15 / 7583 - Landtag Baden Württemberg

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7583
15. Wahlperiode
15. 10. 2015
Antrag
der Abg. Dr. Bernhard Lasotta u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Staatsministeriums
Fluchtursachen wirksam bekämpfen –
Traumatisierten vor Ort helfen
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welche Kenntnisse sie über die Finanzierung und personelle Ausstattung der
Stiftung wings of hope Deutschland, insbesondere deren Auslandsaktivitäten im
Irak, hat;
2. ob und ggf. seit wann ihr bekannt ist, dass die Stiftung wings of hope Deutschland in Kooperation mit dem Kirkuk Center for Torture Victims ein Traumahilfezentrum in Dohuk betreibt;
3. ob und ggf. seit wann ihr bekannt ist, dass im Jahr 2012 ein Weiterbildungsprogramm des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen (ZPTN) für Ärzte, Psychologen und Pädagogen in Traumatherapie,
Traumaberatung und Traumapädagogik angelaufen ist;
4. ob bzw. inwieweit sich die Patienten des Traumahilfezentrums mit den vom im
Dezember 2014 beschlossenen Sonderkontingent des Landes (hiernach „Sonderkontingent“ genannt) erfassten Patienten hinsichtlich der Art und des Grads
der Traumatisierung sowie deren Ursache überschneidet;
5. welche Erkenntnisse sie darüber hat, wie viele Patientinnen und Patienten das
Traumahilfezentrum Dohuk in den Jahren 2014 und 2015 behandelt hat;
6. inwieweit die Erfahrung und vorhandene Logistik des Traumahilfezentrums
Dohuk in die Umsetzung des von ihr veranlassten „Sonderkontingents“ für
traumatisierte Frauen und Kinder vor Ort einfließt;
1
Eingegangen: 15. 10. 2015 / Ausgegeben: 13. 11. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7583
7. ob sie beabsichtigt, die Arbeit der Stiftung wings of hope Deutschland durch
finanzielle, administrative oder operative Unterstützung, insbesondere den
Aufbau weiterer Kooperationen mit baden-württembergischen Traumazentren
auszubauen;
8. welche abstrakten Erfahrungen sie bei der Umsetzung des „Sonderkontingents“, insbesondere hinsichtlich der Zahl der nach Baden-Württemberg verbrachten Personen, deren Gesundheitszustand und Behandlung, deren Genesungsfortschritt sowie deren Integration in das Alltags- und gegebenenfalls
auch Berufsleben, gemacht hat;
9. welche Bedeutung sie der Arbeit der Stiftung wings of hope Deutschland
im Rahmen der Linderung menschlichen Leids, der Schaffung existenzieller Grundlagen für die Befriedung und den Wiederaufbau der von Krieg und
Vertreibung betroffenen Gesellschaft im Nordirak sowie der Verstetigung und
Ertüchtigung von Strukturen zur Traumabehandlung im Nordirak und der Bekämpfung von Fluchtursachen beimisst;
10. welche weiteren Projekte vergleichbarer Ausrichtung ihr bekannt sind und von
ihr unterstützt werden.
15. 10. 2015
Dr. Lasotta, Gurr-Hirsch,
Dr. Engeser, Teufel, Paal CDU
Begründung
In Kooperation mit dem Kirkuk Center for Torture Victims wurde am 15. November 2011 ein neues Traumahilfezentrum in Dohuk eröffnet. Traumatisierte Kinder,
Jugendliche und Erwachsene finden hier einen sicheren Ort und erhalten therapeutische Unterstützung. Sie treffen auf Fachleute, die ihnen helfen zu verstehen, woher ihre Schwierigkeiten und Symptome kommen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen dabei das Fördern der Stärken und die Mobilisierung eigener Ressourcen. Erst
wenn sie sich in Sicherheit fühlen, können die Menschen beginnen, die schlimmen
Erlebnisse in ihr Leben zu integrieren. So schöpfen sie neue Hoffnung auf ein
besseres Leben.
Mit Beginn im Mai 2012 wird die Stiftung wings of hope Deutschland gemeinsam
mit dem Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen
(ZPTN) eine Gruppe von ca. 30 irakischen Kolleginnen und Kollegen (Ärzte, Psychologen, Pädagogen) in Traumatherapie, Traumaberatung und Traumapädagogik
weiterbilden (Quelle: http://www.wings-of-hope.de/irak/ Download am 9. Oktober
2015).
