Heft als PDF - Religionspädagogisches Institut Loccum

ISSN 1435-8387
Loccumer
Pelikan
1/16
Religionspädagogisches Magazin für Schule und Gemeinde
des Religionspädagogischen Instituts Loccum
Religion und Musik
Musik und Evangelium
– eine wunderbare
Beziehung
Musik und Religion
– ein didaktisches
Traumpaar
Evangelische
Tradition in aktuellen
Liederbüchern
Die Jonageschichte
musikalisch umsetzen
Reformation durchs
Lied: gesungener Protest
„Du hast ihn nie
verraten, deinen Plan
von Glück!“
„Musibel“ – Musicals
selbst produzieren
„You´ll never walk
alone“ – Fangesänge
und Religion
„Klasse! Wir singen“
loccum
inhalt
Silke Leonhard
editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
inhalt
grundsätzlich
Jochen Arnold
Musik und Evangelium – eine wunderbare Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Peter Bubmann
Musik und Religion – ein didaktisches Traumpaar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
nachgefragt
Thomas Ebinger und Til von Dombois Welche Rolle spielt die evangelische
Tradition in aktuellen Liederbüchern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
praktisch
Almut Volkers „Manchmal geht es mir wie Jona“.
Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken … . . . . . . . . . . . . 16
Eva Gotthold Reformation durchs Lied: gesungener Protest.
Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums . . . . . 22
Franziska Jaap „Du hast ihn nie verraten, deinen Plan von Glück!“
Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Axel Klein „Musibel“ – Musicals selbst produzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
Christhard Lück
„96, alte Liebe“ oder „You´ll never walk alone“.
Fangesänge und ihre religiösen Implikationen als Gegenstände
eines lebensweltorientierten Religionsunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
informativ
Gerd-Peter Münden „Klasse! Wir singen“.
Ein kulturübergreifendes Musikprojekt für Klassenstufe 1 bis 7. . . . . . . . . . . . . . . . 43
Oliver Friedrich Die Kinder des Monsieur Mathieu.
Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Sönke von Stemm und
Claudia Kasprzyck
Konfirmandenarbeit mit musischen Projekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Ausgestellt: Jürgen Born: Jazz colours – von der Sichtbarkeit der Töne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Interaktive Wanderausstellung „Religramme. Gesichter der Religionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
In eigener Sache: Matthias Hülsmann neuer Dozent für Theologische Fortbildung und Kirchenpädagogik . . . . .
Buch- und Materialbesprechungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachrichten aus Schule, Staat und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Veranstaltungen von März bis Mai 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Titelbild: „Klasse! Wir singen“
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editorial
editorial
1
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was wäre das Leben ohne Religion und ohne Musik?
Beide verbindet eine gewisse Verwandtschaft: Musik
und Religion sind kulturell geprägt, sie haben etwas
Spirituelles und sie bringen Menschen zusammen. Für
diese Metaphorik gibt es gründliche Gründe. Wir widmen das vorliegende kompakte Heft – auch im Nachklapp
zum Treffpunkt Religion im vergangenen Herbst – dieser
Dimension, die Menschen zu durchdringen, Generationen,
Religionen und Völker zu kennzeichnen, aber auch zu verbinden vermag.
In den letzten Monaten hat sich ein Thema besonderes Gehör verschafft: Die Frage nach Hilfe im Umgang
mit Flüchtlingen ist auf vielen Ebenen zu einem der
brennendsten Themen der Öffentlichkeit geworden.
Persönliche und politische Erfahrungen werden berührt,
pädagogische und religiöse Belange sind betroffen und
liegen in Bezug auf aufbrechende Fragen, wie Bildung
und Erziehung ermöglicht und organisiert werden, oben
auf. Die Jahreslosung 2016 antwortet auf Leiderfahrung,
aber auch auf entstehende Verunsicherung mit einer
Trostverheißung, indem sie prophetisch Glauben im
Gleichnis familiärer Verwurzelung aufgreift. Gott spricht
[den Menschen zu]: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet (Jesaja 66,13). Dass Musik hilft, zeigt
Heinz-Rudolf Kunzes gleichnamige Initiative, mit der
Instrumente für die Flüchtlingsarbeit gesammelt werden.
Viele Informationen finden Sie im Themenportal des RPI
zu Flüchtlingen (www.rpi-loccum.de/ThemenportalFluechtlinge).
Beim Weiterlesen dieser Ausgabe finden Sie grundsätzliche Überlegungen, Gedanken, Informationen und
Anregungen zu klingender Praxis in Kita, Schule und
Konfirmandenarbeit. Singen gehört zur Menschwerdung
hinzu – diese Erfahrung zieht sich durch das Heft, in
dem Impulse im Kontext von Musikprojekt, fächerverbindendem Unterricht, kirchengeschichtlichen Themen
Loccumer Pelikan 1/2016
und anderen Impulsen mehr bis zur singenden Schule
gegeben werden. Jochen Arnold kristallisiert heraus:
Als Botschaft versetzt Musik den Menschen von einer
anderen Sphäre her in Schwingungen. Insofern ist sie
performativ und inszeniert Gottes bei uns wohnende
Zuwendung. Peter Bubmann zeigt entwicklungsbezogen
die anthropologischen Funktionen und Bildungschancen
einer subjektorientierten Didaktik auf, die durch und
mit Musik arbeitet. Das Projekt Klasse! Wir singen gibt
ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass Musik nicht
nur leistungsbetonten Könnern gegönnt ist, sondern mit
körpereigenen Instrumenten kulturelle Teilhabe und
(Schul-)Gemeinschaft stiftet. Geliebte, aber auch ungeliebte Ohrwürmer sind hartnäckig, das hat in ähnlicher
Weise der amerikanische Neurologe Oliver Sacks bereits
beobachtet. Im Alltag fragt man sich oft: Muss es immer
gleich J.S. Bach sein, damit menschliche Wirklichkeit bereichert wird? Und ist das eine Geschmacksfrage? Erste
Hinweise darauf gibt die Rubrik nachgefragt. Wir werden
im Frühjahr mit einer neuen Ausstellung von Jürgen Born
auch Musik sichtbar machen.
Verlocken möchte ich Sie noch anderweitig zum Hin­
sehen – auf die Gesichter verschiedener Religionen in der
interaktiven Wanderausstellung Religramme der Landes­
kirche (www.gesichter-der-religionen.de/ausstellung).
Haben Sie heute schon gesungen, zumindest gesummt?
Wenn nicht: Lassen Sie Ihrer Stimme einmal freien Lauf
und beobachten Sie, was passiert. Mit dem Team des RPI
wünsche ich Ihnen und uns allen ein klingendes, segensreiches und friedvolles Jahr!
Herzlich grüßt Ihre
Dr. Silke Leonhard
Rektorin
ausgestellt
2
Jazz colours –
von der Sichtbarkeit der Töne
Jürgen Born zeigt Werke im Religionspädagogischen Institut
K
ann man Musik malen? Können Klänge in Bildern
„hörbar“ werden? Der Maler Jürgen Born geht
dieser Frage in seinen Arbeiten nach. „Jazz colours“ nennt er das, was er auf der Leinwand tut. Dem Jazz
Farbe geben. „Es sind die Farben des Jazz, die Born faszinieren. Erst mit den Farben des Jazz endete der Widerstreit
zwischen Malerei und Musik. Erst mit dem Jazz gelingt
es Jürgen Born, Töne sichtbar zu machen, Schallwellen
in Lichtwellen umzuwandeln.“ (www.jazzcolours.de)
Viele der großformatigen Werke des Künstlers, der seit
vierzig Jahren mit der Jazzszene in Hannover verbunden ist, zeigen Musiker und Musikerinnen bei dem, was
ihre Leidenschaft ist: Musik machen, Jazz spielen. Die
Menschen und ihre Instrumente stehen im Mittelpunkt
der Bilder von Jürgen Born, die impulsiv und farbintensiv
daher kommen. Seine Bilder sind voller Schwingungen
und Emotionen – so wie die Musik, die die Menschen auf
den Bildern machen.
Borns Werke wurden in den vergangenen Jahren bei
zahlreichen Jazzfestivals gezeigt, u.a. beim Jazzfestival St.
Ingbert und beim internationalen Jazzfestival in Göttingen.
Darüber hinaus sind seine Interpretationen von Künstlern
und Musik als Festivalmotive beliebt. Vom 4. April bis zum
23. Juli präsentiert das Religionspädagogische Institut eine
Auswahl der „Jazzcolours“ von Jürgen Born.
Das RPI ist montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr, sonnabends und sonntags, 9 bis 12 Uhr, geöffnet.
Jürgen Born, Street-Trumpetplayer, 2015, Öl auf
Passepartout, 97 x 90 cm
Oliver Friedrich
Loccumer Pelikan 1/2016
grundsätzlich
Von Jochen Arnold
D
er Philosoph Jürgen Habermas bezeichnete
sich bei der Verleihung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels (2001) bekanntlich
als „religiös unmusikalisch“ und verwendete damit ein
Bonmot, das von Max Weber stammt. Es erzeugt eine
pointierte Verknüpfung von Musik und Religion. Religion
bekommt dadurch etwas Spielerisches, die Musik dagegen
etwas Spirituelles.
Sicherlich gibt es viele Menschen, die (wie Habermas)
wenig Affinität zum Religiösen haben. Ebenso wenig strittig scheint es, dass Musikalität eine Gabe ist, die der eine
weniger und die andere mehr in die Wiege gelegt bekommen hat. Dennoch richtet sich der folgende Beitrag nicht
nur an besonders Gläubige oder besonders Musikalische,
sondern an alle, die Freude daran haben, ungewöhnliche
Bezüge zwischen verschiedenen Welten herzustellen,
z. B. zwischen der Kunst und dem Wort. Was ist, wenn
ein Gedanke plötzlich gemalt wird? Was passiert, wenn
eine schöne Melodie unerwartet mit treffender Botschaft
unterlegt wird?
Sagen wir es deutlicher: Es geht im Folgenden um
das Verhältnis von Musik und Evangelium. Was ist das
Evangelische an der Musik und was ist das Musikalische
am Evangelium?1 Nota bene: Wir sprechen im Folgenden
bewusst von Musik (im Allgemeinen) und nicht zwingend
von Kirchenmusik und beziehen uns dabei auf biblische,
reformatorische und zeitgenössische Texte.
Was ist das Evangelische an der Musik?
Gehen wir zunächst von der ursprünglichen Bedeutung
dessen aus, was evangelisch meint. Evangelisch kommt
aus dem Griechischen von eu-angelion, gute, schöne
Kunde oder Botschaft. Das deutsche Wort Engel (Bote)
stammt daher. Es geht also um Klänge, die nicht aus uns
selbst, sondern als Botschaften von außen, ja vielleicht sogar aus einer anderen Sphäre entgegenkommen. Zugleich
eignet dem Begriff eu-angelion etwas Ereignishaftes,
heute würde man sagen: etwas Performatives, an. Unser
Leben wird durch dadurch zum Positiven verändert, vom
Schönen bezaubert, in Bewegung versetzt zum Guten hin.
Damit ist nicht gesagt, dass Musik per se göttlich
sei. Dies würde christlichem Musikverständnis nicht
entsprechen. Musik – und sei sie noch so schön gespielt
oder gesungen – kann Staunen und Begeisterung wecken,
aber soll nicht selbst zum Gegenstand der Anbetung oder
Verehrung werden. Sie ist Gabe, nicht Idol.
Doch der Reihe nach. Beginnen wir phänomenologisch. Die Welt ist voll von Musik. Ein Blatt raschelt im
Wind, Bienen summen und Vögel singen. Ja, sogar Fische
und Wale im Meer können Töne und Gesänge von sich
geben. Luther schreibt: „Ich wollte von Herzen gerne diese schöne und köstliche Gabe Gottes, die freie Kunst der
Musica, hoch loben und preisen. […] Denn wenn man die
Sache recht betrachtet, so befindet man, dass diese Kunst
von Anfang der Welt allen […] Creaturen von Gott gegeben, und von Anfang mit allen geschaffen ist.“2
Dass die Welt klingt, ist ein Geschenk von höchster
Stelle, eine Art „Schöpfungsevangelium“.
Vorsichtig interpretiert können wir sagen: Die
Schöpfung ist einem aufgeschlagenen Buch vergleichbar. Musikalisch gesprochen ist sie eine zum Klingen
gebrachte Partitur, die auf ihren Schöpfer, den göttlichen
Komponisten, und seine Weisheit verweist.
Treffend heißt es deshalb in Psalm 19,2: Die Himmel
erzählen die Herrlichkeit Gottes und seiner Hände Werk
kündet das Firmament.
Der Dirigent und Musikwissenschaftler Nikolaus
Harnoncourt formuliert dazu: „Musik ist ein Rätsel,
ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt, ei-
1
Vorab sei bemerkt, dass der Begriff „evangelisch“ im Folgenden
nie konfessionell enggeführt ist, sondern immer das zum
Evangelium gehörige Adjektiv meint.
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2
Martin Luther, Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Georg
Rhau (1538), WA 50, 371, Übersetzung Johann Walter.
grundsätzlich
praktisch
Musik und Evangelium –
eine wunderbare Beziehung
3
grundsätzlich
4
Jürgen Born, Carmen Souza singing, 2011, Öl auf Leinwand, 135 x 115 cm
ne Sprache des Unsagbaren, die aber manchen letzten
Wahrheiten und geheimnisvollen Erlebnissen näher kommt
als die Sprache der Worte.“3 Die geheimnisvolle Schönheit
der Weltenmusik ist also auf Musik im Allgemeinen übertragbar. Jede Art menschlicher Musik lässt etwas von der
Phantasie und Weisheit des göttlichen Komponisten erahnen – die kunstvolle Reihe der klingenden Obertöne
etwa, aber auch das Zusammenklingen von Tönen in einer Harmonie usw. Die Ordnung und Schönheit solcher
Klänge zielt darauf, Menschen zu erfreuen und ihnen die
Weisheit des göttlichen Logos (vgl. Joh 1; Weish 7,25-29)
sinnlich erfahrbar zu machen. Der Dirigent Bruno Walter
sagte einmal: „Ich glaube sogar, dass dem Menschen kein
unmittelbarerer Zugang zum Erahnen des Logos und seines Wirkens gegeben ist als durch Musik, die von seinem
göttlich schöpferischen und ordnenden Wesen tönende
Kunde gibt.“4
Das Evangelische an der Musik ist demnach, dass
sie vom Göttlichen Kunde gibt und damit menschliche
Wirklichkeit bereichert. Das tut sie nicht zuletzt dadurch,
dass Menschen beim Musizieren zu sich und zu anderen
finden. Yehudi Menuhin (1916-1999), einer der größten
Geiger des 20. Jahrhunderts, schreibt im Vorwort zu „il
canto del mondo“, einer von ihm initiierten Initiative zur
Förderung des Singens:
„Das Singen ist die eigentliche Muttersprache aller Men­
schen: Denn sie ist die natürlichste und einfachste Weise,
in der wir ungeteilt da sind und uns ganz mitteilen können – mit all unseren Erfahrungen, Empfindungen und
Hoffnungen.“5
3
5
4
6
Vgl. Harnoncourt, Die Macht der Musik, 7f.
Vgl. Walter, Von der Musik und vom Musizieren, 18f.
Singen hilft uns, in der Gegenwart anzukommen
und authentisch Gefühle zu erleben und weiterzugeben.
Indem wir aufeinander hören, wird die Achtsamkeit aufeinander gestärkt und die soziale Kompetenz, vor allem
bei Kindern, gefördert. Studien zeigen auch, dass aktives Musizieren und Singen die Sprachkompetenz stärkt.
Musik tut also gut und bildet die Person. Ja, mehr noch,
sie macht glücklich. Schon das rezeptive Hören von Musik
und noch mehr aktives Singen und Musizieren können
enorme Glücksgefühle auslösen. Bei einer einzigen Stunde
Singen werden ungefähr dreimal so viele Glückshormone
(z. B. Oxytocin und Serotonin) ausgeschüttet wie sonst.6
In kaum vergleichbarer Weise kann so unser vegetatives
Nervensystem harmonisiert werden. Über das sog. limbische System, den Hypothalamus und den Hirnstamm,
wird dies realisiert.
Eine besondere Chance besteht darin, dass durch Musik
Erfahrungen aus der Tiefe des Gedächtnisses wiederkommen. Wenn ein Musikstück an Schnittstellen unseres
Menuhin, Zur Bedeutung des Singens.
Vgl. Grape, Does singing promote well-being?
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7
Rilling, Gedanken zur Musik, schreibt: „Bachs Musik „sagt etwas zu Themen, die heute aktuell sind, etwa in den Passionen zu
Hass, Liebe und Furcht, zu Macht und Intrigen, zu Leiden und
Sterben – aber auch zu Hoffnung und Sehnsucht auf Erlösung.
Und wir heutigen Menschen erfahren Bachs musikalische
Sprache als eine gewaltige Rede, die uns erreicht, bewegt und
bereichert und zum Nachdenken zwingt“ (13f).
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gelebt, ja immer wieder zum Ereignis. Damit sind musikalische Ensembles ein Ort, an dem das Wunder „Friede
auf Erden“ pars pro toto erfahren werden kann. Hier wird
Lebenskunst eingeübt, die Kunst des ungeteilten Daseins
im Spiel, das nie nur ein Dasein für sich selbst, sondern ein
Dasein füreinander ist und zum Frieden anstiftet.
Peter Bubmann schreibt: „Wenn Menschen Musik
schaffen oder hören, kann dies als Ausdruck von Frieden
erfahren werden: als Frieden mit sich selbst, in der
Gesellschaft, in der Natur oder mit Gott. Musikalische
Erfahrungen werden so zum Gleichnis des inneren, gesellschaftlichen oder himmlischen Friedens.“8
Fragen wir zuletzt: Gibt es spezifische musikalische
Mittel, die das alles belegen oder gar beweisen? Ja und
nein. Komponisten arbeiten zu allen Zeiten mit einem
schier unermesslichen „Arsenal“ von Ausdrucksmitteln.
Die Parameter sind Tempo und Takt, Rhythmus und
Harmonie, Dynamik und Artikulation usw. Viele sind,
z. B. durch Volkslieder und Kirchenlieder, auch in einem
„kollektiven Langzeitspeicher“. Die Melodie eines Liedes
etwa kann zahlreiche dieser Parameter (Tonhöhen, Takt,
Tempo, Rhythmus, evtl. Textbezug) in sich vereinigen.
Je nach Kontext und Person wirkt sie auf die Hörenden
oder Singenden/Musizierenden beruhigend oder belebend,
tröstend oder stimulierend. Freude wird z. B. durch ein
schnelles Tempo, vielleicht einen tänzerischen Dreiertakt,
große Sprünge in der Melodie, (helle) strahlende Stimmen
oder Instrumente, evtl. auch eine Dur-Tonalität hervorgerufen. Trost und Beruhigung werden durch ein ruhiges
Tempo und eine lineare, gesangliche Melodie bzw. durch
eine dunklere Instrumentierung vermittelt usw.
Musik ist aufs Ganze gesehen eine performative Kunst,
sie bringt etwas in Bewegung, was so noch nicht da war.
Ihre lebensdienlichen Wirkungen für den Menschen lassen sich bestenfalls voraussehen, aber kaum planen. Doch
fragen wir nun umgekehrt:
Was ist das Musikalische am Evangelium?
In seiner Vorrede zum Septembertestament (1522) schreibt
Martin Luther: „Euangelion ist ein griechisch Wort,
und heißt auf deutsch gute Botschaft, gute Mär, gute
Neuzeitung, gut Geschrei, davon man singet, saget und
fröhlich ist.“9
Damit ist ein (rezeptions-)ästhetisches Kommunika­
tions­­programm beschrieben: Der frohen, schönen und
guten Botschaft von der Gnade Gottes in Christus entspricht eine gute und schöne Form der Mitteilung. Inhalt
und Form entwickeln dabei eine so innige Beziehung,
dass sie schlechter­dings nicht voneinander ablösbar sind.
Das Ziel ist es, Menschen glücklich und froh zu machen,
weil Gott in Christus für sie da ist. Diese Nachricht ist
so wichtig und aktuell, so weltbewegend und ergreifend,
dass sie erklingen und hinausgesungen werden muss. Zu
8
Bubmann, Musikalische Friedenserziehung, 90.
WA NT 6,2.
9
5
grundsätzlich
praktisch
Lebens eine Bedeutung gewonnen hat, weil es z. B. Freude
oder Trauer, Liebe oder Hoffnung auszudrücken vermochte, bleibt es oft untrennbar mit unserer Lebensgeschichte
verbunden. Man denke nur an den Film Casablanca und
die berühmte Szene, in der Ingrid Bergman sagt: „Spiel
unser Lied, Sam!“. Etwas später sagt sie sogar: „Sing es,
Sam“. Es ist dieses Lied, das die beiden Liebenden (Ilsa
und Rick) verbindet. Man nennt dies in der Forschung
auch das „Darling, they are playing our tune“-Phänomen.
Wer mit alten Menschen singt, wird diese Erfahrung vielfach bestätigt bekommen. Selbst demente Personen finden
durch das Singen eines Volkslieds oder Chorals zu lange
zurückliegenden Erfahrungen zurück, sie erleben altes
Glück aufs Neue.
Im therapeutischen Bereich geschieht Ähnliches: Das
Hören „emotional heller“ Musik kann dazu helfen, dass
Resilienzen gestärkt und Traumata verarbeitet werden.
Durch aktives Trommeln im einen Fall, durch das passive Sich-Fallen-Lassen in eine meditative Musik (z. B.
Air von Bach o.ä.) im anderen Fall. In vielen Kulturen
gibt es auch (heilsame) Klagelieder und Klagegesänge,
um aktuelle Trauer zu verarbeiten; man denke an die herzzerreißende Klage des Orpheus oder an die Totenklage
in manchen afrikanischen Ländern, wo oft eine ganze
Woche lang von einer Frau im Totenhaus gesungen wird.
Ähnliches wissen wir aus dem iro-schottischen Raum: Die
sog. „Keening-Woman“ ist eine Leiterin von Trauer- und
Bestattungsritualen, die den Abschied von der verstorbenen Person wesentlich erleichtert. Es ist bewegend, dass
gerade die großen Passionen Bachs Menschen bis heute in
ihren Bann ziehen. Sie rühren zu Tränen und geben Raum
für eigene Schmerzerfahrungen, deuten aber auch neu den
Sinn, den ein Leiden und Sterben – in diesem Fall das
Sterben Jesu – bekommen kann, wenn es für Andere geschieht. Viele Menschen finden darin Trost und Hoffnung.7
All diese heilenden oder zumindest heilsamen
Wirkungen lassen sich in einem weiten Sinne als „evangelisch“, d.h. heißt als wohltuend, lebensdienlich, vielleicht
sogar als Zeichen göttlicher Zuwendung interpretieren.
In meinen Augen ist die Musik vielfach dazu geeignet zu
beruhigen und zu trösten, aber auch zu beleben und neue
Freude zu wecken.
Doch damit nicht genug: Musik schult, gerade im
Blick auf aktuelle Bildungsprozesse. Zuhören, Mithören
und Aufeinander-Hören sind Kardinaltugenden gelingenden Musizierens. Weltanschauliche und persönliche
Differenzen rücken durch gemeinsames Musizieren oft
in einen veränderten Horizont. In Tausenden von Chören
und Ensembles finden Menschen innerhalb und außerhalb
von Kirche beim Musizieren zueinander, die sonst nichts
oder wenig gemeinsam haben. Hier wird Gemeinschaft
grundsätzlich
6
Jürgen Born, Marcus Miller, 2015, Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm
Luthers Zeit waren es die Auftritte des Spielmanns, die
das „Leitbild“ für die Kommunikation des Evangeliums
im Alltag waren. Mit seinen Bänkelliedern zog er singend
und sagend durch die Lande und brachte Neuigkeiten und
Geschichten auf Plätze und Märkte. Aufmerksam lauschten die Leute und staunten über das Un-erhörte.
Im übertragenen Sinne heißt das: Wer das Evangelium
aufnehmen will, muss hören, vielleicht sogar sehen, fühlen und begreifen. Denn Gott schenkt sich sinnlich. Die
geprägte Wendung von der „viva vox evangelii“ zielt jedenfalls genau darauf: Der Glaube kommt aus dem Hören
des Wortes (vgl. Röm 10,17). Dieses Wort erklingt in einer
lebendigen (persönlich vermittelten) Performance, deren
Grundstimmung die Freude ist. Sie zielt auf Hoffnung und
neue Zuversicht, auf Trost und Versöhnung.
Betrachten wir dazu ein Beispiel aus dem Bereich des
Neuen Geistlichen Liedes. Wichtig ist es, dass wir zunächst nur auf den Text sehen. Lothar Teckemeyer dichtete:
1. Vorbei sind die Tränen, das Weinen der Schmerz.
Vorbei sind das Elend, der Hass und der Streit …
Das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.
Refrain: Himmel und Erde werden neu,
nichts bleibt, wie es ist.
Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.
Aufregend ist, wie hier das Ende der Trauer bei den
Menschen und das Neuwerden von Himmel und Erde zum
Ereignis wird, ja förmlich in die Gegenwart hineinkommt.
Zunächst ist von Gott nicht die Rede. Es passiert einfach.
In der dritten Strophe heißt es dann deutlicher:
Gott wohnt bei den Menschen,
die Zeit ist erfüllt,
Gott wischt ab die Tränen
er tröstet, er lacht,
Gott macht alles neu,
gibt uns neue Kraft,
er ist da im Hier und im Jetzt.
Refr.: Himmel und Erde werden neu …
Dieses wunderbare Gedicht ist für mich Evangelium
pur. Es „inszeniert“ im Hier und Jetzt Gottes Zuwendung
als Lachen und Trösten, als Abwischen aller Tränen. Die
neue Schöpfung beginnt im Hier und Jetzt. Nun könnte
man fragen: Braucht es zu einem so treffenden Text auch
noch Rhythmus und Klang? Nicht zwingend. Und doch:
Wenn dann auch noch die pulsierenden Rhythmen (Latin)
und „nach oben ziehenden“ Klänge von W. Teichmann das
Gedicht zum Lied der Freiheit und der Erlösung machen,
zeigt sich, was passiert, wenn das Evangelium von einer
Melodie getragen wird, ja einem Text geradezu Flügel gibt:
Wer singt, verkündigt doppelt.10
Loccumer Pelikan 1/2016
Was ist das Evangelische
an geistlicher Musik?
Der explizite Auftrag, Gottes Handeln zu besingen, wurzelt in den Hymnen des Psalters. Hier finden sich zahlreiche Aufforderungen zum Singen und Spielen. Die klassische lautet: Singt dem Herrn ein neues Lied! (vgl. Ps
96/98). Sie wird mit dem Hinweis auf Gottes rettendes
und helfendes Handeln begründet: Singt dem Herrn ein
neues Lied, denn er tut Wunder … Diese Stilfigur geht
wahrscheinlich auf das uralte Lied der Miriam am Roten
Meer zurück, vgl. Ex 15,21: Singet dem Herrn, denn er
hat eine große Tat getan. Es bleibt nicht bei der Erzählung
der Rettung Israels aus der Hand der Ägypter, es kommt
auch zu einer musikalischen Resonanz, ja zu einer „ganzheitlichen Performance“. Die Prophetin Miriam singt mit
Pauken und Tanz: Ein spontanes, ganzheitliches, sinnliches Musizieren beginnt, das Andere zum Mitmachen und
zur Freude animiert.
Eine neutestamentliche Begründung für das Singen
und Spielen des Evangeliums findet sich in Kol 3,16. Die
Bibel in gerechter Sprache übersetzt folgendermaßen:
Das Wort Christi wohne reichlich unter euch. In aller
Weisheit lehrt und lenkt einander mit Psalmen, Hymnen
und geistgewirkten Liedern, singt in euren Herzen anmütig
vor Gott.11
Die Kommunikation des Wortes Christi soll demnach
nicht nur in gesprochener, sondern in poetisch-musikalischer Weise geschehen. In dreierlei Formen, nämlich in
Psalmen, Hymnen und vom Geist inspirierten Liedern, bekommt das Evangelium eine facettenreiche Klanggestalt.
Sie künden von Gottes Gnade in Christus, ja mehr noch:
Christus selbst ist es, der sich durch sie der Gemeinde
mitteilt. Eduard Schweizer kommentiert: „Subjekt solchen
Gottesdienstes ist nicht eigentlich die Gemeinde, […] sondern das Wort Christi selbst. Es ist das, was Paulus das
‚Evangelium‘ nennt.“12
10
Das Original „Wer singt, betet doppelt“ (qui cantat bis orat) wird
Augustin zugeschrieben.
11
Die Interpunktion zwischen den beiden (partizipialen) Neben­
sätzen ist grammatikalisch offen. Man lehnt sich hier an die
Parallele in Eph 5,19 an und versteht das Singen als Ereignis, das
sowohl Verkündigungs- (16b) als auch Lobcharakter (16c) hat.
Ähnlich übersetzt Luther 1534: „Lasset das wort Christi vnter
euch reichlich wonen / Inn aller weisheit / leret vnd vermanet euch
selbs / mit Psalmen und lobsengen und geistlichen lieblichen (das
ist trostlichen / holdseligen / gnadenreichen) liedern / und singet
dem Herrn inn ewrem Herzen.“ 12 Vgl. Schweizer, Brief an die Kolosser, 156f. Der Ausdruck logos
tou Christou (Kol 3,16 und Eph 5,19) ist also im Sinne eines
doppelten Genitivs zu deuten: als ein „Wort, das von Christus
zeugt“ (gen. obj.), aber mehr noch als ein „Wort das Christus
Loccumer Pelikan 1/2016
Zugleich ereignet sich aber auch etwas im Inneren der
Menschen, im Herzen. Glaube wird geweckt, Trost und
Gewissheit gestärkt.13 Musik beim Evangelium hat demnach eine sinnliche und eine spirituelle Dimension.
In unübertrefflicher Weise kommen Inhalt und Wirkung
der Kommunikation des Evangeliums in Luthers letzter
großer Gesangbuchvorrede von 1545 zum Ausdruck:
„Singet dem Herrn ein neues Lied. Singet dem HERRN
alle Welt. Denn Gott hat unser Herz und Mut fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer
solches mit Ernst glaubt, der kann’s nicht lassen, er muss
fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass es
Andere auch hören und herzukommen.“14
Das neue Lied erzählt eine ganze große Geschichte,
die Himmel und Erde umfasst und auf den Kopf stellt. Es
jubelt über eine universale und endgültige Befreiung: Das
„Dreierpack“ von Sünde, Tod und Teufel ist am Boden.
Es kann uns nichts mehr anhaben (vgl. Röm 8,38f). Für
diese Botschaft braucht es eine „große Glocke“. Christen
verstecken sich deshalb zum Singen nicht im Keller, sondern „posaunen“ die Botschaft so kräftig hinaus, dass viele
dazukommen. Sie richten sich damit an alle. Keiner ist
ausgeschlossen.
Negativ gewendet: Wer mit der musikalischen Kom­
munikation dieser Freiheitsbotschaft hinter dem Berg
hält, vergibt eine riesige Chance. Besonders im emotiona­
len Bereich fehlt dann eine komplette Dimension: die
Lebendig­keit von Rhythmus und Artikulation, die kontrastreiche Dynamik von piano und forte, die signifikante Mehrstimmigkeit, die klanglich differenzierten
Stimmlagen von Hohem und Tiefem, die darauf zielen, Körper und Herzen zu bewegen und Seelen zum
Schwingen zu bringen.
Kein Wunder, dass (für etliche Reformatoren und die
lutherische Kirche) das Evangelium unbedingt auch gesungen werden muss; dann steht der Chor bzw. die Gemeinde,
die sich das Evangelium zusingt, im Gottesdienst gleichwertig neben der Predigt.15
Kirchenmusik ist daher für eine evangelische, d.h.
durch das Evangelium konstituierte, Kirche kein Adia­
phoron (Mittel- oder Zwischending), das grundsätzlich
verzichtbar oder auch beliebig wäre: Sie gehört substanziell zum Gottesdienst der Gemeinde, die sich durch das
selbst redet (gen. subj.) und austeilt“. Vgl. dazu auch Mayer, Das
Volk Gottes als singende Gemeinde, 218.
13 Vgl. Heymel, In der Nacht ist sein Lied bei mir: „Singen und
Musizieren gehören unabdingbar zur Vermittlung der Botschaft
von Jesus Christus, weil das Evangelium selbst auf Musik,
genauer: auf den Klang der lebendigen Stimme hin angelegt
ist. Wo Gottes Wort als sermo und vox wirksam wird, wo es
im Gottesdienst zu Gehör kommt, weckt es im Herzen als
Personmitte eine überfließende Freude an Gottes Güte und
Vergebung, die sich durch Singen und Sagen verlautbaren muss“
(107).
14 Vorrede zum Babstschen Gesangbuch, WA 35, 477.
15 Vgl. dazu Bubmann, Das Amt der Kirchenmusik im Kuratorium
der Lebenskunst, 270 bzw. Arnold, Das kirchenmusikalische
Amt als prophetischer Dienst.
7
grundsätzlich
praktisch
Damit kommen wir an die Begründungsfrage religiöser oder – sagen wir vielleicht besser: geistlicher – Musik.
Suchen wir dazu sowohl Spuren im Alten als auch im
Neuen Testament: 10
Evangelium gegründet und getragen weiß. Johann Walter,
der Kantor der Reformation, dichtete:
„Die Music braucht Gott stetz also
beim heilgen Evangelio.
Ist nicht die Music itzt noch stet
Bei Gottes wort und seim Gebet?“16
grundsätzlich
8
Musik beim Evangelium gehört aber auch in einen
zeitgenössischen Religionsunterricht, der Herz und Kopf
ansprechen will und damit kognitive und emotionale Lernprozesse befördert. Performative Elemente wie
Ritual und Gebet sind dazu adäquate Mittel. Ein
wichtiger Schlüssel ist m. E. das Singen schon in
den ersten Lebensjahren: Wie kaum ein anderes
Medium ist es dazu geeignet, das Evangelium
ins Leben der Kinder hinein zu tragen: Gottes
Nähe wird affektiv vergewissert, Kinder erleben
Freude, lernen biblische Geschichten und christliche Inhalte und bewahren sie oft bis ins hohe
Alter als Schatz für das Leben. So entstehen
Ohrwürmer und Herzwärmer des Glaubens.
Die zentrale Strophe 3 kann daher gegen die Angst
ansingen, ja den Tod sogar „verspotten“ (vgl. 1 Kor 15,55):
An Ostern, o Tod, war das Weltgericht.
Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht.
Wir lachen dich an, du bedrohst uns nicht.
Was wir heute an tödlichen Schrecken noch erleben, sind Rückzugsgefechte mit einer Macht, die schon
gerichtet und besiegt ist. Von hier her bekommt das
Osterlachen eine letzte Begründung: „Wir lachen dir
frei in dein Angstgesicht.“ Str. 4 und 5 lassen uns mitziehen im Reigen des Auferstandenen (vgl. Psalm 30:
Betrachten wir dazu mit Jörg Zinks Wir stehen im Morgen nochmals ein neueres Lied, das
der Musiker H. J. Hufeisen vertont hat. Poetisch
setzt Zink ganz auf die Dreizahl: Zum einen
drei gleich endende Reime in den fünf Strophen
(AA’A’’), eine äußerst eingängige, aber selten
praktizierte poetische Form. Dies wird durch das
Versmaß des Daktylus (vgl. Bachs Jauchzet, frohlocket!) rhythmisch unterstrichen, die Melodie
folgt dem Sprach-Rhythmus im Dreiermetrum
des 6/8-Takts. Der Text lautet:
Wir stehen im Morgen. Aus Gott ein Schein
durchblitzt alle Gräber. Es bricht ein Stein.
Erstanden ist Christus. Ein Tanz setzt ein.
Halleluja…
In Strophe 2 werden wir gar mit Himmel und
Erde in einen kosmischen Tanz hineingezogen:
Ein Tanz, der um Erde und Sonne kreist,
der Reigen des Christus voll Kraft und Geist.
Ein Tanz, der uns alle dem Tod entreißt.
Damit ist das österliche Evangelium ausgerufen: Wir sind dem Tod entrissen. Christus
nimmt uns an die Hand und führt uns als
„Freudenmeister“ (vgl. EG 396) hinaus zum
Reigen. Man fühlt sich an mittelalterliche
Altarbilder erinnert, in der Christus (zwischen
Karfreitag und Ostern) durch die Hölle zieht und
die Toten herausholt. In neuerer Zeit hat Sydney
Carter mit seinem Gedicht The Lord of the dance
Ähnliches versucht.17
16
Walter, Lob und Preis der löblichen Kunst Musica,
Blatt C.
17
Vgl. Loccumer Brevier, o.J. Rehburg-Loccum, 258f.
Text: Jörg Zink, Musik: Hans-Jürgen Hufeisen. © dolce musica
edizione, Zürich. Aus: Lebensweisen. Beiheft 5 zum Evangelischen
Gesangbuch (Ausgabe Niedersachsen-Bremen), Lutherisches
Verlagshaus, 5. Auflage 2015, Nr. 35.
Loccumer Pelikan 1/2016
Der Komponist lässt uns dabei nicht nur singen,
sondern auch innerlich (oder sogar äußerlich!) tanzen.
Passend notiert er als Ausführungshinweis Gigue – sie
war der schnellste Tanz in der Barockzeit.
Summa:
Musik und Evangelium –
unzertrennliche Geschwister
Fassen wir zusammen: Musik berührt. Vielfach lässt sie
auch „die religiös Unmusikalischen“ etwas vom Geheimnis
der Transzendenz, ja von der Gegenwart Gottes ahnen.
Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, hat jüngst
bekannt: „Es gibt eine Ausnahme, die für mich beweisen
könnte, dass es doch einen Gott gibt: die Musik. Sie entsteht aus Materiellem, ist aber weder sichtbar noch greifbar. Aber sie existiert. Wenn es etwas Göttliches gibt, dann
ist es für mich die Musik.“19
Musik und Kirchenmusik sind gleichermaßen dazu fähig, Gefühle auszurücken oder zu wecken, Trauer
und Freude, Wut und Liebe, Angst und Hoffnung. Musik
beim Evangelium kann zur Trägerin einer Trost- und
Freudenbotschaft (eu-angelion) werden und die entsprechende Resonanz der Dankbarkeit (eu-charistia) auslösen. In dieser umfassenden Dimension von Wort und
Antwort steht sie als „Schwester“ neben der Theologie.
Paul Gerhardt hat dies in einer Liedstrophe (EG 324)
treffend gebündelt und dabei den theologischen mit dem
anthropologischen Aspekt genial verbunden:
Ich singe dir mir Herz und Mund
(f Singen als Lob Gottes),
Herr, meines Herzens Lust
(f Ausdruck der Freude, Emotion).
Ich sing und mach auf Erden kund,
(f Singen als Verkündigung),
was mir von dir bewusst
(f Bildungsgeschehen, Vergewisserung des Glaubens).
18
Ein besonders leuchtendes Beispiel erzählt Lukas in Apg 16:
Paulus und Silas fangen im Gefängnis trotz Folter an, Gott zu
loben. Die Mitgefangenen hören gebannt zu. Ein kosmisches
Beben folgt und sprengt Ketten und Türen. Darauf geschieht
das eigentliche Wunder: Der Kerkermeister lässt sich mit seiner
ganzen Familie taufen.
19
Aus: Martin Schulz im Gespräch mit Dirk von Nayhauß: „Ich
muss noch mal mit meiner Frau telefonieren“, 22.
Loccumer Pelikan 1/2016
Literatur
Arnold, Jochen: Das kirchenmusikalische Amt als prophetischer
Dienst im Konzert der Ämter bei der Kommunikation des
Evangeliums, in: Pastoraltheologie 104 (2015), 431-446
Bubmann, Peter: Musikalische Friedenserziehung, in ders.: Musik
– Religion – Kirche. Studien zur Musik aus theologischer
Perspektive, Leipzig 2009, 89-96
Bubmann, Peter: Das Amt der Kirchenmusik im Kuratorium
der Lebenskunst. Eine pastoraltheologische Zukunftsvision,
in: Bönig, Winfried u.a. (Hg.): Musik im Raum der Kirche.
Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur
Kirchenmusik, Stuttgart / Ostfildern, 268-278
Grape, Christina u.a.: Does singing promote well-being? An empirical study of professional and amateur singers during a singing
lesson, in: Integrative Physiological and Behavioral Science
2003, Heft 1, 65-74
Harnoncourt, Nikolaus: Die Macht der Musik. Zwei Reden.
Salzburg/Wien 1993
Heymel, Michael: In der Nacht ist sein Lied bei mir, Waltrop 2004
Leonhardmair, Teresa: Bewegung in der Musik. Eine transdisziplinäre Perspektive auf ein musikimmanentes Phänomen,
Bielefeld 2014
Luther, Martin: Vorrede zum Babstschen Gesangbuch. WA 35, 477
Luther, Martin: Vorrede zu den Symphoniae iucundae von Georg
Rhau (1538), WA 50, 371, Übersetzung Johann Walter
Mayer, Joseph Ernst: Das Volk Gottes als singende Gemeinde, in:
Die Kirchenmusik und das II. Vatikanische Konzil, Graz 1965
Menuhin, Yehudi: Zur Bedeutung des Singens, http://www.ilcanto-del-mondo.de/fileadmin/docs/Yehudi_ Menuhin-Zur_
Bedeutung_Des_Singens.pdf. (abgerufen am 10.11.2015)
Rilling, Helmuth: Gedanken zur Musik, Bach-Akademie Stuttgart
1998
Schulz, Martin im Gespräch mit Dirk von Nayhauß: „Ich muss
noch mal mit meiner Frau telefonieren“, in: „Chrismon“ 1/2014,
Frankfurt am Main, 22
Schweizer, Eduard: Brief an die Kolosser. Evangelisch-Katholischer
Kommentar XII, Neukirchen/Zürich 1976
Walter, Bruno: Von der Musik und vom Musizieren, Frankfurt/M
1957
Walter, Johann: Lob und Preis der löblichen Kunst Musica.
