Sektion „Internationale Politik“, Programm während des DVPW

Sektion „Internationale Politik“, Programm während des DVPW-Kongresses an der
Universität Duisburg-Essen, 21. bis 25. September 2015
Panel 1: Demokratietheoretische und Domestic-Politics-Perspektiven auf die Automatisierung
des Krieges
Termin: Dienstag, 22.9.2015, 14:00–15:15 Uhr
Chair: Dr. Mischa Hansel (Justus Liebig Universität Gießen)
Diskutant: Prof. Dr. Wolfgang Wagner (Vrije Universiteit Amsterdam)
Das Panel thematisiert das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit als Beziehung zwischen Gewaltmitteln und freiheitlichen
politischen Ordnungen. Es untersucht Zusammenhänge zwischen dem sicherheitspolitischen Bedeutungszuwachs
automatisierter Kriegsführung einerseits und den Institutionen, Werten und Normen demokratisch verfasster Gemeinschaften
andererseits. Dabei können ganz unterschiedliche Kausalitäten gedacht sein. Manche Autorinnen und Autoren sehen die
normativen und institutionellen Restriktionen demokratischer Politik als Treiber der technologischen Entwicklung. Andere
konzeptionalisieren Demokratie als intervenierende Variable, insofern ihre Spielregeln die Nutzung automatisierter
Gewaltmittel konditioniert. Schließlich lässt sich Demokratie auch als abhängige Variable der technologischen Entwicklung
modellieren, indem etwa die Aushebelung parlamentarischer Kontrolle über den Einsatz von Gewaltmitteln im Zuge einer
weitgehend klandestinen Drohnenkriegsführung in den Blick genommen wird. Insgesamt strebt das Panel eine stärkere
Integration von demokratietheoretischen und domestic-politics Ansätzen in die politikwissenschaftliche Debatte über
automatisierte Kriegsführung an. Des Weiteren sind Verknüpfungen mit techniksoziologischen oder –philosophischen
Theorien willkommen.
Dr. Ursula Jasper (ETH Zürich) und Dr. Moritz Weiß (LMU München)
Democratic Governance, Technological Imperative or Socio-Political Pragmatism? Explaining the Procurement of Drones
Drones or Unmanned Aerial Vehicles (UAVs) have evolved as an arguably revolutionary instrument of modern warfare. The
dramatic increase of deploying drones has driven the scholarly debate into one distinct direction: to address the normative
implications of the use of drones. Despite these undoubtedly significant contributions of focusing on the effects of a new
technology, historians of complex sociotechnical systems remind us of the importance to also analyze the causes of a new
technology: in order to fully understand the implications of a technological challenge, it is necessary to investigate its political
sources. Against this backdrop, our paper asks why governments have entered the UAV business and have procured
drones. To answer this question, three approaches are considered. First, democratic governance, which is firmly established
in the recent debate, argues that a country’s specific governance processes translate into the desired aversion of casualties,
which, in turn, triggers the political decision of acquiring drones. Second, the technological imperative argues that innovation
and, thus, the inevitable diffusion of new technologies and the emulation of successful practices within and across
technological sectors drive the procurement of drones. The third approach, in contrast, builds on pragmatist sociology of
technology and understands innovation – especially in the military sector – as a genuinely socio-political process. It suggests
that UAV technologies are neither primarily based on democratic opportunities and constraints nor the product of an
inevitable technological trajectory, but the result of politics, power and choice. The paper's contribution is two-fold.
Empirically, the analysis will trace the determinants of UAV procurement in three countries – Germany, India and Israel; and
provide systematic knowledge on the sources of technological innovation and the political process, in which it is embedded.
The theoretical contribution is to address the interrelationship between material conditions, politics and new technologies
from allegedly incompatible perspectives.
Dr. Frank Sauer (Universität der Bundeswehr München)
'Kill Decision': Military Robotics, Non-Human Agency and Democratic Accountability
The robotic revolution is in full swing in militaries around the world. More and more mission tasks are handled by automated
processes in military systems. Unmanned aerial combat vehicles by now not only routinely take off, navigate to a designated
area and land safely upon return; they can also identify and track potential targets. In fact, so called “Killer Robots”, i.e. lethal
autonomous weapon systems (LAWS) which would be able to also select and engage targets without any human
intervention, are close to becoming a reality. However, this notion of delegating the “kill decision” to a non-human “thing”, an
algorithm in a robotic system, is currently raising numerous legal, ethical and political concerns. Against the background of
this debate, the paper ties in with the recently burgeoning body of literature on the New Materialism in International Relations
(IR), conceptualizing LAWS as “actants” (Latour) and drawing on the concept of “distributed agency” (Bennett). In theoretical
terms, the paper contributes to the debate surrounding novel conceptualizations of agency in Critical Security Studies as well
as IR more generally as it seeks to explore the interplay between non-human agency and human agency in military systems.
