Funktionen und Folgen personeller Rotation im Auswärtigen Amt

Funktionen und Folgen personeller Rotation im
deutschen Auswärtigen Amt
Eine organisationssoziologische Fallanalyse
André Armbruster
[email protected]
Stand: 2013
I Einleitung
Als Ausgangspunkt dieser Arbeit dient eine Beobachtung: Jede Diplomatin1 wird nach drei bis
vier Jahren von einer Stelle auf eine andere Stelle, die in einem anderen Land liegt und in den
meisten Fällen eine andere Tätigkeit umfasst, versetzt. Allerdings liegt augenscheinlich gerade
der berufliche Erfolg der einzelnen Diplomatin durch die Fixierung auf face-to-faceInteraktionen in persönlichen Kontakten und Netzwerken2. „Enge Bekanntschaft mit einem
Diplomaten erleichtert die Einschätzung seiner Gedanken und Motive. Grob gesagt: Freundschaft ist eine Quelle der diplomatischen Information“ (Iklé 1965: 173). Durch die Versetzung
ist es jedoch als wahrscheinlich anzunehmen, dass diese persönlichen Beziehungen und
Freundschaften, die die Person aufgebaut hat und somit auch an sie gebunden sind, nicht ohne Verlust und Schwierigkeiten auf den Stellennachfolger übertragen werden können. Die
Gegenstand dieser Arbeit sind alle Personen, die im höheren Dienst des deutschen Auswärtigen Amtes beschäftigt sind. Personen im mittleren und gehobenen Dienst rotieren zwar auch, aber es gilt für sie nicht dieselbe
Problematik wie für Mitarbeiterinnen im höheren Dienst.
1a
1b In
dieser Arbeit werden wechselnd und unsystematisch männliche und weibliche Formen benutzt.
Unter einem Netzwerk wird ganz allgemein die persönliche Bekanntschaft eines Diplomaten mit anderen Personen verstanden, ganz gleich, welche Rollen diese Personen einnehmen. Dieser eher generelle Netzwerkbegriff
reicht für diese Arbeit vollkommen aus. Für einen Überblick über Netzwerkdefinitionen und -theorien siehe
Holzer 2006, für eine systemtheoretische Einordnung des persönlichen Netzwerks siehe Fuhse 2005.
2
Working Paper – André Armbruster – [email protected]
Beobachtung, die erklärungsbedürftig erscheint, liegt nun also darin, dass ein Diplomat auf
eine andere Stelle versetzt wird, was bedeutet, dass seine Kontakte von der vorherigen Stelle
ihm nichts mehr nützen und er für eine erfolgreiche Arbeit neue Kontakte und Netzwerke
aufbauen muss. Dass der kongolesische Innenminister ein guter Bekannter ist, ist schließlich
in der deutschen Botschaft in Chile eher von geringem Nutzen. Jede Versetzung, im Auswärtigen Amt Rotation genannt, da dies in regelmäßigen Abständen stattfindet, führt somit zu
einer Art Neuanfang in der Stelle 3, obwohl doch die Diplomatin in derselben Organisation
bleibt.
Bedeutung gewinnt die Beobachtung, wenn man das Personal in einer Organisation als wichtiges Strukturmerkmal betrachtet.4 Bekanntlich macht es einen Unterschied, ob Person A oder
Person B die Friedensverhandlungen führt, denn es ist klar, „dass verschiedene Personen verschieden entscheiden werden“ (Luhmann 2006: 289). Für das Auswärtige Amt scheint dies
aber nicht zu gelten, es wird geradezu bewusst und gewollt negiert, da „alle Angehörigen des
Auswärtigen Dienstes an jedem Platz der Welt eingesetzt und mit jeder Aufgabe […] betraut
werden können“ (Akademie Auswärtiger Dienst o. J.: 7). Die Versetzung oder Rotation ist
also nicht wie bei anderen Organisationen ein Zeichen für besondere Leistung oder Versagen
der Mitarbeiterin, sondern fester Bestandteil, oder organisationssoziologisch reformuliert: festes Programm des Auswärtigen Amtes. 5 Der Auslöser für die Rotation wird sogar unabhängig
von den Leistungen des Stelleninhabers definiert, „weil nur diejenigen Diplomaten auf einen
neuen Posten wechseln, die ihre vorgesehene Aufenthaltsdauer auf ihrem alten Posten absolviert haben“ (Niedner-Kalthoff 2005: 30).6
Eine Stelle in einer Organisation wollen wir im Folgenden „als eine Kombination aus programmatischen, netzwerkartigen und personalen Entscheidungsprämissen ansehen: Die Stelle hat eine Aufgabe, gehört zu einer bestimmten Abteilung und ist mit einer Person besetzt“ (Luhmann 1988: 178). Oder mit den Worten von Stefan
Kühl (2010: 11) „Die Stelle muss mit einer Person besetzt werden. Sie wird über in Organisationshandbüchern
oder Computerprogrammen festgelegten Auslösebedingungen (Konditionalprogramme) oder über anzustrebende Ziele (Zweckprogramme) programmiert. Und ihre Kontaktmöglichkeiten werden durch die vorgegebenen
Kommunikationswege beschränkt“. Zu Programmen siehe Luhmann 2006: Kap. 8, zu Hierarchien Luhmann
2006: Kap. 10.
3
4
Siehe hierzu Luhmann 2006: Kap. 9, Drepper 2003: 150ff.
Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die gegenwärtigen und vergangenen Leistungen des Mitarbeiters keinen
Einfluss bei der Versetzung auf eine andere Stelle haben, jedoch scheint es nicht der ausschlaggebende Grund für
die Versetzung selbst zu sein, da es sonst keine festen Rotationszeiten von ungefähr drei Jahren und auch keinen
„einheitlichen Versetzungstermin“ geben würde (Niedner-Kalthoff 2006: 83). Womöglich hat die Leistung nur
Einfluss darauf, wohin versetzt wird, nicht aber darauf, ob versetzt wird.
5
Hierbei ist noch anzumerken, dass nicht die Gesamtheit der Diplomaten eines Dienstes auf einmal rotiert,
sondern auch wirklich nur diejenigen die Stelle wechseln, die die geplante Dauer auf dem Posten verblieben sind
(Niedner-Kalthoff 2005: 30).
6a
2
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Wenn die Rotation aber wie beschrieben als problematisch und folgenhaft und leistungsunabhängig eingestuft werden kann, stellt sich die Frage, die diese Arbeit leiten soll, warum die
Organisation Auswärtiges Amt diese Versetzung bzw. Rotation der Diplomatinnen durchführt. Wieso schickt das Amt einen Mitarbeiter nach drei bis vier Jahren auf eine andere Stelle,
obwohl es doch zum einen den Organisationszielen, die Interessen des deutschen Staates im
Ausland zu vertreten,7 in gewisser Weise konterkariert und zum anderen die Fähigkeiten und
Leistungen der Mitarbeiter, ihre Stärken und Schwächen, nicht ausreichend berücksichtigt?8 Es
soll somit nach der Funktion9 gefragt werden, die die Rotation besitzt, wobei jedoch gleichzeitig auch die Folgen in den Blick genommen werden sollen.
Bevor dies aber geschehen kann, wird zuerst der Stand der Forschung in den Blick genommen
(Kapitel II). Obwohl politik- und geschichtswissenschaftliche sowie soziologische Publikationen untersucht werden, finden sich Angaben zur Funktion der Rotation lediglich in ethnografischen Studien. Auf diese wird in den Kapiteln IV, V und VI eingegangen, die sich explizit
mit den Funktionen der Rotation befassen. Zuvor gibt es aber noch einen kurzen, aber für das
Verständnis notwendigen Exkurs zu der Stellenkategorisierung im Auswärtigen Amt (Kapitel
III). An die Funktionsbeschreibungen schließen Aussagen über das Generalistentum der Diplomaten als Folge der Rotation (Kapitel VII), über die Probleme der Wissensvermittlung (Kapitel VIII) und über die Vollinklusion der Person in die Rolle der Diplomatin an (Kapitel IX).
Im zehnten und letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst.
