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Interview Shared Services
Stand und Entwicklungsperspektiven
mit Professor Dr. Andreas Wiesehahn
Rechnungswesen und Controlling
Die Bündelung von Prozessen in Shared Service Centern hat sich in den letzten
Jahrzehnten in vielen Unternehmen als eine Möglichkeit der Kostenreduzierung
durchgesetzt. Vereinzelt wird sogar davon ausgegangen, dass es nahezu kein Unternehmen mehr gibt, das nicht in irgendeiner Form Shared Services umgesetzt hat.
In den letzten Jahren sind zunehmend Trends erkennbar, bei denen Shared Services
zur Verbesserung der Qualität von Prozessen und auch für Tätigkeiten eingesetzt
werden, die jenseits der klassischen Einsatzfelder liegen. Heute sprechen wir mit
Prof. Dr. Andreas Wiesehahn über Trends und Entwicklungen im Bereich Shared
Services. Dr. Wiesehahn ist Professor für Rechnungswesen und Controlling an der
Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vor dieser Tätigkeit war er viele Jahre im Finanzbereich des Konzerns Deutsche Post DHL national und international tätig. Zuletzt war
er CFO der Deutsche Post Fleet GmbH, die mit etwa 70.000 Fahrzeugen als Shared
Service Center des Konzerns für Fuhrparkdienstleistungen verantwortlich ist.
Herr Prof. Dr. Wiesehahn, wir möchten heute mit Ihnen über den aktuellen
Stand und neuere Entwicklung im Bereich Shared Services sprechen. Was
wird heute eigentlich unter Shared Services verstanden?
Die Idee der Shared Service Center geht auf die 80er Jahren des letzten Jahrhun-
Interview:
Prof. Dr. Andreas Wiesehahn,
Rechnungswesen und Controlling
shared services
AUCH FÜR CONTROLLINGTÄTIGKEITEN GEEIGNET
Prof. Dr. Andreas Wiesehahn
derts zurück. Unternehmen wollten damals mit einer geeigneten Organisationsform
die Nachteile der Dezentralisierungswelle überwinden. Heute versteht man unter
Shared Services selbständige Unternehmenseinheiten innerhalb eines Unternehmensverbundes, die interne Unterstützungsleistungen erstellen und andere Einheiten
damit zu wettbewerbsfähigen Konditionen beliefern.
Gibt es unterschiedliche Formen von Shared Services?
Ja. Wir unterscheiden zwischen Centern of Scale, in denen gleichartige Supportprozesse zusammengefasst sind um Synergien und Skaleneffekte zu realisieren. Ziel ist
hier vor allem die Kostenreduktion. Bei Centern of Expertise oder Excellence wird
vor allem Expertenwissen gebündelt um dieses unternehmensweit in konsistenter
Form für wertschöpfende Bereiche verfügbar zu machen. Die Zusammenfassung von
rechtlichen Beratungstätigkeiten innerhalb eines Konzerns in Shared Services sind
dafür Beispiele.
Was überwiegt denn in der Praxis: Center of Scale oder Center of Expertise?
Ursprünglich wurde die Organisationsform zur Kostensenkung genutzt und daher
überwiegen meines Erachtens die klassischen Shared Services in Bereichen wie
etwa IT, Einkauf und Personal zur Kostenreduzierung. Man kann aber auch in vielen
Unternehmen, die mit der Organisationsform geübt sind, Entwicklungsformen dieser
Services hin zu Centern of Expertise erkennen. Unternehmensbefragungen zeigen,
dass zu Beginn der Einführung von Shared Services zumeist Kostenziele im Mittelpunkt stehen und mit zunehmender Erfahrung der Unternehmen mit der Organisationsform Service- und Qualitätsziele gleichbedeutend werden.
Was ist aus Ihrer Sicht bei der Einführung von Shared Services besonders
wichtig?
Wenn ich an meine praktische Erfahrung mit Shared Services zurückdenke und mir
die neuen Entwicklungen in den Unternehmen ansehe sind vor allem fünf Dinge
bei der Einführung wichtig: Zunächst – und das gilt nicht nur für die Einführung von
Shared Services – ist die umfassende Unterstützung des Top Managements wichtig. Solche tiefgreifenden organisatorischen Veränderungen funktionieren nur, wenn
die Unternehmensleitung das aktiv unterstützt und die Ziele der Organisationsform
offen kommuniziert. Häufig empfinden Mitarbeiter die Einordnung in Shared Services
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Prof. Dr. Andreas Wiesehahn,
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als eine Herabstufung, weil es scheinbar „nur noch“ um standardisierbare Prozesse
geht. Dem muss aktiv von Seiten des Managements entgegengewirkt werden. Damit
geht einher, eine Kultur des Change Managements im Unternehmen zu schaffen.
Was meinen Sie damit genau?
Nun, damit ist gemeint, dass die Organisation eine Kultur schafft, bei der Veränderungen natürlich, normal, akzeptiert und die Regel und nicht die Ausnahme sind.
