Öffentliche Verkehrssysteme www.fachzentrum-verkehr.de Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Solidarfinanzierung im ÖPNV durch Semestertickets Effekte auf das Verkehrsmittelwahlverhalten Studierender und Übertragbarkeit auf andere Nutzergruppen Vortrag vor der Enquête-Kommission FINÖPV des Landtages Nordrhein-Westfalen am 08. Mai 2015 Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter, Bergische Universität Wuppertal Dipl.-Geogr. Miriam Müller M.A., Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH 1 Übersicht 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland 2. Effekte auf das Mobilitätsverhalten 1. Theoretische Erkenntnisse 2. Empirische Erkenntnisse (insb. Bielefeld) 3. Fazit zur Übertragbarkeit Öffentliche Verkehrssysteme 2 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland • Alle Studierenden an einer Hochschule mit Semesterticket zahlen für das Semesterticket einen Solidarbeitrag, unabhängig davon, ob sie das Ticket nutzen oder nicht. • Studierendenschaft/Studierendenwerk: Nehmen die sozialen und wirtschaftlichen Belange ihrer Mitglieder wahr. • Ihre Funktion als rechtsfähige Gliedkörperschaft führt zur Mitgliedschaft aller Studierenden, was deren Beitragspflicht mit sich bringt. • Die ASten bzw. Studierendenwerke schließen mit den Verkehrsbetrieben/Verkehrsverbünden einen Vertrag über das Semesterticket an einer bzw. mehreren Hochschulen. • Dafür erhalten die Studierenden Zugang zum ÖPNV in einem definierten Geltungsraum. Öffentliche Verkehrssysteme 3 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland • Anfang der 90er Jahre; Studenteninitiativen • Solidarfinanzierung, Mengenrabatt, Einsparungen bei Produktion und Verwaltung Zwei Modelle: • Solidarmodell: ein obligatorisches Ticket für alle Studierenden • Sockelmodell: ein obligatorischer Grundbeitrag für Basis-ÖV-Angebot (z. B. zu Randzeiten) sowie individuell zukaufbare Zeitfahrkarte Öffentliche Verkehrssysteme 4 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 1. Überblick: Hochschulstandorte mit Semesterticket Hochschulstandort mit Sockelbeitragsmodell Hochschulstandort mit Solidarmodell Quelle: Recherche am LuF Öffentliche Verkehrssysteme, BUW, Stand Mai 2015 Öffentliche Verkehrssysteme 5 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland • • • • In allen Bundesländern Bundesweit überwiegend Solidarprinzip Sockelbeitragsmodell v.a. in Baden-Württemberg Preise sehr unterschiedlich je nach Größe des Geltungsbereichs und Qualität des ÖV-Angebotes Öffentliche Verkehrssysteme 6 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Übersicht 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland 2. Effekte auf das Mobilitätsverhalten 1. Theoretische Erkenntnisse 2. Empirische Erkenntnisse (insb. Bielefeld) 3. Fazit zur Übertragbarkeit Öffentliche Verkehrssysteme 7 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.1 Effekte auf das Mobilitätsverhalten – ein wenig Theorie Mobilitätsverhalten wird mehrdimensional beeinflusst: • Strukturelle Voraussetzungen, z.B. – Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln – Lage von Wohnort, Arbeitsplatz etc. – Preise für Verkehrsmittel und deren Nutzung • Persönliche Voraussetzungen, z.B. – Einkommen, Alter, Geschlecht, Haushaltsstruktur, … – Fähigkeiten und Fertigkeiten – Einstellungen und Wertvorstellungen • Gesellschaftliche Bedingungen, z.B. – Rechtl. Bedingungen, Bilder und Vorbilder, Werbung Öffentliche Verkehrssysteme 8 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.1 Effekte auf das Mobilitätsverhalten – ein wenig