Empirically speaking, the paper focuses on the impact that the growing status of non-human agency in military systems has
on politico-military relations and accountability in democracies. This way, the paper sheds some first light on the implications
of military robotics for the foreign and security policies of democratic states, especially regarding a potentially lowered
threshold to go to war.
Dr. Eva Schmitt (Justus Liebig Universität Gießen)
High-Tech-Missionen internationaler Sicherheitsinstitutionen: Ein Indikator für demokratiespezifische Präferenzen?
High-Tech-Missionen werden im IB-Kontext i.d.R. im Rahmen demokratischer Sicherheits- und Allianzpolitik verortet, finden
seit einigen Jahren jedoch auch verstärkt Einsatz im Rahmen heterogener internationaler Institutionen wie u.a. den
Vereinten Nationen (VN) sowie der OSZE. Einsätze wie die ISAF, die MONUSCO-Operation im Kongo sowie die
Überwachungs-Missionen der OSZE (wie u.a. in der Ostukraine) sind heute durch den intensiven Einsatz von High-TechElementen gekennzeichnet. Die Betrachtung dieses Missionstyps führt somit zu der Frage nach den betreibenden Akteuren,
jedoch auch nach dem strategischen Mehrwert bzw. der sicherheitspolitischen Effektivität eines zunehmenden Einsatzes von
High-Tech-Elementen. Illustriert an High-Tech-Einsätzen im Rahmen der VN, der OSZE und der NATO soll in diesem
Beitrag der Frage nachgegangen werden, ob diese erstens auch in heterogenen Sicherheitsinstitutionen (VN, OSZE) als
Ausdruck demokratiespezifischer Präferenzen zu werten sind (d.h., ob sich primär Demokratien für den Einbezug von HighTech-Elementen einsetzen und die entsprechenden Mittel bereitstellen). Hiermit geht zweitens das Erkenntnisinteresse
einher, ob (eventuell) bestehende demokratische Präferenzen hinsichtlich High-Tech-Missionen im Rahmen der drei
Systeme kollektiver Sicherheit primär von Effektivitätsgesichtspunkten abhängig sind (und damit als Ausdruck von
Steuerungswillen zu interpretieren sind, liberal-demokratische Annahme), oder ob diese auf eine Vermeidung von Opfern
und personellen Einsätzen (rational-liberalistische Annahme) zielen. Die Beantwortung dieser Frage besitzt ebenfalls
ordnungspolitische Relevanz: so kann die Nutzung von High-Tech-Elementen als ein Indikator für die prävalierende
Relevanz demokratischer Sicherheitspolitikgestaltung – d.h. den Erhalt der Bedeutung dieser Staatengruppe auch
angesichts des Aufstiegs „nichtdemokratischer“ Sicherheitsakteure – gewertet werden, oder im Gegenteil auf einen
allmählichen Rückzug demokratischer Akteure aus der Gestaltung der internationalen Sicherheitspolitik hindeuten.
Dr. Niklas Schörnig (HSFK Frankfurt/Main)
Kampfdrohnen: Fliegende Scharfschützen? Schlussfolgerungen aus der ethischen Bewertung von Scharfschützen in der
Geschichte für die aktuelle Drohnendebatte
Bewaffnete Drohnen (auch als Unmanned Combat Aerial Vehicles, UCAVs, bezeichnet) lösen bei vielen Menschen
Unbehagen und Ablehnung aus, speziell wenn die Systeme zu "gezielten Tötungen" eingesetzt werden. Scharfschützen
sahen sich historisch ebenfalls immer wieder starker Kritik ausgesetzt, speziell in demokratischen Staaten. Michael Walzer
konstatiert in seinem Buch zu "Just and Unjust Wars" z.B., dass Menschen sehr oft eine starke Abneigung haben, Gegner
gezielt zu töten, wenn sie in ihnen eine "fellow creature" erkennen, von der keine akute Gefahr für sie ausgeht. Gleichzeitig
gibt es Hinweise, dass Scharfschützen in den vergangenen ein bis zwei Dekaden einen "Imagewandel" durchlaufen haben
und inzwischen - zumindest in den USA - als hochspezialisierte Kräfte Ansehen erworben haben. Der Vortrag skizziert die
ethische Bewertung der Scharfschützen über Zeit und fragt, welche Gründe für den Wandel der Bewertung durch die
Gesellschaft in Frage kommen. Darauf aufbauend wird diskutiert, inwieweit sich aus der Entwicklung Parallelen zur
ethischen Bewertung von Kampfdrohnen ableiten lassen und ob im Bereich der "gezielten Tötungen" durch Kampfdrohnen
eine ähnliche Entwicklung der Bewertung hin zu stärkerer gesellschaftlicher Akzeptanz zu befürchten ist.
