Wie bekommen Schüler Einfluss auf den

PADAGOGIK
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PÄDAGOGIK 7 – 8/09
1&
Padagogik
61. Jahrgang
Heft 7-8/2009
..
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◼
Thema 1
Schülerbeteiligung
Moderation: Johannes Bastian
Johannes Bastian
Schülerbeteiligung lernen
Lern- und Schulkultur gemeinsam entwickeln
6
10
14
Gerhard Leisenheimer
Der Klassenrat als Basis der Schülerbeteiligung
Wie kann Mitbestimmung und Mitverantwortung in eine verbindliche Form
gebracht werden?
Hans Berkessel
Schüler am Fachunterricht beteiligen
Rollenspiele als Methode zur Beteiligung nutzen
Mats Ekholm
Wie bekommen Schüler Einfluss auf den Unterricht?
Mehr Beteiligung durch Beobachtung und Rückmeldung
20
24
Regine Bondick/Silke Jessen/Heike Klamroth
Schüler und Eltern an der Reflexion der Lernentwicklung beteiligen
Das Beispiel Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräche
29
Wolfgang Beutel
Schülerbeteiligung in Projekten
Zum Wechselspiel von Projektlernen, Demokratiepädagogik und Partizipation
32
Hannelore Weimar/Paul Wellenreuther
Beteiligung und Schulentwicklung
Wie Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam Schule entwickeln
36
Hans Berkessel
Schülerpartizipation und Demokratiepädagogik
Ein Überblick über Literatur und Materialien
Beitrag
Silke Werner/Katharina Maag Merki/
Antje Ehlert
Unterrichtszentrierte
Kooperation in der Praxis
Konzept und praktische Umsetzung in den
Lehrerteams
70
◼
80
PÄDAGOGIK 7 – 8/09
PÄDAGOGIK : KONTROVERS
Veröffentlichungspflicht für
Ergebnisse der Schulinspektion?
PRO: Armin Grams
CONTRA: Marianne Demmer
◼
74
◼
Serie
Kompetenzorientierung in der Diskussion
3. Folge
Hans Werner Heymann
Kompetenz- und Standardorientierung
im Mathematikunterricht
Intentionen, Umsetzungen, Wirkungen
Rezensionen
84
Beate Proll
Gesundheitsförderung in der Schule
87
Jörg Schlömerkemper
Empfehlungen
◼
Thema 2
Erinnern
Moderation: Peter E. Kalb
Peter E. Kalb
40
Die Arbeit mit dem Erinnern
Cornelia Rühlig
42
Außerhalb des Klassenzimmers …
Ein Plädoyer für Projektarbeit
Aysegül Esmer
46
Konzentrationslager Buchenwald
Die Arbeit mit Themenkisten bei Gedenkstättenbesuchen
Britt Düker/Mitja Lüderwaldt
50
Spurensuche Holocaust
Das Beispiel der Deportation von Frankfurt am Main nach Minsk
Peter E. Kalb
54
Nicht nur Fakten – auch sinnliches Erleben
Gespräch mit dem Kinder- und Jugendbuchautor Klaus Kordon
Wolfgang Benz
58
Wie kann man Jugendliche für das Thema Nationalsozialismus gewinnen?
Natan Sznaider
62
Der Holocaust im transnationalen Gedächtnis
Micha Brumlik
66
Was heißt Erinnerungskultur – im Zeitalter der Globalisierung?
◼
Magazin
88
89
89
90
90
90
91
91
◼
Der dritte Pädagoge
Gesten fördern möglicherweise die
Sprachentwicklung
Vielfalt-Entdecker gesucht
Deutscher Schulpreis 2010
Von Fakten ungetrübt
Weiterbildung in Unternehmen
Zahl der Abiturienten steigt
Gefahren und Risiken der digitalen Medienwelt
91
91
92
92
92
94
95
98
82
Leselampen für afrikanische Schüler
Sprachen vom Aussterben bedroht
Zahl der Berufsschüler konstant
Türkische Mädchen werden schlechter benotet
Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem
Materialien
Termine
Impressum
Einzelheftbestellung
P.S.
Reinhard Kahls Kolumne
Kuchen backen
96
PÄDAGOGIK 7 – 8/09
Thema
Schülerbeteiligung
■ Wie bekommen Schüler Einfluss
auf den Unterricht?
