STUDIEREN ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN

STUDIEREN ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN Studentisches Kolloquium im Wintersemester 2015/16 Sitzung 1: »Ein Appell an diejenigen, die mit der Universität zu tun haben im Hinblick darauf, eine andere aus ihr zu machen« 20.10.2015 Protokoll: Christian Steinau Ankunft über den Dächern der Freien Universität Am 20. Oktober 2015 fand um 19:00 Uhr die erste Sitzung des von der Fachschaftsinitiative des Peter Szondi-­‐Instituts organisierten Studentischen Kolloquiums statt. Im Unterschied zu der alltäglichen Seminaratmosphäre dient das kleine PI-­‐Café im dritten Stock der Rost-­‐ und Silberlaube der Freien Universität Berlin als Veranstaltungsort. Vom PI-­‐Café aus lässt sich eine große Terrasse betreten, von der aus man den funktionalen Bau des Hauptgebäudes der Universität gut überblicken kann. Im Dunkeln leuchtet der von Norman Foster konzipierte Gehirn-­‐Bunker der Philologischen Bibliothek. Noch vor wenigen Wochen wucherte ein sattes Grün im Außenbereich des Cafés, nun stehen die Pflanzen zum Schutz vor der Kälte überall im Raum verteilt. Zu einer leichten Hintergrundmusik treffen die Studierenden ein. An einem Tisch, der für die Gäste des heutigen Abends vorgesehen war, bitten drei Studierende noch schnell ihre Referatsvorbereitung beenden zu können. An der Veranstaltung nahmen einundzwanzig Teilnehmer*innen teil. Erfreulicherweise war mit Irene Albers ein Mitglied der Professor*innenschaft vertreten. Ohne in das Arrangement des Cafés einzugreifen, nahmen die Anwesenden auf Sofas an den Fensterwänden des Cafés oder den zweckmäßig zusammengestellten Stühlen Platz. Von »oben« auf den Alltag schauen Zur Begrüßung erläutert Jonas Skell von der Fachschaftsinitiative das Anliegen des Studentischen Kolloquiums in diesem Wintersemester. In Anspielung an das Pi-­‐Café, das sich im obersten Stockwerk der Rost-­‐ und Silberlaube der Freien Universität befindet, spricht der studentische Vertreter von einem »frischen Wind«, der durch das Kolloquium in das Studium Einzug halten soll. Seiner Ausführung nach bietet der Ort über dem Ganglabyrinth der Freien Universität die Möglichkeit, sich dem Uni-­‐Alltag für einen kurzen Moment enthoben zu fühlen. Wie Jonas weiter ausführt, verfolgt das Kolloquium zwei Stränge: Erstens soll das Kolloquium allen Studierenden offen stehen, um ganz praktische Fragen des Studiums zu äußern (z. B. Was studiere ich überhaupt? Was meint »Allgemeine« und »Vergleichende« Literatur-­‐»Wissenschaft«? was kann man mit dem Studium mal machen? Lohnt sich ein Praktikum, wenn ja welches?). Zweitens verfolgt das Kolloquium aber auch ein theoretisches Interesse, das sich mit den Möglichkeiten des literaturwissenschaftlichen Arbeitens beschäftigt. Es ist ein Anliegen der Fachschaftsinitiative, Freiräume innerhalb des Studiums der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft aufzuzeigen und den Zusammenhalt unter den Studierenden zu stärken, sodass diese auch aktiv an der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft und derjenigen des Instituts teilhaben können. Darüber hinaus versucht die Fachschaftsinitiative einen Raum zu eröffnen, an dem sich Studierende aus unterschiedlichen Fachsemestern als auch Studierende und Mitglieder des Lehrkörpers austauschen können. Gerade in Hinblick auf das Institutsjubiläum im Dezember 2015 sollen die von den Studierenden aufgeworfenen Fragen historisch zu deuten versucht werden. Die Gäste des heutigen Abends Nach der frei vorgetragenen Einführung erläutert der studentische Vertreter im Institutsrat Paul Wolff das auf den ersten Blick recht umständliche Zitat des französischen Philosophen Gérard Granel, das der Sitzung als Titel vorangestellt wurde: »Ein Appell an diejenigen, die mit der Universität zu tun haben im Hinblick darauf, eine andere aus ihr zu machen«. Es folgt eine Vorstellung der beiden Gäste Rosa Baumgartner und Benjamin Schlodder, die beide kurz vor ihrem Masterabschluss stehen. Wir danken Rosa und Ben für ihr langjähriges Engagement in der Fachschaftsinitiative. Unter ihrer