Faksimile-Neudruck mit einem Geleitwort von Wilibald Gurlitt,
Kassel 1938
Dr. Jochen M. Arnold ist Direktor des Michaeliskloster
Hildesheim (Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchen­
musik der Landeskirche Hannovers), Privatdozent an der
Universität Leipzig und Honorarprofessor an der Univer­
sität Hildesheim.
Vorschau auf das nächste Heft:
Schwerpunktthema der Ausgabe 2/2016:
Heiliges Essen – Tägliches Brot
Erscheinungstermin:
Ende Mai 2015
9
grundsätzlich
praktisch
Du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen.) Sie
ermutigen aber auch zum aktiven Widerstand gegen die
Mächte der Hoffnungslosigkeit und der Resignation. Ein
Widerstandslied, das stark macht im Alltag und seinen
Krisen.18 Strophe 4 lautet:
Wir folgen dem Christus, der mit uns zieht.
Stehn auf, wo der Tod und sein Werk geschieht.
Im Aufstand erklingt unser Osterlied.
grundsätzlich
10
Musik und Religion –
ein didaktisches Traumpaar
Von Peter Bubmann1
L
eicht lässt sich mit Martin Luther („Ich gebe der
Musik den ersten Platz nach der Theologie“) ein
Loblied auf die Musik anstimmen: Sie ist ein
exzellentes Medium der Bildung christlicher Religion,
Religiosität und christlicher Lebenskunst. Sie muss nicht
– wie bei Luther – erst nach der Theologie kommen, sie
kommt vielmehr – entwicklungsgeschichtlich gesehen –
häufig vor dem theologischen Denken, ja regt dieses erst
an. Und: Sie gehört damit notwendig zu den Vollzügen
religiöser Bildung dazu. Allerdings ist gerade in pädagogischen Kontexten auch kritisch danach zu fragen, ob der
didaktische Einsatz von Musik nicht auch Risiken und
Nebenwirkungen mit sich führt.
Musik als Medium der Identitätsfindung
Jede musik-religiöse Karriere beginnt im Mutterbauch.
Denn: Das Gehör bildet sich im Ungeborenen vor der
Geburt aus. Umstritten ist, ab wann die Ungeborenen hören
können. Unstrittig ist allerdings, dass der Herzrhythmus
der Mutter und die Intonation bzw. Melodie der mütterlichen Stimme im Uterus wahrzunehmen sind. Die mütterliche Stimme spielt auch in den ersten Lebensmonaten nach
der Geburt eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer
Vertrauensbeziehung zur Mutter (und damit zur Welt überhaupt) sowie bei den ersten Differenzierungsversuchen
zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst.
Grundschulkinder erleben den eigenen Körper als
Instrument beim Singen und Bewegen. Sie singen gerne,
allerdings findet hier eine „Wendung vom prozessorientierten Singen zum ergebnisorientierten Singen statt“2 ,
1
Vortrag beim Treffpunkt Schule des RPI Loccum zum Thema
„Da schwingt was mit: Musikalische Formen von Religion in der
Schule“ am 17.10.2015 im RPI Loccum.
2
Münden, Singen mit Grundschulkindern, 186.
d.h. es entwickelt sich ein Ehrgeiz, auch möglichst richtig und gut zu singen, auch wenn das Singen „noch nicht
als künstlerischer Akt, sondern als etwas Natürliches
und Schönes“3 empfunden wird. Kinder spielen gerne
mit der eigenen Stimme, mit klingenden „Instrumenten“
aller Art (von Steinen bis zu klingenden Hohlkörpern)
und bewegen sich mit Lust dazu. Das Singen erscheint im
Grundschulalter weithin noch als unproblematische Form
des Selbstausdrucks und der Kommunikation – selbst
dann, wenn in den Familien kaum mehr gesungen wird.
Im Jugendalter wird Musik zu einem bevorzugten
Mittel von Selbstausdruck und Freizeitgestaltung. Neuere
soziologische Studien zum Freizeitverhalten Jugendlicher
zeigen weiterhin, dass das Musikhören (inzwischen stark
über MP3-Formate und das Internet, auch verbunden
mit Videoclips auf Youtube) einen ganz wesentlichen
Teil der Freizeitgestaltung ausmacht und auch das aktive
Musizieren noch einen hohen Stellenwert besitzt4.
„Sag mir, was du hörst und ich weiß, wer du bist.“
Musik spielt als klingende Visitenkarte und Duftmarke
der Zugehörigkeit zu Milieus, Szenen und Lebensstilen
eine vorrangige Rolle bei der Modellierung der eigenen
Person. Musik kann dabei ganz individuell und als sozial
abschottende akustische Schutz-Glocke gebraucht werden
(ipod in der U-Bahn) oder umgekehrt als Möglichkeit, miteinander Sounds und Rhythmen beim Hören, Singen oder
Musizieren zu teilen.
Warum aber gerade die Musik?
Das liegt an der Eigenart dieses Kommunikationsmediums:
Als akustisches Medium ist es mittels der eigenen Stimme
und mithilfe von Instrumenten und Medien „transportabel“ und mobil – heute im Zeitalter der digitalisier3
Münden, Singen mit Grundschulkindern, 186.
Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2014.
4
Loccumer Pelikan 1/2016
grundsätzlich
praktisch
11
Jürgen Born, Drummer in Motion, 2012, Öl auf Kunstfaser, 118 x 136 cm
ten Musikmedien ohnehin. Am Strand etwa, wo noch
die letzten Hüllen fallen und damit die Möglichkeiten
der Selbstinszenierung durch Kleidung, Autos etc. minimiert werden, bleiben nur mehr zwei Medien zur
Selbstinszenierung: der eigene Körper und die Musik aus
dem Ghettoblaster.
Rhythmus
Die Vielfalt der Rhythmen (insbesondere auch in den Stilen
der Pop- und Rockmusik) eignet sich, um unterschiedliche
Befindlichkeiten und Gruppenidentitäten zu markieren.
Es gibt genügend Differenzierungsraum im Bereich des
Rhythmischen, um Raum für verschiedene rhythmischmusikalische „Konfessionen“ zu schaffen: nicht nur in
den Grobdifferenzierungen von Klassik, Jazz bis Techno,
sondern in unzähligen Sub-Stilen etwa des Techno und
Hip-Hop, die sich in der Geschwindigkeit des Grundbeats
oder in den Rhythmusfiguren des Schlagzeugs unterscheiden. So ermöglichen musikalische Rhythmen ausdifferenzierte körperbezogene Formen der Identitätsmarkierung.
Sie stehen für ein bestimmtes Lebensgefühl und die
Zugehörigkeit zu jugendkulturellen Gruppen. „Lass’ mich
Deine bevorzugten Rhythmen hören und ich sage Dir, zu
welcher Szene und Clique Du gehörst …“
Loccumer Pelikan 1/2016
Sound & Melodik
Das gilt ähnlich für den Sound der Musik. Die Klanglichkeit
von Musik ist spätestens seit der romantischen Symphonik
und der Einführung der Synthesizer in die Popmusik sowie
der DJ-Mix-Techniken zum dominanten musikalischen
Parameter geworden. Nach wenigen Sekunden(bruchteilen)
erkennt der Insider seine Musik am Sound. Dieser erzeugt
bestimmte Atmosphären, birgt im Wohlbekannten wie
in einem Uterus, stiftet Orientierungssicherheit und ein
Gefühl von Aufgehobensein – alles Vorgänge, die auch
in der religiösen Erfahrung eine wichtige Rolle spielen.
Auch bestimmte Melodien und melodische Typen
haben durch ihren Wiedererkennungswert identitätsstiftende Funktion und führen Menschen zu Fan- und
Hörergemeinden zusammen (etwa im Schlager oder in
der Praise-Musik).
Die Macht der Stimme
Stimmen spielen im jugendlichen Musikverhalten (und
nicht nur da) eine besondere Rolle: Die Stimmen der
verehrten Idole und Stars repräsentieren diese und bringen sie den Hörern nahe. Im eigenen Mitsummen oder
-singen verschmelzen die Identitäten für kurze Zeit.
Die Stimme des Popstars wird zur eigenen, die eigene
Musik als religiöses Ausdrucksmedium
von Schülerinnen und Schülern
grundsätzlich
12
Jürgen Born, Lizz Wright, 2014, Acryl und Öl auf
Leinwand, 100 x 70 cm
Person wird ins Idol „erhoben“. Nicht zufällig boomt das
Karaoke-Singen seit langem. Hinzu kommt, dass sich
beim Singen der Stimmklang mit verbalen Botschaften
verbindet. Die Melodien und ihre Texte verbinden sich
mit biographischen Schlüsselerlebnissen und werden in
analogen Situationen wieder wachgerufen oder gleichsam magisch zur Herbeiführung bestimmter psychischer
Dispositionen benutzt. Für manche Menschen werden
insbesondere im Jugendalter Textzeilen von Songs zu
Ankern ihrer Persönlichkeitsentwicklung: in Situationen
des Liebeskummers, des Leistungsdrucks und des Gefühls
mangelnder Anerkennung, der Trauer, der politischen
Orientierungsnot.
Synästhetische Erfahrungen
Musik wird heute von Jugendlichen sehr häufig zusammen
mit Bildern wahrgenommen: z. B. in Youtube-Videos, die
bekannte Popsongs mit Bilderslideshows kombinieren und
so immer auch etwas über denjenigen erzählen, der das
Video hochgeladen hat. Die synästhetische Mehrkanaligkeit
ist typisch für das Mediennutzungsverhalten im digitalen
Zeitalter. Auch hier ergeben sich mannigfaltige religiöse
Anschlussmöglichkeiten, z. B. durch die Verbindung von
religiösen Symbolbildern mit Songs.
Wählt man einen weiten, funktionalen Religionsbegriff,
dann lässt sich feststellen, dass der eben beschriebene Umgang mit Musik selbst religiöse Züge annimmt:
weil der Musikkonsum Orientierung und damit Sinn
und Identität stiftet, zur Bewältigung von Zufall und
Schicksal hilft, indem Musik emotionalen Halt gibt (Kon­
tingenzbewältigung), rituelle Strukturierung des Alltags
ermöglicht und alltagsüberschreitende Lebenshöhepunkte
vermittelt.
Damit ist allerdings noch wenig darüber gesagt, ob
Jugendliche ihr musikalisches Verhalten selbst als Glau­
bensausdruck verstehen. Erst auf dem Hintergrund eines substantiellen Religionsbegriffs, der Religion als
Beziehung zu einer höheren transzendenten Instanz (Gott)
versteht, lässt sich klarer profilieren, inwieweit Musik zum
Ausdruck christlichen Glaubens bei Jugendlichen wird
oder werden kann.
Dazu ist nochmals im Glaubensbegriff zu differenzieren: Musik kann Träger von Aussagen über Gott und
der Anrede zu Gott werden, also in Bekenntnisliedern
mit christlichen Texten und in Gebetsliedern, wie sie
derzeit im Bereich der Praise-Musik boomen. Die Musik
stärkt hier als zweite „Sprach“-Ebene das glaubende
Verstehen der Wirklichkeit Gottes und stützt emotional die
Hinwendung zu Gott. Als bezeugendes Weitersagen des
Glaubens und Medium der Verkündigung spielt Musik in
allen Formen der Jugendevangelisation eine wichtige Rolle
(z. B. beim Christival). Anders ist der Umgang mit Musik,
wenn von Klängen und Gesängen selbst Erfahrungen des
Heiligen (Geistes) erwartet werden, wenn also „Glauben“
als vertrauensvolle Erfahrung der Nähe Gottes verstanden wird: Wenn beispielsweise durch Taizé-Gottesdienste
meditative Klangatmosphären erzeugt werden, die ein
mystisches Geborgenheitsgefühl vermitteln. Oder wenn
sich in Techno- oder Gospelgottesdiensten ekstatische
flow-Gefühle einstellen, in denen Glücksgefühle und
Gotteserfahrung ineinander fließen. Hier wird Musik also selbst und direkt zum Medium der Gotteserfahrung.
Schließlich verwenden Jugendliche Musik im Kontext
des Glaubens, um gemeinsam ihren Glauben auszudrücken und darin Gemeinschaft zu erfahren: Noch immer ist
das gemeinsame Singen, etwa in der Konfirmandenarbeit,
einer der spirituellen Höhepunkte.
Bei alledem sind die religiösen Zugangswege zur
Musik und durch Musik nochmals biographisch-kontextuell gebrochen und daher sehr unterschiedlich. Fast immer
aber wird Musik als besondere Kraftquelle erfahren: als
Macht, die einstimmen lässt in größere Gemeinschaften
und höhere Ordnungen (etwa in die gute Schöpfung
Gottes), die umstimmen kann (etwa aus Trauer Freude entstehen lässt) und somit seelsorglich wirkt und die schließlich Erfahrungen der Überschreitung des Alltags als
Hochstimmung und als Transzendierung des Gewohnten
im Fest der Liturgie ermöglicht.
Loccumer Pelikan 1/2016
In der Begegnung mit Musik wie im aktiven Musizieren
liegen auch in religiösen Kontexten besondere Bildungs­
chancen:
• Musik fördert religiöse Wahrnehmung, Ausdrucksund Urteilskraft und ist mithin Teil der alle Fächer
umgreifenden Querschnittsaufgabe ästhetischer Bil­
dung. Gerade in der Begegnung mit der Vielfalt von
Musikrichtungen kann dies gelingen. Dabei ist die
Aufgabe für Lehrende und Lernende wechselseitig.
In der Aus­einandersetzung mit Musik ergibt sich die
Chance, die Lebenswelt der Jugendlichen und die der
Erwachsenen wahrzunehmen und in Dialog zu bringen.
• Musik dient der lebensbegleitenden, erfahrungsnahen
religiösen Identitätsbildung der Lernenden im Kontext
lebensweltlicher und gesellschaftlicher Prägungen.
Eigenes Singen, das Einbringen eines Musikstücks zu
einem Thema oder das Bekenntnis zu einer Musik­
richtung, die man im Gespräch Anderen gegenüber
verteidigt, dies alles kann dazu führen, sich seiner
eigenen Fähigkeiten bewusst zu werden und Selbstbe­
wusstsein zu entwickeln. Besonders das eigene Singen
lässt entdecken, wie ausdrucksstark die eigene Stimme
sein kann. Musik regt Phantasie an, stärkt die Wahr­
nehmung und Ausdruckskraft.
• Musik ermöglicht starke Erfahrungen von Gemein­
schaft sowie Prozesse sozialer Bildung und hat damit
Anteil an der kommunikativen und gesellschaftsdiakonischen Aufgabe der Religionspädagogik. Allerdings
kann Musik auch trennen, und es können Differenzen
im Musikgeschmack zu gegenseitigen Abgrenzungen
führen.
• Musik ist Teil der religiösen Traditionen und als kulturelles bzw. kirchenmusikalisches Erbe lohnender
Gegenstand hermeneutischer Erschließungen. Das
gilt nicht nur, aber besonders für das reiche Erbe der
Kirchenlieder.
• Musik stellt als kulturspezifisches Kommunikations­
medium eine besondere Chance für ökumenisches
Lernen sowie interkulturelle und interreligiöse Bil­
dung dar. In der Begegnung mit Liedern und der
Musik anderer Konfessionen und Religionen wird
das Besondere der anderen Religionsform verdichtet
greifbar.
• Musik bietet sich schließlich als Medium spiritueller
Erfahrung an und kann durch ihren lobpreisend-verkündigenden Doppel-Charakter den unverzichtbaren
elementaren religiösen Vollzügen (Gebet, Gotteslob,
Verkündigung, Segen) Klang-Gestalt verleihen. Ein
performativer RU ist ohne Gesang gar nicht denkbar.
Zahlreiche Lehrplanstellen eröffnen musikbezogenes
Arbeiten, auch wenn dies nicht ausdrücklich benannt ist.
So können etwa bei der Beschäftigung mit lokalen kirchengeschichtlichen Traditionen musikalische Zeugnisse
Loccumer Pelikan 1/2016
von Widerstand und Anpassung während der NS-Zeit als
Unterrichtsmedien herangezogen werden (z. B. Lieder der
„Deutschen Christen“, der Bekennenden Kirche, der sog.
„entarteten“ Musik etc.). Liturgisches Lernen geschieht
am besten über Lieder (z. B. Kyrie-Lieder). Wenn es um
Mystik und ekstatische Formen von Religion geht, liegt
die Beschäftigung mit ekstatischer Musik (geistlicher
wie weltlicher) nahe, etwa aus dem Bereich Esoterik oder
Gospel.
Lehrpläne stecken aber als Empfehlungen nur den
Rahmen des tatsächlichen Unterrichtsgeschehens ab. Im
Interesse an einer subjektorientierten Didaktik, die die
lebensweltlichen Erfahrungen der Lernenden aufgreift,
empfiehlt es sich, auch dort auf musikalische Erfahrungen
zurückzugreifen oder diese zu inszenieren, wo sie vom
Lehrplan nicht angesprochen oder vorgesehen sind.
Dr. Peter Bubmann ist Professur für Praktische Theologie
(Religions- und Gemeindepädagogik) an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Literatur
Bubmann, Peter/Landgraf, Michael (Hg.), Musik in Schule und
Gemeinde. Grundlagen – Methoden – Ideen. Ein Handbuch für
die religionspädagogische Praxis, Stuttgart 2006 [umfassendes
Hand- und Lehrbuch zur Thematik]
Bubmann, Peter/Schnütgen, Tatjana K.: Musik und Tanz, in:
Godwin Lämmermann/Birte Platow (Hgg.): Evangelische
Religion. Didaktik für die Grundschule, Berlin 2014, 177-188.
Everding, Matthias: Land unter!? Populäre Musik und Religions­
unterricht (Internationale Hochschulschriften; 324), Münster
u.a. 2000 [grundlegende Studie eines kath. Musik- und Reli­
gionslehrers]
Macht, Siegfried: Musik als Schlüssel des Glaubens. Praxisbau­
steine nicht nur für die Konfirmandenarbeit. Lied- und Werk­
einführungen zu Kernthemen christlicher Überlieferung,
München 2013
Lindner, Heike: Musik für den Religionsunterricht. Praxis- und
kompetenzorientierte Entfaltungen, Göttingen 2014 [praktische
Arbeitshilfe vor allem für den gymnasialen Bereich]
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.):
Jugend-Information-Multi(Media)-Studie (JIM). Basisuntersu­
chung zu 12- bis 19-Jährigen in Deutschland, 2014 (online:
www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/JIM-Studie_2014.pdf
(Abruf 9.10.2015))
Münden, Gerd-Peter: Singen mit Grundschulkindern, in: Musik
und Kirche 75 (2005), Heft 3, 186–189.
Richter, Christoph: Musik und Religion. Arbeitsheft für den
Musikunterrichts in der Sekundarstufe II an allgemein bildenden Schulen, Berlin 2011 [anregend auch für RU]
Söhngen, Oskar: Theologie der Musik, Kassel 1967
Betz, Susanne / Hilt, Hans / Leube, Bernhard (Hgg.): Unsere
Kernlieder. Werkbuch zur Arbeit mit Kindern, Jugendlichen
und Erwachsenen, München 2011
Wich, Franz: Dem Singen (d)eine Stimme! Erfahrungen, Hilfen und
Beispiele für den Umgang mit Liedern im Religionsunterricht,
in: Arbeitshilfe für den evangelischen Religionsunterricht an
Gymnasien, hg. von der Gymnasialpäd. Materialstelle der
Evang.-luth. Kirche in Bayern, Themenfolge 148, Erlangen o.J.
(2013) [nur direkt über die GPM zu beziehen]
13
grundsätzlich
praktisch
Religiöse Bildungschancen
in der Begegnung mit Musik
nachgefragt
nachgefragt
14
Welche Rolle spielt die evangelische
Tradition in aktuellen Liederbüchern?
Zwei neue Liederbücher sind im vergangenen Jahr für
die Arbeit in Schule und Gemeinde herausgegeben worden: „Kommt und singt. Liederbuch für die Jugend“
und „Popkantor Songbook“ (inkl. Doppel-CD). Die
Liederbücher sind in der Liedauswahl durchaus unter­
schiedlich. Wir haben für den Loccumer Pelikan bei
den Herausgebern Thomas Ebinger und Til von Dom­­
bois insbesondere nach der Rolle der Tradition gefragt.
Thomas Ebinger:
Früher gab es im Religionsunterricht – sicher nicht nur in
Baden-Württem­berg – verpflichtende Lernlieder. Jedes
Kind musste diese auswendig lernen. Ich selbst habe noch
als Vikar brav „Jesu geh voran“ mit meinen Grundschülern
gesungen und bin dabei wie vom Ausbildungspfarrer gelernt über Tische und Bänke gestiegen. Dabei habe ich die
Erfahrung gemacht, dass dieses Lied gut ankommt und die
Kinder es auch bei Beerdigungsfeiern mitsingen können.
Lebendige Tradition, auf der Gitarre gepflegt.
Irgendwann wurden die Lernlieder abgeschafft, jeder greift heute zu seinen Lieblingsliedern und legt sie
auf den Kopierer. Kallauch und Co. lassen grüßen mit
sympathischen und gut produzierten Liedern. Die große pädagogische Freiheit begann und sie hat tatsächlich
viele Vorzüge. Nur gibt es beim Singen ein immer größer
werdendes Problem: Die Schnittmengen von vertrauten
Liedern werden kleiner, schon zwischen verschiedenen
Klassen und Konfi- oder Jugend-Gruppen, erst recht zwischen den Generationen. Bibel und Gesangbuch galten
einmal als die zwei wichtigsten Bücher eines evangelischen Christenmenschen. Tempi passati. Die gefühlte
Halbwertszeit vieler Lieder, die heute gesungen werden,
ist dreieinhalb Jahre.
Zumindest in Württemberg wollten wir diesem Trend
etwas entgegensetzen. Ausgehend vom Arbeitsbereich
Gemeindepädagogik im PTZ Stuttgart entstand die Idee, eine Liste mit Kernliedern zu definieren. Diese 33 Kernlieder
wurden 2006 beschlossen, die Idee hat Nachahmer in ganz
Deutschland gefunden bis in die Schweiz hinein. Und tatsächlich hat sie orientierend gewirkt: „Das Liederbuch“
(Hg. Gottfried Heinzmann, Hans-Joachim Eißler) bietet
genauso fast alle Kernlieder wie das 2015 erschienene
Liederbuch für Kinder „Kommt und singt“.
Für die Überarbeitung des Kinder-Liederbuch-Klassi­
kers „Liederbuch für die Jugend“, der noch aus einer Zeit
stammt, als die Jugend mit der Konfirmation endete, haben
wir uns viele Liederbücher angeschaut und gemerkt, dass
die Tradition in ihnen keine besonders große Rolle spielt.
Am Ende haben wir uns immer mehr am großen, evangelischen Liederbuch orientiert. Noch enger als bisher ist der
Aufbau an das große Vorbild angelehnt. Zu jedem Thema
sind klassische Choräle enthalten. Tradition braucht Pflege
und Konservation. Das schließt neue Lieder gar nicht aus,
aber es beinhaltet die Pflicht, alles aus früheren Zeiten zu
prüfen und das jeweils Beste zu erhalten.
Natürlich muss das Alte jeweils neu erschlossen werden. Dafür gibt es in unserem Liederbuch kleine erklärende Texte. Und zu den Kernliedern ist schon 2009 ein
umfangreiches Werkbuch zu allen Kernliedern erschienen
mit Ideen, wie diese eingeführt und fruchtbar gemacht
werden können. Wie die Denkmalpflege hat auch die
Liedgutpflege ihren Preis. Ein Buch ist teurer als Kopien.
Aber ein Buch kann ein Lebensbegleiter werden, Kopien
können das nicht. Ausgebildete Kantoren, die mit Kindern
singen, kosten mehr als Ehrenamtliche, die nur CDs vorspielen können. Fortbildungen haben ihren Preis. Sie kosten Zeit und Geld. Aber die evangelischen Kern-Lieder,
die Generationen überdauert haben, sind es wert, dass man
in sie investiert.
Dr. Thomas Ebinger ist Dozent für Konfirmandenarbeit
am Pädagogisch-Theologischen Zentrum Stuttgart.
Thomas Ebinger, Damaris Knapp,
Andreas Lorenz und Frank
Widmann (Hg.)
Kommt und singt.
Liederbuch für die Jugend
Völlig überarbeitete und ergänzte
Neuauflage, Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 2015,
ISBN 978-3-579-03423-2,
752 Seiten, 17,99 Euro
Loccumer Pelikan 1/2016
1992 hatte ich ein Aha-Erlebnis: Ich hörte den Song „X“
von Künstler „Y“ und sprang in meinem Kinderzimmer auf
und ab, tanzte cool dazu und feierte den Song als etwas
wirklich Neues, Aktuelles. Irgendwann hörte ihn ein älterer
Verwandter von mir und sagte: „Das ist doch der Song von
1971, in der Tradition der gesamten Seventies-Musik­
bewegung ist er nicht wegzudenken. Deine neue Version
ist ja nur ein Abklatsch des Songs von damals, der war
wirk­lich großes Kino.“ Puh, das sah ich aber damals ganz
anders. Die Version von 1971 klang für mich wie ein­ge­­
schlafene Füße verglichen mit meiner hippen neuen Version.
Zwanzig Jahre reichen, um eine Tradition als Meilen­
stein mit unumstößlichen Aussagen, überhöhten Inhalten
und Alleingültigkeitsmerkmalen zu versehen. Solange es
Menschen gibt, die dieser Tradition anhängen oder sie
aktiv bis aggressiv vertreten, wird sie weiterleben und ich
meine das erst einmal gar nicht negativ.
Traditionalisten verbinden ja sehr positive Erlebnisse
mit den von ihnen vertretenen Positionen, so auch
mein Verwandter mit seinem Lebensgefühl Anfang der
Siebziger.
In der Kirche haben wir ganz unterschiedliche musikalische Traditionen, sie reichen teilweise Hunderte von
Jahren zurück, aber auch im 20. Jahrhundert haben sich
kirchenmusikalische Traditionen entwickelt.
Die immer noch überraschend munteren Vertreter des
Neuen Geistlichen Lieds zum Beispiel, die sich der EKDUnterstützung stets gewiss sein können und auch nach
wie vor alle Kirchentage (wie auch die 500-Jahrfeier mit
Angie Merkel & Friends 2017) musikalisch entscheidend
prägen, wollen ja nur das Beste für alle: Tolle mitsingbare
Lieder, auch mal zum Ü50-Mitgrooven und dem über alles
thronenden theologischen Anspruch in Liedtexten.
Nun habe ich mit vielen jungen Songschreibern und
-schreiberinnen, Künstlerinnen und Künstlern dieses
Jahr ein „Popkantor Songbook“ herausgebracht, mit
37 brandneuen, modernen, nachdenklichen und dabei
christlichen Liedern zum Selbstsingen und auch einfach
Anhören. Und was denken Sie, wie die Reaktion von unseren Musik-Traditionalisten ist? Ich erlebe in Gesprächen
darüber eine Mischung aus Unverständnis, interessiertem
Nachfragen, Ärger über so etwas in unserer Kirche und
stiller Bewunderung. Über allem schwebt hier aber natürlich noch etwas ganz anderes: Angst.
Was, wenn dieser junge freche Typ einen Weg geht,
der eigentlich dran ist? Was, wenn er uns diskreditiert in
allem, was wir tun? Was, wenn bald die Orgel schweigt
und nur noch dieser Einheits-Radio-Bullshit in unseren
Kirchen zu hören ist?
Ich gebe hier gern Entwarnung: Die Abschaffung all
unserer unglaublich wertvollen musikalischen Traditionen
wird nicht geschehen. Was aber sehr wohl geschehen
muss, ist eine Hinwendung zu inzwischen mehreren (!)
jüngeren Generationen, die musikalisch in der Kirche
kein Zuhause finden. Und wir reden hier nicht über die
höheren Bach-Töchter, wir reden hier über Menschen
Loccumer Pelikan 1/2016
aller Bildungsschichten mit ihren Wünschen, ihren
Sehnsüchten, ihrem Glauben und dem Wunsch, ihn dort
zu leben, wo es am Logischsten wäre: in ihrer Kirche.
Niemand von uns kann verantworten, dass wir ihnen den
Zugang durch irrwitziges Festhalten an Traditionen erschwert oder sogar in der Konsequenz verwehrt hätten.
So, und jetzt höre ich mir den Song von 1992 gleich
nochmal wieder an und schwelge in der wunderbaren
Tradition der Neunziger. Die aktuellen immer gleich
klingenden Vier-Chord-Songs auf Spotify kann ja keiner
lange ertragen.
Til von Dombois ist Popkantor in der Ev.-Luth. Landes­
kirche Hannovers.
Til von Dombois (Hg.)
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Jahreskreis zählen ebenso dazu
wie das gemeinsame Gebet nach
bewegenden Ereignissen.
Wie diese Feiern und Versamm­
lungen gelingen können im Mit­
einander unterschiedlichster Glaubensrichtungen und Religionen,
zeigt der vorliegende Band. Er enthält in einem umfangreichen
Praxisteil eine Fülle von Entwürfen und Liturgien für die gemein­
same Feier. Dabei werden verschiedene Schulformen, Altersstufen
und Anlässe berücksichtigt.
Ein ausführlicher Theorieteil setzt sich differenziert mit den theo­
logischen Fragestellungen interreligiöser Feiern in der Schule aus­
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Das Medienwerk
15
nachgefragt
Til von Dombois:
praktisch
16
„Manchmal geht es mir wie Jona“
praktisch
Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken …
Von Almut Volkers
W
ie können Methoden aus dem musisch-ästhetischen Bereich Kinder beim Erlangen emotionaler Kompetenzen unterstützen? Dies soll im
Folgenden an einer Unterrichtseinheit zur Jonageschichte
aufgezeigt werden.
Das Jona Buch wird im Kanon des Alten Testaments
dem so genannten Zwölfprophetenbuch zugeordnet. Es
unterscheidet sich jedoch von anderen prophetischen
Büchern in dreierlei Hinsicht:
Zum ersten soll das prophetische Wort nicht an Israel
ergehen, sondern an Ninive, also den Feind, dem Gericht
angedroht wird.
Zum zweiten handelt es sich nicht um eine Sammlung
prophetischer Sprüche oder ein erst redaktionell zusammengefasstes Buch, sondern auch nach moderner literarkritischer Forschung um eine in sich geschlossene,
eigenständige und kunstvolle aufgebaute Erzählung.1 Sie
besteht aus zwei in sich geschlossenen Geschichten, deren
Aufbau vollkommen parallel ist:
Gliederung des Jonabuches2
1. Jon 1,1-3: Erste Berufung zur Predigt in Ninive.
2. Jon 1,4-16: Jona und die Seeleute: Seesturm und Wurf
ins Meer.
3. Jon 2,1-11: Jona mit Jahwe allein: Rettung durch den
großen Fisch und Psalmgebet.
4. Jon 3,1-3a: Zweite Berufung zur Predigt in Ninive.
5. Jon 3,3b-10: Jona und die Niniviten: Predigt in Ninive
und Buße.
6. Jon 4,1-11: Jona mit Jahwe allein: Jonas Verzweiflung
und Jahwes Begründung seines Mitleids mit Ninive.
1
Dietrich/Mathys/Römer/Smend: Die Entstehung des Alten Testa­
ments, Stuttgart 2014. S.435ff. Es besteht lediglich Uneinigkeit,
ob der sog. Jonapsalm redaktionell eingearbeitet wurde.
Ausführliche Diskussion S.437f.
2
Aus Meik Gerhards, Jona/Jonabuch.
Der dritte Unterschied zwischen dem Buch Jona und
den anderen prophetischen Büchern: In beiden Teilen
der Erzählung findet sich eine göttliche Beauftragung
(Jon1,1f, bzw. Jon 3,1f.), die restlichen Teile behandeln
Jonas Geschichte mit den Seeleuten bzw. mit der Stadt
Ninive und seiner Auseinandersetzung mit Gott. Es geht
also in diesem Buch in erster Linie nicht um eine prophetische Weissagung, sondern um ein Prophetenschicksal:
Zum einen wird gerechtfertigt, dass Gott Weissagung an
ein fremdes Volk verkündet und ihnen Gnade widerfahren lässt. Zum andern wird erzählt, wie der Prophet Jona
mit Gottes umfassender Barmherzigkeit konfrontiert wird
und sich an ihr abarbeitet. Das Buch endet mit einer Frage
Gottes. Jonas Reaktion wird nicht berichtet und dadurch
wird die Frage direkt an die Leserinnen und Leser weiter gegeben. Alttestamentler kommen so zu dem Schluss,
das Jonabuch gattungsgeschichtlich der Lehrerzählung
zuzuordnen.3
Wenn also der Sinn dieses Buch ursprünglich darin lag,
anhand der Figur des Jona die Größe und Unfassbarkeit
göttlichen Handelns an sich selbst und sogar an den
„Heiden“ zum Ausdruck zu bringen, erklärt dies die
starke Anhäufung von Anspielungen auf Gefühle und
Empfindungen, die sich, auch wenn sie nicht immer explizit benannt werden, doch aus der Handlung erahnen
lassen:
Gefühle und Empfindungen, die sich in
der Jonageschichte entdecken lassen
Da ist zum einen Jona:
• Er bekommt von Gott einen Auftrag: Er ist überfordert,
erschrocken, ängstlich. Da scheint das Schiff ans Ende
der Welt der einzige Ausweg.
• Auf dem Schiff fühlt er sich erleichtert und sicher, vielleicht auch überlegen und als Gewinner.
3
Ebd.
Loccumer Pelikan 1/2016
Doch auch von Gott erfahren wir, dass er fühlt – interessanterweise aber nicht in Bezug auf Jona. Gott handelt
an Jona (er gibt Jona einen Auftrag, lässt einen großen
Wind kommen, lässt einen Fisch kommen, befiehlt dem
Fisch, Jona auszuspucken, wiederholt den Auftrag, …).
Aber in Bezug auf die Stadt Ninive benennt der Erzähler
Gefühle Gottes:
• Aus Enttäuschung und Zorn urteilt er über Ninive.
• Er ist überrascht von deren Bußverhalten.
• Er hat Mitleid mit den Menschen und den Tieren.
• Er bereut sein Gerichtsvorhaben.
• Er ist „gnädig, geduldig und von großer Güte“.
Eigene Gefühle und Erfahrungen
wiedererkennen
So bietet die Beschäftigung mit der Jona-Erzählung neben
dem Zugewinn an Gotteserkenntnis (Gottes Gnade reicht
über das menschliche Verstehen) auch die Möglichkeit,
menschliche Gefühle und Erfahrungen wiederzuerkennen
und bei sich und anderen bewusster wahrzunehmen.
Viele dieser Gefühle und der daraus resultierenden
Handlungen werden Kindern bekannt vorkommen. Sie
kennen es, etwas nicht machen zu wollen, was andere
Mit der Jonageschichte die
Empathiefähigkeit fördern
Doch auch wenn das Erzählte vertraut wirkt, so fällt es
vielen Kindern im Grundschulalter noch schwer, Worte
für all diese Gefühle zu finden. Gefühle sind da und lassen
sich fühlen, oft aber nur schwer beschreiben. Häufig nutzen Kinder lediglich die Kategorien „gut oder nicht gut“,
„schön oder schlecht“ – obwohl die Gefühlslage durchaus differenzierter sein kann. Dies gilt auch, wenn sie die
Gefühle anderer beschreiben sollen.
Hier setzt das pädagogische Bemühen an, die Empa­
thiefähigkeit der Kinder zu fördern und dazu beizutragen,
dass sie lernen, sich selbst wahrzunehmen und anderen
mit Mitgefühl zu begegnen, um verantwortlich ihr Leben
zu gestalten. Nicht zuletzt die Hirnforschung hat deutlich gemacht, dass Gefühle für das Denken, Urteilen und
Handeln von grundlegender Bedeutung sind. Deshalb
gilt es, schulisches und auch religiöses Lernen nicht
HINWEIS
M 1 zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar.
„Manchmal geht es mir wie Jona“
1
2
Von Almut Volkers
Materialien
Materialien
Die Jonageschichte musikalisch umsetzen und Gefühle entdecken …
Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016
Erzählung zur 5. Stunde (auktoriale Erzählperspektive):
Erzählung zur 8. Stunde (Jona-Perspektive):
Da seht ihr den Jona liegen, tief schlafend. Erschöpft
ist er von seiner weiten Reise. „Wieso Reise?“, denkt
ihr jetzt? „Ist er doch nach Ninive gegangen?“ Nein,
ganz im Gegenteil! Jona liegt hier auf einem Schiff,
das genau in die entgegengesetzte Richtung fährt.
Weggelaufen ist Jona, zunächst nach Jaffa, das ist eine große Hafenstadt. Dort hat er dieses Schiff gefunden, das bis nach Spanien fahren will, also quasi ans
andere Ende der Welt. „Da kann mich Gott bestimmt
nicht finden, da lässt er mich in Ruhe mit seinen komischen Aufträgen“, das hat er gedacht.
„Hey, ihr Matrosen, habt ihr noch Platz auf dem
Schiff für mich? Ich will euch gut bezahlen!“ Das
waren seine Worte. Kaum hatte das Schiff abgelegt,
da hatte er es sich gemütlich gemacht und war sofort
Ja, ihr habt Recht. Ich bin wütend, sauer, sogar
stinksauer! Da bin ich nun den weiten Weg von Jaffa
hierher gekommen, weil ich Gottes Urteil verkünden soll. Ich habe wer weiß was für Gefahren auf
mich genommen, habe mein gutes Leben beim König
Jerobeam aufgegeben – nur um jetzt zu sehen, dass
Gott doch wieder einknickt. Das habe ich doch gleich
gewusst! Gott ist gnädig! Sobald einer bereut, hat
man den rumgekriegt. Da ist nichts mit dem großen
Untergang!
Zuerst war alles gut. Ganze drei Tage bin ich
durch die Stadt gelaufen, auf jedem Platz habe ich
seine Botschaft verkündet. Erst hatte ich Angst, sie
würden nicht auf mich hören oder mich vertreiben.
Aber nein, man hörte mir zu, ich war wichtig. Und
später konnte ich von draußen alles gut beobachten.
Das war richtig gemütlich, denn genau dort, wo ich
saß, wuchs mir über Nacht eine riesige Staude. Unter
der konnte ich gut Schatten finden und es mir gut
gehen lassen. Doch am nächsten Tag verdorrte dieser Baum vor meinen Augen. Einfach so. Nichts half
eingeschlafen. „Endlich in Sicherheit“, das war das
letzte, was er noch gedacht hat, bevor er tief und fest
eingeschlafen ist. Und dann war ihm alles egal.
Die Matrosen aber, die hatten alle Hände voll zu
tun. Denn von Westen zogen wie von Geisterhand
auf einmal dunkle schwere Wolken auf. Das Meer
wurde unruhig, die Wellen immer wilder und höher.
Ich habe euch eine Musik mitgebracht, die einen
Sturm beschreibt. Hört einmal.
Hier habt ihr Gebetsverse aus der Bibel. Sucht
euch einen aus, den ihr vielleicht rufen würdet, wenn
ihr in einem Sturm auf hohe See seid. Ich spiele euch
noch einmal die Musik vor, und ihr ruft diese Sätze in
den Sturm, vielleicht wird er dann weniger.
Erzählung zur 7. Stunde (Jona-Perspektive und Perspektivwechsel am Ende):
M 1: Bausteine für die Jona Erzählung
Erzählung zur 4. Stunde (Jona-Perspektive):
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Jona. Ich
lebe weit weg von Göttingen in Jerusalem und arbeite
für den König Jerobeam als Prophet. Das ist so eine
Art Berater, ich muss dem König Dinge erklären, die
Gott ihm mitteilen lässt.
Warum ich hier so stehe, wollt ihr wissen?
Na, das kann ich euch erklären. Ich habe von Gott
einen Auftrag bekommen und den kann ich unmöglich ausführen. Ich soll nach Ninive gehen, das ist
eine große, reiche Stadt weit weg im Westen. Von
weitem sieht sie ja ganz schön aus, überall glänzt und
glitzert es, weil die Stadt so reich ist. Aber wenn ihr
genauer hinschaut, könnt ihr erkennen, dass die Stadt
nur reich ist, weil die Starken die Schwachen ausnutzen, weil mit Betrug und Gewalt regiert wird und
der Stärkere gewinnt. Und dieses Unrecht hat auch
Gott gesehen. Er will die Stadt untergehen lassen. Die
Menschen sollen für ihre Habgier bestraft werden.
Und ich bin dazu auserwählt worden, den Menschen
diese Strafe zu verkünden. Ich soll nun einfach so
losgehen, hier alles zurücklassen. Ausgerechnet ich!
Könnt ihr euch vorstellen, wie es mir damit geht?
(Antworten sammeln und auf dem AB festhalten)
Aber ich will das nicht. Keine zehn Pferde kriegen mich nach Ninive! Wer weiß, was diese gemeinen Menschen mit mir machen, wenn ich ihnen so
schlechte Nachrichten überbringe? Ich sage nein!
(Nein-Lied und Bearbeitung)
Der Fisch hat mich ausgespuckt. Jetzt bin ich wieder
da, wo ich vor ein paar Tagen schon einmal stand.
