Antwort steht sie als „Schwester“ neben der Theologie. Paul Gerhardt hat dies in einer Liedstrophe (EG 324) treffend gebündelt und dabei den theologischen mit dem anthropologischen Aspekt genial verbunden: Ich singe dir mir Herz und Mund (f Singen als Lob Gottes), Herr, meines Herzens Lust (f Ausdruck der Freude, Emotion). Ich sing und mach auf Erden kund, (f Singen als Verkündigung), was mir von dir bewusst (f Bildungsgeschehen, Vergewisserung des Glaubens). 18 Ein besonders leuchtendes Beispiel erzählt Lukas in Apg 16: Paulus und Silas fangen im Gefängnis trotz Folter an, Gott zu loben. Die Mitgefangenen hören gebannt zu. Ein kosmisches Beben folgt und sprengt Ketten und Türen. Darauf geschieht das eigentliche Wunder: Der Kerkermeister lässt sich mit seiner ganzen Familie taufen. 19 Aus: Martin Schulz im Gespräch mit Dirk von Nayhauß: „Ich muss noch mal mit meiner Frau telefonieren“, 22. Loccumer Pelikan 1/2016 Literatur Arnold, Jochen: Das kirchenmusikalische Amt als prophetischer Dienst im Konzert der Ämter bei der Kommunikation des Evangeliums, in: Pastoraltheologie 104 (2015), 431-446 Bubmann, Peter: Musikalische Friedenserziehung, in ders.: Musik – Religion – Kirche. Studien zur Musik aus theologischer Perspektive, Leipzig 2009, 89-96 Bubmann, Peter: Das Amt der Kirchenmusik im Kuratorium der Lebenskunst. Eine pastoraltheologische Zukunftsvision, in: Bönig, Winfried u.a. (Hg.): Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchenmusik, Stuttgart / Ostfildern, 268-278 Grape, Christina u.a.: Does singing promote well-being? An empirical study of professional and amateur singers during a singing lesson, in: Integrative Physiological and Behavioral Science 2003, Heft 1, 65-74 Harnoncourt, Nikolaus: Die Macht der Musik. Zwei Reden. Salzburg/Wien 1993 Heymel, Michael: In der Nacht ist sein Lied bei mir, Waltrop 2004 Leonhardmair, Teresa: Bewegung in der Musik. Eine transdisziplinäre Perspektive auf ein musikimmanentes Phänomen, Bielefeld 2014 Luther, Martin: Vorrede zum Babstschen Gesangbuch. WA 35, 477 Luther, Martin: Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Georg Rhau (1538), WA 50, 371, Übersetzung Johann Walter Mayer, Joseph Ernst: Das Volk Gottes als singende Gemeinde, in: Die Kirchenmusik und das II. Vatikanische Konzil, Graz 1965 Menuhin, Yehudi: Zur Bedeutung des Singens, http://www.ilcanto-del-mondo.de/fileadmin/docs/Yehudi_ Menuhin-Zur_ Bedeutung_Des_Singens.pdf. (abgerufen am 10.11.2015) Rilling, Helmuth: Gedanken zur Musik, Bach-Akademie Stuttgart 1998 Schulz, Martin im Gespräch mit Dirk von Nayhauß: „Ich muss noch mal mit meiner Frau telefonieren“, in: „Chrismon“ 1/2014, Frankfurt am Main, 22 Schweizer, Eduard: Brief an die Kolosser. Evangelisch-Katholischer Kommentar XII, Neukirchen/Zürich 1976 Walter, Bruno: Von der Musik und vom Musizieren, Frankfurt/M 1957 Walter, Johann: Lob und Preis der löblichen Kunst Musica. Faksimile-Neudruck mit einem Geleitwort von Wilibald Gurlitt, Kassel 1938 Dr. Jochen M. Arnold ist Direktor des Michaeliskloster Hildesheim (Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchen musik der Landeskirche Hannovers), Privatdozent an der Universität Leipzig und Honorarprofessor an der Univer sität Hildesheim. Vorschau auf das nächste Heft: Schwerpunktthema der Ausgabe 2/2016: Heiliges Essen – Tägliches Brot Erscheinungstermin: Ende Mai 2015 9 grundsätzlich praktisch Du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen.) Sie ermutigen aber auch zum aktiven Widerstand gegen die Mächte der Hoffnungslosigkeit und der Resignation. Ein Widerstandslied, das stark macht im Alltag und seinen Krisen.18 Strophe 4 lautet: Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht. Stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht. Im Aufstand erklingt unser Osterlied. grundsätzlich 10 Musik und Religion – ein didaktisches Traumpaar Von Peter Bubmann1 L eicht lässt sich mit Martin Luther („Ich gebe der Musik den ersten Platz nach der Theologie“) ein Loblied auf die Musik anstimmen: Sie ist ein exzellentes Medium der Bildung christlicher Religion, Religiosität und christlicher Lebenskunst. Sie muss nicht – wie bei Luther – erst nach der Theologie kommen, sie kommt vielmehr – entwicklungsgeschichtlich gesehen – häufig vor dem theologischen Denken, ja regt dieses erst an. Und: Sie gehört damit notwendig zu den Vollzügen religiöser Bildung dazu. Allerdings ist gerade in pädagogischen Kontexten auch kritisch danach zu fragen, ob der didaktische Einsatz von Musik nicht auch Risiken und Nebenwirkungen mit sich führt. Musik als Medium der Identitätsfindung Jede musik-religiöse Karriere beginnt im Mutterbauch. Denn: Das Gehör bildet sich im Ungeborenen vor der Geburt aus. Umstritten ist, ab wann die Ungeborenen hören können. Unstrittig ist allerdings, dass der Herzrhythmus der Mutter und die Intonation bzw. Melodie der mütterlichen Stimme im Uterus wahrzunehmen sind. Die mütterliche Stimme spielt auch in den ersten Lebensmonaten nach der Geburt eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer Vertrauensbeziehung zur Mutter (und damit zur Welt überhaupt) sowie bei den ersten Differenzierungsversuchen zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst. Grundschulkinder erleben den eigenen Körper als Instrument beim Singen und Bewegen. Sie singen gerne, allerdings findet hier eine „Wendung vom prozessorientierten Singen zum ergebnisorientierten Singen statt“2 , 1 Vortrag beim Treffpunkt Schule des RPI Loccum zum Thema „Da schwingt was mit: Musikalische Formen von Religion in der Schule“ am 17.10.2015 im RPI Loccum. 2 Münden, Singen mit Grundschulkindern, 186. d.h. es entwickelt sich ein Ehrgeiz, auch möglichst richtig und gut zu singen, auch wenn das Singen „noch nicht als künstlerischer Akt, sondern als etwas Natürliches und Schönes“3 empfunden wird. Kinder spielen gerne mit der eigenen Stimme, mit klingenden „Instrumenten“ aller Art (von Steinen bis zu klingenden Hohlkörpern) und bewegen sich mit Lust dazu. Das Singen erscheint im Grundschulalter weithin noch als unproblematische Form des Selbstausdrucks und der Kommunikation – selbst dann, wenn in den Familien kaum mehr gesungen wird. Im Jugendalter wird Musik zu einem bevorzugten Mittel von Selbstausdruck und Freizeitgestaltung. Neuere soziologische Studien zum Freizeitverhalten Jugendlicher zeigen weiterhin, dass das Musikhören (inzwischen stark über MP3-Formate und das Internet, auch verbunden mit Videoclips auf Youtube) einen ganz wesentlichen Teil der Freizeitgestaltung ausmacht und auch das aktive Musizieren noch einen hohen Stellenwert besitzt4. „Sag mir, was du hörst und ich weiß, wer du bist.“ Musik spielt als klingende Visitenkarte und Duftmarke der Zugehörigkeit zu Milieus, Szenen und Lebensstilen eine vorrangige Rolle bei der Modellierung der eigenen Person. Musik kann dabei ganz individuell und als sozial abschottende akustische Schutz-Glocke gebraucht werden (ipod in der U-Bahn) oder umgekehrt als Möglichkeit, miteinander Sounds und Rhythmen beim Hören, Singen oder Musizieren zu teilen. Warum aber gerade die Musik? Das liegt an der Eigenart dieses Kommunikationsmediums: Als akustisches Medium ist es mittels der eigenen Stimme und mithilfe von Instrumenten und Medien „transportabel“ und mobil – heute im Zeitalter der digitalisier3 Münden, Singen mit Grundschulkindern, 186. Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014. 4 Loccumer Pelikan 1/2016 grundsätzlich praktisch 11 Jürgen Born, Drummer in Motion, 2012, Öl auf Kunstfaser, 118 x 136 cm ten Musikmedien ohnehin. Am Strand etwa, wo noch die letzten Hüllen fallen und damit die Möglichkeiten der Selbstinszenierung durch Kleidung, Autos etc. minimiert werden, bleiben nur mehr zwei Medien zur Selbstinszenierung: der eigene Körper und die Musik aus dem Ghettoblaster. Rhythmus Die Vielfalt der Rhythmen (insbesondere auch in den Stilen der Pop- und Rockmusik) eignet sich, um unterschiedliche Befindlichkeiten und Gruppenidentitäten zu markieren. Es gibt genügend Differenzierungsraum im Bereich des Rhythmischen, um Raum für verschiedene rhythmischmusikalische „Konfessionen“ zu schaffen: nicht nur in den Grobdifferenzierungen von Klassik, Jazz bis Techno, sondern in unzähligen Sub-Stilen etwa des Techno und Hip-Hop, die sich in der Geschwindigkeit des Grundbeats oder in den Rhythmusfiguren des Schlagzeugs unterscheiden. So ermöglichen musikalische Rhythmen ausdifferenzierte körperbezogene Formen der Identitätsmarkierung. Sie stehen für ein bestimmtes Lebensgefühl und die Zugehörigkeit zu jugendkulturellen Gruppen. „Lass’ mich Deine bevorzugten Rhythmen hören und ich sage Dir, zu welcher Szene und Clique Du gehörst …“ Loccumer Pelikan 1/2016 Sound & Melodik Das gilt ähnlich für den Sound der Musik. Die Klanglichkeit von Musik ist spätestens seit der romantischen Symphonik und der Einführung der Synthesizer in die Popmusik sowie der DJ-Mix-Techniken zum dominanten musikalischen Parameter geworden. Nach wenigen Sekunden(bruchteilen) erkennt der Insider seine Musik am Sound. Dieser erzeugt bestimmte Atmosphären, birgt im Wohlbekannten wie in einem Uterus, stiftet Orientierungssicherheit und ein Gefühl von Aufgehobensein – alles Vorgänge, die auch in der religiösen Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. Auch bestimmte Melodien und melodische Typen haben durch ihren Wiedererkennungswert identitätsstiftende Funktion und führen Menschen zu Fan- und Hörergemeinden zusammen (etwa im Schlager oder in der Praise-Musik). Die Macht der Stimme Stimmen spielen im jugendlichen Musikverhalten (und nicht nur da) eine besondere Rolle: Die Stimmen der verehrten Idole und Stars repräsentieren diese und bringen sie den Hörern nahe. Im eigenen Mitsummen oder -singen verschmelzen die Identitäten für kurze Zeit. Die Stimme des Popstars wird zur eigenen, die eigene Musik als religiöses Ausdrucksmedium von Schülerinnen und Schülern grundsätzlich 12 Jürgen Born, Lizz Wright, 2014, Acryl und Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm Person wird ins Idol „erhoben“. Nicht zufällig boomt das Karaoke-Singen seit langem. Hinzu kommt, dass sich beim Singen der Stimmklang mit verbalen Botschaften verbindet. Die Melodien und ihre Texte verbinden sich mit biographischen Schlüsselerlebnissen und werden in analogen Situationen wieder wachgerufen oder gleichsam magisch zur Herbeiführung bestimmter psychischer Dispositionen benutzt. Für manche Menschen werden insbesondere im Jugendalter Textzeilen von Songs zu Ankern ihrer Persönlichkeitsentwicklung: in Situationen des Liebeskummers, des Leistungsdrucks und des Gefühls mangelnder Anerkennung, der Trauer, der politischen Orientierungsnot. Synästhetische Erfahrungen Musik wird heute von Jugendlichen sehr häufig zusammen mit Bildern wahrgenommen: z. B. in Youtube-Videos, die bekannte Popsongs mit Bilderslideshows kombinieren und so immer auch etwas über denjenigen erzählen, der das Video hochgeladen hat. Die synästhetische Mehrkanaligkeit ist typisch für das Mediennutzungsverhalten im digitalen Zeitalter. Auch hier ergeben sich mannigfaltige religiöse Anschlussmöglichkeiten, z. B. durch die Verbindung von religiösen Symbolbildern mit Songs. Wählt man einen weiten, funktionalen Religionsbegriff, dann lässt sich feststellen, dass der eben beschriebene Umgang mit Musik selbst religiöse Züge annimmt: weil der Musikkonsum Orientierung und damit Sinn und Identität stiftet, zur Bewältigung von Zufall und Schicksal hilft, indem Musik emotionalen Halt gibt (Kon tingenzbewältigung), rituelle Strukturierung des Alltags ermöglicht und alltagsüberschreitende Lebenshöhepunkte vermittelt. Damit ist allerdings noch wenig darüber gesagt, ob Jugendliche ihr musikalisches Verhalten selbst als Glau bensausdruck verstehen. Erst auf dem Hintergrund eines substantiellen Religionsbegriffs, der Religion als Beziehung zu einer höheren transzendenten Instanz (Gott) versteht, lässt sich klarer profilieren, inwieweit Musik zum Ausdruck christlichen Glaubens bei Jugendlichen wird oder werden kann. Dazu ist nochmals im Glaubensbegriff zu differenzieren: Musik kann Träger von Aussagen über Gott und der Anrede zu Gott werden, also in Bekenntnisliedern mit christlichen Texten und in Gebetsliedern, wie sie derzeit im Bereich der Praise-Musik boomen. Die Musik stärkt hier als zweite „Sprach“-Ebene das glaubende Verstehen der Wirklichkeit Gottes und stützt emotional die Hinwendung zu Gott. Als bezeugendes Weitersagen des Glaubens und Medium der Verkündigung spielt Musik in allen Formen der Jugendevangelisation eine wichtige Rolle (z. B. beim Christival). Anders ist der Umgang mit Musik, wenn von Klängen und Gesängen selbst Erfahrungen des Heiligen (Geistes) erwartet werden, wenn also „Glauben“ als vertrauensvolle Erfahrung der Nähe Gottes verstanden wird: Wenn beispielsweise durch Taizé-Gottesdienste meditative Klangatmosphären erzeugt werden, die ein mystisches Geborgenheitsgefühl vermitteln. Oder wenn sich in Techno- oder Gospelgottesdiensten ekstatische flow-Gefühle einstellen, in denen Glücksgefühle und Gotteserfahrung ineinander fließen. Hier wird Musik also selbst und direkt zum Medium der Gotteserfahrung. Schließlich verwenden Jugendliche Musik im Kontext des Glaubens, um gemeinsam ihren Glauben auszudrücken und darin Gemeinschaft zu erfahren: Noch immer ist das gemeinsame Singen, etwa in der Konfirmandenarbeit, einer der spirituellen Höhepunkte. Bei alledem sind die religiösen Zugangswege zur Musik und durch Musik nochmals biographisch-kontextuell gebrochen und daher sehr unterschiedlich. Fast immer aber wird Musik als besondere Kraftquelle erfahren: als Macht, die einstimmen lässt in größere Gemeinschaften und höhere Ordnungen (etwa in die gute Schöpfung Gottes), die umstimmen kann (etwa aus Trauer Freude entstehen lässt) und somit seelsorglich wirkt und die schließlich Erfahrungen der Überschreitung des Alltags als Hochstimmung und als Transzendierung des Gewohnten im Fest der Liturgie ermöglicht. Loccumer Pelikan 1/2016 In der Begegnung mit Musik wie im aktiven Musizieren liegen auch in religiösen Kontexten besondere Bildungs chancen: • Musik fördert religiöse Wahrnehmung, Ausdrucksund Urteilskraft und ist mithin Teil der alle Fächer umgreifenden Querschnittsaufgabe ästhetischer Bil dung. Gerade in der Begegnung mit der Vielfalt von Musikrichtungen kann dies gelingen. Dabei ist die Aufgabe für Lehrende und Lernende wechselseitig. In der Auseinandersetzung mit Musik ergibt sich die Chance, die Lebenswelt der Jugendlichen und die der Erwachsenen wahrzunehmen und in Dialog zu bringen. • Musik dient der lebensbegleitenden, erfahrungsnahen religiösen Identitätsbildung der Lernenden im Kontext lebensweltlicher und gesellschaftlicher Prägungen. Eigenes Singen, das Einbringen eines Musikstücks zu einem Thema oder das Bekenntnis zu einer Musik richtung, die man im Gespräch Anderen gegenüber verteidigt, dies alles kann dazu führen, sich seiner eigenen Fähigkeiten bewusst zu werden und Selbstbe wusstsein zu entwickeln. Besonders das eigene Singen lässt entdecken, wie ausdrucksstark die eigene Stimme sein kann. Musik regt Phantasie an, stärkt die Wahr nehmung und Ausdruckskraft. • Musik ermöglicht starke Erfahrungen von Gemein schaft sowie Prozesse sozialer Bildung und hat damit Anteil an der kommunikativen und gesellschaftsdiakonischen Aufgabe der Religionspädagogik. Allerdings kann Musik auch trennen, und es können Differenzen im Musikgeschmack zu gegenseitigen Abgrenzungen führen. • Musik ist Teil der religiösen Traditionen und als kulturelles bzw. kirchenmusikalisches Erbe lohnender Gegenstand hermeneutischer Erschließungen. Das gilt nicht nur, aber besonders für das reiche Erbe der Kirchenlieder. • Musik stellt als kulturspezifisches Kommunikations medium eine besondere Chance für ökumenisches Lernen sowie interkulturelle und interreligiöse Bil dung dar. In der Begegnung mit Liedern und der Musik anderer Konfessionen und Religionen wird das Besondere der anderen Religionsform verdichtet greifbar. • Musik bietet sich schließlich als Medium spiritueller Erfahrung an und kann durch ihren lobpreisend-verkündigenden Doppel-Charakter den unverzichtbaren elementaren religiösen Vollzügen (Gebet, Gotteslob, Verkündigung, Segen) Klang-Gestalt verleihen. Ein performativer RU ist ohne Gesang gar nicht denkbar. Zahlreiche Lehrplanstellen eröffnen musikbezogenes Arbeiten, auch wenn dies nicht ausdrücklich benannt ist. So können etwa bei der Beschäftigung mit lokalen kirchengeschichtlichen Traditionen musikalische Zeugnisse Loccumer Pelikan 1/2016 von Widerstand und Anpassung während der NS-Zeit als Unterrichtsmedien herangezogen werden (z. B. Lieder der „Deutschen Christen“, der Bekennenden Kirche, der sog. „entarteten“ Musik etc.). Liturgisches Lernen geschieht am besten über Lieder (z. B. Kyrie-Lieder). Wenn es um Mystik und ekstatische Formen von Religion geht, liegt die Beschäftigung mit ekstatischer Musik (geistlicher wie weltlicher) nahe, etwa aus dem Bereich Esoterik oder Gospel. Lehrpläne stecken aber als Empfehlungen nur den Rahmen des tatsächlichen Unterrichtsgeschehens ab. Im Interesse an einer subjektorientierten Didaktik, die die lebensweltlichen Erfahrungen der Lernenden aufgreift, empfiehlt es sich, auch dort auf musikalische Erfahrungen zurückzugreifen oder diese zu inszenieren, wo sie vom Lehrplan nicht angesprochen oder vorgesehen sind. Dr. Peter Bubmann ist Professur für Praktische Theologie (Religions- und Gemeindepädagogik) an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Literatur Bubmann, Peter/Landgraf, Michael (Hg.), Musik in Schule und Gemeinde. Grundlagen – Methoden – Ideen. Ein Handbuch für die religionspädagogische Praxis, Stuttgart 2006 [umfassendes Hand- und Lehrbuch zur Thematik] Bubmann, Peter/Schnütgen, Tatjana K.: Musik und Tanz, in: Godwin Lämmermann/Birte Platow (Hgg.): Evangelische Religion. Didaktik für die Grundschule, Berlin 2014, 177-188. Everding, Matthias: Land unter!? Populäre Musik und Religions unterricht (Internationale Hochschulschriften; 324), Münster u.a. 2000 [grundlegende Studie eines kath. Musik- und Reli gionslehrers] Macht, Siegfried: Musik als Schlüssel des Glaubens. Praxisbau steine nicht nur für die Konfirmandenarbeit. Lied- und Werk einführungen zu Kernthemen christlicher Überlieferung, München 2013 Lindner, Heike: Musik für den Religionsunterricht. Praxis- und kompetenzorientierte Entfaltungen, Göttingen 2014 [praktische Arbeitshilfe vor allem für den gymnasialen Bereich] Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.): Jugend-Information-Multi(Media)-Studie (JIM). Basisuntersu chung zu 12- bis 19-Jährigen in Deutschland, 2014 (online: www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/JIM-Studie_2014.pdf (Abruf 9.10.2015)) Münden, Gerd-Peter: Singen mit Grundschulkindern, in: Musik und Kirche 75 (2005), Heft 3, 186–189. Richter, Christoph: Musik und Religion. Arbeitsheft für den Musikunterrichts in der Sekundarstufe II an allgemein bildenden Schulen, Berlin 2011 [anregend auch für RU] Söhngen, Oskar: Theologie der Musik, Kassel 1967 Betz, Susanne / Hilt, Hans / Leube, Bernhard (Hgg.): Unsere Kernlieder. Werkbuch zur Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, München 2011 Wich, Franz: Dem Singen (d)eine Stimme! Erfahrungen, Hilfen und Beispiele für den Umgang mit Liedern im Religionsunterricht, in: Arbeitshilfe für den evangelischen Religionsunterricht an Gymnasien, hg. von der Gymnasialpäd. Materialstelle der Evang.-luth. Kirche in Bayern, Themenfolge 148, Erlangen o.J. (2013) [nur direkt über die GPM zu beziehen] 13 grundsätzlich praktisch Religiöse Bildungschancen in der Begegnung mit Musik nachgefragt nachgefragt 14 Welche Rolle spielt die evangelische Tradition in aktuellen Liederbüchern? Zwei neue Liederbücher sind im vergangenen Jahr für die Arbeit in Schule und Gemeinde herausgegeben worden: „Kommt und singt. Liederbuch für die Jugend“ und „Popkantor Songbook“ (inkl. Doppel-CD). Die Liederbücher sind in der Liedauswahl durchaus unter schiedlich. Wir haben für den Loccumer Pelikan bei den Herausgebern Thomas Ebinger und Til von Dom bois insbesondere nach der Rolle der Tradition gefragt. Thomas Ebinger: Früher gab es im Religionsunterricht – sicher nicht nur in Baden-Württemberg – verpflichtende Lernlieder. Jedes Kind musste diese auswendig lernen. Ich selbst habe noch als Vikar brav „Jesu geh voran“ mit meinen Grundschülern gesungen und bin dabei wie vom Ausbildungspfarrer gelernt über Tische und Bänke gestiegen. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass dieses Lied gut ankommt und die Kinder es auch bei Beerdigungsfeiern mitsingen können. Lebendige Tradition, auf der Gitarre gepflegt. Irgendwann wurden die Lernlieder abgeschafft, jeder greift heute zu seinen Lieblingsliedern und legt sie auf den Kopierer. Kallauch und Co. lassen grüßen mit sympathischen und gut produzierten Liedern. Die große pädagogische Freiheit begann und sie hat tatsächlich viele Vorzüge. Nur gibt es beim Singen ein immer größer werdendes Problem: Die Schnittmengen von vertrauten Liedern werden kleiner, schon zwischen verschiedenen Klassen und Konfi- oder Jugend-Gruppen, erst recht zwischen den Generationen. Bibel und Gesangbuch galten einmal als die zwei wichtigsten Bücher eines evangelischen Christenmenschen. Tempi passati. Die gefühlte Halbwertszeit vieler Lieder, die heute gesungen werden, ist dreieinhalb Jahre. Zumindest in Württemberg wollten wir diesem Trend etwas entgegensetzen. Ausgehend vom Arbeitsbereich Gemeindepädagogik im PTZ Stuttgart entstand die Idee, eine Liste mit Kernliedern zu definieren. Diese 33 Kernlieder wurden 2006 beschlossen, die Idee hat Nachahmer in ganz Deutschland gefunden bis in die Schweiz hinein. Und tatsächlich hat sie orientierend gewirkt: „Das Liederbuch“ (Hg. Gottfried Heinzmann, Hans-Joachim Eißler) bietet genauso fast alle Kernlieder wie das 2015 erschienene Liederbuch für Kinder „Kommt und singt“. Für die Überarbeitung des Kinder-Liederbuch-Klassi kers „Liederbuch für die Jugend“, der noch aus einer Zeit stammt, als die Jugend mit der Konfirmation endete, haben wir uns viele Liederbücher angeschaut und gemerkt, dass die Tradition in ihnen keine besonders große Rolle spielt. Am Ende haben wir uns immer mehr am großen, evangelischen Liederbuch orientiert. Noch enger als bisher ist der Aufbau an das große Vorbild angelehnt. Zu jedem Thema sind klassische Choräle enthalten. Tradition braucht Pflege und Konservation. Das schließt neue Lieder gar nicht aus, aber es beinhaltet die Pflicht, alles aus früheren Zeiten zu prüfen und das jeweils Beste zu erhalten. Natürlich muss das Alte jeweils neu erschlossen werden. Dafür gibt es in unserem Liederbuch kleine erklärende Texte. Und zu den Kernliedern ist schon 2009 ein umfangreiches Werkbuch zu allen Kernliedern erschienen mit Ideen, wie diese eingeführt und fruchtbar gemacht werden können. Wie die Denkmalpflege hat auch die Liedgutpflege ihren Preis. Ein Buch ist teurer als Kopien. Aber ein Buch kann ein Lebensbegleiter werden, Kopien können das nicht. Ausgebildete Kantoren, die mit Kindern singen, kosten mehr als Ehrenamtliche, die nur CDs vorspielen können. Fortbildungen haben ihren Preis. Sie kosten Zeit und Geld. Aber die evangelischen Kern-Lieder, die Generationen überdauert haben, sind es wert, dass man in sie investiert. Dr. Thomas Ebinger ist Dozent für Konfirmandenarbeit am Pädagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart. Thomas Ebinger, Damaris Knapp, Andreas Lorenz und Frank Widmann (Hg.) Kommt und singt. Liederbuch für die Jugend Völlig überarbeitete und ergänzte Neuauflage, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-03423-2, 752 Seiten, 17,99 Euro Loccumer Pelikan 1/2016 1992 hatte ich ein Aha-Erlebnis: Ich hörte den Song „X“ von Künstler „Y“ und sprang in meinem Kinderzimmer auf und ab, tanzte cool dazu und feierte den Song als etwas wirklich Neues, Aktuelles. Irgendwann hörte ihn ein älterer Verwandter von mir und sagte: „Das ist doch der Song von 1971, in der Tradition der gesamten Seventies-Musik bewegung ist er nicht wegzudenken. Deine neue Version ist ja nur ein Abklatsch des Songs von damals, der war wirklich großes Kino.“ Puh, das sah ich aber damals ganz anders. Die Version von 1971 klang für mich wie einge schlafene Füße verglichen mit meiner hippen neuen Version. Zwanzig Jahre reichen, um eine Tradition als Meilen stein mit unumstößlichen Aussagen, überhöhten Inhalten und Alleingültigkeitsmerkmalen zu versehen. Solange es Menschen gibt, die dieser Tradition anhängen oder sie aktiv bis aggressiv vertreten, wird sie weiterleben und ich meine das erst einmal gar nicht negativ. Traditionalisten verbinden ja sehr positive Erlebnisse mit den von ihnen vertretenen Positionen, so auch mein Verwandter mit seinem Lebensgefühl Anfang der Siebziger. In der Kirche haben wir ganz unterschiedliche musikalische Traditionen, sie reichen teilweise Hunderte von Jahren zurück, aber auch im 20. Jahrhundert haben sich kirchenmusikalische Traditionen entwickelt. Die immer noch überraschend munteren Vertreter des Neuen Geistlichen Lieds zum Beispiel, die sich der EKDUnterstützung stets gewiss sein können und auch nach wie vor alle Kirchentage (wie auch die 500-Jahrfeier mit Angie Merkel & Friends 2017) musikalisch entscheidend prägen, wollen ja nur das Beste für alle: Tolle mitsingbare Lieder, auch mal zum Ü50-Mitgrooven und dem über alles thronenden theologischen Anspruch in Liedtexten. Nun habe ich mit vielen jungen Songschreibern und -schreiberinnen, Künstlerinnen und Künstlern dieses Jahr ein „Popkantor Songbook“ herausgebracht, mit 37 brandneuen, modernen, nachdenklichen und dabei christlichen Liedern zum Selbstsingen und auch einfach Anhören. Und was denken Sie, wie die Reaktion von unseren Musik-Traditionalisten ist? Ich erlebe in Gesprächen darüber eine Mischung aus Unverständnis, interessiertem Nachfragen, Ärger über so etwas in unserer Kirche und stiller Bewunderung. Über allem schwebt hier aber natürlich noch etwas ganz anderes: Angst. Was, wenn dieser junge freche Typ einen Weg geht, der eigentlich dran ist? Was, wenn er uns diskreditiert in allem, was wir tun? Was, wenn bald die Orgel schweigt und nur noch dieser Einheits-Radio-Bullshit in unseren Kirchen zu hören ist? Ich gebe hier gern Entwarnung: Die Abschaffung all unserer unglaublich wertvollen musikalischen Traditionen wird nicht geschehen. Was aber sehr wohl geschehen muss, ist eine Hinwendung zu inzwischen mehreren (!) jüngeren Generationen, die musikalisch in der Kirche kein Zuhause finden. Und wir reden hier nicht über die höheren Bach-Töchter, wir reden hier über Menschen Loccumer Pelikan 1/2016 aller Bildungsschichten mit ihren Wünschen, ihren Sehnsüchten, ihrem Glauben und dem Wunsch, ihn dort zu leben, wo es am Logischsten wäre: in ihrer Kirche. Niemand von uns kann verantworten, dass wir ihnen den Zugang durch irrwitziges Festhalten an Traditionen erschwert oder sogar in der Konsequenz verwehrt hätten. So, und jetzt höre ich mir den Song von 1992 gleich nochmal wieder an und schwelge in der wunderbaren Tradition der Neunziger. Die aktuellen immer gleich klingenden Vier-Chord-Songs auf Spotify kann ja keiner lange ertragen. Til von Dombois ist Popkantor in der Ev.-Luth. Landes kirche Hannovers. Til von Dombois (Hg.) Popkantor Songbook (inkl Doppel CD) Hardcover-Liederbuch mit 37 Songs, Noten (als Einleger) und 2 CDs. Polygamusic 2015, 19,95 Euro www.popkantor.tv – Anzeige – Glaubensvielfalt und Schulgemeinschaft Jochen Arnold, Friedhelm Kraft, Silke Leonhard, Peter Noß-Kolbe (Hg.) Gottesdienste und religiöse Feiern in der Schule gemeinsam gottesdienst gestalten 27 512 Seiten, gebunden, € 29,90 ISBN 9783785911945 Vom Einschulungsgottesdienst bis zur Abiturientenentlassung gibt es zahlreiche Anlässe für religiöse Schulfeiern: Die Feste im Jahreskreis zählen ebenso dazu wie das gemeinsame Gebet nach bewegenden Ereignissen. Wie diese Feiern und Versamm lungen gelingen können im Mit einander unterschiedlichster Glaubensrichtungen und Religionen, zeigt der vorliegende Band. Er enthält in einem umfangreichen Praxisteil eine Fülle von Entwürfen und Liturgien für die gemein same Feier. Dabei werden verschiedene Schulformen, Altersstufen und Anlässe berücksichtigt. Ein ausführlicher Theorieteil setzt sich differenziert mit den theo logischen Fragestellungen interreligiöser Feiern in der Schule aus einander. Ein unverzichtbarer Praxisband für alle, die religiöse Feiern in Schulen oder zu schulischen Themen verantwortlich planen und durchführen Direkt bestellen: K irchenshop-Online.de Das Medienwerk 15 nachgefragt Til von Dombois: praktisch 16 „Manchmal geht es mir wie Jona“ praktisch Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken … Von Almut Volkers W ie können Methoden aus dem musisch-ästhetischen Bereich Kinder beim Erlangen emotionaler Kompetenzen unterstützen? Dies soll im Folgenden an einer Unterrichtseinheit zur Jonageschichte aufgezeigt werden. Das Jona Buch wird im Kanon des Alten Testaments dem so genannten Zwölfprophetenbuch zugeordnet. Es unterscheidet sich jedoch von anderen prophetischen Büchern in dreierlei Hinsicht: Zum ersten soll das prophetische Wort nicht an Israel ergehen, sondern an Ninive, also den Feind, dem Gericht angedroht wird. Zum zweiten handelt es sich nicht um eine Sammlung prophetischer Sprüche oder ein erst redaktionell zusammengefasstes Buch, sondern auch nach moderner literarkritischer Forschung um eine in sich geschlossene, eigenständige und kunstvolle aufgebaute Erzählung.1 Sie besteht aus zwei in sich geschlossenen Geschichten, deren Aufbau vollkommen parallel ist: Gliederung des Jonabuches2 1. Jon 1,1-3: Erste Berufung zur Predigt in Ninive. 2. Jon 1,4-16: Jona und die Seeleute: Seesturm und Wurf ins Meer. 3. Jon 2,1-11: Jona mit Jahwe allein: Rettung durch den großen Fisch und Psalmgebet. 4. Jon 3,1-3a: Zweite Berufung zur Predigt in Ninive. 5. Jon 3,3b-10: Jona und die Niniviten: Predigt in Ninive und Buße. 6. Jon 4,1-11: Jona mit Jahwe allein: Jonas Verzweiflung und Jahwes Begründung seines Mitleids mit Ninive. 1 Dietrich/Mathys/Römer/Smend: Die Entstehung des Alten Testa ments, Stuttgart 2014. S.435ff. Es besteht lediglich Uneinigkeit, ob der sog. Jonapsalm redaktionell eingearbeitet wurde. Ausführliche Diskussion S.437f. 2 Aus Meik Gerhards, Jona/Jonabuch. Der dritte Unterschied zwischen dem Buch Jona und den anderen prophetischen Büchern: In beiden Teilen der Erzählung findet sich eine göttliche Beauftragung (Jon1,1f, bzw. Jon 3,1f.), die restlichen Teile behandeln Jonas Geschichte mit den Seeleuten bzw. mit der Stadt Ninive und seiner Auseinandersetzung mit Gott. Es geht also in diesem Buch in erster Linie nicht um eine prophetische Weissagung, sondern um ein Prophetenschicksal: Zum einen wird gerechtfertigt, dass Gott Weissagung an ein fremdes Volk verkündet und ihnen Gnade widerfahren lässt. Zum andern wird erzählt, wie der Prophet Jona mit Gottes umfassender Barmherzigkeit konfrontiert wird und sich an ihr abarbeitet. Das Buch endet mit einer Frage Gottes. Jonas Reaktion wird nicht berichtet und dadurch wird die Frage direkt an die Leserinnen und Leser weiter gegeben. Alttestamentler kommen so zu dem Schluss, das Jonabuch gattungsgeschichtlich der Lehrerzählung zuzuordnen.3 Wenn also der Sinn dieses Buch ursprünglich darin lag, anhand der Figur des Jona die Größe und Unfassbarkeit göttlichen Handelns an sich selbst und sogar an den „Heiden“ zum Ausdruck zu bringen, erklärt dies die starke Anhäufung von Anspielungen auf Gefühle und Empfindungen, die sich, auch wenn sie nicht immer explizit benannt werden, doch aus der Handlung erahnen lassen: Gefühle und Empfindungen, die sich in der Jonageschichte entdecken lassen Da ist zum einen Jona: • Er bekommt von Gott einen Auftrag: Er ist überfordert, erschrocken, ängstlich. Da scheint das Schiff ans Ende der Welt der einzige Ausweg. • Auf dem Schiff fühlt er sich erleichtert und sicher, vielleicht auch überlegen und als Gewinner. 