Der Begriff des Postens findet sich in den Interviews wieder, die anlässlich der Studie von Niedner-Kalthoff
(2005) geführt worden sind, und wird von ihr übernommen. Er bezeichnet eine konkrete Tätigkeit innerhalb der
Organisation Auswärtiges Amt an einem geographisch festgelegten Ort in einer Botschaft oder in einem Konsulat, also nicht in der Zentrale. Im Folgenden wird der Begriff des Postens synonym zu dem systemtheoretischen
Begriff der Stelle verwendet (siehe Anmerkung 3), da inhaltlich beide gleiches aussagen, obwohl die systemtheoretische Begriffsbestimmung den räumlichen Zusatz nicht so stark hervorhebt, ja eher implizit mitlaufen lässt.
Allerdings kommt es für diese Arbeit auf den konkreten Ort nicht an; das Phänomen, dass rotiert wird, ist von
Bedeutung – ob nun von einem Posten zu einem anderen oder von einer Stelle auf eine andere, ist lediglich Theoriezismus.
6b
Sicher lässt sich das Auswärtige Amt nicht auf diesen einen Zweck beschränken, aber es kann relativ sicher
angenommen werden, dass dies zumindest in der Selbstbeschreibung der Organisation eine Rolle spielt.
7
Ein erfolgreiches Arbeiten in der politischen Abteilung in der deutschen Botschaft in London führt nicht dazu,
dass der Diplomat weiterhin gute Arbeit in London leistet. Es kann allerdings vorkommen, dass er sich durch
seine Leistungen für „höhere Aufgaben“ qualifiziert. Er könnte dann also mit der Rotation befördert werden,
vielleicht sogar mit einem Botschafterposten, allerdings auf keinen Fall in London.
8
Eine Funktion ist immer die Lösung eines oder mehrerer Probleme in Bezug mit einer klar angebbaren Systemreferenz. Wenn somit nach der Funktion der Rotation gesucht wird, wird nach den Problemen gesucht, die die
Rotation für das Organisationssystem Auswärtiges Amt löst (vgl. Luhmann 2005a). Daher handelt es sich bei
dieser Arbeit um eine funktionale Analyse (siehe auch Luhmann 2005b).
9
3
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II Rotation als Gegenstand der Forschung?
Meinem Wissen nach kommt das Problem der Rotation in der Forschungsliteratur nicht vor.
Allerdings gibt eine Fülle von Beiträgen zur Diplomatieforschung, die sich grob in zwei Bereiche einteilen lässt. Zum einen gibt es eine politikwissenschaftlich orientierte Forschungsreihe,
die sich vor allem mit der Diplomatie als verlängertem Arm des Staates beschäftigt. Beispielhaft aus neuerer Zeit hierfür seien die Aufsätze von Stephen Keukeleire (2003), der sich mit
der Europäischen Union als diplomatischem Akteur auseinandersetzt, von Richard Langhorne
(2005), in dem die Diplomatie von Nicht-Regierungsorganisationen untersucht wird oder Artikel „Public Diplomacy Between Home and Abroad: Norway and Canada“ von Jozef Bátora
und Frank van de Craen genannt (Bátora & van de Craen 2006). Die Aufsätze sind den Zeitschriften „Diplomacy & Statecraft“ und „The Hague Journal of Diplomacy“ entnommen, die
meines Erachtens als wichtigste und einschlägige Zeitschriften zur Diplomatieforschung bezeichnet werden können. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Monographien und
Sammelbänden zur Diplomatie in den Politikwissenschaften allgemein und besonders in den
Internationalen Beiziehungen. Da es hier aber um die Rotation der Diplomaten im Auswärtigen Amt geht, wird auf die politikwissenschaftliche Richtung nicht weiter eingegangen, da sie
sich mit diesem Thema bisher nichts auseinandergesetzt hat.
Zum anderen gibt es eine Richtung der Diplomatieforschung, die eher der Geschichtswissenschaft zuzuordnen ist. Der Fokus dieser Publikationen richtet sich vor allem auf Diplomatie
und Diplomaten im historischen Kontext, zum Beispiel sind die Untersuchung der Struktur
des britischen diplomatischen Establishments in den Jahren 1919 bis 1939 (Hughes 2003),
Jeanette Falkes „Studien zum diplomatischen Geschenkwesen am brandenburgischpreußischen Hof im 17. und 18. Jahrhundert“ (Falcke 2006) oder der von Markus Mösslang
und Torsten Riotte herausgegebene Sammelband „The diplomats‘ world. The cultural history
of diplomacy, 1815-1914“ zu nennen (Mösslang & Riotte 2008).
Leider nimmt auch diese Art der Forschungsliteratur das in der Einleitung dargestellte Problem nicht in den Blick. Sie führt aber zu einer anderen Forschungsrichtung, die zumindest von
der Herangehensweise Erfolg versprechen könnte, und zwar ist dies die historische Forschung
über das Auswärtige Amt. Diese ist gerade in letzter Zeit wieder durch das Buch „Das Amt
und die Vergangenheit“ in den Fokus der öffentlichen Debatte geraten(Conze et al. 2012).
Aber es gibt darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Büchern und Artikeln zum Auswärtigen Amt, die sich unterteilen lassen nach entweder epochenspezifischen Gesichtspunkten
(siehe zum Beispiel Hampe 1995), nach bestimmten untersuchten Themen (exemplarisch
4
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Paulmann 2005) oder die das Auswärtige Amt als Organisation in Blick nehmen. Diese kommen allerdings über eine Beschreibung der Entstehung des Amtes nach dem Zweiten Weltkrieg nicht hinaus (siehe beispielsweise Haas 1969). Der erhoffte Erfolg, aufgrund dieser
Textgrundlage Anhaltspunkte für eine Beantwortung der Frage zu finden, warum die Mitglieder des Auswärtigen Amtes rotieren, stellt sich leider auch hier nicht ein.
So bleibt noch, die soziologische Literatur zum Auswärtigen Amt zu befragen. Auch diese
lässt sich wiederum in zwei Blöcke unterteilen. Erstens handelt es sich um Literatur und Berichte zur Reform des Auswärtigen Amtes in 1970er Jahren und zweitens geht es um die Auswahl von neuen Diplomaten und deren Ausbildung. Bei letzterem lassen sich vor allem Schriften finden, die darüber aufklären, wie die Ausbildung zu Diplomatinnen aussieht (Schaefer
1995; Kliesow 2002) und wie man sich das Leben als Diplomatin vorzustellen hat (allgemein
und in Ausführlichkeit dazu Brandt & Buck 2002). In dem zuletzt erwähnten Sammelband
von Enrico Brandt und Christian Buck finden sich auch zwei Aufsätze, die sich explizit mit
den Problemen beschäftigen, die sich aus der Rotation ergeben. Nora Weber (2002) beschriebt
sehr anschaulich, was ihr genau passiert ist, nachdem sie als neue Mitarbeiterin die Zusage für
ihre erste Stelle (in diesem Fall: das Konsulat in Houston) erhalten hat. Sie thematisiert Probleme wie Abschied, Wohnungssuche und Umzug und natürlich kommen auch Ängste und
Vorfreude nicht zu kurz. Allerdings bietet der Text aus drei Gründen keine Antwort für die
Frage dieser Arbeit. Denn erstens ist es die erste Stelle von Nora Weber, sodass sich das Problem der Mitnahme von Kontakten und Netzwerken nicht ergibt, da sie schlichtweg noch keine
Kontakte und keine Netzwerke hat. Zweitens beginnt die Beschreibung erst an dem Punkt, an
dem die relevanten Entscheidungen und Abläufe für diese Arbeit schon passiert sind. Entscheidungen über die Versetzungen sind bereits getroffen, sodass hierüber nichts ausgesagt
wird. Drittens ist Nora Weber keine Diplomatin, sondern wird in der Zahlstelle des Konsulats
eingesetzt, was bedeutet, dass sich das Problem des Aufbaus von Kontakten und Netzwerken
für sie nicht (prominent) stellt. Ulrike Seibel hingegen schildert in ihrem Beitrag (Seibel 2002),
wie die Ehefrau eines Diplomaten das Leben mit der Rotation zu meistern hat. Auch hier lassen sich leider keine Antworten finden.