Panel 2: Zwischen Technokratisierung und (Re-)Politisierung: Legitimation und Kontestation
sicherheitspolitischen Regierens
Termin: Dienstag, 22.9.2015, 15:45-17:00 Uhr
Chair: Prof. Dr. Ulrich Schneckener (Universität Osnabrück)
Diskutant: Prof. Dr. Klaus Schlichte (Universität Bremen)
Der politische und gesellschaftliche Umgang mit (Un)Sicherheit und „neuen“ Sicherheits- und Gewaltrisiken hat auch die
Debatten in Internationalen Beziehungen und Security Studies während der letzten zwei Jahrzehnte deutlich geprägt. Im
Mittelpunkt standen dabei vor allem die normative Ambivalenz des erweiterten und vertieften Sicherheitsbegriffs sowie
dessen restriktive Wirkung auf „liberale“ demokratische Politik. Insbesondere der Versicherheitlichungs-Ansatz hat
thematisiert, wie außergewöhnliche Maßnahmen durch den Verweis auf existenzielle Gefahren, nicht zuletzt in der Folge von
„9/11“, zu legitimieren versucht worden sind. Der Fokus der Debatte hat sich jedoch verschoben. Maßnahmen zur
technischen Überwachung oder der Ausgliederung kleinteiliger Sicherheitsaufgaben an private Akteure werden offenbar
nicht entlang einer klaren Logik des sicherheitspolitischen „Ausnahmezustandes“ legitimiert, hier werden vielmehr
systemische Risiken und Verwundbarkeiten in den Vordergrund gestellt oder funktionale Governance-Lösungen innerhalb
engerer Expertenzirkel diskutiert. Gleichzeitig sind Angemessenheit und Wirksamkeit präventiver Sicherheits-und
Überwachungsmaßnahmen mit den Enthüllungen Edward Snowdens zunehmend Gegenstand politischer und
gesellschaftlicher Kritik geworden. Wir sehen hier Anzeichen einer neuen „Legitimitätspolitik“, die zwischen technokratischer
Legitimation nationalen und internationalen sicherheitspolitischen Regierens auf der einen und dessen politischgesellschaftlicher Kontestation auf der anderen Seite changiert. Das Panel widmet sich diesem Spannungsverhältnis aus
konzeptioneller, empirischer und normativer Perspektive. Befinden wir uns auf dem Weg zu einem sicherheitspolitischen
Regieren, das dauerhaft Legitimation über Depolitisierung und Technokratisierung beziehen kann oder gibt es eine
Entwicklung hin zu einer (Re)Politisierung von Sicherheitspolitik? Welche diskursiven und symbolischen Legitimations-und
Kontestationsmuster finden sich? Wie und unter welchen Umständen organisiert sich politischer und gesellschaftlicher
Widerstand gegen vermeintlich depolitisierte Sicherheitsmaßnahmen, -institutionen und -technologien? Und was bedeutet
das für die demokratische Qualität sicherheitspolitischen Regierens?