Mehr Beteiligung durch Beobachtung und Rückmeldung
Schülerrückmeldung kann als wesentlicher Teil von Schülerbeteiligung verstanden werden. Wichtig für Rückmeldungen
ist die Fähigkeit zur Beobachtung dessen, was im Unterricht
geschieht. Wie lassen sich solche Fähigkeiten zur Rückmeldung ausbilden? Der Erfahrungsbericht konkretisiert an
einem Beispiel aus Schweden, wie die Entwicklung der Beobachtungsfähigkeit von den Lehrkräften systematisch unterstützt werden kann.
Mats Ekholm
Schon seit Wochen hatte sich die Klasse
auf ihr Klassenfest gefreut, ein Komitee
hatte den Abend intensiv vorbereitet.
Am Vormittag des Tages, an dem das
Fest stattfinden soll, steht jetzt noch der
Besuch eines Konzertes auf dem Plan.
Als die Klasse nach dem Konzert in ihren Raum zurückkehrt, kommt der
Klassenlehrer, der selbst nicht dabei
war, aufgebracht herein. Er wirft den
Jugendlichen vor, sie hätten das Konzert gestört und – was noch schlimmer
sei – einige von ihnen hätten sich unverschämt gegenüber einer Lehrerin
benommen. Der Klassenlehrer ist enttäuscht, dass er sich nicht auf die Klasse
verlassen könne und verlangt, dass das
Klassenfest abgesagt wird. Die Klasse
reagiert empört. Sie verlangt, dass der
Klassenlehrer den Namen der Schüler
oder Schülerinnen nennt, die das Konzert gestört hätten, damit diese allein
die Konsequenzen für ihr Handeln zu
tragen hätten. Heftig protestiert die
Klasse dann gegen die vom Lehrer angekündigte Kollektivbestrafung. Der Lehrer bricht die Diskussion ab und bittet
alle Schülerinnen und Schüler auf einen
Zettel aufzuschreiben, was sie in dieser
Situation empfinden und wie sie sich
fühlen. Ein Schüler schreibt:
Ich find das echt kindisch. Am liebsten würde ich mich melden und sa-
20 PÄDAGOGIK 7 – 8/09
gen, dass ich es war. Aber ich habe es
ja nicht gemacht. Begreifen die denn
nicht, dass wir heute Abend ein Klassenfest haben wollen? Ich könnte dem,
der das gemacht hat, eine runterhauen.
Aber vielleicht hat das ja gar keiner
aus unserer Klasse gemacht. Wie will
die (Lehrerin) denn wissen, dass es jemand von uns war. Wir haben bei der
doch gar keinen Unterricht. Denk doch
mal an die, die das Klassenfest organisiert haben. Das ist alles einfach lächerlich, widerlich, kindisch, blödsinnig, idiotisch. Bläähhhhh!!
Hintergrund dieser Auseinandersetzung war eine mehrwöchige projektartig angelegte Unterrichtsreihe
über moralische Überzeugungen,
zwischenmenschliche Beziehungen,
Empathie und Gemeinschaftsgeist.
Durch eigene Erkundungen, Untersuchungen und Experimente hatten die
Schüler herausgefunden, in welchen
Situationen bestimmtes Handeln zu
Vertrauen, Enttäuschung, Sicherheit
und Angst führen kann. Der Lehrer
betreute die Klasse während des Experiments, half ihnen bei der Konstruktion von Umfragen.
Am Tag vor dem Klassenfest hatte
der Lehrer sich dazu entschlossen,
vor der Klasse so aufzutreten, wie er
und andere Kollegen das früher schon
einmal bei Störungen von Schülern
gemacht hatten. Nur trat er diesmal
ohne jeden sachlichen Grund auf,
denn die Schülerinnen und Schüler hatten weder das Konzert gestört
noch die Lehrerin beleidigt …
Durch seine Behauptungen und
durch das unangemessene Ausnutzen seiner Macht hatte der Lehrer nun
eine Reaktion in der Klasse hervorgerufen, die es ermöglichte, sein eigenes
Verhalten und Auftreten in der Klasse
in Frage zu stellen und moralische und
ethische Forderungen zu diskutieren.
Dadurch, dass er keine Realsituation,
sondern ein Experiment wählte, erreichte der Lehrer, dass er mit seinen
Schülerinnen und Schülern sprechen
konnte, ohne sich ständig verteidigen
zu müssen oder laut zu werden.
Nachdem die Klasse ihre Reaktionen aufgeschrieben hatten, erklärte
der Lehrer, seine Behauptungen seien
nur erfunden gewesen. Die Schüler
lasen nun vor, was sie als unmittelbare Reaktion notiert hatten, erklärten
ihre Reaktionen und diskutierten über
das Verhalten ihres Lehrers. Die Diskussion schloss mit der Erklärung des
Lehrers, dass das Klassenfest natürlich
nicht abgesagt wurde, sondern wie geplant stattfinden sollte. Jubel!