Neben dem eben erwähnten Sammelband von Brandt und Buck und der Monographie von
Schaefer, die beide auch dafür geschrieben worden sind, potentielle Bewerber für den Auswärtigen Dienst mit Informationen zu versorgen, beschäftigt sich auch Dietrich Wilke (1980) mit
der Auswahl und der Ausbildung der Diplomatinnen. Neben dem Esprit de Corps und dem
5
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Sozialprestige der Diplomaten, die für die vorliegende Arbeit keine Rolle spielen,10 gibt es auch
einen Abschnitt, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die Diplomaten des Auswärtigen
Amtes Spezialisten oder Generalisten sein sollen. Diese Frage hängt sehr stark mit der Rotation der Mitglieder zusammen, da ohne den Stellenwechsel keine Generalistinnen benötigen
würden, weil sie ja immer die gleiche Arbeit machen würden und sich so spezialisieren könnten. So kann uns Wilke zwar keine Antwort auf die Frage geben, welche Funktion die Rotation der Mitglieder für die Organisation hat, trotzdem können mit ihm einige Aussagen über die
Folgen der Rotation gemacht werden. Es wird auf diese Problematik später noch eingegangen
werden.11
Zu einer zweiten Kategorie (organisations-)soziologischer Literatur zum Auswärtigen Amt
lassen sich die Texte zusammenfassen, die sich – zumindest grob – mit der Reform des Amtes
in den 1970er Jahren beschäftigen. In diesen Bereich fällt zwar auch der schon oben erwähnte
Text von Willke (1980), vor allem ist aber hier der offizielle Kommissionsbericht12 zu nennen,
der unter der Leitung des Botschafters Hans von Herwarth (1971) entstanden ist. Inwieweit
die Vorschläge zur Reform des Auswärtigen Dienstes und des Amtes umgesetzt worden sind,
lässt sich leider nicht sagen.13 Auch findet sich in dem Bericht an nur einer Stelle eine relevante
Aussage für diese Arbeit. Und zwar geht es um die Problematik der Weitergabe von Kontakten beim Personalwechsel. Als Regel nimmt die Kommission dabei an, „daß ein scheidender
Mitarbeiter seinen Nachfolger noch in seine Aufgaben einarbeitet“ (Herwath 1971: 98).
Trotzdem wird aber festgestellt, dass immer wieder zu Vakanzen, die teilweise Monate dauern
können und meistens durch Heimaturlaub bedingt sind, kommt, die dann folgende Probleme
mit sich bringen:
Abgesehen von den Schwierigkeiten in der Bewältigung der Arbeit, namentlich an den
kleineren Vertretungen, verursacht er [der Zustand der Vakanz von Stellen; A.A.] vor
allem eine Unterbrechung der vom Amtsvorgänger unterhaltenen Kontakte. Über die
10
wobei aber gerade der Esprit des Corps als besondere Organisationskultur eine weitere Untersuchung verdient.
11
Siehe Kapitel VII
Im Jahre 1968 hat Willy Brandt als damaliger Außenminister eine Kommission in Auftrag gegeben, die das
Auswärtige Amt dahingehend zu untersuchen hatte, „wie die dem Auswärtigen Dienst heute gestellten Aufgaben
in der wirksamsten, den Interessen unseres Landes am besten dienenden Weise erfüllt werden können, und welche Voraussetzungen – insbesondere organisatorischer, dienstrechtlicher und personeller Art – dafür zu schaffen
sind“ (zitiert nach Herwath 1971: 13).
12
Hierzu wäre ein Interview von Nöten gewesen, das im Rahmen einer Arbeit leider nicht geleistet werden konnte.
13
6
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eigentliche Vakanz hinaus beeinträchtigt damit jeder Wechsel im Amt die Pflege der
Beziehungen zum Empfängerstaat.
(Herwath 1971: 98)
Hochgradig interessant an dieser Stelle ist also, dass nicht nur das Problem gesehen wird, dass
die Weitergabe von Kontakten erschwert – und vielleicht sogar unmöglich gemacht – wird,
wenn sich Vorgängerin und Nachfolger nicht begegnen. Sondern die Kommission sieht auch,
dass es generell zu Problemen in der Beziehungspflege zwischen den Staaten – was ja nichts
anderes bedeutet als die Beeinträchtigung der Kontakte zwischen den Mitgliedern der Organisation Botschaft und den Mitgliedern der Organisation Regierung bzw. Verwaltung – durch
die Rotation kommt. Das Ausgangsproblem ist ihnen also bekannt, und dies auch schon im
Jahre 1971.14 Die Lösung des Problems, die von der Kommission vorgeschlagen wird, zielt
aber auch nicht auf die Rotation, sondern auf die Vakanzen. So wird eine größere Personalreserve vorgeschlagen, damit es zu mehr „Überlappungen bei Versetzungen“ kommt (Herwath
1971: 99). Die Frage, welche Funktion die Rotation für die Organisation hat, bleibt aber immer noch unbeantwortet.
Weitere soziologische Schriften zum Auswärtigen Amt kommen selbst über die Feststellung
solcher Probleme nicht hinaus. Hans Günther Meissners (1965) „Zur Soziologie des Auswärtigen Dienstes“ ist ganz Kind seiner Zeit; es geht ihm um die Berufsrolle und die Sozialstruktur der Diplomaten. Er beschreibt die sozio-kulturelle Gruppe der Diplomatinnen als „Grenzschicht“ zwischen „den einzelnen Nationalitäten“ (Meissner 1965: 3) und versucht dabei, integrierende und desintegrierende Faktoren herauszuarbeiten.15 Zwar geht Meissner auch auf
die Folgen der Rotation ein, aber eben auf der Ebene des individuellen Diplomaten, und dazu
auch eher aus einem sozialpsychologischen Blickwinkel. So beschreibt er, dass die Rotation,
vor allem vom Ausland in die Zentrale, zu Statusveränderungen führt. Es kommt zu einem
sozialen Abstieg von der Botschafterin, die sich vor allem mit Regierungschefs umgibt, zur
Abteilungsleiterin in Berlin, die nur noch Zugang zu Staatsoberhäuptern durch die allabendliche Tagesschau hat (vgl. Meissner 1965: 6f.). Dieser ständige Statuswechsel „zählt zu den
schwerwiegenden psychosozialen Belastungen, denen die Berufsrolle des Diplomaten ausge14
Siehe Kapitel VIII
So beschreibt er, dass es für den Diplomat desintegrierend sei (aus was genau desintegriert werden soll, bleibt
unklar), häufig seine Stelle zu wechseln, weil er dann seinen gesamten Freundeskreis verliere und sich am neuen
Einsatzort keinen neuen aufbauen könne, da dafür die Zeitspanne von drei Jahren zu kurz sei (Meissner 1965:
9f.).
15
7
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setzt ist“ (Meissner 1965: 7). Wie zu sehen ist, ist die Referenz des Textes von Meissner dabei
aber immer die Diplomatin, nicht wie bei dieser Arbeit die Organisation Auswärtiges Amt.
Als letzte soziologische Arbeit soll hier die „Erneuerung der Diplomatie“ von Heinrich End
aus dem Jahre 1969 genannt werden (End 1969). Auch ihm geht es vorwiegend um die Berufsrolle Diplomat und dessen Prestige und Sozialstruktur. Er schreibt darüber hinaus noch
über ideologische Aspekte des Auswärtigen Dienstes und sogar über organisationsspezifische
Konflikte. Dies sind aber vor allem Loyalitätskonflikte des einzelnen Mitarbeiters zu verschiedenen Gruppen (zum Beispiel zwischen seiner „Crew“, mit der er die gesamte Ausbildung
gemeinsam verbracht, der gesamten Beamtenschaft des Amtes und dem internationalen Korps
der Diplomaten16) (vgl. End 1969: 93). Trotzdem lässt sich bei ihm auch eine Folge der Rotation finden:
Vielfach übernehmen Diplomaten ihre Kontakte einfach von ihren Vorgängern, und
sie sind damit angelastet, diese weiter zu pflegen. Daraus ergibt sich ein traditionelles
Beziehungsgefüge, in das die Botschaften von vornherein platziert sind und das den
Diplomaten wenig Spielraum für informelle Kontakte zu oppositionellen Kreisen (dies
gilt nicht in klassischen Zweiparteienländern wie den USA und Großbritannien), Journalisten, Gewerkschaften, aber auch Kirchenvertretern, Professoren oder Sprechern
von Interessenverbänden herstellen; auch würde das von den Regierungen im Gastland dann, wenn es sich um totalitäre Staaten handelt, als Einmischung in ihre inneren
Angelegenheiten angesehen werden.