Prof. Dr. Andrea Schneiker (Universität Siegen)
Diskurse der Privatisierung von Sicherheit als Mittel zur Legitimation und Depolitisierung
Privatisierung von Sicherheit ist kein Phänomen, das sich auf Konfliktgebiete beschränkt, sondern hat ein globales Ausmaß
und findet auch in OECD-Staaten statt. Auch in Deutschland wird Sicherheit privatisiert und zwar von der kommunalen bis
zur Bundesebene. Die entsprechenden Privatisierungsentscheidungen und -prozesse finden weitgehend unbeachtet von der
breiten Öffentlichkeit und ohne vorherige grundlegende Debatte statt. Da Privatisierung von Sicherheit das Verständnis und
die Ausgestaltung staatlicher Souveränität und damit des staatlichen Gewaltmonopols betreffen, ist die Abwesenheit einer
kritischen Auseinandersetzung hiermit - im Gegensatz zu Ländern wie zum Beispiel Großbritannien - erklärungsbedürftig. In
diesem Papier wird argumentiert, dass die in Politik und Medien vorherrschenden Diskurse – ein Skandalisierungsdiskurs
einerseits und ein Rationalisierungsdiskurs andererseits – zu einer Depolitisierung der Privatisierung von Sicherheit
beitragen, weil sie die Möglichkeiten einer kritischen Debatte mit dem Phänomen begrenzen. Zugleich tragen sie dazu bei,
dass die Privatisierung von Sicherheit legitimiert wird. In dem Papier wird analysiert, welche Akteure im Einzelnen welchen
Diskurs unter Rückgriff auf welche Argumente vorantreiben und erläutert, warum diese den Raum für eine kritische
Auseinandersetzung mit dem Phänomen reduzieren. Dies erfolgt auf Basis einer Diskursanalyse von Medienberichten und
Dokumenten aus Parlament und Regierung und einer Sekundäranalyse der wissenschaftlichen Literatur zur Privatisierung
von Sicherheit in Deutschland.
Dr. Hendrik Hegemann (Universität Osnabrück) und Dr. Martin Kahl (IFSH Hamburg)
Die Politik der Überwachung: Legitimation und Kontestation sicherheitspolitischen Regierens nach Snowden
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 haben liberale Demokratien eine Fülle neuer Überwachungsmaßnahmen
beschlossen und präventiv immer größere Datenmengen über das Leben ihrer BürgerInnen gesammelt und ausgewertet.
Diese im Alltag kaum sichtbaren und auf komplexen Technologien beruhenden Verfahren wurden lange Zeit von einem
großen Teil der Gesellschaft mehr oder weniger stillschweigend akzeptiert und trafen auf nur geringen Widerspruch. Die
Abgabe von persönlichen Daten im Zuge von Kommunikationsprozessen über soziale Netzwerke ist zudem zuvor in großem
Umfang und freiwillig geübt worden. Seit den Enthüllungen Edward Snowdens zeichnet sich jedoch eine neue Debatte über
die Angemessenheit massenhafter Überwachung ab. Vor diesem Hintergrund stellen sich Fragen, die von zentraler
Bedeutung für das gegenwärtige sicherheitspolitische Regieren sind: Wie werden Überwachungsmaßnahmen nach
Bekanntwerden der Praktiken der NSA und anderer Geheimdienste gerechtfertigt und zu legitimieren versucht? Zeigen sich
Gegendiskurse und Widerstände? Und was folgt daraus für die Entstehungsgründe, Möglichkeiten und Grenzen
gesellschaftlicher Politisierung? Das Papier analysiert die Entstehung einer neuen „Legitimitätspolitik“ und das
Zusammenspiel von Legitimation und Kontestation unter den Bedingungen geringer öffentlicher Sichtbarkeit, technischer
Komplexität und eingeübter Datenabgabe. Es ergänzt damit dominante Perspektiven in den (Critical) Security Studies, die
eine Depolitisierung sicherheitspolitischen Regierens innerhalb geschlossener Diskurse durch ausgreifende
Versicherheitlichung oder technokratische Gefahrenkonstruktionen erwarten. Das Papier illustriert diese Annahmen anhand
der deutschen Debatte über die Telekommunikationsüberwachung nach den Snowden-Enthüllungen.
Dr. Susanne Fischer und Prof. Dr. Carlo Masala (Universität der Bundeswehr München)
Sicherheitsmaßnahmen im zivilen Luftverkehr: Legitimations- und Kontestationsdynamiken seit 9/11
Das Konzept der Versicherheitlichung macht analysierbar, wie (Un)Sicherheit sozial konstruiert und wahrgenommene
Bedrohungen – wie z.B. der international operierende Terrorismus – zu einer strukturierenden Kraft für (inter)nationale
Sicherheitspolitiken werden können. In jüngster Zeit widmete sich die (kritische) Sicherheitsforschung auch der bis dahin
vernachlässigten „Outputseite“ von Versicherheitlichungsprozessen, den „außerordentlichen Sicherheitsmaßnahmen“.