3 Ebd. Loccumer Pelikan 1/2016 Doch auch von Gott erfahren wir, dass er fühlt – interessanterweise aber nicht in Bezug auf Jona. Gott handelt an Jona (er gibt Jona einen Auftrag, lässt einen großen Wind kommen, lässt einen Fisch kommen, befiehlt dem Fisch, Jona auszuspucken, wiederholt den Auftrag, …). Aber in Bezug auf die Stadt Ninive benennt der Erzähler Gefühle Gottes: • Aus Enttäuschung und Zorn urteilt er über Ninive. • Er ist überrascht von deren Bußverhalten. • Er hat Mitleid mit den Menschen und den Tieren. • Er bereut sein Gerichtsvorhaben. • Er ist „gnädig, geduldig und von großer Güte“. Eigene Gefühle und Erfahrungen wiedererkennen So bietet die Beschäftigung mit der Jona-Erzählung neben dem Zugewinn an Gotteserkenntnis (Gottes Gnade reicht über das menschliche Verstehen) auch die Möglichkeit, menschliche Gefühle und Erfahrungen wiederzuerkennen und bei sich und anderen bewusster wahrzunehmen. Viele dieser Gefühle und der daraus resultierenden Handlungen werden Kindern bekannt vorkommen. Sie kennen es, etwas nicht machen zu wollen, was andere Mit der Jonageschichte die Empathiefähigkeit fördern Doch auch wenn das Erzählte vertraut wirkt, so fällt es vielen Kindern im Grundschulalter noch schwer, Worte für all diese Gefühle zu finden. Gefühle sind da und lassen sich fühlen, oft aber nur schwer beschreiben. Häufig nutzen Kinder lediglich die Kategorien „gut oder nicht gut“, „schön oder schlecht“ – obwohl die Gefühlslage durchaus differenzierter sein kann. Dies gilt auch, wenn sie die Gefühle anderer beschreiben sollen. Hier setzt das pädagogische Bemühen an, die Empa thiefähigkeit der Kinder zu fördern und dazu beizutragen, dass sie lernen, sich selbst wahrzunehmen und anderen mit Mitgefühl zu begegnen, um verantwortlich ihr Leben zu gestalten. Nicht zuletzt die Hirnforschung hat deutlich gemacht, dass Gefühle für das Denken, Urteilen und Handeln von grundlegender Bedeutung sind. Deshalb gilt es, schulisches und auch religiöses Lernen nicht HINWEIS M 1 zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar. „Manchmal geht es mir wie Jona“ 1 2 Von Almut Volkers Materialien Materialien Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken … Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016 Erzählung zur 5. Stunde (auktoriale Erzählperspektive): Erzählung zur 8. Stunde (Jona-Perspektive): Da seht ihr den Jona liegen, tief schlafend. Erschöpft ist er von seiner weiten Reise. „Wieso Reise?“, denkt ihr jetzt? „Ist er doch nach Ninive gegangen?“ Nein, ganz im Gegenteil! Jona liegt hier auf einem Schiff, das genau in die entgegengesetzte Richtung fährt. Weggelaufen ist Jona, zunächst nach Jaffa, das ist eine große Hafenstadt. Dort hat er dieses Schiff gefunden, das bis nach Spanien fahren will, also quasi ans andere Ende der Welt. „Da kann mich Gott bestimmt nicht finden, da lässt er mich in Ruhe mit seinen komischen Aufträgen“, das hat er gedacht. „Hey, ihr Matrosen, habt ihr noch Platz auf dem Schiff für mich? Ich will euch gut bezahlen!“ Das waren seine Worte. Kaum hatte das Schiff abgelegt, da hatte er es sich gemütlich gemacht und war sofort Ja, ihr habt Recht. Ich bin wütend, sauer, sogar stinksauer! Da bin ich nun den weiten Weg von Jaffa hierher gekommen, weil ich Gottes Urteil verkünden soll. Ich habe wer weiß was für Gefahren auf mich genommen, habe mein gutes Leben beim König Jerobeam aufgegeben – nur um jetzt zu sehen, dass Gott doch wieder einknickt. Das habe ich doch gleich gewusst! Gott ist gnädig! Sobald einer bereut, hat man den rumgekriegt. Da ist nichts mit dem großen Untergang! Zuerst war alles gut. Ganze drei Tage bin ich durch die Stadt gelaufen, auf jedem Platz habe ich seine Botschaft verkündet. Erst hatte ich Angst, sie würden nicht auf mich hören oder mich vertreiben. Aber nein, man hörte mir zu, ich war wichtig. Und später konnte ich von draußen alles gut beobachten. Das war richtig gemütlich, denn genau dort, wo ich saß, wuchs mir über Nacht eine riesige Staude. Unter der konnte ich gut Schatten finden und es mir gut gehen lassen. Doch am nächsten Tag verdorrte dieser Baum vor meinen Augen. Einfach so. Nichts half eingeschlafen. „Endlich in Sicherheit“, das war das letzte, was er noch gedacht hat, bevor er tief und fest eingeschlafen ist. Und dann war ihm alles egal. Die Matrosen aber, die hatten alle Hände voll zu tun. Denn von Westen zogen wie von Geisterhand auf einmal dunkle schwere Wolken auf. Das Meer wurde unruhig, die Wellen immer wilder und höher. Ich habe euch eine Musik mitgebracht, die einen Sturm beschreibt. Hört einmal. Hier habt ihr Gebetsverse aus der Bibel. Sucht euch einen aus, den ihr vielleicht rufen würdet, wenn ihr in einem Sturm auf hohe See seid. Ich spiele euch noch einmal die Musik vor, und ihr ruft diese Sätze in den Sturm, vielleicht wird er dann weniger. Erzählung zur 7. Stunde (Jona-Perspektive und Perspektivwechsel am Ende): M 1: Bausteine für die Jona Erzählung Erzählung zur 4. Stunde (Jona-Perspektive): Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Jona. Ich lebe weit weg von Göttingen in Jerusalem und arbeite für den König Jerobeam als Prophet. Das ist so eine Art Berater, ich muss dem König Dinge erklären, die Gott ihm mitteilen lässt. Warum ich hier so stehe, wollt ihr wissen? Na, das kann ich euch erklären. Ich habe von Gott einen Auftrag bekommen und den kann ich unmöglich ausführen. Ich soll nach Ninive gehen, das ist eine große, reiche Stadt weit weg im Westen. Von weitem sieht sie ja ganz schön aus, überall glänzt und glitzert es, weil die Stadt so reich ist. Aber wenn ihr genauer hinschaut, könnt ihr erkennen, dass die Stadt nur reich ist, weil die Starken die Schwachen ausnutzen, weil mit Betrug und Gewalt regiert wird und der Stärkere gewinnt. Und dieses Unrecht hat auch Gott gesehen. Er will die Stadt untergehen lassen. Die Menschen sollen für ihre Habgier bestraft werden. Und ich bin dazu auserwählt worden, den Menschen diese Strafe zu verkünden. Ich soll nun einfach so losgehen, hier alles zurücklassen. Ausgerechnet ich! Könnt ihr euch vorstellen, wie es mir damit geht? (Antworten sammeln und auf dem AB festhalten) Aber ich will das nicht. Keine zehn Pferde kriegen mich nach Ninive! Wer weiß, was diese gemeinen Menschen mit mir machen, wenn ich ihnen so schlechte Nachrichten überbringe? Ich sage nein! (Nein-Lied und Bearbeitung) Der Fisch hat mich ausgespuckt. Jetzt bin ich wieder da, wo ich vor ein paar Tagen schon einmal stand. Sollte das wirklich erst ein paar Tage her sein? Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit – und so viel ist ja auch mit mir passiert. Nun bin ich also doch auf dem Weg nach Ninive. Ganz geheuer ist mir das immer noch nicht, aber ich weiß, dass ich nicht alleine da sein werde. Gott ist mein Begleiter, er lässt mich nicht im Stich, nicht mal, wenn ich vor ihm selbst weglaufe und versuche, ihn auszutricksen. Das habe ich jetzt verstanden, so kann ich den Niniviten ihre Strafe verkünden. Oh ja, nur von außen sieht diese Stadt schön aus, jetzt können auch mich die goldenen Türmchen nicht mehr trüben. Nun sehe ich, wie hier Menschen unter anderen Menschen leiden. Wo ich auch hinschaue, herrscht Unrecht, wo man auch hinhört, klingt das Leid: Gegen dieses Unrecht will ich meine Stimme erheben, hier auf dem Marktplatz sollen sie Gottes Gericht als erstes erfahren: „Gott hat das Unrecht gesehen, das in eurer Stadt herrscht. Noch vierzig Tage, dann wird eure Stadt zerstört sein!“. So, nun setze ich mich mal hier vor die Stadtmauer und schaue, was passiert. Wie die Menschen wohl reagieren? Muss ich mich vor ihnen fürchten? Aber was passiert denn da? Ist das nicht der König, der da kommt? Der setzt ja seine Krone ab. Was sagt er? Alle sollen Buße tun, ihre guten Kleider hergeben und in Lumpen laufen? Sie sollen zugeben, was sie falsch gemacht haben. Das kann ja wohl nicht wahr sein: Der König selbst zieht sein teures Gewand aus und trägt nun einen alten Sack! Er macht sich klein und gibt seine Fehler zu vor allen seinen Untertanen. (Ninive – Kakophonie) Kennt ihr das auch, dass ihr Dinge tun müsst, die ihr nicht machen wollt? Was sagt oder macht ihr dann? Habt ihr einen Tipp für mich? Und wie seht ihr dann aus? (Foto in PA, danach Arbeitsblatt in EA) Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 etwas. Und jetzt sitze ich hier schon den ganzen Tag in der brennenden Sonne. Am liebsten wäre ich tot. Warum, Gott, kannst du nicht wenigstens auf diese Pflanze hier aufpassen? (Kinder vermuten, was Gott antworten könnte.) In der Bibel wird das Ende der Jonageschichte so erzählt: „Was, Jona? Du bist zornig, weil die Pflanze verdorrt ist? Dabei hast du sie nicht einmal selbst aufgezogen oder sie mit Wasser oder frischer Erde versorgt. Und mir wirfst du vor, dass ich mit den vielen Menschen und Tieren Mitleid habe und sie nicht zerstöre?“ Kann man dieses Mitleid auch hören, kann man es rappen, wie ihr das mit Jonas „Nein!“ oder mit seiner Wut gemacht habt? Wie könnte Gottes Mitleid klingen? 3 Materialien i ihnen aufgetragen haben, sei es aus Angst, Überforderung oder Unlust. Wegzulaufen und sich zu verstecken, scheint da eine gute Idee und zunächst Erleichterung zu bringen. Vielleicht hat der eine oder die andere auch schon mal den Mut aufgebracht, zu seinen Fehlern zu stehen, wenn andere dadurch Schaden erleiden. Auch die Angst in Einsamkeit, Dunkelheit und Sturm – das Gefühl, einer fremden Macht ausgeliefert zu sein, wird ebenso nachvollziehbar sein wie das Gefühl der Geborgenheit und Dankbarkeit. Ebenso kennen sie den Stolz über eine erbrachte Leistung und die Enttäuschung, wenn die entsprechende Würdigung ausbleibt. Und nicht zuletzt wird es ihnen vertraut sein, Gnade, Großzügigkeit und Vergebung als ungerecht zu empfinden. Vielleicht haben sie aber auch schon einmal selbst von dieser ungerechten Gnade profitiert und so eine Ahnung von der anderen, göttlichen Gerechtigkeit erlangt. 17 praktisch • Im Sturm hat Jona Angst, aber auch ein schlechtes Gewissen, er ist schicksalergeben und mutig zugleich. • Im Fisch spricht Jona von seiner Todesangst, seiner Verlassenheit, aber auch seinem Gottvertrauen und seiner Dankbarkeit. Nach der überwältigenden Verzweiflung überkommt ihn ein Gefühl der Geborgenheit und Ruhe. • In Ninive zeigt sich Jona zielstrebig, gehorsam, mutig und entschlossen. • Das Ende des Buches zeigt einen zornigen, rachsüchtigen, beleidigten, neidischen und wütenden Jona, der sogar lieber tot sein möchte als zu leben. praktisch 18 auf kognitive Lernformen zu beschränken, sondern die Möglichkeiten des emotionalen Lernens zu nutzen und dies bewusst in die Unterrichtsplanung einzubeziehen. Allerdings ist dabei darauf zu achten, dass nicht bestimmte Gefühle und daraus resultierende Wertungen provoziert werden. Vielmehr soll das einzelne Kind mit seinen je eigenen Gefühlen wertgeschätzt und in einem wertschätzenden Umgang mit den Kindern seiner Umgebung unterstützt werden. Durch Übungen zur Empathie (z. B. Spiele mit Mimik und Gestik, Standbildbau und Doppeln, …), in denen auch Gefühlslagen anderer Menschen betrachtet werden, kann die Wahrnehmung der eigenen Situation sowie der Situation anderer gefördert werden. Es kann unterstützt werden, verschiedene Worte für das Wahrgenommene zu finden und dadurch den Bewusstseinsprozess und das Einfühlungsvermögen zu entwickeln. Motive der Jonageschichte musikalisch gestalten Auch Musik wirkt auf die Gefühle von Menschen und lässt sich in unterschiedlicher Weise wahrnehmen. Kinder können darin geschult werden, der Wirkung der Musik nachzuspüren und musikalische Elemente selbst einzusetzen, um eigene Gefühle und Stimmungen auszudrücken. Musik berührt den Menschen anders als Worte und kann eine große Ausdrucks- und Wirkkraft haben. Deshalb kann das „Gut- oder nicht gut“-Fühlen in unterschiedlichen Klängen differenzierter ausgedrückt werden: Für Angst lassen sich andere Klänge finden als für Traurigkeit oder Wut. Freude hört sich anders an als sich geborgen zu fühlen oder ausgelassen zu sein. Stimmungen und die Atmosphäre können in der Musik in einer Weise ausgedrückt werden, die über sprachliche Möglichkeiten hinausgeht (z. B. das Thema in der romantischen Musik Peer Gynt „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg). Ebenso können Gefühle und Stimmungen in der Musik in besonderer Weise wahrgenommen werden, an bereits erlebte Momente erinnern und diese bewusst zu machen und ggf. zu verarbeiten helfen. Im Folgenden werden auszugsweise Bausteine einer Unterrichtseinheit zur Jonageschichte vorgestellt, in denen musikalische Elemente eine besondere Rolle spielen. Diese übernehmen folgende Funktionen: • Sie unterstützen das Eintauchen in die Ebene der Geschichte; • sie drücken Gefühle aus; • sie machen verschiedene Gefühlslagen hörbar. Kinder in Jonas Welt einsteigen lässt. Lediglich die ersten Stunden der Einheit weichen davon ab: Bevor die Kinder mit der Geschichte konfrontiert werden, wird eine Stunde vorangestellt, die sie an die Aufgabe heranführt, Gefühle bei sich und anderen wahrzunehmen und zu benennen. Als Einstieg wähle ich eine Auswahl der auch schon bei den Kindern bekannten Smileys und Emoticons, die wortlos Auskunft über die Gefühlslagen des Absenders vermitteln oder verdeutlichen sollen, in welcher Stimmung die Information gesagt ist. Nachdem die Kinder die Bilder beschrieben und erklärt haben, folgt eine Gruppenarbeit, in der sie sechs Gefühls lagen (z. B. fröhlich, ängstlich, stolz, erschrocken, wütend, zufrieden) unterschiedlich darstellen sollen. Die Kinder können wählen, ob sie mit Instrumenten, pantomimisch oder an Elfchen arbeiten bzw. eigene Smileys erfinden wollen. Dabei können die Gruppen entweder nach dem zu bearbeitenden Gefühl oder nach der Methode eingeteilt werden. Geht man nach den Methoden vor, kann bei der Präsentation eine Art Quiz entstehen: Welcher Klang, welches Gedicht, welche Statue und welcher Smiley stellt welches Gefühl dar? Oder aber man gestaltet für jedes Gefühl eine Art Theaterstück mit Musik, Bühnenbild, Pantomime und Gedichtvortrag. Für den Abschluss eignet sich das Lied „Wenn du glücklich bist …“. Eine Stadt im Wohlstand musikalisch darstellen Die zweite Stunde (nach Möglichkeit eine Doppelstunde) stellt den Kindern Ninive vor als eine Stadt, die wirtschaftlich blüht und in der Wohlstand regiert. Verschiedene orientalische Gewürze, Pfefferminztee, feine Stoffe, glitzernde „Edelsteine“ und Früchte wie Granatapfel und Datteln in einer gestalteten Mitte helfen den Kindern, sich auf einer Phantasiereise in diese fremde Welt und Zeit einzufinden. Um das Bild der harmonischen und reichen Stadt zu verstärken, erhalten die Kinder nun Glockenspiele, Metall- und Xylophone sowie Bassklangstäbe, die pentatonisch gestimmt sind.4 Zunächst probiert nur ein Kind eine Melodie mit den fünf Tönen auf dem Glockenspiel zu spielen, ein anderes Kind antwortet darauf, das nächste spinnt die Melodie weiter. Die Bassklangstäbe kommen dazu und geben den hohen Tönen einen Grundschlag, die mit den Metallophonen in Quintklängen gefüllt werden. Schließlich stimmen die Xylophone hintereinander als eine zweite Melodie mit ein. Dazu kann ein Dirigent oder eine Dirigentin gewählt werden, die den einzelnen Musikerinnen, Musikern und Instrumentengruppen die Einsätze gibt. Im Anschluss wird aus gleich großen 4 Ablauf der Unterrichtssequenz Der Aufbau der Einheit folgt im Wesentlichen der Chro nologie der Geschichte und ist geprägt von einer Lehrerin nenerzählung (M 1; vier Bausteine für die Lehrerinnen erzählung finden Sie im Internet als Download), die die Mir ist bewusst, dass pentatonische Klänge eher in der asiatischen Musik beheimatet sind, mir liegt aber nicht daran, den Kindern ein historisch korrektes Bild von Ninive im 5. Jhd. v. Chr. zu vermitteln, sondern ihnen zu ermöglichen, den Reichtum und die Schönheit einer „goldenen Stadt“ als ganze Klasse zu verklanglichen und symphonisch zu beschreiben. Dazu eignet sich die Pentatonik hervorragend – auch um dann mit ganz wenigen „Störtönen“ eine Disharmonie zu erzeugen und die Fragilität der goldenen Fassade Ninives zu verdeutlichen (s. Folgestunde). Loccumer Pelikan 1/2016 Schuhkartons eine Stadtmauer errichtet. Auf jeden Deckel wird mit gelben, orangenen, goldenen Farben Ninives Reichtum für alle sichtbar gemalt und vor einer zuvor aufgemalten Stadtsilhouette aufgebaut.5 M 2: Walter Habdank, Jona im Fischleib Das Unrecht in der Stadt hörbar machen 19 praktisch In der dritten Stunde wird die NiniveSymphonie noch einmal gespielt. Da bei erhalten einige Kinder jedoch kein Instrument, sondern vorbereitete Rol lenkarten, die sie auf Einsatz laut lesen sollen. Hier werden Szenen angedeutet, die das harmonische Bild der Stadt in Frage stellen sollen: Eine Frau bettelt um Brot für ihre Kinder, ein Händler schimpft über ungerechte Steuern, ein Sklave beklagt sein Schicksal, ein Richter wird korrupt genannt. Mit den Kindern wird erarbeitet, was in Ninive alles schief gehen kann und wo die goldene Fassade bröckelt. Die Lesekinder erhalten nun einen Halbton, der die Harmonie der Pentatonik stört. So wird aus der mittlerweile vertrauten Symphonie eine Kakophonie,6 die das Unrecht in der Stadt hörbar macht. Mit Kohlestiften oder weichen Bleistiften gestalten die Kinder eine Szene in der „bösen“ reichen Stadt und kleben sie auf die Rückseite der Stadtmauer. Zum Schluss der Stunde kann das Lied vom Streit7 gesungen werden. Walter Habdank, Jona im Fischleib, 1972, Holzschnitt 57 x 38 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Gefühle von Gott und Menschen musikalisch darstellen In der vierten Stunde erfahren die Kinder von Gottes Urteil über die Stadt. Ist Gott traurig, ist er wütend, enttäuscht? Kann man Gottes Gefühle in Klänge verwandeln? Wie klingt seine Reaktion, wenn er wütend, enttäuscht oder wenn er traurig ist? Mit Metall-Klangstäben werden moll- Dreiklänge zu einer Kadenz moduliert und mit unterschiedlichen Rhythmusinstrumenten begleitet (Congas und Shaker für das Gefühl „traurig“, Becken, 5 Alternativ kann auch eine Stadtsilhouette im Din-A-5-Format angemalt, in der Mitte geteilt und an den Außenrändern auf ein Din-A-4-Blatt geklebt werden, so dass es an den Schnittstellen aufgeklappt und dann in der Folgestunde mit einer Unrechtsszene mit Kohle-oder Bleistift gestaltet wird (s. Folgestunde). 6 Während die Symphonie (griechisch: syn = zusammen, phonos = Klang) den Wohlklang verschiedener Töne und Instrumente beschreibt, meint die Kakophonie (kakos = schlecht) disharmonische Klänge. 7 R. Krenzer, L. Edelkötter: Streit, Streit, Streit in: Lieder zum Versöhnen. Loccumer Pelikan 1/2016 Rasseln für „zornig“, Triangeln, Klanghölzer für „enttäuscht“). Nun beginnt Jonas Geschichte. Ich erzähle mit Unter stützung einer Egli-Figur, die einen erschrockenen Jona zeigt. Aus der Retrospektive hören die Kinder von seiner Beauftragung und deuten nun seine Körperhaltung. Welche Gedanken gehen in jemandem herum, der so dasteht? Was fühlt er, was könnte er tun? Die Kinder sammeln mögliche Antworten auf einem Arbeitsblatt. Das Nein-Lied8 wird gesungen. Nun wird das Nein des Liedes aufgegriffen und mit den zuvor gefundenen Gefühlen in einem Protestruf begründet, der mit den passenden Instrumenten der ersten 8 Netz, H. J. / Baltruweit, F.: Nein, nein, nein, aus: Hannoversche Arbeitsstelle, Komm mit Jona nach Ninive, Lieder zum Kinder kirchentag, Hannover 1983, S. 7. 20 Stunde unterstützt wird, z. B. „Nein – weil ich Angst habe“ (Trommeln), „nein – weil es gefährlich ist“ (Schellenkranz, Gong). Als Übertragung auf ihre Lebensbezüge sollen sie sich eine Aufgabe denken, vor der sie weglaufen wollen und wie ihr Gesicht dann aussieht. Dieser Gesichtsausdruck wird auf einem Foto festgehalten, das sie in der nächsten Stunde auf das Arbeitsblatt kleben. Darunter schreiben sie den Satz: Manchmal geht es mir wie Jona, wenn … praktisch Psalmworte zu (klassischer) Musik intonieren In der fünften Stunde sehen die Kinder einen schlafenden Jona als Egli-Figur. Die Erzählung berichtet von seiner Flucht bis ans Ende der Welt und von seiner Erleichterung, die ihn ruhig schlafen lässt. Nicht so die Matrosen, denn der Sturm beschäftigt sie. Wir hören den vierten Satz der 6. Sinfonie (Pastorale) von Beethoven. Was geht in den Matrosen vor? Was können sie gegen ihre Angst tun? Sie rufen nicht nur ihre Götter an, sondern auch Jonas Gott. Die Kinder erhalten Psalmworte gegen die Angst, die sie in die Musik hineinrufen. Die sechste Sequenz (auch hier wäre eine Doppelstunde von Vorteil) beginnt mit einer Bildbetrachtung eines der Jona-Holzschnitte von Walter Habdank, von dem zunächst aber nur der schlafende Jona zu sehen ist (M 2). Die Kinder erinnern sich an den schlafenden Jona der letzten Stunde und erzählen von seinem Sicherheitsgefühl und dem Sturm, den er verschläft. Dann wird um den Jona herum der Fisch gelegt. Wie verändert sich damit das Bild von Jona? Und was könnte in der Geschichte passiert sein? Die Erzählung wird mit den Kindern gemeinsam entwickelt. In die Kreismitte wird ein Bettlaken gelegt, das in Form eines Fisches genäht wurde. Ein Kind darf hineinkriechen, die anderen Kinder formulieren Jonas Gefühle und Gedanken. Der gekürzte Jona-Psalm wird als möglicher Gedanke vorgelesen. Einzelne Verse werden in großer Schrift um den Fisch herum gelegt. Die Kinder sollen nun von Vers zu Vers wandern und bei einem stehen bleiben, der ihnen besonders gefällt. Was hören sie, wenn sie diesen Vers noch einmal für sich sprechen? Welche Wörter sind besonders wichtig, welche klingen tief, welche schwer, laut oder leise? Gibt es Töne, die mitschwingen, entstehen Geräusche, ein Echo oder Melodien? In Kleingruppen (drei Kinder) sollen die Kinder ihren Vers nun hörbar machen: Ein Kind spricht den Text mit den erarbeiteten Nuancen vor, während ein bis zwei andere die Worte instrumental verstärken oder durch eine Art Kadenz interpretieren. Dabei können Kinder, die ein Instrument spielen (Klavier, Flöte, Gitarre, Geige …) zum Zuge kommen und erstes freies Improvisieren, wie wir es pentatonisch schon probiert haben, auf ihren Instrumenten wagen. Die Kinder erhalten abschließend Tonpapier-Streifen in Meeresfarben, die sie in Wellenform ausschneiden. Sie sollen sie mit Versen des Jona-Psalms beschriften, die ihnen zusagen. Dann erhalten sie eine Kopie des HabdankFisches, den sie ausschneiden. Aus den Wellen und dem Fisch wird ein Jona-Mobile gebastelt. Dabei können Meeresklänge als Hintergrundmusik laufen, die eine entspannte Atmosphäre vermitteln. Eine Verwandlung durch Kakophonie und Symphonie ausdrücken Auch die siebte Stunde beginnt mit einem Bild. Auf der Darstellung von Sekiya Miyoschi (M 3) ist zu sehen, wie der Fisch Jona durch einen Regenbogen hindurch an Land spuckt. In der Bildbetrachtung wird in Erinnerung an die Arche-Geschichte der Inhalt des Bundes erarbeitet, den Gott mit Noah schließt: Ich will nicht vernichten, sondern gnädig sein. Hier wird bereits das Ende der Ninive-Geschichte an Jona durchexerziert. Die Rettung und Bewahrung, die Jona schon im Fisch gespürt hat und in seinem Psalm anklingen lässt9, wird nun mit dem Zurückkommen an Land vollendet. Der Bildbetrachtung folgt eine Erzählung wieder aus der Ich-Perspektive. Jona beginnt wieder von vorne. Er erhält erneut den Auftrag und läuft los in diese bereits bekannte, riesige Stadt. Er beschreibt noch einmal, was die Kinder bereits in der dritten Sequenz erfahren haben. Sie erhalten wieder das Instrumentarium, um die „NiniveKakophonie“ zu spielen – bis Jona Gottes Botschaft übermittelt. Das lässt alle innehalten und schweigen. Jona beobachtet, wie der König ein Bußgewand anzieht. Das Bußgewand wird aus einem Bogen Packpapier geschnitten. Die Kinder erhalten Zettel, auf die sie Möglichkeiten eines gerechten und friedfertigen Miteinander-Lebens aufschreiben. Mit diesen Zetteln wird das Bußgewand beklebt. Danach verwandelt sich die Kakophonie wieder zu einer Symphonie10, indem die Halbtöne verstummen und nur noch pentatonische Klänge zu hören sind. Als Lied zum Abschluss eignet sich „Wir wollen aufstehen, aufeinander zugehn“11 oder die vierte Strophe des Streit-Liedes. Wut und Gnade musikalisch ausdrücken Die achte Stunde beginnt mit einer Mindmap: In der Mitte eines Plakates, das auf jeden Gruppentisch gelegt wird, ist die Darstellung des Jona vor der Stadt, z. B. von Kees de Kort, zu sehen. Sie lässt Jonas Wut sichtbar werden und regt zur Assoziation an. Auf dem Plakat sollen spontane Einfälle gesammelt werden, die dieses Bild wecken. Nach einem kurzen Austausch soll das Augenmerk auf Jonas Gefühlslage gelenkt werden: Was fühlt er und warum? Findet ihr eine Überschrift zu dem Bild? Nun sollen die Kinder aus ihren Einfällen einen Sprechgesang entwickeln12, der mit einem Rhythmus-Pattern durch Trommeln, Klanghölzer, Schellen und ähnliche Instrumente unterstützt wird. 9 So auch Gerhards, Jona/Jonabuch. Kakophonie = schlecht klingende Folge von Lauten, Missklang, Dissonanz. Symphonie = Zusammenklingen (s. www.duden.de). 11 Z. B. in: Spurensuche: Lieder zum Kirchentag, Stuttgart 1997. 12 Vielleicht haben die Kinder im Musikunterricht bereits das RapHuhn kennengelernt oder Erfahrungen mit Rhythmicals gesammelt, auf die hier hingewiesen werden kann. 10 Loccumer Pelikan 1/2016 13 Literatur Dietrich, Walter / Mathys, Hans-Peter / Römer, Thomas / Smend, Rudolf: Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart 2014 Freudenberg, Hans: Religionsunterricht praktisch 4, 6. Auflage Göttingen 1998. Gerhards, Meik: Artikel: Jona / Jonabuch, in: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/ anzeigen/details/jona-jonabuch/ch/d96db0c365527d5bc0e 7f92a0addc9a0/ letzter Zugriff 15.01.2016, 11.00 Uhr. Krenzer, Rolf; Edelkötter Ludger: Lieder zum Versöhnen, Pulheim 2009 Miyoschi, Sekiya: Jona. Ein Bilderbuch, Hamburg 1991 Netz, Hans-Jürgen / Baltruweit, Fritz: Komm mit Jona nach Ninive, Lieder zum Kinderkirchentag, Hannover 1983 Schöne, Gerhard (Hg): Spurensuche: Lieder zum Kirchentag, Stuttgart 1997 Schönhals-Schlaudt, Dorothea / Schlaudt, Bernd: Unter Gottes Regenbogen, Menschenskinderlieder Bd. 2, Frankfurt a. M. 3. Auflage 2006 Almut Volkers ist Lehrerin an der Wilhelm-Busch-Schule in Göttingen. „Unter Gottes Regenbogen Schutz und Schirm zu jeder Zeit“, in: Schönhals-Schlaudt / Schlaudt: Unter Gottes Regenbogen. M 3: Sekiya Miyoshi, Jona Aus: Miyoshi, Sekiya: Jona, Friedrich-Wittig-Verlag Hamburg 1978 (o.S.). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Loccumer Pelikan 1/2016 21 praktisch Die folgende Lehrerinnenerzählung zum RizinusGleichnis bis zu Gottes Antwort zeigt Gründe auf und bietet Identifikation an für alle, die Gnade schon als ungerecht erlebt haben. An dieser Stelle bietet es sich an, die Kinder Gottes Antwort an Jona formulieren zu lassen, bevor das offene Ende der biblischen Geschichte erzählt wird. In einem gemeinsamen Gespräch kann über Gottes Verhalten am Ende nachgedacht werden. Die Frage „Wie klingt eigentlich Gnade?“ leitet zur musikalischen Umsetzung: Kann Gnade auch gerappt werden, oder brauchen wir dafür andere Ausdrucksformen? Dabei wird noch einmal an den Regenbogen erinnert. Gibt es für dieses Bild ein klangliches Äquivalent? Und wie klingt das im Gegenüber zu Jonas Wut? Zum Abschluss der Sequenz können die Kinder dann Jona eine Antwort formulieren lassen. Hat sich durch Gottes Erklärung Jonas Stimmung geändert? Kann er es zulassen, dass der Regenbogen auch nach Ninive gespannt wird? Wie geht Jona zurück? Kann er das RegenbogenLied13 mitsingen? 22 Reformation durchs Lied: gesungener Protest praktisch Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums Von Eva Gotthold D ass bei der Ausbreitung der Reformation Luthers Schriften eine maßgebliche Rolle gespielt haben, ist allseits bekannt. Dass Luther jedoch auch Lieder dichtete und diese ein mindestens gleichbedeutendes Vehikel bei der Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts waren, findet nur wenig Beachtung. Die Idee der hier vorgestellten Unterrichtsstunde ist es, den strukturellen Topos der Ausbreitung der Reformation mit dem biographischen Topos der Zentralstellung der Musik im Leben Luthers zu verknüpfen. Dadurch soll das Verständnis der Schülerinnen und Schüler sowohl für die Person Luthers und die Dynamik des Reformationsgeschehens also auch für die Zentralstellung des Liedes in der Kirche heute vertieft werden. Mitte hinaus durch eine situierte Lernaufgabe: Im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 veranstaltet die EKD einen Liedwettbewerb.1 Gesucht werden neue Texte und Melodien, die es vermögen, die alte Rechtfertigungsbotschaft Luthers tönend und überzeugend ins Heute zu transportieren. Im Rahmen der situierten Lernaufgabe sind die Schülerinnen und Schüler die Jury, welche vor der Aufgabe steht, ein eingereichtes Lied auf seine Tauglichkeit zu überprüfen – „Paradies“ von den Toten Hosen.2 Die zu einer angemessenen Einschätzung des Beitrags nötigen inhaltsbezogenen Kompetenzen erwerben die Schüler im Laufe der Unterrichtseinheit. Der Kontext der Unterrichtsstunde Luther, die Musik und das Lied Die Stunde Reformation durchs Lied: gesungener Protest ist als Bestandteil einer Unterrichtseinheit mit dem Titel Von Paulus bis Luther konzipiert. Da die Stunde in sich geschlossen ist, ist sie nicht notwendig auf ihren ursprünglichen Unterrichtskontext angewiesen. Sie kann Baustein von anderen Unterrichtszusammenhängen sein, die sich mit Luther und der Reformation beschäftigen. Dennoch sei die Einheit Von Paulus bis Luther an dieser Stelle skizziert: Dramaturgische und Struktur gebende Mitte der Un terrichtseinheit Von Paulus bis Luther ist die reformatorische Entdeckung Martin Luthers. Von ihr aus spannt sich ein Bogen um die Frage des Lebensgefühls und den Lebensbewältigungsstrategien der Menschen im Mittelalter in Richtung des Anfangs der Unterrichtseinheit. In Richtung des Endes der Einheit spannt sich ein Bogen, der bei der Ablasskritik Luthers als Konsequenz seiner reformatorischen Entdeckung einsetzt, weitere Stationen des Lebens Luthers beleuchtet und schließlich die Ausbreitung der Reformation in den Blick nimmt. Paulus kommt innerhalb der Einheit als biblischer Vordenker und wichtigster Impulsgeber Luthers zum Tragen. Zusammengehalten wird die Unterrichtseinheit über ihre dramaturgische Die Rolle, die das Lied bei der Ausbreitung der Reformation spielte, ist ohne Luthers Hochschätzung der Musik nicht verstehbar. Denn sie ist es, die ihn dazu veranlasste, sein reformatorisches Gedankengut nicht nur in Schriften, sondern auch in Lieder zu übersetzen. Musik war für Luther zentraler Bestandteil seines Glaubens- und Alltagslebens sowie seiner theologischen Reflexion. Sie „bedeutete ihm weit mehr als nur fröhlichen Zeitvertreib, humanistischen Bildungsausweis oder kirchlich-liturgisches Dekorum“.3 In den Vorreden zu den ersten deutschen Gesangbüchern finden sich grundlegende Aussagen Luthers zur Musik.4 Fachwissenschaftliche Überlegungen 1 Nähere Informationen unter www.ekd.de/kirchentag/liedwett bewerb.html. Zuletzt abgerufen am 21.11.2015. 