(End 1969: 29f.)
An dieser Aussage sind meinem Erachten nach zwei Punkte interessant. Erstens wird die hier
ausgemachte negative Folge der Rotation, nämlich die Schwierigkeit des Aufbaus neuer informeller Kontakte, als politisches Problem gesehen, nicht als Problem der Organisation, was
zweifelsfrei interessanter und wahrscheinlich auch zutreffender wäre. Zweitens ist generell zu
bezweifeln, dass zum einen die Kontakte des Vorgängers ohne weiteres so übernommen werden können und dass zum anderen der Diplomatin auf der neuen Stelle keine Zeit bleibt, sich
16
Wie auch immer dieses internationale Korps genau zu fassen ist.
8
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neue und informelle Kontakte aufzubauen. Nichtsdestotrotz soll der Themenkomplex der
Kontaktweitergabe im Auge behalten werden.17
An dieser Stelle soll die Befragung der politik- und geschichtswissenschaftlichen sowie der
soziologischen Literatur beendet werden. Obwohl die obige Beschreibung keinen Anspruch
auf Vollständigkeit erhebt, zeigt sich doch, dass das Thema der Personalrotation im Auswärtigen Amt kaum Beachtung in der Literatur findet. Einige Anhaltspunkte wurden zwar ausgemacht, an die sich später anschließen lässt, aber die Leitfrage dieser Arbeit lässt sich hier keinesfalls beantworten. Um nun den Stand der Forschung abschließend und genau erfassen zu
können, soll noch in zwei Richtungen geschaut werden. 18 Zuerst einmal gibt es eine recht große Menge an Autobiografien und Berichten ehemaliger Diplomaten. Dieses Genre hat allerdings vom dem Standpunkt dieser Arbeit her mit Problemen zu kämpfen. Entweder handelt
es sich um sehr alte Schriften19 (siehe zum Beispiel D'Abernon 1929; Gontaut-Biron 1909),
oder es geht – wie bereits zu erwarten war – um die Person des Botschafters selber und natürlich um seine Arbeit (beispielsweise die Tätigkeiten eines Botschafters in Japan (Diehl 1987)
oder auch um Lebenserinnerungen (Frank 1985); aber eben nicht um das Auswärtige Amt als
solches. Also auch in diesem Bereich lassen sich keine Anhaltspunkte für diese Arbeit gewinnen.
Die zweite und letzte Forschungsrichtung, in die wir schauen wollen, ist die Ethnografie. Hier
finden sich eine Studie und ein Aufsatz 20 von Ulrike Niedner-Kalthoff (2005; 2006), die sich
mit dem Personal und dem Auswärtigen Amt unter dem Gesichtspunkt der Migration beschäftigt. Der überrage Vorteil, den diese beiden Publikationen allen anderen voraushaben, ist
die Herangehensweise. Hier wurde das geleistet, was auch diese Arbeit nicht vermag, es wurden nämlich Interviews mit verschiedenen Diplomatinnen geführt, welche uns unter anderem
einen recht genauen Einblick in die Versetzungspraxis und die tatsächlichen Abläufe vor der
17
Siehe Kapitel VIII.
Eine mögliche dritte Richtung wäre die Forschung zu den Expatriates, die aber nur auf den ersten Blick Erfolg
verspricht. Der Unterschied von Diplomatinnen und Expatriates liegt darin, dass letztere nicht durch nach einem
bestimmten Rhythmus und eben besonders aufgrund ihrer Leistung versetzt werden. Darüber hinaus sind Expatriates auch als Spezialistinnen anzusehen, die eine bestimmte Aufgabe an verschiedenen Orten ausführen. Der
Selbstbeschreibung der Diplomatinnen als Generalistinnen widerspricht das. Warum dieses Generalistentum aber
eine Folge der Rotation ist, siehe Kapitel VII.
18
Interessanterweise trifft dieses Phänomen nahezu auf die gesamte Literatur dieser Arbeit zu, vor allem aber für
die soziologische. Es gab in Ende der 1960er Jahre eine Reihe von Veröffentlichungen anlässlich der Reformkommission des Auswärtigen Amtes, die auch oben genannt sind. Danach ist das Interesse daran aber merklich
zurückgegangen und ist meines Wissens – selbstverständlich abgesehen von der geschichts- und politikwissenschaftlichen Diplomatieforschung mit ihren genannten Mängeln – irgendwann völlig zum Erliegen gekommen.
19
20
welcher in großen Teilen auf der ersten Studie beruht
9
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Rotation geben. Dies hat leider zur Folge, dass sich diese Arbeit hauptsächlich auf Aussagen
aus diesen beiden Publikationen Niedner-Kalthoffs stützt; was jedoch selbstverständlich nicht
heißt, dass die Erkenntnisse lediglich wiederholt werden. Denn während es bei NiednerKalthoff (2005: 9) darum geht, wie „‚gewöhnliche‘ Diplomaten […] ‚ihren Job machen‘“ und
wie „das Bewältigen des durchschnittlichen diplomatischen Alltags“ vonstattengeht, liegt der
Fokus dieser Arbeit auf der Frage, welche Funktionen und Folgen die Rotation für die Organisation Auswärtige Amt hat.
Als Zwischenfazit über den Stand der Forschung ist festzuhalten, dass das Problem der Rotation mit dem als wahrscheinlich anzunehmenden Verlust von persönlichen Kontakten und
Netzwerken in der Forschungsliteratur keine Beachtung findet. Während weder die politikwissenschaftliche noch die historische Forschung die Rotation in den Blick nehmen und das
Auswärtige Amt als Organisation nicht berücksichtigen, blendet auch die Soziologie beide
Themen so gut wie aus.21 Nach einem Peak Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre
zur Reform des Auswärtigen Amtes, wobei man über kleine Anhaltspunkte bei der Lektüre
dieser Texte leider auch nicht hinauskommt, schweigen die Soziologie im Allgemeinen und die
Organisationssoziologie im Besonderen. So bleibt nur, sich bei den ethnografischen Studien
von Niedner-Kalthoff zu informieren, was in den nächsten Abschnitten getan werden soll.
III Exkurs: Stellenkategorisierung
Bevor wir endlich zum eigentlichen Thema kommen, muss noch eine Erläuterung für das
bessere Verständnis des Folgenden gemacht werden. Im Auswärtigen Amt gibt es verschiedene Kategorien von Stellen. Hierbei ist aber nicht das Offensichtliche gemeint, dass Hausmeister andere Stellen innehaben als Botschafterinnen, sondern dass es für das Korps der Diplomaten kategoriale Unterschiede in den Stellen gibt. Diese Stelleneinteilung ist wichtig für das
an diese Beschreibung anschließende Argument, deswegen werden die Unterschiede und die
Einteilung der Stellen hier thematisiert.
Dies ist umso verwunderlicher, weil das Phänomen Rotation zum einen bei einigen Organisationen vorkommt
(so zum Beispiel bei einigen Abteilungen der Friedrich-Ebert-Stiftung oder der Europäischen Union) und zum
anderen sehr alt ist. Schon der Jesuitenorden vollzog gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts „die
uneingeschränkte Versetzbarkeit des Personals (normalerweise wurden sie [die Jesuiten; A.A.] alle drei Jahre zu
einem anderen und oft weit entfernten Ort transferiert)“ (Stichweh 2006: 244; vgl. auch Meier (2000).