Sollte das wirklich erst ein paar Tage her sein? Mir
kommt es vor wie eine Ewigkeit – und so viel ist ja
auch mit mir passiert.
Nun bin ich also doch auf dem Weg nach Ninive.
Ganz geheuer ist mir das immer noch nicht, aber ich
weiß, dass ich nicht alleine da sein werde. Gott ist
mein Begleiter, er lässt mich nicht im Stich, nicht mal,
wenn ich vor ihm selbst weglaufe und versuche, ihn
auszutricksen. Das habe ich jetzt verstanden, so kann
ich den Niniviten ihre Strafe verkünden. Oh ja, nur
von außen sieht diese Stadt schön aus, jetzt können
auch mich die goldenen Türmchen nicht mehr trüben. Nun sehe ich, wie hier Menschen unter anderen
Menschen leiden. Wo ich auch hinschaue, herrscht
Unrecht, wo man auch hinhört, klingt das Leid:
Gegen dieses Unrecht will ich meine Stimme
erheben, hier auf dem Marktplatz sollen sie Gottes
Gericht als erstes erfahren:
„Gott hat das Unrecht gesehen, das in eurer Stadt
herrscht. Noch vierzig Tage, dann wird eure Stadt
zerstört sein!“.
So, nun setze ich mich mal hier vor die Stadtmauer
und schaue, was passiert. Wie die Menschen wohl
reagieren? Muss ich mich vor ihnen fürchten?
Aber was passiert denn da? Ist das nicht der König,
der da kommt? Der setzt ja seine Krone ab. Was sagt
er? Alle sollen Buße tun, ihre guten Kleider hergeben
und in Lumpen laufen? Sie sollen zugeben, was sie
falsch gemacht haben. Das kann ja wohl nicht wahr
sein: Der König selbst zieht sein teures Gewand aus
und trägt nun einen alten Sack! Er macht sich klein
und gibt seine Fehler zu vor allen seinen Untertanen.
(Ninive – Kakophonie)
Kennt ihr das auch, dass ihr Dinge tun müsst,
die ihr nicht machen wollt? Was sagt oder macht ihr
dann? Habt ihr einen Tipp für mich? Und wie seht
ihr dann aus?
(Foto in PA, danach Arbeitsblatt in EA)
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
etwas. Und jetzt sitze ich hier schon den ganzen Tag
in der brennenden Sonne. Am liebsten wäre ich tot.
Warum, Gott, kannst du nicht wenigstens auf diese
Pflanze hier aufpassen?
(Kinder vermuten, was Gott antworten könnte.)
In der Bibel wird das Ende der Jonageschichte so
erzählt:
„Was, Jona? Du bist zornig, weil die Pflanze
verdorrt ist? Dabei hast du sie nicht einmal selbst
aufgezogen oder sie mit Wasser oder frischer Erde
versorgt. Und mir wirfst du vor, dass ich mit den vielen Menschen und Tieren Mitleid habe und sie nicht
zerstöre?“
Kann man dieses Mitleid auch hören, kann man
es rappen, wie ihr das mit Jonas „Nein!“ oder mit
seiner Wut gemacht habt? Wie könnte Gottes Mitleid
klingen?
3
Materialien
i
ihnen aufgetragen haben, sei es aus Angst, Überforderung
oder Unlust. Wegzulaufen und sich zu verstecken, scheint
da eine gute Idee und zunächst Erleichterung zu bringen. Vielleicht hat der eine oder die andere auch schon
mal den Mut aufgebracht, zu seinen Fehlern zu stehen,
wenn andere dadurch Schaden erleiden. Auch die Angst
in Einsamkeit, Dunkelheit und Sturm – das Gefühl, einer fremden Macht ausgeliefert zu sein, wird ebenso
nachvollziehbar sein wie das Gefühl der Geborgenheit
und Dankbarkeit. Ebenso kennen sie den Stolz über eine erbrachte Leistung und die Enttäuschung, wenn die
entsprechende Würdigung ausbleibt. Und nicht zuletzt
wird es ihnen vertraut sein, Gnade, Großzügigkeit und
Vergebung als ungerecht zu empfinden. Vielleicht haben
sie aber auch schon einmal selbst von dieser ungerechten
Gnade profitiert und so eine Ahnung von der anderen,
göttlichen Gerechtigkeit erlangt.
17
praktisch
• Im Sturm hat Jona Angst, aber auch ein schlechtes
Gewissen, er ist schicksalergeben und mutig zugleich.
• Im Fisch spricht Jona von seiner Todesangst, seiner Verlassenheit, aber auch seinem Gottvertrauen
und seiner Dankbarkeit. Nach der überwältigenden Verzweiflung überkommt ihn ein Gefühl der
Geborgenheit und Ruhe.
• In Ninive zeigt sich Jona zielstrebig, gehorsam, mutig
und entschlossen.
• Das Ende des Buches zeigt einen zornigen, rachsüchtigen, beleidigten, neidischen und wütenden Jona, der
sogar lieber tot sein möchte als zu leben.
praktisch
18
auf kognitive Lernformen zu beschränken, sondern die
Möglichkeiten des emotionalen Lernens zu nutzen und
dies bewusst in die Unterrichtsplanung einzubeziehen.
Allerdings ist dabei darauf zu achten, dass nicht bestimmte
Gefühle und daraus resultierende Wertungen provoziert
werden. Vielmehr soll das einzelne Kind mit seinen je
eigenen Gefühlen wertgeschätzt und in einem wertschätzenden Umgang mit den Kindern seiner Umgebung unterstützt werden.
Durch Übungen zur Empathie (z. B. Spiele mit Mimik
und Gestik, Standbildbau und Doppeln, …), in denen
auch Gefühlslagen anderer Menschen betrachtet werden,
kann die Wahrnehmung der eigenen Situation sowie der
Situation anderer gefördert werden. Es kann unterstützt
werden, verschiedene Worte für das Wahrgenommene
zu finden und dadurch den Bewusstseinsprozess und das
Einfühlungsvermögen zu entwickeln.
Motive der Jonageschichte
musikalisch gestalten
Auch Musik wirkt auf die Gefühle von Menschen und
lässt sich in unterschiedlicher Weise wahrnehmen. Kinder
können darin geschult werden, der Wirkung der Musik
nachzuspüren und musikalische Elemente selbst einzusetzen, um eigene Gefühle und Stimmungen auszudrücken.
Musik berührt den Menschen anders als Worte und kann
eine große Ausdrucks- und Wirkkraft haben. Deshalb
kann das „Gut- oder nicht gut“-Fühlen in unterschiedlichen Klängen differenzierter ausgedrückt werden: Für
Angst lassen sich andere Klänge finden als für Traurigkeit
oder Wut. Freude hört sich anders an als sich geborgen
zu fühlen oder ausgelassen zu sein. Stimmungen und die
Atmosphäre können in der Musik in einer Weise ausgedrückt werden, die über sprachliche Möglichkeiten hinausgeht (z. B. das Thema in der romantischen Musik Peer
Gynt „Morgenstimmung“ von Edvard Grieg). Ebenso
können Gefühle und Stimmungen in der Musik in besonderer Weise wahrgenommen werden, an bereits erlebte
Momente erinnern und diese bewusst zu machen und ggf.
zu verarbeiten helfen.
Im Folgenden werden auszugsweise Bausteine einer
Unterrichtseinheit zur Jonageschichte vorgestellt, in denen
musikalische Elemente eine besondere Rolle spielen. Diese
übernehmen folgende Funktionen:
• Sie unterstützen das Eintauchen in die Ebene der
Geschichte;
• sie drücken Gefühle aus;
• sie machen verschiedene Gefühlslagen hörbar.
Kinder in Jonas Welt einsteigen lässt. Lediglich die ersten
Stunden der Einheit weichen davon ab:
Bevor die Kinder mit der Geschichte konfrontiert werden, wird eine Stunde vorangestellt, die sie an die Aufgabe
heranführt, Gefühle bei sich und anderen wahrzunehmen
und zu benennen. Als Einstieg wähle ich eine Auswahl
der auch schon bei den Kindern bekannten Smileys und
Emoticons, die wortlos Auskunft über die Gefühlslagen
des Absenders vermitteln oder verdeutlichen sollen, in
welcher Stimmung die Information gesagt ist.
Nachdem die Kinder die Bilder beschrieben und erklärt
haben, folgt eine Gruppenarbeit, in der sie sechs Gefühls­
lagen (z. B. fröhlich, ängstlich, stolz, erschrocken, wütend,
zufrieden) unterschiedlich darstellen sollen. Die Kinder
können wählen, ob sie mit Instrumenten, pantomimisch
oder an Elfchen arbeiten bzw. eigene Smileys erfinden
wollen. Dabei können die Gruppen entweder nach dem
zu bearbeitenden Gefühl oder nach der Methode eingeteilt werden. Geht man nach den Methoden vor, kann bei
der Präsentation eine Art Quiz entstehen: Welcher Klang,
welches Gedicht, welche Statue und welcher Smiley stellt
welches Gefühl dar? Oder aber man gestaltet für jedes
Gefühl eine Art Theaterstück mit Musik, Bühnenbild,
Pantomime und Gedichtvortrag. Für den Abschluss eignet
sich das Lied „Wenn du glücklich bist …“.
Eine Stadt im Wohlstand musikalisch darstellen
Die zweite Stunde (nach Möglichkeit eine Doppelstunde)
stellt den Kindern Ninive vor als eine Stadt, die wirtschaftlich blüht und in der Wohlstand regiert. Verschiedene orientalische Gewürze, Pfefferminztee, feine Stoffe, glitzernde „Edelsteine“ und Früchte wie Granatapfel und Datteln
in einer gestalteten Mitte helfen den Kindern, sich auf
einer Phantasiereise in diese fremde Welt und Zeit einzufinden. Um das Bild der harmonischen und reichen Stadt
zu verstärken, erhalten die Kinder nun Glockenspiele,
Metall- und Xylophone sowie Bassklangstäbe, die pentatonisch gestimmt sind.4 Zunächst probiert nur ein Kind
eine Melodie mit den fünf Tönen auf dem Glockenspiel
zu spielen, ein anderes Kind antwortet darauf, das nächste
spinnt die Melodie weiter. Die Bassklangstäbe kommen
dazu und geben den hohen Tönen einen Grundschlag,
die mit den Metallophonen in Quintklängen gefüllt werden. Schließlich stimmen die Xylophone hintereinander
als eine zweite Melodie mit ein. Dazu kann ein Dirigent
oder eine Dirigentin gewählt werden, die den einzelnen Musikerinnen, Musikern und Instrumentengruppen
die Einsätze gibt. Im Anschluss wird aus gleich großen
4
Ablauf der Unterrichtssequenz
Der Aufbau der Einheit folgt im Wesentlichen der Chro­­­­
no­logie der Geschichte und ist geprägt von einer Lehrerin­
nenerzählung (M 1; vier Bausteine für die Lehrerinnen­
erzäh­lung finden Sie im Internet als Download), die die
Mir ist bewusst, dass pentatonische Klänge eher in der asiatischen Musik beheimatet sind, mir liegt aber nicht daran, den
Kindern ein historisch korrektes Bild von Ninive im 5. Jhd. v.
Chr. zu vermitteln, sondern ihnen zu ermöglichen, den Reichtum
und die Schönheit einer „goldenen Stadt“ als ganze Klasse zu verklanglichen und symphonisch zu beschreiben. Dazu eignet sich
die Pentatonik hervorragend – auch um dann mit ganz wenigen
„Störtönen“ eine Disharmonie zu erzeugen und die Fragilität der
goldenen Fassade Ninives zu verdeutlichen (s. Folgestunde).
Loccumer Pelikan 1/2016
Schuhkartons eine Stadtmauer errichtet. Auf jeden Deckel wird mit gelben,
orangenen, goldenen Farben Ninives
Reichtum für alle sichtbar gemalt und vor
einer zuvor aufgemalten Stadtsilhouette
aufgebaut.5
M 2: Walter Habdank, Jona im Fischleib
Das Unrecht in der Stadt hörbar
machen
19
praktisch
In der dritten Stunde wird die NiniveSymphonie noch einmal gespielt. Da­
bei erhalten einige Kinder jedoch kein
Instrument, sondern vorbereitete Rol­
lenkarten, die sie auf Einsatz laut lesen
sollen. Hier werden Szenen angedeutet,
die das harmonische Bild der Stadt in
Frage stellen sollen: Eine Frau bettelt
um Brot für ihre Kinder, ein Händler
schimpft über ungerechte Steuern,
ein Sklave beklagt sein Schicksal, ein
Richter wird korrupt genannt. Mit den
Kindern wird erarbeitet, was in Ninive
alles schief gehen kann und wo die goldene Fassade bröckelt. Die Lesekinder
erhalten nun einen Halbton, der die
Harmonie der Pentatonik stört. So
wird aus der mittlerweile vertrauten
Symphonie eine Kakophonie,6 die das
Unrecht in der Stadt hörbar macht. Mit
Kohlestiften oder weichen Bleistiften
gestalten die Kinder eine Szene in der
„bösen“ reichen Stadt und kleben sie
auf die Rückseite der Stadtmauer. Zum
Schluss der Stunde kann das Lied vom
Streit7 gesungen werden.
Walter Habdank, Jona im Fischleib,
1972, Holzschnitt 57 x 38 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Gefühle von Gott und Menschen
musikalisch darstellen
In der vierten Stunde erfahren die Kinder
von Gottes Urteil über die Stadt. Ist Gott traurig, ist er wütend, enttäuscht? Kann man Gottes Gefühle in Klänge verwandeln? Wie klingt seine Reaktion, wenn er wütend, enttäuscht oder wenn er traurig ist? Mit Metall-Klangstäben
werden moll- Dreiklänge zu einer Kadenz moduliert und
mit unterschiedlichen Rhythmusinstrumenten begleitet
(Congas und Shaker für das Gefühl „traurig“, Becken,
5
Alternativ kann auch eine Stadtsilhouette im Din-A-5-Format
angemalt, in der Mitte geteilt und an den Außenrändern auf ein
Din-A-4-Blatt geklebt werden, so dass es an den Schnittstellen
aufgeklappt und dann in der Folgestunde mit einer Unrechtsszene
mit Kohle-oder Bleistift gestaltet wird (s. Folgestunde).
6
Während die Symphonie (griechisch: syn = zusammen, phonos
= Klang) den Wohlklang verschiedener Töne und Instrumente
beschreibt, meint die Kakophonie (kakos = schlecht) disharmonische Klänge.
7 R. Krenzer, L. Edelkötter: Streit, Streit, Streit in: Lieder zum
Versöhnen.
Loccumer Pelikan 1/2016
Rasseln für „zornig“, Triangeln, Klanghölzer für „enttäuscht“).
Nun beginnt Jonas Geschichte. Ich erzähle mit Unter­
stützung einer Egli-Figur, die einen erschrockenen Jona
zeigt. Aus der Retrospektive hören die Kinder von seiner Beauftragung und deuten nun seine Körperhaltung.
Welche Gedanken gehen in jemandem herum, der so dasteht? Was fühlt er, was könnte er tun? Die Kinder sammeln mögliche Antworten auf einem Arbeitsblatt. Das
Nein-Lied8 wird gesungen.
Nun wird das Nein des Liedes aufgegriffen und mit
den zuvor gefundenen Gefühlen in einem Protestruf begründet, der mit den passenden Instrumenten der ersten
8
Netz, H. J. / Baltruweit, F.: Nein, nein, nein, aus: Hannoversche
Arbeitsstelle, Komm mit Jona nach Ninive, Lieder zum Kinder­
kirchentag, Hannover 1983, S. 7.
20
Stunde unterstützt wird, z. B. „Nein – weil ich Angst habe“
(Trommeln), „nein – weil es gefährlich ist“ (Schellenkranz,
Gong). Als Übertragung auf ihre Lebensbezüge sollen sie
sich eine Aufgabe denken, vor der sie weglaufen wollen und
wie ihr Gesicht dann aussieht. Dieser Gesichtsausdruck
wird auf einem Foto festgehalten, das sie in der nächsten
Stunde auf das Arbeitsblatt kleben. Darunter schreiben
sie den Satz: Manchmal geht es mir wie Jona, wenn …
praktisch
Psalmworte zu (klassischer) Musik intonieren
In der fünften Stunde sehen die Kinder einen schlafenden
Jona als Egli-Figur. Die Erzählung berichtet von seiner
Flucht bis ans Ende der Welt und von seiner Erleichterung,
die ihn ruhig schlafen lässt.
Nicht so die Matrosen, denn der Sturm beschäftigt sie.
Wir hören den vierten Satz der 6. Sinfonie (Pastorale) von
Beethoven. Was geht in den Matrosen vor? Was können sie
gegen ihre Angst tun? Sie rufen nicht nur ihre Götter an,
sondern auch Jonas Gott. Die Kinder erhalten Psalmworte
gegen die Angst, die sie in die Musik hineinrufen.
Die sechste Sequenz (auch hier wäre eine Doppelstunde
von Vorteil) beginnt mit einer Bildbetrachtung eines der
Jona-Holzschnitte von Walter Habdank, von dem zunächst
aber nur der schlafende Jona zu sehen ist (M 2). Die
Kinder erinnern sich an den schlafenden Jona der letzten
Stunde und erzählen von seinem Sicherheitsgefühl und
dem Sturm, den er verschläft. Dann wird um den Jona herum der Fisch gelegt. Wie verändert sich damit das Bild von
Jona? Und was könnte in der Geschichte passiert sein? Die
Erzählung wird mit den Kindern gemeinsam entwickelt.
In die Kreismitte wird ein Bettlaken gelegt, das in
Form eines Fisches genäht wurde. Ein Kind darf hineinkriechen, die anderen Kinder formulieren Jonas Gefühle
und Gedanken.
Der gekürzte Jona-Psalm wird als möglicher Gedanke
vorgelesen. Einzelne Verse werden in großer Schrift um
den Fisch herum gelegt. Die Kinder sollen nun von Vers zu
Vers wandern und bei einem stehen bleiben, der ihnen besonders gefällt. Was hören sie, wenn sie diesen Vers noch
einmal für sich sprechen? Welche Wörter sind besonders
wichtig, welche klingen tief, welche schwer, laut oder leise? Gibt es Töne, die mitschwingen, entstehen Geräusche,
ein Echo oder Melodien? In Kleingruppen (drei Kinder)
sollen die Kinder ihren Vers nun hörbar machen: Ein
Kind spricht den Text mit den erarbeiteten Nuancen vor,
während ein bis zwei andere die Worte instrumental verstärken oder durch eine Art Kadenz interpretieren. Dabei
können Kinder, die ein Instrument spielen (Klavier, Flöte,
Gitarre, Geige …) zum Zuge kommen und erstes freies
Improvisieren, wie wir es pentatonisch schon probiert haben, auf ihren Instrumenten wagen.
Die Kinder erhalten abschließend Ton­papier-Streifen
in Meeresfarben, die sie in Wellenform ausschneiden. Sie
sollen sie mit Versen des Jona-Psalms beschriften, die ihnen zusagen. Dann erhalten sie eine Kopie des HabdankFisches, den sie ausschneiden. Aus den Wellen und dem
Fisch wird ein Jona-Mobile gebastelt. Dabei können
Meeres­klänge als Hintergrundmusik laufen, die eine entspannte Atmosphäre vermitteln.
Eine Verwandlung durch Kakophonie und
Symphonie ausdrücken
Auch die siebte Stunde beginnt mit einem Bild. Auf der
Darstellung von Sekiya Miyoschi (M 3) ist zu sehen,
wie der Fisch Jona durch einen Regenbogen hindurch an
Land spuckt. In der Bild­betrachtung wird in Erinnerung
an die Arche-Geschichte der Inhalt des Bundes erarbeitet, den Gott mit Noah schließt: Ich will nicht vernichten, sondern gnädig sein. Hier wird bereits das Ende der
Ninive-Geschichte an Jona durchexerziert. Die Rettung
und Bewahrung, die Jona schon im Fisch gespürt hat
und in seinem Psalm anklingen lässt9, wird nun mit dem
Zurückkommen an Land vollendet.
Der Bildbetrachtung folgt eine Erzählung wieder aus
der Ich-Perspek­tive. Jona beginnt wieder von vorne. Er
erhält erneut den Auftrag und läuft los in diese bereits
bekannte, riesige Stadt. Er beschreibt noch einmal, was
die Kinder bereits in der dritten Sequenz erfahren haben.
Sie erhalten wieder das Instrumentarium, um die „NiniveKakophonie“ zu spielen – bis Jona Gottes Botschaft übermittelt. Das lässt alle innehalten und schweigen. Jona
beobachtet, wie der König ein Bußgewand anzieht. Das
Bußgewand wird aus einem Bogen Packpapier geschnitten. Die Kinder erhalten Zettel, auf die sie Möglichkeiten
eines gerechten und friedfertigen Miteinander-Lebens
aufschreiben. Mit diesen Zetteln wird das Bußgewand
beklebt. Danach verwandelt sich die Kakophonie wieder
zu einer Symphonie10, indem die Halbtöne verstummen
und nur noch pentatonische Klänge zu hören sind. Als Lied
zum Abschluss eignet sich „Wir wollen aufstehen, aufeinander zugehn“11 oder die vierte Strophe des Streit-Liedes.
Wut und Gnade musikalisch ausdrücken
Die achte Stunde beginnt mit einer Mindmap: In der Mitte
eines Plakates, das auf jeden Gruppentisch gelegt wird, ist
die Darstellung des Jona vor der Stadt, z. B. von Kees de
Kort, zu sehen. Sie lässt Jonas Wut sichtbar werden und
regt zur Assoziation an. Auf dem Plakat sollen spontane
Einfälle gesammelt werden, die dieses Bild wecken. Nach
einem kurzen Austausch soll das Augenmerk auf Jonas
Gefühlslage gelenkt werden: Was fühlt er und warum?
Findet ihr eine Überschrift zu dem Bild? Nun sollen die
Kinder aus ihren Einfällen einen Sprechgesang entwickeln12, der mit einem Rhythmus-Pattern durch Trommeln,
Klanghölzer, Schellen und ähnliche Instrumente unterstützt wird.
9
So auch Gerhards, Jona/Jonabuch.
Kakophonie = schlecht klingende Folge von Lauten, Missklang,
Dissonanz. Symphonie = Zusammenklingen (s. www.duden.de).
11 Z. B. in: Spurensuche: Lieder zum Kirchentag, Stuttgart 1997.
12
Vielleicht haben die Kinder im Musikunterricht bereits das RapHuhn kennengelernt oder Erfahrungen mit Rhythmicals gesammelt, auf die hier hingewiesen werden kann.
10
Loccumer Pelikan 1/2016
13
Literatur
Dietrich, Walter / Mathys, Hans-Peter / Römer, Thomas / Smend,
Rudolf: Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart 2014
Freudenberg, Hans: Religionsunterricht praktisch 4, 6. Auflage
Göttingen 1998.
Gerhards, Meik: Artikel: Jona / Jonabuch, in: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/
anzeigen/details/jona-jonabuch/ch/d96db0c365527d5bc0e
7f92a0addc9a0/ letzter Zugriff 15.01.2016, 11.00 Uhr.
Krenzer, Rolf; Edelkötter Ludger: Lieder zum Versöhnen, Pulheim
2009
Miyoschi, Sekiya: Jona. Ein Bilderbuch, Hamburg 1991
Netz, Hans-Jürgen / Baltruweit, Fritz: Komm mit Jona nach Ninive,
Lieder zum Kinderkirchentag, Hannover 1983
Schöne, Gerhard (Hg): Spurensuche: Lieder zum Kirchentag,
Stuttgart 1997
Schönhals-Schlaudt, Dorothea / Schlaudt, Bernd: Unter Gottes
Regenbogen, Menschenskinderlieder Bd. 2, Frankfurt a. M.
3. Auflage 2006
Almut Volkers ist Lehrerin an der Wilhelm-Busch-Schule
in Göttingen.
„Unter Gottes Regenbogen Schutz und Schirm zu jeder Zeit“, in:
Schönhals-Schlaudt / Schlaudt: Unter Gottes Regenbogen.
M 3: Sekiya Miyoshi, Jona
Aus: Miyoshi, Sekiya: Jona,
Friedrich-Wittig-Verlag
Hamburg 1978 (o.S.).
Abdruck mit freundlicher
Genehmigung des Verlags.
Loccumer Pelikan 1/2016
21
praktisch
Die folgende Lehrerinnenerzählung zum RizinusGleichnis bis zu Gottes Antwort zeigt Gründe auf und bietet Identifikation an für alle, die Gnade schon als ungerecht
erlebt haben. An dieser Stelle bietet es sich an, die Kinder
Gottes Antwort an Jona formulieren zu lassen, bevor das
offene Ende der biblischen Geschichte erzählt wird.
In einem gemeinsamen Gespräch kann über Gottes
Verhalten am Ende nachgedacht werden. Die Frage
„Wie klingt eigentlich Gnade?“ leitet zur musikalischen
Umsetzung: Kann Gnade auch gerappt werden, oder brauchen wir dafür andere Ausdrucksformen? Dabei wird noch
einmal an den Regenbogen erinnert. Gibt es für dieses
Bild ein klangliches Äquivalent? Und wie klingt das im
Gegenüber zu Jonas Wut?
Zum Abschluss der Sequenz können die Kinder dann
Jona eine Antwort formulieren lassen. Hat sich durch
Gottes Erklärung Jonas Stimmung geändert? Kann er es
zulassen, dass der Regenbogen auch nach Ninive gespannt
wird? Wie geht Jona zurück? Kann er das RegenbogenLied13 mitsingen?
22
Reformation durchs Lied:
gesungener Protest
praktisch
Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums
Von Eva Gotthold
D
ass bei der Ausbreitung der Reformation Luthers
Schriften eine maßgebliche Rolle gespielt haben,
ist allseits bekannt. Dass Luther jedoch auch
Lieder dichtete und diese ein mindestens gleichbedeutendes Vehikel bei der Verbreitung des reformatorischen
Gedankenguts waren, findet nur wenig Beachtung. Die
Idee der hier vorgestellten Unterrichtsstunde ist es, den
strukturellen Topos der Ausbreitung der Reformation
mit dem biographischen Topos der Zentralstellung
der Musik im Leben Luthers zu verknüpfen. Dadurch
soll das Verständnis der Schülerinnen und Schüler sowohl für die Person Luthers und die Dynamik des
Reformationsgeschehens also auch für die Zentralstellung
des Liedes in der Kirche heute vertieft werden.
Mitte hinaus durch eine situierte Lernaufgabe: Im
Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 veranstaltet die EKD einen Liedwettbewerb.1 Gesucht werden
neue Texte und Melodien, die es vermögen, die alte
Rechtfertigungsbotschaft Luthers tönend und überzeugend
ins Heute zu transportieren. Im Rahmen der situierten
Lernaufgabe sind die Schülerinnen und Schüler die Jury,
welche vor der Aufgabe steht, ein eingereichtes Lied auf
seine Tauglichkeit zu überprüfen – „Paradies“ von den
Toten Hosen.2 Die zu einer angemessenen Einschätzung
des Beitrags nötigen inhaltsbezogenen Kompetenzen erwerben die Schüler im Laufe der Unterrichtseinheit.
Der Kontext der Unterrichtsstunde
Luther, die Musik und das Lied
Die Stunde Reformation durchs Lied: gesungener Protest
ist als Bestandteil einer Unterrichtseinheit mit dem Titel
Von Paulus bis Luther konzipiert. Da die Stunde in sich
geschlossen ist, ist sie nicht notwendig auf ihren ursprünglichen Unterrichtskontext angewiesen. Sie kann Baustein
von anderen Unterrichtszusammenhängen sein, die sich
mit Luther und der Reformation beschäftigen. Dennoch
sei die Einheit Von Paulus bis Luther an dieser Stelle skizziert:
Dramaturgische und Struktur gebende Mitte der Un­
terrichtseinheit Von Paulus bis Luther ist die reformatorische Entdeckung Martin Luthers. Von ihr aus spannt
sich ein Bogen um die Frage des Lebensgefühls und
den Lebensbewältigungsstrategien der Menschen im
Mittelalter in Richtung des Anfangs der Unterrichtseinheit.
In Richtung des Endes der Einheit spannt sich ein Bogen,
der bei der Ablasskritik Luthers als Konsequenz seiner reformatorischen Entdeckung einsetzt, weitere Stationen des
Lebens Luthers beleuchtet und schließlich die Ausbreitung
der Reformation in den Blick nimmt. Paulus kommt innerhalb der Einheit als biblischer Vordenker und wichtigster
Impulsgeber Luthers zum Tragen. Zusammengehalten
wird die Unterrichtseinheit über ihre dramaturgische
Die Rolle, die das Lied bei der Ausbreitung der Reformation
spielte, ist ohne Luthers Hochschätzung der Musik nicht
verstehbar. Denn sie ist es, die ihn dazu veranlasste, sein
reformatorisches Gedankengut nicht nur in Schriften, sondern auch in Lieder zu übersetzen. Musik war für Luther
zentraler Bestandteil seines Glaubens- und Alltagslebens
sowie seiner theologischen Reflexion. Sie „bedeutete ihm
weit mehr als nur fröhlichen Zeitvertreib, humanistischen
Bildungsausweis oder kirchlich-liturgisches Dekorum“.3
In den Vorreden zu den ersten deutschen Gesangbüchern
finden sich grundlegende Aussagen Luthers zur Musik.4
Fachwissenschaftliche Überlegungen
1
Nähere Informationen unter www.ekd.de/kirchentag/liedwett
bewerb.html. Zuletzt abgerufen am 21.11.2015.
2 Das Lied „Paradies“ befindet sich auf dem Album „Opium fürs
Volk“ der Toten Hosen. Der Text des Liedes problematisiert das
Bild eines Gottes, der die Menschen zur Erlangung der Seeligkeit
dazu anhält, ständig seine Regeln zu befolgen. Es ist an Luthers
Frage nach dem gnädigen Gott anschlussfähig und eignet sich
deshalb gut als Gegenstand der situierten Lernaufgabe.
3
Jenny, Markus: Luther als Liedschöpfer, in: Bott, Gerhard (Hg.):
Kataloge des Germanischen Nationalmuseums. Martin Luther
und die Reformation in Deutschland, Frankfurt 1983, 312.
4
Vgl. Schilling, Johannes: Musik, in: Beutel, Albrecht (Hg.):
Luther Handbuch, Tübingen 2005, 236-244, 240.
Loccumer Pelikan 1/2016
„Darumb, wenn Ihr traurig seid, und will uberhand nehmen,
so sprecht: Auf! ich muß unserem Herrn Christo ein Lied
schlagen auf dem Regal […]; denn die Schrift lehret mich,
er höre gern fröhlichen Gesang und Saitenspiel. Und greifet frisch in die Claves und singet drein, bis die Gedanken
vergehen, wie David und Elisäus taten.“10
Es wundert nun nicht weiter, dass Luther selbst zur
Feder griff und Lieder dichtete. Dabei hatte er nicht von
Beginn an ihre kirchlich-liturgische Verwendung im
Blick.11 Zunächst schrieb er, um über das Medium des
Liedes Informationen zu verbreiten, die von Straßen­
sängern von Ort zu Ort getragen werden sollten.12 Im
Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Neu­ordnung
des Gottesdienstes stellte sich ihm jedoch auch die Frage
nach dem Gesang der Gemeinde im liturgischen Kontext.
Luther schrieb seine Lieder bewusst mit dem Ziel,
die Grundinhalte reformatorischer Lehre sowie bibli­sche
Kernaussagen im Volk zu verbreiten: „Alle Liedschöp­
fungen Luthers“, so Markus Jenny, „gelten direkt oder
indirekt der Verkündigung des Evangeliums“13.
Diese nahm ihren Lauf zum einen durch Einblatt­
drucke14; die neuen Möglichkeiten des Buchdrucks beförderten nicht nur die Verbreitung der Schriften, sondern
auch der Lieder Luthers. Darüber hinaus war es jedoch das
Proprium des Liedes, ohne ein von außen hinzukommendes Trägermedium auszukommen. Indem es nichts weiter bedurfte als der mündlichen Weitergabe von Mensch
zu Mensch, war es im wahrsten Sinne des Wortes ein
Selbstläufer.15
Aufgrund dieser Charakteristika des Liedes, seiner
elementaren Sprachform sowie den nahezu voraussetzungslosen Verbreitungsmöglichkeiten, wurden die evangelischen Lieder wichtiger Motor bei der Ausbreitung reformatorischen Gedankenguts vor allem in den niedrigen
Gesellschaftsschichten. Denn Menschen, die nicht lesen
oder sich die lutherischen Schriften kaufen konnten, erschlossen sich die Inhalte reformatorischer Lehre durch
den Gesang.16 Inge Mager weißt darauf hin, dass sich „ein
Großteil der Anhänger Luthers […] in das, was er wollte,
nicht hereingedacht, sondern hereingesungen“17 hat.
Die ersten Menschen, die in den Städten gesungen haben, waren vermutlich Tuchmacher und Wollenweber.18
Da sie aufgrund ihres Berufsstandes viel unterwegs waren,
waren sie zugleich wichtige Multiplikatoren reformatorischer Lieder und Anliegen.19 Gesungen wurde zunächst
hinter verschlossenen Türen.20 Traten die Anhänger
Luthers mit ihren Liedern in die Öffentlichkeit, war das für
die jeweiligen Stadträte ein untrügliches Zeichen dafür,
dass reformatorisches Gedankengut in ihrer Stadt bereits
Wurzeln geschlagen hatte.
Die evangelische Singbewegung in Lübeck
Dass die evangelischen Lieder nach und nach auch noch eine andere Funktion erfüllten als die der Verbreitung lutherischer Lehre und gemeindlicher Selbstvergewisserung21,
dass sie Mittel des Protestes gegen bestehende kirchliche Praxis wurden, zeigen die Ereignisse, die sich in der
Adventszeit des Jahres 1529 in Lübeck ereignet haben:
„Des andern dages, welk sondach was und sunte Nicolaus
avent, des Morgens tho Sunte Jakob predigede Herr
Hildebrandt Capellan darsulvest. Alse der sermon ut was,
ehr de prediger darsulvest wat van wusten, hoven twe kleine
jungen an den psalm: Ach Gott vam Hemmel seh dar in
etc. und dat volk sank vortan efentrechtig, effte se darup
thor schole gegan hedden. […] Wente von der tid an, wo
ein hücheler up dem predigtstol quam, so höreden se en
wohl so lange, bet he beghunde minschentand hervor tho
bringhen, aldenn hoven se an: Ach Gott vam Himmel etc.,
dato sik de papisten schouw wurden, dat erer nicht ein up
dem predigtstoel kamen dorfte, se weren noch den hoghen,
effte siden papen, effte monnike.“22
5
Vgl. ebd, 237.
Vgl. ebd.
7 Luther, Martin: Die Gesangbuchvorreden, WA 35, 474-483, 474.
8
Luther führt hier Paulus als Gewährsmann an, der den Kolossern
empfiehlt „von hertzen dem Herrn singen geistliche lieder und
Psalmen, Auff das da durch Gottes wort und Christliche leere
auff allerlei weise getrieben und geübt werden“. (WA 35, 474)
9
Schilling, Musik, 239.
10 Luther, WA 7, 104-106. Zitiert nach Schilling, Musik, 241.
11 Vgl. Jenny, Liedschöpfer, 294.
12 Vgl. ebd.
13
Ebd.
14
Vgl. Mager, Inge: Lied und Reformation. Beobachtungen zur
reformatorischen Singbewegung in norddeutschen Städten,
in: Dürr, Alfred (Hg.): Das protestantische Kirchenlied im 16.
und 17 Jahrhundert: text-, musik-, und theologiegeschichtliche
Probleme, Wiesbaden 1986, 25.
6
Loccumer Pelikan 1/2016
15
Vgl. ebd.
Vgl. ebd., 27.
17
Ebd., 28
18 Vgl. ebd.
19
Vgl. ebd.
20 Vgl. ebd.
21
Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation: Lübeck
1529, in: (Hg.) v. Arni, Caroline u.a.: Historische Anthropologie,
Band 20, Heft 1, Köln / Weimar / Wien 2012, 112.
22
Kock 1830, 28. Zitiert nach Missfelder, Akustische Reformation,
110f.
16
23
praktisch
Musik, so wird hier deutlich, ist Schöpfung und gute Gabe
Gottes.5 Ihre Grundbestimmung sieht Luther darin, auf
ihren Schöpfer zurückzuverweisen und ihm zu dienen,
also Gott zu loben.6
Das Potential der Musik erschöpft sich jedoch nicht im
Erfüllen ihrer Grundaufgabe, dem Gotteslob. In irdischen
Kommunikationskontexten sorgt sie dafür, dass Gottes
Wort „getrieben und geübt“7, also verbreitet und verinnerlicht, wird.8 Musik, insbesondere das Lied, ist für Luther
„eine Form der Kommunikation des Evangeliums“9 und
somit nichts anderes als gesungene Predigt.
Darüber hinaus stellt Luther fest, dass die Musik, auf
diejenigen, die sie ausüben, auch psychisch eine positive
Wirkung hat. Luther, der selbst vor seiner reformatorischen Entdeckung ein verzweifelter, mit Gott hadernder
Mensch war und auch in seiner Zeit auf der Wartburg mit
seelischen Problemen zu kämpfen hatte, rät dem Freiberger
Kantor Matthias Weller in einem Brief:
praktisch
24
Diese Schilderung des Chronisten Reimar Kock hat
ihren ganz eigenen Reiz, denn hinter der Oberfläche der
schlichten Beschreibung des Geschehens zeichnen sich
die grundsätzlichen religiösen, theologischen und sozialen Verschiebungen ab, die sich in der Reformationszeit
vollziehen.
So wird deutlich, dass sich die Gemeinde aus ihrer
passiven Rolle im Windschatten der Liturgie löst und sich
durch die singende Intervention selbst als eigene Größe
innerhalb des gottesdienstlichen Geschehens installiert.
Damit wird sie eigenständig agierendes Gegenüber zum
Klerus.23
Darüber hinaus wird im Handeln der Gemeinde deutlich, dass sie sich als theologische Urteilsinstanz versteht.24 Durch das außerplanmäßige Singen nach oder
sogar während der Predigt wird das Lied Indikator für
das Veto der im Gottesdienst Versammelten: Immer,
wenn sie meinen, „minschentand“ anstelle des Wortes
Gottes zu vernehmen, erheben sie ihre Stimme. Dadurch
wird die Gemeinde Anwältin eines der Grundanliegen
der Reformation: der Zentralstellung des in der Schrift
bezeugten Evangeliums.25
Der zunehmenden Selbstständigkeit der Gemeinde korreliert die ins Wanken geratene Rolle des Klerus. Er verliert
die ihm bisher eignende Handlungshoheit und Kontrolle
über die Liturgie. Die Dramaturgie der Messfeier wird
durch das eigenmächtige Singen der Gemeinde empfindlich gestört und der Liturg wird in die Defensive gedrängt:
Predigt er nicht gemäß den Kriterien, die die Gemeinde
an eine Predigt anlegt, muss er damit rechnen, von ihr
zum Schweigen gebracht zu werden. Dadurch wird das
traditionelle Kräfteverhältnis im Gottesdienst umgekehrt.
Didaktische Überlegungen
Die eben angestellten fachwissenschaftlichen Überlegun­
gen lassen sich im Hinblick auf die hier vorgestellte Unter­
richts­stunde auf eine Frage komprimieren: Welche Rolle
spielt das Lied in der Reformation? Die Antwort kann dreifach ausdifferenziert werden. Das Lied in der Reformation
ist:
a. musikalisches Vehikel der Reformation, das Kerninhal­
te reformatorischer Lehre auf niedrigschwelliger Ebene
breiten Volksschichten zu vermitteln vermag,
b. Medium des Protestes gegen bestehende kirchliche
Praxis,
c. gesungene Verkündigung.
Die Zentralstellung der Musik ist es, die diesen
fachwissenschaftlichen Gehalt der Stunde mit der
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler verknüpft.
Viele Schülerinnen und Schüler der Sek I sind selbst
Musikausübende. Sie erlernen ein Instrument, in selte-
nen Fällen sogar mehrere Instrumente. Sollten sie keinen
Instrumentalunterricht besuchen, erleben sie sich doch im
schulischen Kontext im Rahmen des Musikunterrichts
als Musizierende. Darüber hinaus sind die Schülerinnen
und Schüler Musikkonsumenten. Sie hören Musik in den
unterschiedlichsten Kontexten: auf dem Weg zur Schule,
zu Hause, bei Freunden, im Fernsehprogramm und zuweilen auf Konzerten. Auch im kirchlichen Raum verfügen die Schülerinnen und Schüler über Erfahrungen mit
Musik. Auch wenn sie selbst selten in den Gottesdienst
gehen, wissen sie doch, dass in der Kirche gesungen wird.
Diejenigen unter den Schülerinnen und Schülern, die den
Konfirmandenunterricht besuchen, erleben die Praxis des
gottesdienstlichen Singens sogar regelmäßig.
Allerdings stehen hier die Erfahrungen der Schüle­
rinnen und Schüler im Kontrast zu den im Stundenthema
implizierten Erfahrungen: Für diejenigen, die zu Luthers
Zeit im Gottesdienst ihre Stimme erhoben, um gegen
die bestehende Predigt- und Kultpraxis zu protestieren,
war das Lied weder selbstverständlicher Bestandteil des
Gottesdienstes noch verstaubt anmutende Pflichtübung.
Mit dem Lied traten sie für evangeliumsgemäße
Verkündigung ein und sorgten damit immer wieder für
Unruhe.
