Nr. 71 Juni 2015 www.muenchner-stadtgespraeche.de Münchner Stadtgespräche Wirbel ums Wasser Wer es nutzt, wer es verschmutzt – und wer es schützt VIRTUELLES WASSER Versteckte Verschwendung NITRAT Unsichtbare Gefahr PRIVATISIERUNG Monopoly ums Wasserwerk die seite zwei aus dem referat für gesundheit und umwelt Die renaturierte Isar Erholung für Mensch und Natur D ie Renaturierung der Isar zwischen südlicher Stadtgrenze und Deutschem Museum konnte nach elfjähriger Bauzeit 2011 abgeschlossen werden. Seither ist die Isar nicht nur Ausdruck eines besonderen Lebensgefühls, sondern auch ein Beispiel für eine gelungene naturnahe Erholungsmöglichkeit mitten in der Stadt. Die Landeshauptstadt München und das Wasserwirtschaftsamt verwirklichten ein vorbildliches Gewässerentwicklungs- und Renaturierungsprojekt. Bei der Planung und Umsetzung musste verschiedensten Interessen Rechnung getragen werden: Einerseits sollten die Lebensbedingungen und die Lebensraumvielfalt für isartypische Tier- und Pflanzenarten maßgeblich verbessert und der Hochwasserschutz ausgebaut werden. Andererseits sollte die Isar auch zum Erholungsraum für Münchnerinnen und Münchner werden. Das Projekt ist gelungen – das Flussbett aus Beton ist Vergangenheit. Die Isar zeichnet sich heute durch ihren naturnahen Charakter aus. Am Fluss wird überdies Energie durch die Stadtwerke München produziert und es konnten wichtige Überschwemmungsgebiete im Falle von Hochwassereinflüssen gesichert werden. Vielfältige Flusslandschaft Mit der Renaturierung ist die Anziehungskraft der Isar gestiegen. Münchnerinnen und Münchner fühlen sich heute wohl am Fluss. Die Isar ist ein maßgeblicher Erholungsraum in der Stadt geworden und die Ansprüche für die Freizeitgestaltung sind gestiegen. Ob Surfen, Baden, Boot- oder Floßfahrten – im Som- mer ist die Isar Münchens Mittelpunkt. Um die Beeinträchtigungen des Naturhaushalts möglichst gering zu halten und gleichzeitig den Badebetrieb und Wassersport zu gewährleisten, muss die sogenannte Bade- und Bootverordnung dem neuen Flussverlauf angepasst werden. Die Verordnung, die im Herbst 2015 dem Stadtrat vorgelegt werden soll, regelt, wo innerhalb des Stadtgebietes das Baden und Bootfahren künftig erlaubt sein wird. Die Neuregelung ist eine Herausforderung. Durch die Renaturierung hat die Isar nicht nur ein naturnahes Gesicht bekommen. Tiere und Pflanzen breiten sich nun auch an anderen Stellen als früher aus. So sind beispielsweise Laichplätze von seltenen Fischen wie Huchen und Koppen schützenswert. Diese Bereiche müssen selbstverständlich bei der Novellierung der Bade- und Bootverordnung gewürdigt werden. Mit dem neuen Flussverlauf ist auch ein neuer Versicherungsschutz für Freizeitsuchende notwendig. Persönlich hoffe ich sehr, dass die künftige Regelung möglichst so ausgestaltet sein wird, dass sowohl den Interessen der naturnahen Freizeitgestaltung als auch den Belangen des Naturschutzes Rechnung getragen werden kann. Leider werde ich die Novellierung der Bade- und Bootverordnung als berufsmäßiger Stadtrat nicht mehr abschließend begleiten können. Nach 17 Jahren als Referent für Gesundheit und Umwelt und insgesamt 22 Jahren als berufsmäßiger Stadtrat scheide ich zum 31. Mai aus dem Amt aus. Ich bin jedoch sehr zufrieden, dass diese für Natur und Fluss und für die Münchnerinnen und Münchner wichtigen Weichen in die richtige Richtung gestellt werden konnten. Joachim Lorenz (RGU) FOTOS Fotolia Michael Namberger TEXT Zur Person Joachim Lorenz ist seit 22 Jahren berufsmäßiger Stadtrat in München. Seit 1998 ist er als Referent für Gesundheit und Umwelt tätig. Joachim Lorenz scheidet am 31. Mai 2015 altersbedingt aus dem Amt aus. Im Referat für Gesundheit und Umwelt arbeiten rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Referat zählen neben den drei Hauptabteilungen Umwelt, Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsschutz auch zwei Betriebe – die Städtischen Friedhöfe München sowie die Städtische Bestattung. Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 3 Liebe Leserinnen und Leser, stellen Sie sich einmal folgendes Szenario vor: Aufgrund anhaltender Dürre wird die deutsche Bevölkerung zum drastischen Wassersparen angehalten. Ab sofort ist es verboten, den Rasen zu sprengen, auch die samstägliche Autowäsche ist ab sofort tabu und geduscht werden darf nur noch wöchentlich. Schwer vorstellbar? Genau das passiert gerade im US-Bundesstaat Kalifornien, der die schlimmste Dürre seit 1200 Jahren erlebt. Auch wenn Kalifornien weit weg ist, hat diese Katastrophe etwas mit uns zu tun. Denn in dem sonnigen Bundesstaat fließen 80 Prozent des Wassers in die Landwirtschaft, die wiederum auch die europäischen Länder mit Lebensmitteln wie Rosinen, Nüssen, Artischocken und Wein versorgt. Deutschland, eigentlich ein sehr wasserreiches Land, importiert rund die Hälfte des verbrauchten Wassers über Produkte aus dem Ausland – da ist es fraglich, ob unsere herkömmlichen Sparbemühungen nicht am Problem vorbeigehen (siehe Artikel auf Seite 9). In unserem Heft erfahren Sie unter anderem, wie viel Wasser wirklich in unseren Konsumgütern steckt und wie wir unseren „Wasserfußabdruck“ deutlich verringern können. Verschwendung 09 14 Eine spannende Lektüre wünscht Joy Mann 16 Inhalt 02 04 08 09 10 12 Die renaturierte Isar Erholung für Mensch und Natur Nachhaltige Wassernutzung Wo sich Wassersparen wirklich lohnt Klimaschutz mit Nebenwirkungen Wasserkraftwerke beeinflussen unsere Ökosysteme Versteckte Verschwendung Wie wir die globalen Wasserressourcen verbrauchen 3000 Liter Wasser für ein Steak So viel Wasser steckt in unseren Konsumgütern Flaschenwasser Der beste Marketingtrick unserer Zeit? 14 16 19 20 23 24 Unsichtbare Gefahr Nitrat im Trinkwasser Monopoly ums Wasserwerk Ein öffentliches Gut wird privatisiert Wird unser Wasser zur Ware? TTIP & Co. und die kommunale Wasserversorgung Wasser schützen, Fracking verbieten Wie die Erdgasindustrie unser Grundwasser gefährdet Riskante Teilchen Wie kommt Mikroplastik in unsere Nahrung? Impressum, Kontakte, Termine 4 Umweltinstitut München e.V. Zur Notwendigkeit von Suffizienz Nachhaltige Wassernutzung Über den sorgsamen Umgang mit der knappen Ressource 06/2015 Münchner Stadtgespräche Nr. 71 W asser ist Leben – diese Einsicht wird seit Jahrtausenden von Völkern in aller Welt geteilt. Auf den ersten Blick scheint Sorglosigkeit berechtigt zu sein, denn mehr als zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt. Und selbst wenn man das salzige Meerwasser und das für den menschlichen Verbrauch nicht verfügbare Süßwasser wie die polaren Eismassen abzieht, bleiben 12.000 Kubikkilometer Trinkwasser übrig. Es scheint mehr als genug für alle zu geben, besonders in regenreichen Ländern wie Deutschland. Trotzdem mahnen Umweltschützer(innen) auch bei uns einen sorgsamen Umgang mit dem kostbaren Nass an. Eine übertriebene Forderung? Viele Menschen in Deutschland sparen bewusst Wasser, etwa mithilfe von Spartasten an Toiletten. Gleichzeitig erleben wir hierzulande aber auch Verschwendung und rücksichtslose Schadstoffeinleitungen. Ein nachhaltiger Umgang mit Wasser wird nicht nur durch fehlende Achtsamkeit und ein kurzfristig ausgerichtetes Nutzungsinteresse behindert, sondern auch durch die Komplexität der Prozesse des „Verbrauchs“ von Wasser. Ist Wassersparen überflüssig? Die Deutschen gelten als „Weltmeister“ beim Wassersparen. Der hiesige Trinkwasserverbrauch ist mit täglich etwa 120 Litern je Einwohner ausgesprochen niedrig – ein Erfolg langjähriger Kampagnen. Zu Beginn der 1990er Jahre betrug der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch noch 145 Liter, in den USA und Japan ist er weiterhin deutlich mehr als doppelt so hoch wie bei uns. Es tauchen aber zunehmend Zweifel auf, ob das Wassersparen in Deutschland sinnvoll ist. Die verfügbare Wassermenge im eigenen Land scheint mehr als ausreichend zu sein, und für die Behebung der Wasserknappheit in weit entfernten Ländern ist unser Wassersparen offenbar irrelevant. Manche Expert(inn)en in der Wasserwirtschaft warnen sogar vor zu großen Sparbemühungen, weil das Wasser- und Abwasserleitungsnetz auf größere Mengen ausgelegt ist und die Fließgeschwindigkeit vor allem des Abwassers so gering werden könnte, dass Verstopfungen drohen. Allerdings: Niemand kann bisher die Folgen des Klimawandels verlässlich vorhersagen. Dies gilt zum Beispiel für die Folgen des allmählichen Abschmelzens der Alpengletscher. Bislang binden sie im Winter große Wassermengen als Eis und Schnee, während im Sommer kontinuierlich Schmelzwasser in Flüsse abgegeben wird. Die Gletscher haben also eine Ausgleichsfunktion für Bäche und Flüsse. Entfällt dieser Puffer, kann es bei heftigen Niederschlägen im Gebirge verstärkt zu Hochwasserkatastrophen an den Unterläufen der Flüsse und – meist in den Sommermonaten – zu längeren Niedrigwasser- 06/2015 5 perioden kommen. Das hat Auswirkungen auf die Grundwasserbildung in ufernahen Zonen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Schadstoffbelastung in vielen oberflächennahen Grundwasserleitern zunimmt, vor allem durch industrielle Bodenbelastungen sowie Nitrate und Pestizide aus der Landwirtschaft. Es ist deshalb geboten, die tiefer liegenden Grundwasservorräte zu schonen. Zu wenig beachtet wird zudem der enge Zusammenhang zwischen Wasser- und Energieverbrauch. So ist hierzulande die Zahl der „Warmduscher“ beträchtlich, und auch für viele andere Zwecke wird das Wasser erwärmt oder erhitzt, bevor es genutzt wird. Ein besonders großes Einsparpotenzial beim häuslichen Wasserverbrauch bietet der Bereich Baden/Duschen/Körperpflege, denn hierfür werden 36 Prozent des Trinkwassers verwendet. Auf die Toilettenspülung entfallen 27 Prozent des Verbrauchs. Wasserspararmaturen helfen beim sorgsamen Umgang und gehören inzwischen in den meisten Neubauten zum Standard. Wasser zu sparen dient der nachhaltigen Bevorratung dieses unverzichtbaren Lebensmittels und hilft zudem, Kosten zu mindern. Ein solches Verbrauchsverhalten kann dann auch die Grundlage dafür bilden, die Leitungsnetze schrittweise dem verringerten Verbrauch anzupassen. In vielen Entwicklungsländern ist die Wassersituation hingegen dramatisch: Eine wachsende Zahl von Ländern leidet unter Wasserstress. Eine Folge davon ist, dass die innergesellschaftlichen Konflikte um das rar gewordene Gut zunehmen, in Afrika vor allem zwischen Ackerbauern und umherziehenden Viehzüchtern. Auch wachsen die Spannungen um die Wasserverteilung grenzüberschreitender Gewässer, so unter den elf Anrainerstaaten des Nils und seiner Zuflüsse. Trotzdem ist die Wasserverschwendung in vielen Entwicklungsländern immer noch beträchtlich, vor allem dadurch, dass ein Drittel oder sogar fast die Hälfte des Leitungswassers durch Leckagen verloren geht, bevor es die Kunden erreicht. Mittlerweile wird in vielen Städten im Süden der Welt versucht, diese Verluste durch die Erneuerung der Leitungsnetze drastisch zu senken. Erfreulicherweise finden Wasserspartechniken bei Wasserhähnen und Toiletten auch in Ländern mit Wasserstress vermehrt Verwendung. Landwirtschaft ist größter Wasserverbraucher Etwa 70 Prozent der menschlichen Wassernutzung (ohne Berücksichtigung von Kühlwasser) entfallen auf die Landwirtschaft, in vielen Entwicklungsländern ist der Anteil noch deutlich höher. Dennoch werden in der Landwirtschaftspolitik die Fragen der Verfügbarkeit von Wasser häufig zu wenig