21
10
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Stellen unterscheiden sich in mehreren Hinsichten.22 Erstens gibt es Posten, die stärkere körperliche Anforderungen an die Stelleninhaber stellen. Diese Anforderungen sind einerseits
klimatisch. Es macht für die Person einen Unterschied, ob die Stelle im klimatisch-gemäßigten
Warschau ist oder ob man politische Arbeit in der Botschaft in Riad leistet, wo Temperaturen
über 45° C keine Seltenheit sind. Andererseits gibt es Stellen mit einem höheren Risiko zu
erkranken. Stellen in Gebieten mit Malaria sind ein Beispiel hierfür. Zweitens lassen sich Stellen im Rahmen der Sicherheit für Leib und Leben unterscheiden. Kabul oder Bagdad sind hier
als Negativbeispiele anzuführen. Als dritten Punkt ist die Infrastruktur zu nennen, wie die
medizinische Versorgung, der Zugang zu (westlichen) Lebensmitteln, Energie oder Wasser.
Viertens ist es von dem Einsatzort abhängig, inwieweit die Angehörigen des Diplomaten ein
Leben nach bekanntem westlichem Muster weiterführen können. Kann der Partner weiterhin
arbeiten oder ist ihm das verwehrt? Wie sieht es mit der Schulbildung der Kinder aus, gibt es
dafür sogar deutschen Schulen im Ausland?23 Oder wie sieht es mit gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften aus?
Anhand dieser Kriterien der Lebensbedingungen lässt sich nun eine Kategorisierung der Stellen vornehmen. Diese „ist auf einer Achse von ‚gut‘ bis ‚schlecht‘ bzw. von ‚leicht‘ oder ‚einfach‘ bis ‚schwierig‘ oder ‚hart‘ angesiedelt“ (Niedner-Kalthoff 2005: 32). Der Übergang ist
aber nicht fließend, sondern es handelt es um feste Kategorien. Wie diese im Auswärtigen
Amt aber genau aussehen, lässt sich ausschließlich durch die Literatur und ohne eigene Interviews nicht exakt angeben. Festhalten lässt sich nur, dass es „normale“ Stellen und bestimmte
„hardship posts [gibt], die von diesem Standard abweichen, die Leiden und Entbehrungen
implizieren“ (Niedner-Kalthoff 2005: 32).24 Ein Beispiel für eine solchen hardship post könnte
Kinshasa sein, da hier sicherheitspolitische (Folgen des Bürgerkrieges), medizinische (Malaria)
oder infrastrukturelle (Zugang zu westlichen Produkten oder Elektrizität) Probleme auftreten
können. Aber auch andere Städte, in der nicht alle sondern nur ein einziges Problem dominant
auftreten, lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als hardship posts beschreiben, zu denken
sei hier an Kabul mit Problemen in der Sicherheit.
22
Als Referenz für das Folgende siehe Niedner-Kalthoff 2005: 32.
23
Für einen Erlebnisbericht einer Ehefrau eines Diplomaten siehe noch einmal Seibel 2002.
Auch die Bezeichnung „C-Posten“ für hardship posts lässt sich finden Niedner-Kalthoff (2006: 87), ob dies
nun aber die offizielle Bezeichnung des Auswärtiges Amtes ist, ist nicht sicher, aber durch die Verwendung der
deutschen Sprache möglich. Implizieren würde dies jedoch, dass es eine Dreiertypologie in der Stellenkategorisierung gibt, wobei A-Posten die besten und C-Posten die schlechteste Stufen sind. Da dies aber nur eine begründete Vermutung ist, wird im Folgenden der Begriff der hardship posts beibehalten und die mögliche A/B/CEinteilung nicht weiter verfolgt. Als wichtiges Moment ist aber festzuhalten, dass es eine feste Abstufung der
Stellen gibt.
24
11
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Neben dieser Einteilung nach statistisch feststellbaren Kriterien gibt es noch eine weitere Einteilung der Stellen, und zwar anhand ihres Prestiges unter den Diplomatinnen. Die Arbeit in
der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York ist beliebter
als die Stelle des Presseattachées in der Botschaft in Taschkent. Aus diesen Vorlieben der Diplomaten entwickelt das Auswärtige Amt eine zweite Kategorisierung von Stellen nach ihrer
Beliebtheit, ausgehend von der Bewerberzahlen für eine Stelle aus der letzten Rotationsrunde
(vgl. (Niedner-Kalthoff 2005: 33, Fn. 6). So kommt es neben der Einteilung aufgrund der Lebensbedingungen in normale und harte Posten zu der Unterscheidung von beliebten und unbeliebten Stellen.
IV Funktion der Rotation I: Stellenbesetzung
Damit ein leichteres Matching von Stelle und Person stattfinden kann, muss die Diplomatin
eine gewisse Zeit vor der Versetzung Präferenzen angeben, wo sie gerne nach der nächsten
Rotationsrunde arbeiten möchte. Hierzu muss sie sowohl normale und hardship posts als auch
beliebte und beliebte Stellen angeben.25 Die Diplomatin muss also auch angeben, auf welche
gefährliche und unbeliebte Stelle sie am liebsten (oder: am akzeptabelsten) versetzt werden
möchte. Das heißt also konkret, dass sie dem Auswärtige Amt mitteilen muss, auf welche Stelle, von denen, auf die eigentlich niemand möchte, sie sich vorstellen kann, versetzt zu werden.
Das Problem, dass das Auswärtige Amt mit diesem Mechanismus bzw. mit diesem Programm
zu lösen versucht, besteht darin, dass diese unbeliebten hardship posts ansonsten nicht besetzt
werden könnten.
Gäbe es die Einteilung in Kategorien […] mit der gleichzeitigen Vorgabe, Posten aus
allen vorhandenen Kategorien zu wählen, nicht, so würde jeder einzelne Diplomat (oder eine große Mehrheit) sich stets auf eine Handvoll derselben Posten bewerben,
nämlich auf die mit guten Lebensbedingungen. Da die Organisation aber nun einmal
Tausende über die Welt verstreuter Posten mit der gleichen Anzahl potentieller Posteninhaber gleichmäßig zu besetzen, sie einander eins zu eins zuzuordnen hat, muss sie
dafür sorgen, dass ihr diese Aufgabe dadurch erleichtert wird, dass die Bewerbungen
Die Diplomatin weiß, welche Stellen in der nächsten Rotationrunde zu besetzen sind, da vor der Versetzung
eine Liste mit freiwerdenden Stellen zirkuliert.
25
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‚gespreizt‘ werden. Es kann nun einmal, um es salopp zu formulieren, nicht jeder nach
New York.
(Niedner-Kalthoff 2005: 32f.; Hervorhebung im Original)
Das Problem der Organisation Auswärtiges Amt ist aber – um es noch einmal salopp zu formulieren – dass jeder nach New York möchte, und niemand nach Novosibirsk. Dies bedeutet
jedoch, dass das Auswärtige Amt unter seinen Mitarbeitern ein latentes Motivationsproblem
hat.26 Der Einwand, dass sich dieses Problem erst im Laufe der Mitgliedschaft in der Organisation entwickelt, kann nicht geltend gemacht werden, da auch die unbeliebten Stellen schon vor
Eintritt existieren und bekannt sind. Wie kann der Diplomat aber trotzdem motiviert werden,
die unbeliebte Stelle anzutreten? Hierzu gibt es ein starkes organisationssoziologisches Argument: Die Annahme eines hardship post ist eindeutig eine Mitgliedschaftsbedingung. Der Eintritt in eine Organisation bindet das Verhalten einer Person an bestimmte, von der Organisation vorgegebene und legitimierte Erwartungen. Wer diese Erwartungen nicht anerkennt, kann
nicht Mitglied dieser Organisation sein bzw. bleiben, weil die Mitgliedschaft „eine entscheidungsfähige Angelegenheit“ ist (Luhmann 1995: 35). „Wer eine Weisung seines Vorgesetzten
nicht annimmt, wer einer Vorschrift aus Prinzip die Anerkennung verweigert, rebelliert gegen
das System und gegen alle formalen Erwartungen. Es kommt nicht darauf an, gegen welche im
Einzelnen er sich wendet; jede Weigerung hat den gleichen Effekt“ (Luhmann 1995: 63); Hervorhebungen im Original), nämlich die Beendigung der Mitgliedschaft. Da das Auswärtige
Amt die Annahme eines hardship posts von ihren Mitgliedern erwartet und entsprechende
Anweisungen erteilt, kann die Ablehnung der Stelle nur zum Ausschluss aus der Organisation
führen.