Die evangelische Landeskirche in Württemberg hat in ihrem Bericht in der Sitzung
der 15. Landessynode am 2. Juli 2015 die Situation der Flüchtlinge beschrieben
und berichtet, dass die Stiftung wings of hope Deutschland für ihre Arbeit im Irak
eine Förderung von 20.000 Euro erhält.
Durch den Antrag soll am Beispiel der Stiftung wings of hope Deutschland geklärt
werden, welche Strukturen zur Traumabehandlung vor Ort im Nordirak vorhanden
sind und welche Mittel im Land zur Verfügung stehen, um deren Arbeit zu unterstützen und damit auch einen konkreten Beitrag zur Linderung menschlichen Leids
und zur Bekämpfung von Fluchtursachen vor Ort zu leisten.
Gleichzeitig soll geklärt werden, welche Erfahrungen im Rahmen der Umsetzung
der Aufnahme von bis zu 1.000 Frauen aus dem Nordirak und Syrien im Rahmen des 2014 beschlossenen Sonderkontingents gemacht wurden. Es soll geklärt
werden, ob diese in die Arbeit von Traumazentren in der Krisenregion einfließen
könnte.
2
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7583
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 6. November 2015 Nr. IV nimmt das Staatsministerium zu dem
Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welche Kenntnisse sie über die Finanzierung und personelle Ausstattung der
Stiftung wings of hope Deutschland, insbesondere deren Auslandsaktivitäten im
Irak, hat;
Zu 1.:
Der Landesregierung ist die Stiftung und ihre Arbeit bekannt.
2. ob und ggf. seit wann ihr bekannt ist, dass die Stiftung wings of hope Deutschland in Kooperation mit dem Kirkuk Center for Torture Victims ein Traumahilfezentrum in Dohuk betreibt;
Zu 2.:
Schon bei den Vorbereitungen für das Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak verschaffte sich die Landesregierung einen Überblick über die psychologisch-medizinische Situation vor Ort und
nahm dabei auch von den genannten Institutionen Kenntnis.
3. ob und ggf. seit wann ihr bekannt ist, dass im Jahr 2012 ein Weiterbildungsprogramm des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen (ZPTN) für Ärzte, Psychologen und Pädagogen in Traumatherapie,
Traumaberatung und Traumapädagogik angelaufen ist;
Zu 3.:
Auch dieser Umstand ist der Landesregierung bekannt. Wie die Frage richtig feststellt, handelt es sich hierbei um ein Weiterbildungsprogramm für bereits ausgebildete Ärzte, Psychologen und Pädagogen.
Auch das Land Niedersachsen hat sich darüber hinaus bereit erklärt, in Partnerschaft mit Baden-Württemberg besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder
aus dem Nordirak aufzunehmen. Die Projektgruppe Sonderkontingent des Landes
Baden-Württemberg konnte entsprechend bereits 64 Personen in das Land bringen.
4. ob bzw. inwieweit sich die Patienten des Traumahilfezentrums mit den vom im
Dezember 2014 beschlossenen Sonderkontingent des Landes (hiernach „Sonderkontingent“ genannt) erfassten Patienten hinsichtlich der Art und des Grads
der Traumatisierung sowie deren Ursache überschneidet;
Zu 4.:
Bislang konnte die Landesregierung keine Überschneidungen feststellen, zumal
das genannte Traumahilfezentrum ursprünglich für die Behandlung von Opfern
des Regimes von Saddam Hussein konzipiert war.
3
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7583
5. welche Erkenntnisse sie darüber hat, wie viele Patientinnen und Patienten das
Traumahilfezentrum Dohuk in den Jahren 2014 und 2015 behandelt hat;
6. inwieweit die Erfahrung und vorhandene Logistik des Traumahilfezentrums
Dohuk in die Umsetzung des von ihr veranlassten „Sonderkontingents“ für
traumatisierte Frauen und Kinder vor Ort einfließt;
Zu 5. und 6.:
Die Landesregierung hat sich vor Ort einen Überblick über bestehende Strukturen
verschafft. Dazu sind neben dem erwähnten Traumazentrum auch weitere Institutionen wie die Jiyan Foundation, IOM, Wadi und weitere zu nennen. Unstrittig ist
aber, dass bei 5,5 Millionen Einwohnern zuzüglich etwa 2 Millionen Flüchtlinge
alle regional bestehenden Strukturen überfordert sind. Um die notwendigen Behandlungen anbieten zu können, fehlt es vor allem an ausgebildetem Fachpersonal.