maßgeblichen Mitarbeit wurde im Jahr 2013 ein erster Institutstag realisiert. Des Weiteren war die Arbeit der Fachschaft in den letzten Jahren durch die Solidarität mit prekär beschäftigten Wissenschaftlern am Institut geprägt. Rosa war vier Jahre lang offiziell gewähltes Mitglied des Institutsrats. Rosa und Ben wurden von den neuen Mitgliedern der Fachschaft aufgrund eines Textes eingeladen, den sie unter dem Titel Generation BA-­‐MA oder die Frage nach dem Anspruch über Probleme der aktuellen Studiensituation geschrieben haben und der als Diskussionsgrundlage im Vorfeld der Sitzung auf Facebook und dem Blog der Fachschaft zur Verfügung gestellt wurde. Als in die Runde gefragt wird, wer den Text gelesen habe, gehen erstaunlich viele Hände nach oben. Rückblickend die eigene Situation analysieren Rosa und Ben beginnen ihre Ausführungen mit einem Rückblick auf ihr Engagement für die Fachschaft. Sehr lange haben sie versucht, sich einzubringen und institutspolitisch mitzumischen. Durch ein im Vorfeld des Institutsjubiläums im Dezember realisiertes Forschungsprojekt unter Leitung von Irene Albers haben Rosa und Ben die Möglichkeit begrüßt, ihr vergangenes Engagement durch eine abstraktere Reflexion zu ergänzen. Aus diesem Grund stellt ihr Text sowohl einen Versuch als auch einen Beitrag dar, »die aktuelle Studiensituation zu aktualisieren«. Da der Text sowohl auf Facebook als auch auf dem Blog der Fachschaft zum Download zur Verfügung gestellt ist, wird an dieser Stelle auf eine Zusammenfassung desselben verzichtet. Rosa und Ben eröffnen ihre Argumentation von der Beobachtung ausgehend, dass es zu ihrer Studienzeit eine »spürbare Nostalgie zum Magistersystem« gegeben habe. Grundsätzlich sei die Einführung des Bachelor-­‐ und Mastersystems in der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU als Bruch empfunden worden. Rosa und Ben erweitern ihre These dahingehend, dass es weiterhin eine Diskrepanz zwischen der idealisierten Vorstellung des Studiums und den realen Studien-­‐ bzw. späteren Arbeitsbedingungen für Literaturwissenschaftler gäbe. Denn während in den Seminaren abstrakte, hoch komplexe und sehr häufig theoretische Überlegungen angestellt werden, schreibt die Prüfungsordnung für Bachelor-­‐Studierende bereits verpflichtende Praxisseminare vor, in denen im Gegensatz zu den anderen Veranstaltungen auf die ›Anwendung‹ der gelernten Theorie und eine (in den Worten Rosas und Bens) »Verwertung« des Gelernten für den Kulturbetrieb erprobt werde. Auf der einen Seite treten die Gäste dafür ein, die eigenen »Ansprüche« aus dem Studium in der Kunst und Kultur durchzusetzen. Gleichzeitig stellt das Festhalten an einem nicht weiter definierten »Anspruch« die Studierenden auch vor Herausforderungen. So sprechen mehrere Studierende in der Folge sich endlos türmende Leselisten und das Gefühl an, in vielen Seminaren nicht die notwendigen Voraussetzungen mitzubringen. In diesem Zusammenhang wird von Seiten der Studierenden bemerkt, dass im Studium der AVL auf die eine oder andere Weise das Gefühl vermittelt wird, dass es einen »Kanon« gibt. Jedoch sagt ein Student, dass es den Anschein hat, dass keiner den Anspruch des, das Studium mit konstituierenden, Kanon »Kanon« nennen oder verschriftlichen möchte. Dennoch herrsche der Eindruck vor, dass viele Themen, Theorien und Theoretiker in weiterführenden Seminaren vorausgesetzt werden. Da die Frage nach dem Kanon und dem Wissen, das Literaturwissenschaftler in ihren ersten Studienjahren erwerben sollten, noch einmal in einer Sitzung mit Rosa Eidelpes am 01. Dezember diskutiert werden soll, wurde an dieser Stelle der Diskussion versucht, das Thema auf die spätere Sitzung Anfang Dezember zu verschieben. Dennoch kann ein Redebeitrag eines jungen Masterstudenten als bezeichnend gelten, der sagt, dass er bis jetzt in keinem Seminar Foucault lesen musste, aber den Eindruck hat, dass in jedem Seminar ein gewisses Wissen über »Foucault« vorausgesetzt werde. Anhand dieses Diskussionsthemas kann bereits verdeutlicht werden, dass Rosas und Bens Thesen nur zum Einstieg in ein offenes Gespräch gedacht