Daneben hält das Auswärtige Amt allerdings weitere Mechanismen bereit, um die Annahme
eines hardship post von einem Diplomaten attraktiver zu machen, da die Organisation kein
Interesse daran hat, ständig ihre Mitglieder zu verlieren und so ihre Stellen nicht besetzt zu
bekommen. Neben finanziellen Anreizen („Auslandszuschlag“ und „Kaufkraftausgleich“) ist
dies die Tatsache,
27
dass Diplomatinnen durch die Annahme eines hardship posts danach
Verwunderlich ist dies, wenn man sich die Bewerberzahlen für den Auswärtigen Dienst vergegenwärtigt. Auf
35 zu besetzende Stellen kommen ungefähr 2000 Bewerber (Stand: 2010, siehe Ilg 2010).
26
Mit welchem Motiv die Diplomaten die Stellen nun aber „in Wirklichkeit“ annehmen, kann nicht gesagt werden, da Motive generell der soziologischen Analyse nicht zugänglich sind (vgl. Gerth & Mills 1973). Die Organisation stellt dabei Motive bereit, die sozial akzeptabel sind, um „andere davon zu überzeugen, die eigene Handlung zu akzeptieren“ (Gerth & Mills 1973: 157).
27
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nicht wieder auf eine unattraktive Stelle müssen (vgl. Niedner-Kalthoff 2005: 44).28 Wer also
nach Kabul geht, kann sicher sein, danach nicht nach Bagdad zu kommen; die schlechte Stelle
verspricht immer eine gute (oder auch vielleicht auch nur: bessere) Stelle im Anschluss.
Als Folge bzw. weitere Funktion aus dem Zwang – respektive Mitgliedschaftsbedingung – zur
Wahl von hardship posts ist „die Gewährleistung einer eifersüchtig überwachten Form der
Verteilungsgerechtigkeit“29 zu nennen (Niedner-Kalthoff 2006: 91); Hervorhebung im Original);
und zwar überwacht durch die Diplomaten selbst. Da Begründungen für die Stellenvergabe
nicht geleistet werden müssen, wird versucht, Konflikte, die entstehen würden, wenn nur einige und nicht alle schwierige Stellen übernehmen müssten, zu verhindern. 30 Selbst unbewiesene
Vorwürfe und Gerüchte, es gäbe keine Gerechtigkeit bei der Besetzung der Stellen, könnten
die Legitimation enthalten, Stellenzuweisungen mit dem Verweis abzulehnen, dass doch erst
einmal derjenige die schwierige Stelle übernehmen solle, der sie noch nie gemacht hat. Dies
würde die Besetzung aller Stellen erschweren, sodass aus Sichtweise der Organisation ein universalistischer Umgang mit der Stellenverteilung potentielle Konflikte minimiert und die Stellenbesetzung erleichtert.
V Funktion der Rotation II: Entscheiden im Sinne der Organisation
Diplomaten sind Grenzstellen des Auswärtigen Amts. Besonders im Ausland ist der Kontakt
zu Deutschen und zur Heimat oftmals beschränkt. In der Literatur wird darin die Möglichkeit
gesehen, dass sich Diplomaten zu stark mit dem Gastland identifizieren, wenn sie sich zulange
dort aufhalten. Die Personalrotation soll dem entgegenwirken und hat so auch die Funktion,
die Loyalität des Personals zur Organisation aufrecht zu erhalten bzw. einer „Assimilierung“
durch das Gastland vorzubeugen (Lohmann 1966: 57). Diese mögliche Assimilierung birgt für
das Auswärtige Amt die Gefahr, dass Entscheidungen von einem Diplomaten nicht mehr im
Was allerdings passiert, wenn ein Mitglied explizit möchte, von einem hardship post auf einen anderen versetzt
zu werden – aus welchem Grund auch immer –, geht aus der Literatur nicht hervor. Aber wahrscheinlich wird es
kein Problem sein.
28
Der Begriff der Gerechtigkeit soll an dieser Stelle beibehalten werden, da es sich um die Selbstbeschreibung
des Feldes handelt. Soziologisch gehaltvoller würde man wahrscheinlich von einer universalistischen statt partikularen Verteilung der Stellen sprechen.
29
Die Frage, ob denn wirklich alle auf schlechte Posten müssen oder ob es doch bevorzugte Personen gibt, sei an
dieser Stelle offengelassen, da sie sowieso nicht beantwortbar ist.
30
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Sinne der Organisation in Form der Botschaft oder der Zentrale in Berlin getroffen werden,
sondern dass die Entscheidung daran orientiert wird, was am besten für das Gastland wäre.31
Interessanterweise wird in der Literatur ein Automatismus der Assimilierung und des Loyalitätsverlusts gesehen. „Je länger sich ein Diplomat in derselben kulturellen Umgebung aufhält,
so die Organisationslogik, desto weniger gelingt es ihm zwangsläufig, zwischen Eigenem und
Anderem zu differenzieren und desto mehr erliegt er der Gefahr des going native“ (NiednerKalthoff 2006: 92); Hervorhebung im Original). Mit going native ist nichts anderes gemeint als
der Verlust der professionellen Distanz durch eine zu starke Identifikation mit dem Gastland.
Ob es sich aber wirklich um einen Automatismus handelt, kann leider nur die Psychologie und
keine soziologische Studie beantworten.
Dass sich aber mithilfe einer starken Identifikation möglicherweise umfangreichere Netzwerke
und Kontakte aufbauen lassen, wird in der Literatur nicht gesehen. Denn ein going native
kann ein besseres Verständnis der Kultur und der Erwartungen schaffen, das sich im Umgang
mit Entscheidungsträgern aus der Politik als nützlich erweisen kann. So kann zwar die Rotation die Mitarbeiter loyal an die Organisation Auswärtiges Amt und nicht an das Gastland binden, sie verschenkt aber auch Möglichkeiten, besser ausgebaute Netzwerke und Kontakte aufzubauen, die essentiell für die Arbeit im Gastland sind.
VI Funktion der Rotation III: Längerfristige Planung
„Diplomatische Rotation wird konzipiert als eine Kombination von ‚change of bosses‘, ‚change of jobs‘ und ‚change of cities‘“ (Niedner-Kalthoff 2006: 36).32 Auch diese drei Prinzipien
des Vorgesetzten- bzw. Kollegenwechsels, des Aufgabenwechsels und des Ortswechsels sind
funktional für die Organisation. Das Prinzip des change of bosses hilft in angespannten Beziehungen zu dem Vorgesetzten und Kollegen, da aufgrund der Rotation ersichtlich ist, dass die
Zusammenarbeit nur von relativ kurzer Dauer und das Ende immer absehbar sind. Vor allem
bei relativ kleinen Vertretungen, die oft nur aus einer Handvoll Mitarbeiterinnen bestehen,
kommt dieser Punkt zum Tragen. Der Ausbruch von latenten Konflikten in der Sozialdimension kann so zeitlich verschoben und vielleicht sogar unterdrückt werden, da immer allen MitSicher gibt es auch den gegenteiligen Fall, dass der Diplomat sich überhaupt nicht wohlfühlt in dem Gastland.
Dann stellt sich allerdings das Problem der Loyalität nicht, sondern wahrscheinlich eher ein Problem der Arbeitsmotivation.
31
32
Auch für das Folgende ist dieser Abschnitt in Niedner-Kalthoff (2005: 36f.) Grundlage.