Hinzu kommt, dass gerade auch Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten – wie zum Beispiel Yeziden und Christen – bisweilen Vorbehalte gegen die
Behandlung durch Ärzte und Therapeuten mit muslimischem Hintergrund vorbringen. Deswegen ist eine Vielzahl verschiedener Hilfsansätze unverzichtbar.
7. ob sie beabsichtigt, die Arbeit der Stiftung wings of hope Deutschland durch
finanzielle, administrative oder operative Unterstützung, insbesondere den Aufbau weiterer Kooperationen mit baden-württembergischen Traumazentren auszubauen;
Zu 7.:
Die Landesregierung befindet sich im Dialog mit der kurdisch-irakischen Regionalregierung, um weitere Hilfen für die Menschen vor Ort zu prüfen. Über Zuwendungen zu einzelnen Partnern ist dabei noch nicht entschieden.
8. welche abstrakten Erfahrungen sie bei der Umsetzung des „Sonderkontingents“,
insbesondere hinsichtlich der Zahl der nach Baden-Württemberg verbrachten
Personen, deren Gesundheitszustand und Behandlung, deren Genesungsfortschritt sowie deren Integration in das Alltags- und gegebenenfalls auch Berufsleben, gemacht hat;
Zu 8.:
Im Gegensatz zu manchen Befürchtungen hat sich der Gesundheitszustand der
meisten Frauen und Kinder durch den Ortswechsel zunächst deutlich verbessert.
Die Erfahrungen von Sicherheit und die Reduktion von traumaverbundenen Reizen („Triggern“) wirkten sich stabilisierend auf die psychische Situation der Betroffenen aus. Die Nachfrage nach stationären Behandlungen und Einzeltherapien
ist durch die sozialpädagogische Aufnahme bislang deutlich unter den Erwartungen geblieben, stattdessen werden positive Erfahrungen mit kultursensiblen Gruppentherapien erzielt.
Insbesondere ist zu erwähnen, dass die Teilnahme der Kinder am Schulunterricht
und die Bereitstellung einer geordneten Alltagsstruktur sich sehr positiv ausgewirkt hat. Viele der Kinder sind außerordentlich bildungsorientiert und sprechen
bereits Deutsch. Die ersten Kinder sind bereits in reguläre Schulklassen integriert
worden, darunter auch in Gymnasialklassen. Von diesem Lebens- und Bildungswillen der Kinder profitieren dann wiederum auch die Mütter.
Über Netzwerktreffen und eine Tagung speziell für Sozialarbeiterinnen und Dolmetscherinnen in der Evangelischen Akademie Bad Boll organisiert die Projektgruppe Sonderkontingent zudem einen fortlaufenden Erfahrungs- und Kompetenzaustausch zwischen den Beteiligten aus Land, Kommunen und Zivilgesellschaft.
4
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7583
9. welche Bedeutung sie der Arbeit der Stiftung wings of hope Deutschland im Rahmen der Linderung menschlichen Leids, der Schaffung existenzieller Grundlagen für die Befriedung und den Wiederaufbau der von Krieg und Vertreibung
betroffenen Gesellschaft im Nordirak sowie der Verstetigung und Ertüchtigung
von Strukturen zur Traumabehandlung im Nordirak und der Bekämpfung von
Fluchtursachen beimisst;
Zu 9.:
Die Landesregierung begrüßt jede Form des Engagements, die den Menschen im
Nordirak zugutekommt. Sie hält es insbesondere für lobenswert, wenn sich zivile
und staatliche Organisationen aus Deutschland gemeinsam der Vielfalt der Aufgaben stellen.
10. welche weiteren Projekte vergleichbarer Ausrichtung ihr bekannt sind und von
ihr unterstützt werden.
Zu 10.:
Auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 wird verwiesen.
Murawski
Staatssekretär
5