Lehrkräfte brauchen Rückmeldung
Schülerbeteiligung hat Voraussetzungen. Eine zentrale Voraussetzung
Schülerbeteiligung
dafür, dass Lehrkräfte ihre Arbeit gut
machen, ist, dass sie wissen, wie Lehrund Lernprozesse bei Schülern ablaufen, wie sie sie beeinflussen und gestalten können und wie Lernen bei
Kindern und Jugendlichen »funktioniert«. Denn Lernprozesse in der
Schule beruhen auf Gegenseitigkeit
und gemeinsamer Arbeit. Um Lernprozesse so wirkungsvoll wie möglich
anzulegen, müssen Lehrer die Lerngewohnheiten und -strategien der Schüler sowohl in sachlichen wie auch in
sehr persönlichen und emotionalen
Begegnungen kennenlernen und herausfinden, welcher Grad von Herausforderung das Lernen stimuliert.
Zum Verständnis von Lernprozessen auf der Grundlage von Gegenseitigkeit gehört auch, dass Lehrkräfte
die Klasse über die Lernziele und die
Inhalte der nächsten Zeit informieren. Das soll dazu beitragen, dass die
Kinder und Jugendlichen besser wissen, was von ihnen erwartet wird
und wo bzw. wie sie sich in der kommenden Zeit beteiligen können. Und
schließlich gehört als Voraussetzung
auch dazu, dass Lehrkräfte das methodisch selbstständige Arbeiten
ihrer Schüler fördern, dass sie Methodenbewusstsein und -sicherheit
vermitteln und dass sie so Grundlagen dafür schaffen, dass der Dialog
mit den Schülern über ihr Lernen
gelingen kann.
Schülerinnen und Schüler sind
sehr wohl in der Lage, den Lehrkräften hilfreiche Rückmeldungen darüber zu geben, was in der Schule und
vor allem im Unterricht geschieht. Sie
sind ausgezeichnete Beobachter von
Unterricht – wenn man ihre Kompetenzen richtig fördert und nutzt. So
kann Rückmeldung zu einem wesentlichen Bestandteil von Schülerbeteiligung werden.
Schülerrückmeldung:
gemeinsame Arbeit an
Unterricht und Schule
Rückmeldungen von Schülerinnen
und Schülern sind aber nicht nur von
Bedeutung für die Arbeit der einzelnen Lehrkraft, sondern auch für eine
Schulentwicklung, an der Schülerinnen und Schüler beteiligt sind.
Denn Rückmeldungen helfen
• die Qualität einzelner Vorhaben aus
der Sicht der Lernenden zu untersuchen,
• den Lernerfolg der Schülerinnen
und Schüler einzuschätzen und
im Hinblick auf die Lernziele zu
bewerten,
• die Arbeit in der Schule mit den
Schülern zu planen und auszuwerten.
Besonders hilfreich dabei ist, wenn
Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben,
• Eindrücke, Gesichtspunkte und
Meinungen zur Arbeit in der Klasse
oder Schule (auch situationsbezogen) zu äußern,
• zielgerichtet einzelne Elemente des
Unterrichts zu beobachten und
diese Erfahrungen systematisch
auszuwerten.
Diese Rückmeldeformen sollen an
einem Beispiel näher beleuchtet
werden:
Vor einigen Jahren führte eine Gemeinde in Mittelschweden ein Schulentwicklungsprojekt durch, das die
Motivation und Bereitschaft der
Schüler zum Lernen steigern sollte.
Dabei setzte man insbesondere auf
projektorientierte und selbstständige Arbeit sowie auf eine häufigere
Anwendung Neuer Technologien.
Die Erfahrungen des Projekts wurden u. a. mit Hilfe eines Schüler-Fragebogens evaluiert, bei dem auch die
Selbstständigkeit und Eigenaktivität
untersucht wurde.
Um die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler einzuschätzen,
präsentierte man ihnen im Fragebogen
unterschiedliche Entscheidungssituationen, in denen sie aus drei Handlungsalternativen wählen konnten:
• das tun, was man ihnen gesagt
hatte,
• zuerst nachfragen, ob man selbst
entscheiden darf,
• selbst entscheiden.