Die Erarbeitung des Stundeninhalts, also die Arbeit an
der Frage nach der Rolle des Liedes in der Reformation,
wird schwerlich Ergebnisse zeitigen, anhand derer
die Schülerinnen und Schüler ihr Gottesbild oder ihr
Glaubensverständnis thematisieren können. Dennoch
muss der Inhalt der Stunde für die Schülerinnen und
Schüler nicht bedeutungslos sein. Er kann ihren Blick
auf einen für sie wichtigen Teilbereich ihres Lebens, die
Musik, weiten und vertiefen. Er kann sie sensibilisieren
für die Zentralstellung der Musik in der Kirche, die sie
auch heute noch innehat. Wenn sie das nächste Mal einen
Gottesdienst besuchen, werden sie in der Wahrnehmung
des musikalischen Geschehens über ein erweitertes
Deutungsrepertoire verfügen.
Die Zielformulierung für die Stunde „Reformation
durch Lied: gesungener Protest“ lautet somit: Die Schüle­
rinnen und Schüler können die Rolle des Liedes in der
Reformation erläutern und vor diesem Hintergrund den
hohen Stellenwert des gesungenen Liedes in der heutigen
Kirche verstehen.26
Verlauf der Unterrichtsstunde
In der Eröffnungsphase der Stunde „Reformation durchs
Lied: gesungener Protest“ geht es zunächst darum, die
Leitfrage zu installieren: Welche Rolle spielt das Lied
in der Reformation? Das Medium, anhand dessen die
Leitfrage problematisiert werden soll, ist eine kolorierte Zeichnung, die mit dem OHP projiziert werden
kann. Im Mittelpunkt der Zeichnung steht ein pointier-
23
Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation, 113.
Vgl. Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation, 113.
25 Vgl. ebd.
24
26
Die in der Stunde vorwiegend geförderten Kompetenzen finden
sich aufgelistet in M 1.
Loccumer Pelikan 1/2016
HINWEIS
Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar.
Bogen zur situierten Lernaufgabe
Der Liedwettbewerb der EKD
gepredigt wird und nicht länger
Lehren, die mit der Bibel nicht
vereinbar sind!“
Auch an anderen Orten dienen
die Lieder Luthers seinen Anhängern offenbar dazu, Kritik an
der Kirche zu üben und Luthers
Lehre öffentlich zu verbreiten.
So wird von ähnlichen Vorfällen
auch in Hildesheim, Göttingen
und Magdeburg berichtet.
Luther, der von unserer Zeitung
um eine Stellungnahme gebeten
wurde, sagte: „Ich freue mich,
wenn sich meine Gedanken
durch meine Lieder schnell
verbreiten. Dazu habe ich sie
schließlich geschrieben! Außerdem werden die Menschen
selbst zu Predigern, wenn sie
die Lieder singen, denn sie sind
nichts anders als Gottes Wort in
Tönen!“
Aufgaben:
1) Lies den Text noch einmal in Ruhe durch!
2) Beschreibe zusammen mit deinem Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die sich in Lübeck am 5.
Dezember und darüber hinaus ereignet haben!
3) Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch hierbei auch
auf die Kommentare derjenigen, die im Artikel zu Wort kommen.
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Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Materialien
„Ich bin völlig verzweifelt“,
gestand er in einem Interview
mit dieser Zeitung, „sobald ich
etwas predige, was nicht den
Vorstellungen der Anhänger
Luthers entspricht, fangen sie
seit dem Zwischenfall im Dezember an zu singen! Gegen
diese Klanggewalt habe ich
einfach keine Chance!“
Nach eigenen Angaben ist es
jedoch nicht das Ziel der Singenden die Gottesdienste einfach nur zu stören: So betonen
die Eltern der Kinder, die den
Stein durch ihren Gesang ins
Rollen gebracht haben: „Ja, wir
unterbrechen mit unserem Singen die Predigten. Aber das tun
wir doch nur, um zu zeigen,
dass wir mit dem, was gepredigt
wird, nicht einverstanden sind!
Wir wollen, dass Gottes Wort
© Jenny Höltken 2014
4
Vertiefung II
Materialien
formuliert Impuls:
„Jetzt gehen wir gedanklich einen
weiten Weg, nicht nur zurück zum
Anfang der Stunde, sondern ganz zum
Anfang unseres Luther-Themas. Da war
ja auch eine Sache mit Liedern… Habt
ihr eine Erklärung dafür, warum die
Kirche ausgerechnet einen
Liedwettbewerb ausgeschrieben hat?“
erläutern zunächst noch einmal die situierte
Materialien
Lernaufgabe und ihre Rolle als Jury.
erklären, dass die EKD deshalb einen Liedwettbewerb
ausgeschrieben hat, weil das Lied in der Reformation
eine solch zentrale Rolle gespielt hat. Diese soll auch
heute den Menschen wieder bewusst gemacht werden.
UG
formuliert Impulse:
1) „Beschreibt mal, was dem
Bürgermeister in diesem Moment so
alles durch den Kopf gegangen sein
könnte!“
2) „Wie sieht das denn heute so mit
dem Singen in der Kirche aus?“
Tafel
moderiert Gespräch und erstellt mit den
SuS das Tafelbild.
UG
deuten das Bild vor dem Hintergrund ihres neu
gewonnenen Wissens und gelangen so zu einem
vertieften Verständnis.
setzten die damalige Bedeutung des Liedes in Bezug zu
ihren eigenen Erfahrungen mit dem Gesang im
Gottesdienst.
UG
tragen ihre Ergebnisse zusammen.
Bogen zum Stundenanfang
„Herr Bürgermeister, sie singen alle!“
arbeiten die Rolle des Liedes heraus (Ist Kritik / Protest.
Die Menschen wollen, dass anders gepredigt wird. Lied
dient der Verbreitung der Lehre Luthers. Ist gesungenes
Wort Gottes).
Sammlung der Ergebnisse und Erstellen des
Tafelbildes
3) Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei
diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch
hierbei auch auf die Kommentare derjenigen,
die im Artikel zu Wort kommen.
Welche Rolle spielt das Lied in der
Reformation?
Sicherung
M 2: „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“
5
In der Lübecker Kirche St.
Jakobi kommt es seit einiger
Zeit zu regelmäßigen Störungen
der Heiligen Messe. Die Recherchen unserer Zeitung haben
ergeben, dass diese Störungen
durch einen Vorfall ausgelöst
wurden, der bereits mehrere
Wochen zurückliegt: Am 5.
Dezember standen nach der
Predigt des Kaplans Odingk
zwei Kinder auf und begannen
lautstark eines der neuen Lieder
Luthers anzustimmen. Doch anstatt die Kinder in die Schranken zu verweisen, stimmte die
ganze Gemeinde augenblicklich
in das Lied mit ein. Odingk
konnte sich kein Gehör mehr
verschaffen und musste tatenlos
mit zusehen, wie ihm die
Leitung des Gottesdienstes entglitt.
—> Welche Rolle spielt das Lied in der
Reformation?
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Vertiefung I
teilt AB aus und fordert einen der SuS
dazu auf, den Artikel vorzulesen.
EA / PA
„Welche Rolle das Lied in der
Reformation gespielt hat, schauen wir
uns jetzt anhand des Beispiels von
Lübeck an!“
beschreiben die Situation in Lübeck (Zwei singende
Kinder stören den Gottesdienst. Die Gemeinde singt
mit; seitdem fangen die Menschen immer an zu singen,
wenn ihnen eine Predigt nicht gefällt. Ähnliche
Situationen auch in anderen Städten.).
fragen sich, was den Bürgermeister am Gesang denn
wohl so stört und formulieren dadurch (wahrscheinlich
nicht wörtlich) die Leitfrage.
Erarbeitung
Welche Rolle spielt das Lied in der
Reformation?
deuten das Bild (Der Mann, der zur Tür hereinkommt, ist
ein Bote. Die Noten zeigen an, dass in der Kirche alle
singen. Diese Nachricht überbringt er dem anderen
Mann, der der Bürgermeister ist. Er sieht nicht erfreut
aus und verbindet mit der Nachricht einen großen
Verlust.).
beschreiben das Bild (Zwei Männer. Einer davon kommt
gerade eilig zur Tür herein. Der andere Mann sitzt am
Schreibtisch. Im Hintergrund eine Kirche, aus der Noten
quellen.).
Stummer Impuls (Zeichnung):
„Herr Bürgermeister, sie singen alle!“ „Ei, dann
ist alles verloren…“
AA:
1) Lies den Text noch einmal in Ruhe durch!
2) Beschreibe zusammen mit deinem
Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die
sich am 5. Dezember in Lübeck und darüber
hinaus ereignet haben!
schreibt Leitfrage an die Tafel und leitet
zur Erarbeitung über:
moderiert das Gespräch.
gibt ggf. Impulse
Medien /
Materialien
Folie / OHP
begrüßt SuS.
Lehrerverhalten
L…
Methodische
Aspekte
UG
Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler
Die SuS…
Auffinden der Leitfrage
Inhaltliche Aspekte
Was ist dran?
Loccumer Pelikan 1/2016
Lübecker Stadtanzeiger
6. Januar 1529
Singende Lutheranhänger stören Gottesdienste in St. Jakobi
3
Eröffnung
Begrüßung
Thema der Unterrichtsreihe:
Thema der Stunde:
Stundenziel(e):
Phase
M 1: Verlaufsplan der Stunde
Loccumer Pelikan 1/2016
Tabellarischer Verlaufsplan der Stunde
Materialien
2
Von Paulus bis Luther
Reformation durchs Lied: gesungener Protest
Die SuS können die Rolle des Liedes in der Reformation erläutern und können vor diesem Hintergrund den hohen
Stellenwert des gesungenen Liedes in der heutigen Kirche verstehen.
Von Eva Gotthold
Vorwiegend geförderte (bzw. langfristig angelegte) Kompetenzen: Prozessbezogene Kompetenzen: Wahrnehmungs- und Darstellungskompetenz:
Grundlegende religiöse Ausdrucksformen wahrnehmen und beschreiben; Deutungskompetenz: Religiöse Motive in der Kultur identifizieren und deuten.
Urteilskompetenz (s. situierte Lernaufgabe). Inhaltsbezogene Kompetenzen: Kirche und Kirchen: Die SuS stellen Ursachen der Kirchentrennung in der
Reformation dar. Die SuS formulieren Kernbotschaften Reformatorischer Lehre.
Ein Entwurf für die Jahrgangsstufe 7 eines allgemeinbildenden Gymnasiums
Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016
Materialien
1
Zeitungsartikel: „Singende Lutheranhänger
stören Gottesdienste in St. Jakobi“
Reformation durchs Lied:
gesungener Protest
Folie / OHP
M 3: Welche Rolle spielt
Welchedas
RolleLied
spieltin
dasder
LiedReformation?
in der Reformation?
AB Zeitungsartikel
i
melt, gebündelt und in einem Tafelbild visualisiert werden.
Dazu wird die Sozialform auf das Unterrichtsgespräch
ausgeweitet. Die Sicherung wird abgeschlossen, indem
die Schülerinnen und Schüler dazu aufgefordert werden,
das entstandene Tafelbild nochmals in eigenen Worten
zusammenzufassen.
Die Vertiefungsphase dieser Stunde hat zwei Teile.
In ihr soll sowohl der Kreis zum Anfang der Stunde ge­
schlossen als auch der Zusammenhang zur situierten
Lern­aufgabe hergestellt werden. Für beide Phasen wird
die Sozial­form des Unterrichtsgesprächs beibehalten.
Zunächst wird der Kreis zum Anfang der Stunde geschlossen. Dazu wird auch das Medium zum Einsatz kommen, das die Stunde eröffnet hat:
Die Schülerinnen und Schüler betrachten die auf
der Folie dargestellte Szene ein zweites Mal. Vor dem
Hintergrund ihres in der Stunde erworbenen Lernzu­
wachses kommen sie zu einem vertieften Verständnis bzw.
einer Neubewertung des Verhaltens des Bürgermeisters.
Das Rätsel um seine Reaktion ist gelöst. Die Schülerinnen
und Schüler verstehen, dass sein Kommentar auf sein
Wissen um die Rolle des Liedes in seiner Zeit zurückzuführen ist. Ein möglicher Impuls, der die Schülerinnen
und Schüler dabei unterstützen könnte, ihr neu erworbenes Wissen anzuwenden, besteht in der Frage, was dem
Bürgermeister in diesem Moment durch den Kopf gegangen sein könnte.
Ein zweiter Impuls soll die Schülerinnen und Schüler
einen Schritt weiter in die Wahrnehmung der Diskrepanz
der Rolle des Liedes im Gottesdienst damals und heute
führen. Mit der Aufforderung: „Beschreibt mal, wie das
heute mit dem Singen in der Kirche so aussieht!“, werden
sie dazu angeregt, die historische Szene in Verbindung mit
25
praktisch
ter Wortwechsel zwischen einem Ratsdiener und einem
Bürgermeister (M 2). Je nachdem, aus welcher Perspektive
oder mit welchem Wissenshintergrund man diese Szene
betrachtet, provoziert oder beantwortet sie die Frage nach
der Rolle des Liedes in der Reformation. Verfügt man
bereits über Hintergrundwissen, bringt die Zeichnung
zum Ausdruck: Ab dem Zeitpunkt, an dem lutherische
Lieder nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern
öffentlich und als Mittel des Protestes erklingen, ist aus
altgläubiger Sicht „alles verloren“ und die reformatorische
Bewegung nicht mehr zu unterbinden.
Aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler ist
es jedoch zunächst nicht unmittelbar nachzuvollziehen,
warum das Singen von Liedern in der Kirche ein alarmierendes Zeichen sein soll. Für sie wird es eher umgekehrt
sein: Wenn in der Kirche gesungen wird, zeigt das, dass
„alles in Ordnung“ ist.
Über die Reaktion des Bürgermeisters, die nicht – wie
eventuell zu erwarten – das Singen positiv, sondern negativ bewertet, können sich die Schülerinnen und Schüler
an die Leitfrage herantasten: Welche Bedeutung hatte das
Singen denn, dass er so reagiert?
In der Erarbeitungsphase soll den Schülerinnen und
Schülern die Möglichkeit gegeben werden, sich bezüglich
der aufgeworfenen Leitfrage einen Wissens- und Lern­
zu­wachs zu verschaffen. Dies geschieht anhand eines
Zeitungs­artikels (M 3), dessen Form zwar fiktiv ist, dessen Inhalte aber auf der gesicherten Grundlage der fach­
wissen­schaftlichen Überlegungen basieren. Um die Text­
erarbeitung zu strukturieren, bekommen die Schülerinnen
und Schüler Arbeitsaufträge.
In der auf die Erarbeitung folgenden Sicherungsphase
sollen die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler gesam-
praktisch
26
ihrer eigenen Lebenswelt zu bringen. Die Schülerinnen und
Schüler erleben den Gesang in kirchlichen Kontexten weder als Instrument des Protestes noch wird er vom Umfeld
der Schülerinnen und Schüler als Bedrohung für die bestehende Ordnung empfunden. Durch das Formulieren
dieses Kontrastes wird zum einen das Verständnis für die
Rolle des Liedes in der Reformation erneut geschärft, zum
anderen aber auch die Wahrnehmung der Schülerinnen
und Schüler für die Stellung der Musik in der Kirche heute
sensibilisiert.
Mit diesem Impuls ist auch schon die Brücke zur
Verbindung der Stunde mit der situierten Lernaufgabe
hergestellt. Nicht zufällig hat die EKD einen Lied- und
nicht einen Zeichen- oder Literaturwettbewerb ausgeschrieben. Ausgehend von dieser Tatsache („Habt ihr
eine Erklärung dafür, warum die Kirche ausgerechnet
einen Liedwettbewerb ausgeschrieben hat?“) können die
Schülerinnen und Schüler die mögliche doppelte Motivation
der EKD aufschlüsseln: Der Wettbewerb hat zum einen
eine Verweisfunktion: Er erinnert an die Rolle des Liedes
in der Reformation. Zum anderen will er die Stellung des
Liedes im Gottesdienst im Hier und Jetzt stärken.
Literatur
EKD, Liedwettbewerb: https://www.ekd.de/kirchentag/liedwettbewerb.html, zuletzt abgerufen am 21.11.2015
Jenny, Markus: Luther als Liedschöpfer, in: Bott, Gerhard (Hg.):
Kataloge des Germanischen Nationalmuseums. Martin Luther
und die Reformation in Deutschland, Frankfurt 1983, 294ff.
Luther, Martin: Die Gesangbuchvorreden, WA 35, 474-483
Mager, Inge: Lied und Reformation. Beobachtungen zur reformatorischen Singbewegung in norddeutschen Städten, in:
Dürr, Alfred (Hg.): Das protestantische Kirchenlied im 16.
und 17 Jahrhundert: text-, musik-, und theologiegeschichtliche
Probleme, Wiesbaden 1986, 25-38
Missfelder, Jan-Friedrich: Akustische Reformation: Lübeck 1529,
in: (Hg.) v. Arni, Caroline u.a., Historische Anthropologie, Band
20, Heft 1, Köln/Weimar/Wien 2012, 108-121
Schilling, Johannes: Musik, in: Beutel, Albrecht: Luther Handbuch,
Tübingen 2005, 236-244
Eva Gotthold ist Vikarin in der St. Pankratius-Kirchen­
gemeinde in Burgdorf.
M 2: „Herr Bürgermeister, sie singen alle!“
© Jenny Höltken 2014
Loccumer Pelikan 1/2016
M 3: Welche Rolle spielt das Lied in der Reformation?
Lübecker Stadtanzeiger
In der Lübecker Kirche St. Jakobi
kommt es seit einiger Zeit zu re-­
gel­mäßigen Störungen der Heili­
gen Messe. Die Recherchen unserer Zeitung haben ergeben,
dass diese Störungen durch einen
Vorfall ausgelöst wurden, der bereits mehrere Wochen zurückliegt:
Am 5. Dezember standen nach
der Predigt des Kaplans Odingk
zwei Kinder auf und begannen
lautstark eines der neuen Lieder
Luthers anzustimmen. Doch anstatt die Kinder in die Schranken
zu verweisen, stimmte die ganze Gemeinde augenblicklich in
das Lied mit ein. Odingk konnte
sich kein Gehör mehr verschaffen und musste tatenlos mit zusehen, wie ihm die Leitung des
Gottesdienstes entglitt.
„Ich bin völlig verzweifelt“, gestand er in einem Interview mit dieser Zeitung, „sobald ich etwas predige, was nicht den Vorstellungen
der Anhänger Luthers entspricht,
fangen sie seit dem Zwischenfall
im Dezember an zu singen! Gegen
diese Klanggewalt habe ich einfach keine Chance!“
Nach eigenen Angaben ist es jedoch nicht das Ziel der Singenden
die Gottesdienste einfach nur zu
stören: So betonen die Eltern der
Kinder, die den Stein durch ihren
Gesang ins Rollen gebracht haben:
„Ja, wir unterbrechen mit unserem
Singen die Predigten. Aber das tun
wir doch nur, um zu zeigen, dass
wir mit dem, was gepredigt wird,
nicht einverstanden sind! Wir
wollen, dass Gottes Wort gepre-
digt wird und nicht länger Lehren,
die mit der Bibel nicht vereinbar
sind!“ Auch an anderen Orten
dienen die Lieder Luthers seinen
Anhängern offenbar dazu, Kritik
an der Kirche zu üben und Luthers
Lehre öffentlich zu verbreiten. So
wird von ähnlichen Vorfällen auch
in Hildesheim, Göttingen und
Magdeburg berichtet.
Luther, der von unserer Zeitung
um eine Stellungnahme gebeten
wurde, sagte: „Ich freue mich,
wenn sich meine Gedanken durch
meine Lieder schnell verbreiten.
Dazu habe ich sie schließlich geschrieben! Außerdem werden die
Menschen selbst zu Predigern,
wenn sie die Lieder singen, denn
sie sind nichts anders als Gottes
Wort in Tönen!“
Aufgaben:
1. Lies den Text noch einmal in Ruhe durch!
2. Beschreibe zusammen mit deinem Nachbarn / deiner Nachbarin die Vorfälle, die sich in Lübeck am 5.
Dezember und darüber hinaus ereignet haben!
3. Arbeitet heraus, welche Rolle das Lied bei diesen Ereignissen gespielt hat! Bezieht euch hierbei auch auf
die Kommentare derjenigen, die im Artikel zu Wort kommen.
Loccumer Pelikan 1/2016
27
praktisch
6. Januar 1529
Singende Lutheranhänger stören Gottesdienste in St. Jakobi
praktisch
28
„Du hast ihn nie verraten,
deinen Plan von Glück!“
Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik
Von Franziska Jaap
J
ährlich sterben in Deutschland rund 850.000 Men­
schen an ganz unterschiedlichen Todesursachen.
Schülerinnen und Schüler werden sowohl mit natürlichen als auch nicht natürlichen Todesursachen im familiären Umfeld sowie im Bekannten- und Freundeskreis
immer wieder konfrontiert. Häufig fehlen ihnen jedoch
die Sprache und auch die (Lebens-)Erfahrung mit diesem endgültigen Abschied umzugehen. Religion bzw. religiöse Erfahrungen können dann ein „Anker“ sein, der
Schülerinnen und Schülern Halt und Sicherheit gibt.
Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann
und worüber zu schweigen unmöglich ist! (Victor Hugo).
Musik stellt, folgt man Victor Hugo, vielfach die Brücke
zwischen Sprache und Empfindung dar, die gerade in solch
existentiellen Momenten wie dem Tod Trost und Hoffnung
ausspricht, ohne sich anzubiedern oder unpassend zu wirken.
für den Sterbenden und auch für die zurückgebliebenen
Angehörigen.
Der Aspekt des Trostes wird im Alten Testament immer wieder aufgegriffen. So wird Hiob durch die stetige Unterstützung seiner Freude, die ihn nicht alleine mit
seiner Trauer lassen, immer wieder „aufgefangen“ und
zum Leben ermutigt. Aber auch der Prophet Jesaja widmet sich wiederkehrend dieser Thematik. Er spricht den
trauernden Menschen mit zahlreichen fast imperativischen
Aufforderungen aus göttlichem Munde Mut zu.
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe
dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ (Jes 43,1)
„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber
meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund
meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein
Erbarmer.“ (Jes 54,10).
„Deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond
nicht den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges
Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende
haben.“ (Jes 60,20).
Theologische Grundgedanken
Zu Beginn des Alten Testamentes wird der Tod sehr sachlich als Ende vom Leben beschrieben. „Denn Staub bist
du, zum Staub musst du zurück.“ (Gen 3,19). Eine fast imperativische Verwendung verweist auf das begrenzte irdische Leben; Gott ist derjenige, der das Leben schenkt, und
so nimmt er es folgerichtig auch wieder in seine Hände.
In den Psalmen lässt sich jedoch bereits eine veränderte Haltung zum Tod ablesen: „Ich aber bleibe immer bei
dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich
nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf
in Herrlichkeit.“ (Ps 73,23 f.)
Gott ist der Begleiter im Leben wie im Tod. Der Ver­
weis auf das Reich Gottes, die Herrlichkeit, spendet Trost
Welch eine tröstliche bzw. tröstende Vorstellung! Gott
verlässt den sich fürchtenden und ängstlichen Sterbenden
nicht, er nimmt ihn vielmehr gnädig in seinem Reich auf.
Zahlreiche Traueranzeigen und auch Predigten anlässlich von Trauerfeiern greifen mit diesen Sprüchen den
Zuspruch Gottes in „dunklen“ und schweren Zeiten auf
und trösten u.a. mit dem Verweis auf das zukünftige Leben
im Reich Gottes.
Auch im Neuen Testament ist die Thematik des Todes
eng mit dem Aspekt der Tröstung verbunden. Nicht nur in
der Bergpredigt (Mt 5,4) wird Trost zugesprochen, Paulus
erweitert in seinem Brief an die Korinther (1Kor 1, 3-5)
die bis dato bestehende Fokussierung der Tröstung durch
Gott auf die Tröstung durch die (christliche) Gemeinde:
Loccumer Pelikan 1/2016
Interpretation des Songtextes „Der Weg“
Die erste Strophe des Textes von „Der Weg“ beginnt mit
der metaphorischen Umschreibung des „Blindseins“, (ich
kann nicht mehr seh’n –trau nicht mehr meinen augen1),
das sich jedoch als Eintrübung des Blickes aufgrund des
Todes2 einer nahestehenden Person deuten lässt und nicht
wörtlich als medizinisches Krankheitsbild aufzufassen ist.
Eventuell zweifelt das lyrische Ich auch folgend an der
ihn umgebenden Realität aufgrund einer so elementaren
Verlusterfahrung. Dieser Zweifel bezieht sich jedoch nicht
1
Die Zitate aus dem Songtext sind direkt von der Internetseite
des Sängers www.groenemeyer.de/archiv/musik/der-weg übernommen worden. Die Besonderheit der Grönemeyer-Texte ist der
Verzicht auf Großschreibung sowie die Verwendung der alten
Rechtschreibung.
2 Die Todesnachricht bzw. der Umgang mit dem (unfairen) Tod
eines nahen Angehörigen lässt sich zu Beginn des Textes nur erahnen. Erst im Refrain und mit Deutung des gesamten Songtextes
lässt sich dieser Bezug ziehen.
Loccumer Pelikan 1/2016
nur auf visuelle Perspektiven, auch der Glaube wird ebenso wie die bis dato „heile“ Gefühlswelt in Frage gestellt
(kann kaum noch glauben – gefühle haben sich gedreht).
Die lähmende Trägheit (ich bin viel zu träge) nach einer
Todesnachricht eines nahen Angehörigen wird durch den
Zusatz „um aufzugeben“ sofort relativiert und auch mit
dem Hinweis „es wär auch zu früh“ wird vorsichtig ein
Hoffnungsschimmer für den Trauernden deutlich.
Im zweiten Teil der ersten Strophe wechselt die Pers­
pektive durch die Änderung des Personalpronomens von
ich zu wir. Hier beschreibt das lyrische Ich die besondere
Liebesbeziehung mit einem Adynaton (wir haben den regen gebogen), eigentlich unmögliche Dinge waren in der
Beziehung des lyrischen Ichs zu seinem Partner / seiner
Partnerin möglich. Dennoch wird auch die menschliche
Naivität, wahrscheinlich als Umgang mit der bestehenden Todesnachricht, thematisiert bzw. kann als solches
gedeutet werden (wir haben die wahrheit so gut es ging
verlogen).
Der anschließende Refrain ist als Anrede an die verlorene Person zu deuten, hier spricht das lyrische Ich direkt
seine/n Partner/in an, erneut erfolgt durch die Verwendung
des Personalpronomens eine Zäsur. Das Fluten des Raumes
mit Sonne und das Verkehren des Verlustes ins Gegenteil
sind nur einige metaphorische Umschreibungen der besonderen Begabungen der Person, um die das lyrische Ich
trauert.
Die nachfolgende, vom Umfang deutlich kürzere zweite
Strophe setzt die Beschreibung der besonderen Beziehung
zwischen dem lyrischen Ich und seiner/m Partner/in fort.
Sie haben „den film getanzt in einem silbernen raum“ und
von einem „goldenen balkon die unendlichkeit bestaunt“,
gemeinsame Erlebnisse werden als einzigartig und wertvoll beschrieben, das gemeinsame Leben wurde intensiv
und grenzenlos gelebt.
Eine Erweiterung des Refrains, in dem fast jede Zeile
mit einem Possessivpronomen beginnt, verweist erneut
auf die Einmaligkeit der beschriebenen Person: sie wird
als tapfer (du hast der fügung deine stirn geboten), heiter, würdevoll und geschickt beschrieben; ein glücklicher
Charakter mit Lebenserfahrung.
In der dritten Strophe, die mit dem symbolisch fallenden Vorhang als Symbol für den Tod endet, sinnt das lyrische Ich über sein zukünftiges Leben nach und reflektiert
gleichermaßen sein bisheriges. Das „ich gehe nicht weg
– hab meine frist verlängert“ kann als trotzige Antwort auf
den frühen Tod seiner/s Partners/in verstanden werden.
Suizidale Gedanken, die in der ersten Strophe indirekt
angedeutet werden (ich bin viel zu träge um aufzugeben),
haben trotz der Trauer um den geliebten Menschen keinen
Platz mehr. Die „neue zeitreise“ bzw. die „offene welt“
sind Hoffnungsschimmer, für die es sich zu leben lohnt.
Und der geliebte Mensch wird nicht vergessen werden, da
das lyrische Ich ihn/sie „sicher in der Seele“ hat, was über
den Tod hinaus geht.
Resümierend wird somit im Verlaufe des Liedtextes
deutlich, dass das lyrische Ich sich mit liebevollen Erin­
nerungen an die verlorene Person tröstet und sich seine
29
praktisch
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der
uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten
können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem
wir selber getröstet werden von Gott.“
Darüber hinaus wird in der Geschichte der Aufer­
weckung des Lazarus‘ durch Jesu Aussage „Ich bin die
Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird
leben, auch wenn er stirbt.“ (Joh 11,25) deutlich, dass der
Glauben die teilweise engen Schranken zwischen Leben
und Tod weiten kann und wird. Auch in der Offenbarung
ist die Auferstehung der Toten bzw. vom Tod das zentrale
Element: „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch
Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist
vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich
mache alles neu!“ (Offb 21,4-5) Das irdische, von Sorgen,
Kummer und Schmerz gezeichnete Leben ist vergangen;
Menschen können so Kraft und Mut schöpfen, dass Gott
sie auf ihrem letzten Lebensweg begleitet und sie von ihrem Leid erlöst und sie auferstehen werden.
Sterben Menschen jedoch ganz unerwartet und mitten
aus dem Leben, stellt sich uns Christen häufig die Frage
nach dem Warum? – Warum lässt Gott das zu? – Warum
hilft Gott nicht?
Im Buch Hiob werden diese Fragen zwar nicht abschließend geklärt, es wird jedoch anhand von Hiobs
Lebens- und Leidensweg exemplarisch dargestellt, wie
Hiob mit Gott ringt und immer wieder die Frage nach dem
Warum stellt. Jesu Kreuzestod ist demgegenüber der Beleg
dafür, dass der Glaube an Gott und seine Güte unserem
Leben Sinn schenkt und dass die Liebe Gottes auch mit
dem Tod nicht enden kann und wird.
Die im Folgenden beschriebene Stunde ist Teil der
Unterrichtseinheit „Schuld und Vergebung“ für die
Sekundarstufe II. Im Zentrum steht der Song „Der Weg“
von Herbert Grönemeyer.
praktisch
30
zunächst sehr pessimistische Lebenseinstellung zu einer
fast trotzigen „jetzt-erst-recht“-Haltung wandelt.
• im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu
religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten (Urteilskompetenz).4
Didaktische Überlegungen
Für die spezifische Unterrichtsstunde lassen sich folgende
Ziele formulieren:
• Die Schülerinnen und Schüler können die religiösen
Anspielungen im Grönemeyer-Lied „Der Weg“ erkennen und deuten.
• Die Schülerinnen und Schüler können die Perspektive
des Filmhandelnden (Herbert Grönemeyer) einnehmen
und in Bezug setzen zu religiösen Motiven.
• Die Schülerinnen und Schüler können Unterschiede
und Gemeinsamkeiten einer (glücklichen) Vorstellung
vom Jenseits bzw. Leben nach dem Tod im GrönemeyerSong und in der Johannes-Offenbarung benennen und
Stellung dazu nehmen, mit welcher sie sich (stärker)
identifizieren können.
Die Unterrichtsstunde steht im Zusammenhang einer
Unterrichtssequenz im Kompetenzbereich „Schuld und
Vergebung“ für die Sekundarstufe II. Sie lässt sich verorten in der Unterrichtssequenz „Kreuz und Auferstehung –
Für mich gestorben und auferstanden?“. Die Schülerinnen
und Schüler in diesem Religionskurs auf grundlegendem Niveau wünschten sich lebensweltliche Bezüge,
sodass der Grönemeyer-Song als ein Beispiel für die
Verarbeitung des Todes eines geliebten Menschen ausgewählt wurde. Alternativ hätten sich auch eine vertiefende Auseinandersetzung mit Xavier Naidoos „Abschied
nehmen“, Silbermonds „Kartenhaus“ oder Unheiligs
„An deiner Seite“ angeboten. Die religiöse Symbolik im
Grönemeyer-Song bietet jedoch analytisch die besten
Anknüpfungspunkte. Zudem gehört dieser Song nicht
zum „Kanon“ der Musik, die Schülerinnen und Schüler im
11./12. Jahrgang als ihre eigene Musik bezeichnen würden.
Ihnen wird also durch die Analyse des Songs nichts Eigenes
bzw. Privates als Unterrichtsgegenstand entfremdet.
Schülerinnen und Schülern ist – nicht nur in der gymnasialen Oberstufe – die „therapeutische“ Wirkung der
Musik bewusst. Zudem gehört sie elementar zu ihrem
Alltag. Die JIM-Studie3 von 2013 hat herausgestellt, dass
Musik zu hören für 90 Prozent der Jugendlichen (sehr)
wichtig ist und gleichauf mit dem Internet (89%) an der
Spitze der Lieblingstätigkeiten der Jugendlichen im Alter
von zwölf bis 19 Jahren liegt.
Mit Musik drücken Jugendliche sich, ihre Empfindun­
gen und ihre Einstellungen aus. Musik kann somit nicht
nur ein Gesprächsanlass sein, über den Tod und das Ster­
ben zu sprechen, sondern ist auch ein „Seelentröster“ in
schwierigen und unruhigen Zeiten, in denen Sprache an
ihre Grenzen stößt.
Kompetenzen und Unterrichtsziele
Folgende Kompetenzen sollen mit der Unterrichtssequenz
und der Unterrichtsstunde gefördert werden:
Die Schülerinnen und Schüler können
• Situationen erfassen, in denen letzte Fragen nach
Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen (Wahrnehmungs- und Deutungskompetenz),
• religiöse Motive und Elemente in Texten, ästhetischkünstlerischen und medialen Ausdrucksformen identifizieren und ihre Bedeutung und Funktion erklären
(Deutungskompetenz),
3
Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, Basis-­
untersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger in Deutsch­
land, 13.
Unterrichtspraxis
Zum Einstieg in die Stunde wird den Schülerinnen und
Schülern eine Traueranzeige (M 1) präsentiert, die Verse
aus dem Grönemeyer-Song zitiert. Sie hebt sich sowohl
grafisch als auch inhaltlich deutlich von den üblichen
Traueranzeigen ab: Es fehlen genaue Angaben zum Ge­
burts- und Sterbedatum der Person, zudem ist sie durch
die Darstellung von Himmel und Sonne mit religiösen
Bezügen versehen, die u.a. in der Erarbeitungsphase erneut thematisiert werden. Die Schülerinnen und Schüler
sollen sprachlich erfassen, dass es sich zunächst um eine
Beschreibung von gemeinsamen glücklichen Momenten
bzw. positiven Erinnerungen handelt (Fluten des Raumes
mit Sonne, verdrießliche Momente werden durch
Anwesenheit des anderen zu glücklichen Augenblicken).
Zum Ende des Auszuges erfolgt mit dem Hinweis, dass
das „Leben […] nicht fair (ist)“ jedoch der Verweis auf ein
Unglück. Anhand eines Zitates von Grönemeyer (M 2),
in welchem er seine Intention für die Komposition des
Stückes beschreibt, kann diese Ambivalenz von Trauer
und Hoffnung sowie Dank und Verzweiflung, die in dem
Song deutlich wird, erörtert werden.
In der nachfolgenden Erarbeitungsphase wird der
Video-Clip zu „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer zweimal präsentiert. Folgende Arbeitsaufträge (M 3) werden für
die Filmanalyse erteilt: Beschreiben Sie den Song, a) indem
Sie die Beziehung der beiden Figuren anhand ausgewählter Textpassagen charakterisieren sowie b) die filmische
Umsetzung und die Sprache zueinander in Bezug setzen.
Durch die binnendifferenzierte Aufgabenstellung werden
sowohl analytische als auch einfühlende Kompetenzen der
Schülerinnen und Schüler geschult. Die Ergebnissicherung
soll die Beziehung zwischen der besungenen Person und
ihrem (Ehe-)Partner präzisieren, die durch eine tiefe Liebe
zueinander geprägt ist. Die Textzeile „wär’n füreinander
4
Vgl. Niedersächsisches Kerncurriculum für das Gymnasium, 18.
Loccumer Pelikan 1/2016
Franziska Jaap ist Oberstudienrätin mit den Fächern
Musik, ev. Religion und Deutsch am Kurt-SchwittersGymnasium in Hannover-Misburg.
Literatur
Kirchenamt der EKD (Hg.): Für uns gestorben, Die Bedeutung
von Leiden und Sterben Jesu Christi, Gütersloh 2015
Kirchenamt der EKD und Sekretariat der Deutschen Bischofs­
konferenz (Hg.): Im Sterben: Umfangen vom Leben, Gemein­
sames Wort zur Woche für das Leben, 1996; www.ekd.de/EKDTexte/sterben_1996.html (22.10.2015)
Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hg.): JIMStudie 2013, Jugend, Information, (Multi-)Media, Basis­
untersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-jähriger, Stuttgart
2013
Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.): Kerncurriculum für
das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe, die Gesamtschule,
das Berufliche Gymnasium, das Abendgymnasium, das Kolleg,
Evangelische Religion, Hannover 2011
HINWEIS
Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar.
M 4: Interpretation der filmischen Umsetzung
Von Franziska Jaap
M
M 1: Traueranzeige
Materialien
2
Materialien
Materialien
Vom Umgang mit dem „unerwarteten“ Tod in der Popmusik
Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016
Antizipierte Antworten zum Vergleich zu M 5
Vorstellungen vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod
durch eine geschickte Kameraeinstellung so, als wür­
de dem Schiff der Untergang drohen. Ganz besonders
bei der Textzeile „heillos versunken“ überragen die
Herbert Grönemeyer
hohen Wellen das eher kleine Segelboot.
3
„Der Weg“
Der zweite Refrain beginnt mit der Darstellung
des Schiffes aus der Vogelperspektive, man schaut als
Betrachter von oben herab. Die die Wolken durchbre­
• Verbundenheit mit den Lieben auf der Erde („ich
chende Sonne erscheint zeitgleich mit dem „du hast
hab dich sicher in meiner seele“)
jeden raum mit sonne geflutet“, das Hissen der Segel
• Eintritt ins Jenseits durch Himmelstür
unterstützt die Aussage des „unbändigen stolz“(es).
(Symbolik: Steg, an dem das Boot anlegt)
Nach der stürmischen Illustration wirkt es fort­
• alle Toten werden dort sein
an nun so, als hätte der Kapitän das Schiff immer
mehr unter Kontrolle. Der „sichere gang“ wird durch
das sichere Steuern trotz hohen Wellengangs sym­
bolisiert und auch die Textzeile „du hast der fügung
eher diesseitig geprägte Vorstellung
M 5: des
Vorstellungen vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod
deine stirn geboten“ wird durch die Darstellung
Durchbrechen des Schiffsbuges durch die unsicheren
f Trostcharakter durch den Verweis auf
Wellen filmisch untermalt.
das Jenseits (hinter der Himmeltür), eine
Arbeitsauftrag:
In der folgenden dritten Strophe hat sich
der See­
Beschreibung des dortigen Lebens ist jedoch
gang beruhigt. Die Wellen lassen nach, sodass auch
nicht (menschen)möglich
Vergleichen
die Segel vom Kapitän eingefahren werden
können. Sie die Vorstellung vom Himmel bzw. Leben nach dem Tod, die im Grönemeyer­Song und im
Text
aus der Johannis­Offenbarung deutlich wird. Gehen Sie auch darauf ein, ob diese Texte für Trauernde
Genau zeitgleich zum besungenen
Vorhang
4 fallenden
Trostcharakter
haben
können
und
beschreiben
Sie
diese
genauer.
erscheint im Film der als Metapher zu verstehende
Holzsteg, welchen der Sänger und Protagonist betritt.
Der abschließende Weg führt ihn weg vom Schiff hin
zu einer Himmelstür, an die er anklopft undHerbert
die er im Grönemeyer
musikalischen Outro betritt. Durch die fast„Der
schwarze
Weg“
Färbung des Raumes hinter der Himmelstür bleibt der
dahinter liegende Raum bzw. die dahinter liegende
Welt im Verborgenen für den Betrachter, man kann
nicht erahnen, was nun folgt.
Materialien
D
Du hast ihn nie verraten,
deinen Plan von Glück!
er Videoclip mit einer Dauer von 4:17 Minu­
ten basiert auf einer Songauskopplung aus
Herbert Grönemeyers Album Mensch aus
dem Jahr 2002. Herbert Grönemeyer thematisiert
1
in diesem Song den Tod seiner Frau und seines
Bruders, die beide im Jahr 1998 verstorben sind. Die
Farbgebung in diesem Song ist insgesamt von eher
düsteren und grauen Tönen geprägt, zudem sind für
einen Videoclip eher wenig Schnitte vorhanden.