2 Das Lied „Paradies“ befindet sich auf dem Album „Opium fürs Volk“ der Toten Hosen. Der Text des Liedes problematisiert das Bild eines Gottes, der die Menschen zur Erlangung der Seeligkeit dazu anhält, ständig seine Regeln zu befolgen. Es ist an Luthers Frage nach dem gnädigen Gott anschlussfähig und eignet sich deshalb gut als Gegenstand der situierten Lernaufgabe. 3 Jenny, Markus: Luther als Liedschöpfer, in: Bott, Gerhard (Hg.): Kataloge des Germanischen Nationalmuseums. Martin Luther und die Reformation in Deutschland, Frankfurt 1983, 312. 4 Vgl. Schilling, Johannes: Musik, in: Beutel, Albrecht (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, 236-244, 240. Loccumer Pelikan 1/2016 „Darumb, wenn Ihr traurig seid, und will uberhand nehmen, so sprecht: Auf! ich muß unserem Herrn Christo ein Lied schlagen auf dem Regal […]; denn die Schrift lehret mich, er höre gern fröhlichen Gesang und Saitenspiel. Und greifet frisch in die Claves und singet drein, bis die Gedanken vergehen, wie David und Elisäus taten.“10 Es wundert nun nicht weiter, dass Luther selbst zur Feder griff und Lieder dichtete. Dabei hatte er nicht von Beginn an ihre kirchlich-liturgische Verwendung im Blick.11 Zunächst schrieb er, um über das Medium des Liedes Informationen zu verbreiten, die von Straßen sängern von Ort zu Ort getragen werden sollten.12 Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Neuordnung des Gottesdienstes stellte sich ihm jedoch auch die Frage nach dem Gesang der Gemeinde im liturgischen Kontext. Luther schrieb seine Lieder bewusst mit dem Ziel, die Grundinhalte reformatorischer Lehre sowie biblische Kernaussagen im Volk zu verbreiten: „Alle Liedschöp fungen Luthers“, so Markus Jenny, „gelten direkt oder indirekt der Verkündigung des Evangeliums“13. Diese nahm ihren Lauf zum einen durch Einblatt drucke14; die neuen Möglichkeiten des Buchdrucks beförderten nicht nur die Verbreitung der Schriften, sondern auch der Lieder Luthers. Darüber hinaus war es jedoch das Proprium des Liedes, ohne ein von außen hinzukommendes Trägermedium auszukommen. Indem es nichts weiter bedurfte als der mündlichen Weitergabe von Mensch zu Mensch, war es im wahrsten Sinne des Wortes ein Selbstläufer.15 Aufgrund dieser Charakteristika des Liedes, seiner elementaren Sprachform sowie den nahezu voraussetzungslosen Verbreitungsmöglichkeiten, wurden die evangelischen Lieder wichtiger Motor bei der Ausbreitung reformatorischen Gedankenguts vor allem in den niedrigen Gesellschaftsschichten. Denn Menschen, die nicht lesen oder sich die lutherischen Schriften kaufen konnten, erschlossen sich die Inhalte reformatorischer Lehre durch den Gesang.16 Inge Mager weißt darauf hin, dass sich „ein Großteil der Anhänger Luthers […] in das, was er wollte, nicht hereingedacht, sondern hereingesungen“17 hat. Die ersten Menschen, die in den Städten gesungen haben, waren vermutlich Tuchmacher und Wollenweber.18 Da sie aufgrund ihres Berufsstandes viel unterwegs waren, waren sie zugleich wichtige Multiplikatoren reformatorischer Lieder und Anliegen.19 Gesungen wurde zunächst hinter verschlossenen Türen.20 Traten die Anhänger Luthers mit ihren Liedern in die Öffentlichkeit, war das für die jeweiligen Stadträte ein untrügliches Zeichen dafür, dass reformatorisches Gedankengut in ihrer Stadt bereits Wurzeln geschlagen hatte. Die evangelische Singbewegung in Lübeck Dass die evangelischen Lieder nach und nach auch noch eine andere Funktion erfüllten als die der Verbreitung lutherischer Lehre und gemeindlicher Selbstvergewisserung21, dass sie Mittel des Protestes gegen bestehende kirchliche Praxis wurden, zeigen die Ereignisse, die sich in der Adventszeit des Jahres 1529 in Lübeck ereignet haben: „Des andern dages, welk sondach was und sunte Nicolaus avent, des Morgens tho Sunte Jakob predigede Herr Hildebrandt Capellan darsulvest. Alse der sermon ut was, ehr de prediger darsulvest wat van wusten, hoven twe kleine jungen an den psalm: Ach Gott vam Hemmel seh dar in etc. und dat volk sank vortan efentrechtig, effte se darup thor schole gegan hedden. […] Wente von der tid an, wo ein hücheler up dem predigtstol quam, so höreden se en wohl so lange, bet he beghunde minschentand hervor tho bringhen, aldenn hoven se an: Ach Gott vam Himmel etc., dato sik de papisten schouw wurden, dat erer nicht ein up dem predigtstoel kamen dorfte, se weren noch den hoghen, effte siden papen, effte monnike.“22 5 Vgl. ebd, 237. Vgl. ebd. 7 Luther, Martin: Die Gesangbuchvorreden, WA 35, 474-483, 474. 8 Luther führt hier Paulus als Gewährsmann an, der den Kolossern empfiehlt „von hertzen dem Herrn singen geistliche lieder und Psalmen, Auff das da durch Gottes wort und Christliche leere auff allerlei weise getrieben und geübt werden“. (WA 35, 474) 9 Schilling, Musik, 239. 10 Luther, WA 7, 104-106. Zitiert nach Schilling, Musik, 241. 11 Vgl. Jenny, Liedschöpfer, 294. 12 Vgl. ebd. 13 Ebd. 14 Vgl. Mager, Inge: Lied und Reformation. Beobachtungen zur reformatorischen Singbewegung in norddeutschen Städten, in: Dürr, Alfred (Hg.): Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17 Jahrhundert: text-, musik-, und theologiegeschichtliche Probleme, Wiesbaden 1986, 25. 6 Loccumer Pelikan 1/2016 15 Vgl. ebd. Vgl. ebd., 27. 17 Ebd., 28 18 Vgl. ebd. 19 Vgl. ebd. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation: Lübeck 1529, in: (Hg.) v. Arni, Caroline u.a.: Historische Anthropologie, Band 20, Heft 1, Köln / Weimar / Wien 2012, 112. 22 Kock 1830, 28. Zitiert nach Missfelder, Akustische Reformation, 110f. 16 23 praktisch Musik, so wird hier deutlich, ist Schöpfung und gute Gabe Gottes.5 Ihre Grundbestimmung sieht Luther darin, auf ihren Schöpfer zurückzuverweisen und ihm zu dienen, also Gott zu loben.6 Das Potential der Musik erschöpft sich jedoch nicht im Erfüllen ihrer Grundaufgabe, dem Gotteslob. In irdischen Kommunikationskontexten sorgt sie dafür, dass Gottes Wort „getrieben und geübt“7, also verbreitet und verinnerlicht, wird.8 Musik, insbesondere das Lied, ist für Luther „eine Form der Kommunikation des Evangeliums“9 und somit nichts anderes als gesungene Predigt. Darüber hinaus stellt Luther fest, dass die Musik, auf diejenigen, die sie ausüben, auch psychisch eine positive Wirkung hat. Luther, der selbst vor seiner reformatorischen Entdeckung ein verzweifelter, mit Gott hadernder Mensch war und auch in seiner Zeit auf der Wartburg mit seelischen Problemen zu kämpfen hatte, rät dem Freiberger Kantor Matthias Weller in einem Brief: praktisch 24 Diese Schilderung des Chronisten Reimar Kock hat ihren ganz eigenen Reiz, denn hinter der Oberfläche der schlichten Beschreibung des Geschehens zeichnen sich die grundsätzlichen religiösen, theologischen und sozialen Verschiebungen ab, die sich in der Reformationszeit vollziehen. So wird deutlich, dass sich die Gemeinde aus ihrer passiven Rolle im Windschatten der Liturgie löst und sich durch die singende Intervention selbst als eigene Größe innerhalb des gottesdienstlichen Geschehens installiert. Damit wird sie eigenständig agierendes Gegenüber zum Klerus.23 Darüber hinaus wird im Handeln der Gemeinde deutlich, dass sie sich als theologische Urteilsinstanz versteht.24 Durch das außerplanmäßige Singen nach oder sogar während der Predigt wird das Lied Indikator für das Veto der im Gottesdienst Versammelten: Immer, wenn sie meinen, „minschentand“ anstelle des Wortes Gottes zu vernehmen, erheben sie ihre Stimme. Dadurch wird die Gemeinde Anwältin eines der Grundanliegen der Reformation: der Zentralstellung des in der Schrift bezeugten Evangeliums.25 Der zunehmenden Selbstständigkeit der Gemeinde korreliert die ins Wanken geratene Rolle des Klerus. Er verliert die ihm bisher eignende Handlungshoheit und Kontrolle über die Liturgie. Die Dramaturgie der Messfeier wird durch das eigenmächtige Singen der Gemeinde empfindlich gestört und der Liturg wird in die Defensive gedrängt: Predigt er nicht gemäß den Kriterien, die die Gemeinde an eine Predigt anlegt, muss er damit rechnen, von ihr zum Schweigen gebracht zu werden. Dadurch wird das traditionelle Kräfteverhältnis im Gottesdienst umgekehrt. Didaktische Überlegungen Die eben angestellten fachwissenschaftlichen Überlegun gen lassen sich im Hinblick auf die hier vorgestellte Unter richtsstunde auf eine Frage komprimieren: Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? Die Antwort kann dreifach ausdifferenziert werden. Das Lied in der Reformation ist: a. musikalisches Vehikel der Reformation, das Kerninhal te reformatorischer Lehre auf niedrigschwelliger Ebene breiten Volksschichten zu vermitteln vermag, b. Medium des Protestes gegen bestehende kirchliche Praxis, c. gesungene Verkündigung. Die Zentralstellung der Musik ist es, die diesen fachwissenschaftlichen Gehalt der Stunde mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler verknüpft. Viele Schülerinnen und Schüler der Sek I sind selbst Musikausübende. Sie erlernen ein Instrument, in selte- nen Fällen sogar mehrere Instrumente. Sollten sie keinen Instrumentalunterricht besuchen, erleben sie sich doch im schulischen Kontext im Rahmen des Musikunterrichts als Musizierende. Darüber hinaus sind die Schülerinnen und Schüler Musikkonsumenten. Sie hören Musik in den unterschiedlichsten Kontexten: auf dem Weg zur Schule, zu Hause, bei Freunden, im Fernsehprogramm und zuweilen auf Konzerten. Auch im kirchlichen Raum verfügen die Schülerinnen und Schüler über Erfahrungen mit Musik. Auch wenn sie selbst selten in den Gottesdienst gehen, wissen sie doch, dass in der Kirche gesungen wird. Diejenigen unter den Schülerinnen und Schülern, die den Konfirmandenunterricht besuchen, erleben die Praxis des gottesdienstlichen Singens sogar regelmäßig. Allerdings stehen hier die Erfahrungen der Schüle rinnen und Schüler im Kontrast zu den im Stundenthema implizierten Erfahrungen: Für diejenigen, die zu Luthers Zeit im Gottesdienst ihre Stimme erhoben, um gegen die bestehende Predigt- und Kultpraxis zu protestieren, war das Lied weder selbstverständlicher Bestandteil des Gottesdienstes noch verstaubt anmutende Pflichtübung. Mit dem Lied traten sie für evangeliumsgemäße Verkündigung ein und sorgten damit immer wieder für Unruhe. Die Erarbeitung des Stundeninhalts, also die Arbeit an der Frage nach der Rolle des Liedes in der Reformation, wird schwerlich Ergebnisse zeitigen, anhand derer die Schülerinnen und Schüler ihr Gottesbild oder ihr Glaubensverständnis thematisieren können. Dennoch muss der Inhalt der Stunde für die Schülerinnen und Schüler nicht bedeutungslos sein. Er kann ihren Blick auf einen für sie wichtigen Teilbereich ihres Lebens, die Musik, weiten und vertiefen. Er kann sie sensibilisieren für die Zentralstellung der Musik in der Kirche, die sie auch heute noch innehat. Wenn sie das nächste Mal einen Gottesdienst besuchen, werden sie in der Wahrnehmung des musikalischen Geschehens über ein erweitertes Deutungsrepertoire verfügen. Die Zielformulierung für die Stunde „Reformation durch Lied: gesungener Protest“ lautet somit: Die Schüle rinnen und Schüler können die Rolle des Liedes in der Reformation erläutern und vor diesem Hintergrund den hohen Stellenwert des gesungenen Liedes in der heutigen Kirche verstehen.26 Verlauf der Unterrichtsstunde In der Eröffnungsphase der Stunde „Reformation durchs Lied: gesungener Protest“ geht es zunächst darum, die Leitfrage zu installieren: Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? Das Medium, anhand dessen die Leitfrage problematisiert werden soll, ist eine kolorierte Zeichnung, die mit dem OHP projiziert werden kann. Im Mittelpunkt der Zeichnung steht ein pointier- 23 Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation, 113. Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation, 113. 25 Vgl. ebd. 24 26 Die in der Stunde vorwiegend geförderten Kompetenzen finden sich aufgelistet in M 1. Loccumer Pelikan 1/2016 HINWEIS Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar. Bogen zur situierten Lernaufgabe Der Liedwettbewerb der EKD gepredigt wird und nicht länger Lehren, die mit der Bibel nicht vereinbar sind!“ Auch an anderen Orten dienen die Lieder Luthers seinen Anhängern offenbar dazu, Kritik an der Kirche zu üben und Luthers Lehre öffentlich zu verbreiten. So wird von ähnlichen Vorfällen auch in Hildesheim, Göttingen und Magdeburg berichtet. Luther, der von unserer Zeitung um eine Stellungnahme gebeten wurde, sagte: „Ich freue mich, wenn sich meine Gedanken durch meine Lieder schnell verbreiten. Dazu habe ich sie schließlich geschrieben! Außerdem werden die Menschen selbst zu Predigern, wenn sie die Lieder singen, denn sie sind nichts anders als Gottes Wort in Tönen!“ Aufgaben: 1) Lies den Text noch einmal in Ruhe durch! 2) Beschreibe zusammen mit deinem Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die sich in Lübeck am 5. Dezember und darüber hinaus ereignet haben! 3) Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch hierbei auch auf die Kommentare derjenigen, die im Artikel zu Wort kommen. _____________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Materialien „Ich bin völlig verzweifelt“, gestand er in einem Interview mit dieser Zeitung, „sobald ich etwas predige, was nicht den Vorstellungen der Anhänger Luthers entspricht, fangen sie seit dem Zwischenfall im Dezember an zu singen! Gegen diese Klanggewalt habe ich einfach keine Chance!“ Nach eigenen Angaben ist es jedoch nicht das Ziel der Singenden die Gottesdienste einfach nur zu stören: So betonen die Eltern der Kinder, die den Stein durch ihren Gesang ins Rollen gebracht haben: „Ja, wir unterbrechen mit unserem Singen die Predigten. Aber das tun wir doch nur, um zu zeigen, dass wir mit dem, was gepredigt wird, nicht einverstanden sind! Wir wollen, dass Gottes Wort © Jenny Höltken 2014 4 Vertiefung II Materialien formuliert Impuls: „Jetzt gehen wir gedanklich einen weiten Weg, nicht nur zurück zum Anfang der Stunde, sondern ganz zum Anfang unseres Luther-Themas. Da war ja auch eine Sache mit Liedern… Habt ihr eine Erklärung dafür, warum die Kirche ausgerechnet einen Liedwettbewerb ausgeschrieben hat?“ erläutern zunächst noch einmal die situierte Materialien Lernaufgabe und ihre Rolle als Jury. erklären, dass die EKD deshalb einen Liedwettbewerb ausgeschrieben hat, weil das Lied in der Reformation eine solch zentrale Rolle gespielt hat. Diese soll auch heute den Menschen wieder bewusst gemacht werden. UG formuliert Impulse: 1) „Beschreibt mal, was dem Bürgermeister in diesem Moment so alles durch den Kopf gegangen sein könnte!“ 2) „Wie sieht das denn heute so mit dem Singen in der Kirche aus?“ Tafel moderiert Gespräch und erstellt mit den SuS das Tafelbild. UG deuten das Bild vor dem Hintergrund ihres neu gewonnenen Wissens und gelangen so zu einem vertieften Verständnis. setzten die damalige Bedeutung des Liedes in Bezug zu ihren eigenen Erfahrungen mit dem Gesang im Gottesdienst. UG tragen ihre Ergebnisse zusammen. Bogen zum Stundenanfang „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“ arbeiten die Rolle des Liedes heraus (Ist Kritik / Protest. Die Menschen wollen, dass anders gepredigt wird. Lied dient der Verbreitung der Lehre Luthers. Ist gesungenes Wort Gottes). Sammlung der Ergebnisse und Erstellen des Tafelbildes 3) Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch hierbei auch auf die Kommentare derjenigen, die im Artikel zu Wort kommen. Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? Sicherung M 2: „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“ 5 In der Lübecker Kirche St. Jakobi kommt es seit einiger Zeit zu regelmäßigen Störungen der Heiligen Messe. Die Recherchen unserer Zeitung haben ergeben, dass diese Störungen durch einen Vorfall ausgelöst wurden, der bereits mehrere Wochen zurückliegt: Am 5. Dezember standen nach der Predigt des Kaplans Odingk zwei Kinder auf und begannen lautstark eines der neuen Lieder Luthers anzustimmen. Doch anstatt die Kinder in die Schranken zu verweisen, stimmte die ganze Gemeinde augenblicklich in das Lied mit ein. Odingk konnte sich kein Gehör mehr verschaffen und musste tatenlos mit zusehen, wie ihm die Leitung des Gottesdienstes entglitt. —> Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Vertiefung I teilt AB aus und fordert einen der SuS dazu auf, den Artikel vorzulesen. EA / PA „Welche Rolle das Lied in der Reformation gespielt hat, schauen wir uns jetzt anhand des Beispiels von Lübeck an!“ beschreiben die Situation in Lübeck (Zwei singende Kinder stören den Gottesdienst. Die Gemeinde singt mit; seitdem fangen die Menschen immer an zu singen, wenn ihnen eine Predigt nicht gefällt. Ähnliche Situationen auch in anderen Städten.). fragen sich, was den Bürgermeister am Gesang denn wohl so stört und formulieren dadurch (wahrscheinlich nicht wörtlich) die Leitfrage. Erarbeitung Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? deuten das Bild (Der Mann, der zur Tür hereinkommt, ist ein Bote. Die Noten zeigen an, dass in der Kirche alle singen. Diese Nachricht überbringt er dem anderen Mann, der der Bürgermeister ist. Er sieht nicht erfreut aus und verbindet mit der Nachricht einen großen Verlust.). beschreiben das Bild (Zwei Männer. Einer davon kommt gerade eilig zur Tür herein. Der andere Mann sitzt am Schreibtisch. Im Hintergrund eine Kirche, aus der Noten quellen.). Stummer Impuls (Zeichnung): „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“ „Ei, dann ist alles verloren…“ AA: 1) Lies den Text noch einmal in Ruhe durch! 2) Beschreibe zusammen mit deinem Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die sich am 5. Dezember in Lübeck und darüber hinaus ereignet haben! schreibt Leitfrage an die Tafel und leitet zur Erarbeitung über: moderiert das Gespräch. gibt ggf. Impulse Medien / Materialien Folie / OHP begrüßt SuS. Lehrerverhalten L… Methodische Aspekte UG Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler Die SuS… Auffinden der Leitfrage Inhaltliche Aspekte Was ist dran? Loccumer Pelikan 1/2016 Lübecker Stadtanzeiger 6. Januar 1529 Singende Lutheranhänger stören Gottesdienste in St. Jakobi 3 Eröffnung Begrüßung Thema der Unterrichtsreihe: Thema der Stunde: Stundenziel(e): Phase M 1: Verlaufsplan der Stunde Loccumer Pelikan 1/2016 Tabellarischer Verlaufsplan der Stunde Materialien 2 Von Paulus bis Luther Reformation durchs Lied: gesungener Protest Die SuS können die Rolle des Liedes in der Reformation erläutern und können vor diesem Hintergrund den hohen Stellenwert des gesungenen Liedes in der heutigen Kirche verstehen. Von Eva Gotthold Vorwiegend geförderte (bzw. langfristig angelegte) Kompetenzen: Prozessbezogene Kompetenzen: Wahrnehmungs- und Darstellungskompetenz: Grundlegende religiöse Ausdrucksformen wahrnehmen und beschreiben; Deutungskompetenz: Religiöse Motive in der Kultur identifizieren und deuten. Urteilskompetenz (s. situierte Lernaufgabe). Inhaltsbezogene Kompetenzen: Kirche und Kirchen: Die SuS stellen Ursachen der Kirchentrennung in der Reformation dar. Die SuS formulieren Kernbotschaften Reformatorischer Lehre. Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016 Materialien 1 Zeitungsartikel: „Singende Lutheranhänger stören Gottesdienste in St. Jakobi“ Reformation durchs Lied: gesungener Protest Folie / OHP M 3: Welche Rolle spielt Welchedas RolleLied spieltin dasder LiedReformation? in der Reformation? AB Zeitungsartikel i melt, gebündelt und in einem Tafelbild visualisiert werden. Dazu wird die Sozialform auf das Unterrichtsgespräch ausgeweitet. Die Sicherung wird abgeschlossen, indem die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert werden, das entstandene Tafelbild nochmals in eigenen Worten zusammenzufassen. Die Vertiefungsphase dieser Stunde hat zwei Teile. In ihr soll sowohl der Kreis zum Anfang der Stunde ge schlossen als auch der Zusammenhang zur situierten Lernaufgabe hergestellt werden. Für beide Phasen wird die Sozialform des Unterrichtsgesprächs beibehalten. Zunächst wird der Kreis zum Anfang der Stunde geschlossen. Dazu wird auch das Medium zum Einsatz kommen, das die Stunde eröffnet hat: Die Schülerinnen und Schüler betrachten die auf der Folie dargestellte Szene ein zweites Mal. Vor dem Hintergrund ihres in der Stunde erworbenen Lernzu wachses kommen sie zu einem vertieften Verständnis bzw. einer Neubewertung des Verhaltens des Bürgermeisters. Das Rätsel um seine Reaktion ist gelöst. Die Schülerinnen und Schüler verstehen, dass sein Kommentar auf sein Wissen um die Rolle des Liedes in seiner Zeit zurückzuführen ist. Ein möglicher Impuls, der die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen könnte, ihr neu erworbenes Wissen anzuwenden, besteht in der Frage, was dem Bürgermeister in diesem Moment durch den Kopf gegangen sein könnte. Ein zweiter Impuls soll die Schülerinnen und Schüler einen Schritt weiter in die Wahrnehmung der Diskrepanz der Rolle des Liedes im Gottesdienst damals und heute führen. Mit der Aufforderung: „Beschreibt mal, wie das heute mit dem Singen in der Kirche so aussieht!“, werden sie dazu angeregt, die historische Szene in Verbindung mit 25 praktisch ter Wortwechsel zwischen einem Ratsdiener und einem Bürgermeister (M 2). Je nachdem, aus welcher Perspektive oder mit welchem Wissenshintergrund man diese Szene betrachtet, provoziert oder beantwortet sie die Frage nach der Rolle des Liedes in der Reformation. Verfügt man bereits über Hintergrundwissen, bringt die Zeichnung zum Ausdruck: Ab dem Zeitpunkt, an dem lutherische Lieder nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich und als Mittel des Protestes erklingen, ist aus altgläubiger Sicht „alles verloren“ und die reformatorische Bewegung nicht mehr zu unterbinden. Aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler ist es jedoch zunächst nicht unmittelbar nachzuvollziehen, warum das Singen von Liedern in der Kirche ein alarmierendes Zeichen sein soll. Für sie wird es eher umgekehrt sein: Wenn in der Kirche gesungen wird, zeigt das, dass „alles in Ordnung“ ist. Über die Reaktion des Bürgermeisters, die nicht – wie eventuell zu erwarten – das Singen positiv, sondern negativ bewertet, können sich die Schülerinnen und Schüler an die Leitfrage herantasten: Welche Bedeutung hatte das Singen denn, dass er so reagiert? In der Erarbeitungsphase soll den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben werden, sich bezüglich der aufgeworfenen Leitfrage einen Wissens- und Lern zuwachs zu verschaffen. Dies geschieht anhand eines Zeitungsartikels (M 3), dessen Form zwar fiktiv ist, dessen Inhalte aber auf der gesicherten Grundlage der fach wissenschaftlichen Überlegungen basieren. Um die Text erarbeitung zu strukturieren, bekommen die Schülerinnen und Schüler Arbeitsaufträge. In der auf die Erarbeitung folgenden Sicherungsphase sollen die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler gesam- praktisch 26 ihrer eigenen Lebenswelt zu bringen. Die Schülerinnen und Schüler erleben den Gesang in kirchlichen Kontexten weder als Instrument des Protestes noch wird er vom Umfeld der Schülerinnen und Schüler als Bedrohung für die bestehende Ordnung empfunden. Durch das Formulieren dieses Kontrastes wird zum einen das Verständnis für die Rolle des Liedes in der Reformation erneut geschärft, zum anderen aber auch die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler für die Stellung der Musik in der Kirche heute sensibilisiert. Mit diesem Impuls ist auch schon die Brücke zur Verbindung der Stunde mit der situierten Lernaufgabe hergestellt. Nicht zufällig hat die EKD einen Lied- und nicht einen Zeichen- oder Literaturwettbewerb ausgeschrieben. Ausgehend von dieser Tatsache („Habt ihr eine Erklärung dafür, warum die Kirche ausgerechnet einen Liedwettbewerb ausgeschrieben hat?“) können die Schülerinnen und Schüler die mögliche doppelte Motivation der EKD aufschlüsseln: Der Wettbewerb hat zum einen eine Verweisfunktion: Er erinnert an die Rolle des Liedes in der Reformation. Zum anderen will er die Stellung des Liedes im Gottesdienst im Hier und Jetzt stärken. Literatur EKD, Liedwettbewerb: https://www.ekd.de/kirchentag/liedwettbewerb.html, zuletzt abgerufen am 21.11.2015 Jenny, Markus: Luther als Liedschöpfer, in: Bott, Gerhard (Hg.): Kataloge des Germanischen Nationalmuseums. Martin Luther und die Reformation in Deutschland, Frankfurt 1983, 294ff. Luther, Martin: Die Gesangbuchvorreden, WA 35, 474-483 Mager, Inge: Lied und Reformation. Beobachtungen zur reformatorischen Singbewegung in norddeutschen Städten, in: Dürr, Alfred (Hg.): Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17 Jahrhundert: text-, musik-, und theologiegeschichtliche Probleme, Wiesbaden 1986, 25-38 Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation: Lübeck 1529, in: (Hg.) v. Arni, Caroline u.a., Historische Anthropologie, Band 20, Heft 1, Köln/Weimar/Wien 2012, 108-121 Schilling, Johannes: Musik, in: Beutel, Albrecht: Luther Handbuch, Tübingen 2005, 236-244 Eva Gotthold ist Vikarin in der St. Pankratius-Kirchen gemeinde in Burgdorf. M 2: „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“ © Jenny Höltken 2014 Loccumer Pelikan 1/2016 M 3: Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation? Lübecker Stadtanzeiger In der Lübecker Kirche St. Jakobi kommt es seit einiger Zeit zu re- gelmäßigen Störungen der Heili gen Messe. Die Recherchen unserer Zeitung haben ergeben, dass diese Störungen durch einen Vorfall ausgelöst wurden, der bereits mehrere Wochen zurückliegt: Am 5. Dezember standen nach der Predigt des Kaplans Odingk zwei Kinder auf und begannen lautstark eines der neuen Lieder Luthers anzustimmen. Doch anstatt die Kinder in die Schranken zu verweisen, stimmte die ganze Gemeinde augenblicklich in das Lied mit ein. Odingk konnte sich kein Gehör mehr verschaffen und musste tatenlos mit zusehen, wie ihm die Leitung des Gottesdienstes entglitt. „Ich bin völlig verzweifelt“, gestand er in einem Interview mit dieser Zeitung, „sobald ich etwas predige, was nicht den Vorstellungen der Anhänger Luthers entspricht, fangen sie seit dem Zwischenfall im Dezember an zu singen! Gegen diese Klanggewalt habe ich einfach keine Chance!“ Nach eigenen Angaben ist es jedoch nicht das Ziel der Singenden die Gottesdienste einfach nur zu stören: So betonen die Eltern der Kinder, die den Stein durch ihren Gesang ins Rollen gebracht haben: „Ja, wir unterbrechen mit unserem Singen die Predigten. Aber das tun wir doch nur, um zu zeigen, dass wir mit dem, was gepredigt wird, nicht einverstanden sind! Wir wollen, dass Gottes Wort gepre- digt wird und nicht länger Lehren, die mit der Bibel nicht vereinbar sind!“ Auch an anderen Orten dienen die Lieder Luthers seinen Anhängern offenbar dazu, Kritik an der Kirche zu üben und Luthers Lehre öffentlich zu verbreiten. So wird von ähnlichen Vorfällen auch in Hildesheim, Göttingen und Magdeburg berichtet. Luther, der von unserer Zeitung um eine Stellungnahme gebeten wurde, sagte: „Ich freue mich, wenn sich meine Gedanken durch meine Lieder schnell verbreiten. Dazu habe ich sie schließlich geschrieben! Außerdem werden die Menschen selbst zu Predigern, wenn sie die Lieder singen, denn sie sind nichts anders als Gottes Wort in Tönen!“ Aufgaben: 1. Lies den Text noch einmal in Ruhe durch! 2. Beschreibe zusammen mit deinem Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die sich in Lübeck am 5. Dezember und darüber hinaus ereignet haben! 3. Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch hierbei auch auf die Kommentare derjenigen, die im Artikel zu Wort kommen. Loccumer Pelikan 1/2016 27 praktisch 6. Januar 1529 Singende Lutheranhänger stören Gottesdienste in St. Jakobi praktisch 28 „Du hast ihn nie verraten, deinen Plan von Glück!“ Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik Von Franziska Jaap J ährlich sterben in Deutschland rund 850.000 Men schen an ganz unterschiedlichen Todesursachen. Schülerinnen und Schüler werden sowohl mit natürlichen als auch nicht natürlichen Todesursachen im familiären Umfeld sowie im Bekannten- und Freundeskreis immer wieder konfrontiert. Häufig fehlen ihnen jedoch die Sprache und auch die (Lebens-)Erfahrung mit diesem endgültigen Abschied umzugehen. Religion bzw. religiöse Erfahrungen können dann ein „Anker“ sein, der Schülerinnen und Schülern Halt und Sicherheit gibt. Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist! (Victor Hugo). Musik stellt, folgt man Victor Hugo, vielfach die Brücke zwischen Sprache und Empfindung dar, die gerade in solch existentiellen Momenten wie dem Tod Trost und Hoffnung ausspricht, ohne sich anzubiedern oder unpassend zu wirken. für den Sterbenden und auch für die zurückgebliebenen Angehörigen. Der Aspekt des Trostes wird im Alten Testament immer wieder aufgegriffen. So wird Hiob durch die stetige Unterstützung seiner Freude, die ihn nicht alleine mit seiner Trauer lassen, immer wieder „aufgefangen“ und zum Leben ermutigt. Aber auch der Prophet Jesaja widmet sich wiederkehrend dieser Thematik. Er spricht den trauernden Menschen mit zahlreichen fast imperativischen Aufforderungen aus göttlichem Munde Mut zu. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ (Jes 43,1) „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ (Jes 54,10). „Deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben.“ (Jes 60,20). Theologische Grundgedanken Zu Beginn des Alten Testamentes wird der Tod sehr sachlich als Ende vom Leben beschrieben. „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück.“ (Gen 3,19). Eine fast imperativische Verwendung verweist auf das begrenzte irdische Leben; Gott ist derjenige, der das Leben schenkt, und so nimmt er es folgerichtig auch wieder in seine Hände. In den Psalmen lässt sich jedoch bereits eine veränderte Haltung zum Tod ablesen: „Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit.“ (Ps 73,23 f.) Gott ist der Begleiter im Leben wie im Tod. Der Ver weis auf das Reich Gottes, die Herrlichkeit, spendet Trost Welch eine tröstliche bzw. tröstende Vorstellung! Gott verlässt den sich fürchtenden und ängstlichen Sterbenden nicht, er nimmt ihn vielmehr gnädig in seinem Reich auf. Zahlreiche Traueranzeigen und auch Predigten anlässlich von Trauerfeiern greifen mit diesen Sprüchen den Zuspruch Gottes in „dunklen“ und schweren Zeiten auf und trösten u.a. mit dem Verweis auf das zukünftige Leben im Reich Gottes. Auch im Neuen Testament ist die Thematik des Todes eng mit dem Aspekt der Tröstung verbunden. Nicht nur in der Bergpredigt (Mt 5,4) wird Trost zugesprochen, Paulus erweitert in seinem Brief an die Korinther (1Kor 1, 3-5) die bis dato bestehende Fokussierung der Tröstung durch Gott auf die Tröstung durch die (christliche) Gemeinde: Loccumer Pelikan 1/2016 Interpretation des Songtextes „Der Weg“ Die erste Strophe des Textes von „Der Weg“ beginnt mit der metaphorischen Umschreibung des „Blindseins“, (ich kann nicht mehr seh’n –trau nicht mehr meinen augen1), das sich jedoch als Eintrübung des Blickes aufgrund des Todes2 einer nahestehenden Person deuten lässt und nicht wörtlich als medizinisches Krankheitsbild aufzufassen ist. Eventuell zweifelt das lyrische Ich auch folgend an der ihn umgebenden Realität aufgrund einer so elementaren Verlusterfahrung. Dieser Zweifel bezieht sich jedoch nicht 1 Die Zitate aus dem Songtext sind direkt von der Internetseite des Sängers www.groenemeyer.de/archiv/musik/der-weg übernommen worden. Die Besonderheit der Grönemeyer-Texte ist der Verzicht auf Großschreibung sowie die Verwendung der alten Rechtschreibung. 