Die unterschiedlichen Entscheidungssituationen zielen auf Selbstständigkeit gegenüber Lehrkräften, in der Familie und gegenüber Freunden. Dazu
wurden fünf Fragen gestellt:
• Ein Schüler soll so schnell wie mög­
lich eine Angabe herausfinden. Der
Lehrer will, dass er dazu in die
Büche­rei geht und in einem Buch
nachliest. Der Schüler kommt auf
die Idee, dass es einfacher wäre,
jemanden zu fragen, der viel über
diese Sache weiß. Was würdest du
an Stelle des Schülers tun?
• Ihr führt im Unterricht gerade ein
Experiment durch, aber es fehlt
Thema
eine Sache. Der Lehrer gibt dir Geld
und schickt dich los, die entsprechende Sache zu kaufen. Er sagt
dir genau, zu welchem Geschäft
du ge­hen sollst und was die ent­
sprechende Sache kostet. Auf dem
Weg zu dem Ge­schäft siehst du einen anderen Laden, der die gleiche
Sache für einen niedrigeren Preis
hat. Was machst du?
• Du sollst nach einem Rezept aus
dem Kochbuch einen Eintopf kochen. Als du mit dem Kochen begin­
nen willst, bekommst du die Idee,
dass ein anderes Gericht sehr viel
besser wäre. Was machst du?
• Du möchtest eine neue Jeans kaufen und hast dir in einem Laden
schon eine ange­sehen, die du haben willst. Als du deinen Freunden
er­zählst, welche Marke du kau­fen
willst, sagen sie, dass diese Marke
über­haupt nicht länger modern
ist. Sie meinen, du solltest eine andere Marke kaufen. Mehrere deiner Freunde haben schon solch eine
Hose. Wie verhältst du dich?
• Ein Lehrer bittet dich, Informationen über ein anderes Land zusammenzustellen. Der Lehrer verlangt,
dass du dabei mit einem Lehrbuch
und einem Lexikon arbeitest. Du
möchtest aber lieber den Computer
benutzen und im Internet suchen,
um die Aufgabe zu lösen. Wie verhältst du dich?
Lernprozesse in der Schule beruhen auf
Gegenseitigkeit und gemeinsamer Arbeit.
Ausgehend von den Antworten ergab sich ein Wert für die Selbstständigkeit (zwischen 5 und 15 Punkten).
Der Höchstwert bedeutete, dass der
Schüler bei allen Fragen die Antwort­
alternative mit dem höchsten Selbstständigkeitsgrad gewählt hatte, der
niedrigste Wert gab an, dass er jeweils die Alternative mit dem geringsten Selbstständigkeitsgrad gewählt hatte.
Die Auswertung zeigt, dass die
Schülerinnen und Schüler im Laufe
der Schuljahre zumindest etwas höhere Selbstständigkeitsüberzeugun­
gen hatten. Sie zeigt aber auch, dass
die Schulen noch weit davon entfernt
sind, die Schüler zu fördern und anzuregen, ihre Selbstständigkeit auch
aktiv anzuwenden (siehe Abb. 1).
PÄDAGOGIK 7 – 8/09
21
Thema
Schülerbeteiligung
Untersucht wurde auch, in welchem Umfang die Schüler in unterschiedlichen Situationen bereit sind,
Verantwortung übernehmen. Zu den
Situationen gehörten:
• in der Freizeit die Pflege eines
Tieres zu übernehmen,
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.JUUFMXFSU
+BISF°
+BISF°
+BISF°
Abb. 1: Grad der Selbstständigkeit von Schülern unterschiedlichen
Alters in einer schwedischen Gemeide – Skala von 5 – 15 Punkten
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WPO7FSBOUXPSUVOH
.JUUFMXFSU
+BISF°
+BISF°
+BISF°
Abb. 2: Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung von Schülern unterschiedlichen Alters in einer schwedischen Gemeinde
– Skala von 6 – 24 Punkten
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.JUUFMXFSU
+BISF°
+BISF°
+BISF°
Abb. 3: Einfluss auf Schule und Unterricht von Schülern unterschiedlichen Alters in einer schwedischen Gemeinde – Skala von
6 – 24 Punkten
22 PÄDAGOGIK 7 – 8/09
• in der Klasse Geld für einen guten
Zweck einsammeln,
• einen individuellen Trainingsplan
für eine Sportart einzuhalten,
• per Mail/Internet für die eigene
Klasse den Kontakt zu einer anderen Klasse im Ausland zu halten,
• Klassenvertreter in der Umweltgruppe der Schule zu sein,
• den Klassenrat vorzubereiten und
zu leiten.