Vorliegender Beitrag befasst sich mit den Legitimations- und Kontestationsdynamiken rund um die Sicherheitsmaßnahmen
im zivilen Luftverkehr nach 9/11. Der Blick auf die Versicherheitlichungsdynamiken in diesem Feld zeigt, dass Legitimationsund Kontestationsdynamiken mit der Einführung (oder Ablehnung) von Sicherheitsmaßnahmen nicht abgeschlossen sind,
sondern anlassbezogen immer wieder aufflammen. So entwickelte sich im zivilen Luftverkehr über die vergangene Dekade
ein (Un)Sicherheitsdiskurs, in dem der „(Un)Sinn“ von Sicherheitsmaßnahmen unter Rückgriff auf Argumente der
Wirksamkeit, Kostenargumente, Fragen der Rechtskonformität oder technologiebezogene Argumenten immer wieder
reaktualisiert wurde. Neben dem (Un)Sicherheitsdiskurs rund um Sicherheitsmaßnahmen im zivilen Luftverkehr nimmt
vorliegender Beitrag zusätzlich die Sicherheitspraxis in diesem Feld (exemplarisch) in den Blick. Ausgewählte Beispiele
zeigen Widersprüche zwischen (Un)Sicherheitsdiskursen und Sicherheitspraxis, die sich als überaus instruktiv für die Frage
nach den gesellschaftlichen Umgang mit (Un)Sicherheitswahrnehmungen einerseits sowie der Akzeptanz oder Ablehnung
von Sicherheitsmaßnahmen und der „tatsächlichen“ Sicherheitspraxis andererseits erweisen. Im Lichte dieser Befunde
diskutiert der Beitrag abschließend die im Diskurs identifizierten Legitimations- und Kontestationsfiguren sowie die
Bedeutung der beobachteten Sicherheitspraktiken für die De- und Repolitisierung von Unsicherheitsdiskursen und eine
demokratische (Un)Sicherheitspolitik.
Prof. Dr. Peter Mayer (Universität Bremen)
Reaktionen auf Güterkonflikte der postnationalen Sicherheitspolitik
Wie auch in anderen Politikfeldern ist in der Sicherheitspolitik ein Trend zur Privatisierung und Internationalisierung zu
beobachten: Private Akteure treten nicht nur (wie transnationale Terrorgruppen) als Bedrohung in Erscheinung, sondern
leisten (wie Private Sicherheits- und Militärunternehmen) im Auftrag von Staaten und anderen Akteuren Beiträge zur
Herstellung von Sicherheit; internationale Organisationen spielen eine größere Rolle bei der Vorbereitung, Legitimierung und
Durchführung von Militäreinsätzen, die der globalen oder menschlichen Sicherheit dienen sollen. Zwar gibt es für diese
Denationalisierungstendenzen in der Sicherheitspolitik funktionale Erklärungen. Diese besitzen aber Schwächen, die einer
alternativen Deutung Raum geben, die den Wandel als Ausdruck von Änderungen im normativen Rahmen internationaler
Politik interpretiert. Der Tagungsbeitrag untersucht politische, rechtliche und gesellschaftliche Reaktionen auf diese
veränderten Normen und die Trends, die sie stützen, in vier Ländern (USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland),
die in unterschiedlichem Maße an der Privatisierung und Internationalisierung von Sicherheitspolitik teilhatten. Wann und wo
kommt es zu einer Infragestellung (Kontestation) von Normen, die den Einsatz privater Sicherheitsunternehmen und die
Einbindung in internationale Entscheidungsprozesse angemessen erscheinen lassen? Welche Rolle spielen dabei andere,
fundamentalere Normen, die oft in einem Spannungsverhältnis zur Denationalisierung von Sicherheitspolitik gesehen
werden, wie Rechtsstaatlichkeit, demokratische Legitimität und Sicherheit selbst?