waren, an dem sich möglichst viele Studierende beteiligen sollten. Erfreulicherweise wurde das Angebot auch von vielen Studierenden angenommen. Betreuungssituation So scheinen sich die anwesenden Studierenden auch in Hinblick auf die miserable Betreuungssituation und mangelhafte Kritik der von ihnen eingereichten Referate und Hausarbeiten einigen zu können. So berichten mehrere Diskutanten, dass Kritik auf Hausarbeiten alles andere als selbstverständlich ist. Vielmehr müsse diese aktiv von den Studierenden eingefordert werden. Eine Masterstudentin erzählt, dass ihr leider viel zu spät aufgefallen ist, dass sich eine fehlende Kritik im Bachelor später im Masterstudium »rächt«. Rückblickend bereut sie, während ihres Grundstudiums nicht mehr Kritik aktiv eingefordert zu haben. Viele Studierende berichten, dass sie ihre Seminare bei Privatdozenten oder Dozenten absolviert haben oder noch absolvieren, die nur über Lehraufträge an der Universität beschäftigt sind. Gerade für diese Lehrenden stellt die Beurteilung von Hausarbeiten eine Praxis dar, die von Seiten des Instituts unentgeltlich von ihnen gefordert wird. Auch aus diesem Grund kann eine angemessene Kritik auf Hausarbeiten nicht als Normalität angesehen werden, obwohl sie im Interesse der Studierenden und des Instituts sein sollte. Dennoch kommt die Frage auf, ob gute Lehre karriereschädigend sei. Fest steht, dass sie arbeitsintensiv ist. Außerdem zählen im Hinblick auf die eigene akademische Zukunft Veröffentlichungen. In diesem Zusammenhang wird ein weiterer Punkt angesprochen, der von einem Masterstudenten als »Desengagement Pakt« beschrieben wird und eine inflationäre Notenvergabe kritisiert. So erscheint es dem Studierenden so, als ob das Spektrum der Noten am Institut nur von 1,0 bis 1,7 reiche. Es wird vermutet, dass auch die Notenvergabe »systembedingt« ist und die Funktion einer Arbeitsvermeidungsstrategie erfüllt. Grundsätzlich stelle die ständige Benotungspraxis im Bachelorstudium einen Unterschied zur Organisation des Magisterstudiums dar, in dem hauptsächlich die Magisterarbeit sowie die Abschlussprüfung zählten. Heute gehe dagegen jede Note ins Studium ein, sodass sich die Studierenden in einer permanenten Prüfungssituation und die Lehrenden in einer permanenten Benotungssituation befinden. Systemzwänge, andere Widrigkeiten und Handlungsmöglichkeiten In der Diskussion wird einstimmig Unmut über strukturelle Zusammenhänge geäußert, die das Studium der AVL akut beeinflussen. Beispiele sind das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sowie die omnipräsente Unterfinanzierung der Institute, die das zuvor diskutierte Betreuungsverhältnis stark beeinträchtigen. Die Studierenden beklagen, dass es kaum möglich sei, Beziehungen zur ihren Lehrenden aufzubauen, da viele Dozenten nur mit einem befristeten Lehrauftrag beschäftigt sind. Unter dieser Bedingung ist eine gute Betreuung der Studierenden allzu oft von der Aufopferungsbereitschaft einzelner Dozent*innen abhängig. Am Szondi-­‐Institut kommt die erschwerende Situation hinzu, dass lange Zeit zwei Lehrstühle vakant waren. In Zukunft ist anzunehmen, dass die bereits sehr große Überbuchung von 100% bei gleichzeitiger Verringerung des Numerus Clausus noch zunehmen wird. In der Diskussion fallen Begriffe wie »Rahmenbedingungen« und »Systemzwänge«. Dennoch heben Ben und Rosa hervor, dass es nichtsdestotrotz Handlungsspielräume gebe. Sie sprechen die Neuregelung der Rahmenstudien-­‐ und Prüfungsordnung RSPO an, die tatsächlich den einzelnen Instituten vorbehalten war. Des Weiteren geben Rosa und Ben zu bedenken, dass man zwar das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht ändern könne, dennoch aber an den einzelnen Lehrstühlen die Möglichkeit bestehe, unbefristete Stellen zu schaffen. So habe zum Beispiel die Technische Universität Berlin in den letzten Jahren ihre Beschäftigungspolitik aktiv geändert. Allgemein wird von den Diskutierenden anerkannt, dass an Universitäten beschäftigte Forscher*innen heute unter einem permanenten Innovationsdruck stehen. Wohl auch aus diesem Grund stellt die anwesende