Der kurze Film beginnt mit der Darstellung eines
Himmels, kurz danach wird Herbert Grönemeyer
als Sänger und Protagonist des Filmes zunächst
noch im Schatten gezeigt, man sieht als Betrachter
lediglich den Hinterkopf. Durch den Schwenk in
eine Detailaufnahme des Mundes wird der Fokus
zunächst auf die gesungenen Worte gelegt, teilwei­
se folgt ein direkter Bezug zwischen Liedtext und
2: Zitat von Herbert Grönemeyer
filmischer Darstellung wie z.B: bei „gefühle haben
sich gedreht“, bei dem sich auch die Hauptperson des
Videos, die sich zu dieser Zeit in seiner Koje befindet,
dreht. Die Darstellung von alltäglichen Gegenständen
Der Song „Der Weg“ ist extrem traurig. Da habe ich die Kinder
ge­
wie einem Becher und einem Geschirrtuch während
fragt, ob das vielleicht zu viel sei. Ihre Antwort war: „Du hast
das so der ersten Strophe lässt sich nicht näher
des Gesangs
mit Mutter
Hilfe des Textes deuten, eventuell symbolisieren
geschrieben, also musst du es auch gefälligst so singen.“ Ihre
das höre
alltägliche Leben auf dem Schiff.
kam aus Hamburg und hatte diese hanseatische Nüchternheit.sieIch
Während des zweiten Teils der ersten Strophe
meine Frau in meinen Kindern und denke: „Das klingt sehrerfolgt
nach der
dir,Gang des Protagonisten an Deck, das
Anna. Auch du hast oft zu mir gesagt: ‚Jetzt zöger hier mal nicht
rum, der Luke läuft zeitgleich mit dem ge­
Aufschieben
sungenen „wir haben uns geschoben“ ab.
Herbert, wenn es so ist, dann ist es eben so.‘“
Das Segelschiff schippert fortan mit dem einsa­
men Kapitän über unruhiges Meer. Es wirkt teilweise
Herbert Grönemeyer
Offenbarung des Johannes
21, 1-5 und 22-25
Quelle: Stern, 29. August 2002,
http://www.stern.de/kultur/musik/herbert-groenemeyer--man-ist-mensch-und-macht-vieles-falsch3637938.html
(letzter Zugriff 21.01.2016)
M 3: Arbeitsauftrag
1. Beschreiben Sie den Song, indem Sie
Quelle: http://www.mainpost.de/anzeigen/suchen/trauer/tra001/art120861,7461905 (letzter Zugriff 17.03.2015)
a. die Beziehung der beiden Protagonisten anhand ausgewählter Textpassagen
charakterisieren.
b. die filmische Umsetzung und die Sprache im Liedtext zueinander in Bezug setzen.
Loccumer Pelikan 1/2016
2. Wählen Sie eine der Varianten aus.
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Offenbarung des Johannes
21, 1-5 und 22-25
• Vorstellung von einer neuen Erde und einem
neuen Himmel (ohne Meer)
• Gott lebt dann unter den Menschen
• im Himmel (Jenseits) ist kein Tod, keine Trauer,
keine Klage, kein Leid mehr vorhanden
• alle Gläubigen können dort leben
massive Jenseitsvorstellung
f Gott wird im Leben nach dem Tod unter den
Menschen wohnen, alle Trauer, Klage und alles Leid wird dort nicht mehr vorhanden sein
5
Materialien
i
Mit dem Text aus der Offenbarung steht dieser Hal­
tung eine klare Jenseitsvorstellung gegenüber: Das
menschliche bzw. irdische Leid wird durch die göttliche
Tröstung zu Ende sein. Schülerinnen und Schüler werden sich in der anschließenden Reflexion über Song und
Bibelstelle höchstwahrscheinlich eher mit dem sprachlich zugänglicheren Grönemeyer-Song als mit der visionären Offenbarungsgeschichte identifizieren können, ein
Austausch über Gründe für diese Positionierung bietet
sich somit an.
31
praktisch
gestorben“ ist ebenso wie „ein Stück vom Himmel“ ein
geeigneter Beleg für diese besondere Paarbeziehung. Die
ergänzende Beschreibung der filmischen Umsetzung (vgl.
M 4) sollte deutlich machen, dass eine besondere Trauer
nach dem Verlust der Partnerin vorhanden ist, die sich
durch Antriebslosigkeit auszeichnet. Der Partner verbleibt
alleine (in seinem Schiff) auf teilweise unruhiger See. Die
Leiter bzw. der Steg zum Ende des Videoclips ebenso wie
der Sonnenstrahl verweisen auf die Verbindung zwischen
Diesseits und Jenseits, zwischen Trauer und Hoffnung, die
in dem Clip deutlich wird.
Die religiöse Verortung dieses Songs erfolgt in der
Gegenüberstellung mit der Bibelstelle aus Joh. 21, 1-5 sowie 22-25. Hier sollte erkannt werden, dass Johannes als
Verfasser der Offenbarung visionär einen neuen Himmel
und eine neue Erde vor Augen hat. Diese Vorstellung ist
nicht menschlich, sondern göttlich, Gott als Schöpfer
dieser neuen Welt wird keine Sünden mehr zulassen,
kein Tod, kein Leid und keine Schmerzen werden dem
Menschen mehr widerfahren. Alle Gläubigen werden dort
ein ewiges Leben genießen können.
In der Vertiefungsphase werden die teilweise konträren
Vorstellungen vom Lebensende in Herbert Grönemeyers
Song und der Johannisoffenbarung gegenübergestellt
(M 5). Der Text von Grönemeyer verbleibt mit seinen
Aussagen im Diesseits, lediglich die bildliche Darstellung
mit den religiösen Reminiszenzen im Schiffsmotiv oder
auch der Himmelsleiter deuten auf ein Leben nach dem
Tod (bei Gott) hin. Grönemeyer verwendet die religiöse
Symbolik, um dem Unaussprechlichen Sprache zu verleihen: Die dargestellte Beziehung geht über eine geglückte
Paarbeziehung hinaus, sie verweist in den Filmbildern auf
eine übernatürliche (eventuell göttliche) Beziehung.
32
„Musibel“ – Musicals selbst produzieren
praktisch
Von Axel Klein
„Wenn es um das Verstehen von Texten geht,
kann Evidenz nur dann aufkommen,
wenn Text und Erfahrung des Lesers korrespondieren.“1
E
in eigenes Musical herstellen1– das ist für Jugend­
liche zunächst ein fast unglaubliches Unterfangen.
In Kenntnis der Musicalszene in Deutschland,
England und den USA sind die zu einem solchen Unter­
nehmen Eingeladenen erstaunt über das Zutrauen, sie
könnten daran teilhaben, so etwas entstehen zu lassen.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit denen
ich Musicalprojekte durchgeführt habe, sind in der Regel
mit der Wortschöpfung „Musibel“ zu dem Vorhaben eingeladen worden. Meine Erfahrung mit der Reaktion der
Eingeladenen auf diese Wortschöpfung ist positiv: Der
Klang des Wortes deutet die Nähe zum Musical an, verbirgt aber genauere Bezüge, so dass die Neugier geweckt
und das Interesse, wenigstens weitere Informationen einzuholen, vorhanden ist. Der Begriff „Musibel“ wird als
Beschreibung für den gemeinten Prozess und die Methode
(sozusagen als Arbeitstitel) benutzt, mit deren Hilfe eine
Gruppe ein eigenes Musical auf der Basis eines biblischen
Textes herstellt.
Durch Erfahrungen in Bibliodramakursen bin ich ermutigt worden, den eher erfahrungsbezogenen Weg der
Arbeit mit biblischen Texten für die Entwicklung von
Bibeltheaterstücken und „Musibels“ (Musikbibeltheater­
stücken) einzuschlagen.
Die Autoren biblischer Texte bedienen sich einer bildhaften Sprache. Sie wählen ihre Bilder aus der erfahrbaren
und wahrnehmbaren Welt ihrer Zeit. So bedürfen die Texte
einer Deutung und Übertragung, damit sie für Jugendliche
heute lesenswert und verstehbar werden. „Solche Texte
erzählen nicht Einmaliges …, sondern Allmaliges. Sie
erzählen, was niemals war und immer ist.“2 Die Bilder
der biblischen Texte sind also einerseits allmalig und andererseits an die für die Autoren damals wahrnehmbaren
Symbolquellen gebunden.
Den Autoren der Bibel geht es um die Wiedergabe
der Wahrnehmung dessen, was Leben ausmacht: Glück,
Leid, Leidenschaft, Trauer, Hingabe, Fehler, Hass, Liebe,
Vergebung usw. Sie geben Erklärungsmuster für scheiterndes und gelingendes Leben. Für die Erstbegegnung
mit einem biblischen Text sind für mich darum folgende
Fragen wichtig und hilfreich:
• Welches Bild vom Menschen gibt der Text wieder?
• Welches Bild von Gott zeichnet der Text?
• Was sagt der Text über das Zusammenleben der
Menschen untereinander und mit Gott?
• Welche Vision vom Zusammenleben der Menschen
untereinander und mit Gott wird im Text aufgezeigt?
Bei der Bearbeitung dieser Fragen werden die Bezie­
hungsebenen des Textes und ihre bildhafte Darstel­lung gefunden. Ein dermaßen analytisch vorgehender Leser wird
immer auch vergleichen, wie die eigenen gegenwärtigen
Beziehungen gegenüber Mitmenschen und Gott geordnet
sind, und ob dies den im Text vorfindlichen Erfahrungen
und Bildern entspricht. „An der Sprache der Bibel lernen
heißt, sie den täglichen Erfahrungen auszusetzen.“3
Die Bilder des Textes verwenden
Die Herstellung eines eigenen Theaterstückes, aus dem
dann ein Musical entwickelt werden kann, nimmt den
Prozess der durch Erzählung tradierten biblischen Texte
auf: Menschen befinden sich in einer bestimmten individuellen, politischen und sozialen Situation. In dieser
Situation treffen sie auf einen handelnden Gott.
Die Methode der vorbereitenden Arbeit an dem Text
nimmt diesen Prozess wie folgt auf: Zuerst werden im Text
vorhandene individuelle, politische und soziale Bilder benannt. Als Stichworte werden diese den Teilnehmenden zur
freien Assoziation angeboten. Die Stichworte und Assozia­­
tionen können dann als übertragene Darstellung der Bilder
des Textes zur Herstellung von Rollenspielszenen verwen-
1
Horst Klaus Berg: Ein Wort wie Feuer, 17.
ebd., 77.
2
3
Ingo Baldermann, Einführung in die Bibel, 28.
Loccumer Pelikan 1/2016
det werden. Die Spielszenen sind dann die Vorlage für die
Entwicklung eines Theaterstückes. Die Textvorlage aus
der Bibel dient der Gruppe als Kontrollinstrument, d.h. die
entworfenen Szenen werden bei ihrer Zusammenfassung
zu einer Geschichte mit Hilfe des Originaltextes überprüft. So entsteht zwar eine neue Geschichte, aber diese wird in ihrer Grundaussage an den Bibeltext gebunden. In der Konfrontation mit dem Bibeltext liegt für die
Teilnehmenden die Chance und Notwendigkeit, sich mit
dem Bild des handelnden Gottes zu befassen. Sie überprüfen, ob und wie Gott in den gefundenen Situationen aus
ihrer eigenen Zeit als aktiv wahrgenommen werden kann.
Der dritte Schritt findet in Kleingruppen statt. Die
Teilnehmenden werden gebeten, fünf Gruppen zu bilden.
Jede dieser fünf Gruppen wählt sich ein Plakat aus und
überlegt, welches Plakat die Zweitwahl wäre. Dann werden
die Gruppen gebeten, ein Plakat zur Bearbeitung in einen
Gruppenarbeitsraum mitzunehmen. Der Arbeitsauftrag
lautet: Stellt ein Rollenspiel zu dem Plakat her. Benutzt
Stichworte, die ihr auf dem Plakat findet und entwickelt dazu eigene Ideen. Versucht diese Ideen in einem Rollenspiel
auszudrücken und stellt das Ergebnis im Plenum vor.
Die erarbeiteten Rollenspielszenen werden im Plenum
schon in der Reihenfolge aufgerufen und vorgespielt, wie
sie der Herkunft im Bibeltext entsprechen.
33
Beispiel:
In der Bearbeitung des Weihnachtsevangeliums Lk
2,1-14 habe ich mit folgenden Bildern gearbeitet (diese
Stichworte sind Ergebnis meiner exegetischen Vorarbeit
und Ausdruck der Wahrnehmung meiner inhaltlichen
Leitungsverantwortung):
• Absolute Macht
• Verliebt, verlobt und schwanger – von ´nem Anderen
• Ein Dach über dem Kopf – nur für eine Nacht, bitte!
• Ein neuer Anfang
• Friedensinitiative veranstaltet eine Riesenaktion und
verunsichert die Bevölkerung
Zum Zeitpunkt der Arbeit an diesen „Bildern“ kennen die Teilnehmenden den biblischen Ursprungstext
nicht. Das ist in diesem Fall wichtig, da dieser Text eine Vertrautheit und Bekanntheit besitzt, die eine für alle
Beteiligten neue Bearbeitung mit Sicherheit verhindern
würde. Der Text ist nur durch die in den Stichworten gebundenen allmaligen Bilder während der Rollenspielarbeit
präsent.
Arbeitsschritte in der Gruppe
Im ersten Schritt werden den Teilnehmenden die Stich­
worte als Überschriften von Textabschnitten eines Bibel­
textes vorgestellt. Jedes Stichwort wird groß in die Mitte
eines Flip­chartbogens geschrieben. Diese Bögen werden
im Raum verteilt und den Teilnehmenden als Assoziations­
plakate angeboten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
bewegen sich im Raum zwischen den Plakaten und schreiben auf die Plakate.
Im zweiten Schritt werden die Plakate laut vorgelesen,
es dürfen nicht leserliche oder inhaltlich nicht verständliche Äußerungen auf den Plakaten angefragt werden. Hier
geht es nicht um eine Diskussion der Assoziationen oder
um die Klärung, ob irgendeine Idee auf dem Plakat „richtig“ ist und die Meinung aller Anwesenden trifft. Es geht
ausschließlich um die Sicherstellung, dass alles auf den
Plakaten gelesen und verstanden werden kann.
Loccumer Pelikan 1/2016
Stichwort Absolute Macht
Rollenspiel Situation am Abendbrottisch – Vater
„herrscht“ über Mutter und Kinder,
Grundtenor: „… solange Du Deine Füße
unter meinen Tisch stellst …“
Stichwort Verliebt, verlobt und schwanger – von
‘nem Anderen
Rollenspiel Beziehungsklärungsgespräch eines Paares
– „Es“ ist halt passiert, aber ich liebe
Dich immer noch. Grundthema: Treue,
Stabilität von Partnerschaft nach oder in
Krisen
Stichwort
Ein Dach über dem Kopf – nur für eine
Nacht, bitte!
Rollenspiel Obdachlosigkeit
Stichwort Ein neuer Anfang
Rollenspiel Beziehungsklärung nach einer Krise
– Für einen neuen Anfang braucht es
Verabredungen
Stichwort
Friedensinitiative veranstaltet eine
Riesenaktion und verunsichert die
Bevölkerung
Rollenspiel Friedensinitiative? Gibt es die noch? – Es
lassen sich doch alle mehr oder weniger
vom Zug der Zeit überrollen
Im vierten Schritt wird in Erinnerung gerufen, dass
es einen Text gibt, auf den sich die Rollenspielszenen beziehen. Dadurch wird Neugier auf diesen Text geweckt
und die Motivation vorbereitet, mit Hilfe dieses Textes
die Rollenspielszenen zu einem ganzen Theaterstück zusammenzufügen.
Die Teilnehmenden erhalten den Text als Arbeitsblatt.
Eine erste Begegnung mit dem Text kann durch die
Methode „Gebetshaus“ hergestellt werden.
praktisch
Darstellung des Arbeitsansatzes:
praktisch
34
Anleitung:
• Bitte stellt Euch in einen großen Kreis.
• Ihr haltet jetzt den Text in Händen, aus dem die
Stichworte stammen, die ihr in Rollenspiele umgesetzt
habt. Bittet lest diesen Text jetzt auf eine bestimmte
Weise. Während Ihr lest, geht bitte durch den Raum.
Bitte lest den Text insgesamt 5 mal. Beim ersten Mal
lest Ihr stumm; beim zweiten Mal flüsternd; beim dritten Mal normal laut, so wie ich jetzt spreche; beim
vierten Mal lest Ihr die Stellen, die Euch als besonders
interessant oder merkwürdig oder unverständlich erscheinen mit besonderer Betonung; beim fünften Mal
lest Ihr nur die Stellen des Textes mit Stimme, die Ihr
vorher besonders betont gelesen habt, den Rest des
Textes lest ihr stumm. Danach stellst Du Dich wieder hier in den Kreis (nicht irritieren lassen, Du wirst
unterwegs andere treffen, die an einer anderen Stelle
des Textes gerade lesen, auch nicht davon, dass Leute
schneller oder später fertig sind als Du.)
• Teilnehmende lesen den Text und gehen dabei durch
den Raum.
• Abschlussrunde: Leiter/in liest den Text noch einmal
ganz vor, die Teilnehmenden lesen jeweils an den
Stellen mit, an denen sie zuvor betont gelesen haben.
Der Text bekommt dadurch ein „Klangbild“.
In Folge dieser Textarbeit erhalten die Arbeitsgruppen den
Auftrag,
a. Ihr Bild im Text zu finden. (z. B. „Absolute Macht“
könnte dann dem Handeln des Kaisers zugeordnet
werden usw.)
b. Ihre Szene zu überarbeiten: Bitte schaut im Text nach
der Art und Weise, wie in Eurem Bild/Stichwort die
Menschen miteinander umgehen und übertragt diese
Art und Weise auf Eure Rollenspielszene – nicht den
Bibeltext nachspielen! Nur die Art und Weise, wie
Menschen in Eurem Abschnitt des Textes miteinander
umgehen, übertragen.
Vom Spielanlass zum eigenen Theaterstück
Die Spielanlässe sind in den politischen, historischen, sozialen und symbolischen Bildern des Textes vorhanden.
Sie sind übertragen worden und die Gruppe hat assoziativ
erfahrungsbezogen auf die Bilder reagiert. Die Gruppe
hat Rollenspiele zu Assoziationsplakaten hergestellt, die
zunächst vermeintlich beziehungslos nebeneinander stehen. Nach der Herstellung der Rollenspielszenen sind die
Teilnehmenden motiviert, einen Bibeltext in Augenschein
zu nehmen, der offenkundig in der Lage ist, eine Gruppe
zu den hergestellten Rollenspielen zu provozieren.
Nach der Arbeit mit und an dem Text stehen verschiedene Rollenspielszenen und der Text nebeneinander. Die
Szenen beziehen sich zwar auf bestimmte Textabschnitte,
haben aber ein Eigenleben entwickelt. Hier beginnt der
interessante und produktive Prozess der Entwicklung eines Theaterstückes. Die Teilnehmenden werden immer
wieder anhand des Textes überprüfen, ob das eigene
Theaterstück den Aussagen des Textes noch entspricht
(ohne ihn nachzuspielen). Sie vergleichen die soziale
und emotionale Situation der Figuren im Text und im
Rollenspiel und entdecken, dass in dem biblischen Text
das göttliche Handeln bzw. die Aktivitäten Jesu eine bedeutsame Funktion besitzen, die nicht zu vernachlässigen
ist.
Hier werden die Teilnehmenden angeleitet zu selbstständiger theologischer Feinarbeit. Es wird ihnen keine
theologische Interpretation angeboten, sondern ihnen
zugemutet, ihre eigene theologische Schlussfolgerung
im Hinblick auf bestimmte soziale Zusammenhänge zu
ziehen. Die Teilnehmenden philosophieren miteinander,
sie überprüfen ihre Ergebnisse anhand des Textes und
verändern dem entsprechend den Charakter einzelner
Figuren in ihrer Rollenspielszene. Wichtig erscheint
mir dabei, dass das eigene Rollenspiel erhalten bleibt
und es zu einem Prozess der Annäherung kommt. Die
Annäherung muss in zwei Richtungen gehen: einerseits
zu den anderen Rollenspielszenen und andererseits zum
biblischen Ursprungstext.
Für die Arbeit, die die Gruppe jetzt zu leisten hat, ist
es wichtig, dass die Information über alle Szenen und die
jeweils beteiligten Figuren sichtbar vorhanden ist. Die
Gruppe entscheidet gemeinsam, dass aus den (in diesem Fall) vier Szenen die Geschichte einer Hauptfigur
wird. Der erste Schritt für eine solche schwerwiegende
Entscheidung liegt in der Herstellung von Transparenz.
Es muss den Teilnehmenden jederzeit möglich sein, eine
Übersicht über die vorhandenen Szenen und Figuren für
sich selbst und den eigenen Denkprozess herstellen zu
können.
Auch die Entscheidung für die Auswahl einer Haupt­
figur muss sichtbar gemacht werden. Im methodischen
Vor­gehen entspricht der stattfindende Prozess einer Er­
zähl­werkstatt. Alle Teilnehmenden kennen alle Szenen
und können zu jedem angenommenen Fall fantasieren
und den Bezug zu der Ursprungsgeschichte in der Bibel
selbst herstellen. Die Teilnehmenden werden aufgefordert,
eine Person aus einer Szene als Hauptfigur für das ganze
Theaterstück auszuwählen. Wer einen Vorschlag unterbreitet, sollte kurz den Bezug zu den anderen Szenen und
der biblischen Vorlage herstellen. Einen Bezug herstellen
heißt, eine Figur aus einer anderen Szene benennen, deren
Identität mit der ausgewählten Figur verknüpfen und die
Szene in den Lebenslauf der Figur einpassen. Am Ende
dieses Prozesses steht ein Theaterstück, das einen Teil der
Lebensgeschichte einer Person erzählt.
Vom Theaterstück zum Musical
Die Gruppe hat ein eigenes Theaterstück entwickelt und
ist damit zufrieden. Gleichzeitig steigt die Anspannung,
die in den Fragen nach dem „Was singen wir eigentlich?“
ihren Ausdruck finden.
Loccumer Pelikan 1/2016
Warum oder wozu und in welchen Situationen singen einzelne Darsteller oder Chöre in Musicals, Operetten und
Opern?
• Solisten singen, um dem Publikum zusätzliche Infor­
mationen über ihre Handlungsmotive, Hintergedanken
oder Gefühlslagen zu geben.
• Chöre stellen Interessen und Handlungswünsche von in
dem Stück vorhandenen Gruppen dar und dies häufig
als Gegenüber zu Solisten bzw. einzelnen Darstellern.
Sie repräsentieren die gesellschaftliche Norm.
• Gesang ersetzt „normales“ Sprechen, um durch den
Charakter der Musik die Emotionalität dessen, was gesagt werden soll, besser zu erfassen und auszudrücken.
Diese Kurzinformationen reichen einer Gruppe aus,
um das eigene Stück zu überarbeiten:
Schritt 1
Geht in eure Arbeitsgruppe und spielt euch die eigene
Szene noch einmal vor. Überprüft, was eure Figuren tun.
Aus welchem Gefühl heraus handeln sie? Erzählt euch
gegenseitig, was ihr über die Gefühlslage der einzelnen
Personen in eurer Szene wahrnehmt. Schreibt Stichworte
zu Gefühlen auf, die die ihr bei euren Figuren zuordnet.
Erst in dieser Phase der Arbeit an dem eigenen Musical/
Musibel kommt zum Tragen, was die Teilnehmenden
schon in der Einladung zu dieser gemeinsamen Arbeit lesen können: Bringt Musik mit, die ihr mögt. Egal, ob ihr
die Lieder mit Noten oder nur die Texte, ob Ihr sie auf CD
oder MC mitbringt. Es kommt nicht auf die Musikrichtung
an – alles ist erlaubt!
Beispiel
In einem Stück zum Weihnachtsevangelium singt Maria
im Wechsel mit einem Chor, der die über die ungewollte
und gesellschaftlich nicht akzeptablen Schwangerschaft
entsetzten Bürger darstellt:
Maria: Jetzt sitz ich hier, mir ist ganz mulmig.
Bürger: Jetzt sitzt sie da, ihr ist ganz mulmig.
Maria: Ich hab ein Kind in meinem Bauch.
Bürger: Sie hat ein Kind in ihrem Bauch.
Maria: Allmählich kann man´s sogar sehen!
Bürger: Allmählich kann man´s sogar sehen!
Maria: Ich hab Hunger auf saure Gurken.
Hier haben die Jugendlichen auf der Basis eines
ein­fachen Bluesschemas das Prinzip „Vorsänger und
Chorus“ umgesetzt. Dies waren musikbegeisterte und
ein Instrument spielende Jugendliche. Für diejenigen
Leserinnen und Leser, die jetzt innerlich resümierend
feststellen, solche Jugendlichen habe ich nicht, sei hinzugefügt: Alle Jugendlichen können mindestens ihre Com­
puter, MP3-Player und Smartphones bedienen. In der
Bearbeitung von Lk 5,17-26 (Die Heilung eines Gelähmten)
singt die Hauptdarstellerin in einer Krankenhausszene ihr
Lied „Warum ich?“ auf der Basis des Stückes „Ironic“
von Alanis Morissette. Zur Aufführung hat sie über den
CD-Player zu ihren Füßen leise das Stück abgespielt und
selbst laut über das Mikrofon ihren Text darüber gesungen.
Die Kleingruppen erarbeiten einzelne Musikstücke für
die Figuren aus der eigenen Szene. Die ersten Ergebnisse
werden im Plenum vorgestellt. Die Ideen für weitere
Musikstücke oder Korrekturen an einzelnen Liedern
werden auch hier angedacht, aber in den Arbeitsgruppen
ausgeführt.
Schritt 2
Schritt 4
Nachdem die Gruppen die Figuren und deren Handlungs­
weisen in ihrer Szene auf den Gefühlsausdruck untersucht
haben, suchen sie aus der mitgebrachten Musik ein Stück
aus, das von der Melodie, dem musikalischen Ausdruck in
der Lage ist, dieses Gefühl zu transportieren.
Schritt 3
Mit Hilfe der Stichworte zur Gefühlslage der Figuren und
der mitgebrachten „Musik“ stellen die Arbeitsgruppen
eigene Lieder her. Das Versmaß der Liedverse ist ihnen
durch die ausgewählten Stücke vorgegeben und sie lernen am selbst ausgewählten Beispiel, wie ein Text auf die
Melodie passt. Die günstigste Variante ist die der mitgebrachten Noten und Texte; in CD-Begleitheften ist häufig
ein Textteil abgedruckt, so dass auch hier das Versmaß
leicht reproduzierbar ist. Jugendliche, die in der Lage sind
ein Instrument zu spielen, verwenden manchmal ganz eigene Ansätze, indem sie z. B. ein Bluesthema verwenden
und darauf einen Text schreiben.
Loccumer Pelikan 1/2016
Spätestens das zweite Zwischenergebnis der Bearbeitung
des Theaterstückes mit musikalischen Einlagen sollte aufgezeichnet werden. Die beste Möglichkeit der Aufzeichnung
bietet der Videomitschnitt, aber auch ein Tonmitschnitt
hilft der Gruppe, weitere Entwicklungsschritte für das
Musibel/Musical in den Blick zu nehmen. Selbst nachdem die eigenständigen Rollenspielszenen zu Abschnitten
der Lebensgeschichte einer oder mehrerer Hauptfiguren
umgewandelt worden sind, kann es sein, dass die Szenen
noch zu sehr in sich geschlossen sind und Übergänge
zwischen den Szenen fehlen. Mit der Frage: „Was würdest Du Dir als Zuschauer an weiteren Informationen
zu einzelnen Figuren oder dem Geschehen wünschen?“
können die Jugendlichen das eigene Produkt noch einmal
distanziert betrachten. Hier können die Handlungsabläufe
überprüft und weitere Ideen entwickelt werden, wie z. B.
in einer Szene auf die nächste verwiesen werden kann,
wie der Handlungsablauf der einen Szene sinnlogisch
den der anderen Szene herbeiführt. Es kann beschlossen
werden, dass zwischen den Szenen ein Erzähler oder eine
35
praktisch
Erarbeitung musikalischer Ergänzungen
praktisch
36
Erzählerin auftritt und durch zusätzliche Informationen
oder Zusammenfassung der Ereignisse die Verbindung
zwischen den Szenen herstellt.
Wenn das Stück soweit gereift ist, dass in jeder Szene
auch gesungen wird oder musikalische Einlagen eingearbeitet sind, ist es an der Zeit, über eine Aufführung nachzudenken. Erst nach der Entscheidung für ein Vorspielen des
Stückes ist es notwendig, das Spielen der Darsteller­innen
und Darsteller auf ein Publikum hin zu bedenken. Bis zu
dieser Entscheidung hat das Spiel und der Gesang seinen
gruppendynamischen bibliodramatischen Eigenwert.
Eine Aufführung braucht Öffentlichkeitsarbeit, d.h.
Werbung. Um Öffentlichkeitsarbeit leisten zu können,
braucht das Stück einen Titel! Dieser Titel muss in einem
letzten Arbeitsschritt mit den Teilnehmenden gesucht und
einvernehmlich gefunden werden.
In dem von mir verfassten Band: „Musicalisch Be­­­
freiung erleben“ werden von Jugendlichen und Konfirman­
dengruppen hergestellte Musibels vorgestellt.
Axel Klein ist Dozent für Konfirmandenarbeit und schulbezogene Jugendarbeit der Ev.-luth. Landeskirche in
Braunschweig.
Literatur
Baldermann, Ingo: Einführung in die Bibel, Göttingen 1993
Berg, Horst Klaus: Ein Wort wie Feuer, Wege lebendiger Bibel­
auslegung, Stuttgart 1991
Klein, Axel: Musicalisch Befreiung erleben – Biblische Geschichten
in der Arbeit mit Jugendlichen, Hamburg 2002
„96, alte Liebe“ oder „You´ll never walk alone“
Fangesänge und ihre religiösen Implikationen als Gegenstände
eines lebensweltorientierten Religionsunterrichts
Von Christhard Lück
M
an muss kein Prophet sein, um vorherzusehen,
dass die Fußball-Europameisterschaft 2016 in
Frankreich viele Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer in ihren Bann ziehen wird.
Aber auch jenseits einer internationalen Meisterschaft drehen sich zahllose Gespräche – nicht nur – in der Schule um
die schönste Nebensache der Welt. Viele Heranwachsende
spielen in ihrer Freizeit Fußball, etliche sogar in einem
Verein. Jedes Wochenende „pilgern“ Hunderttausende von
Fans mit farbenprächtigen „Devotionalien“ (Fan-„Kutten“,
-Schals, -Trikots, etc.) ausgestattet in die Fußball-Arenen,
die modernen „Kathedralen“ gleichen. Zwischen dem
Ablauf eines Gottesdienstes in der Kirche und dem Ablauf
des Geschehens auf dem „heiligen Rasen“ sind erstaunliche Parallelen zu konstatieren. An beiden Orten gibt es
eine festgelegte „Liturgie“. Im Wechselspiel zwischen dem
Liturgen resp. der Liturgin und der „Gemeinde“ werden
„heilige Texte“ rezitiert und stimmungsvolle „Choräle“ intoniert, die für viele Anhänger weit mehr sind als profanes
Gegröle. Für die wahre Fangemeinde resp. den „zwölften
Mann“ ist Fußball schon lange kein Spiel mehr, sondern
Lebens- und Glaubensinhalt. Das zeigen bekenntnishafte
Aussagen auf den Stadionjacken eingefleischter Fans wie
„HSV ist Religion“ oder „Schalke 04. Eine Familie. Eine
Religion“ ebenso wie das – ernst gemeinte oder ironische
– Diktum des Sängers der Band „Die Toten Hosen“ und
Fortuna Düsseldorf-Fans Campino: „Jeder sollte an irgendetwas glauben, und wenn es an Fortuna Düsseldorf
ist“.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass
Vergleiche zwischen Fußball und (christlicher) Religion
– zumeist unter Rekurs auf ein weites, funktionales
Verständnis von Religion – immer wieder gezogen wurden. Im Unterschied zu substanziellen Definitionen, die
Religion über ihren inhaltlichen Bezugspunkt (z. B. Glaube
an Gott oder sonstige transzendentale Mächte) bestimmen,
beschreiben funktionale Definitionen, was Religion für das
Individuum und die Gesamtgesellschaft bewirkt bzw. leistet. Fünf Funktionen werden Religion nahezu konsensuell
zugeschrieben: „Gemeinschaftsstiftung“, „Ritualisierung
des Alltags“, „Emotionsregulation“, „Wertorientierung“
und „Kontingenzbewältigung“1. Empirische Studien zeigen, dass sich Fußball-Fantum und (christliche) Religion
vor allem in ihren sozialen Funktionen überschneiden 2.
Gleichwohl spricht viel für die These, dass der Fußball
1
Schäfer/Schäfer: Abseits-Religion, 5-6.
Vgl. ebd., 16-24.
2
Loccumer Pelikan 1/2016
3
Bromberger: Fußball als Weltsicht und Ritual, 300.
Vgl. dazu Lück: „Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball
spielen kann“, 217-229.
5Vgl. https://www.fc-union-berlin.de/fans/fankalender/weihnachts
singen.
6
Unter „expliziter Religion“ subsumieren die Autoren die
„Phänomene, die sich selbst als Religion auffassen, als solche
benennen und auch aus der Außenperspektive als Religion aufgefasst werden. Als implizite Religion werden hingegen Phänomene
bezeichnet, die weder sich selbst als Religion verstehen noch
aus der Außenperspektive so wahrgenommen werden, allerdings
kultureller Semantik entsprechend ‚Religion‘ genannt werden
könn(t)en“ (Klein/Schmidt-Lux: Ist Fußball Religion?, 20).
7
Vgl. dazu Lück/Kehlbreier 2011; Arnold/Klein 2014; Lück/Jänig/
Kehlbreier/vom Stein 2014.
4
Loccumer Pelikan 1/2016
Im Fußballstadion braucht
man kein Gesangbuch
Der weitreichende Abbruch der Tradition selbstverständlichen Singens im Religionsunterricht der Sekundarstufe
I und II bei der gleichzeitigen Etablierung einer neuen, lebendigen Singkultur im Lebensalltag von vielen
Jugendlichen fordert religionspädagogisch heraus. Muss
eine Gesangskultur an den traditionellen Lernorten
Familie, Gemeinde und Schule mitunter erst wieder –
mühsam – neu gestiftet werden, so ist seit einigen Jahren
ein regelrechter Boom des (Mit-)Singens in KaraokeShows, auf Rockkonzerten und in Fußballstadien zu
registrieren. Nach der Analyse von Christian Grethlein
bergen Fußballfangesänge ein großes Anregungs- und
Innovationspotenzial in sich, das teilweise sogar anschlussfähig ist an schon fast vergessene liturgische Erkenntnisse
und Verfahrensweisen aus der Reformationszeit8: „Der
Fan singt auswendig, meist im Stehen. Melodien kommen aus der Musik der Massenmedien und werden in
Kontrafaktur mit neuem Text versehen. Dazu tritt ‚bodypercussion‘ als entwicklungsgeschichtlich älteste Form
von Instrumentalmusik, meist als Klatschen … Rufe und
Gesänge sind kurz, sie werden zuweilen von Einzelnen
angestimmt, viele Fan-Blocks haben einen ‚Kantor‘,
den chant-leader, das Call and response-Prinzip bzw.
Refrainlieder und Wiederholstrukturen spielen eine Rolle“.
Das bei Fußballliedern häufig zu beobachtende Phäno­
men der Neutextung (Kontrafaktur), rhythmisch-melo­­
dischen Vereinfachung oder Parodisierung populärer
Liedmelodien hat kultur- und musikgeschichtlich „eine
lange Tradition“�. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür
ist der berühmte Eingangschor des Weihnachtsoratoriums
von Johann Sebastian Bach „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage“, der eine zeitgenössische Liedmelodie adaptiert und mit einem anderen Text versieht.9
Inhaltlich sind die Fangesänge für zahlreiche Fuß­
ballanhänger zudem weit mehr als bloße Lieder. Sie drücken
aus, was diese tief in ihrem Inneren für ihre Mannschaft
empfinden. Die Liedtexte, die die meisten Fans wie regelmäßige Gottesdienstbesucher in- und auswendig können, weisen dabei nicht selten bemerkenswerte Analogien
zu biblisch-theologischen Metaphern und Motiven auf.
Neben textlichen Entsprechungen sind auch musikalische Parallelen zu beachten. Die Musikwissenschaftler
Reinhard Kopiez und Guido Brink stießen bei ihrer akribischen Analyse von Fußball-Fangesängen auf frappierende
Ähnlichkeiten zwischen kirchlichem Gemeindesang und
den Liedern aus der Kurve10. Im Stadion braucht der homo
fanaticus11 „kein Gesangbuch. Die religiösen Elemente der
Hymnen liegen auf der Hand.“12
8
Vgl. Grethlein, Praktische Theologie, 541.
Leube, Singen,15.
10 Brunner, Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballstadion, 34.
11 Vgl. ebd.
12
Vgl. Kopiez/Brink, Fußball-Fangesänge.
9
37
praktisch
– trotz aller religiösen Metaphorik und religionsaffinen
Phänomene – keine zivile (Ersatz-)Religion darstellt, da
in ihm der Gottesbezug, die Frage nach „Erstursachen und
letzten Zwecken“ und „auch die Frage nach einer vollständigen Transformation unseres Lebens gänzlich“3 fehlen.
Zugleich ist nicht zu übersehen, dass die Kommunika­
tion des Evangeliums gegenwärtig nicht nur in den klassischen praktisch-theologischen Handlungsfeldern (Familie,
Schule, Kirche, Diakonie, Medien), sondern immer häufiger auch im Umfeld des Fußballs geschieht4. So wurden
in mehreren Bundesligastadien (Gelsenkirchen, Berlin,
Frankfurt, zuletzt im November 2015 in Wolfsburg) öku­
menische Kapellen errichtet, in denen Gottesdienste
und Andachten gefeiert und Menschen an besonderen
Übergängen im Lebensverlauf liturgisch begleitet werden. Es gibt etliche Bundesligaprofis, -manager und
-trainer, die sich bewusst als Christen verstehen und ihr
Christsein durch Frömmigkeitsgesten und Bekenntnisse
öffentlich zum Ausdruck bringen. Im Kontext des
Fußballgeschehens engagieren sich christlich-soziale
Fanclubs ganz unterschiedlicher theologischer Prägung,
die sich gemeinsam und konfessionsübergreifend für eine
von Toleranz, Respekt, Friedfertigkeit und Fröhlichkeit
geprägte Fankultur einsetzen. Die wundersamen Wechsel­
wirkungen zwischen Fußball und christlicher Religion
werden auch an der Feier vereinsübergreifender Gottes­
dienste zwischen rivalisierenden Fangruppen (sog. DerbyGottesdienste) und an dem Ritual des sog. Weihnachts­
singens, das 2003 im Stadion von Union Berlin ihren
Aus­gangspunkt nahm, sichtbar. In diesem Jahr verabredeten sich 89 Menschen einen Tag vor Heiligabend
im Stadion „An der Alten Försterei“ zum Singen von
Weih­nachts­liedern und Fußballhymnen. Seitdem wuchs
die Zahl jährlich an. 2013 trafen sich 27.500 Menschen
zum Singen von Weihnachtsliedern und zum Hören der
Weihnachtsgeschichte5. Mittlerweile hat das Berliner
Weihnachtssingen bundesweit zahlreiche Nachahmer gefunden. Es gibt „explizite“ und „implizite Religion“6 im,
beim und am Fußball.
Für eine religionsdidaktische Erschließung des Fuß­
ball-Themas bieten sich sehr unterschiedliche Zugänge7
an. Die folgenden Ausführungen fokussieren sich auf
Stadionlieder und ihre religiösen Implikationen.
Die Mutter aller Hymnen
praktisch
38
Das Lied „You´ll never walk alone“ (vgl. Link 1) ist über
sämtliche Landes- und Vereinsgrenzen hinweg die Fuß­
ballhymne schlechthin. Sie wurde vermutlich 1963 das erste Mal von Fans auf der Stehtribüne „The Kop“ im Stadion
des FC Liverpool an der legendären Anfield Road angestimmt. Als vor einem Spiel der Stadionlautsprecher in
dem Moment ausfiel, als das Stück gespielt werden sollte,
intonierten die Fans den Song spontan selbst und sangen
ihn lautstark zu Ende. Die ursprünglich 1945 von Richard
Rogers und Oscar Hammerstein komponierte und 1963
von der Liverpooler Band „Gerry & The Pace­makers“
interpretierte Hymne, verbreitete sich von Liverpool aus
um die gesamte Fußballwelt. Anhänger des FC St. Pauli
adaptierten sie als erste Fangruppierung in Deutschland.
Heute wird die Mutter aller Hymnen, die eher zufällig
auf den Fußballplatz gelangte, in Fußballstadien in ganz
Europa mit Andacht und viel Inbrunst gesungen.13
Das Musikstück stellt so etwas wie ein Treuebekenntnis
der Fans dar, das gerade auch in schlechten Zeiten, z. B. bei
Niederlagen oder dem Abstieg der eigenen Mannschaft,
gilt: „You´ll never walk alone“. Auffällig ist, dass die
Hymne zahlreiche Motivanalogien zu Worten aus Psalm
23 und dem Buch Deuterojesaja (Jes 40-55) aufweist, etwa zu Jes 43,2: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich
bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen;
und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und
die Flamme soll dich nicht versengen“. Die bewahrende
Begleitung in Bedrängnissen und (Lebens-)Gefahren,
die Gott in diesem Bibelvers den Menschen verheißt,
„entspricht jener, die die Fans ihrer Mannschaft zusagen.
Getragen wird „You´ll never walk alone“ – ähnlich wie
in der biblischen Überlieferung – von der Hoffnung auf
einen „goldenen Himmel“. Für den Fußballfan ist der Sieg
im Spiel, der Meistertitel, jenes innerweltliche Gut, das
er sich – wenigstens zu diesem Zeitpunkt – von seinem
Leben erhofft“14.