Panel 3: Internationale Sicherheitsorganisationen im Spannungsfeld zwischen Legitimierung
und Delegitimierung
Termin: Mittwoch, 23.9.2015, 14:00–16:00 Uhr
Chair: Prof. Dr. Christopher Daase, (HSFK und Goethe-Universität Frankfurt/Main)
Diskutanten: Prof. Dr. Christopher Daase (HSFK und Goethe-Universität Frankfurt/Main) und Antonia Witt (GoetheUniversität Frankfurt/Main)
Internationale Organisationen haben in den letzten Jahren ihre Macht deutlich ausgebaut. Waren Sie traditionell in erster
Linie Instrumente, mit den Staaten Schnittstellenprobleme zu lösen versuchten, greifen sie heute tief in die inneren Belange
von Staaten ein und haben sich zu eigenen Autoritäten entwickelt. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass immer mehr
internationale Organisationen heute auch mit der Aufgabe betraut sind, Sicherheit bereitzustellen und damit eine der
Kernkompetenzen des Nationalstaats übernommen haben. Mit dem Mehr an Autorität gehen freilich auch gestiegene
Legitimitätserwartungen einher. Wurden internationale Organisationen traditionell in erster Linie daran gemessen, ob sie ihr
Mandat verlässlich erfüllen, wird heute erwartet, dass internationale Organisationen auch prozeduralen (demokratischen)
sowie rechtsstaatlichen Standards entsprechen. Internationale Organisationen werden mithin heute auch daran gemessen,
inwieweit sie zum einen die Partizipation betroffener Akteure ermöglichen, und zum anderen sicherstellen, dass die Grundund Freiheitsrechte betroffener Individuen nicht verletzt werden. Das impliziert nicht zuletzt, dass internationale
Organisationen, die als legitim anerkannt werden wollen, das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit
erfolgreich navigieren müssen.
Das Panel untersucht den Prozess der Legitimitierung und Delegitimierung internationaler Organisationen insbesondere im
Sachbereich Sicherheit. Es fragt, warum, von wem und wie internationalen Organisationen Legitimität zugeschrieben bzw.
entzogen wird. Konkret sollen folgende Fragen behandelt werden: Erstens, welche Legitimitätsquellen adressieren Akteure,
wenn sie internationalen Organisationen Legitimität zuschreiben oder absprechen bzw. auf welche Legitimitätsquellen
verweisen internationale Organisationen selbst, um sich zu legitimieren? Zweitens, welche Akteure sind, neben den
internationalen Organisationen selbst, an der Legitimierung und Delegitimierung internationaler Organisationen beteiligt?
Was ist die Rolle von Staaten, der Zivilgesellschaft und der Medien? Drittens, welche (De-)Legitimierungstrategien lassen
sich beobachten, d.h. mittels welcher Handlungen wird internationalen Organisationen Legitimität zugeschrieben bzw.
abgesprochen? Welche Rolle spielen etwa öffentliche Äußerungen und institutionelle Reformen?
Dr. Martin Binder (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) und Prof. Dr. Monika Heupel (Otto-Friedrich-Universität
Bamberg)
Wer (de-)legitimiert den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen?
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird als die mächtigste supranationale Organisation weltweit angesehen. Aber wie
legitim ist der Sicherheitsrat? Bislang wissen wir wenig darüber, wie es um die Legitimität des Sicherheitsrats bestellt ist,
denn die Forschung ist weitgehend konzeptionell und theoretisch ausgerichtet. Insbesondere wissen wir nicht, ob und in
welchem Maße der Sicherheitsrat von den Staaten als legitim oder illegitim wahrgenommen wird und wie sich die
Legitimitätswahrnehmungen einzelner Staaten voneinander unterscheiden. Um die Legitimitätswahrnehmungen der Staaten
zu erfassen, haben wir deshalb über 1500 evaluative Aussagen erhoben, die Staaten in sieben Debatten zum Sicherheitsrat
in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zwischen 1991 und 2009 gemacht haben. Indem Staaten evaluative
Aussagen machen, weisen sie dem Sicherheitsrat Legitimität zu oder sprechen ihm Legitimität ab. Im Ergebnis zeigt sich,
dass der Sicherheitsrat an einem Legitimitätsdefizit leidet, denn es lassen sich deutlich mehr negative als positive Aussagen
beobachten. Zugleich befindet sich der Sicherheitsrat aber nicht in einer tiefen Legitimitätskrise, sondern verfügt durchaus
über Restlegitimität. Mithilfe einer quantitativen Analyse untersuchen wir in einem zweiten Schritt Unterschiede in den
Legitimitätswahrnehmungen zwischen den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Dabei zeigt sich, dass drei Staatentypen
eher dazu geneigt sind, dem Sicherheitsrat Legitimität abzusprechen. Bei diesen Staatentypen handelt es sich a) um
Staaten, die von einer Intervention des Sicherheitsrat betroffen sind, b) ökonomisch starke Staaten, die ihre ökonomische
Macht nicht in politische Macht im Sicherheitsrat umsetzen können, und c) Staaten, die Eingriffe in die Souveränitätsrechte
von Staaten im Falle humanitärer Notlagen befürworten und zugleich die Passivität des Sicherheitsrats im Angesicht vieler
solcher Notlagen beklagen. Im Gegensatz dazu sind drei anderer Staatentypen eher dazu geneigt, dem Sicherheitsrat
Legitimität zuzuschreiben. Bei diesen Staatentypen handelt es sich a) um die fünf Ständigen Mitglieder des Rats, b) die zehn
Nichtständigen Mitglieder des Rats und c) um Staaten, deren Interessen im Einklang mit den Interessen der USA sind und
die dem Sicherheit demnach qua seiner Dominanz durch die USA Legitimität zuweisen.