Professorin die Frage, nach der Zweckdienlichkeit unbefristeter Verträge So gebe es grundsätzlich nur wenig Stellen und mit der Zeit stießen neue Nachwuchswissenschaftler*innen hinzu, denen von Seiten der Professor*innen auch die Möglichkeit gegeben werden soll, sich zu qualifizieren und Erfahrungen zu sammeln. Hier wird rückblickend auf die bis vor wenigen Dekaden noch sehr häufige Stellenbezeichnung des Akademischen Rats verwiesen, dessen Hauptverantwortung in der Lehre lag. Allerdings heißt es aus persönlicher Erfahrung der anwesenden Professorin, dass man als engagierte Student*in nicht in die Seminare dieser Hochschullehrer*innen gegangen sei. Erneut sprechen Rosa und Ben ihr beherztes Engagement für den Privatdozenten Gregor Gumpert an. Durch das Engagement der Fachschaftsinitiative konnte erreicht werden, dass die vakante Professur Menninghaus kontinuierlich von Herrn Gumpert vertreten wurde. Die rosige Zukunft einer Literaturwissenschaftler*in Rosa und Ben erwähnen, dass eine akademische Karriere sowohl von Seiten der Studierenden als auch von Seiten mancher Lehrenden »als reine Selbstgefährdung« (Bunia) wahrgenommen wird. Diese Frage hängt nach Meinung der Gäste mit der Art und Weise zusammen, in der an der Universität über 'Literatur' geredet wird. Deutlich wird, dass sie von der Vorstellung ausgehen, dass es einen ›Innenraum‹ der Universität gibt, an der ›wissenschaftlich‹ und ›abstrakt-­‐
theoretisch‹ über Text-­‐ und Zeichenzusammenhänge geredet wird, der aber in einem starken Widerspruch zum ›Außerhalb‹ eines literatur-­‐ oder kulturwissenschaftlichen Instituts steht. Aus diesem Grund müssen sich die Studierenden laut Meinung von Rosa und Ben fragen, welchen Begriff von Bildung sie haben und wie sich ihr persönliches, vielleicht auch elitäres oder selbstbewusstes Selbstverständnis als Literaturwissenschaftler*in in den »Kulturbetrieb« übernehmen lässt. In der anschließenden Diskussion ihres Arguments wurde von Seiten der Studierenden sowohl Stimmen für und wider Praxis-­‐Seminare am Institut geäußert. Es wird deutlich, dass die Studierendenschaft in dieser Hinsicht keine einheitliche oder homogene Gruppe darstellt, sondern das Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft aus z. T. sehr unterschiedlichen Gründen begonnen hat oder abzuschließen gedenkt. Von Seiten vieler Studierender werden die unfairen Arbeitsbedingungen in Praktika hervorgehoben. Das anwesende Mitglied des Lehrkörpers lobt hingegen die sinnvolle Möglichkeit, seinen Horizont durch ein gezieltes Praktikum zu erweitern bzw. sich in eine andere Richtung zu orientieren. Von Seiten einiger Studierenden wird angemerkt, dass es wünschenswert wäre, im Rahmen des Studiums über die »außeruniversitäre Welt« zu diskutieren. Beispielhaft wurde dies in den 1980er Jahren in mehreren autonomen Seminaren realisiert, die unter anderem von der langjährigen Privatdozentin Hella Tiedemann geleitet wurden. Eines dieser Seminare hieß schlichtweg »Kulturtheorie« und sei sehr adornitisch geprägt gewesen. Der Anspruch dieses Seminares sei es gewesen, die Studierenden für den »Kulturbetrieb« zu verderben. Als Reaktion erzählt ein anderer Student von einem Abendessen mit einem Professor aus der Kunstgeschichte, der freilich aus seiner professoralen Position sagte, dass er keinem Studierenden raten würde ein Praktikum zu machen. Wieder eine andere Studentin berichtet, dass sie durch ein von einem Gast aus der Berliner Theaterszene geleiteten Praxisseminar tief verunsichert wurde und über ein Studienwechsel nachdenkt. So wird den Studierenden in besagtem Praxisseminar eingebläut, dass man für seinen Beruf »brennen« müsse, sonst hätte man keine Chance auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt. Ironisch wirft ein Student ein, dass man nun von der »Fremd«-­‐ zur »Selbstausbeutung« übergegangen sei. Um aufzuzeigen, dass man als Studierender durchaus auch eine gewisse Handlungsspielraum hat, erzählt ein Student eine Anekdote: Bei einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum in einem kleinen unabhängigen Verlag sei er zu Beginn des Gesprächs gebeten