Dass dieses Lied tatsächlich Menschen Zuversicht
und Trost über den biologischen Tod hinaus zu spenden
vermag, wurde am 15. November 2009 deutlich. An diesem Tag sang die 17-jährige Schülerin Alina Schmidt die
Hymne im Stadion von Hannover 96 bei der Abschiedsfeier
für Robert Enke15. Das Stück wird auch im Kontext der
Katastrophe von Hillsborough gesungen16. Am 15. April
1989 verstarben 96-Fans bei einem tragischen Unglücksfall
13Der
„Fan“ ist im heutigen Sprachgebrauch ein „begeisterter Anhänger“ (Duden 2014, 271). Der Begriff geht etymologisch auf das lateinische „fanaticus“ zurück, ein „Sakralwort“,
das ursprünglich „von der Gottheit ergriffen und in rasende
Begeisterung versetzt“ bedeutete (ebd.).
14 Törner-Roos, Nur Gegröle? Die „heiligen Texte“ der Fußballfans,
2.
15 Vgl. exemplarisch die Video- und Tonaufnahmen von Fans in
Liverpool: https://www.youtube.com/watch?v=NN5AmHDT
Z0M, in Glasgow: https://www.youtube.com/watch?v=awosit
UJYLM und in Hamburg-St. Pauli: https://www.youtube.com/
watch?v=ii5JhW8nLl0.
16
Oehler, Fangesänge und ihre religiösen Implikationen, 71.
beim Pokal-Halbfinale zwischen dem FC Liverpool und
Nottingham Forest im überfüllten Hillsborough-Stadion
in Sheffield, viele kamen aus Liverpool. Das Denkmal für
die Verstorbenen und ihre Angehörigen am Stadion trägt
den Spruch „You´ll never walk alone“.
Vereins- und stadionspezifische
Fangesänge
Zu der Urhymne des europäischen Fußballs gesellten sich
in den letzten Jahrzehnten zahllose vereins- und stadionspezifische Fangesänge.17 Ihr musikalisches Repertoire
ist fest im kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Fan­
gruppierungen verankert. Vorherrschend ist eine „stadion­
immanente Tradierung“ in der Gestalt, „dass die Fans bestimmte Melodien innerhalb des Stadions an die nächste
Fan-Generation weitergeben und die jungen Fans diese
Lieder ausschließlich im Stadion lernen und singen, oft
ohne das Originallied zu kennen“18. Ihnen ist daher meist
nicht bekannt, dass manche Lieder aus der Kurve auf die
Melodien von christlichen Glaubensliedern (angloamerikanischen Traditionals) gesungen – bzw. textlich parodiert
– werden, z. B. auf „Glory Glory Hallelujah“ (Manchester
United: „Glory Glory Man United“)19; auf „When the
Saints go Marching in“ (zuerst Tottenham Hotspur: „When
the Spurs go Marching in“)20; auf „Michael, row the Boat
ashore, Hallelujah“ (vgl. das Anti-Werder Bremen Lied:
„Was ist grün und stinkt nach Fisch? Werder Bremen“) 21
oder auf „Amazing Grace“ (Erstaunliche Gnade) 22. Das
letzte Lied schrieb John Henry Newton, der Kapitän eines
Sklavenschiffs, nach seiner Rettung aus schwerer Seenot
am 10. Mai 1748. Zuvor hatte er Gott um sein Erbarmen
angerufen. Das geistliche Loblied ist heute eines der beliebtesten Kirchenlieder weltweit. Als Protestlied gegen die
Sklaverei erfreut es sich zudem bei christlichen wie nichtchristlichen Menschenrechtsaktivisten großer Beliebtheit.
„Leuchte auf mein Stern Borussia“
Das Lied „Leuchte auf mein Stern Borussia“ (vgl. Link
2) wurde von dem ehemaligen Stadionsprecher Bruno
Knust (*1954) auf die sentimentale Melodie des alten
Kirchenchorals „Amazing Grace“ (vgl. Link 3) kompo17
Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=WMxXB9TdNEM
18
Vgl. die Video- und Tonaufnahme: „25th Anniversary of Hills­
borough“: https://www.youtube.com/watch?v=HoqSlmy FMeU.
19 Die Seite www.fangesaenge.de/erste-bundesliga/index.html
dokumentiert allein 1000 Fangesänge für die erste Bundesliga.
Neben Anfeuerungs-, Jubel-, Dank- und Lobliedern finden sich
hier auch einige feindlich ausgerichtete sowie Gewalt verherrlichende Lieder. Für wertvolle Hinweise danke ich Christian Jänig
und Dietmar Kehlbreier.
20
Kopiez/Brink, Fußball-Fangesänge, 137.
21 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=a1nDYrCxeig
22
Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=er8kNgTsBnE
Loccumer Pelikan 1/2016
„Für manche von uns sogar Religion“
Spuren impliziter und expliziter Religion (s. Fn. 6) sind
auch in einem weiteren Fangesang der „Bajuken vom
Borsigplatz“26 zu eruieren. In dem Lied „Borussia“ (vgl.
Link 4), das größtenteils als dynamischer Sprechgesang
arrangiert wurde27, wird der Verein Borussia Dortmund
23 Vgl.
die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=7kKo3HkSsQo
24 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=CDdvReNKKuk
25
Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=TiRC6glHTFs
26
Kehlbreier, Fest und Gemeinschaft, 6.
27 Törner-Ross, Nur Gegröle? Die „heiligen Texte“ der Fußballfans, 3.
Das Motiv des Sterns spielt auch in der Fan-Hymne des FC
Bayern München „Stern des Südens“ eine wichtige Rolle.
Auffällig sind zudem die vielen rhetorischen Fragen, die „wie
Herausforderungen nach vorne stechen. Gleichgesinnte sollen die
Antwort stolz heraus posaunen – beim FC Bayern ist Rummel, er
hat schon alles gewonnen, hält die Rekorde und ist überhaupt der
Beste…. Deutscher Meister! Bis in alle Ewigkeit!“ (Peter Winkler:
Loccumer Pelikan 1/2016
an einer Stelle sogar expressis verbis mit „Religion“ in
Verbindung gebracht („Borussia ist Leidenschaft, eine
Leidenschaft, die Freunde schafft. Borussia, du verkörperst die Region, für manche von uns sogar Religion“). In
dem Song werden zudem die Gemeinschaftsstiftung und
die Wertorientierung als zentrale Merkmale des FußballFantums hervorgehoben. Im Stadion sind alle sozialen,
religiösen, nationalen und biologischen Unterschiede und
Traditionen – zumindest vorübergehend – aufgehoben
(„Bo­r ussia verbindet Generationen, Männer und Frauen,
alle Nationen. Hier fragt man nicht nach arm oder reich, wir
Fans auf der Tribüne, wir sind alle gleich.“). Die Parallele
zu Gal 3,28 („Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht
Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn
ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“) ist augenfällig.
Fast schon christlich-jüdisches Traditionsbewusstsein (vgl.
z. B. Dtn 6,4-6) dokumentiert ein weiterer Liedvers: „Hier
geht man schon aus Tradition zu jedem Spiel ins Stadion,
als Kind bin ich mit meinem Vater gekommen, und der
wurd‘ auch schon von seinem mitgenommen.“
„Wir stehen zu dir“
Das Stadionlied des 1. FC Köln „Mer stonn zo dir, FC
Kölle!“ („Wir stehen zu dir, FC Köln“; Link 5) wurde von
der Kölner Kultband „De Höhner“ („Die Hühner“) 1998
getextet. Die Hymne, die 2015 bei einem repräsentativen
Hymnenvoting von Fußballfans zum schönsten Fangesang
der Bundesliga gewählt wurde, basiert auf dem wohl berühmtesten schottischen Volkslied „Loch Lomond“. Das
schwungvolle Kölner Vereinslied28 stellt den Zusammenhalt
und das Gemeinschaftsgefühl der Fans überall auf der
ganzen Welt als fundamental heraus („E Jeföhl dat verbingk“, „Nur zesamme simmer stark – FC Kölle“; vgl. die
katholische Universalkirche!). Anhänger des 1. FC Köln
gibt nicht nur in der Nähe (Kölner Stadtteile „Ehrenfeld,
Raderthal, Nippes, Poll, Esch, Pesch und Kalk“), in der
Ferne („Rio und Rom“) und sogar in der Diaspora bzw. im
„Feindesland“ (Jläbbisch = Gladbach). Im Stadion sind alle
sozialen und biologischen Unterschiede und Trennungen
aufgehoben („Ov jung oder alt, ov ärm ode rich!“). Auch
wenn das Fan-Sein beim FC Köln bedeuten kann, leiden
(„Freud oder Leid“) und möglichenfalls sogar durch das
Feuer gehen zu müssen („wenn et sin muss durch et Füer“),
schwören die Fans ihrem Verein, der in dem Lied vertrauensvoll mit „Du“ angesprochen wird, ewige Treue und Ehre
(„Mer schwöre dir, he op Treu un op Iehr!“).
„Niemals allein, wir gehen Hand in Hand“
Die Vereinshymne „96, alte Liebe“ (vgl. Link 6) ist eine
Liebeserklärung an den Bundesligisten Hannover 96. Die
Die Vereinshymnen im Vergleich, in: Focus, 22.5.2013, 37).
Wurzeln des Traditionsvereins liegen in der katholischen
Dreifaltigkeitskirche am Borsigplatz. Unweit der Kirche wurde
der BVB am vierten Advent 1909 von Mitgliedern der Kirchen­
gemeinde in der Gaststätte „Zum Wildschütz“ gegründet.
28 Die
39
praktisch
niert23. Im Fokus der beliebten Vereinshymne von Borussia
Dortmund steht ein Stern, der „im Jahre 1909“, also im
Gründungsjahr des westfälischen Fußballclubs, „gebor‘n“
worden sein soll. Der hell leuchtende, schwarz-gelbe Stern
wird in dem Lied „als schönster Stern von allen dort am
großen Himmelszelt“ besungen. Der Stern Borussia stellt
„das erhoffte himmlische Abbild zum oft tristen Alltag
im strukturgeschwächten und mit Arbeitslosigkeit belasteten Ruhrgebiet dar: Unten dunkel, oben hell – obwohl die
Borussia eigentlich ja auch auf irdischem Rasen und nicht
unter dem Himmelszelt spielt. Hier wird also Irdisches
zum Überirdischen erhoben. Bei der Stern-Metaphorik
drängen sich Vergleiche zur Weihnachtsgeschichte geradezu auf“24. In vielerlei Hinsicht erinnert er an den Stern
von Bethlehem, der nach dem Matthäusevangelium weise Könige resp. Sterndeuter aus dem Morgenland zum
Geburtsort Jesu Christi geführt haben soll (Mt 2,1-12). Er
wird deshalb auch Weihnachtsstern, Dreikönigsstern oder
Stern der Weisen genannt.
Das Stern-Motiv findet sich auch in vielen bekannten evangelischen Kirchenliedern, z. B. in den Liedern
„Stern, auf den ich schaue“ (EG 407) und „Stern über
Bethlehem“ (EG/West 546), das regional zu den populärsten Weihnachtsliedern und Sternsinger-Liedern gehört. In dem Borussia-Lied scheint der Stern über dem
Signal-Iduna-Park in Dortmund, dem mit über 80.000
Zuschauerplätzen größten Stadion Deutschlands, geradezu aufzugehen. Man könnte fast meinen, „es handele
sich um ein Epiphaniaslied. Der Fan partizipiert am Glanz
seines Vereins („… spür‘ ich seinen Glanz, dann sag ich
mir: Er ist auch ein Teil von dir“). Dieser Stern zeigt den
Weg durchs ganze Leben („… ganz egal, wohin er uns
auch führt, ich werd immer bei dir sein“). So haben manche Borussenfans testamentarisch verfügt, dass sie einmal zu Klängen dieses Liedes beerdigt werden möchten.
Natürlich im schwarzgelben Sarg“25.
praktisch
40
Liebe zu dem 1896 gegründeten Verein ist zwar schon
etwas älter („96, alte Liebe“; „Schon lange Zeit bist du uns
so vertraut“), aber dafür nicht minder intensiv. Aus Sicht
der Liederdichter kann man sich auf diesen Fußballclub
in jeder Lebenssituation („Wir sind dabei, egal ob´s regnet
oder schneit, nicht nur an guten Tagen, wenn die Sonne
scheint“) absolut verlassen. Der Verein fungiert als
Lebens- und Glaubensinhalt, der den eigenen – oftmals
tristen – Alltag transzendiert. Auch wenn das Fan-Sein
bei Hannover 96 mitunter bedeuten kann, enttäuscht zu
werden, wird die Liebe der Fans „deswegen nicht still“
stehen. Scheinbar erfolgreichere Fußballmannschaften
wie die Bayern oder der ungeliebte Lokalrivale Eintracht
Braunschweig („gelb-blau“) stellen für die Fans des
HSV (Hannoversche Sportverein) keine Alternativen
dar. Anhänger der „Roten“29 haben mit ihrer selbstgewählten Hingabe zu ihrem Verein „nie nur auf Sand gebaucht“. Die 96-Hymne bringt das Gemeinschaftsgefühl
der Fans und ihre milieuübergreifende Hilfsbereitschaft
im Refrain bildreich zum Ausdruck („Niemals allein,
wir gehen Hand in Hand, zusammen sind wir groß und
stark wie eine Wand“). Der Fangesang rekurriert in den
neugefassten Strophen von 2002 auf langjährige Lebensund Stadionerfahrungen des stadtbekannten Bluessängers
Dete Kuhlmann (*1948). Diesem war es ein zentrales Anliegen, einen Liedtext zu formulieren, der „Sinn
hat und auch zum Nachdenken anregt“30. Nach seiner
Wahrnehmung erleben jüngere Menschen heute beim
Fußball eine Wertschätzung, die ihnen im Alltagsleben
sonst oft verwehrt bleibt. Das Lied möchte vor diesem
Hintergrund so etwas wie „ein Leitfaden für das Leben“31
sein.
Die 96-Hymne enthält zahlreiche religiöse Anspie­
lungen und kirchlich konnotierte Motive, z. B.:
a. „Wir gehen Hand in Hand“ f „Herr, wir stehen Hand
in Hand“ (EG 602 im Regionalteil für Niedersachsen
und Bremen);
b. „nie nur auf Sand gebaut“ f Mt 7,24-27 (Gleichnis
vom Haus auf Felsen oder Sand);
c. „egal obs regnet oder schneit“ f Jes 55,10 und Mt 5,45
(das Motiv des Regens und/oder Schnees);
d. „rudern wir gemeinsam im roten Fußballboot“ f
„Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ (EG 572 im
Regionalteil für Niedersachsen und Bremen).
„Abgesehen vom Refrain passen die Strophen der
Hymne durchaus in einen modernen Gottesdienst. Man
müsse nur ‚Fußballboot‘ gegen ‚Gemeindeboot‘ austauschen“ konstatiert Kuhlmann, der sich selbst „nicht unbedingt als religiös“ einstuft. Dass der Fangesang vielfach an
ein „Kirchenlied“ erinnert, sei keine Absicht gewesen. Der
29 Vgl.
die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=oF2bVPI8m7o
30 Vgl. die Video- und Tonaufnahme: https://www.youtube.com/
watch?v=hlZOj_vyYl4
31
Aufgrund der traditionell roten Heimtrikots werden die Spieler
von Hannover 96 „die Roten“ genannt, obschon Schwarz-WeißGrün die offiziellen Vereinsfarben des Bundesligisten sind.
Liederdichter konzediert: „Das muss im Unterbewusstsein
geschehen sein und hat wohl damit zu tun, dass ich schon
früh in Kirchen gesungen und Gottesdienste musikalisch
mitgestaltet habe“32.
YouTube, Fußball und Musik:
Die Generation 2.0
Ein schülerorientierter Religionsunterricht wird die Lebens­
welten heutiger Jugendlicher, ihre kulturellen Aktivitäten
und medialen Interessen grundlegend berücksichtigen.
Wie die Ergebnisse der viel beachteten, bundesweiten
Studie „Medien, Kultur und Sport bei jungen Menschen“
(MediKuS) von 2012 zeigen, prägt das Internet das Ju­
gendalter heute wie kaum ein anderes Medium. Es ist
mittlerweile „zu einem der wichtigsten Bestandteile der
Sozia­lisation und Selbstfindung Jugendlicher geworden“33.
Gerade „Web-Angebote wie YouTube machen das Internet
für Jugendliche attraktiv“34. Ein weiteres zentrales Interes­
senfeld für heutige 13- bis 17-Jährige ist die Musik: 36
Prozent spielen ein Instrument, 19 Prozent singen. Noch
mehr Jugendliche geben an, regelmäßig Sport zu treiben
(80 Prozent), wobei der Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart darstellt35. Vielen Schülerinnen und Schülern
sind Fangesänge und -rituale aus eigenen Stadionbesuchen
oder aus Videos im Internet vertraut. Die Generation zwischen Fußball, Musik und Facebook kennt sich aus „mit
der Liturgie eines Fußballspiels und einzelne Jugendliche
gestalten ihre Zimmer als Kulträume ihres Vereins, in denen Nähe zum geliebten Identifikationsobjekt symbolisch
hergestellt wird. Aufgrund dieser Nähe vieler Schülerinnen
und Schüler zur Welt des Fußballs ist es besonders produktiv hieran im Religionsunterricht anzuknüpfen“36.
Didaktische Hinweise und Impulse
Die unterrichtliche Arbeit mit Fangesängen und ihren religiösen Implikationen eignet sich für den Religionsunterricht
in allen Schulformen der Sekundarstufe I und II ab Klasse
7. Sie bietet sich etwa im Rahmen der Erschließung der
in den Lehrplänen für Evangelische Religion in vielen
Bundesländern vorgesehenen Themenfelder „Religiöse
Phänomene in Alltag und Kultur“ und „Die Frage nach
dem Sinn – Orientierung im Leben“ an. Dabei kann an
Kompetenzerwartungen angeknüpft werden, die in dem
Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religion für die
Realschule in Niedersachsen bzw. in den Unterrichtshilfen
zum neuen Lehrplan für die Berufsbildenden Schulen in
Bayern formuliert wurden. In dem niedersächsischen
32
Deppe, Niemals allein! Die Vereinshymne von Hannover 96 erinnert an ein Kirchenlied, 1.
33
Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 20.
34Ebd.
35
Grgic/Holzmayer, Zwischen Fußball und Facebook, 21.
36 Eickmann/Peter, Kompetenzorientiert unterrichten im RU, 18.
Loccumer Pelikan 1/2016
In den bayrischen Unterrichtshilfen38 stehen inhaltsbezogene Kompetenzen im Vordergrund:
• „Die Schülerinnen und Schüler nehmen aktuelle religiöse und nicht-religiöse Sinnangebote differenziert
wahr und bringen eigene Erfahrungen und Anfragen
in die Diskussion ein.“
• „Sinn- und Identitätsangebote der Fußball- und
Fankultur anhand von Vereinshymnen erschließen
und benennen“.
• „Merkmale der Sinnangebote der Fan-Hymnen bestimmen und im Vergleich … mit einem Kirchenlied … im
Blick auf Anspruch und Reichweite beurteilen.“
Bei der Erarbeitung des Thema „Fußball und (christliche) Religion“ ist darauf zu achten, dass die Schülerinnen
und Schüler ihre Lebenswirklichkeit einbringen und ihre
Deutungen und Übertragungen entwickeln können.
Mögliche Fragen bzw. Impulse:
• Bringt Gegenstände, die zum Fußball (z. B. Schal,
Trikot, …) bzw. zum christlichen Glauben (z. B. Kreuz,
Taufkerze …) passen, in den Unterricht mit. Erzählt
einander, was diese Gegenstände für euch bedeuten.
• Vervollständigt die Satzanfänge: „Fußball ist für
mich…“ sowie „Der christliche Glaube ist für mich…“
oder: Erstellt Collagen zu den Themen „Fußball (und
ich)“ sowie „christlicher Glaube (und ich)“.
• Tauscht euch über eure Erfahrungen bei Stadion­
besuchen und bei Gottesdienstbesuchen aus. Wo
bist du lieber: im Fußballstadion oder in der Kirche?
Warum?
• „Hand Gottes“, „Heiliger Rasen“, „Fan-Kutte“. Die
Fußball-Sprache bedient sich oft religiöser Begriffe
und kirchlicher Formeln. Sammelt weitere Begriffe.
Überlegt, was Fußball und (christliche) Religion bzw.
Kirche über die Sprache hinaus verbindet. Was trennt
beide Bereiche?
• Vergleicht den Ablauf (die „Liturgie“) eines Gottes­
dienstes in der Kirche mit dem Ablauf des Geschehens
(der „Liturgie“) im Fußballstadion. Notiert Gemein­
samkeiten und Unterschiede.
• Recherchiert im Internet nach Videoclips und Podcasts
von Fußballliedern und Vereinshymnen.
• Listet Lieder auf, die ihr aus dem Fußballstadion kennt.
Listet Kirchenlieder und moderne christliche Glau­
benslieder auf, die ihr kennt. Stellt jeweils eine Hit­
parade der beliebtesten (unbeliebtesten) Lieder auf.
• Überlegt: Warum singen Fußballfans Vereinshymnen
und -lieder? Warum singen religiöse Menschen
Kirchen- und Glaubenslieder?
Als Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit zu Fan­
gesängen und ihren religiösen Implikationen bietet sich
auch die nachfolgende Anforderungssituation39 an:
• „Ein Freund/eine Freundin hat zwei Stehplatzkarten
für das nächste Heimspiel von Hannover 96 (oder einem anderen Verein) gewonnen. Nimmst du die Ein­ ladung an? Im Fanblock ist es fester Brauch, die Ver­
eins­hymne zu singen. Singst du mit?“
41
Im weiteren Verlauf erarbeiten die Schüler­innen und
Schüler ausgewählte Fangesänge in Gruppenarbeit anhand
von Fragen und Impulsen. Es empfiehlt sich, die betreffenden Lieder nicht nur zu analysieren, sondern als Video
anzuschauen bzw. als Pod­cast anzuhören und auf sich wirken zu lassen. Bei den YouTube-Einspielungen der Musik
können die Laptops oder Smartphones der Schülerinnen
und Schüler mit einbezogen werden.
praktisch
Lehrplan37 wird die Anbahnung der nachfolgenden prozessbezogenen Kompetenzen angeregt:
• „Religiöse Spuren und Traditionen in der Lebenswelt
aufzeigen.“
• „Religiöse Motive in Texten sowie ästhetisch-künstlerischen und medialen Ausdrucksformen erläutern.“
Mögliche Fragen bzw. Impulse40:
• Gebt die Titel der Vereinshymnen auf www.youtube.
com ein und hört euch die Fangesänge im Stadion an.
Schreibt drei spontane Gedanken auf, die euch beim
Hören der Fußballlieder durch den Kopf gehen.
• Tauscht euch in einem Schreibgespräch über eure
Eindrücke und Emotionen aus: Welche Stimmungen
vermittelt die Musik? Welche Gefühle, Hoffnungen,
Wünsche, Sehnsüchte, Ängste u.a. werden in dem Lied
angesprochen? etc.
• Analysiert das Lied. Unterstreicht wichtige Schlüssel­
wörter. Welche Wörter oder Sätze werden wiederholt?
Welche Sprachbilder oder Symbole werden verwendet?
Fasst den Text abschnittsweise zusammen.
• Was ist die Hauptaussage des Liedes? Schreibt einem
Freund/einer Freundin eine WhatsApp, die den Text
des Liedes mit 150 Zeichen und/oder mit 20 Emoticons
und Smileys wiedergibt.
• Überlegt gemeinsam: Welche Sinn- und Identitäts­
angebote finden sich in den Liedern? Sind diese für
euch überzeugend?
• Sucht nach religiösen Motiven, Bildern und Anspie­
lungen in den Fangesängen und listet diese auf.
• Diskutiert: Handelt es sich bei den Vereinshymnen um
„religiöse“ Lieder? Begründet eure Meinung.
• Vergleicht die Liedtexte der Vereinshymnen mit den
Texten von Kirchenliedern bzw. mit Bibeltexten:
1. „
You´ll never walk alone“: mit Ps 23 und/oder mit
Jes 40,31; Jes 41,10; Jes 43,2; Jes 43,5; Jes 51,6.
2. „
Leuchte auf mein Stern Borussia“: mit „Stern
auf den ich schaue“ (EG 407) und/oder „Stern
39
37
Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für die
Realschule Schuljahrgänge 5-10, 18.
38 Hahn et al., Unterrichtshilfen, 1f.
Loccumer Pelikan 1/2016
Hahn et al. Unterrichtshilfen, 1: leicht modifiziert.
Vgl. hierzu auch Hahn et al. 2014, 1; Eickmann/Peter, Kompetenz­
orientiert unterrichten, 18f. und Arnold/Klein, Zwischen Abseits
und Jenseits, 8-12.
40
42
praktisch
•
•
•
•
über Bethlehem“ (EG 544 Regionalteil Bremen/
Niedersachsen) sowie mit Mt 2,1-12.
3. „Borussia“: mit Gal 3,26-29 und Dtn 6,4-6.
4. „Mer stonn zo dir FC Kölle“: mit Gal 3,26-29 und
Dtn 6,4-6.
5. „96 – alte Liebe“: mit „Herr, wir stehen Hand in
Hand“ (EG 602 Regionalteil Bremen/Niedersach­
sen) und/oder „Ein Schiff, das sich Gemein­de
nennt“ (EG 572 Regionalteil Bremen/Niedersach­
sen) sowie mit Jes 55,10 und Mt 5,45.
Übersetzt den Text des Kirchenliedes „Amazing grace“ (vgl. Link 3) und informiert euch im Internet über
den Autor und den Hintergrund des Liedes. Notiert:
Was gefällt euch an dem Lied, was nicht? Vergleicht
den Text des Liedes mit dem Text der Fußballhymne
„Leuchte auf mein Stern Borussia“. Sind der Stern
Borussia und der Stern von Bethlehem identisch?
In der Borussia-Hymne heißt es: „Borussia du verkörperst die Region, für manche von uns sogar Religion“.
Diskutiert: Ist Fußball eine Religion, eine Ersatz­
religion oder keine Religion? Sucht jeweils Pro- und
Contra-Argumente.
Worin bestehen die Gemeinsamkeiten und die Unter­
schiede zwischen den Kirchenliedern und den FußballVereinshymnen? Erstellt ein Plakat.
Was können Fußball und christliche Religion voneinander lernen?
In gesangserprobten und/oder -freudigen Lerngruppen
empfiehlt es sich, die Lieder im Religionsunterricht auch
zu singen. In einer Zeit visueller und akustischer Reiz­
überflutungen ermöglicht Singen als körperbezogenes
Ausdrucksmittel ein verweilendes Lernen, das eigene
Vorstellungen und kreative Gestaltungen hervorruft und
den seelischen Horizont weitet. Die Freude beim Singen
und der Lernprozess können durch Gesten und szenische
Darstellung, aber auch durch „körpereigene Instrumente“
(Klatschen, Stampfen, Fingerschnipsen etc.) vertieft werden. Die Begleitung durch Musik- und Rhythmus-Ins­
trumente (Gitarre, Trommel, Pauke, Triangel, Rassel,
Schellenkranz, Keyboard o.ä.), am besten von Schüler/innen gespielt, belebt ebenfalls den Gesang der Gruppe. Eine
Kooperation mit dem/der Musiklehrer/in kann sich daher
als sinnvoll erweisen. Allerdings muss das Musizieren und
Singen im Religionsunterricht gar nicht (immer) perfekt
sein. Viel wichtiger ist, dass es den Beteiligten Freude
bereitet.
Dr. Christhard Lück ist Professor für Religionspädagogik
und Didaktik der evangelischen Religionslehre an der
Bergischen Universität Wuppertal.
Links
Link 1: „You’ll never walk alone“: www.traditionalmusic.co.uk/
elvis-presley/you‘ll-never-walk-alone-elvis-presley-crd.htm
Link 2: „Leuchte auf mein Stern Borussia“: www.tabondant.com/
deu/tabs/misc-unsigned-bands/bvb-leuchte-auf-mein-sternborussia
Link 3: „Amazing Grace“: www.abschiedstrauer.de/amazinggrace-noten-texte.htm
Link 4: „Borussia“: www.musixmatch.com/de/songtext/BrunoKnust/Borussia
Link 5: „Mer stonn zu dir FC Kölle“: https://tabs.ultimate-guitar.
com/tab/1718819
Link 6: „96 – alte Liebe“: www.1stchords.com/96-alte-liebechords-dete-kuhlmann
Literatur
Arnhold, Oliver / Klein, Constantin: Zwischen Abseits und Jenseits
– Fußball und Materialien für Klasse 8-12, Göttingen 2014
Bromberger, Christian: Fußball als Weltsicht und Ritual, in:
Belliger, Andrea; Klinger, David J. (Hg.), Ritualtheorien, Wies­
baden 1998, 285-301
Brunner, Georg: Ruhrpottkanaken – Fangesänge im Fußballstadion,
in: Der Deutschunterricht 59 (2007), H. 5, 32-42
Deppe, Edmund: Niemals allein! Die Vereinshymne von Hannover
96 erinnert an ein Kirchenlied, in: Kirchenbote. Wochen­
zeitschrift für das Bistum Osnabrück, 05.08.2013, 4
Eickmann, Jeannette / Peter, Dietmar: Kompetenzorientiert unterrichten im RU, Göttingen 2012
Evangelisches Gesangbuch (EG) mit Akkordsymbolen für Gitarre,
Keyboard und Band. Ausgabe für die Landeskirchen Rheinland,
Westfalen und Lippe, Bielefeld 1997
Grethlein, Christian: Praktische Theologie, Berlin/Boston 2012
Grgic, Mariana / Holzmayer, Michael: Zwischen Fußball und Face­
book. Jugendliche sind vielseitig interessiert. Über die Aktivi­
täten der Generation 2.0, in: DJI Impulse 3/2012, S.18-21
Hahn, Heide et al.: Unterrichtshilfen zum neuen Berufsschullehrplan
in Bayern. Lernbereich 12/13.5, RPZ Heilsbronn 2014 (http://
www.rpz-heilsbronn.de/arbeitsbereiche/schularten/beruflicheschulen/unterrichtshilfen-zum-neuen-berufsschullehrplan/125orientierung-im-leben.html)
Husmann, Nils: You´ll never walk alone, Frankfurt 2008
Kehlbreier, Dietmar: Fest und Gemeinschaft – ein Vergleich vom
säkularen Verständnis im Fußballstadion und dem christlichen
Verständnis im Abendmahl, Münster 1997 (http://www.leisser.
de/download/katechese%20kehlbreier.pdf.)
Klein, Constantin / Schmidt-Lux, Thomas: Ist Fußball Religion?
Theoretische Perspektiven und Forschungs-befund, in Engelbert
Thaler (Hg.), Fußball – Fremdsprachen – Forschung, Aachen
2006, 18-35
Kopiez, Reinhard / Brink, Guido: Fußball-Fangesänge. Eine
FANomenologie, Würzburg 1998
Leube, Bernhard: Singen, in: Gotthard Fermor / Harald SchroeterWittke (Hg.), Kirchenmusik als religiöse Praxis, Leipzig ²2006,
14-19
Lück, Christhard: „Ich hoffe, dass man auch im Himmel Fußball
spielen kann!“ – Kommunikation des Evangeliums in der Gegen­
wart im Umfeld des modernen Fußballs, in: Bernd Schröder /
Michael Domsgen (Hg.): Kommunikation des Evangeliums.
Leitbegriff der Praktischen Theologie, Leipzig 2014, 201-229
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pdf), 1-24
Loccumer Pelikan 1/2016
informativ
„Klasse! Wir singen“
43
informativ
Ein kulturübergreifendes Musikprojekt für Klassenstufe 1 bis 7
Wie man mit einfachen Mitteln den Schulalltag verändern kann
Von Gerd-Peter Münden
S
ingen ist ein uraltes Grundbe­
dürfnis und kulturelles Erbe der
Menschen: Es bringt Lebens­
lust, macht Spaß, fördert das psychische sowie physische Wohlbefinden
und ist Grundlage für jede Art von
Musik. In heutiger Zeit erfährt jedoch
das Singen in Familie und Gesell­
schaft eine Veränderung: Es wird immer weniger oder sogar kaum noch
ge­meinschaftlich gesungen. Um dieser Entwicklung zu begegnen und das
Singen in Schule, Freizeit und Familie
dauer­haft und nachhaltig zu fördern,
habe ich mit einem Unterstützerkreis von Juristen, Finanz­
fach­leuten und Musikern 2007 das Projekt „Klasse! Wir
singen“ ins Leben gerufen. 439.000 Kinder und ihre Lehr­
kräfte haben bisher bundesweit an der Aktion teilgenommen. Bundespräsident Gauck, zahlreiche Minister­präsi­
denten und Musiker wie Rudolf Schenker (Scorpions),
Anne-Sophie Mutter oder die Wise Guys haben durch
Schirm­herrschaften, Patenschaften oder Benefizkonzerte
ihre Unterstützung gezeigt.
Das Konzept sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler
der Klassen 1-7 mindestens sechs Wochen lang zusammen mit ihren Lehrkräften im Unter­richt einen vorgegebenen Liederkanon einstudieren und (möglichst) täglich
gemeinsam singen. Dieser Liederkanon enthält Spaßlieder,
Volksliedgut, Filmmusik, fremdsprachliche Lieder, Lieder
zu Integration und Umwelt und vieles mehr, um die ganze
Bandbreite unseres Kulturgutes darzustellen und so auch
die in vielen Kerncurricula geforderte kulturhistorische
Lerndimension mit einzubeziehen. Nach dieser Übephase,
die mit unterschiedlichen methodischen Materialien und
Hilfsangeboten unterstützt wird, feiern die Klassen mit
vielen anderen Kindern der Region vor großem Publikum
ein eindrucksvolles Abschlussliederfest in einer repräsentativen Veranstaltungshalle. Die Chöre zwischen 500 und
Loccumer Pelikan 1/2016
5000 Kindern werden von einer qualifizierten Band begleitet und durch professionelle Licht- und Tongestaltung
unterstützt. So wird dieses Liederfest für die teilnehmenden Kinder zu einem prägenden Ereignis der Schulzeit.
Dem Projekt liegt ein durchdachtes pädagogisches
Konzept zugrunde, das die individuellen Bedürfnisse,
Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrkräfte und ihrer Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Es ist ein
Merkmal unserer Konzeption, dass sie sich nicht nur
an die Musikfachlehrer richtet, sondern versucht, alle
Klassenlehrerinnen und -lehrer als Multiplikatoren für
das gemeinsame Singen mit einzubeziehen.
Singen verbindet
In einer Zeit, in der Effizienz- und Konkurrenzdenken,
Reizüberf lutung, Stress und Verunsicherung die
Lebenswelt der Kinder in besonderem Maße prägen, ist
es außerordentlich wichtig, gemeinsam unbekümmert
und fröhlich zu singen, ohne auf das Erreichen eines bestimmten Zieles ausgerichtet zu sein. Denn gemeinsames
Singen verbindet und prägt den Lebensraum eines Kindes
nachhaltig positiv. Durch das soziale Miteinander lernen
informativ
44
Kinder Rücksichtnahme, Verständnis und Kooperation,
wodurch sich ihre soziale Kompetenz entwickeln kann.
Ein besonderes Merkmal von „Klasse! Wir singen“
ist es, dass alle Kinder, völlig unabhängig von physischer
oder psychischer Konstitution, von ethnischer oder sozialer Herkunft miteinander singen. Anders als bei diversen Fernsehformaten wird nicht ein Superstar gesucht,
sondern alle Kinder singen gemeinsam – jeder ist gleich
wichtig! Durch die sechswöchige Vorbereitungszeit und
das Erlebnis des gemeinsamen Liederfestes werden die
Klassen­gemeinschaft und das Selbstvertrauen der Schüle­
rinnen und Schüler nachhaltig gestärkt. Dies erleichtert
nicht nur die Integration von Kindern mit Migrations­
hintergrund, sondern auch die Inklusion von Kindern mit
erhöhtem Förderbedarf oder einer Behinderung. Bei den
großen Abschlussliederfesten zeigt sich außerdem die
generationenübergreifende Wirkung des Projektes, wenn
Jung und Alt gemeinschaftlich singen. Gerade bei alten
Kulturliedern wie „Kein schöner Land“ oder „Der Mond
ist aufgegangen“ ergibt sich ein wahrlich ergreifender
Moment für viele Eltern und Großeltern.
Singen macht schlau
Aber Singen gehört nicht nur zu unserem kulturellen
Erbe, sondern bietet gleichzeitig auch die wunderbare
Mög­lich­keit, einen wichtigen Beitrag zu einer ganzheitlichen Ausbildung unserer Kinder zu leisten. Karl Adamek,
Deutscher Musiksoziologe, sagt über singende Menschen:
„Sie sind durchschnittlich lebenszufriedener und glücklicher, sind ausgeglichener und zuversichtlicher, haben ein
größeres Selbstvertrauen, sind häufiger guter Laune und
verhalten sich im Durchschnitt sozial verantwortlicher und
hilfsbereiter“.1 Singen sei zudem zukunftsweisend, da es
die Konzentrationsfähigkeit stärke; damit könne es zu optimalen Randbedingungen für das Lernen in der Schule
beitragen.2
Spracherwerb durch Singen
Da sich das Projekt „Klas­se! Wir singen“ auch als kulturübergreifendes Singprojekt versteht, wurden als Reaktion
auf die gesellschaftlichen Herausforderungen einige
Lieder in 16 weitere Sprachen, darunter ins Syrische,
Ara­bische und Albanische, übersetzt. Zudem ist das
komplette Elternmaterial in den Migrantensprachen verfügbar. Die Erfahrungen in Sprachlernklassen sind hervorragend. Singen ist ein einzigartiges Mittel zur Völker­
verständigung!
1
Adamek, Karl: Singen ist ein Menschenrecht, in: Verband Deut­
scher Konzertchöre (Hg.), Chor und Konzert 136 (Jahres­ausgabe
2014), 02/2015.
2
Adamek, Karl: Singen ist zukunftsweisend, in: Il canto del mondo, 3/2009.
­Singbewegung in Schule und Familie
„Klasse! Wir singen“ ist in besonderem Maße dafür geeignet, allen Kindern – auch aus Elternhäusern, in denen
nicht gesungen wird – das Singen in positiver Weise nahe
zu bringen. Dies zeigt sich daran, dass nach der Teilnahme
an dem Projekt bereits bestehende Schulchöre großen
Zulauf erhielten oder neue Chöre gegründet wurden und
in vielen Schulen das Singen zu einem festen Bestandteil
des Schulalltages geworden ist. Einschränkend muss man
allerdings gestehen, dass dies nur dort langfristig gefruchtet hat, wo kompetente Personen für die Chorleitung/
Singleitung zur Verfügung standen. Oft nehmen ganze
Schulen teil, die anschließend ein großes auswendig verfügbares Liedrepertoire durch alle Klassen beherrschen.
In Verbindung mit den Karaoketracks setzen daher viele
Schulen die Lieder auch Jahre später für Einschulungen,
Schulfeste oder gemeinsames Singen ein. So bereichert
das Projekt den Schulalltag nachhaltig.
„Klasse! Wir singen“ wirkt aber auch in die einzelnen Familien hinein: zum einen über die Mitsing-CD, die
jedes Kind erhält, denn so sind die Lieder fast täglich in
den Wohnungen präsent und auch Geschwisterkinder und
Eltern werden mit einbezogen. Zum anderen wird durch
die gemeinsame Teilnahme von Eltern, Großeltern und
Kindern am Liederfest eine Art Singbewegung in den
Familien ausgelöst, die motiviert, auch weiterhin gemeinsam zu singen. Hier bekommen die CDs in den Autos der
Eltern, die ihre Kinder von Termin zu Termin fahren, eine
vorher nicht beabsichtigte Wirkmächtigkeit.
Initialzündung für Instrumentalunterricht
Eine weitere Wirkung des Projektes war auch zunächst
nicht im Blick. Teilnehmende Kinder haben sich nicht
nur für das Singen interessiert (noch nach Jahren werde
ich von Jugendlichen oder deren Eltern auf die Teilnahme
an den Liederfesten begeistert angesprochen), sondern
auch für das Spielen von Instrumenten. Die Band, die
nicht nur aus klassischen Popinstrumenten, sondern auch
aus Flöte, Oboe, Streichern oder Saxophon besteht, hat
Kinder nachweislich so beeindruckt, dass sie anschließend
Instrumentalunterricht bei den Musikschulen nachgefragt
haben. Dies untermauert die immer wieder zu hörende
These, dass das Singen der Ursprung allen instrumentalen
Musizierens sei.
Kulturelle Teilhabe
Der vielleicht wichtigste Aspekt dieser basisorientierten
Aktion ist, dass es mit ihr gelingt, kulturelle Bildung an bildungsferne Schichten heranzutragen. Zwischen 18 und 40
Prozent der Teilnehmer gehören dazu. Begeistert von den
Castingshows im Fernsehen sind bildungsferne Kinder, die
gerne singen, oft besonders motiviert und fiebern auf „ihr“
Konzert hin. Diese Motivation ermöglicht auch Fleiß und
Loccumer Pelikan 1/2016
Hilfe von Sponsoren nahezu selbst trägt, kann es in allen
Bundesländern angeboten werden und in Kooperation mit
Projekten vor Ort viel Gutes bewirken.
Gerd-Peter Münden ist Domkantor am Braunschweiger
Dom und leitet dort unter anderem die renommierte Dom­
singschule.
Weiter Informationen unter www.klasse-wir-singen.de.
Die Kinder des Monsieur Mathieu
Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt
Von Oliver Friedrich
I
n unendlich vielen Filmen geht es um Menschen, die
sich verändern. Dabei werden Geschichten von Frauen
und Männern erzählt, die aufbrechen, die ein neues
Leben beginnen oder sich ihrer Vergangenheit stellen und
gerade deshalb nach vorne schauen können. Auch der Film
„Die Kinder des Monsieur Mathieu“ widmet sich diesem
Sujet. Von einer ganzen Klasse rüpelhafter Jungen wird
darin erzählt, die zu einem großartigen Chor werden und
die etwas entdecken, von dem sie lange nichts ahnten: Die
Kraft der Musik.