Die vier Antwortalternativen reichten von »würde ich sehr gern machen« bis hin zu »würde ich überhaupt nicht machen«. Abb. 2 zeigt
die Durchschnittswerte der Schüler im Hinblick auf die Bereitschaft
zur Übernahme von Verantwortung
in unterschiedlichen Altersgruppen
(Werte von 6 – 24 Punkten).
Die Ergebnisse zeigen, dass die Bereitschaft der Schüler zur Übernahme
von Verantwortung im Laufe der
Schuljahre sinkt! Die Lehrkräfte mussten feststellen, dass ihre Bemühungen,
die Übernahme von Verantwortung zu
ermuntern, missglückt waren.
Untersucht wurde auch, in welchem Umfang Schüler in der Schule
mitwirken und mitbestimmen konnten. Dazu wurde gefragt
• mit wem man bei Gruppenarbeiten
zusammenarbeitet,
• wie wir in der Schule arbeiten,
• wie wir unsere Arbeiten/Aufgaben
präsentieren,
• wie es mit Hausaufgaben sein soll,
• wann wir in Projekten oder eigenständig arbeiten,
• welche Computerprogramme in der
Schule verwendet werden sollen,
• wie häufig wir mit dem Computer
arbeiten.
Bei den Antworten konnten sie zwischen vier Alternativen wählen (von
»wir können sehr viel bestimmen«
bis hin zu »wir können überhaupt
nicht mitbestimmen«). Abb. 3 gibt die
Durchschnittswerte der Schülerinnen
und Schülern an (Skala von 6 – 24).
Die Ergebnisse zeigen, dass die Schüler mit steigendem Alter auch einen
wachsenden Einfluss auf die Arbeit in
der Schule empfinden. Gleichzeitig belegen die Ergebnisse aber auch, dass
die Schülerinnen und Schüler insgesamt nur einen relativ geringen Einfluss auf den Unterricht hatten. Die
Lehrer in den einzelnen Schulen der
Gemeinde diskutierten die Ergebnisse
und waren nicht zufrieden mit dem
Ergebnis. Sie wollten genauer verste-
hen, warum ihre Anstrengungen zur
Verbesserung der Schülermitwirkung
nicht den gewünschten Erfolg gehabt
hatten und warum die Schüler sich
nicht mehr beteiligten und mehr Verantwortung übernehmen wollten. Die
Ergebnisse zu anderen Fragen des Fragebogens zeigten, dass sie die tägliche
Arbeit im Unterricht als ziemlich eintönig empfanden. Alle Schulen hatten
zwar die Aufgabe, projektorientierte
und selbstständige Arbeitsmethoden
zu vermitteln und zu fördern, bei denen Schüler lernen, eigene Fragen zu
entwickeln und eigenständig und gezielt nach Lösungen zu suchen. Aber
die Angaben der Schüler zeigten, dass
solche Arbeitsformen nur selten angewendet wurden, dass nur selten Aufgaben gestellt wurden, die wirklich
die eigene Verantwortung und selbstständiges Handeln erforderten.
So kann Rückmeldung
zu einem wesentlichen
Bestandteil von
Schülerbeteiligung werden.
Die Lehrer entschlossen sich, ihren Unterricht noch genauer unter die
Lupe nehmen zu lassen. Ein wesentliches Element dabei war, die spontanen und zufälligen Beobachtungen
des Unterrichts durch die Schülerinnen und Schüler zu systematisieren. So wurden Unterrichtsstunden
so organisiert, dass die Schüler zu Unterrichtsbeobachtern wurden.
Schüler als Unterrichtsbeobachter
Die Beobachtungen wurden in jeder
Klasse von einem Jungen und einem
Mädchen durchgeführt. Die Jugendlichen bekamen ein kurzes Training,
wie man den Unterricht in 15-Minuten-Abschnitten systematisch beobachtet und auswertet. Zu ihrer Unterstützung bekamen die beiden
Beobachter ein Beobachtungsraster,
das acht unterschiedliche Arbeitsformen und -methoden enthielt, sowie eine weitere Rubrik, in der sie
eine eigene freie Beschreibung dessen angeben konnten, was in den
vergangenen 15 Minuten geschehen
war. Zwei Wochen lang führten die
Schülerinnen und Schüler Buch darüber, was in jeder Viertelstunde geschah. Auf einem eigenen Formular
Schülerbeteiligung
führten sie über ihre Beobachtungen
Buch. Die Schülerinnen und Schüler
erhielten vor der Beobachtung folgende Instruktion:
Wir wollen an unserer Schule herausfinden, was im Unterricht »läuft«
und was wir verbessern können. Deshalb sollst du in den folgenden zwei
Wochen in einer Tabelle ankreuzen,
welche von acht Aktivitäten in jeder
Viertelstunde des Schultages gemacht
wurde. Falls keine der acht Aktivitäten zu sehen sind, kannst du in die
9. Spalte selber eintragen, was passiert ist. Wenn in einer Viertelstunde
mehrere der Aktivitäten vorkommen,
kannst du das auch mehrfach für die
Viertelstunde ankreuzen (Abb. 4).
