Panorama Der Landbote Mittwoch, 12. August 2015 Ramon hat mit dem Tod gerungen und das Leben gefunden 13 Mietratgeber Thomas herren, lic. iur. Rechtsberatung Mieterverband Zürich Einzug in die neue Wohnung F amilie S. ist am 4. August in ihre neue Mietwohnung eingezogen. Bei der Über gabe der Wohnung gab sich der Vermieter unkompliziert: Er verzichte darauf, ein Protokoll zu machen, dieser Schreibkram sei nicht so sein Ding, sagte der Vermieter wörtlich. Dies erschien der Familie S. sympa thisch. Im Nachhinein macht sich Herr S. aber Gedanken: In der Wohnung gibt es zahlreiche Abnützungen. Die Kratzer im Parkett und in den Türrahmen sowie in der Badewanne stören ihn zwar nicht. Denn er zieht mit zwei kleinen Kindern ein, und da kommt schnell mal ein neuer Kratzer dazu. Er möchte beim Auszug aber auch nicht für Ab nützungen des Vormieters gera destehen müssen. Zudem hat der Vormieter auf eigene Faust einen (sehr praktischen) Einbau schrank in der Wohnung mon tiert. Falls dieser bei Auszug der Familie S. ausgebaut werden müsste, könnte es teuer werden. Nach langem bangen um Ramons Leben kann die Familie Vanoli endlich etwas aufatmen. Die Eltern Carlo und Iris mit ihren beiden Söhnen Ramon (links) und Nicola. Seltene KranKheit Der Erstklässler Ramon kam mit einer tödlichen Krankheit zur Welt. Nach einem zähen Überlebenskampf führt der Junge heute ein fast normales Leben. Er leidet an einem angeborenen Immundefekt. Der siebenjährige Ramon hüpft mit seinem grossen Bruder fröh lich auf dem Trampolin herum. Die beiden Knaben schlagen Salti und sind ganz ausgelassen. Noch vor einem Jahr hätten sich das Ramons Eltern, die zuvor lange um sein Leben gerungen hatten, kaum vorstellen können. Ramon Vanoli aus Thalwil lei det an einer angeborenen Störung des Immunsystems, die zur Folge hat, dass die Körperabwehr nicht komplett aufgebaut wird. Da durch können bereits harmlose Keime wie manche Erkältungs viren tödlich sein. Ramon leidet an einem schweren kombinierten Immundefekt (SCID), einer der schwersten von bisher über 250 bekannten angeborenen Erkran kungen des Immunsystems. In der Schweiz gibt es schätzungs weise nur 800 Menschen, die da ran leiden. Man spricht deshalb von einer seltenen Krankheit. Das Glück jäh zerschlagen Begonnen hatte alles direkt nach der Geburt von Ramon im No vember 2007. «Wir haben ge spürt, dass etwas nicht stimmt», erinnern sich Iris und Carlo Va noli. Bereits zwei Monate später hatte Ramon eine chronische In fektion der Atemwege, die ihn so schwächte, dass er seine Schop pen nicht mehr richtig trinken konnte. Die üblichen Medika mente schlugen jedoch nicht an. Es sollte ein halbes Jahr dauern, bis die Krankheit einen Namen hatte und klar war, dass Ramon, wenn er überleben will, rasch eine Knochenmarktransplantation benötigte. Da sein Immunsystem nicht funktionierte, musste Ra mon, an Schläuchen und Kabeln angehängt, unter strengen Hygie nevorschriften in einer Isola tionskabine des Kinderspitals Zü rich liegen. Zehn Monate lang. Denn sein Immunsystem ver mochte sich damals nicht einmal gegen geläufige Kinderkrankhei ten oder auch nur gegen eine Er kältung zu wehren. Es war eine schlimme Zeit für die Familie. «Wir wussten nie, ob Ramon am nächsten Tag noch lebt», sagt der Vater. Das ganze Familienleben wurde auf den Kopf gestellt, worunter besonders der grosse Bruder von Ramon litt. In dieser Zeit verbrachten die El tern täglich zehn bis zwölf Stun den am Bett ihres jüngeren Soh nes