Dr. Matthias Ecker-Ehrhardt (Freie Universität Berlin)
Internationale Organisationen als Akteure sicherheitspolitischer Diskurse – Transparenz, Security Governance oder
Selbstlegitimation?
Welchen Einfluss nehmen IOs auf sicherheitspolitische Debatten im öffentlichen Raum? IOs im Allgemeinen und solche im
sicherheitspolitischen Bereich im Besonderen haben über die vergangenen Jahrzehnte ihre Öffentlichkeitsarbeit erheblich
ausgeweitet und professionalisiert. Gemeinhin wird unterstellt, dass intensivierte Öffentlichkeitsarbeit von IOs eine Öffnung
gegen gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen signalisiert – ähnlich der Inklusion zivilgesellschaftlicher Akteure in
interne Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse. Mit dieser Perspektive verbinden sich einschlägige Hoffnungen auf
Transparenz bzw. Accountability sowie darauf, dass eine pro-aktive Informationspolitik die intensive und kritische
Politisierung von IOs eher begünstigen sollte. Allerdings ist auch das Gegenteil plausibel, denn IOs zielen durch pro-aktive
Öffentlichkeitsarbeit auch explizit darauf, gezielt auf gesellschaftliche Orientierungen Einfluss zu nehmen und für sich bzw.
ihre Entscheidungen gesellschaftlichen Rückhalt zu generieren. Wie sich gerade für die internationale Sicherheitspolitik
zeigen lässt, erfolgt ein guter Teil von Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich nicht um Partizipation „bottom-up“ zu
ermöglichen sondern gesellschaftliche Umwelten durch Kommunikation „top-down“ zu beeinflussen und zwar sowohl im
Sinne von „security governance“ als auch institutioneller Selbstlegitimation. Das Argument wird im Rekurs auf einen neu
erstellten Datensatz zum strategischen und organisatorischen Wandel der Öffentlichkeitsarbeit von 30 IOs für den Zeitraum
von 1950-2014 geprüft. Eine Diskussion der Kommunikationspraktiken des UN Department of Public Information im Rahmen
des Arms-Trade-Treaty-Prozesses sowie von UN-Peacekeeping ergänzt die quantitative Analyse und zeigt problematische
Folgen für die Qualität öffentlicher Debatte auf - insbesondere die Reproduktion globaler politischer Ungleichheiten in Form
einer Dominanz von Akteuren des „globalen Nordens“ in sicherheitspolitischen Debatten.
Henning Schmidtke (Universität St. Gallen) und Dr. Steffen Schneider (Universität Bremen)
International security and public legitimation discourses – A Comparison of the EU, the G8, and the UN
This contribution addresses the empirical legitimacy of three international organizations (the EU, the G8, and the UN) that
play a major role in international security. As indicated by our own data on mediated legitimation discourses and other
research, the social recognition of these international security organizations’ (ISOs) right to rule is contested; however, the
levels and normative foundations of ISO legitimacy vary substantially across ISOs, across countries, and over time. Yet an
integrated explanatory framework taking into account all three types of variance is still missing. This contribution outlines
such a comprehensive explanatory model and corroborates it on the basis of a content analysis of legitimation discourses on
the EU, the UN, and the G8 in the media of four countries (Switzerland, Germany, United Kingdom, and United States), both
member states and non-member states of the three ISOs, over 16 years. We argue that the social construction of legitimacy
is shaped by a combination of factors: the institutional design of ISOs, national cultures of legitimation, and discursive
opportunities for the legitimation or delegitimation of regimes. Only by taking into account the legitimation needs and
capacities built into the institutional design of ISOs and the conditioning effects of national legitimation cultures and
discursive opportunities (such as the high vs low politics issue context of public discourses), the variance of legitimation
discourses across organizations, countries, and over time may be explained satisfactorily.