Im Verlauf der zweiwöchigen Be­
obachtungsperiode gab es viele Einzel­
ergebnisse, die dann in einer zusammenfassenden Übersicht dargestellt
wurden (Abb. 5).
Das Bild, das sich aus den Beobachtungen der beiden Wochen ergab, unterschied sich von dem Eindruck, der
aus der Befragung entstanden war. So
war das Muster, wie die Unterrichtszeit
verwendet wurde, bei den Schülern der
ersten beiden Altersgruppen ziemlich
ähnlich. Am häufigsten kam bei ihnen
die Einzel- oder Stillarbeit vor, oft lösten sie dabei Lehreraufgaben (Mathematikaufgaben lösen, einen Text eines
Arbeitsbuches lesen und dazu Aufgaben lösen etc.). Ein umfangreicher Teil
der beobachteten Zeit war bei den jüngeren Schülern darauf verwendet worden, eigene kleine Untersuchungen zu
machen, selbstständig etwas zu untersuchen oder etwas zusammenzustellen.
Bei den älteren Jugendlichen kamen
diese Arbeitsformen erstaunlicherweise nur in sehr geringem Maße vor.
Die jüngsten und die ältesten Schüler
hatten häufiger festgestellt, dass Schüler zusammenarbeiteten, in der Mittelstufe (7 – 9) wurden häufiger Diskussionen mit Lehrern oder Mitschülern
beobachtet. In knapp einem Drittel der
beobachteten Zeit stand der Lehrer im
Mittelpunkt – entweder durch einen
Lehrervortrag oder durch eine von
ihm geführte Diskussion.
Diese Ergebnisse wurden nicht nur
von den Lehrkräften intern diskutiert, sondern auch von Lehrern und
Schülern gemeinsam. In vielen Gesprächen ging es um andere, alterna-
Zeit
8.15 –
8.30
Arbeit allein am Computer
x
8.30 –
8.45
8.45 –
9.00
9.00 –
9.15
Thema
…
Arbeit mit anderen am Computer
an eigenen Aufgaben arbeiten, forschen
Einzelarbeit an Aufgaben vom Lehrer
x
Gruppenarbeit
x
Diskussion mit Klassenkameraden
mit dem Lehrer diskutieren
dem Lehrer zuhören
anderes
was?
Abb. 4: Beobachtungsraster für Schüler
Einzelarbeit an Aufgaben vom Lehrer
Klasse 4 – 6
Klasse 7 – 9
Klasse
10 – 12
58
60
30
dem Lehrer zuhören
23
20
25
mit dem Lehrer diskutieren
7
7
7
Diskussion mit Klassenkameraden
17
28
15
Gruppenarbeit
19
13
19
an eigenen Aufgaben arbeiten, forschen
20
20
7
Arbeit mit anderen am Computer
9
8
16
Abb. 5: Schülerbeobachtungen über Verwendung der Arbeitszeit in der Klasse in zwei
Wochen: Angaben in Prozent der 15-Minuten-Einheiten, in denen die Aktivität beobachtet wurde. Mehrfachnennungen möglich
tive Arbeitsformen im Unterricht. Die
jüngeren Schüler wollten vor allem
die Dominanz der Einzel- und Stillarbeit beseitigen. Bei den älteren Schülern sahen sowohl die Jugendlichen
wie auch die Erwachsenen die Möglichkeiten, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler für selbständiges
und forschendes Arbeiten besser
zu nutzen. Die Beobachtungen der
Schüler führten auf diese Weise zu
neuen Anstößen in der Schul- und
Unterrichtsentwicklung.
Schülerinnen und Schüler, die systematisch Beobachtungen des Unterrichts durchführen, schaffen eine
Grundlage für gemeinsame Problemlösung von Lehrkräften und Schülern.
So werden Lehrkräfte wie Schüler
dazu ermuntert, sich über Arbeitsformen im Unterricht zu äußern und
über Verbesserungsmöglichkeiten zu
verständigen. Dies hilft den Schülern,
die Inhalte besser zu verstehen und
selbstständig und verantwortungsvoll im Unterricht zu agieren. Fazit:
Mats Ekholm, Jg. 1944, ist Professor für Pädagogik an der Universität Karlstad/Schweden.