Theorie Semestertickets sind ein Baustein, der das Mobilitätsverhalten von Studierenden beeinflusst Semestertickets sind ein wichtiger Baustein, der alle Dimensionen anspricht Öffentliche Verkehrssysteme 9 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.1 Effekte auf das Mobilitätsverhalten – ein wenig Theorie Mobilitätsverhalten erfolgt weitgehend routinisiert, ist aber durch Schlüsselereignisse, wie z.B. Berufseinstieg nach dem Studium, veränderbar Frage: wie beeinflussen Semestertickets das Verhalten im Studium und danach? Öffentliche Verkehrssysteme 10 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Übersicht 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland 2. Effekte auf das Mobilitätsverhalten 1. Theoretische Erkenntnisse 2. Empirische Erkenntnisse (insb. Bielefeld) 3. Fazit zur Übertragbarkeit Öffentliche Verkehrssysteme 11 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets am Fallbeispiel der Uni Bielefeld • Diplomarbeit von August 2010 • Veröffentlicht am Wuppertal Institut als frei zugängliche Online-Publikation (2011) • Online-Befragung der Studierenden zu – Nutzung – Akzeptanz – Wirkungen • Erhebung unter 17.458 Studierenden • Rücklauf: 4.500 ausgefüllte Fragebögen (=26%) Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Öffentliche Verkehrssysteme 12 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets am Fallbeispiel der Uni Bielefeld Regionales Semesterticket NRWSemesterticket Das NRW-Semesterticket: • Seit 2008 • Nutzung des gesamten Nahverkehrs in NRW • 90 teilnehmende Hochschulstandorte (SoSe 2015) • >500.000 Studierende mit NRW-Semesterticket • Kosten pro Semester in Bielefeld (SoSe 2015): 113,20 € regionales Semesterticket + 48,10 € NRW-Erweiterung = 161,30 € pro Semester Evaluation der Erweiterung des regionalen Semestertickets auf Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Landesebene Öffentliche Verkehrssysteme 13 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets Nutzung und Akzeptanz Seltene / keine Nutzung 49% Häufige Nutzung 51% Nutzung des NRW-Semestertickets n=4.500 1-7 Tage pro Woche 1-3 Tage pro Monat 27% 24% 1-5 Tage pro Semester 32% Nie 17% Schlechte Bewertung 7% Gute Bewertung 80% Bewertung anhand von Schulnoten n=4.500 Sehr gut 55% Finanzieller Vorteil 61% Finanzieller Vor/Nachteil durch das NRW-Semesterticket n=4.479 ++ 0% 10% 20% Finanzieller Nachteil 25% Weder noch 14% + 30% 5 Befriedigend 4 3% 6 8% 4% 4% Gut 25% 40% 50% 60% 70% - -- 80% 90% 100% Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Öffentliche Verkehrssysteme 14 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets Nutzung und Akzeptanz Hohe Akzeptanz, oft auch bei geringem Eigennutzen Häufig genannte Gründe für Akzeptanz: • Niedriger Preis • Solidargedanke • Ökologische Gründe • Flat Rate-Befürwortung Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Öffentliche Verkehrssysteme 15 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets Akzeptanz Akzeptanz des NRW-Semestertickets und des regionalen Semestertickets Beibehaltung NRWSemesterticket 76% Beibehaltung regionales Semesterticket 16% Abschaffung NRWSemesterticket 18% Weiß nicht 1% Enthaltung 5% n = 4.500 Nur 2% der befragten Studierenden haben sich prinzipiell gegen Semestertickets ausgesprochen Abschaffung regionales Semesterticket 2% Quelle: Eigene Darstellung, eigene Erhebung 2010 Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Öffentliche Verkehrssysteme 16 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Evaluation des NRW-Semestertickets Wirkungen: Verkehrsmittelwahlverhalten „Wie hättest du diese Fahrten* ohne NRW-Semesterticket vermutlich durchgeführt?