und litten sämtliche Höhen und Tiefen des Krankheitsver laufs mit. Den ständigen Einsatz für Ramon bezahlte der Vater schliesslich mit dem Verlust sei Das gründliche händewaschen ist für Ramon eine Selbstverständlichkeit. ner Arbeitsstelle als Liegenschaf tenverwalter und mit einer länger andauernden Erwerbslosigkeit, was die Familie finanziell arg in Bedrängnis brachte. Zitterpartie Spende Die Spendersuche für die Kno chenmark oder Stammzellen transplantation ging derweil schleppend voran. Knapp ein Jahr nach der Geburt von Ramon «Wir wussten nie, ob Ramon am nächsten Tag noch lebt.» Carlo Vanoli, Vater konnte die lebensrettende Trans plantation durchgeführt werden. Es bildeten sich zunehmend mehr Abwehrzellen, das Immunsystem stabilisierte sich, sodass Ramon bald das Spital verlassen durfte. Allerdings war noch nicht alles ausgestanden. Auch zu Hause gal ten weiterhin strenge Hygiene regeln: Dazu gehörte es, die Hän de regelmässig zu waschen und zu desinfizieren wie auch eine spe zielle Ernährung. Zudem mussten alle Teppiche entfernt werden. Und es durfte niemand anders als die Familie selbst die Wohnung betreten, was vor allem dem Bru der zu schaffen machte, der ein Jahr lang keine Freunde mit nach Hause bringen durfte. Schliess lich hatte Ramon alle drei Wo chen für einen Besuch im Kinder spital anzutreten, wo man ihm während eines Tages zusätzlich Antikörper, die noch nicht gebil det waren, mit einer Infusion ver abreichte. Ramon hingegen ging ins Kinderspital, um sich «Poli zisten zu tanken», wie es die El tern ausdrücken. Alltag zehrt an den Kräften Jetzt steht Ramon ungeduldig neben seinem Papa und wartet darauf, mit seinem elfjährigen Bruder mit dem Böötli auf den See zu fahren, zumal herrliches Sommerwetter lockt. «Inzwi schen ist wieder so etwas wie All tag eingekehrt», stellt Carlo Va noli fest. Wenn Ramon nicht gera de ans Wasser geht, tollt er mit dem jungen Entlebucher Sennen hund Viola herum, oder er macht mit Kollegen ab. Trotzdem kostet der Alltag die Familie noch immer viel Energie. Zwar muss Ramon nicht mehr alle drei Wochen ins Kinderspital, um «Polizisten zu tanken». Inzwi schen kann die Mutter, die ausge bildete Pflegefachfrau, die Anti körper ihrem Sohn wöchentlich selbst unter die Haut spritzen. Die strengen Hygienemassnah men sind jedoch geblieben, und mit dem Essen tut sich Ramon ebenfalls nach wie vor schwer. Auswärts essen kommt nicht in frage. Vor allem aber herrsche in der Gesellschaft nach wie vor Un verständnis gegenüber seltenen Krankheiten, sagt der Vater. So wollte er zum Beispiel von den El tern in Ramons Klasse in Erfah rung bringen, wer gegen was ge impft ist, um Ansteckungspoten ziale ausfindig zu machen. Dabei stiess er auf wenig Verständnis. Einzelne Eltern interessierte mehr, ob Ramons Krankheit an steckend ist. Fehlende Lobby Eltern wie die Vanolis müssen schmerzlich feststellen, dass es wenig Lobby für Menschen mit seltenen Krankheiten gibt und sich wenige Institutionen um die Anliegen dieser Menschen küm mern, auch finanziell. Neben der Allianz seltener Krankheiten Schweiz Proraris ist dies zum Bei spiel die Schweizerische Vereini gung für angeborene Immun defekte (SVAI). Die hohen Behandlungskosten von angeborenen Immundefek ten werden zwar grundsätzlich von Invalidenversicherung und Krankenasse übernommen. Ab dem Alter von 20 ist dann jedoch nur noch die Krankenkasse zu ständig. Laut Sergio Vassalli, Präsident der SVAI, hat dies auch damit zu tun, dass