2 Die Todesnachricht bzw. der Umgang mit dem (unfairen) Tod eines nahen Angehörigen lässt sich zu Beginn des Textes nur erahnen. Erst im Refrain und mit Deutung des gesamten Songtextes lässt sich dieser Bezug ziehen. Loccumer Pelikan 1/2016 nur auf visuelle Perspektiven, auch der Glaube wird ebenso wie die bis dato „heile“ Gefühlswelt in Frage gestellt (kann kaum noch glauben – gefühle haben sich gedreht). Die lähmende Trägheit (ich bin viel zu träge) nach einer Todesnachricht eines nahen Angehörigen wird durch den Zusatz „um aufzugeben“ sofort relativiert und auch mit dem Hinweis „es wär auch zu früh“ wird vorsichtig ein Hoffnungsschimmer für den Trauernden deutlich. Im zweiten Teil der ersten Strophe wechselt die Pers pektive durch die Änderung des Personalpronomens von ich zu wir. Hier beschreibt das lyrische Ich die besondere Liebesbeziehung mit einem Adynaton (wir haben den regen gebogen), eigentlich unmögliche Dinge waren in der Beziehung des lyrischen Ichs zu seinem Partner / seiner Partnerin möglich. Dennoch wird auch die menschliche Naivität, wahrscheinlich als Umgang mit der bestehenden Todesnachricht, thematisiert bzw. kann als solches gedeutet werden (wir haben die wahrheit so gut es ging verlogen). Der anschließende Refrain ist als Anrede an die verlorene Person zu deuten, hier spricht das lyrische Ich direkt seine/n Partner/in an, erneut erfolgt durch die Verwendung des Personalpronomens eine Zäsur. Das Fluten des Raumes mit Sonne und das Verkehren des Verlustes ins Gegenteil sind nur einige metaphorische Umschreibungen der besonderen Begabungen der Person, um die das lyrische Ich trauert. Die nachfolgende, vom Umfang deutlich kürzere zweite Strophe setzt die Beschreibung der besonderen Beziehung zwischen dem lyrischen Ich und seiner/m Partner/in fort. Sie haben „den film getanzt in einem silbernen raum“ und von einem „goldenen balkon die unendlichkeit bestaunt“, gemeinsame Erlebnisse werden als einzigartig und wertvoll beschrieben, das gemeinsame Leben wurde intensiv und grenzenlos gelebt. Eine Erweiterung des Refrains, in dem fast jede Zeile mit einem Possessivpronomen beginnt, verweist erneut auf die Einmaligkeit der beschriebenen Person: sie wird als tapfer (du hast der fügung deine stirn geboten), heiter, würdevoll und geschickt beschrieben; ein glücklicher Charakter mit Lebenserfahrung. In der dritten Strophe, die mit dem symbolisch fallenden Vorhang als Symbol für den Tod endet, sinnt das lyrische Ich über sein zukünftiges Leben nach und reflektiert gleichermaßen sein bisheriges. Das „ich gehe nicht weg – hab meine frist verlängert“ kann als trotzige Antwort auf den frühen Tod seiner/s Partners/in verstanden werden. Suizidale Gedanken, die in der ersten Strophe indirekt angedeutet werden (ich bin viel zu träge um aufzugeben), haben trotz der Trauer um den geliebten Menschen keinen Platz mehr. Die „neue zeitreise“ bzw. die „offene welt“ sind Hoffnungsschimmer, für die es sich zu leben lohnt. Und der geliebte Mensch wird nicht vergessen werden, da das lyrische Ich ihn/sie „sicher in der Seele“ hat, was über den Tod hinaus geht. Resümierend wird somit im Verlaufe des Liedtextes deutlich, dass das lyrische Ich sich mit liebevollen Erin nerungen an die verlorene Person tröstet und sich seine 29 praktisch „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.“ Darüber hinaus wird in der Geschichte der Aufer weckung des Lazarus‘ durch Jesu Aussage „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Joh 11,25) deutlich, dass der Glauben die teilweise engen Schranken zwischen Leben und Tod weiten kann und wird. Auch in der Offenbarung ist die Auferstehung der Toten bzw. vom Tod das zentrale Element: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb 21,4-5) Das irdische, von Sorgen, Kummer und Schmerz gezeichnete Leben ist vergangen; Menschen können so Kraft und Mut schöpfen, dass Gott sie auf ihrem letzten Lebensweg begleitet und sie von ihrem Leid erlöst und sie auferstehen werden. Sterben Menschen jedoch ganz unerwartet und mitten aus dem Leben, stellt sich uns Christen häufig die Frage nach dem Warum? – Warum lässt Gott das zu? – Warum hilft Gott nicht? Im Buch Hiob werden diese Fragen zwar nicht abschließend geklärt, es wird jedoch anhand von Hiobs Lebens- und Leidensweg exemplarisch dargestellt, wie Hiob mit Gott ringt und immer wieder die Frage nach dem Warum stellt. Jesu Kreuzestod ist demgegenüber der Beleg dafür, dass der Glaube an Gott und seine Güte unserem Leben Sinn schenkt und dass die Liebe Gottes auch mit dem Tod nicht enden kann und wird. Die im Folgenden beschriebene Stunde ist Teil der Unterrichtseinheit „Schuld und Vergebung“ für die Sekundarstufe II. Im Zentrum steht der Song „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer. praktisch 30 zunächst sehr pessimistische Lebenseinstellung zu einer fast trotzigen „jetzt-erst-recht“-Haltung wandelt. • im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten (Urteilskompetenz).4 Didaktische Überlegungen Für die spezifische Unterrichtsstunde lassen sich folgende Ziele formulieren: • Die Schülerinnen und Schüler können die religiösen Anspielungen im Grönemeyer-Lied „Der Weg“ erkennen und deuten. • Die Schülerinnen und Schüler können die Perspektive des Filmhandelnden (Herbert Grönemeyer) einnehmen und in Bezug setzen zu religiösen Motiven. • Die Schülerinnen und Schüler können Unterschiede und Gemeinsamkeiten einer (glücklichen) Vorstellung vom Jenseits bzw. Leben nach dem Tod im GrönemeyerSong und in der Johannes-Offenbarung benennen und Stellung dazu nehmen, mit welcher sie sich (stärker) identifizieren können. Die Unterrichtsstunde steht im Zusammenhang einer Unterrichtssequenz im Kompetenzbereich „Schuld und Vergebung“ für die Sekundarstufe II. Sie lässt sich verorten in der Unterrichtssequenz „Kreuz und Auferstehung – Für mich gestorben und auferstanden?“. Die Schülerinnen und Schüler in diesem Religionskurs auf grundlegendem Niveau wünschten sich lebensweltliche Bezüge, sodass der Grönemeyer-Song als ein Beispiel für die Verarbeitung des Todes eines geliebten Menschen ausgewählt wurde. Alternativ hätten sich auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit Xavier Naidoos „Abschied nehmen“, Silbermonds „Kartenhaus“ oder Unheiligs „An deiner Seite“ angeboten. Die religiöse Symbolik im Grönemeyer-Song bietet jedoch analytisch die besten Anknüpfungspunkte. Zudem gehört dieser Song nicht zum „Kanon“ der Musik, die Schülerinnen und Schüler im 11./12. Jahrgang als ihre eigene Musik bezeichnen würden. Ihnen wird also durch die Analyse des Songs nichts Eigenes bzw. Privates als Unterrichtsgegenstand entfremdet. Schülerinnen und Schülern ist – nicht nur in der gymnasialen Oberstufe – die „therapeutische“ Wirkung der Musik bewusst. Zudem gehört sie elementar zu ihrem Alltag. Die JIM-Studie3 von 2013 hat herausgestellt, dass Musik zu hören für 90 Prozent der Jugendlichen (sehr) wichtig ist und gleichauf mit dem Internet (89%) an der Spitze der Lieblingstätigkeiten der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren liegt. Mit Musik drücken Jugendliche sich, ihre Empfindun gen und ihre Einstellungen aus. Musik kann somit nicht nur ein Gesprächsanlass sein, über den Tod und das Ster ben zu sprechen, sondern ist auch ein „Seelentröster“ in schwierigen und unruhigen Zeiten, in denen Sprache an ihre Grenzen stößt. Kompetenzen und Unterrichtsziele Folgende Kompetenzen sollen mit der Unterrichtssequenz und der Unterrichtsstunde gefördert werden: Die Schülerinnen und Schüler können • Situationen erfassen, in denen letzte Fragen nach Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen (Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz), • religiöse Motive und Elemente in Texten, ästhetischkünstlerischen und medialen Ausdrucksformen identifizieren und ihre Bedeutung und Funktion erklären (Deutungskompetenz), 3 Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, Basis- untersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger in Deutsch land, 13. Unterrichtspraxis Zum Einstieg in die Stunde wird den Schülerinnen und Schülern eine Traueranzeige (M 1) präsentiert, die Verse aus dem Grönemeyer-Song zitiert. Sie hebt sich sowohl grafisch als auch inhaltlich deutlich von den üblichen Traueranzeigen ab: Es fehlen genaue Angaben zum Ge burts- und Sterbedatum der Person, zudem ist sie durch die Darstellung von Himmel und Sonne mit religiösen Bezügen versehen, die u.a. in der Erarbeitungsphase erneut thematisiert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen sprachlich erfassen, dass es sich zunächst um eine Beschreibung von gemeinsamen glücklichen Momenten bzw. positiven Erinnerungen handelt (Fluten des Raumes mit Sonne, verdrießliche Momente werden durch Anwesenheit des anderen zu glücklichen Augenblicken). Zum Ende des Auszuges erfolgt mit dem Hinweis, dass das „Leben […] nicht fair (ist)“ jedoch der Verweis auf ein Unglück. Anhand eines Zitates von Grönemeyer (M 2), in welchem er seine Intention für die Komposition des Stückes beschreibt, kann diese Ambivalenz von Trauer und Hoffnung sowie Dank und Verzweiflung, die in dem Song deutlich wird, erörtert werden. In der nachfolgenden Erarbeitungsphase wird der Video-Clip zu „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer zweimal präsentiert. Folgende Arbeitsaufträge (M 3) werden für die Filmanalyse erteilt: Beschreiben Sie den Song, a) indem Sie die Beziehung der beiden Figuren anhand ausgewählter Textpassagen charakterisieren sowie b) die filmische Umsetzung und die Sprache zueinander in Bezug setzen. Durch die binnendifferenzierte Aufgabenstellung werden sowohl analytische als auch einfühlende Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler geschult. Die Ergebnissicherung soll die Beziehung zwischen der besungenen Person und ihrem (Ehe-)Partner präzisieren, die durch eine tiefe Liebe zueinander geprägt ist. Die Textzeile „wär’n füreinander 4 Vgl. Niedersächsisches Kerncurriculum für das Gymnasium, 18. Loccumer Pelikan 1/2016 Franziska Jaap ist Oberstudienrätin mit den Fächern Musik, ev. Religion und Deutsch am Kurt-SchwittersGymnasium in Hannover-Misburg. Literatur Kirchenamt der EKD (Hg.): Für uns gestorben, Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi, Gütersloh 2015 Kirchenamt der EKD und Sekretariat der Deutschen Bischofs konferenz (Hg.): Im Sterben: Umfangen vom Leben, Gemein sames Wort zur Woche für das Leben, 1996; www.ekd.de/EKDTexte/sterben_1996.html (22.10.2015) Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hg.): JIMStudie 2013, Jugend, Information, (Multi-)Media, Basis untersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger, Stuttgart 2013 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule, das Berufliche Gymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg, Evangelische Religion, Hannover 2011 HINWEIS Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar. M 4: Interpretation der filmischen Umsetzung Von Franziska Jaap M M 1: Traueranzeige Materialien 2 Materialien Materialien Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016 Antizipierte Antworten zum Vergleich zu M 5 Vorstellungen vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod durch eine geschickte Kameraeinstellung so, als wür de dem Schiff der Untergang drohen. Ganz besonders bei der Textzeile „heillos versunken“ überragen die Herbert Grönemeyer hohen Wellen das eher kleine Segelboot. 3 „Der Weg“ Der zweite Refrain beginnt mit der Darstellung des Schiffes aus der Vogelperspektive, man schaut als Betrachter von oben herab. Die die Wolken durchbre • Verbundenheit mit den Lieben auf der Erde („ich chende Sonne erscheint zeitgleich mit dem „du hast hab dich sicher in meiner seele“) jeden raum mit sonne geflutet“, das Hissen der Segel • Eintritt ins Jenseits durch Himmelstür unterstützt die Aussage des „unbändigen stolz“(es). (Symbolik: Steg, an dem das Boot anlegt) Nach der stürmischen Illustration wirkt es fort • alle Toten werden dort sein an nun so, als hätte der Kapitän das Schiff immer mehr unter Kontrolle. Der „sichere gang“ wird durch das sichere Steuern trotz hohen Wellengangs sym bolisiert und auch die Textzeile „du hast der fügung eher diesseitig geprägte Vorstellung M 5: des Vorstellungen vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod deine stirn geboten“ wird durch die Darstellung Durchbrechen des Schiffsbuges durch die unsicheren f Trostcharakter durch den Verweis auf Wellen filmisch untermalt. das Jenseits (hinter der Himmeltür), eine Arbeitsauftrag: In der folgenden dritten Strophe hat sich der See Beschreibung des dortigen Lebens ist jedoch gang beruhigt. Die Wellen lassen nach, sodass auch nicht (menschen)möglich Vergleichen die Segel vom Kapitän eingefahren werden können. Sie die Vorstellung vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod, die im GrönemeyerSong und im Text aus der JohannisOffenbarung deutlich wird. Gehen Sie auch darauf ein, ob diese Texte für Trauernde Genau zeitgleich zum besungenen Vorhang 4 fallenden Trostcharakter haben können und beschreiben Sie diese genauer. erscheint im Film der als Metapher zu verstehende Holzsteg, welchen der Sänger und Protagonist betritt. Der abschließende Weg führt ihn weg vom Schiff hin zu einer Himmelstür, an die er anklopft undHerbert die er im Grönemeyer musikalischen Outro betritt. Durch die fast„Der schwarze Weg“ Färbung des Raumes hinter der Himmelstür bleibt der dahinter liegende Raum bzw. die dahinter liegende Welt im Verborgenen für den Betrachter, man kann nicht erahnen, was nun folgt. Materialien D Du hast ihn nie verraten, deinen Plan von Glück! er Videoclip mit einer Dauer von 4:17 Minu ten basiert auf einer Songauskopplung aus Herbert Grönemeyers Album Mensch aus dem Jahr 2002. Herbert Grönemeyer thematisiert 1 in diesem Song den Tod seiner Frau und seines Bruders, die beide im Jahr 1998 verstorben sind. Die Farbgebung in diesem Song ist insgesamt von eher düsteren und grauen Tönen geprägt, zudem sind für einen Videoclip eher wenig Schnitte vorhanden. Der kurze Film beginnt mit der Darstellung eines Himmels, kurz danach wird Herbert Grönemeyer als Sänger und Protagonist des Filmes zunächst noch im Schatten gezeigt, man sieht als Betrachter lediglich den Hinterkopf. Durch den Schwenk in eine Detailaufnahme des Mundes wird der Fokus zunächst auf die gesungenen Worte gelegt, teilwei se folgt ein direkter Bezug zwischen Liedtext und 2: Zitat von Herbert Grönemeyer filmischer Darstellung wie z.B: bei „gefühle haben sich gedreht“, bei dem sich auch die Hauptperson des Videos, die sich zu dieser Zeit in seiner Koje befindet, dreht. Die Darstellung von alltäglichen Gegenständen Der Song „Der Weg“ ist extrem traurig. Da habe ich die Kinder ge wie einem Becher und einem Geschirrtuch während fragt, ob das vielleicht zu viel sei. Ihre Antwort war: „Du hast das so der ersten Strophe lässt sich nicht näher des Gesangs mit Mutter Hilfe des Textes deuten, eventuell symbolisieren geschrieben, also musst du es auch gefälligst so singen.“ Ihre das höre alltägliche Leben auf dem Schiff. kam aus Hamburg und hatte diese hanseatische Nüchternheit.sieIch Während des zweiten Teils der ersten Strophe meine Frau in meinen Kindern und denke: „Das klingt sehrerfolgt nach der dir,Gang des Protagonisten an Deck, das Anna. Auch du hast oft zu mir gesagt: ‚Jetzt zöger hier mal nicht rum, der Luke läuft zeitgleich mit dem ge Aufschieben sungenen „wir haben uns geschoben“ ab. Herbert, wenn es so ist, dann ist es eben so.‘“ Das Segelschiff schippert fortan mit dem einsa men Kapitän über unruhiges Meer. Es wirkt teilweise Herbert Grönemeyer Offenbarung des Johannes 21, 1-5 und 22-25 Quelle: Stern, 29. August 2002, http://www.stern.de/kultur/musik/herbert-groenemeyer--man-ist-mensch-und-macht-vieles-falsch3637938.html (letzter Zugriff 21.01.2016) M 3: Arbeitsauftrag 1. Beschreiben Sie den Song, indem Sie Quelle: http://www.mainpost.de/anzeigen/suchen/trauer/tra001/art120861,7461905 (letzter Zugriff 17.03.2015) a. die Beziehung der beiden Protagonisten anhand ausgewählter Textpassagen charakterisieren. b. die filmische Umsetzung und die Sprache im Liedtext zueinander in Bezug setzen. Loccumer Pelikan 1/2016 2. Wählen Sie eine der Varianten aus. Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Offenbarung des Johannes 21, 1-5 und 22-25 • Vorstellung von einer neuen Erde und einem neuen Himmel (ohne Meer) • Gott lebt dann unter den Menschen • im Himmel (Jenseits) ist kein Tod, keine Trauer, keine Klage, kein Leid mehr vorhanden • alle Gläubigen können dort leben massive Jenseitsvorstellung f Gott wird im Leben nach dem Tod unter den Menschen wohnen, alle Trauer, Klage und alles Leid wird dort nicht mehr vorhanden sein 5 Materialien i Mit dem Text aus der Offenbarung steht dieser Hal tung eine klare Jenseitsvorstellung gegenüber: Das menschliche bzw. irdische Leid wird durch die göttliche Tröstung zu Ende sein. Schülerinnen und Schüler werden sich in der anschließenden Reflexion über Song und Bibelstelle höchstwahrscheinlich eher mit dem sprachlich zugänglicheren Grönemeyer-Song als mit der visionären Offenbarungsgeschichte identifizieren können, ein Austausch über Gründe für diese Positionierung bietet sich somit an. 31 praktisch gestorben“ ist ebenso wie „ein Stück vom Himmel“ ein geeigneter Beleg für diese besondere Paarbeziehung. Die ergänzende Beschreibung der filmischen Umsetzung (vgl. M 4) sollte deutlich machen, dass eine besondere Trauer nach dem Verlust der Partnerin vorhanden ist, die sich durch Antriebslosigkeit auszeichnet. Der Partner verbleibt alleine (in seinem Schiff) auf teilweise unruhiger See. Die Leiter bzw. der Steg zum Ende des Videoclips ebenso wie der Sonnenstrahl verweisen auf die Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Trauer und Hoffnung, die in dem Clip deutlich wird. Die religiöse Verortung dieses Songs erfolgt in der Gegenüberstellung mit der Bibelstelle aus Joh. 21, 1-5 sowie 22-25. Hier sollte erkannt werden, dass Johannes als Verfasser der Offenbarung visionär einen neuen Himmel und eine neue Erde vor Augen hat. Diese Vorstellung ist nicht menschlich, sondern göttlich, Gott als Schöpfer dieser neuen Welt wird keine Sünden mehr zulassen, kein Tod, kein Leid und keine Schmerzen werden dem Menschen mehr widerfahren. Alle Gläubigen werden dort ein ewiges Leben genießen können. In der Vertiefungsphase werden die teilweise konträren Vorstellungen vom Lebensende in Herbert Grönemeyers Song und der Johannisoffenbarung gegenübergestellt (M 5). Der Text von Grönemeyer verbleibt mit seinen Aussagen im Diesseits, lediglich die bildliche Darstellung mit den religiösen Reminiszenzen im Schiffsmotiv oder auch der Himmelsleiter deuten auf ein Leben nach dem Tod (bei Gott) hin. Grönemeyer verwendet die religiöse Symbolik, um dem Unaussprechlichen Sprache zu verleihen: Die dargestellte Beziehung geht über eine geglückte Paarbeziehung hinaus, sie verweist in den Filmbildern auf eine übernatürliche (eventuell göttliche) Beziehung. 32 „Musibel“ – Musicals selbst produzieren praktisch Von Axel Klein „Wenn es um das Verstehen von Texten geht, kann Evidenz nur dann aufkommen, wenn Text und Erfahrung des Lesers korrespondieren.“1 E in eigenes Musical herstellen1– das ist für Jugend liche zunächst ein fast unglaubliches Unterfangen. In Kenntnis der Musicalszene in Deutschland, England und den USA sind die zu einem solchen Unter nehmen Eingeladenen erstaunt über das Zutrauen, sie könnten daran teilhaben, so etwas entstehen zu lassen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit denen ich Musicalprojekte durchgeführt habe, sind in der Regel mit der Wortschöpfung „Musibel“ zu dem Vorhaben eingeladen worden. Meine Erfahrung mit der Reaktion der Eingeladenen auf diese Wortschöpfung ist positiv: Der Klang des Wortes deutet die Nähe zum Musical an, verbirgt aber genauere Bezüge, so dass die Neugier geweckt und das Interesse, wenigstens weitere Informationen einzuholen, vorhanden ist. Der Begriff „Musibel“ wird als Beschreibung für den gemeinten Prozess und die Methode (sozusagen als Arbeitstitel) benutzt, mit deren Hilfe eine Gruppe ein eigenes Musical auf der Basis eines biblischen Textes herstellt. Durch Erfahrungen in Bibliodramakursen bin ich ermutigt worden, den eher erfahrungsbezogenen Weg der Arbeit mit biblischen Texten für die Entwicklung von Bibeltheaterstücken und „Musibels“ (Musikbibeltheater stücken) einzuschlagen. Die Autoren biblischer Texte bedienen sich einer bildhaften Sprache. Sie wählen ihre Bilder aus der erfahrbaren und wahrnehmbaren Welt ihrer Zeit. So bedürfen die Texte einer Deutung und Übertragung, damit sie für Jugendliche heute lesenswert und verstehbar werden. „Solche Texte erzählen nicht Einmaliges …, sondern Allmaliges. Sie erzählen, was niemals war und immer ist.“2 Die Bilder der biblischen Texte sind also einerseits allmalig und andererseits an die für die Autoren damals wahrnehmbaren Symbolquellen gebunden. Den Autoren der Bibel geht es um die Wiedergabe der Wahrnehmung dessen, was Leben ausmacht: Glück, Leid, Leidenschaft, Trauer, Hingabe, Fehler, Hass, Liebe, Vergebung usw. Sie geben Erklärungsmuster für scheiterndes und gelingendes Leben. Für die Erstbegegnung mit einem biblischen Text sind für mich darum folgende Fragen wichtig und hilfreich: • Welches Bild vom Menschen gibt der Text wieder? • Welches Bild von Gott zeichnet der Text? • Was sagt der Text über das Zusammenleben der Menschen untereinander und mit Gott? • Welche Vision vom Zusammenleben der Menschen untereinander und mit Gott wird im Text aufgezeigt? Bei der Bearbeitung dieser Fragen werden die Bezie hungsebenen des Textes und ihre bildhafte Darstellung gefunden. Ein dermaßen analytisch vorgehender Leser wird immer auch vergleichen, wie die eigenen gegenwärtigen Beziehungen gegenüber Mitmenschen und Gott geordnet sind, und ob dies den im Text vorfindlichen Erfahrungen und Bildern entspricht. „An der Sprache der Bibel lernen heißt, sie den täglichen Erfahrungen auszusetzen.“3 Die Bilder des Textes verwenden Die Herstellung eines eigenen Theaterstückes, aus dem dann ein Musical entwickelt werden kann, nimmt den Prozess der durch Erzählung tradierten biblischen Texte auf: Menschen befinden sich in einer bestimmten individuellen, politischen und sozialen Situation. In dieser Situation treffen sie auf einen handelnden Gott. Die Methode der vorbereitenden Arbeit an dem Text nimmt diesen Prozess wie folgt auf: Zuerst werden im Text vorhandene individuelle, politische und soziale Bilder benannt. Als Stichworte werden diese den Teilnehmenden zur freien Assoziation angeboten. Die Stichworte und Assozia tionen können dann als übertragene Darstellung der Bilder des Textes zur Herstellung von Rollenspielszenen verwen- 1 Horst Klaus Berg: Ein Wort wie Feuer, 17. ebd., 77. 2 3 Ingo Baldermann, Einführung in die Bibel, 28. Loccumer Pelikan 1/2016 det werden. Die Spielszenen sind dann die Vorlage für die Entwicklung eines Theaterstückes. Die Textvorlage aus der Bibel dient der Gruppe als Kontrollinstrument, d.h. die entworfenen Szenen werden bei ihrer Zusammenfassung zu einer Geschichte mit Hilfe des Originaltextes überprüft. So entsteht zwar eine neue Geschichte, aber diese wird in ihrer Grundaussage an den Bibeltext gebunden. In der Konfrontation mit dem Bibeltext liegt für die Teilnehmenden die Chance und Notwendigkeit, sich mit dem Bild des handelnden Gottes zu befassen. Sie überprüfen, ob und wie Gott in den gefundenen Situationen aus ihrer eigenen Zeit als aktiv wahrgenommen werden kann. Der dritte Schritt findet in Kleingruppen statt. Die Teilnehmenden werden gebeten, fünf Gruppen zu bilden. Jede dieser fünf Gruppen wählt sich ein Plakat aus und überlegt, welches Plakat die Zweitwahl wäre. Dann werden die Gruppen gebeten, ein Plakat zur Bearbeitung in einen Gruppenarbeitsraum mitzunehmen. Der Arbeitsauftrag lautet: Stellt ein Rollenspiel zu dem Plakat her. Benutzt Stichworte, die ihr auf dem Plakat findet und entwickelt dazu eigene Ideen. Versucht diese Ideen in einem Rollenspiel auszudrücken und stellt das Ergebnis im Plenum vor. Die erarbeiteten Rollenspielszenen werden im Plenum schon in der Reihenfolge aufgerufen und vorgespielt, wie sie der Herkunft im Bibeltext entsprechen. 33 Beispiel: In der Bearbeitung des Weihnachtsevangeliums Lk 2,1-14 habe ich mit folgenden Bildern gearbeitet (diese Stichworte sind Ergebnis meiner exegetischen Vorarbeit und Ausdruck der Wahrnehmung meiner inhaltlichen Leitungsverantwortung): • Absolute Macht • Verliebt, verlobt und schwanger – von ´nem Anderen • Ein Dach über dem Kopf – nur für eine Nacht, bitte! • Ein neuer Anfang • Friedensinitiative veranstaltet eine Riesenaktion und verunsichert die Bevölkerung Zum Zeitpunkt der Arbeit an diesen „Bildern“ kennen die Teilnehmenden den biblischen Ursprungstext nicht. Das ist in diesem Fall wichtig, da dieser Text eine Vertrautheit und Bekanntheit besitzt, die eine für alle Beteiligten neue Bearbeitung mit Sicherheit verhindern würde. Der Text ist nur durch die in den Stichworten gebundenen allmaligen Bilder während der Rollenspielarbeit präsent. Arbeitsschritte in der Gruppe Im ersten Schritt werden den Teilnehmenden die Stich worte als Überschriften von Textabschnitten eines Bibel textes vorgestellt. Jedes Stichwort wird groß in die Mitte eines Flipchartbogens geschrieben. Diese Bögen werden im Raum verteilt und den Teilnehmenden als Assoziations plakate angeboten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewegen sich im Raum zwischen den Plakaten und schreiben auf die Plakate. Im zweiten Schritt werden die Plakate laut vorgelesen, es dürfen nicht leserliche oder inhaltlich nicht verständliche Äußerungen auf den Plakaten angefragt werden. Hier geht es nicht um eine Diskussion der Assoziationen oder um die Klärung, ob irgendeine Idee auf dem Plakat „richtig“ ist und die Meinung aller Anwesenden trifft. Es geht ausschließlich um die Sicherstellung, dass alles auf den Plakaten gelesen und verstanden werden kann. Loccumer Pelikan 1/2016 Stichwort Absolute Macht Rollenspiel Situation am Abendbrottisch – Vater „herrscht“ über Mutter und Kinder, Grundtenor: „… solange Du Deine Füße unter meinen Tisch stellst …“ Stichwort Verliebt, verlobt und schwanger – von ‘nem Anderen Rollenspiel Beziehungsklärungsgespräch eines Paares – „Es“ ist halt passiert, aber ich liebe Dich immer noch. Grundthema: Treue, Stabilität von Partnerschaft nach oder in Krisen Stichwort Ein Dach über dem Kopf – nur für eine Nacht, bitte! Rollenspiel Obdachlosigkeit Stichwort Ein neuer Anfang Rollenspiel Beziehungsklärung nach einer Krise – Für einen neuen Anfang braucht es Verabredungen Stichwort Friedensinitiative veranstaltet eine Riesenaktion und verunsichert die Bevölkerung Rollenspiel Friedensinitiative? Gibt es die noch? – Es lassen sich doch alle mehr oder weniger vom Zug der Zeit überrollen Im vierten Schritt wird in Erinnerung gerufen, dass es einen Text gibt, auf den sich die Rollenspielszenen beziehen. Dadurch wird Neugier auf diesen Text geweckt und die Motivation vorbereitet, mit Hilfe dieses Textes die Rollenspielszenen zu einem ganzen Theaterstück zusammenzufügen. Die Teilnehmenden erhalten den Text als Arbeitsblatt. Eine erste Begegnung mit dem Text kann durch die Methode „Gebetshaus“ hergestellt werden. praktisch Darstellung des Arbeitsansatzes: praktisch 34 Anleitung: • Bitte stellt Euch in einen großen Kreis. • Ihr haltet jetzt den Text in Händen, aus dem die Stichworte stammen, die ihr in Rollenspiele umgesetzt habt. Bittet lest diesen Text jetzt auf eine bestimmte Weise. Während Ihr lest, geht bitte durch den Raum. Bitte lest den Text insgesamt 5 mal. Beim ersten Mal lest Ihr stumm; beim zweiten Mal flüsternd; beim dritten Mal normal laut, so wie ich jetzt spreche; beim vierten Mal lest Ihr die Stellen, die Euch als besonders interessant oder merkwürdig oder unverständlich erscheinen mit besonderer Betonung; beim fünften Mal lest Ihr nur die Stellen des Textes mit Stimme, die Ihr vorher besonders betont gelesen habt, den Rest des Textes lest ihr stumm. Danach stellst Du Dich wieder hier in den Kreis (nicht irritieren lassen, Du wirst unterwegs andere treffen, die an einer anderen Stelle des Textes gerade lesen, auch nicht davon, dass Leute schneller oder später fertig sind als Du.) • Teilnehmende lesen den Text und gehen dabei durch den Raum. • Abschlussrunde: Leiter/in liest den Text noch einmal ganz vor, die Teilnehmenden lesen jeweils an den Stellen mit, an denen sie zuvor betont gelesen haben. Der Text bekommt dadurch ein „Klangbild“. In Folge dieser Textarbeit erhalten die Arbeitsgruppen den Auftrag, a. Ihr Bild im Text zu finden. (z. B. „Absolute Macht“ könnte dann dem Handeln des Kaisers zugeordnet werden usw.) b. Ihre Szene zu überarbeiten: Bitte schaut im Text nach der Art und Weise, wie in Eurem Bild/Stichwort die Menschen miteinander umgehen und übertragt diese Art und Weise auf Eure Rollenspielszene – nicht den Bibeltext nachspielen! Nur die Art und Weise, wie Menschen in Eurem Abschnitt des Textes miteinander umgehen, übertragen. Vom Spielanlass zum eigenen Theaterstück Die Spielanlässe sind in den politischen, historischen, sozialen und symbolischen Bildern des Textes vorhanden. Sie sind übertragen worden und die Gruppe hat assoziativ erfahrungsbezogen auf die Bilder reagiert. Die Gruppe hat Rollenspiele zu Assoziationsplakaten hergestellt, die zunächst vermeintlich beziehungslos nebeneinander stehen. Nach der Herstellung der Rollenspielszenen sind die Teilnehmenden motiviert, einen Bibeltext in Augenschein zu nehmen, der offenkundig in der Lage ist, eine Gruppe zu den hergestellten Rollenspielen zu provozieren. Nach der Arbeit mit und an dem Text stehen verschiedene Rollenspielszenen und der Text nebeneinander. Die Szenen beziehen sich zwar auf bestimmte Textabschnitte, haben aber ein Eigenleben entwickelt. Hier beginnt der interessante und produktive Prozess der Entwicklung eines Theaterstückes. Die Teilnehmenden werden immer wieder anhand des Textes überprüfen, ob das eigene Theaterstück den Aussagen des Textes noch entspricht (ohne ihn nachzuspielen). Sie vergleichen die soziale und emotionale Situation der Figuren im Text und im Rollenspiel und entdecken, dass in dem biblischen Text das göttliche Handeln bzw. die Aktivitäten Jesu eine bedeutsame Funktion besitzen, die nicht zu vernachlässigen ist. Hier werden die Teilnehmenden angeleitet zu selbstständiger theologischer Feinarbeit. Es wird ihnen keine theologische Interpretation angeboten, sondern ihnen zugemutet, ihre eigene theologische Schlussfolgerung im Hinblick auf bestimmte soziale Zusammenhänge zu ziehen. Die Teilnehmenden philosophieren miteinander, sie überprüfen ihre Ergebnisse anhand des Textes und verändern dem entsprechend den Charakter einzelner Figuren in ihrer Rollenspielszene. Wichtig erscheint mir dabei, dass das eigene Rollenspiel erhalten bleibt und es zu einem Prozess der Annäherung kommt. Die Annäherung muss in zwei Richtungen gehen: einerseits zu den anderen Rollenspielszenen und andererseits zum biblischen Ursprungstext. Für die Arbeit, die die Gruppe jetzt zu leisten hat, ist es wichtig, dass die Information über alle Szenen und die jeweils beteiligten Figuren sichtbar vorhanden ist. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, dass aus den (in diesem Fall) vier Szenen die Geschichte einer Hauptfigur wird. Der erste Schritt für eine solche schwerwiegende Entscheidung liegt in der Herstellung von Transparenz. Es muss den Teilnehmenden jederzeit möglich sein, eine Übersicht über die vorhandenen Szenen und Figuren für sich selbst und den eigenen Denkprozess herstellen zu können. Auch die Entscheidung für die Auswahl einer Haupt figur muss sichtbar gemacht werden. Im methodischen Vorgehen entspricht der stattfindende Prozess einer Er zählwerkstatt. Alle Teilnehmenden kennen alle Szenen und können zu jedem angenommenen Fall fantasieren und den Bezug zu der Ursprungsgeschichte in der Bibel selbst herstellen. Die Teilnehmenden werden aufgefordert, eine Person aus einer Szene als Hauptfigur für das ganze Theaterstück auszuwählen. Wer einen Vorschlag unterbreitet, sollte kurz den Bezug zu den anderen Szenen und der biblischen Vorlage herstellen. Einen Bezug herstellen heißt, eine Figur aus einer anderen Szene benennen, deren Identität mit der ausgewählten Figur verknüpfen und die Szene in den Lebenslauf der Figur einpassen. Am Ende dieses Prozesses steht ein Theaterstück, das einen Teil der Lebensgeschichte einer Person erzählt. Vom Theaterstück zum Musical Die Gruppe hat ein eigenes Theaterstück entwickelt und ist damit zufrieden. Gleichzeitig steigt die Anspannung, die in den Fragen nach dem „Was singen wir eigentlich?“ ihren Ausdruck finden. Loccumer Pelikan 1/2016 Warum oder wozu und in welchen Situationen singen einzelne Darsteller oder Chöre in Musicals, Operetten und Opern? • Solisten singen, um dem Publikum zusätzliche Infor mationen über ihre Handlungsmotive, Hintergedanken oder Gefühlslagen zu geben. • Chöre stellen Interessen und Handlungswünsche von in dem Stück vorhandenen Gruppen dar und dies häufig als Gegenüber zu Solisten bzw. einzelnen Darstellern. Sie repräsentieren die gesellschaftliche Norm. • Gesang ersetzt „normales“ Sprechen, um durch den Charakter der Musik die Emotionalität dessen, was gesagt werden soll, besser zu erfassen und auszudrücken. Diese Kurzinformationen reichen einer Gruppe aus, um das eigene Stück zu überarbeiten: Schritt 1 Geht in eure Arbeitsgruppe und spielt euch die eigene Szene noch einmal vor. Überprüft, was eure Figuren tun. Aus welchem Gefühl heraus handeln sie? Erzählt euch gegenseitig, was ihr über die Gefühlslage der einzelnen Personen in eurer Szene wahrnehmt. Schreibt Stichworte zu Gefühlen auf, die die ihr bei euren Figuren zuordnet. Erst in dieser Phase der Arbeit an dem eigenen Musical/ Musibel kommt zum Tragen, was die Teilnehmenden schon in der Einladung zu dieser gemeinsamen Arbeit lesen können: Bringt Musik mit, die ihr mögt. Egal, ob ihr die Lieder mit Noten oder nur die Texte, ob Ihr sie auf CD oder MC mitbringt. Es kommt nicht auf die Musikrichtung an – alles ist erlaubt! Beispiel In einem Stück zum Weihnachtsevangelium singt Maria im Wechsel mit einem Chor, der die über die ungewollte und gesellschaftlich nicht akzeptablen Schwangerschaft entsetzten Bürger darstellt: Maria: Jetzt sitz ich hier, mir ist ganz mulmig. Bürger: Jetzt sitzt sie da, ihr ist ganz mulmig. Maria: Ich hab ein Kind in meinem Bauch. Bürger: Sie hat ein Kind in ihrem Bauch. Maria: Allmählich kann man´s sogar sehen! Bürger: Allmählich kann man´s sogar sehen! Maria: Ich hab Hunger auf saure Gurken. Hier haben die Jugendlichen auf der Basis eines einfachen Bluesschemas das Prinzip „Vorsänger und Chorus“ umgesetzt. Dies waren musikbegeisterte und ein Instrument spielende Jugendliche. Für diejenigen Leserinnen und Leser, die jetzt innerlich resümierend feststellen, solche Jugendlichen habe ich nicht, sei hinzugefügt: Alle Jugendlichen können mindestens ihre Com puter, MP3-Player und Smartphones bedienen. In der Bearbeitung von Lk 5,17-26 (Die Heilung eines Gelähmten) singt die Hauptdarstellerin in einer Krankenhausszene ihr Lied „Warum ich?“ auf der Basis des Stückes „Ironic“ von Alanis Morissette. Zur Aufführung hat sie über den CD-Player zu ihren Füßen leise das Stück abgespielt und selbst laut über das Mikrofon ihren Text darüber gesungen. Die Kleingruppen erarbeiten einzelne Musikstücke für die Figuren aus der eigenen Szene. Die ersten Ergebnisse werden im Plenum vorgestellt. Die Ideen für weitere Musikstücke oder Korrekturen an einzelnen Liedern werden auch hier angedacht, aber in den Arbeitsgruppen ausgeführt. Schritt 2 Schritt 4 Nachdem die Gruppen die Figuren und deren Handlungs weisen in ihrer Szene auf den Gefühlsausdruck untersucht haben, suchen sie aus der mitgebrachten Musik ein Stück aus, das von der Melodie, dem musikalischen Ausdruck in der Lage ist, dieses Gefühl zu transportieren. Schritt 3 Mit Hilfe der Stichworte zur Gefühlslage der Figuren und der mitgebrachten „Musik“ stellen die Arbeitsgruppen eigene Lieder her. Das Versmaß der Liedverse ist ihnen durch die ausgewählten Stücke vorgegeben und sie lernen am selbst ausgewählten Beispiel, wie ein Text auf die Melodie passt. Die günstigste Variante ist die der mitgebrachten Noten und Texte; in CD-Begleitheften ist häufig ein Textteil abgedruckt, so dass auch hier das Versmaß leicht reproduzierbar ist. Jugendliche, die in der Lage sind ein Instrument zu spielen, verwenden manchmal ganz eigene Ansätze, indem sie z. B. ein Bluesthema verwenden und darauf einen Text schreiben. Loccumer Pelikan 1/2016 Spätestens das zweite Zwischenergebnis der Bearbeitung des Theaterstückes mit musikalischen Einlagen sollte aufgezeichnet werden. Die beste Möglichkeit der Aufzeichnung bietet der Videomitschnitt, aber auch ein Tonmitschnitt hilft der Gruppe, weitere Entwicklungsschritte für das Musibel/Musical in den Blick zu nehmen. Selbst nachdem die eigenständigen Rollenspielszenen zu Abschnitten der Lebensgeschichte einer oder mehrerer Hauptfiguren umgewandelt worden sind, kann es sein, dass die Szenen noch zu sehr in sich geschlossen sind und Übergänge zwischen den Szenen fehlen. Mit der Frage: „Was würdest Du Dir als Zuschauer an weiteren Informationen zu einzelnen Figuren oder dem Geschehen wünschen?“ können die Jugendlichen das eigene Produkt noch einmal distanziert betrachten. Hier können die Handlungsabläufe überprüft und weitere Ideen entwickelt werden, wie z. B. in einer Szene auf die nächste verwiesen werden kann, wie der Handlungsablauf der einen Szene sinnlogisch den der anderen Szene herbeiführt. Es kann beschlossen werden, dass zwischen den Szenen ein Erzähler oder eine 35 praktisch Erarbeitung musikalischer Ergänzungen praktisch 36 Erzählerin auftritt und durch zusätzliche Informationen oder Zusammenfassung der Ereignisse die Verbindung zwischen den Szenen herstellt. Wenn das Stück soweit gereift ist, dass in jeder Szene auch gesungen wird oder musikalische Einlagen eingearbeitet sind, ist es an der Zeit, über eine Aufführung nachzudenken. Erst nach der Entscheidung für ein Vorspielen des Stückes ist es notwendig, das Spielen der Darstellerinnen und Darsteller auf ein Publikum hin zu bedenken. Bis zu dieser Entscheidung hat das Spiel und der Gesang seinen gruppendynamischen bibliodramatischen Eigenwert. Eine Aufführung braucht Öffentlichkeitsarbeit, d.h. Werbung. Um Öffentlichkeitsarbeit leisten zu können, braucht das Stück einen Titel! Dieser Titel muss in einem letzten Arbeitsschritt mit den Teilnehmenden gesucht und einvernehmlich gefunden werden. In dem von mir verfassten Band: „Musicalisch Be freiung erleben“ werden von Jugendlichen und Konfirman dengruppen hergestellte Musibels vorgestellt. Axel Klein ist Dozent für Konfirmandenarbeit und schulbezogene Jugendarbeit der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig. Literatur Baldermann, Ingo: Einführung in die Bibel, Göttingen 1993 Berg, Horst Klaus: Ein Wort wie Feuer, Wege lebendiger Bibel auslegung, Stuttgart 1991 Klein, Axel: Musicalisch Befreiung erleben – Biblische Geschichten in der Arbeit mit Jugendlichen, Hamburg 2002 „96, alte Liebe“ oder „You´ll never walk alone“ Fangesänge und ihre religiösen Implikationen als Gegenstände eines lebensweltorientierten Religionsunterrichts Von Christhard Lück M an muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass die Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich viele Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer in ihren Bann ziehen wird. Aber auch jenseits einer internationalen Meisterschaft drehen sich zahllose Gespräche – nicht nur – in der Schule um die schönste Nebensache der Welt. Viele Heranwachsende spielen in ihrer Freizeit Fußball, etliche sogar in einem Verein. Jedes Wochenende „pilgern“ Hunderttausende von Fans mit farbenprächtigen „Devotionalien“ (Fan-„Kutten“, -Schals, -Trikots, etc.) ausgestattet in die Fußball-Arenen, die modernen „Kathedralen“ gleichen. Zwischen dem Ablauf eines Gottesdienstes in der Kirche und dem Ablauf des Geschehens auf dem „heiligen Rasen“ sind erstaunliche Parallelen zu konstatieren. An beiden Orten gibt es eine festgelegte „Liturgie“. Im Wechselspiel zwischen dem Liturgen resp. der Liturgin und der „Gemeinde“ werden „heilige Texte“ rezitiert und stimmungsvolle „Choräle“ intoniert, die für viele Anhänger weit mehr sind als profanes Gegröle. Für die wahre Fangemeinde resp. den „zwölften Mann“ ist Fußball schon lange kein Spiel mehr, sondern Lebens- und Glaubensinhalt. Das zeigen bekenntnishafte Aussagen auf den Stadionjacken eingefleischter Fans wie „HSV ist Religion“ oder „Schalke 04. Eine Familie. Eine Religion“ ebenso wie das – ernst gemeinte oder ironische – Diktum des Sängers der Band „Die Toten Hosen“ und Fortuna Düsseldorf-Fans Campino: „Jeder sollte an irgendetwas glauben, und wenn es an Fortuna Düsseldorf ist“. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Vergleiche zwischen Fußball und (christlicher) Religion – zumeist unter Rekurs auf ein weites, funktionales Verständnis von Religion – immer wieder gezogen wurden. Im Unterschied zu substanziellen Definitionen, die Religion über ihren inhaltlichen Bezugspunkt (z. B. Glaube an Gott oder sonstige transzendentale Mächte) bestimmen, beschreiben funktionale Definitionen, was Religion für das Individuum und die Gesamtgesellschaft bewirkt bzw. leistet. Fünf Funktionen werden Religion nahezu konsensuell zugeschrieben: „Gemeinschaftsstiftung“, „Ritualisierung des Alltags“, „Emotionsregulation“, „Wertorientierung“ und „Kontingenzbewältigung“1. Empirische Studien zeigen, dass sich Fußball-Fantum und (christliche) Religion vor allem in ihren sozialen Funktionen überschneiden 2. Gleichwohl spricht viel für die These, dass der Fußball 1 Schäfer/Schäfer: Abseits-Religion, 5-6. Vgl. ebd., 16-24. 2 Loccumer Pelikan 1/2016 3 Bromberger: Fußball als Weltsicht und Ritual, 300. Vgl. dazu Lück: „Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball spielen kann“, 217-229. 5Vgl. https://www.fc-union-berlin.de/fans/fankalender/weihnachts singen. 6 Unter „expliziter Religion“ subsumieren die Autoren die „Phänomene, die sich selbst als Religion auffassen, als solche benennen und auch aus der Außenperspektive als Religion aufgefasst werden. Als implizite Religion werden hingegen Phänomene bezeichnet, die weder sich selbst als Religion verstehen noch aus der Außenperspektive so wahrgenommen werden, allerdings kultureller Semantik entsprechend ‚Religion‘ genannt werden könn(t)en“ (Klein/Schmidt-Lux: Ist Fußball Religion?, 20). 7 Vgl. dazu Lück/Kehlbreier 2011; Arnold/Klein 2014; Lück/Jänig/ Kehlbreier/vom Stein 2014. 4 Loccumer Pelikan 1/2016 Im Fußballstadion braucht man kein Gesangbuch Der weitreichende Abbruch der Tradition selbstverständlichen Singens im Religionsunterricht der Sekundarstufe I und II bei der gleichzeitigen Etablierung einer neuen, lebendigen Singkultur im Lebensalltag von vielen Jugendlichen fordert religionspädagogisch heraus. Muss eine Gesangskultur an den traditionellen Lernorten Familie, Gemeinde und Schule mitunter erst wieder – mühsam – neu gestiftet werden, so ist seit einigen Jahren ein regelrechter Boom des (Mit-)Singens in KaraokeShows, auf Rockkonzerten und in Fußballstadien zu registrieren. Nach der Analyse von Christian Grethlein bergen Fußballfangesänge ein großes Anregungs- und Innovationspotenzial in sich, das teilweise sogar anschlussfähig ist an schon fast vergessene liturgische Erkenntnisse und Verfahrensweisen aus der Reformationszeit8: „Der Fan singt auswendig, meist im Stehen. Melodien kommen aus der Musik der Massenmedien und werden in Kontrafaktur mit neuem Text versehen. Dazu tritt ‚bodypercussion‘ als entwicklungsgeschichtlich älteste Form von Instrumentalmusik, meist als Klatschen … Rufe und Gesänge sind kurz, sie werden zuweilen von Einzelnen angestimmt, viele Fan-Blocks haben einen ‚Kantor‘, den chant-leader, das Call and response-Prinzip bzw. Refrainlieder und Wiederholstrukturen spielen eine Rolle“. Das bei Fußballliedern häufig zu beobachtende Phäno men der Neutextung (Kontrafaktur), rhythmisch-melo dischen Vereinfachung oder Parodisierung populärer Liedmelodien hat kultur- und musikgeschichtlich „eine lange Tradition“�. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der berühmte Eingangschor des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage“, der eine zeitgenössische Liedmelodie adaptiert und mit einem anderen Text versieht.9 Inhaltlich sind die Fangesänge für zahlreiche Fuß ballanhänger zudem weit mehr als bloße Lieder. Sie drücken aus, was diese tief in ihrem Inneren für ihre Mannschaft empfinden. Die Liedtexte, die die meisten Fans wie regelmäßige Gottesdienstbesucher in- und auswendig können, weisen dabei nicht selten bemerkenswerte Analogien zu biblisch-theologischen Metaphern und Motiven auf. Neben textlichen Entsprechungen sind auch musikalische Parallelen zu beachten. Die Musikwissenschaftler Reinhard Kopiez und Guido Brink stießen bei ihrer akribischen Analyse von Fußball-Fangesängen auf frappierende Ähnlichkeiten zwischen kirchlichem Gemeindesang und den Liedern aus der Kurve10. Im Stadion braucht der homo fanaticus11 „kein Gesangbuch. Die religiösen Elemente der Hymnen liegen auf der Hand.“12 8 Vgl. Grethlein, Praktische Theologie, 541. Leube, Singen,15. 10 Brunner, Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballstadion, 34. 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. Kopiez/Brink, Fußball-Fangesänge. 9 37 praktisch – trotz aller religiösen Metaphorik und religionsaffinen Phänomene – keine zivile (Ersatz-)Religion darstellt, da in ihm der Gottesbezug, die Frage nach „Erstursachen und letzten Zwecken“ und „auch die Frage nach einer vollständigen Transformation unseres Lebens gänzlich“3 fehlen. Zugleich ist nicht zu übersehen, dass die Kommunika tion des Evangeliums gegenwärtig nicht nur in den klassischen praktisch-theologischen Handlungsfeldern (Familie, Schule, Kirche, Diakonie, Medien), sondern immer häufiger auch im Umfeld des Fußballs geschieht4. So wurden in mehreren Bundesligastadien (Gelsenkirchen, Berlin, Frankfurt, zuletzt im November 2015 in Wolfsburg) öku menische Kapellen errichtet, in denen Gottesdienste und Andachten gefeiert und Menschen an besonderen Übergängen im Lebensverlauf liturgisch begleitet werden. Es gibt etliche Bundesligaprofis, -manager und -trainer, die sich bewusst als Christen verstehen und ihr Christsein durch Frömmigkeitsgesten und Bekenntnisse öffentlich zum Ausdruck bringen. Im Kontext des Fußballgeschehens engagieren sich christlich-soziale Fanclubs ganz unterschiedlicher theologischer Prägung, die sich gemeinsam und konfessionsübergreifend für eine von Toleranz, Respekt, Friedfertigkeit und Fröhlichkeit geprägte Fankultur einsetzen. Die wundersamen Wechsel wirkungen zwischen Fußball und christlicher Religion werden auch an der Feier vereinsübergreifender Gottes dienste zwischen rivalisierenden Fangruppen (sog. DerbyGottesdienste) und an dem Ritual des sog. Weihnachts singens, das 2003 im Stadion von Union Berlin ihren Ausgangspunkt nahm, sichtbar. In diesem Jahr verabredeten sich 89 Menschen einen Tag vor Heiligabend im Stadion „An der Alten Försterei“ zum Singen von Weihnachtsliedern und Fußballhymnen. Seitdem wuchs die Zahl jährlich an. 2013 trafen sich 27.500 Menschen zum Singen von Weihnachtsliedern und zum Hören der Weihnachtsgeschichte5. Mittlerweile hat das Berliner Weihnachtssingen bundesweit zahlreiche Nachahmer gefunden. Es gibt „explizite“ und „implizite Religion“6 im, beim und am Fußball. Für eine religionsdidaktische Erschließung des Fuß ball-Themas bieten sich sehr unterschiedliche Zugänge7 an. Die folgenden Ausführungen fokussieren sich auf Stadionlieder und ihre religiösen Implikationen. Die Mutter aller Hymnen praktisch 38 Das Lied „You´ll never walk alone“ (vgl. Link 1) ist über sämtliche Landes- und Vereinsgrenzen hinweg die Fuß ballhymne schlechthin. Sie wurde vermutlich 1963 das erste Mal von Fans auf der Stehtribüne „The Kop“ im Stadion des FC Liverpool an der legendären Anfield Road angestimmt. Als vor einem Spiel der Stadionlautsprecher in dem Moment ausfiel, als das Stück gespielt werden sollte, intonierten die Fans den Song spontan selbst und sangen ihn lautstark zu Ende. Die ursprünglich 1945 von Richard Rogers und Oscar Hammerstein komponierte und 1963 von der Liverpooler Band „Gerry & The Pacemakers“ interpretierte Hymne, verbreitete sich von Liverpool aus um die gesamte Fußballwelt. Anhänger des FC St. Pauli adaptierten sie als erste Fangruppierung in Deutschland. Heute wird die Mutter aller Hymnen, die eher zufällig auf den Fußballplatz gelangte, in Fußballstadien in ganz Europa mit Andacht und viel Inbrunst gesungen.13 Das Musikstück stellt so etwas wie ein Treuebekenntnis der Fans dar, das gerade auch in schlechten Zeiten, z. B. bei Niederlagen oder dem Abstieg der eigenen Mannschaft, gilt: „You´ll never walk alone“. Auffällig ist, dass die Hymne zahlreiche Motivanalogien zu Worten aus Psalm 23 und dem Buch Deuterojesaja (Jes 40-55) aufweist, etwa zu Jes 43,2: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen“. Die bewahrende Begleitung in Bedrängnissen und (Lebens-)Gefahren, die Gott in diesem Bibelvers den Menschen verheißt, „entspricht jener, die die Fans ihrer Mannschaft zusagen. Getragen wird „You´ll never walk alone“ – ähnlich wie in der biblischen Überlieferung – von der Hoffnung auf einen „goldenen Himmel“. Für den Fußballfan ist der Sieg im Spiel, der Meistertitel, jenes innerweltliche Gut, das er sich – wenigstens zu diesem Zeitpunkt – von seinem Leben erhofft“14. Dass dieses Lied tatsächlich Menschen Zuversicht und Trost über den biologischen Tod hinaus zu spenden vermag, wurde am 15. November 2009 deutlich. An diesem Tag sang die 17-jährige Schülerin Alina Schmidt die Hymne im Stadion von Hannover 96 bei der Abschiedsfeier für Robert Enke15. Das Stück wird auch im Kontext der Katastrophe von Hillsborough gesungen16. Am 15. April 1989 verstarben 96-Fans bei einem tragischen Unglücksfall 13Der „Fan“ ist im heutigen Sprachgebrauch ein „begeisterter Anhänger“ (Duden 2014, 271). Der Begriff geht etymologisch auf das lateinische „fanaticus“ zurück, ein „Sakralwort“, das ursprünglich „von der Gottheit ergriffen und in rasende Begeisterung versetzt“ bedeutete (ebd.). 14 Törner-Roos, Nur Gegröle? Die „heiligen Texte“ der Fußballfans, 2. 15 Vgl. exemplarisch die Video- und Tonaufnahmen von Fans in Liverpool: https://www.youtube.com/watch?v=NN5AmHDT Z0M, in Glasgow: https://www.youtube.com/watch?v=awosit UJYLM und in Hamburg-St. Pauli: https://www.youtube.com/ watch?v=ii5JhW8nLl0. 16 Oehler, Fangesänge und ihre religiösen Implikationen, 71. beim Pokal-Halbfinale zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest im überfüllten Hillsborough-Stadion in Sheffield, viele kamen aus Liverpool. Das Denkmal für die Verstorbenen und ihre Angehörigen am Stadion trägt den Spruch „You´ll never walk alone“. Vereins- und stadionspezifische Fangesänge Zu der Urhymne des europäischen Fußballs gesellten sich in den letzten Jahrzehnten zahllose vereins- und stadionspezifische Fangesänge.17 Ihr musikalisches Repertoire ist fest im kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Fan gruppierungen verankert. Vorherrschend ist eine „stadion immanente Tradierung“ in der Gestalt, „dass die Fans bestimmte Melodien innerhalb des Stadions an die nächste Fan-Generation weitergeben und die jungen Fans diese Lieder ausschließlich im Stadion lernen und singen, oft ohne das Originallied zu kennen“18. Ihnen ist daher meist nicht bekannt, dass manche Lieder aus der Kurve auf die Melodien von christlichen Glaubensliedern (angloamerikanischen Traditionals) gesungen – bzw. textlich parodiert – werden, z. B. auf „Glory Glory Hallelujah“ (Manchester United: „Glory Glory Man United“)19; auf „When the Saints go Marching in“ (zuerst Tottenham Hotspur: „When the Spurs go Marching in“)20; auf „Michael, row the Boat ashore, Hallelujah“ (vgl. das Anti-Werder Bremen Lied: „Was ist grün und stinkt nach Fisch? Werder Bremen“) 21 oder auf „Amazing Grace“ (Erstaunliche Gnade) 22. Das letzte Lied schrieb John Henry Newton, der Kapitän eines Sklavenschiffs, nach seiner Rettung aus schwerer Seenot am 10. Mai 1748. Zuvor hatte er Gott um sein Erbarmen angerufen. Das geistliche Loblied ist heute eines der beliebtesten Kirchenlieder weltweit. Als Protestlied gegen die Sklaverei erfreut es sich zudem bei christlichen wie nichtchristlichen Menschenrechtsaktivisten großer Beliebtheit. „Leuchte auf mein Stern Borussia“ Das Lied „Leuchte auf mein Stern Borussia“ (vgl. Link 2) wurde von dem ehemaligen Stadionsprecher Bruno Knust (*1954) auf die sentimentale Melodie des alten Kirchenchorals „Amazing Grace“ (vgl. Link 3) kompo17 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=WMxXB9TdNEM 18 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: „25th Anniversary of Hills borough“: https://www.youtube.com/watch?v=HoqSlmy FMeU. 19 Die Seite www.fangesaenge.de/erste-bundesliga/index.html dokumentiert allein 1000 Fangesänge für die erste Bundesliga. Neben Anfeuerungs-, Jubel-, Dank- und Lobliedern finden sich hier auch einige feindlich ausgerichtete sowie Gewalt verherrlichende Lieder. Für wertvolle Hinweise danke ich Christian Jänig und Dietmar Kehlbreier. 20 Kopiez/Brink, Fußball-Fangesänge, 137. 21 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=a1nDYrCxeig 22 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=er8kNgTsBnE Loccumer Pelikan 1/2016 „Für manche von uns sogar Religion“ Spuren impliziter und expliziter Religion (s. Fn. 6) sind auch in einem weiteren Fangesang der „Bajuken vom Borsigplatz“26 zu eruieren. In dem Lied „Borussia“ (vgl. Link 4), das größtenteils als dynamischer Sprechgesang arrangiert wurde27, wird der Verein Borussia Dortmund 23 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=7kKo3HkSsQo 24 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=CDdvReNKKuk 25 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=TiRC6glHTFs 26 Kehlbreier, Fest und Gemeinschaft, 6. 27 Törner-Ross, Nur Gegröle? Die „heiligen Texte“ der Fußballfans, 3. Das Motiv des Sterns spielt auch in der Fan-Hymne des FC Bayern München „Stern des Südens“ eine wichtige Rolle. Auffällig sind zudem die vielen rhetorischen Fragen, die „wie Herausforderungen nach vorne stechen. Gleichgesinnte sollen die Antwort stolz heraus posaunen – beim FC Bayern ist Rummel, er hat schon alles gewonnen, hält die Rekorde und ist überhaupt der Beste…. Deutscher Meister! Bis in alle Ewigkeit!“ (Peter Winkler: Loccumer Pelikan 1/2016 an einer Stelle sogar expressis verbis mit „Religion“ in Verbindung gebracht („Borussia ist Leidenschaft, eine Leidenschaft, die Freunde schafft. Borussia, du verkörperst die Region, für manche von uns sogar Religion“). In dem Song werden zudem die Gemeinschaftsstiftung und die Wertorientierung als zentrale Merkmale des FußballFantums hervorgehoben. Im Stadion sind alle sozialen, religiösen, nationalen und biologischen Unterschiede und Traditionen – zumindest vorübergehend – aufgehoben („Bor ussia verbindet Generationen, Männer und Frauen, alle Nationen. Hier fragt man nicht nach arm oder reich, wir Fans auf der Tribüne, wir sind alle gleich.“). Die Parallele zu Gal 3,28 („Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“) ist augenfällig. Fast schon christlich-jüdisches Traditionsbewusstsein (vgl. z. B. Dtn 6,4-6) dokumentiert ein weiterer Liedvers: „Hier geht man schon aus Tradition zu jedem Spiel ins Stadion, als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen, und der wurd‘ auch schon von seinem mitgenommen.“ „Wir stehen zu dir“ Das Stadionlied des 1. FC Köln „Mer stonn zo dir, FC Kölle!“ („Wir stehen zu dir, FC Köln“; Link 5) wurde von der Kölner Kultband „De Höhner“ („Die Hühner“) 1998 getextet. Die Hymne, die 2015 bei einem repräsentativen Hymnenvoting von Fußballfans zum schönsten Fangesang der Bundesliga gewählt wurde, basiert auf dem wohl berühmtesten schottischen Volkslied „Loch Lomond“. Das schwungvolle Kölner Vereinslied28 stellt den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Fans überall auf der ganzen Welt als fundamental heraus („E Jeföhl dat verbingk“, „Nur zesamme simmer stark – FC Kölle“; vgl. die katholische Universalkirche!). Anhänger des 1. FC Köln gibt nicht nur in der Nähe (Kölner Stadtteile „Ehrenfeld, Raderthal, Nippes, Poll, Esch, Pesch und Kalk“), in der Ferne („Rio und Rom“) und sogar in der Diaspora bzw. im „Feindesland“ (Jläbbisch = Gladbach). Im Stadion sind alle sozialen und biologischen Unterschiede und Trennungen aufgehoben („Ov jung oder alt, ov ärm ode rich!“). Auch wenn das Fan-Sein beim FC Köln bedeuten kann, leiden („Freud oder Leid“) und möglichenfalls sogar durch das Feuer gehen zu müssen („wenn et sin muss durch et Füer“), schwören die Fans ihrem Verein, der in dem Lied vertrauensvoll mit „Du“ angesprochen wird, ewige Treue und Ehre („Mer schwöre dir, he op Treu un op Iehr!“). „Niemals allein, wir gehen Hand in Hand“ Die Vereinshymne „96, alte Liebe“ (vgl. Link 6) ist eine Liebeserklärung an den Bundesligisten Hannover 96. Die Die Vereinshymnen im Vergleich, in: Focus, 22.5.2013, 37). Wurzeln des Traditionsvereins liegen in der katholischen Dreifaltigkeitskirche am Borsigplatz. Unweit der Kirche wurde der BVB am vierten Advent 1909 von Mitgliedern der Kirchen gemeinde in der Gaststätte „Zum Wildschütz“ gegründet. 28 Die 39 praktisch niert23. Im Fokus der beliebten Vereinshymne von Borussia Dortmund steht ein Stern, der „im Jahre 1909“, also im Gründungsjahr des westfälischen Fußballclubs, „gebor‘n“ worden sein soll. Der hell leuchtende, schwarz-gelbe Stern wird in dem Lied „als schönster Stern von allen dort am großen Himmelszelt“ besungen. Der Stern Borussia stellt „das erhoffte himmlische Abbild zum oft tristen Alltag im strukturgeschwächten und mit Arbeitslosigkeit belasteten Ruhrgebiet dar: Unten dunkel, oben hell – obwohl die Borussia eigentlich ja auch auf irdischem Rasen und nicht unter dem Himmelszelt spielt. Hier wird also Irdisches zum Überirdischen erhoben. Bei der Stern-Metaphorik drängen sich Vergleiche zur Weihnachtsgeschichte geradezu auf“24. In vielerlei Hinsicht erinnert er an den Stern von Bethlehem, der nach dem Matthäusevangelium weise Könige resp. Sterndeuter aus dem Morgenland zum Geburtsort Jesu Christi geführt haben soll (Mt 2,1-12). Er wird deshalb auch Weihnachtsstern, Dreikönigsstern oder Stern der Weisen genannt. Das Stern-Motiv findet sich auch in vielen bekannten evangelischen Kirchenliedern, z. B. in den Liedern „Stern, auf den ich schaue“ (EG 407) und „Stern über Bethlehem“ (EG/West 546), das regional zu den populärsten Weihnachtsliedern und Sternsinger-Liedern gehört. In dem Borussia-Lied scheint der Stern über dem Signal-Iduna-Park in Dortmund, dem mit über 80.000 Zuschauerplätzen größten Stadion Deutschlands, geradezu aufzugehen. Man könnte fast meinen, „es handele sich um ein Epiphaniaslied. Der Fan partizipiert am Glanz seines Vereins („… spür‘ ich seinen Glanz, dann sag ich mir: Er ist auch ein Teil von dir“). Dieser Stern zeigt den Weg durchs ganze Leben („… ganz egal, wohin er uns auch führt, ich werd immer bei dir sein“). So haben manche Borussenfans testamentarisch verfügt, dass sie einmal zu Klängen dieses Liedes beerdigt werden möchten. Natürlich im schwarzgelben Sarg“25. praktisch 40 Liebe zu dem 1896 gegründeten Verein ist zwar schon etwas älter („96, alte Liebe“; „Schon lange Zeit bist du uns so vertraut“), aber dafür nicht minder intensiv. Aus Sicht der Liederdichter kann man sich auf diesen Fußballclub in jeder Lebenssituation („Wir sind dabei, egal ob´s regnet oder schneit, nicht nur an guten Tagen, wenn die Sonne scheint“) absolut verlassen. Der Verein fungiert als Lebens- und Glaubensinhalt, der den eigenen – oftmals tristen – Alltag transzendiert. Auch wenn das Fan-Sein bei Hannover 96 mitunter bedeuten kann, enttäuscht zu werden, wird die Liebe der Fans „deswegen nicht still“ stehen. Scheinbar erfolgreichere Fußballmannschaften wie die Bayern oder der ungeliebte Lokalrivale Eintracht Braunschweig („gelb-blau“) stellen für die Fans des HSV (Hannoversche Sportverein) keine Alternativen dar. Anhänger der „Roten“29 haben mit ihrer selbstgewählten Hingabe zu ihrem Verein „nie nur auf Sand gebaucht“. Die 96-Hymne bringt das Gemeinschaftsgefühl der Fans und ihre milieuübergreifende Hilfsbereitschaft im Refrain bildreich zum Ausdruck („Niemals allein, wir gehen Hand in Hand, zusammen sind wir groß und stark wie eine Wand“). Der Fangesang rekurriert in den neugefassten Strophen von 2002 auf langjährige Lebensund Stadionerfahrungen des stadtbekannten Bluessängers Dete Kuhlmann (*1948). Diesem war es ein zentrales Anliegen, einen Liedtext zu formulieren, der „Sinn hat und auch zum Nachdenken anregt“30. Nach seiner Wahrnehmung erleben jüngere Menschen heute beim Fußball eine Wertschätzung, die ihnen im Alltagsleben sonst oft verwehrt bleibt. Das Lied möchte vor diesem Hintergrund so etwas wie „ein Leitfaden für das Leben“31 sein. Die 96-Hymne enthält zahlreiche religiöse Anspie lungen und kirchlich konnotierte Motive, z. B.: a. „Wir gehen Hand in Hand“ f „Herr, wir stehen Hand in Hand“ (EG 602 im Regionalteil für Niedersachsen und Bremen); b. „nie nur auf Sand gebaut“ f Mt 7,24-27 (Gleichnis vom Haus auf Felsen oder Sand); c. „egal obs regnet oder schneit“ f Jes 55,10 und Mt 5,45 (das Motiv des Regens und/oder Schnees); d. „rudern wir gemeinsam im roten Fußballboot“ f „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (EG 572 im Regionalteil für Niedersachsen und Bremen). „Abgesehen vom Refrain passen die Strophen der Hymne durchaus in einen modernen Gottesdienst. Man müsse nur ‚Fußballboot‘ gegen ‚Gemeindeboot‘ austauschen“ konstatiert Kuhlmann, der sich selbst „nicht unbedingt als religiös“ einstuft. Dass der Fangesang vielfach an ein „Kirchenlied“ erinnert, sei keine Absicht gewesen. Der 29 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=oF2bVPI8m7o 30 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/ watch?v=hlZOj_vyYl4 31 Aufgrund der traditionell roten Heimtrikots werden die Spieler von Hannover 96 „die Roten“ genannt, obschon Schwarz-WeißGrün die offiziellen Vereinsfarben des Bundesligisten sind. Liederdichter konzediert: „Das muss im Unterbewusstsein geschehen sein und hat wohl damit zu tun, dass ich schon früh in Kirchen gesungen und Gottesdienste musikalisch mitgestaltet habe“32. YouTube, Fußball und Musik: Die Generation 2.0 Ein schülerorientierter Religionsunterricht wird die Lebens welten heutiger Jugendlicher, ihre kulturellen Aktivitäten und medialen Interessen grundlegend berücksichtigen. Wie die Ergebnisse der viel beachteten, bundesweiten Studie „Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen“ (MediKuS) von 2012 zeigen, prägt das Internet das Ju gendalter heute wie kaum ein anderes Medium. Es ist mittlerweile „zu einem der wichtigsten Bestandteile der Sozialisation und Selbstfindung Jugendlicher geworden“33. Gerade „Web-Angebote wie YouTube machen das Internet für Jugendliche attraktiv“34. Ein weiteres zentrales Interes senfeld für heutige 13- bis 17-Jährige ist die Musik: 36 Prozent spielen ein Instrument, 19 Prozent singen. Noch mehr Jugendliche geben an, regelmäßig Sport zu treiben (80 Prozent), wobei der Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart darstellt35. Vielen Schülerinnen und Schülern sind Fangesänge und -rituale aus eigenen Stadionbesuchen oder aus Videos im Internet vertraut. Die Generation zwischen Fußball, Musik und Facebook kennt sich aus „mit der Liturgie eines Fußballspiels und einzelne Jugendliche gestalten ihre Zimmer als Kulträume ihres Vereins, in denen Nähe zum geliebten Identifikationsobjekt symbolisch hergestellt wird. Aufgrund dieser Nähe vieler Schülerinnen und Schüler zur Welt des Fußballs ist es besonders produktiv hieran im Religionsunterricht anzuknüpfen“36. Didaktische Hinweise und Impulse Die unterrichtliche Arbeit mit Fangesängen und ihren religiösen Implikationen eignet sich für den Religionsunterricht in allen Schulformen der Sekundarstufe I und II ab Klasse 7. Sie bietet sich etwa im Rahmen der Erschließung der in den Lehrplänen für Evangelische Religion in vielen Bundesländern vorgesehenen Themenfelder „Religiöse Phänomene in Alltag und Kultur“ und „Die Frage nach dem Sinn – Orientierung im Leben“ an. Dabei kann an Kompetenzerwartungen angeknüpft werden, die in dem Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religion für die Realschule in Niedersachsen bzw. in den Unterrichtshilfen zum neuen Lehrplan für die Berufsbildenden Schulen in Bayern formuliert wurden. In dem niedersächsischen 32 Deppe, Niemals allein! Die Vereinshymne von Hannover 96 erinnert an ein Kirchenlied, 1. 