Dr. Thomas Sommerer (Universität Stockholm)
Legitimierung durch demokratische Öffnung? Internationale Organisationen und eine transnationale Zivilgesellschaft
zwischen Partizipation und Protest
Seit dem Ende des Kalten Krieges hat eine wachsende Zahl internationaler Organisationen (IOs) einen – wenngleich oft
langsamen oder nur halbherzigen - Prozess der Demokratisierung begonnen. Einen wichtigen Teilaspekt solcher Reformen
stellt die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure dar. Auch in der Sicherheitspolitik, vormals die ausschließliche Domäne
von Nationalstaaten, haben diese Veränderungen Einzug gehalten. Organisationen wie etwa die OSZE verfügen heute über
eine ganze Reihe von Foren für einen zivilgesellschaftlichen Dialog. Ein in der Literatur weit verbreiteter Erklärungsansatz
verweist darauf, dass es sich bei der demokratischen Öffnung internationaler Organisationen um eine strategische Reaktion
auf äußeren Druck handeln könnte. IOs sahen sich in der Vergangenheit zunehmend zivilgesellschaftlichen Protesten und
Zweifeln an ihrer Legitimität ausgesetzt. Man könnte daher erwarten, dass die Ausweitung von Partizipationsmöglichkeiten
Teil einer Legitimationsstrategie internationalen Institutionen ist. Dieses Papier widmet sich der Frage, inwiefern (De)Legitimierungsstrategien mit der demokratischen Öffnung internationaler Organisationen zusammenhängen. Welche
Erklärungskraft hat die zivilgesellschaftliche Herausforderung für die Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten? Wird die
Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure von IOs als Legitimitätsquelle genutzt? An wen richten sich die Reformen und der
damit verbundene Diskurs, und wie weit reichen sie? Entstehen aus der Frustration mangelnder oder eingeschränkter
Beteiligung am Ende sogar neue Delegitimierungsversuche? Empirisch basiert der Beitrag auf einer Analyse von Daten zu
Beteiligungsmöglichkeiten transnationaler Akteure in 50 IOs von 1970 bis 2010. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf einem
Vergleich des Bereichs der Sicherheitspolitik, für den wegen der Souveränitätsbedenken der Nationalstaaten die Chance für
eine Demokratisierung gering ist, der Bedarf an Legitimität wegen der Tiefe des Eingriffs jedoch hoch ist, mit anderen
Politikbereichen wie Umwelt, Entwicklung, und Handel. Zuerst wird der Zusammenhang zwischen transnationaler
Partizipation und Protest mit quantitativen und qualitativen Verfahren untersucht. In einem zweiten Schritten werden dann für
IOs, die sich einer zivilgesellschaftlichen Herausforderung ausgesetzt sahen, die Legitimationsstrategien im Rahmen der
Reformprozesse mit Hilfe von Policy-Dokumenten, Reden und offiziellen Statements analysiert.
Mitgliederversammlung der Sektion
Termin: Mittwoch, 23.9.2015, 16:30–17:30 Uhr
Bericht des aktuellen Sprecherteams (Prof. Dr. Anna Geis, Prof. Dr. Stephan Stetter, Prof. Dr. Bernhard Zangl);
anschließende Diskussion; Neuwahl des Sprecherteams
Gemeinsame Veranstaltung der Sektionen „Internationale Politik“ und „Politische Theorie und
Ideengeschichte“
Roundtable: Das Geheimnis in der Außenpolitik: zwischen Staatsräson und öffentlicher
Kontrolle
Termin: Donnerstag, 24.9.2015, 14.00-15.30 Uhr
Moderation:
Prof. Dr. Anna Geis (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) und Prof. Dr. Marcus Llanque (Universität Augsburg)
Teilnehmer/innen:
Prof. Dr. Monika Heupel (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)
Prof. Dr. Emanuel Richter (RWTH Aachen)
Prof. Dr. Ursula Schröder (FU Berlin)
Prof. Dr. Tine Stein (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)