Patienten in der Schweiz Bilder Stefan Müller weniger aktiv sind als in anderen Ländern. Dass sich auf der politi schen Bühne derzeit einiges tut – Vorstösse im Nationalrat etwa –, stimmt Vassalli hingegen zuver sichtlich. Ramons Eltern wollen ange sichts des vor Energie strotzenden Sohnes nicht jammern. Auch wenn die Krankheitsprognose ungewiss ist: «Jeden Tag nehmen, wie er ist, und geniessen», so die Maxime der Familie. Stefan Müller bEhaNDLuNg unter dem Sammelbegriff angeborener (primärer) Immundefekt sind über 250 unterschiedliche Erkrankungen bekannt, eine davon ist SCID, der schwere kombinierte Immundefekt, an dem Ramon leidet. «Typisch für SCID ist, dass das Immunsystem, das für die Abwehr von Krankheitserregern zuständig ist, keine T-Zellen sowie keine Antikörper bildet», sagt Janine Reichenbach, Immunologin am Kinderspital Zürich. Eine normale Infektion, die bei einem gesunden Menschen harmlos ist, kann bei Menschen mit Immundefekt zu chronischen Organschäden oder zum Tod führen. häufige Infektionen im Säuglings- und Kleinkindesalter können ein Hinweis auf einen angeborenen Immundefekt sein. Laut Reichenbach werden diese Krankheiten erfolgreich mit einer Transplantation von blutbildenden Stammzellen oder einer Gentherapie behandelt. Mit einer generellen Untersuchung aller Neugeborenen auf SCID, was in Planung sei, erhofft sich die Immunologin, diese behandelbaren Erkrankungen rascher und somit wirksamer heilen zu können, ohne dass es zu schweren Organschäden durch Infektionen kommt. mü Mehr Informationen unter: www.svai.ch www.proraris.ch Verunsichert erkundigt sich Herr S. beim örtlichen Mieter verband: War es ein Fehler, dass kein Protokoll aufgenommen worden ist? Die Rechtsberaterin kann Herrn S. beruhigen: Wenn beim Einzug kein Protokoll er stellt wird, so ist dies im Zweifel zum Vorteil der einziehenden Mieter. Ohne Protokoll kann der Vermieter bei einem späteren Auszug nicht nachweisen, in wel chem Zustand die Wohnung übernommen wurde. Er kann nicht beweisen, dass übermässi ge Abnützung vom aktuellen Mieter verursacht wurden. Falls aber bei Einzug Mängel vorhan den sind, welche Herr S. beho ben haben möchte, ist anzura ten, diese umgehend nach Ein zug zu melden. Nicht offensicht liche, versteckte Mängel sollten in kurzer Frist nach Entdeckung gemeldet werden, falls eine Be hebung gewünscht wird. Hin sichtlich des Einbauschrankes vom Vormieter rät die Rechts beraterin dennoch zur Vorsicht: Um Missverständnisse zu ver meiden, sollte vorsichtshalber schriftlich gegenüber dem Ver mieter festgehalten werden, dass dieser Einbauschrank bereits bei Einzug vorhanden gewesen ist. Denn falls die Wohnung ohne schriftliche Bewilligung des Ver mieters durch die Mieter verän dert wird, schulden die Mieter im Zweifel bei Auszug den Rück bau. Bei grossen Änderungen ohne Zustimmung droht gar die Kündigung der Wohnung. Falls bei Einzug ein Protokoll er stellt wird, so ist unbedingt dar auf zu achten, dass die Feststel lungen darin vollständig und korrekt sind. In diesem Fall soll te man im Nachhinein entdeckte Mängel unbedingt in einem eingeschriebenen Brief melden. Weitere Informationen: Thomas Herren, lic. iur., Mitarbeiter Rechtsberatung Mieterinnen- und Mieterverband Zürich. Adressen: Tellstrasse 31, 8004 Zürich, oder Merkurstrasse 25, 8400 Winterthur, Telefon 044 296 90 20, Fax 044 296 90 26, E-Mail: info@mvzh. ch. www.mieterverband.ch/zh
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