“ Kürzere Fahrten 1% Jede 2. Fahrt: wäre gleich durchgeführt worden Sonstiges 3% Weiß nicht 2% Jede 4. Fahrt: Erweiterung der Mobilitätschancen der Studierenden Keine Fahrten 28% Selbe Verkehrsmittel 44% Fahrt mit anderen Verkehrsmitteln 22% PKW 18% Fahrrad 2% Zu Fuß 1% Sonstiges 1% Jede 5. Fahrt: Veränderung der Verkehrsmittelwahl, insbesondere vom Pkw zum ÖPNV n = 2.844 *Abfrage konkreter Fahrten mit dem NRW-Semesterticket in der Woche vor der Befragung. Die Frage bezieht sich nur auf Fahrten mit dem überregionalen NRW-Semesterticket, nicht auf Fahrten mit dem regionalen Semesterticket für Ostwestfalen-Lippe. Quelle: Eigene Darstellung, eigene Erhebung 2010 Ergebnisse der Diplomarbeit online verfügbar auf www.wupperinst.org Öffentliche Verkehrssysteme 17 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Ergänzung TU Kaiserslautern • Vollerhebung bei allen Studierenden im WS 2012/13 mit 11% Rücklauf • Preis pro Semester: 121,16 € – (ca. 20€ / Monat) • Solidarmodell, d.h. Abnahme des Tickets ist obligatorisch – Teil des Semesterbeitrags (insg. 200,16 €) • Geltungsbereich: VRN-Netz inkl. Westpfalz und Bahnstrecke nach Saarbrücken • Intensive Nutzung! – 60% häufige Busnutzung zur Uni – 83% Nutzung außerhalb Stadtbus KL – 51% fahren über Verbundgrenzen Quelle: Institut für Mobilität & Verkehr TU Kaiserslautern, 2013 Quelle: http://www.bauing.uni-kl.de/fileadmin/imove/dateien/Projektberichte/2013-07-29_Auswertung_Mobilitaetsverhalten_Studierende_TU_KL.pdf Öffentliche Verkehrssysteme 18 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Ergänzung TU Kaiserslautern Quelle: Institut für Mobilität & Verkehr TU Kaiserslautern, 2013 Öffentliche Verkehrssysteme 19 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Ergänzung TU Kaiserslautern Quelle: Institut für Mobilität & Verkehr TU Kaiserslautern, 2013 Öffentliche Verkehrssysteme 20 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: Ergänzung TU Kaiserslautern Quelle: Institut für Mobilität & Verkehr TU Kaiserslautern, 2013 Öffentliche Verkehrssysteme 21 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter 2.2 Empirie: TU Kaiserslautern: Nach dem Studium Quelle: Institut für Mobilität & Verkehr TU Kaiserslautern, 2013 Öffentliche Verkehrssysteme 22 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Übersicht 1. Überblick zu Semestertickets in Deutschland 2. Effekte auf das Mobilitätsverhalten – – Theoretische Erkenntnisse Empirische Erkenntnisse (insb. Bielefeld) 3. Fazit zur Übertragbarkeit Öffentliche Verkehrssysteme 23 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Fazit zur Übertragbarkeit • Erfolgsmodell • Ähnliche Modelle heute: – Gästetickets (z. B. KONUS im Schwarzwald, Gästeticket im Landkreis Cochem-Zell), – Veranstaltungstickets, – „City-Ticket“ der DB (für BC-Kunden, > 100 km) – Großkundentickets : Jobticket, Mieterticket • Besonderheit des Semestertickets: Solidargedanke Die Übertragbarkeit sollte realitätsnah in einem Modellprojekt mit vorgeschalteter Konzeptionsstudie geklärt werden. Öffentliche Verkehrssysteme 24 Dipl.-Geogr. Miriam Müller, M.A. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Öffentliche Verkehrssysteme Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter Bergische Universität Wuppertal Fachzentrum Verkehr www.oevts.uni-wuppertal.de [email protected] www.wupperinst.org [email protected] Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Miriam Müller und Ulrike Reutter, 8. Mai 2015 25
© Copyright 2024 ExpyDoc