Adresse: Karlstads universitet, 65188 Karlstad, Schweden
E-Mail: [email protected]
Die Einflussmöglichkeiten der Schüler
stiegen kräftig, als sie bei der systematischen Beobachtung von Unterricht
von den Lehrern unterstützt wurden.
Anmerkung
Der Beitrag wurde ins Deutsche übertragen von Dr. Gerhard Eikenbusch.
Die Ergebnisse wurden nicht nur von den
Lehrkräften diskutiert, sondern auch
von Lehrern und Schülern gemeinsam.
Literatur
Ekholm, M./Sandgren, B. (1974):
Upplevelsebearbetning. Rapporter
från Pedagogiska Institutionen vid
Göteborgs Universitet nr 109/1974.
Göteborg
Burkard, C./Eikenbusch, G./Ekholm,
M. (2003): Starke Schüler – gute
Schulen. Berlin
Lindvall, K. (1999): IT-spiralen i Malungs kommun. Karlstads universitet. Karlstad
PÄDAGOGIK 7 – 8/09
23
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PADAGOGIK
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2003 – 2015
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Doppelheft E 12,00. Bei Bestellungen ab 20 Exemplare:
Einzelheft E 4,50; Doppelheft E 6,50; alle Preise
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2003
___ 1/03Streitschlichtung
___ 2/03 Lernen nach PISA
___ 3/03 Angriffe auf den Lehrerberuf
___ 4/03 Diagnostische Kompetenz
___ 5/03 Selbstgesteuertes Lernen
___ 6/03 Schule gemeinsam gestalten
___ 7-8/03 Schule und Unterricht aus Schülersicht/
Zukunft der Bildung
___ 9/03 Heterogenität und Differenzierung (vergr.)
___ 10/03Problemschüler
___ 11/03 Arbeitsökonomie im Lehreralltag
___ 12/03Disziplin
2004
___ 1/04 Methoden im Wandel (vergr.)
___ 2/04Ganztagsschule
___ 3/04 Die gute Präsentation
___ 4/04 Berufsorientierung und Lebensplanung
___ 5/04 Verantwortung übernehmen
___ 6/04 Standardsicherung konkret
___ 7-8/04 Fördern und Ermutigen/
Schule leiten im Dialog
___ 9/04 Erziehender Unterricht
___ 10/04 Schulinterne Qualifizierung
___ 11/04Klassenklima
___ 12/04 Offener Unterricht
2005
___ 1/05Aufmerksamkeit
___ 2/05Suchtprävention
___ 3/05 Beim Lernen helfen
___ 4/05 Krisen – Unfälle – Reaktionen – Hilfe
___ 5/05 Tests und Unterrichtsqualität
___ 6/05Beraten
___ 7-8/05 Lehrerbildung unterstützt Schulent wicklung/Pensionierung. Abschied
vom Beruf
___ 9/05 Standards für pädagogisches Handeln
___ 10/05 Bewegter Unterricht
___ 11/05 Intelligentes Üben
___ 12/05 Dem Lernen Zeit geben (vergr.)
Bitte senden Sie die angegebenen Hefte an:
Name
Straße
Datum
Unterschrift
PLZ, Ort
2006
___ 1/06Individualisierung
___ 2/06Autorität
___ 3/06 Schulentwicklung – Widersprüche,
Problemzonen, Perspektiven
___ 4/06 Mittelstufe neu gestalten
___ 5/06Kritikfähigkeit
___ 6/06 Erfahrungslernen im Fachunterricht
___ 7-8/06 Konkurrenz der Weltbilder/Gesamt schule – Umgang mit Heterogenität
___ 9/06 Neue Wege in der Elternarbeit
___ 10/06 Selbstständige Schule
___ 11/06 Konflikte lösen
___ 12/06 Kreativer Unterricht (vergr.)
2007
___ 1/07 Ordnung und Disziplin
___
2/07 Unterricht evaluieren und entwickeln
___ 3/07 Zentrale Prüfungen
___ 4/07 Arbeiten im Team
___ 5/07Brennpunktschulen
___ 6/07 Lesen und Verstehen
___ 7-8/07 Selbstregulation lernen/
Schulkultur gestalten
___ 9/07 Beruf: LehrerIn
___ 10/07 Unterricht vorbereiten
___ 11/07 Instruktion im Unterricht
___ 12/07 Umgang mit Heterogenität (vergr.)
2008
___ 1/08 Projektunterricht gestalten
___ 2/08 Respekt und Anerkennung
___ 3/08Aufgabenkultur
___ 4/08 Schulinterne Curricula
___ 5/08 Medienwelten – Jugendwelten
___ 6/08 Lernen inszenieren – Interesse wecken
___ 7-8/08 Regionale Bildungsnetzwerke/
Kulturtechniken – neu betrachtet
___ 9/08 Techniken für selbst­stän­diges Arbeiten
___ 10/08 Spannungen im Kollegium
___ 11/08 Vor der Klasse stehen
___ 12/08 Regeln – Grenzen – Konsequenzen
(vergr.)