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arbeiterinnen klar ist, dass die Zusammenarbeit zeitlich begrenzt ist. Frei nach dem Motto:
„Bis zum nächsten Versetzungstermin halte ich es schon aus.“ Wäre dies jedoch nicht der Fall
und es käme zu einem Konflikt, der möglicherweise nur durch Versetzung zu lösen wäre, hätte die Organisation ein Problem, da kein Personal außerhalb der Rotationszeit auf freien Stellen zu einem Wechsel zur Verfügung steht. Eine „Personalreserve“, wie sie von Herwath
(Herwath 1971: 99) vorgeschlagen wird, gibt es meines Wissens nämlich nicht33. Man wüsste
also nicht, wohin man den Diplomaten schicken kann und woher die Nachfolgerinnen kommen sollten.34
Durch einen change of jobs wird verhindert, dass das Personal Langeweile in der Arbeit erfährt,
da es eine regelmäßige Abwechslung im Beruf gibt. Hier wird also verhindert, dass Mitarbeiter
aufgrund eines Mangels an Motivation kündigen oder versetzt werden wollen. Es wird so wie
bei dem Prinzip des change of bosses verhindert, dass ein neues Matching von Person und
Stelle vorgenommen werden muss, wenn ohne Personalreserve keine freien Mitarbeiterinnen
verfügbar sind. Für das Auswärtige Amt wird so das Personal auf lange Zeit planbar. Auch
Orte sollen nach einer gewissen Zeit ihren Reiz verlieren, deswegen kommt es auch zu einem
change of cities, was auch der Motivation der Mitarbeiter dient. Alle drei Prinzipien haben so die
Funktion, die Diplomatinnen motiviert zu halten und Konflikte zu unterdrücken, immer mit
dem Ziel, mögliche Kündigungen und außerplanmäßige Versetzungen verhindern zu wollen.
VII Das Generalistentum als Folge der Rotation
Selbst in Werbematerialen des Auswärtigen Amts für die Berufswahl der Diplomatin kommt
ein Bestandteil der Arbeit immer wieder zum Tragen, nämlich das „Generalistenprinzip“
(Akademie Auswärtiger Dienst o. J.: 7). Damit ist die uneingeschränkte Versetzbarkeit aller
Mitarbeiterinnen gemeint, Spezialisierungen auf eine Region oder auf einem fachlichen
Schwerpunkt sind nicht erwünscht.35 Dieses Generalistentum ist eine Folge der Rotation.
33
und wenn doch, dann nicht in einem nennenswerten Umfang.
Es stellt sich hier aber auch die Frage, ob ein change of bosses wirklich als Funktion der Rotation gesehen werden
kann. Gäbe es den einheitlichen Stellenwechsel nicht, könnte man einwenden, dass dann auch ungeplante Postenwechsel mit dem Ziel der Konfliktlösung jederzeit möglich wären. Dagegen spräche allerdings der hohe logistische Aufwand bei Stellenwechsel, Weber (2002) gibt hierzu einen guten Eindruck.
34
Zumindest gilt dies für den Beginn der Karriere des Diplomaten: „Erst nach einigen Berufsjahren bilden sich
fachliche Schwerpunktbereiche oder -regionen. Die Kenntnis einer schwierigen oder seltenen Sprache kann von
Anfang an den häufigeren, aber keineswegs ausschließlichen Einsatz in dem entsprechenden Sprachraum bedeuten“
(Akademie Auswärtiger Dienst o. J.: 7; Hervorhebung A.A.).
35
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Wenn das Auswärtige Amt seine Mitarbeiterinnen alle drei Jahre auf eine andere Stelle schicken will, dann kann sich das Amt nicht leisten, Mitarbeiter einzustellen, die regional oder
fachlich gebunden sind. Diese wären dann an einen bestimmten Stellentyp gebunden, zum
Beispiel an Stellen bei der Vereinten Nationen, welche aber sehr begehrt sind. So würden
wahrscheinlich viele Mitarbeiter versuchen, eine solche Spezialisierung für „gute“ Posten zu
bekommen,36 sodass das Auswärtige Amt die unbeliebten und unattraktiven Stellen nicht mehr
besetzen könnte. Deswegen ist auch die Diskussion um die Frage, ob die Mitarbeiterinnen des
Auswärtigen Amts Generalistinnen oder Spezialistinnen sein sollten, wie wir sie schon weiter
oben beschrieben bei Wilke (Wilke 1980: 198ff.) finden, hinfällig, da die Mitarbeiterinnen
notwendig Generalistinnen sein müssen, wenn auch Stellen besetzt werden sollen, die unbeliebt und unattraktiv im Sinne der dortigen Lebensqualität sind.
Darüber hinaus würde die Ausbildung von Spezialisten die Organisation auch insofern behindern, als sie nicht mehr (relativ) schnell auf Umweltereignisse reagieren könnte, weil Spezialisten eben nur ein sehr schmales Einsatzspektrum besitzen. Da theoretisch alle Mitarbeiter jede
Stelle ausfüllen können – und sogar alle gleich gut, so zumindest die Erwartung des Auswärtigen Amts – kann das Personal auch effektiv eingesetzt werden. Dadurch, dass die Organisation ihr Personal relativ schnell versetzen kann, spart sie darüber hinaus noch in zweierlei Hinsicht Personalkosten. Zum einen muss sie keine Spezialisten bezahlen, die ab einen gewissen
Zeitpunkt nicht mehr gebraucht werden (Experten zum Kalten Krieg könnten hierfür ein
Beispiel sein), zum anderen muss sie nicht ständig neues Personal für neue Aufgaben einstellen und ausbilden (wie beispielsweise neuerdings Experten zum islamistischen Terrorismus)
(vgl. Niedner-Kalthoff 2005: 43).
VIII Personenbezogenes Wissen als Problem bei der Stellenübergabe
An dieser Stelle soll ein Punkt behandelt werden, der schon in der Problemstellung dieser Arbeit genannt wurde, nämlich das Problem der Übergabe der Stelle von der Vorgängerin an den
Nachfolger. Wie bereits in der Einleitung vermutet wurde, kommt es dabei insofern zu Problemen, als insbesondere Wissen und Kontakte nicht ohne weiteres weitergegeben werden
können. Dies wird auch von den Niedner-Kalthoff interviewten Diplomatinnen gesehen, da
zwar Erfahrungsberichte für den Nachfolger geschrieben werden, aber „die bloße Übernahme
von Kontaktnetzen, die Konsultation von ‚Erfahrungsberichten‘ oder sogar die – nicht immer
36
und wer würde sich schon auf Novosibirsk spezialisieren?
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gewährleistete – persönliche Konsultation des Vorgängers könnten nicht diejenige Form von
Kontinuität schaffen, die eigentlich für die optimale Bewältigung eines Postens notwendig sei“
(Niedner-Kalthoff 2005: 47f.). Bei Personenwechsel kommt es also immer zu Schwierigkeiten,
die sich – zumindest in der Anfangszeit – auf die Arbeit des neuen Stelleninhabers auswirken,
da er erst einmal damit beschäftigt sein wird, sich neue Netzwerke aufzubauen und sich nötiges Wissen anzueignen. Der Kern des Problems liegt nämlich darin, dass es sich um personenbezogenes Wissen handelt, und eben nicht um stellenbezogenes. Es wird zwar
argumentiert, dass nach dem Willen der Institution [Auswärtiges Amt; A.A.] im Sinne
eines Wissenstransfers ein vermeintlich an den Posten gebundenes explizites und explizierbares Wissen vom Vorgänger an den Nachfolger weitergeben soll. Tatsächlich
aber […] handelt es sich dabei um teilweise stummes, persönliches Erfahrungswissen, das
über das sinnliche Erleben und dessen Erinnern in den Körper einer konkreten Diplomatenperson eingeschrieben und aus diesem nicht externalisierbar ist, so dass es
nicht weitergegeben werden kann, sondern notgedrungen mit dem Individuum mobil
bleibt. Dem Individuum bleibt es erhalten, aber für den Posten geht es verloren.
(Niedner-Kalthoff 2005: 47f.; Hervorhebungen: A.A.)