33 Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 20. 34Ebd. 35 Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 21. 36 Eickmann/Peter, Kompetenzorientiert unterrichten im RU, 18. Loccumer Pelikan 1/2016 In den bayrischen Unterrichtshilfen38 stehen inhaltsbezogene Kompetenzen im Vordergrund: • „Die Schülerinnen und Schüler nehmen aktuelle religiöse und nicht-religiöse Sinnangebote differenziert wahr und bringen eigene Erfahrungen und Anfragen in die Diskussion ein.“ • „Sinn- und Identitätsangebote der Fußball- und Fankultur anhand von Vereinshymnen erschließen und benennen“. • „Merkmale der Sinnangebote der Fan-Hymnen bestimmen und im Vergleich … mit einem Kirchenlied … im Blick auf Anspruch und Reichweite beurteilen.“ Bei der Erarbeitung des Thema „Fußball und (christliche) Religion“ ist darauf zu achten, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Lebenswirklichkeit einbringen und ihre Deutungen und Übertragungen entwickeln können. Mögliche Fragen bzw. Impulse: • Bringt Gegenstände, die zum Fußball (z. B. Schal, Trikot, …) bzw. zum christlichen Glauben (z. B. Kreuz, Taufkerze …) passen, in den Unterricht mit. Erzählt einander, was diese Gegenstände für euch bedeuten. • Vervollständigt die Satzanfänge: „Fußball ist für mich…“ sowie „Der christliche Glaube ist für mich…“ oder: Erstellt Collagen zu den Themen „Fußball (und ich)“ sowie „christlicher Glaube (und ich)“. • Tauscht euch über eure Erfahrungen bei Stadion besuchen und bei Gottesdienstbesuchen aus. Wo bist du lieber: im Fußballstadion oder in der Kirche? Warum? • „Hand Gottes“, „Heiliger Rasen“, „Fan-Kutte“. Die Fußball-Sprache bedient sich oft religiöser Begriffe und kirchlicher Formeln. Sammelt weitere Begriffe. Überlegt, was Fußball und (christliche) Religion bzw. Kirche über die Sprache hinaus verbindet. Was trennt beide Bereiche? • Vergleicht den Ablauf (die „Liturgie“) eines Gottes dienstes in der Kirche mit dem Ablauf des Geschehens (der „Liturgie“) im Fußballstadion. Notiert Gemein samkeiten und Unterschiede. • Recherchiert im Internet nach Videoclips und Podcasts von Fußballliedern und Vereinshymnen. • Listet Lieder auf, die ihr aus dem Fußballstadion kennt. Listet Kirchenlieder und moderne christliche Glau benslieder auf, die ihr kennt. Stellt jeweils eine Hit parade der beliebtesten (unbeliebtesten) Lieder auf. • Überlegt: Warum singen Fußballfans Vereinshymnen und -lieder? Warum singen religiöse Menschen Kirchen- und Glaubenslieder? Als Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit zu Fan gesängen und ihren religiösen Implikationen bietet sich auch die nachfolgende Anforderungssituation39 an: • „Ein Freund/eine Freundin hat zwei Stehplatzkarten für das nächste Heimspiel von Hannover 96 (oder einem anderen Verein) gewonnen. Nimmst du die Ein ladung an? Im Fanblock ist es fester Brauch, die Ver einshymne zu singen. Singst du mit?“ 41 Im weiteren Verlauf erarbeiten die Schülerinnen und Schüler ausgewählte Fangesänge in Gruppenarbeit anhand von Fragen und Impulsen. Es empfiehlt sich, die betreffenden Lieder nicht nur zu analysieren, sondern als Video anzuschauen bzw. als Podcast anzuhören und auf sich wirken zu lassen. Bei den YouTube-Einspielungen der Musik können die Laptops oder Smartphones der Schülerinnen und Schüler mit einbezogen werden. praktisch Lehrplan37 wird die Anbahnung der nachfolgenden prozessbezogenen Kompetenzen angeregt: • „Religiöse Spuren und Traditionen in der Lebenswelt aufzeigen.“ • „Religiöse Motive in Texten sowie ästhetisch-künstlerischen und medialen Ausdrucksformen erläutern.“ Mögliche Fragen bzw. Impulse40: • Gebt die Titel der Vereinshymnen auf www.youtube. com ein und hört euch die Fangesänge im Stadion an. Schreibt drei spontane Gedanken auf, die euch beim Hören der Fußballlieder durch den Kopf gehen. • Tauscht euch in einem Schreibgespräch über eure Eindrücke und Emotionen aus: Welche Stimmungen vermittelt die Musik? Welche Gefühle, Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte, Ängste u.a. werden in dem Lied angesprochen? etc. • Analysiert das Lied. Unterstreicht wichtige Schlüssel wörter. Welche Wörter oder Sätze werden wiederholt? Welche Sprachbilder oder Symbole werden verwendet? Fasst den Text abschnittsweise zusammen. • Was ist die Hauptaussage des Liedes? Schreibt einem Freund/einer Freundin eine WhatsApp, die den Text des Liedes mit 150 Zeichen und/oder mit 20 Emoticons und Smileys wiedergibt. • Überlegt gemeinsam: Welche Sinn- und Identitäts angebote finden sich in den Liedern? Sind diese für euch überzeugend? • Sucht nach religiösen Motiven, Bildern und Anspie lungen in den Fangesängen und listet diese auf. • Diskutiert: Handelt es sich bei den Vereinshymnen um „religiöse“ Lieder? Begründet eure Meinung. • Vergleicht die Liedtexte der Vereinshymnen mit den Texten von Kirchenliedern bzw. mit Bibeltexten: 1. „ You´ll never walk alone“: mit Ps 23 und/oder mit Jes 40,31; Jes 41,10; Jes 43,2; Jes 43,5; Jes 51,6. 2. „ Leuchte auf mein Stern Borussia“: mit „Stern auf den ich schaue“ (EG 407) und/oder „Stern 39 37 Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für die Realschule Schuljahrgänge 5-10, 18. 38 Hahn et al., Unterrichtshilfen, 1f. Loccumer Pelikan 1/2016 Hahn et al. Unterrichtshilfen, 1: leicht modifiziert. Vgl. hierzu auch Hahn et al. 2014, 1; Eickmann/Peter, Kompetenz orientiert unterrichten, 18f. und Arnold/Klein, Zwischen Abseits und Jenseits, 8-12. 40 42 praktisch • • • • über Bethlehem“ (EG 544 Regionalteil Bremen/ Niedersachsen) sowie mit Mt 2,1-12. 3. „Borussia“: mit Gal 3,26-29 und Dtn 6,4-6. 4. „Mer stonn zo dir FC Kölle“: mit Gal 3,26-29 und Dtn 6,4-6. 5. „96 – alte Liebe“: mit „Herr, wir stehen Hand in Hand“ (EG 602 Regionalteil Bremen/Niedersach sen) und/oder „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (EG 572 Regionalteil Bremen/Niedersach sen) sowie mit Jes 55,10 und Mt 5,45. Übersetzt den Text des Kirchenliedes „Amazing grace“ (vgl. Link 3) und informiert euch im Internet über den Autor und den Hintergrund des Liedes. Notiert: Was gefällt euch an dem Lied, was nicht? Vergleicht den Text des Liedes mit dem Text der Fußballhymne „Leuchte auf mein Stern Borussia“. Sind der Stern Borussia und der Stern von Bethlehem identisch? In der Borussia-Hymne heißt es: „Borussia du verkörperst die Region, für manche von uns sogar Religion“. Diskutiert: Ist Fußball eine Religion, eine Ersatz religion oder keine Religion? Sucht jeweils Pro- und Contra-Argumente. Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und die Unter schiede zwischen den Kirchenliedern und den FußballVereinshymnen? Erstellt ein Plakat. Was können Fußball und christliche Religion voneinander lernen? In gesangserprobten und/oder -freudigen Lerngruppen empfiehlt es sich, die Lieder im Religionsunterricht auch zu singen. In einer Zeit visueller und akustischer Reiz überflutungen ermöglicht Singen als körperbezogenes Ausdrucksmittel ein verweilendes Lernen, das eigene Vorstellungen und kreative Gestaltungen hervorruft und den seelischen Horizont weitet. Die Freude beim Singen und der Lernprozess können durch Gesten und szenische Darstellung, aber auch durch „körpereigene Instrumente“ (Klatschen, Stampfen, Fingerschnipsen etc.) vertieft werden. Die Begleitung durch Musik- und Rhythmus-Ins trumente (Gitarre, Trommel, Pauke, Triangel, Rassel, Schellenkranz, Keyboard o.ä.), am besten von Schüler/innen gespielt, belebt ebenfalls den Gesang der Gruppe. Eine Kooperation mit dem/der Musiklehrer/in kann sich daher als sinnvoll erweisen. Allerdings muss das Musizieren und Singen im Religionsunterricht gar nicht (immer) perfekt sein. Viel wichtiger ist, dass es den Beteiligten Freude bereitet. Dr. Christhard Lück ist Professor für Religionspädagogik und Didaktik der evangelischen Religionslehre an der Bergischen Universität Wuppertal. Links Link 1: „You’ll never walk alone“: www.traditionalmusic.co.uk/ elvis-presley/you‘ll-never-walk-alone-elvis-presley-crd.htm Link 2: „Leuchte auf mein Stern Borussia“: www.tabondant.com/ deu/tabs/misc-unsigned-bands/bvb-leuchte-auf-mein-sternborussia Link 3: „Amazing Grace“: www.abschiedstrauer.de/amazinggrace-noten-texte.htm Link 4: „Borussia“: www.musixmatch.com/de/songtext/BrunoKnust/Borussia Link 5: „Mer stonn zu dir FC Kölle“: https://tabs.ultimate-guitar. com/tab/1718819 Link 6: „96 – alte Liebe“: www.1stchords.com/96-alte-liebechords-dete-kuhlmann Literatur Arnhold, Oliver / Klein, Constantin: Zwischen Abseits und Jenseits – Fußball und Materialien für Klasse 8-12, Göttingen 2014 Bromberger, Christian: Fußball als Weltsicht und Ritual, in: Belliger, Andrea; Klinger, David J. (Hg.), Ritualtheorien, Wies baden 1998, 285-301 Brunner, Georg: Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballstadion, in: Der Deutschunterricht 59 (2007), H. 5, 32-42 Deppe, Edmund: Niemals allein! Die Vereinshymne von Hannover 96 erinnert an ein Kirchenlied, in: Kirchenbote. Wochen zeitschrift für das Bistum Osnabrück, 05.08.2013, 4 Eickmann, Jeannette / Peter, Dietmar: Kompetenzorientiert unterrichten im RU, Göttingen 2012 Evangelisches Gesangbuch (EG) mit Akkordsymbolen für Gitarre, Keyboard und Band. Ausgabe für die Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe, Bielefeld 1997 Grethlein, Christian: Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012 Grgic, Mariana / Holzmayer, Michael: Zwischen Fußball und Face book. Jugendliche sind vielseitig interessiert. Über die Aktivi täten der Generation 2.0, in: DJI Impulse 3/2012, S.18-21 Hahn, Heide et al.: Unterrichtshilfen zum neuen Berufsschullehrplan in Bayern. Lernbereich 12/13.5, RPZ Heilsbronn 2014 (http:// www.rpz-heilsbronn.de/arbeitsbereiche/schularten/beruflicheschulen/unterrichtshilfen-zum-neuen-berufsschullehrplan/125orientierung-im-leben.html) Husmann, Nils: You´ll never walk alone, Frankfurt 2008 Kehlbreier, Dietmar: Fest und Gemeinschaft – ein Vergleich vom säkularen Verständnis im Fußballstadion und dem christlichen Verständnis im Abendmahl, Münster 1997 (http://www.leisser. de/download/katechese%20kehlbreier.pdf.) Klein, Constantin / Schmidt-Lux, Thomas: Ist Fußball Religion? Theoretische Perspektiven und Forschungs-befund, in Engelbert Thaler (Hg.), Fußball – Fremdsprachen – Forschung, Aachen 2006, 18-35 Kopiez, Reinhard / Brink, Guido: Fußball-Fangesänge. Eine FANomenologie, Würzburg 1998 Leube, Bernhard: Singen, in: Gotthard Fermor / Harald SchroeterWittke (Hg.), Kirchenmusik als religiöse Praxis, Leipzig ²2006, 14-19 Lück, Christhard: „Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball spielen kann!“ – Kommunikation des Evangeliums in der Gegen wart im Umfeld des modernen Fußballs, in: Bernd Schröder / Michael Domsgen (Hg.): Kommunikation des Evangeliums. Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 201-229 Lück, Christhard / Jänig, Christian / Kehlbreier, Dietmar / vom Stein, Gunther: Himmelsstürmer. Fußball und Christentum, in: Zeitschrift in: Religion, Sekundarstufe I, H. 4, Aachen 2014 Lück, Christhard / Kehlbreier, Dietmar: Fußball und Religion, Zeit schrift in: Religion, Sekundarstufe I, Heft 4, Aachen 2011 Niedersächsisches Kultusministerium: Kerncurriculum für die Realschule Schuljahrgänge 5-10. Hannover 2009 Öhler, Martin: Fangesänge und ihre religiösen Implikationen, in: AuG 59 (2008), 70-72 Törner-Roos, Helmut: Nur Gegröle? Die „heiligen Texte“ der Fußballfans, in: forum religion 31 (2006), 2-3 Schäfer, Maike S. / Schäfer, Mathias: Abseits-Religion. Fußball als Religionsersatz?, Dortmund 2009 (www.zfw.uni-dortmund. de/wilkesmann/fussball/_publi/Schaefer%20_Abseitsreligion. pdf), 1-24 Loccumer Pelikan 1/2016 informativ „Klasse! Wir singen“ 43 informativ Ein kulturübergreifendes Musikprojekt für Klassenstufe 1 bis 7 Wie man mit einfachen Mitteln den Schulalltag verändern kann Von Gerd-Peter Münden S ingen ist ein uraltes Grundbe dürfnis und kulturelles Erbe der Menschen: Es bringt Lebens lust, macht Spaß, fördert das psychische sowie physische Wohlbefinden und ist Grundlage für jede Art von Musik. In heutiger Zeit erfährt jedoch das Singen in Familie und Gesell schaft eine Veränderung: Es wird immer weniger oder sogar kaum noch gemeinschaftlich gesungen. Um dieser Entwicklung zu begegnen und das Singen in Schule, Freizeit und Familie dauerhaft und nachhaltig zu fördern, habe ich mit einem Unterstützerkreis von Juristen, Finanz fachleuten und Musikern 2007 das Projekt „Klasse! Wir singen“ ins Leben gerufen. 439.000 Kinder und ihre Lehr kräfte haben bisher bundesweit an der Aktion teilgenommen. Bundespräsident Gauck, zahlreiche Ministerpräsi denten und Musiker wie Rudolf Schenker (Scorpions), Anne-Sophie Mutter oder die Wise Guys haben durch Schirmherrschaften, Patenschaften oder Benefizkonzerte ihre Unterstützung gezeigt. Das Konzept sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler der Klassen 1-7 mindestens sechs Wochen lang zusammen mit ihren Lehrkräften im Unterricht einen vorgegebenen Liederkanon einstudieren und (möglichst) täglich gemeinsam singen. Dieser Liederkanon enthält Spaßlieder, Volksliedgut, Filmmusik, fremdsprachliche Lieder, Lieder zu Integration und Umwelt und vieles mehr, um die ganze Bandbreite unseres Kulturgutes darzustellen und so auch die in vielen Kerncurricula geforderte kulturhistorische Lerndimension mit einzubeziehen. Nach dieser Übephase, die mit unterschiedlichen methodischen Materialien und Hilfsangeboten unterstützt wird, feiern die Klassen mit vielen anderen Kindern der Region vor großem Publikum ein eindrucksvolles Abschlussliederfest in einer repräsentativen Veranstaltungshalle. Die Chöre zwischen 500 und Loccumer Pelikan 1/2016 5000 Kindern werden von einer qualifizierten Band begleitet und durch professionelle Licht- und Tongestaltung unterstützt. So wird dieses Liederfest für die teilnehmenden Kinder zu einem prägenden Ereignis der Schulzeit. Dem Projekt liegt ein durchdachtes pädagogisches Konzept zugrunde, das die individuellen Bedürfnisse, Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrkräfte und ihrer Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Es ist ein Merkmal unserer Konzeption, dass sie sich nicht nur an die Musikfachlehrer richtet, sondern versucht, alle Klassenlehrerinnen und -lehrer als Multiplikatoren für das gemeinsame Singen mit einzubeziehen. Singen verbindet In einer Zeit, in der Effizienz- und Konkurrenzdenken, Reizüberf lutung, Stress und Verunsicherung die Lebenswelt der Kinder in besonderem Maße prägen, ist es außerordentlich wichtig, gemeinsam unbekümmert und fröhlich zu singen, ohne auf das Erreichen eines bestimmten Zieles ausgerichtet zu sein. Denn gemeinsames Singen verbindet und prägt den Lebensraum eines Kindes nachhaltig positiv. Durch das soziale Miteinander lernen informativ 44 Kinder Rücksichtnahme, Verständnis und Kooperation, wodurch sich ihre soziale Kompetenz entwickeln kann. Ein besonderes Merkmal von „Klasse! Wir singen“ ist es, dass alle Kinder, völlig unabhängig von physischer oder psychischer Konstitution, von ethnischer oder sozialer Herkunft miteinander singen. Anders als bei diversen Fernsehformaten wird nicht ein Superstar gesucht, sondern alle Kinder singen gemeinsam – jeder ist gleich wichtig! Durch die sechswöchige Vorbereitungszeit und das Erlebnis des gemeinsamen Liederfestes werden die Klassengemeinschaft und das Selbstvertrauen der Schüle rinnen und Schüler nachhaltig gestärkt. Dies erleichtert nicht nur die Integration von Kindern mit Migrations hintergrund, sondern auch die Inklusion von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf oder einer Behinderung. Bei den großen Abschlussliederfesten zeigt sich außerdem die generationenübergreifende Wirkung des Projektes, wenn Jung und Alt gemeinschaftlich singen. Gerade bei alten Kulturliedern wie „Kein schöner Land“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ ergibt sich ein wahrlich ergreifender Moment für viele Eltern und Großeltern. Singen macht schlau Aber Singen gehört nicht nur zu unserem kulturellen Erbe, sondern bietet gleichzeitig auch die wunderbare Möglichkeit, einen wichtigen Beitrag zu einer ganzheitlichen Ausbildung unserer Kinder zu leisten. Karl Adamek, Deutscher Musiksoziologe, sagt über singende Menschen: „Sie sind durchschnittlich lebenszufriedener und glücklicher, sind ausgeglichener und zuversichtlicher, haben ein größeres Selbstvertrauen, sind häufiger guter Laune und verhalten sich im Durchschnitt sozial verantwortlicher und hilfsbereiter“.1 Singen sei zudem zukunftsweisend, da es die Konzentrationsfähigkeit stärke; damit könne es zu optimalen Randbedingungen für das Lernen in der Schule beitragen.2 Spracherwerb durch Singen Da sich das Projekt „Klasse! Wir singen“ auch als kulturübergreifendes Singprojekt versteht, wurden als Reaktion auf die gesellschaftlichen Herausforderungen einige Lieder in 16 weitere Sprachen, darunter ins Syrische, Arabische und Albanische, übersetzt. Zudem ist das komplette Elternmaterial in den Migrantensprachen verfügbar. Die Erfahrungen in Sprachlernklassen sind hervorragend. Singen ist ein einzigartiges Mittel zur Völker verständigung! 1 Adamek, Karl: Singen ist ein Menschenrecht, in: Verband Deut scher Konzertchöre (Hg.), Chor und Konzert 136 (Jahresausgabe 2014), 02/2015. 2 Adamek, Karl: Singen ist zukunftsweisend, in: Il canto del mondo, 3/2009. Singbewegung in Schule und Familie „Klasse! Wir singen“ ist in besonderem Maße dafür geeignet, allen Kindern – auch aus Elternhäusern, in denen nicht gesungen wird – das Singen in positiver Weise nahe zu bringen. Dies zeigt sich daran, dass nach der Teilnahme an dem Projekt bereits bestehende Schulchöre großen Zulauf erhielten oder neue Chöre gegründet wurden und in vielen Schulen das Singen zu einem festen Bestandteil des Schulalltages geworden ist. Einschränkend muss man allerdings gestehen, dass dies nur dort langfristig gefruchtet hat, wo kompetente Personen für die Chorleitung/ Singleitung zur Verfügung standen. Oft nehmen ganze Schulen teil, die anschließend ein großes auswendig verfügbares Liedrepertoire durch alle Klassen beherrschen. In Verbindung mit den Karaoketracks setzen daher viele Schulen die Lieder auch Jahre später für Einschulungen, Schulfeste oder gemeinsames Singen ein. So bereichert das Projekt den Schulalltag nachhaltig. „Klasse! Wir singen“ wirkt aber auch in die einzelnen Familien hinein: zum einen über die Mitsing-CD, die jedes Kind erhält, denn so sind die Lieder fast täglich in den Wohnungen präsent und auch Geschwisterkinder und Eltern werden mit einbezogen. Zum anderen wird durch die gemeinsame Teilnahme von Eltern, Großeltern und Kindern am Liederfest eine Art Singbewegung in den Familien ausgelöst, die motiviert, auch weiterhin gemeinsam zu singen. Hier bekommen die CDs in den Autos der Eltern, die ihre Kinder von Termin zu Termin fahren, eine vorher nicht beabsichtigte Wirkmächtigkeit. Initialzündung für Instrumentalunterricht Eine weitere Wirkung des Projektes war auch zunächst nicht im Blick. Teilnehmende Kinder haben sich nicht nur für das Singen interessiert (noch nach Jahren werde ich von Jugendlichen oder deren Eltern auf die Teilnahme an den Liederfesten begeistert angesprochen), sondern auch für das Spielen von Instrumenten. Die Band, die nicht nur aus klassischen Popinstrumenten, sondern auch aus Flöte, Oboe, Streichern oder Saxophon besteht, hat Kinder nachweislich so beeindruckt, dass sie anschließend Instrumentalunterricht bei den Musikschulen nachgefragt haben. Dies untermauert die immer wieder zu hörende These, dass das Singen der Ursprung allen instrumentalen Musizierens sei. Kulturelle Teilhabe Der vielleicht wichtigste Aspekt dieser basisorientierten Aktion ist, dass es mit ihr gelingt, kulturelle Bildung an bildungsferne Schichten heranzutragen. Zwischen 18 und 40 Prozent der Teilnehmer gehören dazu. Begeistert von den Castingshows im Fernsehen sind bildungsferne Kinder, die gerne singen, oft besonders motiviert und fiebern auf „ihr“ Konzert hin. Diese Motivation ermöglicht auch Fleiß und Loccumer Pelikan 1/2016 Hilfe von Sponsoren nahezu selbst trägt, kann es in allen Bundesländern angeboten werden und in Kooperation mit Projekten vor Ort viel Gutes bewirken. Gerd-Peter Münden ist Domkantor am Braunschweiger Dom und leitet dort unter anderem die renommierte Dom singschule. Weiter Informationen unter www.klasse-wir-singen.de. Die Kinder des Monsieur Mathieu Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt Von Oliver Friedrich I n unendlich vielen Filmen geht es um Menschen, die sich verändern. Dabei werden Geschichten von Frauen und Männern erzählt, die aufbrechen, die ein neues Leben beginnen oder sich ihrer Vergangenheit stellen und gerade deshalb nach vorne schauen können. Auch der Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ widmet sich diesem Sujet. Von einer ganzen Klasse rüpelhafter Jungen wird darin erzählt, die zu einem großartigen Chor werden und die etwas entdecken, von dem sie lange nichts ahnten: Die Kraft der Musik. Monsieur Mathieu, ein begeisterter Musiker und arbeitsloser Erzieher, tritt eine Stelle in einem Internat für schwer erziehbare Jungen an. Es gelingt ihm, die Jungen für seine Musik zu begeistern und ihnen durch ihren Gesang Wert und Selbstbewusstsein zu geben, so dass aus den Rüpeln musik- und chorbegeisterte junge Leute werden. – So jedenfalls haben wir in unserem generationenübergreifenden Filmgottesdienst-Projekt diesen Film gesehen und gedeutet.1 Mit Filmgottesdiensten Aschermittwoch und den Buß- und Bettag neu gestalten Die St. Petri-Kirchengemeinde in Buxtehude stand vor drei Jahren vor der Frage, wie der Aschermittwoch und der Buß- und Bettag wieder stärker in das Bewusstsein der Gemeindeglieder gebracht werden können. Dabei entstand die Idee, die beiden Tage mit Filmgottesdiensten zu ge1 Eine andere Deutung und ein anderer Gottesdienstvorschlag findet sich in: Adler/Arnold/Helmke/Kirsner, Mit Bildern bewegen, 294-303. Der Band bietet außerdem grundlegende Überlegungen zur Arbeit mit Filmen in Gottesdiensten. Loccumer Pelikan 1/2016 stalten, die jeweils am Abend gefeiert werden sollten. Da sowohl der Buß- und Bettag als auch der Aschermittwoch in die dunkle Jahreszeit fallen, konnte diese Idee weiter verfolgt werden, obwohl sich die backsteingotische St. Petri-Kirche nicht verdunkeln lässt. Von verschiedenen Seiten wurde außerdem immer wieder der Wunsch geäußert, auch Gemeindeglieder an der Gestaltung von Gottesdiensten zu beteiligen. Für Menschen, die Gottesdienste mitgestalten wollen, ist es in der Regel zu wenig, nur Texte vorzutragen, die andere verfasst haben. Sie wollen stattdessen selbst aktiv werden und eigene Gedanken und Gebete im Gottesdienst zur Sprache bringen. Die Vorbereitung eines Filmgottesdienstes bietet die Möglichkeit, über das Medium Film Personen verschiedenen Alters anzusprechen und miteinander ins Gespräch zu bringen, die im Gemeindeleben sonst eher nebeneinander agieren. Das gemeinsame Anschauen eines Filmes und die sich daran anschließenden Gespräche ermöglichen einen generationenübergreifenden Austausch, weil jeder und jede sagen kann, was er oder sie an diesem Film besonders ansprechend findet oder welche Fragen sich gestellt haben. Von diesen Gesprächen ausgehend ist es dann auch für Menschen, die es nicht gewohnt sind, Texte zu verfassen, recht leicht, eigene Gedanken zu Papier zu bringen. Schritte zu einem Filmgottesdienst unter Beteiligung von Gemeindegliedern Folgende Schritte waren nötig, um einen Filmgottesdienst feiern zu können, in dem wesentliche Ausschnitte des Films gezeigt wurden und Deutungen des Films aus verschiedenen Perspektiven vorgetragen werden konnten. 45 informativ Ausdauer in der Vorbereitung, die durch das Glücksgefühl des eigenen Konzertes zu Selbstvertrauen wachsen kann. Diese Kinder erleben, wozu sie fähig sind, wenn sie ihre Stimme als Instrument einsetzen können, und singen gerne weiter, wenn es gelingt, ein auf ihre musikalische Sozialisation abgestimmtes Chorangebot anzubieten. Mit ihrer Stimme haben diese Kinder ein Instrument, das unabhängig von den finanziellen Ressourcen des Elternhauses kulturelle Teilhabe ermöglicht. Da sich das Projekt mit Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar. 1 2 Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016 Von Oliver Friedrich M 1: Deutungen zum Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ Wertschätzung kann viel bewirken An das Gute in den Kindern glauben Von Sabine und Karsten Prilop Von Helga Peters Was wäre aus Pierre Morhange geworden, haben wir uns gefragt, wenn Monsieur Mathieu nicht eines Tages Licht auf den „Grund des Teiches“ gebracht hätte? Es ge hört nicht viel Fantasie dazu, sich das vorzustellen. Die Verzweiflung über die gewalttätigen und menschenver achtenden Erziehungsmethoden seiner Lehrer war in den Augen des Jungen zu lesen. Erst Monsieur Mathieu hat den misstrauischen Jungen dazu gebracht, Vertrauen zu entwickeln. Er hat ihn res pektvoll behandelt und ihm Verständnis und Zuneigung gezeigt. Dabei hat er Pierres herausragende musikalische Begabung entdeckt. Durch Mathieus Förderung konnte aus Pierre ein be rühmter Musiker werden. Der Film macht uns deutlich, wie wichtig es ist, dass Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülerinnen und Schülern mit Respekt und Wertschätzung begegnen. Mit einer po sitiven Sicht auf ihre Schüler können Pädagogen viel be wirken – nicht nur am „Grund eines Teiches“. Mich hat der Film sehr berührt. Viele Bilder weckten in mir ungute Kindheitserlebnisse. Die Lieblosigkeit und Härte im Umgang mit den Kindern hat mich auch an meine eigene Kindheit und Schulzeit erinnert. Loccumer Pelikan 1/2016 Nun arbeite ich selbst mit Kindern. Mir ist bei mei ner Arbeit mit den mir anvertrauten Kindern wichtig, an die Fähigkeiten, die in jedem Kind stecken, zu glauben und diese zu fördern. Oft sind es gerade die musischen Fähigkeiten denen man in der Erziehung zu wenig Raum gibt. Das jedenfalls wird für mich in dem Film sehr deutlich, dass Monsieur Mathieu an das Gute im Kind glaubt und dem einen fruchtbaren Boden bereitet, ein mal durch die Musik und auch durch die Gemeinsamkeit des Singens. Auch baut er Vertrauen auf, etwas was den Kindern bis dahin sicher fremd war, das aber für ihre Persönlichkeitsentwicklung von unglaublichem Wert ist. Allen Kinder wünsche ich Bezugspersonen, die an sie glauben, die ihnen Vertrauen und Liebe schenken, denn nur dann können sie in der Gewissheit wachsen, ein Kind Gottes zu sein. Musik schafft einen geschützten Raum Von Anke Martens „Monsieur Mathieu nimmt seine Schützlinge mit seiner Musik an die Hand und gibt ihnen einen Raum, in dem sie unbeschwert sein und sich entfalten können. Er be gegnet ihnen mit Würde und Respekt und schafft eine Atmosphäre, die Mut macht und Zuversicht gibt. Ähnlich habe ich selber einmal die Erfahrung gemacht und spüren dürfen, wie heilsam und befreiend die Kraft der Musik und des Gesangs sein kann: Klänge und Lieder können Dir Geborgenheit vermit teln und Dir dabei helfen Dich zu öffnen und Dich frei und unbeschwert zu fühlen. Sie können Dir Wegbereiter sein und Dir Mut und Kraft geben, aus Dir heraus zukommen, Dich zu zeigen und Dich so zum Ausdruck zu bringen und Dich anzunehmen, wie Du bist. Klänge und Lieder laden Dich ein, Dich mit ande ren in Gemeinschaft zu verbinden und Dich im Fließen der Musik dem Fluss des Lebens zu überlassen und im Vertrauen Deinen Weg zu gehen, auch in Begleitung an derer Menschen. So wie die Musik in diesem Film einen besonderen geschützten Raum schafft, so können auch wir sicher auf unsere eigene Weise für uns und andere sorgen, damit wir in Freude, Freiheit und Frieden im Einklang mit uns und anderen, im Einklang mit Gott unseren Weg gehen können. Neue Wege gehen – Aufruf zur Fastenaktion Von Svenja Dammasch Monsieur Mathieu geht neue Wege und bringt etwas in Bewegung – im Schulalltag, in jedem der Schüler, aber auch in sich selbst. Obwohl ihn vor allem zu Beginn seiner Arbeit Zweifel plagen, riskiert er die Konfrontation mit Kollegen und Direktor. Er geht offen und unvoreingenom men, mit liebevollem Blick auf die Schüler zu, die sein Angebot zunächst staunend und zögernd, dann jedoch mit ganzem Herzen annehmen. Gemeinsam brechen sie so das eingefahrene Wechselspiel von „Aktion“ und „Reaktion“, von Gewalt und Gegengewalt auf. Wo Angst und Gewalt regierten, wächst Vertrauen und Freude am Leben. Damit passt der Film wunderbar zur diesjährigen Fastnaktion der evangelischen Kirche in Deutschland: „Riskier was, Mensch – 7 Wochen ohne Vorsicht“. Die Aktion beginnt am heutigen Aschermittwoch und dauert bis Ostern. Sie lädt uns alle dazu ein, für sieben Wochen die ausgetretenen Pfade zu verlassen und unser Leben ganz bewusst anders zu gestalten. Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zur Seite und es zeigt sich auf einmal etwas anderes, Unerwartetes, lange Übersehenes. Durch Verzicht auf liebe oder ungeliebte Gewohnheiten soll Raum geschaffen werden. Raum, um uns selbst wieder zu hören – und Gott. Diese Zeit im Kirchenjahr lebt auf Veränderung und Erneuerung hin. Riskieren Sie es und machen Sie mit. Ausführliche Infos zur Fastenaktion unter www.7wochenohne.evange lisch.de Loccumer Pelikan 1/2016 M 2: Gottesdienstablauf mit allen liturgischen und überleitenden Texten Begrüßung und Gebet Herzlich willkommen, liebe Gemeinde, zum Aschermittwoch des Films. Sie wohnen heute einer kleinen Premiere bei: Ein Film gottesdienst zum Aschermittwoch – das hat es bisher noch nicht in St. Petri gegeben. Wir wollen, damit eine kleine Tradition beginnen und zweimal im Jahr einen Filmgottesdienst feiern. Zu Aschermittwoch und am Buß und Bettag. Ein Team aus verschiedenen Generationen hat sich für den Gottesdienst heute den Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ angesehen. Wir werden Ihnen nun gleich ein paar Kapitel aus diesem Film zeigen und im Anschluss mit verschiedenen Brillen auf diesen Film schauen: Alle Generationen kommen dabei zu Wort und alle werden versuchen, die Eindrücke des Films mit eige nen Erfahrungen im Leben und im Glauben in Verbindung zu bringen. Musikalisch begleitet uns der Flötenkreis, herzlichen Dank dafür. Bevor wir in den Film und seine Protagonisten einstie gen, lassen Sie uns beten: Gebet Guter Gott, wir sind nicht allein auf dem Weg durch das Leben: Unsere Eltern begleiten uns von klein auf, wir wachsen mit unseren Geschwistern auf und haben im Laufe der Zeit viele Freunde, die ganz unterschiedlich sind. In Kindergarten und Schule lernen wir, was nötig ist, und oft finden wir zu Fähigkeiten, die in uns erst entdeckt werden mussten. Wir danken dir Gott für die Menschen an unserer Seite, die uns helfen, zu denen zu werden, die wir sind. Und wir danken dir, Gott, dass du uns so wunderbar geschaffen hast. Amen. Lied: EG 604, 13 Wo ein Mensch Vertrauen gibt Hinführung zum Film Frankreich, 1949. Der arbeitslose Musiker Clément Mathieu bekommt eine Anstellung als Erzieher in einem Internat für schwer erziehbare Jungen. Von der Härte des Schulalltags und nicht zuletzt von den ebenso eisernen wie ergebnislosen Erziehungsmethoden des Vorstehers Rachin betroffen, beginnt er, mit dem Zauber und der Kraft der Musik in das Dasein der Schüler einzugreifen. Nach an fänglichen Schwierigkeiten und erheblichem Widerstand Loccumer Pelikan 1/2016 durch Rachin gelingt dem begeisterten Musiker und ein fühlsamen Pädagogen das kleine Wunder, das Vertrauen seiner Schützlinge zu gewinnen. Mit seinen Stücken, die Monsieur Mathieu nachts selbst schreibt, gibt er den Jungen ein Stück unbeschwerter Kindheit zurück. Der Film beginnt mit einer Rahmenhandlung: Der berühmte Dirigent Pierre reist zur Beerdigung seiner Mutter zurück nach Frankreich. Dort trifft er auf Pepinot, mit dem er zusammen im Internat war. Die beiden Männer erinnern sich … Film Kapitel 1 bis 4 (Anfang bis 10:57 – Vorgänger geht) Die ersten Eindrücke, die Mrs. Mathieu von seinem neuen Arbeitsplatz hat, täuschen nicht: Der Direktor herrscht autoritär und ohne jedes Ver ständnis für die Jungen. Die Kinder selbst sind aufmüpfig, frustriert zugleich aber auch eingeschüchtert und haben Angst wieder im Karzer zu landen. Aktion und Reaktion ist das Prinzip, nach dem man versucht, die Kinder in den Griff zu kriegen. Mathieu lernt dieses Prinzip schnell kennen, gibt sich damit aber nicht zufrieden. Er versucht es mit einem Experiment: Die Jungen sollen singen. Film Kapitel 9 +10 +11 (28:10 bis 36:34 – Pierre singt alleine) Pierre, der entweder im Karzer sitzen oder Putzdienste leisten muss, kann nicht mitsingen. Er beobachtet aber immer wieder, wie die anderen Jungen das Singen üben. Irgendwann beginnt er dann selbst zu singen. Er singt, was er von den anderen gehört hat. Welch ein Glück, dass Mathieu ihn dabei eines Tages hört – und welch ein Glück, dass er Pierres Mutter nicht verraten hat, dass er schon wieder in den Karzer musste. Film Kapitel 14 +15 +16 (45:23 bis 58.13 – Mathieu verlässt Direktorenzimmer) Die Stimmung im Internat ändert sich. Selbst der Direktor scheint für einen Augenblick über sich selbst hinaus zu wachsen. Doch leider nur für kurze Zeit. Nachdem der Direktor bestohlen wird, streicht er den Chor. Doch Mathieu probt mit den Jungen heimlich weiter. Der Chor geht in den Untergrund und der Junge, dem der Diebstahl vorgeworfen wird, kehrt zurück. Der Umgang des Direktors mit ihm macht noch einmal deut lich: Mathieu und Rachin vertreten völlig unterschiedliche Erziehungsstile. Film Kapitel 17 (58:13 bis 1.03:09 – Mathieu und Mutter) Die Chorproben finden ein unerwartetes Ziel. Die Comtesse kündigt ihren Besuch im Internat an – und die Jungen sollen für sie singen. Film Kapitel 20 (Besuch der Comtess 1.11:53 bis 1.16:52 – Hausmeister klopft) 3 4 Materialien Die Kinder des Monsieur Mathieu Ich bin in einem Knabenchor „groß geworden“. Sicher, Monsieur Mathieu im Film hat keinen Knabenchor im klassischen Sinne gegründet und geleitet, aber ich habe dennoch einiges wiedererkannt, das ich aus meiner eige nen Biographie kenne: Die Musik, das Singen wird zur Grundlage einer Gemeinschaft, die „durch Dick und Dünn“ geht. Im Film könnte dieses „Dick und Dünn“ für die benachteiligten Jungen durchaus etwas anderes sein; etwas, das mit un redlichen Zielen verbunden ist. Stattdessen gelingt es ihrem Lehrer sie duch Musik, durch Gesang, durch den gemeinsam Klang ihrer Stimmen zusammenzubringen. Sie werden auf eine gute Bahn gelenkt. Monsieur Mathieu hat Autorität. Aber hat eine ganz andere Autorität als die anderen Lehrer im Internat. Seine Autorität hebt sich insbesondere von der Autorität des Direktors ab. Monsieur Mathieu braucht für seine Ausstrahlung keine Repressalien. Zwangsmaßnahmen setzt er höchstens ein, um mit ihnen in den Jungen die Musik wirken zu lassen. Ich verstehe Französisch nicht so gut, als dass ich die Liedtexte in dem Film nachvollziehen kann. Die beglei tende Musik und die Person des Monsieur Mathieu lassen mich aber vermuten, dass auch in den Texten nicht nur Banalitäten besungen werden. Vielleicht sind es sogar auch geistliche Lieder, und so möchte ich meine persönlichen Erfahrungen als Parallelen zum Film so zusammenfassen: Etwas Grundlegendes für unser Leben kann uns die Musik, das Singen auf besondere Weise nahe bringen, wenn sie durch Personen mit einer Autorität, die von innen strahlt, vermittelt wird. Sind dann noch die Inhalte die ser Musik sinnstiftend und fröhlich, kann Erziehung, wie wir sie in diesem Film erlebt haben, richtig Spaß machen. Für diese Phase ihres Lebens sind die Jungen jedenfalls sehr gesund „groß“ geworden. Wie ich damals in meinem Knabenchor. Materialien Musik hat meine Jugend geprägt Von Heiner Penner Materialien i HINWEIS Materialien informativ 46 4. Allein oder zu zweit haben die Teilnehme rinnen und Teilnehmer in der folgenden Woche ihre Gedanken zum Film aufgeschrie ben. Der Pastor hatte die Aufgabe, eine Got tesdienstordnung zu entwerfen und Überleitungstexte zu formulieren, die die einzel nen Filmausschnitte miteinander verbinden würden. 5. An einem zweiten Abend trugen die Teilneh menden die entstandenen Texte dem Team vor. Die Gottesdienstordnung wurde besprochen und weitere Aufgaben wurden verteilt. Außerdem hatten die Jugendlichen die Idee, den Gottesdienst damit zu beenden, Papier flieger von der Orgelempore in das Kirchen schiff gleiten zu lassen, um so das Ende des Szenefoto aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ – © Constantin Films „spürbar“ in die Kirche zu holen und 1. Durch persönliche Ansprache fand sich ein generaeine Erinnerung tionenübergreifendes Team zusammen, das aus Mit an die beginnende Fastenzeit zu haben, die mit nach gliedern der örtlichen Jugendgruppe, Studenten und Hause genommen werden konnte. Erwachsenen mittleren Alters bestand. 6. Am Aschermittwoch, dem Tag des Gottesdienstes, 2. Der Flötenkreis der Gemeinde konnte gewonnen werwurde die technische Ausrüstung rechtzeitig aufden, den Gottesdienst musikalisch zu gestalten, und gebaut und auf Funktionsfähigkeit überprüft. Alle fand sich bereit, für den Gottesdienst Musikstücke einTeilnehmenden trafen sich sehr frühzeitig zu einer zustudieren, die zur Filmmusik des Films gehörten. Sprechprobe2. Dazu war natürlich das rechtzeitige Beschaffen der Noten wichtig. 3. Das Gottesdienstteam traf sich zunächst zu einem Der Gottesdienstablauf im Überblick Filmabend bei Chips und Cola, um den Film gemeinsam anzuschauen und im Anschluss zu dis- Alle liturgischen Texte, die Überleitungen zu den Filmaus kutieren. Dabei kristallisierten sich im konkreten schnitten und eine Auswahl der Deutungen aus dem Film Fall des Films „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ gottesdienst-Team finden Sie im Online-Material. zwei Deutungslinien heraus: Einerseits ging es den Teilnehmenden um die Bedeutung und die Kraft, die • Musik zu Beginn Musik für Menschen haben kann und die sie selbst er- • Begrüßung und Gebet fahren haben. Andererseits ging es um die Frage nach • Lied: EG 604, 1-3 Wo ein Mensch Vertrauen gibt dem Selbstbewusstsein und den Wert des Menschen. • Hinführung zum Film: – Filmausschnitt I (Anfang, Film Kapitel 1 bis 4) Von diesen beiden Deutungslinien ausgehend wurden wesentliche Filmszenen gesammelt, die auf jeden Fall im Gottesdienst gezeigt werden sollten. 2 Einige technische Hinweise finden sich am Ende des Beitrages. Am Ende des Films muss Mathieu das Internat verlassen. Er hatte mit den Jungen einen Ausflug gemacht, den der Direktor nicht genehmigt hatte. Seine Jungen aber be reiten ihm einen besonderen Abschied. Und Perpion geht schließlich mit ihm mit. Lassen Sie uns den Schluss des Filmes sehen. Film Kapitel 23 (1.23:51 bis 1.28.18) Lesung und Kurzpredigt Was, liebe FilmgottesdienstGemeinde, was macht einen Menschen stark? Was macht Menschen zu Persönlichkeiten, die sich ihrer Fähigkeiten bewusst sind und sich – ihrer selbst bewusst – durchs Leben gehen können? Mrs. Mathieu versteht es, die Jungen, die ihm anver traut sind, stark zu machen. Er nimmt die Kinder wahr. Er lässt sie vorsingen, und er entdeckt für jeden die richtige Stimmlage. Oder er entdeckt etwas anderes, was für die Chorarbeit nützlich ist. Selbst diejenigen, die gar nicht singen können, werden eingebunden, weil eben doch jeder etwas kann, was auch für die anderen gut ist. Mathieu blendet nicht aus, was im Internat geschieht. Er nennt Unrecht Unrecht und er besteht auf das Recht. Aber er tut dies nicht mit Strafe und Erniedrigung. Er tut es durch Gespräch und durch eine sehr besondere Form der Solidarität mit denen, die ihm in seiner Schule anver traut sind. Die Kinder danken es ihm, indem sie sich entwickeln und entfalten. Das erfolgreiche Wachsen des Chores ist ein Bild dafür, was aus Menschen werden kann, wenn man sie fördert, wenn man ihnen etwas zutraut, wenn man sie dort abholt, wo sie mit ihren Fähigkeiten und Begabungen stehen. Angesichts dieser zutiefst humanistischen Überzeu gung muss Rachin, der Schulleiter, mit seinem Konzept scheitern. Aktion und Reaktion sind letztlich nur Vergel tung, die den Kreislauf der Verzweifelten nicht durchbre chen können, weil der Mensch dabei keine Rolle spielt. Die Taufe ist der christliche Blick auf die Persönlichkeit des Menschen. In der Taufe wird jedem Menschen ein Wert an sich zugesprochen – ein Wert, den der Mensch sich selbst nicht geben kann. So macht die Taufe den Menschen stark. Und wir Christen sind angehalten, jeden Menschen so anzublicken, wie Gott ihn ansieht, auch wenn wir ihn oder sie nicht verstehen. Der humanistische Blick des Mrs. Mathieu auf seine Schützlinge – er ist für mich also wie der Blick Gottes auf die Menschen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott den Men schen sieht, wie er ihn gemeint hat. Und dass er für jeden Menschen Gutes will. Vor Gott gilt nicht Zahn um Zahn, sondern die Zusage der Liebe, die den Menschen stark macht und zu aufrichtigem Handeln ermutigt. Amen. Lied: EG 486, 13 und 11 Ich liege Herr, in deiner Hut, (Flöten spielen einmal vor) Fürbittengebet (alle Mitwirkenden stehen im Halbkreis im Altarraum) Lasst uns beten und dazu aufstehen: Wir beten heute für alle Schüler und Schülerinnen, dass sie ihnen ihre Schulen Orte sind , an denen sie sich entwickeln und entfalten können. Wir beten heute für alle Lehrer und Lehrerinnen, dass es ihnen immer wieder gelingt, ihre Schüler und Schü lerinnen anzunehmen und zu fördern, so gut es eben geht. Wir beten heute für alle Jugendlichen, die straffällig geworden sind, dass ihnen Menschen begegnen, von denen sie sich ansprechen und verwandeln lassen. Wir beten heute für alle, die sich für Bildung in unse rem Land einsetzen, dass es ihnen gelingt, Schulen und Kindergärten zu Orten der Kreativität und des Mitein anders zu machen. Wir beten heute für diejenigen, die in den Schulen scheitern, dass sie nicht verzweifeln, sondern andere Wege finden, die sie gehen können. Pastor: Gemeinsam beten wir Vaterunser … Segen Mrs. Mathieu geht neue Wege. Wir eröffnen mit diesem Filmgottesdienst die Fastenzeit und ermutigen Sie zu „Sieben Wochen ohne …. Vorsicht“ – das ist in diesem Jahr das Motto der evangelischen Kirche für die Fastenzeit. Lesung Mk 1,9-11 Taufe Jesu Auf wiedersehen – und nehmen Sie sich einen Flieger mit. Wenn wir Menschen in der Taufe der Herrschaft Gottes unterstellen, dann sagen wir genau das: Du bist ein ge liebtes Kind Gottes. Du bist wertvoll, so wie du bist, ganz gleich, was aus dir wird. Aktion: Papierflieger Loccumer Pelikan 1/2016 Loccumer Pelikan 1/2016 Technische Hinweise • Ein Filmgottesdienst braucht gute Technik, damit er nicht peinlich wird, und Menschen, die bereit sind, sich um die Technik vorher und während des Gottes dienstes zu kümmern. • Die Größe der Leinwand muss dem Kirchraum angepasst sein. Ideal ist es, wenn die Leinwand den Altar nicht verstellt. • Damit der Film gut zu sehen ist, ist ein lichtstarker Beamer zwingend. • Es muss sichergestellt sein, dass die Tonübertragung funktioniert: Manchmal lässt sich die Tonquelle direkt an die Lautsprecheranlage der Kirche anschließen, manchmal muss eine eigene Lautsprecheranlage aufgebaut werden. Die Möglichkeiten der Tonübertragung unbedingt rechtzeitig vorher prüfen und ausprobieren. • Es dürfen nur Filme gezeigt werden, von denen eine DVD mit Aufführungsrechten für nichtkommerzielle Nutzung vorhanden ist. In der Regel können DVDs mit Aufführungsrechten über die Medienstellen der Landeskirchen beschafft werden. • Es darf nicht mit dem originalen Filmtitel für den Gottesdienst geworben werden. Eine inhaltliche Zusammenfassung des Films ist dagegen erlaubt. Genauere Informationen zu den Aufführungsrechten können die Medienstellen geben. Oliver Friedrich ist Dozent für die Ausbildung der Vikarin nen und Vikare am Religionspädagogischen Institut Loccum. Literatur Adler, Dietmar; Arnold, Jochen; Helmke, Julia; Kirsner, Inge (Hg.): Mit Bildern bewegen – Filmgottesdienste, Hannover 2014 Kirsner, Inge; Gehring, Hans-Ulrich: Filmgottesdienste. Theorie und Modelle, Jena 2005 Konfirmandenarbeit mit musischen Projekten Sönke von Stemm im Gespräch mit Claudia Kasprzyck Sönke v. Stemm: Liebe Frau Kasprzyck, Sie arbeiten an der Schnittstelle von Konfirmandenarbeit und Jugend arbeit, und zwar mit musischen Projekten. Welche musischen Angebote gibt es in Ihrer Gemeinde für Kinder und Jugendliche? Claudia Kasprzyck: Rein musisch sind drei Chorgruppen (1. bis 3. Klasse, 4. bis 6. Klasse und ab der 7. Klasse). Einige Ältere singen auch im Kirchenchor, der aber auch ein jüngeres Repertoire hat (neues geistliches Lied). Neben der musischen Arbeit ist aus dem Jugendchor heraus ein Jugendkreis entstanden – Zeit für Gespräche, und einmal im Quartal wird ein Jugendgottesdienst erLoccumer Pelikan 1/2016 arbeitet und gemeinsam mit der Gemeinde gefeiert. Auf diese Weise konnte die Probenarbeit (von den notwendigen Gesprächen und) von dem Nachdenken über die Inhalte getrennt werden. Der Jugendkreis bietet die Möglichkeit, engeren Kontakt zu den Jugendlichen zu halten und auf ihre Fragen bzw. Nöte einzugehen, die die normale Chor arbeit sprengen. v. Stemm: Wie verknüpfen Sie die reguläre Konfirmanden arbeit mit den musischen Projekten? Kasprzyck: In unserer Gemeinde dürfen die Konfirman dinnen und Konfirmanden sich in einer bestimmten 47 informativ –Überleitung – Filmausschnitt II (Film Kapitel 9 +10 +11) –Überleitung – Filmaussschnitt III (Film Kapitel 14 +15 +16) –Überleitung – Filmausschnitt IV (Film Kapitel 17) –Überleitung – Filmausschnitt V (Schluss, Kapitel 23) • Gedanken zum Film: – Wertschätzung kann viel bewirken – An das Gute in den Kindern glauben •Musik • Gedanken zum Film: – Musik hat meine Jugend geprägt – Musik schafft einen geschützten Raum •Musik • Gedanken zum Film: Neue Wege – Aufruf zur Fastenaktion •Musik • Zusammenfassende Kurzpredigt mit Lesung Mk 1,9-11 • Abendlied: EG 486, 1-3 Ich liege, Herr, in deiner Hut • Fürbittengebet und Vaterunser •Segen • Aktion: Papierflieger informativ 48 Phase Gemeindeprojekte aussuchen und in der Gemeinde mitzuarbeiten. Es gibt nicht nur musische Angebote. Da viele Jugendliche schon als Kinder an den musischen Angeboten teilgenommen haben und auch die angegliederte Musikschule nutzen, gibt es immer wieder gut ausgebildete Konfirman d innen und Konfir manden, die als Projekt die Band wählen und den großen Chor bei Aufführungen begleiten. Dafür ist allerdings schon ein bestimmtes Können gefragt. Ohne Vorkenntnisse laufen aber auch Percussion-Gruppen, besonders gut bei Jungen im Stimmbruch oder bei motivierten Kindern. Meist haben wir mehr Mädchen als Jungen in den Gruppen. Es geht uns dabei vor allem um die Verbindung des Alltags bzw. der Interessen der Konfirmandinnen und Konfirmanden mit der Kirchen gemeinde. v. Stemm: Welche personellen Voraussetzungen (und welche finanziellen) machen diese besondere musische Arbeit möglich? Kasprzyck: Voraussetzung ist ein Gemeindeprofil, in dem die musische Arbeit einen großen Stellenwert hat. Das Konzept ist eher langfristig angelegt und zielt darauf, schon mit Kindergruppen zu beginnen und dann kontinuierliche Angebote vorzuhalten, die es Kindern und Jugendlichen bzw. Konfirmandinnen und Konfirmanden ermöglichen, quer einzusteigen. Finanziell gibt es für Kinder und Jugendchöre oder auch andere Gruppen meist kein Geld von der Landeskirche. Ein Förderverein Kirchenmusik kann da vieles abfangen, erfordert aber auch wieder Menschen, die diese Arbeit machen wollen. Ein weiterer finanzieller Punkt sind Kosten, die bei Aufführungen oder bei Anschaffungen von Instrumenten entstehen. Diese Kosten hängen von der Beschaffenheit der Kirchen, der Größe der Gruppen, dem Anspruch an die Aufführungsqualität (Licht, Verstärkung) etc. ab. v. Stemm: Ist die Musik ein besonderer Zugang für Kinder und Jugendliche, um sich mit religiösen Themen und Fragen zu beschäftigen? Haben Sie ein Beispiel? Kasprzyck: Wenn ich ein Musical einer biblischen Ge schichte aufführen möchte, dann muss ich die Geschichte mit den Kindern besprechen. Kinder im Grundschulalter stellen noch unbefangen Fragen, die manchmal einem Erwachsenen die Geschichte von einer anderen Seite beleuchten. Bei den moderneren Musicals werden die Geschichten auch ausschmückend erzählt, was wieder neue Fragen aufwirft. Ein Beispiel ist schwer, aber vielleicht eine andere Er klärung, warum mit Musik bzw. Theater (szenisches Spiel) ein religiöser Inhalt anders rüber kommt bzw. anders verstanden oder aufgenommen wird. Musik selber zu machen – besonders Singen – ist auch eine Form der Therapie, um Menschen zu öffnen, den Kopf frei von Sorgen zu machen, bei einer Sache mit Kopf und Herz dabei zu sein. Wenn eine Gruppe zusammen als szenische Übung Wasser zu Wein gewandelt hat, also jeder der Gruppe selber die Rolle Jesu gespielt hat, dann bleibt es mehr in Erinnerung, als wenn nur erzählt wurde. Dann kann man davon auch singen. v. Stemm: Welches Projekt aus der jüngsten Vergangenheit ist Ihnen noch am meisten in Erinnerung / und warum? Kasprzyck: Ein derzeitiger Konfirmand aus der Lebens hilfe hat mit mir und einem erfahrenen Schlagzeugschüler mit diversen Percussionsinstrumenten den Kirchenchor bei einer Afrika Messe begleitet. Bei den Proben hat er laut gesungen und ist durch den Raum getanzt. Wir wussten nicht, was er bei der Aufführung machen würde. Ich habe bei der Begrüßung die Gemeinde auf dieses Inklusionsprojekt hingewiesen und sie darauf vorbereitet, dass ungehemmte Freude von diesem Jungen ausgehen würde. Nach der Messe waren alle von dieser Freude angesteckt, teilweise mit Tränen in den Augen. Die afrikanische Begeisterung und ein jubelndes Kyrie, Gloria, etc. haben noch viele Gespräche in der Gemeinde ausgelöst. v. Stemm: Sind die aktuellen Pop-Charts tauglich als Kirchenmusik? Loccumer Pelikan 1/2016 Kasprzyck: Die Creative Kirche hat viele biblischen Ge schichten, die modern und peppig geschrieben sind. Man benötigt meist nur einen Erzähler. Zusätzlich gibt es ein Werkstattbuch mit Requisitenvorschlägen, Probenplan, etc. Adonia bietet auch biblische Musicals an, teilweise auch für Ältere. Sie sind aufwändiger zu erarbeiten, da die Kinder und Jugendlichen selber schauspielern müssen. Abakus hat ein breites Angebot. Siegfried Fietz ist bekannt für modernes Liedgut. Im Fidula-Verlag findet man auch einiges Brauchbares, allerdings ist es ein Schulverlag und nicht alle Stücke passen in einem kirchlichen Rahmen. v. Stemm: Wo finde ich Noten und gute Musicals für größere Projekte? Dr. Sönke von Stemm ist Dozent für Konfirmandenarbeit am Religionspädagogischen Institut Loccum. v. Stemm: Was empfehlen Sie Gemeinden, die intensiver in eine solche musische Arbeit einsteigen wollen? Kasprzyck: Mit mir Kontakt aufzunehmen: [email protected] Claudia Kasprzyck ist Inhaberin eines Musikhauses in Hankensbüttel. „Religramme. Gesichter der Religionen“ Interaktive Wanderausstellung der Landeskirche porträtiert Religionen V or vier Jahrzehnten war man in Niedersachsen entweder evangelisch oder katholisch. Andere Religionsgemeinschaften gab es kaum. Heute erleben Kinder und Jugendliche etwas ganz anderes: Schulklassen sind religiös und kulturell bunt gemischt. Darüber hinaus gibt es in fast jeder Klasse Mädchen und Jungen, die sich keiner Religion zugehörig wissen. Niedersachsen ist ein multireligiöses Land geworden. In vielen Städten sind mittlerweile Gebetshäuser aller großen Religionen zu finden. In der Ausstellung „Religramme – Gesichter der Religionen“ wird die religiöse und kulturelle Vielfalt Niedersachsens für jedermann und jedefrau sicht-, hör- und erfahrbar. „Je vielfältiger und bunter die Welt der Religionsge meinschaften wird, desto wichtiger ist es, dass wir einander kennen lernen, dass wir erfahren, was den anderen am Herzen liegt und wie sie sich das Miteinander in unserer Gesellschaft vorstellen“, beschreibt Ausstellungsmacher Prof. Dr. Wolfgang Reinbold von der Hannoverschen Landeskirche die Motivation für das Projekt. In der Ausstellung geben zwanzig Frauen und Männer aus zwanzig Religionsgemeinschaften der multireligiösen Loccumer Pelikan 1/2016 Landschaft Niedersachsens ein Gesicht. Sie erzählen, wer sie sind, wo sie herkommen und wie sie leben. Sie antworten auf die Fragen wie „Was ist dir wichtig an deiner religiösen Tradition?“ „Wie stehst du zu Menschen mit anderer Religion?“ „Was bedeutet es für dich, in Niedersachsen zu leben?“ Sie geben Einblick in ihr privates Umfeld und ihre Gebetshäuser. Sie lassen die Besucherinnen und Besucher Ausstellungseröffnung in Wolfsburg am 18. Januar 2016 Foto: Lukas von Loeper 49 informativ Kasprzyck: Welcher Konfirmand hat in seiner Familie Choräle wie „All Morgen ist ganz frisch und neu“ oder „Jesu meine Freude“ kennen gelernt? Welche Musik hören die meisten Gemeindeglieder unter 40 Jahren? Wir haben etwas ausprobiert, was in der Gemeinde gut ankam: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich in einem Vorstellungsgottesdienst mit ihrem derzeitigen Lieblingslied vorgestellt. Die Lieder wurden von CD / MP3 abgespielt. Beim Übersetzen der Texte ergaben sich tiefe Gespräche, bzw. die Konfirmanden haben auch gemerkt, wie blöd mancher Text ist. Nach meiner Erfahrung sind derzeit aktuelle Themen bei den Jugendlichen: Abschied von Freunden; wie sieht die Zukunft aus? Das Leben läuft gerade schlecht; ist Abhauen die einzige Lösung? Über ihre Musik kann man den Bogen zu biblischen Geschichten und zum Glauben bekommen. Bewusst gebe ich keine Titel und Beispiele, da sich der Geschmack und die Top Ten ständig ändern. Es bleibt ein spannendes Abenteuer dieses Experiment immer wieder zu machen. Ein Vorteil: Man benötigt keinen Kirchenmusiker, der die Musik begleiten müsste. informativ 50 teilhaben an den Klängen und wichtigen Texten ihrer religiösen Tradition. Zudem ist die Ausstellung mit mehreren Profilen auf Instagram vertreten, auf denen Fotos und Videos zu religiösen Themen und aus dem Leben der zwanzig Gesichter der Religionen veröffentlicht werden. Darüber hinaus werden Fragen zu, Zusammenleben in der multireligiösen und kulturell vielfältigen Gesellschaft diskutiert. In den kommenden anderthalb Jahren wird die Aus stellung landesweit an 15 Orten gezeigt. Vom 2. bis 25. Mai ist sie in Celle zu sehen. Weitere Termine und Aus stellungsorte werden im Internet unter www.gesichter-derreligionen.de/ausstellung angezeigt. Hier sind zudem nähere Informationen, Materialien und weitere interaktive Elemente zu finden. Anne Sator Ausstellungseröffnung in Wolfsburg am 18. Januar 2016 Foto: Lukas von Loeper In eigener Sache: Matthias Hülsmann neuer Dozent für Theologische Fortbildung und Kirchenpädagogik S eit dem 1. Februar ist Pastor Matthias Hülsmann aus Walsrode neuer Dozent am RPI Loccum. Er tritt u.a. die Nachfolge von Christiane Kürschner an und wird damit für den Arbeitsbereich Kirchenpädagogik zuständig sein. Die kirchenpädagogische Arbeit wird in der Landeskirche durch viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getragen, die nun bei ihren zahlreichen Aktivitäten von Matthias Hülsmann unterstützt und fortgebildet werden. Ein neuer deutlicher Schwerpunkt der Arbeit von Matthias Hülsmann wird die theologische Fortbildung sein, die u.a. im Rahmen der Vokationstagungen, aber auch in Formaten zum Dialog der Religionen in der Schule ihren Platz finden wird. Matthias Hülsmann ist Jahrgang 1963. Er studierte Evangelische Theologie in Göttingen, war dann neun Jahre Gemeindepastor im Kirchenkreis Lüchow-Dan nenberg und war seit 2002 Schulpastor am Gymnasium in Walsrode. Darüber hinaus war er Beauftragter für Kirche und Schule im Sprengel Lüneburg Süd tätig. Er ist Autor zahlreicher Unter richts m aterialien für die gymnasiale Oberstufe. Das Team des RPI heißt Matthias Hülsmann herzlich willkommen! Die Redaktion Buch- und Materialbesprechungen Matthias Günther Rock ‘n‘ Religion. Populäre Musik und biblische Texte im Religionsunterricht Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-525-77015-3, 60 Seiten, 20,00 Euro Schon immer haben sich Christen überlegen müssen, in welchen Ausd rucksgestalten Bibel für die Gegenwart verständlich wird. Zur aktuellen Lernsituation des Religi onsunterrichts gehören mehr denn je die Überlegungen, von wo her Jugendliche überhaupt auf Religion, religiöse Tradition und erst recht auf die Bibel zugehen können. Bei Jugendlichen spielt Musik eine große Rolle – als Begleitung, als Gegenwelt, zur Selbstgestaltung. Konkret: Rock- und Popkultur, die von Jugendlichen gehört, gesummt, gespielt, gehämmert wird, enthält nicht nur religiöse Motive, sondern ganz konkret biblische Bezüge. Loccumer Pelikan 1/2016 Jugendlicher und entlastet Religionslehrkräfte, die sich musikalisch nicht genügend musikalisch fit fühlen. Für eine subjektorientierte religiöse Hörschule und die Chance auf Fächerverbindungen mit dem Fach Musik wäre es jedoch sicherlich eine Unterstützung im Sinne des eigenen Anliegens, wenn die Wirkung der Klänge und Rhythmen zur Geltung gekommen und musikalische Hörhilfen einbezogen wären. Hierfür sind ergänzende Aufgabenstellungen nötig. Der Gewinn: Schülerinnen und Schüler in der Pubertät und im jungen Erwachsenenalter lernen in der biblischen Interpretation durch Auseinandersetzung mit den Songtexten von Xavier Naidoo über Fettes Brot, Die Toten Hosen, Bushido, Herbert Grönemeyer u.a. bis zu Kanye West, wo die Endlichkeit, Kostbarkeit und Wertschätzung des von Gott geschenkten Lebens, aber auch der Blick darüber hinaus in den Himmel zur Geltung kommen. Das bedeutet gemeinsames Hören, anderes Lesen, Gestalten – elementare Prozesse des Religionsunterrichts. Religion hat eben Rituale, Rhythmen, Räume – und manchmal rockt sie auch. Silke Leonhard *** Heike Lindner Musik für den Religionsunterricht. Praxis- und kompetenz orientierte Entfaltungen Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014 ISBN 978-3-525-70208-6, 200 Seiten, 25,00 Euro Musik gehört in den Religionsunterr icht! Heike Linder möchte dazu nicht nur Interesse wecken, sondern mit ihrem neuen Buch einen Steinbruch an unterrichtlich verwendbaren Möglichkeiten vorlegen: „Curriculare Anforderungen, Themen des Reli gionsunterrichts, Kompetenzfelder, didaktische Schlüssel und Methoden tipps werden zusammen mit konkreten Lernaufgaben für die unterrichtliche Umsetzung zur Verfügung gestellt.