Monsieur Mathieu, ein begeisterter Musiker und arbeitsloser Erzieher, tritt eine Stelle in einem Internat für
schwer erziehbare Jungen an. Es gelingt ihm, die Jungen
für seine Musik zu begeistern und ihnen durch ihren
Gesang Wert und Selbstbewusstsein zu geben, so dass
aus den Rüpeln musik- und chorbegeisterte junge Leute
werden. – So jedenfalls haben wir in unserem generationenübergreifenden Filmgottesdienst-Projekt diesen Film
gesehen und gedeutet.1
Mit Filmgottesdiensten Aschermittwoch
und den Buß- und Bettag neu gestalten
Die St. Petri-Kirchengemeinde in Buxtehude stand vor
drei Jahren vor der Frage, wie der Aschermittwoch und
der Buß- und Bettag wieder stärker in das Bewusstsein der
Gemeindeglieder gebracht werden können. Dabei entstand
die Idee, die beiden Tage mit Filmgottesdiensten zu ge1
Eine andere Deutung und ein anderer Gottesdienstvorschlag findet sich in: Adler/Arnold/Helmke/Kirsner, Mit Bildern bewegen,
294-303. Der Band bietet außerdem grundlegende Überlegungen
zur Arbeit mit Filmen in Gottesdiensten.
Loccumer Pelikan 1/2016
stalten, die jeweils am Abend gefeiert werden sollten. Da
sowohl der Buß- und Bettag als auch der Aschermittwoch
in die dunkle Jahreszeit fallen, konnte diese Idee weiter
verfolgt werden, obwohl sich die backsteingotische St.
Petri-Kirche nicht verdunkeln lässt.
Von verschiedenen Seiten wurde außerdem immer
wieder der Wunsch geäußert, auch Gemeindeglieder an
der Gestaltung von Gottesdiensten zu beteiligen. Für
Menschen, die Gottesdienste mitgestalten wollen, ist es
in der Regel zu wenig, nur Texte vorzutragen, die andere
verfasst haben. Sie wollen stattdessen selbst aktiv werden
und eigene Gedanken und Gebete im Gottesdienst zur
Sprache bringen.
Die Vorbereitung eines Filmgottesdienstes bietet die
Möglichkeit, über das Medium Film Personen verschiedenen Alters anzusprechen und miteinander ins Gespräch zu
bringen, die im Gemeindeleben sonst eher nebeneinander
agieren. Das gemeinsame Anschauen eines Filmes und die
sich daran anschließenden Gespräche ermöglichen einen
generationenübergreifenden Austausch, weil jeder und jede sagen kann, was er oder sie an diesem Film besonders
ansprechend findet oder welche Fragen sich gestellt haben.
Von diesen Gesprächen ausgehend ist es dann auch für
Menschen, die es nicht gewohnt sind, Texte zu verfassen,
recht leicht, eigene Gedanken zu Papier zu bringen.
Schritte zu einem Filmgottesdienst unter
Beteiligung von Gemeindegliedern
Folgende Schritte waren nötig, um einen Film­gottesdienst
feiern zu können, in dem wesentliche Aus­schnitte des
Films gezeigt wurden und Deutungen des Films aus verschiedenen Perspektiven vorgetragen werden konnten.
45
informativ
Ausdauer in der Vorbereitung, die durch das Glücksgefühl
des eigenen Konzertes zu Selbstvertrauen wachsen kann.
Diese Kinder erleben, wozu sie fähig sind, wenn sie ihre Stimme als Instrument einsetzen können, und singen
gerne weiter, wenn es gelingt, ein auf ihre musikalische
Sozialisation abgestimmtes Chorangebot anzubieten. Mit
ihrer Stimme haben diese Kinder ein Instrument, das unabhängig von den finanziellen Ressourcen des Elternhauses
kulturelle Teilhabe ermöglicht. Da sich das Projekt mit
Die Materialien zu diesem Artikel sind im Internet unter www.rpi-loccum.de/pelikan abrufbar.
1
2
Ein generationenübergreifendes Filmgottesdienst-Projekt
Materialien zum Beitrag im Pelikan 1/2016
Von Oliver Friedrich
M 1: Deutungen zum Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“
Wertschätzung kann viel bewirken
An das Gute in den Kindern glauben
Von Sabine und Karsten Prilop
Von Helga Peters
Was wäre aus Pierre Morhange geworden, haben wir
uns gefragt, wenn Monsieur Mathieu nicht eines Tages
Licht auf den „Grund des Teiches“ gebracht hätte? Es ge­
hört nicht viel Fantasie dazu, sich das vorzustellen. Die
Verzweiflung über die gewalttätigen und menschenver­
achtenden Erziehungsmethoden seiner Lehrer war in den
Augen des Jungen zu lesen.
Erst Monsieur Mathieu hat den misstrauischen Jungen
dazu gebracht, Vertrauen zu entwickeln. Er hat ihn res­
pektvoll behandelt und ihm Verständnis und Zuneigung
gezeigt. Dabei hat er Pierres herausragende musikalische
Begabung entdeckt.
Durch Mathieus Förderung konnte aus Pierre ein be­
rühmter Musiker werden.
Der Film macht uns deutlich, wie wichtig es ist, dass
Lehrerinnen und Lehrer ihren Schülerinnen und Schülern
mit Respekt und Wertschätzung begegnen. Mit einer po­
sitiven Sicht auf ihre Schüler können Pädagogen viel be­
wirken – nicht nur am „Grund eines Teiches“.
Mich hat der Film sehr berührt. Viele Bilder weckten in
mir ungute Kindheitserlebnisse. Die Lieblosigkeit und
Härte im Umgang mit den Kindern hat mich auch an meine
eigene Kindheit und Schulzeit erinnert.
Loccumer Pelikan 1/2016
Nun arbeite ich selbst mit Kindern. Mir ist bei mei­
ner Arbeit mit den mir anvertrauten Kindern wichtig, an
die Fähigkeiten, die in jedem Kind stecken, zu glauben
und diese zu fördern. Oft sind es gerade die musischen
Fähigkeiten denen man in der Erziehung zu wenig Raum
gibt.
Das jedenfalls wird für mich in dem Film sehr
deutlich, dass Monsieur Mathieu an das Gute im Kind
glaubt und dem einen fruchtbaren Boden bereitet, ein­
mal durch die Musik und auch durch die Gemeinsamkeit
des Singens. Auch baut er Vertrauen auf, etwas was den
Kindern bis dahin sicher fremd war, das aber für ihre
Persönlichkeitsentwicklung von unglaublichem Wert ist.
Allen Kinder wünsche ich Bezugspersonen, die an sie
glauben, die ihnen Vertrauen und Liebe schenken, denn
nur dann können sie in der Gewissheit wachsen, ein Kind
Gottes zu sein.
Musik schafft einen geschützten Raum
Von Anke Martens
„Monsieur Mathieu nimmt seine Schützlinge mit seiner
Musik an die Hand und gibt ihnen einen Raum, in dem
sie unbeschwert sein und sich entfalten können. Er be­
gegnet ihnen mit Würde und Respekt und schafft eine
Atmosphäre, die Mut macht und Zuversicht gibt.
Ähnlich habe ich selber einmal die Erfahrung gemacht
und spüren dürfen, wie heilsam und befreiend die Kraft
der Musik und des Gesangs sein kann:
Klänge und Lieder können Dir Geborgenheit vermit­
teln und Dir dabei helfen Dich zu öffnen und Dich frei und
unbeschwert zu fühlen. Sie können Dir Wegbereiter sein
und Dir Mut und Kraft geben, aus Dir heraus zukommen,
Dich zu zeigen und Dich so zum Ausdruck zu bringen und
Dich anzunehmen, wie Du bist.
Klänge und Lieder laden Dich ein, Dich mit ande­
ren in Gemeinschaft zu verbinden und Dich im Fließen
der Musik dem Fluss des Lebens zu überlassen und im
Vertrauen Deinen Weg zu gehen, auch in Begleitung an­
derer Menschen.
So wie die Musik in diesem Film einen besonderen
geschützten Raum schafft, so können auch wir sicher auf
unsere eigene Weise für uns und andere sorgen, damit
wir in Freude, Freiheit und Frieden im Einklang mit uns
und anderen, im Einklang mit Gott unseren Weg gehen
können.
Neue Wege gehen –
Aufruf zur Fastenaktion
Von Svenja Dammasch
Monsieur Mathieu geht neue Wege und bringt etwas in
Bewegung – im Schulalltag, in jedem der Schüler, aber
auch in sich selbst. Obwohl ihn vor allem zu Beginn seiner
Arbeit Zweifel plagen, riskiert er die Konfrontation mit
Kollegen und Direktor. Er geht offen und unvoreingenom­
men, mit liebevollem Blick auf die Schüler zu, die sein
Angebot zunächst staunend und zögernd, dann jedoch mit
ganzem Herzen annehmen. Gemeinsam brechen sie so das
eingefahrene Wechselspiel von „Aktion“ und „Reaktion“,
von Gewalt und Gegengewalt auf. Wo Angst und Gewalt
regierten, wächst Vertrauen und Freude am Leben.
Damit passt der Film wunderbar zur diesjährigen
Fastnaktion der evangelischen Kirche in Deutschland:
„Riskier was, Mensch – 7 Wochen ohne Vorsicht“. Die
Aktion beginnt am heutigen Aschermittwoch und dauert
bis Ostern. Sie lädt uns alle dazu ein, für sieben Wochen
die ausgetretenen Pfade zu verlassen und unser Leben
ganz bewusst anders zu gestalten.
Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zur Seite und es
zeigt sich auf einmal etwas anderes, Unerwartetes, lange
Übersehenes. Durch Verzicht auf liebe oder ungeliebte
Gewohnheiten soll Raum geschaffen werden.
Raum, um uns selbst wieder zu hören – und Gott. Diese
Zeit im Kirchenjahr lebt auf Veränderung und Erneuerung
hin. Riskieren Sie es und machen Sie mit. Ausführliche
Infos zur Fastenaktion unter www.7wochenohne.evange­
lisch.de
Loccumer Pelikan 1/2016
M 2: Gottesdienstablauf mit allen liturgischen und überleitenden Texten
Begrüßung und Gebet
Herzlich willkommen,
liebe Gemeinde, zum Aschermittwoch des Films.
Sie wohnen heute einer kleinen Premiere bei: Ein Film­
gottesdienst zum Aschermittwoch – das hat es bisher
noch nicht in St. Petri gegeben. Wir wollen, damit eine
kleine Tradition beginnen und zweimal im Jahr einen
Filmgottesdienst feiern. Zu Aschermittwoch und am Buß­
und Bettag.
Ein Team aus verschiedenen Generationen hat sich
für den Gottesdienst heute den Film „Die Kinder des
Monsieur Mathieu“ angesehen. Wir werden Ihnen nun
gleich ein paar Kapitel aus diesem Film zeigen und im
Anschluss mit verschiedenen Brillen auf diesen Film
schauen: Alle Generationen kommen dabei zu Wort und
alle werden versuchen, die Eindrücke des Films mit eige­
nen Erfahrungen im Leben und im Glauben in Verbindung
zu bringen.
Musikalisch begleitet uns der Flötenkreis, herzlichen
Dank dafür.
Bevor wir in den Film und seine Protagonisten einstie­
gen, lassen Sie uns beten:
Gebet
Guter Gott,
wir sind nicht allein auf dem Weg durch das Leben:
Unsere Eltern begleiten uns von klein auf,
wir wachsen mit unseren Geschwistern auf und haben
im Laufe der Zeit viele Freunde, die ganz unterschiedlich
sind.
In Kindergarten und Schule lernen wir, was nötig ist, und
oft finden wir zu Fähigkeiten, die in uns erst entdeckt
werden mussten.
Wir danken dir Gott für die Menschen an unserer Seite,
die uns helfen, zu denen zu werden, die wir sind. Und wir
danken dir, Gott, dass du uns so wunderbar geschaffen
hast. Amen.
Lied: EG 604, 1­3 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
Hinführung zum Film
Frankreich, 1949. Der arbeitslose Musiker Clément
Mathieu bekommt eine Anstellung als Erzieher in einem
Internat für schwer erziehbare Jungen. Von der Härte des
Schulalltags und nicht zuletzt von den ebenso eisernen wie
ergebnislosen Erziehungsmethoden des Vorstehers Rachin
betroffen, beginnt er, mit dem Zauber und der Kraft der
Musik in das Dasein der Schüler einzugreifen. Nach an­
fänglichen Schwierigkeiten und erheblichem Widerstand
Loccumer Pelikan 1/2016
durch Rachin gelingt dem begeisterten Musiker und ein­
fühlsamen Pädagogen das kleine Wunder, das Vertrauen
seiner Schützlinge zu gewinnen. Mit seinen Stücken,
die Monsieur Mathieu nachts selbst schreibt, gibt er den
Jungen ein Stück unbeschwerter Kindheit zurück.
Der Film beginnt mit einer Rahmenhandlung:
Der berühmte Dirigent Pierre reist zur Beerdigung
seiner Mutter zurück nach Frankreich. Dort trifft er auf
Pepinot, mit dem er zusammen im Internat war. Die beiden
Männer erinnern sich …
Film Kapitel 1 bis 4
(Anfang bis 10:57 – Vorgänger geht)
Die ersten Eindrücke, die Mrs. Mathieu von seinem neuen
Arbeitsplatz hat, täuschen nicht:
Der Direktor herrscht autoritär und ohne jedes Ver­
ständnis für die Jungen. Die Kinder selbst sind aufmüpfig,
frustriert zugleich aber auch eingeschüchtert und haben
Angst wieder im Karzer zu landen.
Aktion und Reaktion ist das Prinzip, nach dem man
versucht, die Kinder in den Griff zu kriegen. Mathieu
lernt dieses Prinzip schnell kennen, gibt sich damit aber
nicht zufrieden. Er versucht es mit einem Experiment: Die
Jungen sollen singen.
Film Kapitel 9 +10 +11
(28:10 bis 36:34 – Pierre singt alleine)
Pierre, der entweder im Karzer sitzen oder Putzdienste
leisten muss, kann nicht mitsingen. Er beobachtet aber
immer wieder, wie die anderen Jungen das Singen üben.
Irgendwann beginnt er dann selbst zu singen. Er singt,
was er von den anderen gehört hat. Welch ein Glück, dass
Mathieu ihn dabei eines Tages hört – und welch ein Glück,
dass er Pierres Mutter nicht verraten hat, dass er schon
wieder in den Karzer musste.
Film Kapitel 14 +15 +16
(45:23 bis 58.13 – Mathieu verlässt Direktorenzimmer)
Die Stimmung im Internat ändert sich. Selbst der Direktor
scheint für einen Augenblick über sich selbst hinaus zu
wachsen. Doch leider nur für kurze Zeit.
Nachdem der Direktor bestohlen wird, streicht er
den Chor. Doch Mathieu probt mit den Jungen heimlich
weiter. Der Chor geht in den Untergrund und der Junge,
dem der Diebstahl vorgeworfen wird, kehrt zurück. Der
Umgang des Direktors mit ihm macht noch einmal deut­
lich: Mathieu und Rachin vertreten völlig unterschiedliche
Erziehungsstile.
Film Kapitel 17
(58:13 bis 1.03:09 – Mathieu und Mutter)
Die Chorproben finden ein unerwartetes Ziel. Die
Comtesse kündigt ihren Besuch im Internat an – und die
Jungen sollen für sie singen.
Film Kapitel 20
(Besuch der Comtess 1.11:53 bis 1.16:52 –
Hausmeister klopft)
3
4
Materialien
Die Kinder des Monsieur Mathieu
Ich bin in einem Knabenchor „groß geworden“. Sicher,
Monsieur Mathieu im Film hat keinen Knabenchor im
klassischen Sinne gegründet und geleitet, aber ich habe
dennoch einiges wiedererkannt, das ich aus meiner eige­
nen Biographie kenne:
Die Musik, das Singen wird zur Grundlage einer
Gemeinschaft, die „durch Dick und Dünn“ geht. Im Film
könnte dieses „Dick und Dünn“ für die benachteiligten
Jungen durchaus etwas anderes sein; etwas, das mit un­
redlichen Zielen verbunden ist. Stattdessen gelingt es
ihrem Lehrer sie duch Musik, durch Gesang, durch den
gemeinsam Klang ihrer Stimmen zusammenzubringen.
Sie werden auf eine gute Bahn gelenkt.
Monsieur Mathieu hat Autorität. Aber hat eine ganz
andere Autorität als die anderen Lehrer im Internat.
Seine Autorität hebt sich insbesondere von der Autorität
des Direktors ab. Monsieur Mathieu braucht für seine
Ausstrahlung keine Repressalien. Zwangsmaßnahmen
setzt er höchstens ein, um mit ihnen in den Jungen die
Musik wirken zu lassen.
Ich verstehe Französisch nicht so gut, als dass ich die
Liedtexte in dem Film nachvollziehen kann. Die beglei­
tende Musik und die Person des Monsieur Mathieu lassen
mich aber vermuten, dass auch in den Texten nicht nur
Banalitäten besungen werden. Vielleicht sind es sogar auch
geistliche Lieder, und so möchte ich meine persönlichen
Erfahrungen als Parallelen zum Film so zusammenfassen:
Etwas Grundlegendes für unser Leben kann uns die
Musik, das Singen auf besondere Weise nahe bringen,
wenn sie durch Personen mit einer Autorität, die von innen
strahlt, vermittelt wird. Sind dann noch die Inhalte die­
ser Musik sinnstiftend und fröhlich, kann Erziehung, wie
wir sie in diesem Film erlebt haben, richtig Spaß machen.
Für diese Phase ihres Lebens sind die Jungen jedenfalls
sehr gesund „groß“ geworden. Wie ich damals in meinem
Knabenchor.
Materialien
Musik hat meine Jugend geprägt
Von Heiner Penner
Materialien
i
HINWEIS
Materialien
informativ
46
4. Allein oder zu zweit haben die Teilnehme­
rinnen und Teilnehmer in der folgenden
Woche ihre Gedanken zum Film aufgeschrie­­
ben. Der Pastor hatte die Auf­gabe, eine Got­
tesdienstordnung zu entwerfen und Über­­leitungstexte zu formulieren, die die ein­­zel­
nen Filmausschnitte miteinander verbinden
würden.
5. An einem zweiten Abend trugen die Teilneh­
menden die entstandenen Texte dem Team
vor. Die Gottes­dienstordnung wurde besprochen und weitere Aufgaben wurden ver­teilt.
Außerdem hatten die Jugendlichen die Idee,
den Gottesdienst damit zu beenden, Papier­­
flieger von der Orgelempore in das Kir­chen­
schiff gleiten zu lassen, um so das Ende des
Szenefoto aus „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ – © Constantin
Films „spürbar“ in die Kirche zu holen und
1. Durch persönliche Ansprache fand sich ein generaeine Erinnerung
tionenübergreifendes Team zusammen, das aus Mit­ an die beginnende Fastenzeit zu haben, die mit nach
gliedern der örtlichen Jugendgruppe, Studenten und
Hause genommen werden konnte.
Erwachsenen mittleren Alters bestand.
6. Am Aschermittwoch, dem Tag des Gottesdienstes,
2. Der Flötenkreis der Gemeinde konnte gewonnen werwurde die technische Ausrüstung rechtzeitig aufden, den Gottesdienst musikalisch zu gestalten, und
gebaut und auf Funktionsfähigkeit überprüft. Alle
fand sich bereit, für den Gottesdienst Musikstücke einTeilnehmenden trafen sich sehr frühzeitig zu einer
zustudieren, die zur Filmmusik des Films gehörten.
Sprechprobe2.
Dazu war natürlich das rechtzeitige Beschaffen der
Noten wichtig.
3. Das Gottesdienstteam traf sich zunächst zu einem Der Gottesdienstablauf im Überblick
Filmabend bei Chips und Cola, um den Film gemeinsam anzuschauen und im Anschluss zu dis- Alle liturgischen Texte, die Überleitungen zu den Filmaus­
kutieren. Dabei kristallisierten sich im konkreten schnitten und eine Auswahl der Deutungen aus dem Film­
Fall des Films „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ gottesdienst-Team finden Sie im Online-Material.
zwei Deutungslinien heraus: Einerseits ging es den
Teilnehmenden um die Bedeutung und die Kraft, die • Musik zu Beginn
Musik für Menschen haben kann und die sie selbst er- • Begrüßung und Gebet
fahren haben. Andererseits ging es um die Frage nach • Lied: EG 604, 1-3 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
dem Selbstbewusstsein und den Wert des Menschen. • Hinführung zum Film:
– Filmausschnitt I (Anfang, Film Kapitel 1 bis 4)
Von diesen beiden Deutungslinien ausgehend wurden
wesentliche Filmszenen gesammelt, die auf jeden Fall
im Gottesdienst gezeigt werden sollten.
2 Einige technische Hinweise finden sich am Ende des Beitrages.
Am Ende des Films muss Mathieu das Internat verlassen.
Er hatte mit den Jungen einen Ausflug gemacht, den
der Direktor nicht genehmigt hatte. Seine Jungen aber be­
reiten ihm einen besonderen Abschied. Und Perpion geht
schließlich mit ihm mit.
Lassen Sie uns den Schluss des Filmes sehen.
Film Kapitel 23
(1.23:51 bis 1.28.18)
Lesung und Kurzpredigt
Was, liebe Filmgottesdienst­Gemeinde, was macht einen
Menschen stark? Was macht Menschen zu Persönlichkeiten,
die sich ihrer Fähigkeiten bewusst sind und sich – ihrer
selbst bewusst – durchs Leben gehen können?
Mrs. Mathieu versteht es, die Jungen, die ihm anver­
traut sind, stark zu machen. Er nimmt die Kinder wahr. Er
lässt sie vorsingen, und er entdeckt für jeden die richtige
Stimmlage. Oder er entdeckt etwas anderes, was für die
Chorarbeit nützlich ist. Selbst diejenigen, die gar nicht
singen können, werden eingebunden, weil eben doch jeder
etwas kann, was auch für die anderen gut ist.
Mathieu blendet nicht aus, was im Internat geschieht.
Er nennt Unrecht Unrecht und er besteht auf das Recht.
Aber er tut dies nicht mit Strafe und Erniedrigung. Er tut
es durch Gespräch und durch eine sehr besondere Form
der Solidarität mit denen, die ihm in seiner Schule anver­
traut sind.
Die Kinder danken es ihm, indem sie sich entwickeln
und entfalten. Das erfolgreiche Wachsen des Chores ist ein
Bild dafür, was aus Menschen werden kann, wenn man
sie fördert, wenn man ihnen etwas zutraut, wenn man sie
dort abholt, wo sie mit ihren Fähigkeiten und Begabungen
stehen.
Angesichts dieser zutiefst humanistischen Überzeu­
gung muss Rachin, der Schulleiter, mit seinem Konzept
scheitern. Aktion und Reaktion sind letztlich nur Vergel­
tung, die den Kreislauf der Verzweifelten nicht durchbre­
chen können, weil der Mensch dabei keine Rolle spielt.
Die Taufe ist der christliche Blick auf die Persönlichkeit
des Menschen. In der Taufe wird jedem Menschen ein
Wert an sich zugesprochen – ein Wert, den der Mensch
sich selbst nicht geben kann. So macht die Taufe den
Menschen stark.
Und wir Christen sind angehalten, jeden Menschen so
anzublicken, wie Gott ihn ansieht, auch wenn wir ihn oder
sie nicht verstehen.
Der humanistische Blick des Mrs. Mathieu auf seine
Schützlinge – er ist für mich also wie der Blick Gottes auf
die Menschen.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott den Men­
schen sieht, wie er ihn gemeint hat. Und dass er für jeden
Menschen Gutes will. Vor Gott gilt nicht Zahn um Zahn,
sondern die Zusage der Liebe, die den Menschen stark
macht und zu aufrichtigem Handeln ermutigt. Amen.
Lied:
EG 486, 1­3 und 11 Ich liege Herr, in deiner Hut,
(Flöten spielen einmal vor)
Fürbittengebet
(alle Mitwirkenden stehen im Halbkreis im Altarraum)
Lasst uns beten und dazu aufstehen:
Wir beten heute für alle Schüler und Schülerinnen,
dass sie ihnen ihre Schulen Orte sind , an denen sie sich
entwickeln und entfalten können.
Wir beten heute für alle Lehrer und Lehrerinnen, dass
es ihnen immer wieder gelingt, ihre Schüler und Schü­
lerinnen anzunehmen und zu fördern, so gut es eben geht.
Wir beten heute für alle Jugendlichen, die straffällig
geworden sind, dass ihnen Menschen begegnen, von denen
sie sich ansprechen und verwandeln lassen.
Wir beten heute für alle, die sich für Bildung in unse­
rem Land einsetzen, dass es ihnen gelingt, Schulen und
Kindergärten zu Orten der Kreativität und des Mitein­
anders zu machen.
Wir beten heute für diejenigen, die in den Schulen
scheitern, dass sie nicht verzweifeln, sondern andere Wege
finden, die sie gehen können.
Pastor: Gemeinsam beten wir Vaterunser …
Segen
Mrs. Mathieu geht neue Wege. Wir eröffnen mit diesem
Filmgottesdienst die Fastenzeit und ermutigen Sie zu
„Sieben Wochen ohne …. Vorsicht“ – das ist in diesem
Jahr das Motto der evangelischen Kirche für die Fastenzeit.
Lesung Mk 1,9-11 Taufe Jesu
Auf wiedersehen – und nehmen Sie sich einen Flieger mit.
Wenn wir Menschen in der Taufe der Herrschaft Gottes
unterstellen, dann sagen wir genau das: Du bist ein ge­
liebtes Kind Gottes. Du bist wertvoll, so wie du bist, ganz
gleich, was aus dir wird.
Aktion: Papierflieger
Loccumer Pelikan 1/2016
Loccumer Pelikan 1/2016
Technische Hinweise
• Ein Filmgottesdienst braucht gute Technik, damit er
nicht peinlich wird, und Menschen, die bereit sind,
sich um die Technik vorher und während des Gottes­
dienstes zu kümmern.
• Die Größe der Leinwand muss dem Kirchraum
angepasst sein. Ideal ist es, wenn die Leinwand den
Altar nicht verstellt.
• Damit der Film gut zu sehen ist, ist ein lichtstarker
Beamer zwingend.
• Es muss sichergestellt sein, dass die Tonübertragung
funktioniert: Manchmal lässt sich die Tonquelle
direkt an die Lautsprecheranlage der Kirche
anschließen, manchmal muss eine eigene
Lautsprecheranlage aufgebaut werden. Die
Möglichkeiten der Tonübertra­gung unbedingt
rechtzeitig vorher prüfen und ausprobieren.
• Es dürfen nur Filme gezeigt werden, von denen eine
DVD mit Aufführungsrechten für nichtkommerzielle
Nutzung vorhanden ist. In der Regel können DVDs
mit Aufführungsrechten über die Medienstellen der
Landeskirchen beschafft werden.
• Es darf nicht mit dem originalen Filmtitel für den
Gottesdienst geworben werden. Eine inhaltliche
Zusammenfassung des Films ist dagegen erlaubt.
Ge­nauere Informationen zu den Aufführungsrechten
können die Medienstellen geben.
Oliver Friedrich ist Dozent für die Ausbildung der Vika­rin­
nen und Vikare am Religionspädagogischen Institut Loccum.
Literatur
Adler, Dietmar; Arnold, Jochen; Helmke, Julia; Kirsner, Inge (Hg.):
Mit Bildern bewegen – Filmgottesdienste, Hannover 2014
Kirsner, Inge; Gehring, Hans-Ulrich: Filmgottesdienste. Theorie
und Modelle, Jena 2005
Konfirmandenarbeit
mit musischen Projekten
Sönke von Stemm im Gespräch mit Claudia Kasprzyck
Sönke v. Stemm: Liebe Frau Kasprzyck, Sie arbeiten an
der Schnittstelle von Konfirmandenarbeit und Jugend­
arbeit, und zwar mit musischen Projekten. Welche musischen Angebote gibt es in Ihrer Gemeinde für Kinder
und Jugendliche?
Claudia Kasprzyck: Rein musisch sind drei Chor­gruppen
(1. bis 3. Klasse, 4. bis 6. Klasse und ab der 7. Klasse).
Einige Ältere singen auch im Kirchenchor, der aber auch
ein jüngeres Repertoire hat (neues geistliches Lied).
Neben der musischen Arbeit ist aus dem Jugendchor
heraus ein Jugendkreis entstanden – Zeit für Gespräche,
und einmal im Quartal wird ein Jugendgottesdienst erLoccumer Pelikan 1/2016
arbeitet und gemeinsam mit der Gemeinde gefeiert. Auf
diese Weise konnte die Probenarbeit (von den notwendigen
Gesprächen und) von dem Nachdenken über die Inhalte
getrennt werden. Der Jugendkreis bietet die Möglichkeit,
engeren Kontakt zu den Jugendlichen zu halten und auf
ihre Fragen bzw. Nöte einzugehen, die die normale Chor­
arbeit sprengen.
v. Stemm: Wie verknüpfen Sie die reguläre Konfirmanden­
arbeit mit den musischen Projekten?
Kasprzyck: In unserer Gemeinde dürfen die Konfirman­
dinnen und Konfirmanden sich in einer bestimmten
47
informativ
–Überleitung
– Filmausschnitt II (Film Kapitel 9 +10 +11)
–Überleitung
– Filmaussschnitt III (Film Kapitel 14 +15 +16)
–Überleitung
– Filmausschnitt IV (Film Kapitel 17)
–Überleitung
– Filmausschnitt V (Schluss, Kapitel 23)
• Gedanken zum Film:
– Wertschätzung kann viel bewirken
– An das Gute in den Kindern glauben
•Musik
• Gedanken zum Film:
– Musik hat meine Jugend geprägt
– Musik schafft einen geschützten Raum
•Musik
• Gedanken zum Film:
Neue Wege – Aufruf zur Fastenaktion
•Musik
• Zusammenfassende Kurzpredigt mit Lesung Mk 1,9-11
• Abendlied: EG 486, 1-3 Ich liege, Herr, in deiner Hut
• Fürbittengebet und Vaterunser
•Segen
• Aktion: Papierflieger
informativ
48
Phase Ge­meindeprojekte aussuchen und in der Gemeinde
mitzuarbeiten. Es gibt nicht nur musische Angebote. Da
viele Jugendliche schon als
Kinder an den musischen
Angeboten teilgenommen
haben und auch die angegliederte Musik­schule nutzen, gibt es immer wieder
gut ausgebildete Konfirman­
d innen und Konfir­
manden, die als Pro­jekt die
Band wählen und den großen Chor bei Aufführungen
begleiten. Dafür ist allerdings schon ein bestimmtes Können gefragt. Ohne
Vorkenntnisse laufen aber
auch Percus­sion-Gruppen,
besonders gut bei Jungen
im Stimm­bruch oder bei
motivierten Kin­dern. Meist
haben wir mehr Mäd­chen
als Jungen in den Grup­pen.
Es geht uns dabei vor allem
um die Verbindung des All­tags bzw. der Inter­es­sen der
Konfirmandinnen und Konfirmanden mit der Kirchen­
gemeinde.
v. Stemm: Welche personellen Voraussetzungen (und
welche finanziellen) machen diese besondere musische
Arbeit möglich?
Kasprzyck: Voraussetzung ist ein Gemeindeprofil, in
dem die musische Arbeit einen großen Stellenwert hat.
Das Konzept ist eher langfristig angelegt und zielt darauf, schon mit Kindergruppen zu beginnen und dann kontinuierliche Angebote vorzuhalten, die es Kindern und
Jugendlichen bzw. Konfirmandinnen und Konfirmanden
ermöglichen, quer einzusteigen.
Finanziell gibt es für Kinder und Jugendchöre oder auch
andere Gruppen meist kein Geld von der Landeskirche.
Ein Förderverein Kirchenmusik kann da vieles abfangen,
erfordert aber auch wieder Menschen, die diese Arbeit
machen wollen.
Ein weiterer finanzieller Punkt sind Kosten, die bei
Aufführungen oder bei Anschaffungen von Instrumenten
entstehen. Diese Kosten hängen von der Beschaffenheit
der Kirchen, der Größe der Gruppen, dem Anspruch an
die Aufführungsqualität (Licht, Verstärkung) etc. ab.
v. Stemm: Ist die Musik ein besonderer Zugang für Kinder
und Jugendliche, um sich mit religiösen Themen und
Fragen zu beschäftigen? Haben Sie ein Beispiel?
Kasprzyck: Wenn ich ein Musical einer biblischen Ge­­
schichte aufführen möchte, dann muss ich die Geschicht­e
mit den Kindern besprechen. Kinder im Grund­schul­alter
stellen noch unbefangen Fragen, die manchmal einem
Erwachsenen die Geschichte von einer anderen Seite beleuchten.
Bei den moderneren Musicals werden die Geschichten
auch ausschmückend erzählt, was wieder neue Fragen aufwirft.
Ein Beispiel ist schwer, aber vielleicht eine andere Er­
klärung, warum mit Musik bzw. Theater (szenisches Spiel)
ein religiöser Inhalt anders rüber kommt bzw. anders verstanden oder aufgenommen wird. Musik selber zu machen
– besonders Singen – ist auch eine Form der Therapie, um
Menschen zu öffnen, den Kopf frei von Sorgen zu machen,
bei einer Sache mit Kopf und Herz dabei zu sein. Wenn eine
Gruppe zusammen als szenische Übung Wasser zu Wein
gewandelt hat, also jeder der Gruppe selber die Rolle Jesu
gespielt hat, dann bleibt es mehr in Erinnerung, als wenn
nur erzählt wurde. Dann kann man davon auch singen.
v. Stemm: Welches Projekt aus der jüngsten Vergangenheit
ist Ihnen noch am meisten in Erinnerung / und warum?
Kasprzyck: Ein derzeitiger Konfirmand aus der Lebens­
hilfe hat mit mir und einem erfahrenen Schlagzeug­schüler
mit diversen Percussionsinstrumenten den Kir­chenchor
bei einer Afrika Messe begleitet. Bei den Proben hat
er laut gesungen und ist durch den Raum getanzt. Wir
wussten nicht, was er bei der Aufführung machen würde. Ich habe bei der Begrüßung die Gemeinde auf dieses
Inklusionsprojekt hingewiesen und sie darauf vorbereitet,
dass ungehemmte Freude von diesem Jungen ausgehen
würde. Nach der Messe waren alle von dieser Freude angesteckt, teilweise mit Tränen in den Augen. Die afrikanische Begeisterung und ein jubelndes Kyrie, Gloria, etc.
haben noch viele Gespräche in der Gemeinde ausgelöst.
v. Stemm: Sind die aktuellen Pop-Charts tauglich als
Kirchenmusik?
Loccumer Pelikan 1/2016
Kasprzyck: Die Creative Kirche hat viele biblischen Ge­
schichten, die modern und peppig geschrieben sind. Man
benötigt meist nur einen Erzähler. Zusätzlich gibt es ein
Werkstattbuch mit Requisitenvorschlägen, Probenplan,
etc. Adonia bietet auch biblische Musicals an, teilweise
auch für Ältere. Sie sind aufwändiger zu erarbeiten, da
die Kinder und Jugendlichen selber schauspielern müssen.
Abakus hat ein breites Angebot. Siegfried Fietz ist bekannt für modernes Liedgut.
Im Fidula-Verlag findet man auch einiges Brauchbares,
allerdings ist es ein Schulverlag und nicht alle Stücke passen in einem kirchlichen Rahmen.
v. Stemm: Wo finde ich Noten und gute Musicals für größere Projekte?
Dr. Sönke von Stemm ist Dozent für Konfirmandenarbeit
am Religionspädagogischen Institut Loccum.
v. Stemm: Was empfehlen Sie Gemeinden, die intensiver
in eine solche musische Arbeit einsteigen wollen?
Kasprzyck: Mit mir Kontakt aufzunehmen: [email protected]
Claudia Kasprzyck ist Inhaberin eines Musikhauses in
Hankensbüttel.
„Religramme. Gesichter der Religionen“
Interaktive Wanderausstellung der Landeskirche porträtiert Religionen
V
or vier Jahrzehnten war man in Niedersachsen
entweder evangelisch oder katholisch. Andere
Religionsgemeinschaften gab es kaum. Heute
erleben Kinder und Jugendliche etwas ganz anderes:
Schulklassen sind religiös und kulturell bunt gemischt.
Darüber hinaus gibt es in fast jeder Klasse Mädchen und
Jungen, die sich keiner Religion zugehörig wissen.
Niedersachsen ist ein multireligiöses Land geworden.
In vielen Städten sind mittlerweile Gebetshäuser aller großen Religionen zu finden. In der Ausstellung „Religramme
– Gesichter der Re­ligionen“ wird die religiöse und kulturelle Vielfalt Nie­der­sachsens für jedermann und jedefrau
sicht-, hör- und erfahrbar.
„Je vielfältiger und bunter die Welt der Religions­ge­
meinschaften wird, desto wichtiger ist es, dass wir einander kennen lernen, dass wir erfahren, was den anderen am
Herzen liegt und wie sie sich das Miteinander in unserer
Gesellschaft vorstellen“, beschreibt Ausstellungsmacher
Prof. Dr. Wolfgang Reinbold von der Hannoverschen
Landeskirche die Motivation für das Projekt.
In der Ausstellung geben zwanzig Frauen und Männer
aus zwanzig Religionsgemeinschaften der multireligiösen
Loccumer Pelikan 1/2016
Landschaft Niedersachsens ein Gesicht. Sie erzählen, wer
sie sind, wo sie herkommen und wie sie leben. Sie antworten auf die Fragen wie „Was ist dir wichtig an deiner religiösen Tradition?“ „Wie stehst du zu Menschen mit anderer
Religion?“ „Was bedeutet es für dich, in Niedersachsen zu
leben?“ Sie geben Einblick in ihr privates Umfeld und ihre
Gebetshäuser. Sie lassen die Besucherinnen und Besucher
Ausstellungseröffnung in Wolfsburg am 18. Januar 2016
Foto: Lukas von Loeper
49
informativ
Kasprzyck: Welcher Konfirmand hat in seiner Familie
Choräle wie „All Morgen ist ganz frisch und neu“ oder
„Jesu meine Freude“ kennen gelernt? Welche Musik hören die meisten Gemeindeglieder unter 40 Jahren? Wir
haben etwas ausprobiert, was in der Gemeinde gut ankam: Die Konfirmandinnen und Konfirmanden haben sich
in einem Vorstellungsgottesdienst mit ihrem derzeitigen
Lieblingslied vorgestellt. Die Lieder wurden von CD /
MP3 abgespielt. Beim Übersetzen der Texte ergaben sich
tiefe Gespräche, bzw. die Konfirmanden haben auch gemerkt, wie blöd mancher Text ist.
Nach meiner Erfahrung sind derzeit aktuelle Themen
bei den Jugendlichen: Abschied von Freunden; wie sieht
die Zukunft aus? Das Leben läuft gerade schlecht; ist
Abhauen die einzige Lösung?
Über ihre Musik kann man den Bogen zu biblischen
Geschichten und zum Glauben bekommen. Bewusst gebe
ich keine Titel und Beispiele, da sich der Geschmack und
die Top Ten ständig ändern.
Es bleibt ein spannendes Abenteuer dieses Experiment
immer wieder zu machen. Ein Vorteil: Man benötigt keinen Kirchenmusiker, der die Musik begleiten müsste.
informativ
50
teilhaben an den Klängen und wichtigen Texten ihrer religiösen Tradition.
Zudem ist die Ausstellung mit mehreren Profilen auf
Instagram vertreten, auf denen Fotos und Videos zu religiösen Themen und aus dem Leben der zwanzig Gesichter
der Religionen veröffentlicht werden. Darüber hinaus werden Fragen zu, Zusammenleben in der multireligiösen und
kulturell vielfältigen Gesellschaft diskutiert.
In den kommenden anderthalb Jahren wird die Aus­
stellung landesweit an 15 Orten gezeigt. Vom 2. bis 25.
Mai ist sie in Celle zu sehen. Weitere Termine und Aus­­
stellungsorte werden im Internet unter www.gesichter-derreligionen.de/ausstellung angezeigt. Hier sind zudem nähere Informationen, Materialien und weitere interaktive
Elemente zu finden.
Anne Sator
Ausstellungseröffnung in Wolfsburg am 18. Januar 2016
Foto: Lukas von Loeper
In eigener Sache:
Matthias Hülsmann neuer Dozent für
Theologische Fortbildung und Kirchenpädagogik
S
eit dem 1. Februar ist Pastor Matthias Hülsmann
aus Walsrode neuer Dozent am RPI Loccum. Er tritt
u.a. die Nachfolge von Christiane Kürschner an und
wird damit für den Arbeitsbereich Kirchenpädagogik zuständig sein. Die kirchenpädagogische Arbeit wird in der
Landeskirche durch viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter getragen, die nun bei ihren zahlreichen
Aktivitäten von Matthias Hülsmann unterstützt und fortgebildet werden. Ein neuer deutlicher Schwerpunkt der Arbeit
von Matthias Hülsmann wird die theologische Fortbildung
sein, die u.a. im Rahmen der Vokationstagungen, aber
auch in Formaten zum Dialog der Religionen in der Schule
ihren Platz finden wird.