Ob das Problem vom Auswärtigen Amt wirklich nicht gesehen wird, wie das obige Zitat suggeriert, oder ob es verschwiegen wird, da es sonst die Rotation in gewisser Weise ad absurdum
führen würde, kann abschließend und ohne Spekulation nicht gelöst werden. Es bleibt aber
festzustellen, dass die Rotation stattfindet, dass es dabei und vor allem dadurch zu Wissensund Kontaktverlusten kommt, die die Arbeit des neuen Stelleninhabers zuerst erschweren,
und dass dies wahrscheinlich auch der Organisation bekannt ist. Trotzdem wird weiterhin
rotiert.
IX Vollinklusion der Person in die Diplomatenrolle
Wenn man sich nun noch einmal die Probleme der Wissensvermittlung und des Kontakttransfers vergegenwärtigt, kann hieraus noch ein weiteres Phänomen des Auswärtigen Dienstes als
Folge der Rotation gesehen werden. Es kommt nämlich meiner Meinung nach zu einer Vollinklusion der Person in die Rolle des Diplomaten,37 „die Grenzen zwischen beruflich-
Man könnte auch argumentieren, dass sogar die Familie, also vor allem der Partner oder die Partnerin, mit in
die Berufsrolle des Diplomaten gezogen wird. Denn auch er oder sie ist bei Feierlichkeiten und Empfängen stets
18
37
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sachlicher und privat-freundschaftlicher Interaktion verwischen. Berufs- und zweckorientierte
Kommunikation sind verknüpft mit klassischen Freizeitkontingenten und mit gemeinschaftlichem leiblichem Genuss“ (Niedner-Kalthoff 2005: 64). Auch abends, wenn die Diplomatin
mit anderen Diplomaten essen geht oder auf Feiern eingeladen wird, sind diese Aktivitäten
auch unter dem Gesichtspunkt des Netzwerkaufbaus und der Kontaktpflege zu sehen. Bei den
Diplomatinnen mag zwar das Private nicht politisch sein – wie es bei 68ern und danach propagiert wurde –, doch scheint das Private beruflich zu sein.38 Diese Vollinklusion der Person
in die Rolle kann als Versuch gesehen werden, den Wissens- und Kontaktverlust bei Stellenübergabe zu kompensieren, wenn ständig und vor allem außerhalb der normalen Arbeitszeiten
Kontakte und Netzwerke gepflegt und erweitert werden müssen. Sie ist daher eindeutig eine
Folge der Rotation.
X Zusammenfassung und Ausblick
Wie gezeigt wurde, kommt es bei der Rotation zwangläufig zu Problemen bei der Weitergabe
von Wissen und Netzwerken, da dies personenbezogen anstatt stellenbezogen ist (Kapitel
VIII). Dass das Auswärtige Amt sein Personal trotz allem rotieren lässt, kann nur dadurch
erklärt werden, dass damit besondere Funktionen erfüllt werden, die andere Probleme lösen,
welche wichtiger erscheinen als eine kontinuierliche Arbeit der Diplomaten. 39 Wie herausgearbeitet worden ist (Kapitel IV), ist eine Funktion der Rotation, vor allem die unattraktiven
hardship post zu besetzen, da es als Mitgliedschaftsbedingung ausgeflaggt wird. Darüber hineingeladen und es wird erwartet, dass auch als Paar dann daran teilgenommen wird. Dies ist sogar rechtlich fixiert: „Wirken die Ehepartner im dienstlichen Interesse an der Erfüllung von Aufgaben der Beamten oder der
Auslandsvertretung mit, so sind sie dabei zu unterstützen“ (Bundestag 2011: 20). Dass es sich bei dieser Unterstützung nicht um eine finanzielle handelt, scheint zweifelsfrei. Aber sogar die Kinder der Diplomaten werden
von der Literatur unter dem Gesichtspunkt der Arbeit als Diplomat gesehen: „Wenn schulpflichtige Kinder zum
Haushalt der Diplomatenfamilie gehören, so erweisen sie ihren Vätern [heute: und Müttern; A.A.] ganz unbewußt
[einen] Dienst, sofern sie eine Schule des Gastlandes besuchen. Die Mentalität des Volkes läßt sich wohl nirgends
so sehr an der Wurzel erfassen wie in der engen Berührung mit seinen jeweiligen Erziehungs- und Schulmethoden. In ihnen spiegeln sich die Unterschiede, die Aufschluß geben über die Haltung der Erwachsenen und über
die vielen Nuancen eines Volkscharakters, die sonst oftmals schwer erklärlich sind“ (Plehwe 1972: 203f.). Trotzdem wartet der Gedanke der Inklusion der Partner und Kinder in die Berufsrolle des Ehepartners auf eine weitere Ausarbeitung, obwohl dieses Phänomen auch bei Spitzenpolitikern zu beobachten ist.
Auch dieses ist rechtlich festgehalten: „Der Beamte des Auswärtigen Dienstes ist verpflichtet, im Ausland auch
außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit die sich aus dem Auftrag des Auswärtigen Dienstes ergebenden Aufgaben
wahrzunehmen, insbesondere die notwendigen Kontakte zu pflegen und zu fördern und Deutschen zu helfen.“
(Bundestag 2011: 14)
38
Im Folgenden wird unterstellt, dass das Problem des Wissens- und Kontakttransfers dem Auswärtigen Amt
bekannt ist. Alles andere wäre höchst unwahrscheinlich.
39
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aus motiviert die Rotation die Mitarbeiter auch in einem anderen Sinne, und zwar dadurch,
dass die Mitarbeiter regelmäßig zum einen neue Aufgaben bekommen oder zum anderen an
neue, zum Teil unbekannte Orte versetzt werden (Kapitel VI). Als weitere Funktion der Rotation kann die Versicherung der Loyalität des Personals gegenüber der Organisation gesehen
werden, was besonders dafür eine Rolle spielt, an welcher Referenz (Auswärtiges Amt oder
Gastland) sich die Entscheidungen der Diplomatinnen orientieren (Kapitel V). Vor allem bei
Theorien, die Entscheidungen als signifikantes Merkmal der Organisationen ausflaggen, ist
dies von Bedeutung. Ferner wirkt die Rotation konflikthemmend, da die Zusammenarbeit mit
Kollegen zeitlich begrenzt wird, was den Ausbruch von latenten Konflikten entweder verhindert oder doch die Intensität des Konflikts mindern kann (Kapitel VI). Diese beiden letztgenannten Punkte sind insofern funktional für die Organisation, als mit dem Mitarbeitern besser
geplant werden kann. Die Rotation senkt also die Wahrscheinlich für Kündigungen. Wie in
Kapitel VII dargestellt wurde, ist das viel propagierte Generalistentum der Diplomatinnen
direkt als Folge der Rotation zu sehen, besonders wenn man sich die Funktion der Mitarbeitermotivation für unattraktive und unbeliebte Stellen vergegenwärtigt. Wenn jeder an jede
Stelle kommen kann, muss jeder auch alles können. Als weitere Folge ist die in Kapitel IX
aufgezeigte Vollinklusion der Person in die Diplomatenrolle zu nennen.
Es ließen sich an diese Arbeit weitere Forschungen anschließen. Naheliegend wäre es, die genaue Versetzungspraxis zu untersuchen, vor allem aufgrund welcher Faktoren Versetzungsentscheidungen getroffen werden, da eben jene Entscheidungen den Diplomatinnen als
„Black Box“ entgegentreten (Niedner-Kalthoff 2005: 35). Auch ist es höchst zweifelshaft, dass
wirklich alle Diplomaten gleich gut sind und dass die Umwelt wie beispielsweise eine unterschiedliche Landeskultur keinen Einfluss auf die Arbeit der Diplomaten hat. Es würde sich
meines Erachtens daher lohnen, dass Generalistentum einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Generell lässt sich sagen, dass sich die Soziologie und besonders die Organisationssoziologie mit dem Auswärtigen Amt (auch empirisch) beschäftigen sollte, da meines Wissens nach
in den letzten knapp 40 Jahren in dieser Hinsicht nichts unternommen worden ist. Man kann
nämlich nicht davon ausgehen, dass alle Aspekte des Auswärtigen Amtes hinreichend erforscht worden sind, wie diese Arbeit gezeigt hat.
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