“ (Seite 7) Heike Linder arbeitet damit ihre Dissertation aus dem Jahr 2003 (Musik im Religionsunterricht, LitVerlag, Münster/Hamburg/London zweite Auflage 2009) zu einem Praxisbuch um, indem sie die theoretischen und diskursiven Beiträge auf ein Minimum verkürzt und die praktischen Anregungen für einen kompetenzorientierten Religionsunterricht anpasst und vermehrt. Heike Lindner ist Musikpädagogin und Professorin für Evangelische Theologie und ihre Didaktik an der Universität Köln. Sie macht mit diesem Buch deutlich, welche große Rolle Musik für und im Religionsunterricht übernehmen kann. Sie belegt erneut ihre These, dass durch die Arbeit mit Musik und an Musik im Religionsunterricht zentrale Kompetenzen gefördert und ausgebildet werden Loccumer Pelikan 1/2016 können, die Kindern und Jugendlichen ein Arbeiten an religiösen Themen und Fragestellungen sehr erleichtern. Im Zentrum steht für Heike Lindner dabei, mit Kindern und Jugendlichen zu entdecken, wie sehr Religion auf die Verwendung von Zeichen angewiesen ist, um in konkreten Lebensvollzügen als Deutekategorie verwendet werden zu können. Diese an Zeichen gebundenen Rezeptions-Prozesse lassen sich ihrer Auffassung nach an Musikstücken gut studieren. Lindner zeigt vor allem im vierten Teil ihres Buches auf, wie sehr diese Prozesse in Musik und Religion parallel laufen, so dass anhand einer Auseinandersetzung mit musikalischen Rezeptionsprozessen die Bearbeitung von religiösen Inhalten vorbereitet und erleichtert werden kann. Lindner geht bei der Entfaltung ihrer praktischen Beispiele davon aus, dass man direkt mit den Rezeptionsprozessen beginnen kann, sie stellt zugleich aber auch dar, wie wichtig für diesen Schritt zunächst die Ausbildung von Wahrnehmungskompetenzen (Musik hören) und Gestaltungskompetenzen (Musik machen) ist. Daher lohnt es sich doch, das Werk zunächst in einem Stück zu studieren. Das Werk gliedert sich in vier Teile, die zwar aufeinander aufbauen, jedoch nach Willen der Autorin jeweils für sich stehen und einzeln genutzt werden sollen. Das Inhaltsverzeichnis enthält eine entsprechende Lesehilfe, ebenso erläutert der erste Abschnitt der Einleitung den Aufbau des Buches. Eine Reihe von Piktogrammen soll zudem helfen, einzelne Unterabschnitte zu verwerten, indem sie beispielsweise als Lernaufgabe, als Hinter grundinformation oder als Musik-Titel-Hinweis gekennzeichnet sind. Für die Praxis in der Vorbereitung von Religionsunterricht wünscht man sich jedoch noch mehr Hinweise und eine klar nachvollziehbare Gliederung der einzelnen Kapitel. So findet sich die Erläuterung der 51 informativ Die Arbeitshilfe „Rock ‘n‘ Religion“ nimmt diese Herausforderungen auf – als Motto für einen an musikalischer Jugendkultur orientierten Religionsunterricht der Sekundarstufe II an allgemeinbildenden und berufsbildenden Gymnasien. Ihr Autor, Matthias Günther, der als Schulpastor selbst an einem solchen unterrichtet, gibt in einer kurzen Einleitung eine didaktisch-methodische Übersicht über die kompetenzorientierte Struktur: Auf 60 Seiten folgt eine Materialsammlung im DIN A-4-Format mit neun Songtexten sowie jeweils einem entsprechenden Bibeltext und zwei bis drei weiteren Ergänzungstexten, denen Aufgabenstellungen in Anlehnung an prozess orientierte Kompetenzen zugeordnet sind. Manche Kurzsequenzen werden durch Zusatzinformationen angereichert. Die Materialien und Aufgaben beziehen sich auf die zentralen inhaltlichen Kompetenzbereiche des Religionsunterrichts in der Oberstufe, die Operatoren der Abiturprüfungsanforderungen sind kompatibel. Der Wermutstropfen: Die musikalische Seite der Songs bleibt dabei letztlich unberücksichtigt. Der Zugang bemächtigt sich dadurch nicht der subjektiven Hörerlebnisse informativ 52 Bedeutung von Musik für Martin Luther (Seite 71ff.) mitten in den Ratschlägen, wie mit Klassen gesungen bzw. Bodypercussion geübt werden kann. Das Ziel Lindners ist allen, die einen Zugang zu Musik haben, unmittelbar einleuchtend: „Ich glaube nicht, dass ein Musiker, der seinen Job ernst nimmt, Atheist sein kann.“ (Heinz-Rudolf-Kunze, zitiert nach www.cicero. de/presse/heinz-rudolf-kunze-echte-musiker-koennenkeine-atheisten-sein, 30. Juli 2015 letzter Zugriff am 19. Januar 2016, 14.50 Uhr). Die Beispiele, die dazu verwendet werden, stammen überwiegend und ganz bewusst nicht aus dem Popularbereich. Heike Lindner will bewusst mit Fremdheit arbeiten und nutzt daher vorwiegend Musik aus dem Bereich Klassik und Avantgarde. Auch die praktischen Anleitungen z. B. von Singen mit pubertierenden Klassen sind überaus hilfreich, bedürfen aber einer großen persönlichen Affinität der Lehrkräfte nicht nur zu Musik, sondern auch zu einem souveränen Umgang mit Medien und Arbeitsmaterialien, die sich für Kinder und Jugendliche nicht unmittelbar aus ihrer Lebenswelt heraus erschließen lassen. Das damit verbundene didaktische Konzept erläutert Heike Lindner an manchen Stellen, vor allem aber in ihrer Dissertation. Daher finden in diesem Werk vor allem diejenigen Anregungen für die eigene Unterrichtsvorbereitung, die schon einige Erfahrung im Umgang mit Musik im Religionsunterricht haben und sich auf neue, spannende Begegnungen mit dem besonderen Zeichensystem von Musik und Religion einlassen wollen. Sönke v. Stemm *** Friedrich Schweitzer, Christoph H. Maaß, Katja Lißmann, Georg Hardecker, Wolfgang Ilg: Konfirmandenarbeit im Wandel – Neue Herausforderungen und Chancen. Perspektiven aus der zweiten bundesweiten Studie Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten Bd. 6, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, ISBN: 978-3-579-05276-2, 340 Seiten, 44,00 Euro Der Auswertungsband der zweiten Konfirmandenstudie (Erhebungs zeitraum 2012/13) ergänzt die Reihe Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten um aktuelle Bef unde zur Konfirmandenarbeit in Deutschland und eröffnet zugleich die Möglichlichkeit des Vergleichs mit den Ergebnissen der ersten Studie (Erhebungszeitraum 2007/08, veröffentlicht 2009 als Bd. 3 der Reihe). Wieder gewähren die Ergebnisse der zwei Befragungszeitpunkte der Studie, zu Beginn der Konfirmandenzeit sowie kurz vor der Konfirmation, pädagogisch, soziologisch und strukturell relevante Einblicke in die Entwicklung der Jugendlichen, in das Potenzial der Konfirmandenarbeit und in vergebene Chancen. Der Vergleichszeitraum von fünf Jahren (zwischen erster und zweiter Studie) ermöglicht indes nur begrenzt die verlässliche Beschreibung von Entwicklungstendenzen, sodass dem bewanderten Leser einige Ergebnisse bereits bekannt sein könnten. Die Einordnung der Befunde in den Kontext anderer Studien sowie der Abgleich entsprechender Ergebnisinterpretationen führen gegenüber dem Auswertungsband der ersten Studie jedoch zu aktuellen Themenschwerpunkten und Kontroversen, die den Band sehr lesenswert machen. Auf drei inhaltliche Pointen sei an dieser Stelle exem plarisch verwiesen. Vor dem Hintergrund der Shell- Jugendstudie 2010 sowie der letzten EKD-Mitglied schaftsuntersuchung (KMU V.) und deren frappierenden Befunden zur nachlassenden religiösen Sozialisation Jugendlicher richtet sich der Fokus der Autoren zunächst auf die religiöse und die kirchliche Sozialisation der Konfirmandinnen und Konfirmanden. Im Hinblick auf letztere gehen sie der Reichweite kirchlicher Bildungs angebote nach und stellen ein deutliches Defizit fest. Die Ergebnisse der Konfirmandenstudie zeigten, dass die kirchlichen Bildungsangebote eine fehlende kirchliche Sozialisation vonseiten des Elternhauses bislang nicht kompensieren könnten. Darüber hinaus widersprechen die Autoren empirisch fundiert der These von einem säkularisationsbedingten Rückgang der absoluten Konfirmandenzahlen und führen diesen Effekt stattdessen auf demografische Veränderungen zurück. Die inhaltliche Gestaltung der Konfirmandenarbeit wird u.a. im Hinblick auf die Zufriedenheit der Jugendlichen und die Mitgestaltungsmöglichkeiten betrachtet. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass viele Konfirmandinnen und Konfirmanden ihre eigenen Fragen an den Glauben nicht beantwortet sehen und die Konfirmandenarbeit zu großen Teilen als losgelöst von ihren alltäglichen Fragen wahrnehmen. Die Autoren der Studie markieren hier (im Vergleich zur ersten Studie) gleichbleibenden Reformbedarf, zugleich vermeiden sie es, überhöhte Ansprüche an die Praxis zu stellen. Der Tenor der Reformvorschläge ist mahnend, aber immer auch wertschätzend, was sich im Übrigen als große Stärke durch den gesamten Band zieht. Die Möglichkeiten und Grenzen der an der Konfirmandenarbeit beteiligten Haupt- und Ehrenamtlichen werden sensibel wahrgenommen und die Ergebnisse der Studie als Anregungen formuliert, die Konfirmandenarbeit weiter zu reformieren. Auch wenn erste Verbesserungsbemühungen, wie sie aus der Rezeption der ersten Studie erwuchsen, bereits Früchte tragen, sei der grundlegende Wandel vom konventionellen Konfirmandenu nterricht zur Konfirmandenarbeit noch nicht abgeschlossen. Wie schon in der ersten Konfirmandenstudie fragen die Autoren schließlich nach dem Ertrag der Konfir Loccumer Pelikan 1/2016 Diese ausschnittartige Darstellung zeigt bereits die Bandbreite kritischer Impulse der Studie, die wissenschaftliche Theoriebildung dieses Arbeitsfeldes ebenso betreffend wie dessen praktische Optimierung. Damit ist der Auswertungsband, was den Vergleich der Ergebnisse mit der ersten Studie anbelangt, nicht unverzichtbar, in seiner Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und anderen empirischen Studien jedoch ausgesprochen anregend und gewinnbringend. Elisabeth Hohensee Nachrichten aus Schule, Staat und Kirche Musizieren fördert Bildungserfolge von Jugendlichen Jugendliche, die schon in jungen Jahren Musikunterricht hatten, haben bessere Schulnoten als andere. Darüber hinaus sind sie gewissenhafter, offener und ehrgeiziger. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Untersuchung auf der Basis von Daten der Langzeitstudie Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) im DIW Berlin, die bereits im Jahr 2014 in der renommierten Fachzeitschrift „Economics of Education Review“ (Heft 44, 2015) veröffentlicht wurde. Im Detail zeigt die Analyse der SOEP-Daten: Jugend liche, die von Kindesbeinen an musizieren, haben bessere Schulnoten als andere – und zwar unabhängig davon, ob sie aus einem bildungsnäheren oder bildungsferneren Elternhaus kommen. Darüber hinaus sind sie gewissenhafter, offener und auch ehrgeiziger: Die Analysen der Forscher zeigen, dass sie mit einer um acht Prozent höheren Wahrscheinlichkeit als andere das Abitur und danach ein Studium anstreben. Die Forscher konnten belegen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Musikunterricht in jungen Jahren und besseren Bildungserfolgen besteht, der nicht vom Bildungsniveau und Einkommen der Eltern häuser abhängig ist. Gleichwohl entscheidet die Bildung der Eltern noch immer maßgeblich darüber, ob Kinder außerhalb der Schule musizieren oder nicht. Nach wie vor nehmen vor allem Jugendliche aus höheren sozialen Schichten Musik stunden. Die Wissenschaftler fordern daher eine stärkere staatliche Förderung von außerschulischem Musik unterricht, an dem Jugendliche unabhängig von der sozialen Stellung ihrer Eltern teilnehmen können. Als Beispiel nennen sie das Programm „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi), das es Kindern ermöglicht, ein Jahr lang kostenlos ein Instrument zu lernen. (www.diw.de) „grips gewinnt“ – Schülerstipendien für begabte und engagierte Jugendliche Schüler aus benachteiligten Familien können sich noch bis zum 15. März 2016 für die diesjährigen Schülersti Loccumer Pelikan 1/2016 53 pendien „grips gewinnt“ bewerben. Mit dem Stipendien programm unterstützen die Joachim Herz Stiftung und die Robert Bosch Stiftung jedes Jahr bis zu 110 engagier te und leistungsstarke Jugendliche auf dem Weg zum Abitur oder zur Fachhochschulreife. Neben einer finanziellen Unterstützung bietet das Stipendium vielf ältige Bildungsangebote (Seminare, Studientage, Sommeraka demien etc.) und eine persönliche Beratung der Jugend lichen. Auswahlkriterien sind das Begabungsp oten zial der Schüler, schulisches und/oder außerschulisches Engagement sowie die soziale Situation der Familie. „grips gewinnt“ wird in Bremen, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein angeboten. Die Bewerbungsunter lagen gibt es unter www.grips-stipendium.de. Zwei Aufführungen des Pop-Oratoriums „Luther“ in Hannover geplant Das Pop-Oratorium „Luther“ über den Kirchenreformator Martin Luther wird im kommenden Jahr in Hannover gleich zweimal aufgeführt werden. Grund sei der große Zuspruch von Chören und Einzelpersonen, die im Chor der Aufführung mitmachen wollen, so der Direktor des Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik im Micha elisk loster Hildesheim, Jochen Arnold. Es hätten sich bereits rund 1.500 Sängerinnen und Sänger angemeldet. Anlässlich des 500. Reformationsjubiläums studieren Hobby-Musiker in ganz Deutschland das Musik-Stück aus der Feder des Hamburger Musical-Autors Michael Kunze und des Düsseldorfer Komponisten Dieter Falk ein. Bei der Weltpremiere von „Luther – das Projekt der tausend Stimmen“ hatten am Reformationstag 2015 in Dortmund mehr als 3.000 Sänger und Sängerinnen mitgewirkt. Außer in Hannover kommt das Pop-Oratorium 2017 in Stuttgart, Düsseldorf, Mannheim, Hamburg, Halle (West falen), München und Berlin zur Aufführung. Weitere In formationen und Tickets im Internet unter www.lutheroratorium.de. informativ mandenarbeit für das gesellschaftliche Zusammenleben in der Form von „Bildung für die Zivilgesellschaft“ (S. 109ff). Hierunter subsumieren sie die Annahme, dass die Anregung zu ehrenamtlichem Engagement, die die Konfirmandenarbeit (in steigendem Maße) leiste, als entscheidender Beitrag zu sozialem Lernen, prosozialen Einstellungen und letztlich gelingenden gesellschaftlichen Verständigungsprozessen gewertet werden könne. Tatsächlich weiterreichende Ergebnisse zu den Umständen jugendlichen Ehrenamtes verspricht die von den Autoren für 2015 geplante dritte Erhebung, die sich an kirchlich engagierte Jugendliche richtet. informativ 54 Anne-Frank-Wanderausstellung im April in Nienburg Vom 7. April bis 3. Mai wird die Ausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ in der St.-Mar tinskirche in Nienburg/Weser gezeigt. Die Schau, die vom Anne Frank Zentrum in Berlin konzipiert wurde und seit 2012 durch Deutschland tourt, fußt auf dem Tagebuch des jüdischen Mädchens Anne Frank (1929-1945), das zu einem Symbol für den Völkermord an den Juden durch die Nationalsozialisten geworden ist. Kern des Projektes, das sich vornehmlich an ein junges Publikum, insbesondere an Schüler, richtet, ist das Konzept „Jugendliche begleiten Jugendliche“. Junge Menschen aus Nienburg führen die Besuchergruppen durch die Ausstellung. Nähere Informationen und Anmeldung für Schulklassen unter www.annefranknienburg.de. Länderinformationen zu Kirchen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa Wer engagiert sich wo? Diese Frage stellen sich Landes kirchen oder Hilfswerke, die Partnerschaftskontakte zu ausländischen Kirchen aufnehmen. Aber auch vor Reisen von Gruppen oder leitenden Gremien ist es hilfreich zu wissen, welche Landeskirche, Initiative oder Hilfswerk wo engagiert ist. Die Informations- und Kontaktstelle Osteuropa (IKOE) im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat die vielfältigen kirch lichen und diakonischen Kontakte in die mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder zusammengetragen und stellt diese Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Neben den partnerschaftlichen Kontakten der EKD in diese Länder werden auch Partnerschaftsbeziehungen der Landeskirchen und Diakonischen Werke sowie zentral und regional geförderte Projekte aufgeführt. Als aktualisierte Ausgaben sind jetzt zwölf Länderinformationshefte neu erschienen: Baltische Staaten, Tschechien, Slowakei, Rumänien, Ungarn, Mittelasiatische und Kaukasische Republiken, Belarus/Ukraine/Moldau, Russische Födera tion, Südosteuropa I (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herze gowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Mazedonien), Südosteuropa II (Albanien/Bulgarien) und Polen. Die DIN-A-5-Broschüren können kostenlos bezogen werden über die Informations- und Kontaktstelle Ost europa (IKOE) im Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail: [email protected] oder sind im Internet abrufbar unter www.ekd.de/international/regio nalreferate/ikoe.html Impressum Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes Der »Loccumer Pelikan« wird herausgegeben vom Religions pädagogischen Institut Loccum. Er informiert über die Arbeit des Religionspädagogischen Instituts und beteiligt sich an der religionspädagogischen Grundsatzdisk ussion. Er berichtet über Neuigkeiten im Feld von Schule und Gemeinde und bietet Unterrichtenden Hilfen für ihre Arbeit. Die vierte Ausgabe eines Jahres enthält das Jahresprogramm des RPI für das folgende Jahr. Schulen und Kirchenkreise erhalten den »Loccumer Pelikan« regelmäßig, interessierte Einzelpersonen erhalten ihn auf Anfrage im RPI Loccum kostenlos. Eine Spende zur Deckung der Produktions- und Versandkosten ist erwünscht. Prof. Dr. Jochen M. Arnold, Michaeliskloster Hildesheim, Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik, Hinter der Michaeliskirche 3-5, 31134 Hildesheim Bankverbindung: IBAN: DE36 5206 0410 0000 0060 50, BIC: GENODEF1EK1, Evangelische Bank eG Kassel Eva Gotthold, Körnerstr. 3, 31303 Burgdorf Redaktion: Oliver Friedrich (verantwortlich), Dr. Silke Leonhard, Beate Peters, Kirsten Rabe, Dr. Sönke von Stemm, Anne Sator (Layout). Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Die Rechte an den Artikeln liegen bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren. Die Redaktion bemüht sich, alle Rechtsinhaber der verwendeten Bilder und Texte zu ermitteln. Dies ist nicht immer in allen Fällen möglich. Berechtigte Ansprüche werden natürlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten. Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: 10.500 Druck: Weserdruckerei Oesselmann, Stolzenau/Weser Religionspädagogisches Institut Loccum, Uhlhornweg 10-12, 31547 Rehburg-Loccum Telefon: 05766/81-136, Telefax: 05766/81-184, E-Mail: [email protected], Internet: www.rpi-loccum.de Prof. Dr. Peter Bubmann, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Kochstr. 6, 91054 Erlangen Til von Dombois, Kirchenkreis Laatzen-Springe, Popkantor Til von Dombois, Corvinusplatz 2, 30982 Pattensen Dr. Thomas Ebinger, ptz Stuttgart, Grüninger Str. 25, 70599 Stuttgart Oliver Friedrich, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12, 31547 Rehburg-Loccum Elisabeth Hohensee, Theologische Fakultät, Platz der Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen Franziska Jaap, Kurt-Schwitters-Gymnasium, Hinter der Alten Burg 3, 30629 Hannover Claudia Kasprzyck, Musikhaus Kasprzyck, Celler Str. 8, 29386 Hankensbüttel Axel Klein, Ev.- luth. Landeskirche in Braunschweig, Konfirmandenarbeit und schulbezogene Jugendarbeit, Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel Dr. Silke Leonhard, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12, 31547 Rehburg-Loccum Prof. Dr. Christhard Lück, Bergische Universität Wuppertal, Fachbereich A – Evangelische Theologie, Gaußstr. 20, 42097 Wuppertal Gerd-Peter Münden, Projektbüro „Klasse! Wir singen“, Hamburger Straße 273b, 38114 Braunschweig, Dr. Sönke von Stemm, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12, 31547 Rehburg-Loccum Almut Volkers, Leipziger Straße 4, 37085 Göttingen Loccumer Pelikan 1/2016 Veranstaltungen von März bis Mai 2016 Treffpunkt Konfirmandenarbeit Bibel für und mit Konfis für Diakoninnen und Diakone, Pastorinnen und Pastoren und Ehren amtliche in der Konfirmandenarbeit 30. – 31. Mai 2016 Leitung: N.N. n FACH- UND STUDIENTAGUNGEN Unterwegs zur guten Schule: Religionspädagogische Schulbegehungen zu Hamburger Wegen des Religionsunterrichts: Nachbereitungstagung (geschlossener Teilnehmerkreis) 9. April 2016, Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Dr. Silke Leonhard, Prof. Dr. Bernd Schröder nELEMENTARPÄDAGOGIK Grundkurs Religionspädagogik für vorrangig neue pädagogische Fachkräfte ohne religionspädagogische Erfahrungen Kooperationstagung DWiN und RPI, Anmeldungen über das DWiN 4. – 8. April 2016 Leitung: Frauke Lange, Andrea Lucker „Unsere Kita“ – erkennbar evangelisch!? Das Pfarramt und die KiTa-Leitung gemeinsam auf dem Weg zu einer Profilbildung für Leitungen von Kindertagesstätten und Pastorinnen und Pastoren Kooperationstagung RPI/FEA/PK 8. – 11. März 2016 Ort: Lutherheim Springe Leitung: Frauke Lange, Caroline Warnecke Anmeldung: [email protected] Konferenz Didaktische Leitungen Heterogenität als Herausforderung für Didaktische Leiterinnen und Leiter an Oberschulen und Gesamtschulen Niedersachsens 10. – 11. März 2016, Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Dr. Silke Leonhard, Dietmar Peter Gemeinsam mit der Kita auf dem Weg des Glaubens für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, die („neu“) für eine evangelische Kindertageseinrichtung zuständig sind Kooperationstagung RPI/DWiN und FEA, Anmeldungen über das DWiN 20. – 22. April 2016 Leitung: Frauke Lange, Ina Seidensticker Schmerz! Religionspädagogische Zugänge zum Thema „Passion“ für Studierende der Ev. Theologie an der Universität Hannover 15. – 18. März 2016 Beginn: 14.00 Uhr, Ende: 14.00 Uhr Ort: Freizeitheim Sattenhausen Leitung:Dr. Silke Leonhard, Prof. Dr. Hans-Martin Gutmann, Swantje Luthe Kolloquium Kindergarten – „Hallo Luther“ in der Kita für Leitungen von Kindertagesstätten, pädagogische Leitungen und Fachberatungen 23. – 25. Mai 2016 Leitung: Frauke Lange, Ina Seidensticker Fachtagung Schulaufsicht / Schulinspektion für Dezernentinnen und Dezernenten, Schulinspektorinnen und Schulinspektoren 2. – 3. Mai 2016 Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Dr. Silke Leonhard Kooperation zwischen Schule und Kirche III für Studierende der Universität Hannover und alle Interessierten in Kooperation mit der Universität Hannover 17. – 18. Mai 2016 Leitung: N.N., Prof. Dr. Dr. Harry Noormann n THEOLOGISCHE FORTBILDUNG Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen – Umgang mit biblischen Texten im Religionsunterricht für Lehrerinnen und Lehrer, die fachfremd Evangelische Religion unterrichten, sowie Interessierte 25. – 27. April 2016 Leitung: Matthias Hülsmann Loccumer Pelikan 1/2016 nFÖRDERSCHULE Maiglöckchenklang und Frühlings-Gefühle-Gesang … – Religionsunterricht einmal anders musikalisch gestalten und mit allen Sinnen genießen für Förderschullehrerinnen und Lehrer, Lehrerinnen und Lehrer, Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Förder schulen oder im Rahmen von Integration oder Inklusion evangelischen Religionsunterricht erteilen oder begleiten 3. – 5. März 2016 Leitung: Birte Hagestedt Bibelgeschichten und -worte kreativ – Ideen für den Religionsunterricht an Förderschulen für Förderschullehrerinnen und -lehrer, Lehrerinnen und Lehrer, Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Förder schulen oder im Rahmen der Inklusion oder Integration evangelischen Religionsunterricht erteilen oder begleiten 23. – 25. Mai 2016 Leitung: Birte Hagestedt informativ nTREFFPUNKTE 55 nGRUNDSCHULE Abraham, Isaak und Ismael für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die in der Grundschule evangelischen Religionsunterricht erteilen 27. – 29. April 2016 Leitung: Beate Peters 56 n HAUPT-, REAL- UND OBERSCHULE informativ Weiterbildung „Evangelischer Religionsunterricht im Sekundarbereich I“ (geschlossener Teilnehmerkreis) in Kooperation mit dem NLQ Kurs IX: Judentum und Islam 2. – 5. März 2016 Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska Kurs X: Kirche in Geschichte und Gegenwart 14. – 16. April 2016 Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska Kurs XI: Religionspädagogik 19. – 21. Mai 2016 Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska Religionsunterricht im Dialog – Kirche und Moschee für Lehrerinnen und Lehrer, die evangelischen, katholischen oder islamischen Religionsunterricht erteilen. Weitere Informationen unter www.rpi-loccum.de/veranstaltungen/ haupt-real-und-oberschule/2016-03-09_sek1 9. März 2016 Leitung: Team; Dietmar Peter für das RPI, Ort: Jama‘at-un Nur e.V. Hannover, Dieckbornstr. 11, 30449 Hannover Beginn: 10:00 Uhr Handyvideos im Religionsunterricht für Lehrerinnen und Lehrer, die in der Haupt-, Real- oder Oberschule evangelischen Religionsunterricht erteilen. 20. – 22. April 2016 Leitung: Dietmar Peter Konferenz der Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter Religionssensible Schulkultur für Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter für das Fach Evangelische Religion 11. – 13. Mai 2016 Leitung: Dietmar Peter Konferenz der Haupt-, Real- und Oberschulrektorinnen und -rektoren Flüchtlinge – eine besondere Herausforderung für Schulen für Rektorinnen und Rektoren an niedersächsischen Haupt-, Realund Oberschulen 26. – 27. Mai 2016 Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Dietmar Peter n GYMNASIUM UND GESAMTSCHULEN Abi-Werkstatt Zentralabitur 2017/2018 für Lehrerinnen und Lehrer sowie Pastorinnen und Pastoren, die an Gymnasien und Gesamtschulen evangelischen Religionsunterricht erteilen 21. – 23. März 2016 Leitung: Matthias Hülsmann Landeswettbewerb Evangelische Religion – Gutachtertagung (geschlossener Teilnehmerkreis) 5. – 6. April 2016 Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Kirsten Rabe Neu in der Schule – Gymnasium und Gesamtschule Modul III (Methodik) und Modul IV (Leistungsmessung und -bewertung) für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone sowie interessierte Lehrerinnen und Lehrer, die an Gymnasien und Gesamtschulen evangelischen Religionsunterricht erteilen 27. – 29. April 2016 Leitung: Kirsten Rabe Landeswettbewerb Evangelische Religion – Jury-Treffen (geschlossener Teilnehmerkreis) 12. Mai 2016 Beginn: 12.30 Uhr Ende: 19.00 Uhr Leitung: Kirsten Rabe n BERUFSBILDENDE SCHULEN Konferenz der Fachleiter/-innen und Fachberater/-innen für Berufsbildende Schulen Profiliert evangelisch sein – konfessionell-kooperativ denken für Fachleiterinnen und Fachleiter sowie Fachberaterinnen und Fachberater für evangelischen Religionsunterricht an Berufsbil denden Schulen (geschlossener Teilnehmerkreis) 10. – 11. Mai 2016 Beginn: 10.00 Uhr Ende: 16.00 Uhr Leitung: Bettina Wittmann-Stasch, Heiko Lamprecht Filme für den BRU für Lehrerinnen und Lehrer, Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, die an Berufsbildenden Schulen Religionsunterricht erteilen 18. – 20. Mai 2016 Leitung: Bettina Wittmann-Stasch, Dr. Thomas Kroll nBIBLIODRAMA Der Körper versteht schon, während der Geist noch kramt (frei nach S. Essen) – Körperarbeit im bibliodramatischen Prozess für Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen, Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone 20. – 22. April 2016 Leitung: Lissy Weidner nINKLUSION Über Tische und Bänke …? Handlungsmöglichkeiten in einem inklusiven Unterricht – Classroom Management, Co-Teaching & Co – Grundschule Teil 3 für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die im Rahmen von Inklusion oder Integration evangelischen Reli gionsunterricht in der Grundschule erteilen, sowie für Förder schullehrerinnen und -lehrer, Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Inklusion oder Integration tätig sind oder sein werden 11. – 13. Mai 2016 Leitung: Birte Hagestedt Loccumer Pelikan 1/2016 n AUSBILDUNG DER VIKARINNEN UND VIKARE Loccumer Werkstatt Religionsunterricht: Religion in Klasse 2 für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die in der Grundschule evangelischen Religionsunterricht erteilen 21. – 22. April 2016 Beginn: 10.00 Uhr Leitung: Beate Peters Die religionspädagogische Ausbildung der Vikarinnen und Vikare umfasst drei Lehrgänge und ein Schulpraktikum sowie ein gemeindepädagogisches Projekt. Schule und Gemeinde werden in den Blick genommen; didaktische und methodische Grundlagen für die Arbeit an unterschiedlichen Lernorten werden erarbeitet und an den Ausbildungsorten Schule und Gemeinde in religionspädagogisches Handeln umgesetzt. Vorbereitung der Lernwerkstatt-Ausstellungen Interessierte sind herzlich eingeladen, nach Rücksprache neu in der Gruppe mitzuarbeiten. 11. – 12. März 2016 Ende: 16.00 Uhr Leitung: Beate Peters Vikarskurs 5: Mentorentag 16. – 17. März 2016 Leitung: Oliver Friedrich Vikarskurs 5: Religionspädagogik 14. – 24. März 2016 Leitung: Oliver Friedrich nSCHULSEELSORGE nKONFIRMANDENARBEIT Langzeitfortbildung Schulseelsorge Kursreihe XII für Lehrerinnen und Lehrer, Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, die evangelischen Religionsunterricht erteilen (geschlossener Teilnehmerkreis) 7. – 9. April 2016 Leitung: Astrid Lier, Hartmut Talke Fachtag Schulseelsorge Traumasensibilität und Traumapädagogik für Absolventinnen und Absolventen der Weiterbildung Schulseel sorge 3. – 4. März 2016 Beginn: 10.00 Uhr Leitung:Bettina Wittmann-Stasch, Astrid Lier, Almut Künkel, Hartmut Talke Konfis, Teams und Eltern brauchen mehr als Unterricht! Seelsorge, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen in der pädagogischen Arbeit für Diakoninnen und Diakone, Pastorinnen und Pastoren und Ehren amtliche in der Konfirmandenarbeit, Beraterinnen und Berater in Kooperation mit dem Zentrum für Seelsorge der Ev.-luth. Landes kirche Hannovers 7. – 9. März 2016 Leitung: Dr. Sönke v. Stemm Konfirmandenarbeit – best of Einheiten, Ideen und Materialien austauschen und erarbeiten für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, FEApflichtige/FEA-berechtigte, Beraterinnen und Berater in Kooperation mit Fortbildung in den ersten Amtsjahren (FEA) 2. – 4. Mai 2016 Leitung: N.N., Claudia Prössel nVOKATIONSTAGUNGEN nKIRCHENPÄDAGOGIK Vokationstagung für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger, Lehrerinnen und Lehrer mit der Fakultas Evangelische Religion Zum Anmeldeverfahren siehe www.kirche-schule.de 11. – 13. Mai 2016 Beginn: 11.00 Uhr Leitung: Dr. Silke Leonhard, Beate Peters Klausurtagung für Kirchenpädagogikbeauftragte (geschlossener Teilnehmerkreis) 27. – 28. Mai 2016 Leitung: Matthias Hülsmann Hinweise zum Veranstaltungsprogramm des RPI Ausführliche Hinweise zu den Tagungen finden Sie im Jahresprogramm 2016 (Beilage zum Pelikan Heft 4/2015) oder im Internet unter www.rpi-loccum.de. Anmeldungen dort online oder mit der Postkarte im Jahresprogramm. Die Fortbildungsangebote an Religionslehrerinnen und -lehrer gelten als dienstliche Fortbildung. Die Teilnahme ist in der Regel ohne Inanspruchnahme von Sonderurlaub möglich. Die Angebote gelten jeweils für die genannten Zielgruppen. Anmeldungen sind auch ohne besondere Einladung erwünscht. Sie gelten als verbindlich und grundsätzlich für die gesamte Dauer der Veranstaltung. Im Ausnahmefall bitten wir aus Planungs- und Kostengründen um vorherige Rücksprache mit der jeweiligen Tagungsleitung. Es erfolgt eine Anmeldebestätigung per eMail. Die Eigenbeteiligung an RPI-Tagungen beträgt 15,00 Euro pro Tag. Ruheständler zahlen den vollen Kursbeitrag. Wir bitten um Verständnis, dass bei zu hohen Anmeldezahlen diejenigen Vorrang haben, die sich aktiv im Dienst befinden. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an kirchenpädagogischen Tagungen werden 50 Prozent der Kosten als Eigenbeteiligung erhoben. Wir weisen auf die Möglichkeit hin, eine Erstattung der restlichen Kosten beim Anstellungsträger bzw. über die Kirchengemeinde zu beantragen. Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern und Teilnehmende, die bei einem anderen Anstellungsträger beschäftigt sind oder die nicht im Bereich der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen arbeiten, zahlen den vollen Tagessatz in Höhe von 58,00 Euro bzw. bei nur einer Übernachtung in Höhe von 60,50 Euro. Möchten Sie in Wunstorf vom Bahnhof abgeholt werden (Abfahrt ca. 14.30 Uhr: 4,00 Euro), melden Sie dies bitte spätestens eine Woche vor Beginn des Seminars unter der in der Einladung genannten Telefonnummer an. Weitere Einzelheiten werden jeweils bei der Einladung mitgeteilt oder sind im Büro des RPI (Frau Becker 05766/81-136) zu erfragen. Loccumer Pelikan 1/2016 57 informativ nLERNWERKSTATT Postvertriebsstück H 7407 Religionspädagogisches Institut Loccum, Uhlhornweg 10, 31547 Rehburg-Loccum Deutsche Post AG Entgelt bezahlt Aktualisierte Auflage Loccumer Pelikan auf CD-ROM incl. aller erschienenen Ausgaben ab der Ausgabe 1/1993 ISBN 3-936420-16-5 4,90 Euro Die Artikel sind mit Hilfe einer Suchfunktion recherchierbar und lassen sich ausdrucken. Bestellungen an: [email protected] Tel.: 05766 81-165 Der Pelikan im Internet: www.rpi-loccum.de/dms/rpi_loccum/Materialpool/Pelikan/Pelikanhefte/pelikan1_16.pdf
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