worden, sich noch einmal vorzustellen. Dieses wertete der Student als Respektlosigkeit und beschwerte sich, sodass das Bewerbungsgespräch allmählich in ein Streitgespräch überführte, in dem der Student unterstrich, nach einem BA-­‐Abschluss nicht mit dem unentgeltlichen Lesen uneingefordert eingesandter Manuskripte und simplen Botengängen zufrieden zu sein. Ein anderer Student erzählt, dass er ein Praktikum nach Einführung des Mindestlohns abgesagt hat, da die Buchhandlung, in der das Praktikum hätte stattfinden sollen, ihn davon überzeugen wollte, dass eine Bezahlung mit dem Mindestlohn nicht mehr möglich sei. Dennoch gab es auch weitere positive Beispiele aus der »Praxis« zu hören. So erzählte ein Student von einem Straßenprojekt, bei dem er Nachbarskindern in seinem Kiez »Literatur vermittelt« und Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu einer persönlichen Lektüre verschafft. Ein weiterer Umstand, der in der Diskussion angesprochen wird, ist, dass sich durch die Veränderungen der Studienbedingungen auch die zu erwartenden Berufsperspektiven verändert haben. So war die AVL in Vergangenheit als ein Aufbaustudium nach dem Studium einer oder mehrerer Nationalphilologien gedacht gewesen. Deswegen konnten Studierende der AVL damals auch leichter als Übersetzer arbeiten. Diese Berufsperspektive ist für die meisten Studierenden heute weggefallen, wodurch der Kulturbetrieb in den Aussagen einer Diskutantin nur »noch größer und ominöser« geworden ist. Fazit Rosa ist der Meinung, dass am Institut bzw. an der Uni die Vorstellung herrscht, dass Wissenschaft nichts mit Politik zu tun habe. Diese Vorstellung entspreche aber nicht der Realität. Aus dem Beitrag einer anderen Studentin ist eine gewisse Frustration zu entnehmen. Sie fragt sich, wieso sie sich überhaupt engagieren sollte, wenn von Seiten des Instituts wenig Entgegenkommen zu erwarten ist. In der Diskussion wurde von einem Masterstudenten noch ein weiterer Punkt angesprochen, der bisher nicht erwähnt wurde. So beklagt dieser eine von ihm empfundene »Vereinzelung«. Er sagt, dass er das Gefühl hat, sich selbst bzw. seine Kommilot*innen als »Einzelkämpfer*innen« in eigener Sache zu sehen. Dieser Umstand wirkt sich auf die Studiensituation aus. Aus diesem Grund ist das Interesse der jungen Studierenden zu begrüßen, die sich darüber Gedanken machen, ob das Studium der AVL mit einer gewissen Eigen-­‐Identität verbunden ist bzw. sich Fragen nach Haltungsoptionen und zu realisierenden Austauschmöglichkeiten stellen. So diente die heutige Diskussion auch der Klärung der Frage, ob denn die diversen Meinungen der Studierenden auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden könnten, sodass es der Fachschaft in Zukunft möglich sei, im Namen der Studierenden zu artikulieren, wofür die Studierenden der AVL einstehen wollen. Bereits Peter Szondi überließ seinen Studierenden viel Verantwortung in der Mitgestaltung der Lehrplanung. Auch wurde in den 1980er Jahren die feministische Literaturwissenschaft insbesondere von den Studierenden gefordert. In der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die Fachschaft auf den nächsten Institutsrat eine allgemeine Vorstellung aller Professor*innen und Mitarbeiter*innen auf den nächsten Einführungstagen für Erstsemester fordern wird. Zum Abschluss der Sitzung liest ein Vertreter aus der Fachschaft ein die Literaturwissenschaft betreffendes Zitat aus Michel Houllebecqs Roman Unterwerfung vor, das für allgemeine Belustigung sorgt:
»Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaften führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer für die begabtesten Studenten zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften. Wir haben es hier im Grunde mit einem recht ulkigen System zu tun, das kein anderes Ziel hat, als sich selbst zu erhalten; die über 95 Prozent Ausschuss nimmt man in Kauf.«
Der Protokollant hatte den Eindruck, dass die diskursive Erschließung eines Problemfelds, das zu lösen unmöglich ist, dem man sich aber dennoch annähert, seiner eigenen Vorstellung des Studiums der AVL äußerst angemessen ist.