Hierzu ist nach meiner Erfahrung ehrliche Kommunikation und das Ernstnehmen der
Erwartungen und Wünsche von Mitarbeitern und Meinungsgruppen im Unternehmen
sehr wichtig. Bei der Einführung von Shared Services ist es zudem notwendig einen
Business Case aufzustellen und diesen bei der Umsetzung im Sinne eines Planes zu
befolgen. Während des Prozesses ist dann regelmäßig die aktuelle Performance mit
dem Case abzugleichen um sicherzustellen, dass man auf einem guten Weg ist. Als
Viertes ist der Schlüssel zum Erfolg die Standardisierung und Automatisierung. Ich
habe mit Unternehmen zusammengearbeitet, bei denen immer wieder über Sonderlösungen nachgedacht wurde die individuell und wenig standardisierbar waren. Das
geht in die falsche Richtung. Ausgangspunkt muss es sein mit den internen Kunden
Standards abzustimmen, die 95% der Kundenanforderungen umfassen, sonst wird
das Ganze nicht wirtschaftlich. Und schließlich sollte bei der Umsetzung mit Bereichen begonnen werden, bei denen sich schnelle Erfolge zeigen. Solche Quick Wins
helfen natürliche Argumente für Shared Services in der Organisation zu schaffen.
Lassen Sie uns über Controlling und Shared Services sprechen. Passt das
denn zusammen? Controllingtätigkeiten sind doch wenig standardisierbar
und damit passt die Organisationsform doch nicht, oder?
Wenn wir uns die Prozesse eines modernen Controllings ansehen, so sind nicht alle
gleichermaßen geeignet für Standardisierung, das stimmt. Es lassen sich heute etwa
zehn Hauptprozesse im modernen Controlling unterscheiden. Dazu gehören zum
Beispiel die Strategische Planung, die Operative Planung und Budgetierung, das Forecasting, das Management Reporting und natürlich auch die Management Beratung
und das Weiterentwickeln der Organisation. Diese Prozesse haben unterschiedliche
Potenziale für Shared Services.
Welche Controllingtätigkeiten sind denn aus Ihrer Sicht für Shared Services
besonders geeignet?
Das Management Reporting ist ein guter Einstieg in das Thema. Die Erstellung und
das Bereitstellen von Finanzberichten ist ein Prozess der sehr stark standardisiert
werden kann. Häufig ist das in Unternehmen nicht der Fall, weil sich etwa Reportingzyklen und –gestaltungen für die Einheiten unterscheiden, aber das kann nach
meiner Erfahrung sehr gut standardisiert werden.
Ist das Theorie oder auch in den Unternehmen erkennbar?
Das zeigt sich auch in der Praxis: Henkel oder auch die Deutsche Telekom sind
Unternehmen die diesen Prozess bereits sehr früh angegangen sind. Häufig wird das
unter dem Begriff Reporting Factory gebündelt und meint aber nichts anderes als die
Standardisierung von Reportingtätigkeiten in einer Organisationseinheit und damit
Shared Services.
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Welche Auswirkungen hat das auf die klassischen Controllingtätigkeiten?
Nun, aus Sicht Controlling ist das eine Arbeitsentlastung. Der Mehrwert den Controller in einer Organisation leisten können und müssen liegt dann nämlich nicht mehr
in der Erstellung von Reports. In reifen Controllingorganisationen ist das mit moderner IT sehr stark automatisiert. Der Controller muss dann vielmehr durch genaue
Analyse, Entwicklung von Szenarien und Maßnahmen und schließlich die Beratung
des Managements helfen, die Organisation weiter zu entwickeln. Damit ist aber das
echte Verstehen des Geschäftsmodells notwendig und es sind klassische soft skills
bei den Controllern wichtig. Dies ist auch für die Aus- und Weiterbildung bedeutsam:
im ersten Schritt ist solides Finanz- und Methodenwissen notwendig aber im zweiten
Schritt sind es soziale Kompetenzen die Controller brauchen um in der Praxis als
Business Partner akzeptiert zu werden. Kommunikations-, Präsentations- und Überzeugungsfähigkeiten werden zunehmend Kernkompetenzen des Controllers.
Professor Wiesehahn, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Dr. Andreas Wiesehahn ist seit 2010 Professor für Rechnungswesen und Controlling an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg am Campus Sankt Augustin. Von
2006 bis 2009 war er Finanzverantwortlicher für den deutschen und französischen
Fuhrpark der Deutschen Post DHL als Kaufmännischer Geschäftsführer der DP
Fleet GmbH (~ 70.000 Fahrzeuge, ~ 650 Mio. EUR Anlagevermögen). Von 1999 bis
2005 war er in verschiedenen Positionen, u.a. als Referent und Abteilungsleiter für
Konzerncontrolling, IT-Controlling und Einkaufscontrolling, bei Deutsche Post DHL, in
der Zentrale in Bonn tätig. In der Zeit von 1994 bis 1999 arbeitet er als wissenschaftlicher Angestellter am Lehrstuhl Industriebetriebslehre der Universität Dortmund wo
er auch promovierte.
Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Shared Services, Nachhaltigkeitscontrolling und Nachfolgecontrolling. Er hat mehr als 30 Artikel
veröffentlicht und ist Herausgeber der Schriftenreihe für anwendungsorientiertes
Controlling. Prof. Dr. Wiesehahn ist u.a. Vorstand des BRS Institut für Internationale
Studien, Mitglied im Arbeitskreis für Controlling der Hochschullehrer, im Führungsteam des Arbeitskreises Transport & Logistik des Internationalen Controller Vereins
und im Unternehmensbeirat des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften engagiert.
Er berät Unternehmen zu allen Fragestellungen des anwendungsorientierten Controllings.
Kontakt: [email protected]