2009
___ 1/09 Gesprächsführung (vergr.)
___ 2/09 Classroom Management
___ 3/09Unterstützungssysteme
___ 4/09 Offenen Unterricht weiterentwickeln
___ 5/09 Übergang Schule – Beruf
___ 6/09 Leistung sehen, fördern, bewerten
___ 7-8/09Schülerbeteiligung/Erinnern
___ 9/09 Praktikanten, Referendare und Mentoren
___ 10/09Arbeitsfreude
___ 11/09 Neue Tipps für guten Unterricht
___ 12/09 Diagnostizieren und Fördern (vergr.)
2010
___
1/10 Teamarbeit und Unterrichtsentwicklung
___
2/10 Rechtsextremismus und Schule
___
3/10 Alternativen zum 45-Minuten-Takt
___
4/10 Schule als Erfahrungsraum
___
5/10 Die eigene Schule umbauen
___
6/10 Sprachkompetenz fördern
___ 7-8/10 Reformpädagogik – Nähe – Distanz/
Web 2.0 im Unterricht
___
9/10 Sexuelle Gewalt und Schule
___ 10/10 Belastung – Entlastung
___ 11/10 Binnendifferenzierung konkret
(vergr.)
___ 12/10 Lernen sichtbar machen
2011
___
1/11 Mobbing (vergr.)
___
2/11 Schüler beim Lernen beraten
___
3/11 Jungen fördern
___
4/11 Lernen durch Engagement
___
5/11 Mit Lücken umgehen
___ 6/11Pubertät
___ 7-8/11 Fächerverbindendes Lernen/
Strukturen im Kollegium schaffen
___
9/11 Vielfalt gestalten
___ 10/11 Schulinterne Fortbildung
___ 11/11 Mit schwierigen Schülern umgehen (vergr.)
___ 12/11 Präsentieren lernen
2012
___ 1/12Arbeitsdisziplin
___
2/12 Fördernde Bewertung (vergr.)
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3/12 Praxishilfen Klassenleitung (vergr.)
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4/12 Lehren gemeinsam verbessern
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5/12 Die neue Sekundarschule
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6/12 Schüler als Lernhelfer
___ 7-8/12 Problemlösendes Lernen/
Lernen für die Welt von morgen
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9/12 Schulverweigerung (vergr.)
___ 10/12 Lehren und Lernen ohne Worte
___ 11/12Gewaltprävention
___ 12/12 Üben – Anwenden – Vertiefen
2013
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1/13 Praxishilfen Lehreralltag
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2/13 Individualisierung im Fachunterricht
___ 3/13Hausaufgaben
___ 4/13Schülerkrisen
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5/13 Schwer erreichbare Eltern
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6/13 Gesundheit und gute Schule
___ 7-8/13 Lehrersprache und Gesprächsfüh-
rung/Allgemeinwissen
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9/13 Auf dem Weg zur Inklusion
___ 10/13 Wie Lehrer lernen
___ 11/13 Mit neuen Anforderungen umgehen
___ 12/13 Praxishilfen Schulentwicklung
2014
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1/14 Direkte Instruktion
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2/14 Sich als Schüler selbst motivieren
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3/14 Fordern und Fördern
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4/14 Feedback im Unterricht
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5/14 Ein Bildungsminimum erreichen
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6/14 Kulturelle Schulentwicklung
___ 7-8/14Herausforderungen/
Klassenklima – Schulklima
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9/14 Über Unterricht sprechen
___ 10/14 Lernarrangements gestalten
___ 11/14 Schülerinnen und Schüler beteiligen
___ 12/14 Umgangsformen in der Schule
2015
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1/15 Den Lehreralltag gut organisieren
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2/15 Selbständiges Lernen im Unterricht fördern
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3/15 Methodenkompetenz bei Schülern
___ 4/15Lesekultur
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5/15 Kognitiv aktivieren
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6/15 Schule in Bewegung
___ 7-8/15 Bildung für nachhaltige Entwicklung/
Armut in der Schule