Matthias Hülsmann ist Jahrgang 1963. Er studierte
Evangelische Theologie in Göttingen, war dann neun
Jah­re Gemeindepastor im
Kir­chenkreis Lüchow-Dan­
nen­berg und war seit 2002
Schul­pastor am Gymnasium
in Walsrode. Darüber hinaus war er Beauftragter für
Kirche und Schule im Spren­gel Lüneburg Süd tätig. Er
ist Autor zahlreicher Unter­
richts­
m aterialien für die
gymnasiale Oberstufe.
Das Team des RPI heißt
Matthias Hülsmann herzlich
willkommen!
Die Redaktion
Buch- und Materialbesprechungen
Matthias Günther
Rock ‘n‘ Religion.
Populäre Musik und
biblische Texte im
Religionsunterricht
Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2015,
ISBN 978-3-525-77015-3,
60 Seiten, 20,00 Euro
Schon immer haben sich Christen überlegen müssen, in
welchen Aus­d rucksgestalten Bibel für die Gegenwart verständlich wird. Zur aktuellen Lernsituation des Religi­
ons­unterrichts gehören mehr denn je die Überlegungen,
von wo her Jugend­liche überhaupt auf Reli­gion, religiöse
Tradition und erst recht auf die Bibel zugehen können.
Bei Jugendlichen spielt Musik eine große Rolle – als
Begleitung, als Gegenwelt, zur Selbstgestaltung. Konkret:
Rock- und Popkultur, die von Jugendlichen gehört, gesummt, gespielt, gehämmert wird, enthält nicht nur religiöse Motive, sondern ganz konkret biblische Bezüge.
Loccumer Pelikan 1/2016
Jugendlicher und entlastet Religionslehrkräfte, die sich
musikalisch nicht genügend musikalisch fit fühlen.
Für eine subjektorientierte religiöse Hörschule und die
Chance auf Fächerverbindungen mit dem Fach Musik
wäre es jedoch sicherlich eine Unterstützung im Sinne
des eigenen Anliegens, wenn die Wirkung der Klänge
und Rhythmen zur Geltung gekommen und musikalische
Hörhilfen einbezogen wären. Hierfür sind ergänzende
Aufgabenstellungen nötig.
Der Gewinn: Schülerinnen und Schüler in der Pubertät
und im jungen Erwachsenenalter lernen in der biblischen Interpretation durch Auseinandersetzung mit den
Songtexten von Xavier Naidoo über Fettes Brot, Die Toten
Hosen, Bushido, Herbert Grönemeyer u.a. bis zu Kanye
West, wo die Endlichkeit, Kostbarkeit und Wertschätzung
des von Gott geschenkten Lebens, aber auch der Blick
darüber hinaus in den Himmel zur Geltung kommen. Das
bedeutet gemeinsames Hören, anderes Lesen, Gestalten –
elementare Prozesse des Religionsunterrichts. Religion hat
eben Rituale, Rhythmen, Räume – und manchmal rockt
sie auch.
Silke Leonhard
***
Heike Lindner
Musik für den
Religionsunterricht.
Praxis- und kompetenz­
orientierte Entfaltungen
Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2014
ISBN 978-3-525-70208-6, 200
Seiten, 25,00 Euro
Musik gehört in den Religionsunter­r icht! Heike Linder
möchte dazu nicht nur Interesse wecken, sondern mit
ihrem neuen Buch einen Stein­bruch an unterrichtlich
verwendbaren Möglichkeiten vorlegen: „Curriculare
Anforderungen, Themen des Reli­­
gionsunterrichts,
Kompetenzfelder, didaktische Schlüssel und Methoden­
tipps werden zusammen mit konkreten Lernaufgaben für
die unterrichtliche Umse­tzung zur Verfügung gestellt.“
(Seite 7) Heike Linder arbeitet damit ihre Dissertation
aus dem Jahr 2003 (Musik im Religionsunterricht, LitVerlag, Münster/Hamburg/London zweite Auflage 2009)
zu einem Praxisbuch um, indem sie die theoretischen und
diskursiven Beiträge auf ein Minimum verkürzt und die
praktischen Anregungen für einen kompetenzorientierten
Religionsunterricht anpasst und vermehrt.
Heike Lindner ist Musikpädagogin und Professorin
für Evangelische Theologie und ihre Didaktik an der
Universität Köln. Sie macht mit diesem Buch deutlich,
welche große Rolle Musik für und im Religionsunterricht
übernehmen kann. Sie belegt erneut ihre These, dass durch
die Arbeit mit Musik und an Musik im Religionsunterricht
zentrale Kompetenzen gefördert und ausgebildet werden
Loccumer Pelikan 1/2016
können, die Kindern und Jugendlichen ein Arbeiten an
religiösen Themen und Fragestellungen sehr erleichtern.
Im Zentrum steht für Heike Lindner dabei, mit Kindern
und Jugendlichen zu entdecken, wie sehr Religion auf die
Verwendung von Zeichen angewiesen ist, um in konkreten
Lebensvollzügen als Deutekategorie verwendet werden zu
können. Diese an Zeichen gebundenen Rezeptions-Prozesse
lassen sich ihrer Auffassung nach an Musikstücken gut
studieren. Lindner zeigt vor allem im vierten Teil ihres
Buches auf, wie sehr diese Prozesse in Musik und Religion
parallel laufen, so dass anhand einer Auseinandersetzung
mit musikalischen Rezeptionsprozessen die Bearbeitung
von religiösen Inhalten vorbereitet und erleichtert werden kann. Lindner geht bei der Entfaltung ihrer praktischen Beispiele davon aus, dass man direkt mit den
Rezeptionsprozessen beginnen kann, sie stellt zugleich
aber auch dar, wie wichtig für diesen Schritt zunächst die
Ausbildung von Wahrnehmungskompetenzen (Musik hören) und Gestaltungskompetenzen (Musik machen) ist.
Daher lohnt es sich doch, das Werk zunächst in einem
Stück zu studieren.
Das Werk gliedert sich in vier Teile, die zwar aufeinander aufbauen, jedoch nach Willen der Autorin jeweils
für sich stehen und einzeln genutzt werden sollen. Das
Inhaltsverzeichnis enthält eine entsprechende Lesehilfe,
ebenso erläutert der erste Abschnitt der Einleitung den
Aufbau des Buches. Eine Reihe von Piktogrammen soll
zudem helfen, einzelne Unterabschnitte zu verwerten,
indem sie beispielsweise als Lernaufgabe, als Hinter­
grundinformation oder als Musik-Titel-Hinweis gekennzeichnet sind. Für die Praxis in der Vorbereitung von
Religionsunterricht wünscht man sich jedoch noch mehr
Hinweise und eine klar nachvollziehbare Gliederung
der einzelnen Kapitel. So findet sich die Erläuterung der
51
informativ
Die Arbeitshilfe „Rock ‘n‘ Religion“ nimmt diese
Herausforderungen auf – als Motto für einen an musikalischer Jugendkultur orientierten Religionsunterricht
der Sekundarstufe II an allgemeinbildenden und berufsbildenden Gymnasien. Ihr Autor, Matthias Günther, der
als Schulpastor selbst an einem solchen unterrichtet, gibt
in einer kurzen Einleitung eine didaktisch-methodische
Übersicht über die kompetenzorientierte Struktur: Auf 60
Seiten folgt eine Materialsammlung im DIN A-4-Format
mit neun Songtexten sowie jeweils einem entsprechenden
Bibeltext und zwei bis drei weiteren Ergänzungstexten,
denen Aufgabenstellungen in Anlehnung an prozess­
orientierte Kompetenzen zugeordnet sind. Manche
Kurzsequenzen werden durch Zusatzinformationen angereichert. Die Materialien und Aufgaben beziehen sich
auf die zentralen inhaltlichen Kompetenzbereiche des
Religionsunterrichts in der Oberstufe, die Operatoren
der Abiturprüfungsanforderungen sind kompatibel. Der
Wermutstropfen: Die musikalische Seite der Songs bleibt
dabei letztlich unberücksichtigt. Der Zugang bemächtigt sich dadurch nicht der subjektiven Hörerlebnisse
informativ
52
Bedeutung von Musik für Martin Luther (Seite 71ff.) mitten in den Ratschlägen, wie mit Klassen gesungen bzw.
Bodypercussion geübt werden kann.
Das Ziel Lindners ist allen, die einen Zugang zu Musik
haben, unmittelbar einleuchtend: „Ich glaube nicht, dass
ein Musiker, der seinen Job ernst nimmt, Atheist sein
kann.“ (Heinz-Rudolf-Kunze, zitiert nach www.cicero.
de/presse/heinz-rudolf-kunze-echte-musiker-koennenkeine-atheisten-sein, 30. Juli 2015 letzter Zugriff am 19.
Januar 2016, 14.50 Uhr). Die Beispiele, die dazu verwendet
werden, stammen überwiegend und ganz bewusst nicht
aus dem Popularbereich. Heike Lindner will bewusst mit
Fremdheit arbeiten und nutzt daher vorwiegend Musik
aus dem Bereich Klassik und Avantgarde. Auch die praktischen Anleitungen z. B. von Singen mit pubertierenden
Klassen sind überaus hilfreich, bedürfen aber einer großen persönlichen Affinität der Lehrkräfte nicht nur zu
Musik, sondern auch zu einem souveränen Umgang mit
Medien und Arbeitsmaterialien, die sich für Kinder und
Jugendliche nicht unmittelbar aus ihrer Lebenswelt heraus erschließen lassen. Das damit verbundene didaktische
Konzept erläutert Heike Lindner an manchen Stellen, vor
allem aber in ihrer Dissertation. Daher finden in diesem
Werk vor allem diejenigen Anregungen für die eigene
Unterrichtsvorbereitung, die schon einige Erfahrung im
Umgang mit Musik im Religionsunterricht haben und sich
auf neue, spannende Begegnungen mit dem besonderen
Zeichensystem von Musik und Religion einlassen wollen.
Sönke v. Stemm
***
Friedrich Schweitzer, Christoph H. Maaß, Katja
Lißmann, Georg Hardecker, Wolfgang Ilg:
Konfirmandenarbeit im Wandel –
Neue Herausforderungen und Chancen.
Perspektiven aus der zweiten bundesweiten
Studie
Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten Bd. 6,
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015,
ISBN: 978-3-579-05276-2, 340 Seiten, 44,00 Euro
Der Auswertungsband der zweiten
Konfirmandenstudie (Erhebungs­
zeitraum 2012/13) ergänzt die
Reihe Konfirmandenarbeit erforschen und gestalten um aktuelle
Be­f unde zur Konfirmandenarbeit
in Deutschland und eröffnet zugleich die Möglichlichkeit des
Vergleichs mit den Er­gebnissen der
ersten Studie (Erhebungszeitraum
2007/08, veröffent­licht 2009 als
Bd. 3 der Reihe). Wieder gewähren die Ergebnisse der
zwei Befragungs­­zeitpunkte der Studie, zu Beginn der
Konfirmandenzeit sowie kurz vor der Konfirmation, pädagogisch, soziologisch und strukturell relevante Einblicke
in die Entwicklung der Jugendlichen, in das Potenzial
der Konfirmandenarbeit und in vergebene Chancen. Der
Vergleichszeitraum von fünf Jahren (zwischen erster
und zweiter Studie) ermöglicht indes nur begrenzt die
verlässliche Beschreibung von Entwicklungstendenzen,
sodass dem bewanderten Leser einige Ergebnisse bereits
bekannt sein könnten. Die Einordnung der Befunde in
den Kontext anderer Studien sowie der Abgleich entsprechender Ergebnisinterpretationen führen gegenüber dem
Auswertungsband der ersten Studie jedoch zu aktuellen
Themenschwerpunkten und Kontroversen, die den Band
sehr lesenswert machen.
Auf drei inhaltliche Pointen sei an dieser Stelle exem­
plarisch verwiesen. Vor dem Hintergrund der Shell-
Jugendstudie 2010 sowie der letzten EKD-Mitglied­
schaftsuntersuchung (KMU V.) und deren frappierenden
Befunden zur nachlassenden religiösen Sozialisation
Jugendlicher richtet sich der Fokus der Autoren zunächst
auf die religiöse und die kirchliche Sozialisation der
Konfirmandinnen und Konfirmanden. Im Hinblick auf
letztere gehen sie der Reichweite kirchlicher Bildungs­
angebote nach und stellen ein deutliches Defizit fest.
Die Ergebnisse der Konfirmandenstudie zeigten, dass
die kirchlichen Bildungsangebote eine fehlende kirchliche Sozialisation vonseiten des Elternhauses bislang
nicht kompensieren könnten. Darüber hinaus widersprechen die Autoren empirisch fundiert der These von einem säkularisationsbedingten Rückgang der absoluten
Konfirmandenzahlen und führen diesen Effekt stattdessen
auf demografische Veränderungen zurück.
Die inhaltliche Gestaltung der Konfirmandenarbeit wird
u.a. im Hinblick auf die Zufriedenheit der Jugend­lichen und
die Mitgestaltungsmöglichkeiten betrachtet. Die Studie
kommt zu dem Ergebnis, dass viele Konfir­mandinnen und
Konfirmanden ihre eigenen Fragen an den Glauben nicht
beantwortet sehen und die Konfirman­denarbeit zu großen
Teilen als losgelöst von ihren alltäglichen Fragen wahrnehmen. Die Autoren der Studie markieren hier (im Vergleich
zur ersten Studie) gleich­bleibenden Reformbedarf, zugleich
vermeiden sie es, überhöhte Ansprüche an die Praxis zu
stellen. Der Tenor der Reformv­orschläge ist mahnend, aber
immer auch wert­schätzend, was sich im Übrigen als große
Stärke durch den gesamten Band zieht. Die Möglichkeiten
und Grenzen der an der Konfirmandenarbeit beteiligten
Haupt- und Ehren­amtlichen werden sensibel wahrgenommen und die Ergebnisse der Studie als Anregungen formuliert, die Konfir­man­denarbeit weiter zu reformieren.
Auch wenn erste Verbesserungs­bemühungen, wie sie aus
der Reze­ption der ersten Studie erwuchsen, bereits Früchte
tragen, sei der grundlegende Wandel vom konventionellen
Konfirmanden­u nterricht zur Konfirmandenarbeit noch
nicht abgeschlossen.
Wie schon in der ersten Konfirmandenstudie fragen
die Autoren schließlich nach dem Ertrag der Konfir­
Loccumer Pelikan 1/2016
Diese ausschnittartige Darstellung zeigt bereits die
Bandbreite kritischer Impulse der Studie, die wissenschaftliche Theoriebildung dieses Arbeitsfeldes ebenso
betreffend wie dessen praktische Optimierung. Damit ist
der Auswertungsband, was den Vergleich der Ergebnisse
mit der ersten Studie anbelangt, nicht unverzichtbar, in
seiner Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und
anderen empirischen Studien jedoch ausgesprochen anregend und gewinnbringend.
Elisabeth Hohensee
Nachrichten aus Schule, Staat und Kirche
Musizieren fördert Bildungserfolge von Jugendlichen
Jugendliche, die schon in jungen Jahren Musikunterricht
hatten, haben bessere Schulnoten als andere. Darüber hinaus sind sie gewissenhafter, offener und ehrgeiziger. Das
sind die zentralen Ergebnisse einer Untersuchung auf der
Basis von Daten der Langzeitstudie Sozio-ökonomisches
Panel (SOEP) im DIW Berlin, die bereits im Jahr 2014
in der renommierten Fachzeitschrift „Economics of
Education Review“ (Heft 44, 2015) veröffentlicht wurde.
Im Detail zeigt die Analyse der SOEP-Daten: Jugend­
liche, die von Kindesbeinen an musizieren, haben bessere Schulnoten als andere – und zwar unabhängig davon,
ob sie aus einem bildungsnäheren oder bildungsferneren
Elternhaus kommen. Darüber hinaus sind sie gewissenhafter, offener und auch ehrgeiziger: Die Analysen der
Forscher zeigen, dass sie mit einer um acht Prozent höheren Wahrscheinlichkeit als andere das Abitur und danach
ein Studium anstreben. Die Forscher konnten belegen, dass
ein direkter Zusammenhang zwischen Musikunterricht in
jungen Jahren und besseren Bildungserfolgen besteht, der
nicht vom Bildungsniveau und Einkommen der Eltern­
häuser abhängig ist.
Gleichwohl entscheidet die Bildung der Eltern noch
immer maßgeblich darüber, ob Kinder außerhalb der
Schule musizieren oder nicht. Nach wie vor nehmen vor
allem Jugendliche aus höheren sozialen Schichten Musik­
stunden. Die Wissenschaftler fordern daher eine stärkere staatliche Förderung von außerschulischem Musik­
unterricht, an dem Jugendliche unabhängig von der sozialen Stellung ihrer Eltern teilnehmen können. Als Beispiel
nennen sie das Programm „Jedem Kind ein Instrument“
(JeKi), das es Kindern ermöglicht, ein Jahr lang kostenlos
ein Instrument zu lernen. (www.diw.de)
„grips gewinnt“ – Schülerstipendien
für begabte und engagierte Jugendliche
Schüler aus benachteiligten Familien können sich noch
bis zum 15. März 2016 für die diesjährigen Schülersti­
Loccumer Pelikan 1/2016
53
pendien „grips gewinnt“ bewerben. Mit dem Stipendien­
programm unterstützen die Joachim Herz Stiftung und
die Robert Bosch Stiftung jedes Jahr bis zu 110 engagier­
te und leistungsstarke Jugendliche auf dem Weg zum
Abitur oder zur Fachhochschulreife. Neben einer finanziellen Unterstützung bietet das Stipendium viel­f ältige
Bildungsangebote (Seminare, Studientage, Sommer­­aka­
demien etc.) und eine persönliche Beratung der Jugend­­
lichen. Auswahlkriterien sind das Begabungs­p oten­
zial der Schüler, schulisches und/oder außerschuli­sches
Enga­gement sowie die soziale Situation der Familie.
„grips gewinnt“ wird in Bremen, Berlin, Brandenburg,
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt
und Schleswig-Holstein angeboten. Die Bewerbungsunter­
lagen gibt es unter www.grips-stipendium.de.
Zwei Aufführungen des Pop-Oratoriums „Luther“
in Hannover geplant
Das Pop-Oratorium „Luther“ über den Kirchenreformator
Martin Luther wird im kommenden Jahr in Hannover
gleich zweimal aufgeführt werden. Grund sei der große
Zu­spruch von Chören und Einzelpersonen, die im Chor
der Aufführung mitmachen wollen, so der Direktor des
Zentrums für Gottesdienst und Kirchenmusik im Micha­
elis­k loster Hildesheim, Jochen Arnold. Es hätten sich
bereits rund 1.500 Sängerinnen und Sänger angemeldet.
Anlässlich des 500. Reformationsjubiläums studieren
Hobby-Musiker in ganz Deutschland das Musik-Stück aus
der Feder des Hamburger Musical-Autors Michael Kunze
und des Düsseldorfer Komponisten Dieter Falk ein. Bei
der Weltpremiere von „Luther – das Projekt der tausend
Stimmen“ hatten am Reformationstag 2015 in Dortmund
mehr als 3.000 Sänger und Sängerinnen mitgewirkt.
Außer in Hannover kommt das Pop-Oratorium 2017 in
Stuttgart, Düsseldorf, Mannheim, Hamburg, Halle (West­
falen), München und Berlin zur Aufführung. Weitere In­
formationen und Tickets im Internet unter www.lutheroratorium.de.
informativ
mandenarbeit für das gesellschaftliche Zusammenleben
in der Form von „Bildung für die Zivilgesellschaft“ (S.
109ff). Hierunter subsumieren sie die Annahme, dass
die Anregung zu ehrenamtlichem Engagement, die die
Konfirmandenarbeit (in steigendem Maße) leiste, als
ents­cheidender Beitrag zu soziale­m Lernen, prosozialen
Einstellungen und letztlich gelingenden gesellschaftlichen Verständigungsprozessen gewertet werden könne.
Tatsächlich weiterreichende Ergebnisse zu den Umständen
jugendlichen Ehrenamtes verspricht die von den Autoren
für 2015 geplante dritte Erhebung, die sich an kirchlich
engagierte Jugendliche richtet.
informativ
54
Anne-Frank-Wanderausstellung im April in Nienburg
Vom 7. April bis 3. Mai wird die Ausstellung „Deine
Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ in der St.-Mar­­
tinskirche in Nienburg/Weser gezeigt. Die Schau, die vom
Anne Frank Zentrum in Berlin konzipiert wurde und seit
2012 durch Deutschland tourt, fußt auf dem Tagebuch des
jüdischen Mädchens Anne Frank (1929-1945), das zu einem Symbol für den Völkermord an den Juden durch die
Nationalsozialisten geworden ist.
Kern des Projektes, das sich vornehmlich an ein junges
Publikum, insbesondere an Schüler, richtet, ist das Konzept
„Jugendliche begleiten Jugendliche“. Junge Menschen
aus Nienburg führen die Besuchergruppen durch die
Ausstellung. Nähere Informationen und Anmeldung für
Schulklassen unter www.annefranknienburg.de.
Länderinformationen zu Kirchen in Mittel-,
Ost- und Südosteuropa
Wer engagiert sich wo? Diese Frage stellen sich Landes­
kirchen oder Hilfswerke, die Partnerschaftskontakte zu
ausländischen Kirchen aufnehmen. Aber auch vor Reisen
von Gruppen oder leitenden Gremien ist es hilfreich zu
wissen, welche Landeskirche, Initiative oder Hilfswerk
wo engagiert ist. Die Informations- und Kontaktstelle
Osteuropa (IKOE) im Kirchenamt der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) hat die vielfältigen kirch­
lichen und diakonischen Kontakte in die mittel-, ost- und
südosteuropäischen Länder zusammengetragen und stellt
diese Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Neben den partnerschaftlichen Kontakten der EKD
in diese Länder werden auch Partnerschaftsbeziehungen
der Landeskirchen und Diakonischen Werke sowie zentral
und regional geförderte Projekte aufgeführt. Als aktualisierte Ausgaben sind jetzt zwölf Länderinformationshefte
neu erschienen: Baltische Staaten, Tschechien, Slowakei,
Rumänien, Ungarn, Mittelasiatische und Kaukasische
Republiken, Belarus/Ukraine/Moldau, Russische Födera­
tion, Südosteuropa I (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herze­
gowina, Serbien, Monte­­negro, Kosovo, Maze­donien),
Südosteuropa II (Albanien/Bul­garien) und Polen.
Die DIN-A-5-Broschüren können kostenlos bezogen
werden über die Informations- und Kontaktstelle Ost­­
europa (IKOE) im Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str.
12, 30419 Hannover, E-Mail: [email protected] oder sind im
Internet abrufbar unter www.ekd.de/international/regio
nalreferate/ikoe.html
Impressum
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Heftes
Der »Loccumer Pelikan« wird herausgegeben vom Religions­
päda­go­gischen Institut Loccum. Er informiert über die Arbeit
des Reli­gions­­päd­ago­gischen Instituts und beteiligt sich an
der religionspä­d­a­­go­gischen Grundsatzdis­k us­sion. Er berichtet über Neuigkeiten im Feld von Schule und Gemeinde
und bietet Unterrichtenden Hilfen für ihre Arbeit. Die vierte
Ausgabe eines Jahres enthält das Jahres­programm des RPI
für das folgende Jahr. Schulen und Kirchenkreise erhalten den
»Loccumer Pelikan« regelmäßig, interessierte Einzelpersonen
erhalten ihn auf Anfrage im RPI Loccum kostenlos. Eine
Spende zur Deckung der Produktions- und Versandkosten ist
erwünscht.
Prof. Dr. Jochen M. Arnold, Michaeliskloster Hildesheim,
Ev. Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik,
Hinter der Michaeliskirche 3-5, 31134 Hildesheim
Bankverbindung: IBAN: DE36 5206 0410 0000 0060 50,
BIC: GENODEF1EK1, Evangelische Bank eG Kassel
Eva Gotthold, Körnerstr. 3, 31303 Burgdorf
Redaktion: Oliver Friedrich (verantwortlich), Dr. Silke
Leonhard, Beate Peters, Kirsten Rabe, Dr. Sönke von Stemm,
Anne Sator (Layout).
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt
die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich
Kürzungen vor. Die Rechte an den Artikeln liegen bei den
jeweiligen Autorinnen und Autoren.
Die Redaktion bemüht sich, alle Rechtsinhaber der verwendeten Bilder und Texte zu ermitteln. Dies ist nicht immer in
allen Fällen möglich. Berechtigte Ansprüche werden natürlich
im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Auflage: 10.500
Druck: Weserdruckerei Oesselmann, Stolzenau/Weser
Religionspädagogisches Institut Loccum,
Uhlhornweg 10-12, 31547 Rehburg-Loccum
Telefon: 05766/81-136, Telefax: 05766/81-184,
E-Mail: [email protected], Internet: www.rpi-loccum.de
Prof. Dr. Peter Bubmann, Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg, Kochstr. 6, 91054 Erlangen
Til von Dombois, Kirchenkreis Laatzen-Springe, Popkantor
Til von Dombois, Corvinusplatz 2, 30982 Pattensen
Dr. Thomas Ebinger, ptz Stuttgart, Grüninger Str. 25,
70599 Stuttgart
Oliver Friedrich, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12,
31547 Rehburg-Loccum
Elisabeth Hohensee, Theologische Fakultät, Platz der
Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen
Franziska Jaap, Kurt-Schwitters-Gymnasium,
Hinter der Alten Burg 3, 30629 Hannover
Claudia Kasprzyck, Musikhaus Kasprzyck, Celler Str. 8,
29386 Hankensbüttel
Axel Klein, Ev.- luth. Landeskirche in Braunschweig,
Konfirmandenarbeit und schulbezogene Jugendarbeit,
Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel
Dr. Silke Leonhard, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12,
31547 Rehburg-Loccum
Prof. Dr. Christhard Lück, Bergische Universität Wuppertal,
Fachbereich A – Evangelische Theologie, Gaußstr. 20,
42097 Wuppertal
Gerd-Peter Münden, Projektbüro „Klasse! Wir singen“,
Hamburger Straße 273b, 38114 Braunschweig,
Dr. Sönke von Stemm, RPI Loccum, Uhlhornweg 10-12,
31547 Rehburg-Loccum
Almut Volkers, Leipziger Straße 4, 37085 Göttingen
Loccumer Pelikan 1/2016
Veranstaltungen von März bis Mai 2016
Treffpunkt Konfirmandenarbeit
Bibel für und mit Konfis
für Diakoninnen und Diakone, Pastorinnen und Pastoren und Ehren­
amtliche in der Konfirmandenarbeit
30. – 31. Mai 2016
Leitung: N.N.
n FACH- UND STUDIENTAGUNGEN
Unterwegs zur guten Schule:
Religionspädagogische Schulbegehungen zu Hamburger
Wegen des Religionsunterrichts:
Nachbereitungstagung
(geschlossener Teilnehmerkreis)
9. April 2016, Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Dr. Silke Leonhard, Prof. Dr. Bernd Schröder
nELEMENTARPÄDAGOGIK
Grundkurs Religionspädagogik
für vorrangig neue pädagogische Fachkräfte ohne religionspädagogische Erfahrungen
Kooperationstagung DWiN und RPI, Anmeldungen über das DWiN
4. – 8. April 2016
Leitung: Frauke Lange, Andrea Lucker
„Unsere Kita“ – erkennbar evangelisch!?
Das Pfarramt und die KiTa-Leitung gemeinsam auf dem Weg
zu einer Profilbildung
für Leitungen von Kindertagesstätten und Pastorinnen und Pastoren
Kooperationstagung RPI/FEA/PK
8. – 11. März 2016
Ort: Lutherheim Springe
Leitung: Frauke Lange, Caroline Warnecke
Anmeldung: [email protected]
Konferenz Didaktische Leitungen
Heterogenität als Herausforderung
für Didaktische Leiterinnen und Leiter an Oberschulen und
Gesamtschulen Niedersachsens
10. – 11. März 2016, Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Dr. Silke Leonhard, Dietmar Peter
Gemeinsam mit der Kita auf dem Weg des Glaubens
für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, die („neu“)
für eine evangelische Kindertageseinrichtung zuständig sind
Kooperationstagung RPI/DWiN und FEA, Anmeldungen über das
DWiN
20. – 22. April 2016
Leitung: Frauke Lange, Ina Seidensticker
Schmerz!
Religionspädagogische Zugänge zum Thema „Passion“
für Studierende der Ev. Theologie an der Universität Hannover
15. – 18. März 2016
Beginn: 14.00 Uhr, Ende: 14.00 Uhr
Ort: Freizeitheim Sattenhausen
Leitung:Dr. Silke Leonhard, Prof. Dr. Hans-Martin
Gutmann, Swantje Luthe
Kolloquium Kindergarten –
„Hallo Luther“ in der Kita
für Leitungen von Kindertagesstätten, pädagogische Leitungen und
Fachberatungen
23. – 25. Mai 2016
Leitung: Frauke Lange, Ina Seidensticker
Fachtagung Schulaufsicht / Schulinspektion
für Dezernentinnen und Dezernenten, Schulinspektorinnen und
Schulinspektoren
2. – 3. Mai 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Dr. Silke Leonhard
Kooperation zwischen Schule und Kirche III
für Studierende der Universität Hannover und alle Interessierten
in Kooperation mit der Universität Hannover
17. – 18. Mai 2016
Leitung: N.N., Prof. Dr. Dr. Harry Noormann
n THEOLOGISCHE FORTBILDUNG
Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen –
Umgang mit biblischen Texten im Religionsunterricht
für Lehrerinnen und Lehrer, die fachfremd Evangelische Religion
unterrichten, sowie Interessierte
25. – 27. April 2016
Leitung: Matthias Hülsmann
Loccumer Pelikan 1/2016
nFÖRDERSCHULE
Maiglöckchenklang und Frühlings-Gefühle-Gesang … –
Religionsunterricht einmal anders musikalisch gestalten
und mit allen Sinnen genießen
für Förderschullehrerinnen und Lehrer, Lehrerinnen und Lehrer,
Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Förder­
schulen oder im Rahmen von Integration oder Inklusion evangelischen Religionsunterricht erteilen oder begleiten
3. – 5. März 2016
Leitung: Birte Hagestedt
Bibelgeschichten und -worte kreativ –
Ideen für den Religionsunterricht an Förderschulen
für Förderschullehrerinnen und -lehrer, Lehrerinnen und Lehrer,
Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Förder­
schulen oder im Rahmen der Inklusion oder Integration evangelischen Religionsunterricht erteilen oder begleiten
23. – 25. Mai 2016
Leitung: Birte Hagestedt
informativ
nTREFFPUNKTE
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nGRUNDSCHULE
Abraham, Isaak und Ismael
für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die in
der Grundschule evangelischen Religionsunterricht erteilen
27. – 29. April 2016
Leitung: Beate Peters
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n HAUPT-, REAL- UND OBERSCHULE
informativ
Weiterbildung
„Evangelischer Religionsunterricht im Sekundarbereich I“
(geschlossener Teilnehmerkreis)
in Kooperation mit dem NLQ
Kurs IX: Judentum und Islam
2. – 5. März 2016
Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska
Kurs X: Kirche in Geschichte und Gegenwart
14. – 16. April 2016
Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska
Kurs XI: Religionspädagogik
19. – 21. Mai 2016
Leitung: Dietmar Peter, Dr. Joachim Jeska
Religionsunterricht im Dialog – Kirche und Moschee
für Lehrerinnen und Lehrer, die evangelischen, katholischen oder
islamischen Religionsunterricht erteilen.
Weitere Informationen unter www.rpi-loccum.de/veranstaltungen/
haupt-real-und-oberschule/2016-03-09_sek1
9. März 2016
Leitung: Team; Dietmar Peter für das RPI,
Ort: Jama‘at-un Nur e.V. Hannover, Dieckbornstr. 11,
30449 Hannover
Beginn: 10:00 Uhr
Handyvideos im Religionsunterricht
für Lehrerinnen und Lehrer, die in der Haupt-, Real- oder Oberschule
evangelischen Religionsunterricht erteilen.
20. – 22. April 2016
Leitung: Dietmar Peter
Konferenz der Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter
Religionssensible Schulkultur
für Fachseminarleiterinnen und Fachseminarleiter für das Fach
Evangelische Religion
11. – 13. Mai 2016
Leitung: Dietmar Peter
Konferenz
der Haupt-, Real- und Oberschulrektorinnen und -rektoren
Flüchtlinge – eine besondere Herausforderung für Schulen
für Rektorinnen und Rektoren an niedersächsischen Haupt-, Realund Oberschulen
26. – 27. Mai 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Dietmar Peter
n GYMNASIUM UND GESAMTSCHULEN
Abi-Werkstatt Zentralabitur 2017/2018
für Lehrerinnen und Lehrer sowie Pastorinnen und Pastoren, die an
Gymnasien und Gesamtschulen evangelischen Religionsunterricht
erteilen
21. – 23. März 2016
Leitung: Matthias Hülsmann
Landeswettbewerb Evangelische Religion –
Gutachtertagung
(geschlossener Teilnehmerkreis)
5. – 6. April 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Kirsten Rabe
Neu in der Schule – Gymnasium und Gesamtschule
Modul III (Methodik) und
Modul IV (Leistungsmessung und -bewertung)
für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone sowie
interessierte Lehrerinnen und Lehrer, die an Gymnasien und
Gesamtschulen evangelischen Religionsunterricht erteilen
27. – 29. April 2016
Leitung: Kirsten Rabe
Landeswettbewerb Evangelische Religion –
Jury-Treffen
(geschlossener Teilnehmerkreis)
12. Mai 2016
Beginn: 12.30 Uhr
Ende: 19.00 Uhr
Leitung: Kirsten Rabe
n BERUFSBILDENDE SCHULEN
Konferenz der Fachleiter/-innen und Fachberater/-innen für
Berufsbildende Schulen
Profiliert evangelisch sein – konfessionell-kooperativ denken
für Fachleiterinnen und Fachleiter sowie Fachberaterinnen und
Fachberater für evangelischen Religionsunterricht an Berufsbil­
denden Schulen (geschlossener Teilnehmerkreis)
10. – 11. Mai 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Ende: 16.00 Uhr
Leitung: Bettina Wittmann-Stasch, Heiko Lamprecht
Filme für den BRU
für Lehrerinnen und Lehrer, Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen
und Diakone, die an Berufsbildenden Schulen Religionsunterricht
erteilen
18. – 20. Mai 2016
Leitung: Bettina Wittmann-Stasch, Dr. Thomas Kroll
nBIBLIODRAMA
Der Körper versteht schon, während der Geist noch kramt
(frei nach S. Essen) –
Körperarbeit im bibliodramatischen Prozess
für Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen, Pastorinnen und
Pastoren, Diakoninnen und Diakone
20. – 22. April 2016
Leitung: Lissy Weidner
nINKLUSION
Über Tische und Bänke …?
Handlungsmöglichkeiten in einem inklusiven Unterricht –
Classroom Management, Co-Teaching & Co – Grundschule
Teil 3
für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die
im Rahmen von Inklusion oder Integration evangelischen Reli­
gionsunterricht in der Grundschule erteilen, sowie für Förder­
schul­lehrerinnen und -lehrer, Pädagogische Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die in der Inklusion oder Integration tätig sind oder
sein werden
11. – 13. Mai 2016
Leitung: Birte Hagestedt
Loccumer Pelikan 1/2016
n AUSBILDUNG DER VIKARINNEN UND VIKARE
Loccumer Werkstatt Religionsunterricht:
Religion in Klasse 2
für Lehrerinnen und Lehrer, Katechetinnen und Katecheten, die in
der Grundschule evangelischen Religionsunterricht erteilen
21. – 22. April 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Leitung: Beate Peters
Die religionspädagogische Ausbildung der Vikarinnen und Vikare
umfasst drei Lehrgänge und ein Schulpraktikum sowie ein gemeindepädagogisches Projekt. Schule und Gemeinde werden in den
Blick genommen; didaktische und methodische Grundlagen für die
Arbeit an unterschiedlichen Lernorten werden erarbeitet und an den
Ausbildungsorten Schule und Gemeinde in religionspädagogisches
Handeln umgesetzt.
Vorbereitung der Lernwerkstatt-Ausstellungen
Interessierte sind herzlich eingeladen, nach Rücksprache neu in der
Gruppe mitzuarbeiten.
11. – 12. März 2016
Ende: 16.00 Uhr
Leitung: Beate Peters
Vikarskurs 5: Mentorentag
16. – 17. März 2016
Leitung: Oliver Friedrich
Vikarskurs 5: Religionspädagogik
14. – 24. März 2016
Leitung: Oliver Friedrich
nSCHULSEELSORGE
nKONFIRMANDENARBEIT
Langzeitfortbildung Schulseelsorge
Kursreihe XII
für Lehrerinnen und Lehrer, Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen
und Diakone, die evangelischen Religionsunterricht erteilen (geschlossener Teilnehmerkreis)
7. – 9. April 2016
Leitung: Astrid Lier, Hartmut Talke
Fachtag Schulseelsorge
Traumasensibilität und Traumapädagogik
für Absolventinnen und Absolventen der Weiterbildung Schulseel­
sorge
3. – 4. März 2016
Beginn: 10.00 Uhr
Leitung:Bettina Wittmann-Stasch, Astrid Lier,
Almut Künkel, Hartmut Talke
Konfis, Teams und Eltern brauchen mehr als Unterricht!
Seelsorge, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen in der
pädagogischen Arbeit
für Diakoninnen und Diakone, Pastorinnen und Pastoren und Ehren­
amtliche in der Konfirmandenarbeit, Beraterinnen und Berater
in Kooperation mit dem Zentrum für Seelsorge der Ev.-luth. Landes­
kirche Hannovers
7. – 9. März 2016
Leitung: Dr. Sönke v. Stemm
Konfirmandenarbeit – best of
Einheiten, Ideen und Materialien austauschen und erarbeiten
für Pastorinnen und Pastoren, Diakoninnen und Diakone, FEApflichtige/FEA-berechtigte, Beraterinnen und Berater
in Kooperation mit Fortbildung in den ersten Amtsjahren (FEA)
2. – 4. Mai 2016
Leitung: N.N., Claudia Prössel
nVOKATIONSTAGUNGEN
nKIRCHENPÄDAGOGIK
Vokationstagung
für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger, Lehrerinnen und
Lehrer mit der Fakultas Evangelische Religion
Zum Anmeldeverfahren siehe www.kirche-schule.de
11. – 13. Mai 2016
Beginn: 11.00 Uhr
Leitung: Dr. Silke Leonhard, Beate Peters
Klausurtagung für Kirchenpädagogikbeauftragte
(geschlossener Teilnehmerkreis)
27. – 28. Mai 2016
Leitung: Matthias Hülsmann
Hinweise zum Veranstaltungsprogramm des RPI
Ausführliche Hinweise zu den Tagungen finden Sie im Jahresprogramm 2016 (Beilage zum Pelikan Heft 4/2015) oder im Internet
unter www.rpi-loccum.de. Anmeldungen dort online oder mit der Postkarte im Jahresprogramm.
Die Fortbildungsangebote an Religionslehrerinnen und -lehrer gelten als dienstliche Fortbildung. Die Teilnahme ist in der Regel
ohne Inanspruchnahme von Sonderurlaub möglich. Die Angebote gelten jeweils für die genannten Zielgruppen. Anmeldungen sind
auch ohne besondere Einladung erwünscht. Sie gelten als verbindlich und grundsätzlich für die gesamte Dauer der Veranstaltung. Im
Ausnahmefall bitten wir aus Planungs- und Kosten­gründen um vorherige Rücksprache mit der jeweiligen Tagungsleitung. Es erfolgt
eine Anmeldebestätigung per eMail.
Die Eigenbeteiligung an RPI-Tagungen beträgt 15,00 Euro pro Tag. Ruheständler zahlen den vollen Kurs­beitrag. Wir bitten um Verständnis, dass bei zu hohen Anmeldezahlen diejenigen Vorrang haben, die sich aktiv im Dienst befinden. Von den
Teilnehmerinnen und Teilnehmern an kirchenpädagogischen Tagungen werden 50 Prozent der Kosten als Eigenbeteiligung erhoben.
Wir weisen auf die Möglichkeit hin, eine Erstattung der restlichen Kosten beim Anstellungsträger bzw. über die Kirchengemeinde
zu beantragen. Lehrerinnen und Lehrer aus anderen Bundesländern und Teilnehmende, die bei einem anderen Anstellungsträger
beschäftigt sind oder die nicht im Bereich der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen arbeiten, zahlen den vollen
Tagessatz in Höhe von 58,00 Euro bzw. bei nur einer Übernachtung in Höhe von 60,50 Euro.
Möchten Sie in Wunstorf vom Bahnhof abgeholt werden (Abfahrt ca. 14.30 Uhr: 4,00 Euro), melden Sie dies bitte spätestens
eine Woche vor Beginn des Seminars unter der in der Einladung genannten Telefonnummer an. Weitere Einzelheiten werden
jeweils bei der Einladung mitgeteilt oder sind im Büro des RPI (Frau Becker 05766/81-136) zu erfragen.
Loccumer Pelikan 1/2016
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informativ
nLERNWERKSTATT
Postvertriebsstück
H 7407
Religionspädagogisches Institut Loccum, Uhlhornweg 10, 31547 Rehburg-Loccum
Deutsche Post AG
Entgelt bezahlt
Aktualisierte Auflage
Loccumer Pelikan auf CD-ROM
incl. aller erschienenen Ausgaben ab der Ausgabe 1/1993
ISBN 3-936420-16-5
4,90 Euro
Die Artikel sind mit Hilfe einer Suchfunktion recherchierbar und
lassen sich ausdrucken.
Bestellungen an:
[email protected]
Tel.: 05766 81-165
Der Pelikan im Internet:
www.rpi-loccum.de/dms/rpi_loccum/Materialpool/Pelikan/Pelikanhefte/pelikan1_16.pdf