berücksichtigt. Es ist aus ökologischer Sicht unsinnig, in Wüstenstaaten wie Libyen und Saudi-Arabien unter ho- „Es tauchen zunehmend Zweifel auf, ob das Wassersparen in Deutschland sinnvoll ist“ 6 Umweltinstitut München e.V. 06/2015 Etwa 70 Prozent der menschlichen Wassernutzung entfallen auf die Landwirtschaft. In vielen Entwicklungsländern ist der Anteil noch deutlich höher und wird bis 2025 nochmals um mehr als ein Viertel steigen. Gründe dafür sind die wachsende Weltbevölkerung und der gedankenlose Umgang mit der knappen Ressource. hem Wassereinsatz Weizen anzubauen – was erfreulicherweise die saudische Regierung inzwischen eingesehen hat. Meist werden hierfür fossile Grundwasservorräte geplündert, die unter gänzlich anderen klimatischen Bedingungen entstanden sind und sich angesichts gegenwärtiger minimaler Niederschläge nicht erneuern. Das Wasser, das heute Weizen oder Zitrusfrüchte wachsen lässt, geht dem Land für immer verloren. Die Motorpumpe ist für viele Wasservorräte in Wüstenstaaten das, was die Motorsäge für Regenwälder in den Tropen ist: Sie ermöglicht eine rücksichtslose Zerstörung knapper natürlicher Ressourcen. Besonders erschreckend ist die Situation am Aralsee in Zentralasien. Die verschwenderische Bewässerung riesiger Baumwollfelder begann bereits in den 1950er Jahren zu Zeiten der Sowjetunion. Auch heute wird noch so viel Wasser aus den beiden Zuflüssen Amu Darja und Syr Darja auf die Felder geleitet, dass kaum noch Flusswasser in den See strömt, der durch Verdunstung aber ständig große Mengen Wasser verliert. Die Folge ist, dass der einst viertgrößte Binnensee der Welt auf etwa ein Zehntel seiner Fläche geschrumpft ist, verteilt auf mehrere Restflächen. Der einzige Lichtblick zeigt sich darin, dass Kasachstan im nördlichen Seegebiet mit Unterstützung der Weltbank einen Damm errichtet hat und nun so viel Wasser aufstaut, dass wieder eine etwas größere Seefläche entsteht. Durch effiziente Bewässerungstechniken sind beträchtliche Einsparungen möglich. Vor allem die Tröpfchenbewässerung, bei der leicht poröse, dünne Schläuche das Wasser direkt zu den Wurzeln der Pflan- zen leiten, hat sich bewährt. Diese Bewässerungsmethode hat auch den Vorteil, dass die Felder nicht versalzen, wie es bei einer flächendeckenden Überflutung der Felder rasch passiert. Neben der Menge ist es wichtig, in welchem Zustand das verwendete Wasser in das Grundwasser oder Oberflächengewässer abgegeben wird, vor allem, ob die Nitrat- und Pestizidrückstände hoch sind. Auch gilt es, Alternativen zur Nutzung des knappen Grund- und Flusswassers sowie des teuren Wassers aus Meerwasserentsalzungsanlagen zu finden. Unter anderem auf der arabischen Halbinsel gibt es Erfolg versprechende Ansätze dafür, gründlich gereinigtes Brauchwasser für Bewässerungszwecke zu verwenden. Da dieses Wasser viele Nährstoffe enthält, haben die Bauern zusätzlich den Vorteil, auf Kunstdünger weitgehend verzichten zu können – eine wirklich nachhaltige und preiswerte Lösung von Wasserproblemen. Hohe Nitratbelastung im Grundwasser Bei uns stehen bei der landwirtschaftlichen Wassernutzung die Auswirkungen des Einsatzes von Agrarchemie auf Grundwasser und Gewässer im Mittelpunkt der Debatte. Nach Angaben des Bundesumweltamtes weisen rund 50 Prozent aller Grundwasser-Messstellen in Deutschland erhöhte Nitratkonzentrationen nach, wobei 14 Prozent des Grundwassers die Nitratgrenzwerte nicht einhalten. Damit das Wasser aus der Leitung keine überhöhten Nitratbelastungen aufweist, sind aufwendige und teure Reinigungsmaßnahmen erforderlich. Auch andere Agrarchemikalien stellen Gefahren für das Grundwasser und damit zumindest potenziell auch für das Trinkwasser dar. Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 7 Biohöfe tragen wesentlich weniger zur Schadstoffbelastung des Grundwassers bei und leisten auf diese Weise einen Beitrag zu einer nachhaltigen Wassernutzung. durch die zeitweisen Überflutungen zu versalzen drohen. Ohne dieses Süßwasser ist aber kein Überleben für Pflanzen und Menschen möglich. Medikamenten-Cocktail aus der Leitung Die Erfahrungen, die die Menschen in der Karibik, in der Südsee und auf den Malediven mit den Folgen des Klimawandels bereits gemacht haben, erklären, warum die Regierungen dieser Inselstaaten bei UN-Klimakonferenzen so vehement für den Abschluss eines ambitionierten internationalen Klimaschutzabkommens eintreten. Diese Forderung wird von anderen Entwicklungsländern unterstützt, die ebenfalls schon heute unter Wasserknappheit leiden und denen von der Klimaforschung prognostiziert wird, dass die Niederschläge in Zukunft nicht nur weiter abnehmen, sondern auch im Jahresverlauf unvorhersehbarer eintreten werden. Auch bei der industriellen Wassernutzung spielen Fragen der Wassermenge und der Schadstoffbelastung des Abwassers eine entscheidende Rolle. Sorge bereiten weiterhin die Medikamentenrückstände im häuslichen Abwasser und in den Abwässern von Kliniken und Praxen. In Deutschland sind etwa 3000 medizinische Wirkstoffe zugelassen und gelangen ins Abwasser. Es ist unmöglich, sie alle in den Kläranlagen herauszufiltern, zumal zusätzlich eine unbekannte Zahl neuer Verbindungen entsteht, wenn die Stoffe im Wasser aufeinandertreffen. Die Medikamentenreste stellen eine ernste Bedrohung für Mensch und Natur dar. So hat man unterhalb von Kläranlagen eine zurückgehende Vermehrungsfähigkeit von Fischen beobachtet. Es wird nicht ausreichen, immer aufwendigere Kläranlagen zu bauen; die Auswirkungen chemischer Produkte auf das Wasser müssen noch gründlicher analysiert werden, zudem sollten Industrie und Konsumenten möglichst auf Stoffe verzichten, die in Kläranlagen nicht aus dem Wasser entfernt werden können. Wenig Beachtung in der Debatte über nachhaltigen Umgang mit Wasser findet bisher die Nutzung von Flusswasser für die Kühlung von Kraftwerken. Allein in Deutschland werden jedes Jahr etwa 25 Milliarden Kubikmeter Kühlwasser in die Gewässer zurückgeleitet. Umweltschützer fordern höhere Investitionen in Kühltürme und andere technische Lösungen, damit die Flüsse nicht weiterhin so stark aufgeheizt werden, denn das hat (unter anderem) negative Auswirkungen auf den Sauerstoffgehalt der Gewässer. Folgen des Klimawandels In vielen Teilen der Welt wird der globale Klimawandel die Wasserprobleme verschärfen. Klimaforscher(innen) gehen davon aus, dass Länder, die schon heute unter Wasserstress leiden, in Zukunft noch häufiger lang anhaltende Dürren zu erwarten haben. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist 2013 zum Ergebnis gekommen, dass selbst bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad Celsius zusätzlich zu der heute eine Milliarde Menschen weitere 500 Millionen Menschen einer gravierenden Wasserknappheit ausgesetzt wären. Stiege die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts ungebremst, wären noch einmal zusätzlich mindestens 500 Millionen Menschen von Wasserknappheit betroffen. Dies gilt zum Beispiel für die westafrikanische Sahelregion südlich der Sahara. Aber auch ein Zuviel an Wasser schafft Probleme. In Ländern wie Bangladesch nehmen Zahl und Heftigkeit von Starkregen, Taifunen und Stürmen ständig zu. Für Inseln und flache Küstenregionen werden die Gefahren dadurch verschärft, dass die Meeresspiegel steigen. Die Bewohner(innen) von flachen Atollen im Südpazifik müssen befürchten, dass ihre Heimat bald für immer im Ozean versinkt. Noch akuter ist für sie das Problem, dass die Süßwasserlinsen unter ihren Atollen Selbst im Falle einer sofortigen konsequenten Klimaschutzpolitik ist die globale Erwärmung bereits so weit vorangeschritten, dass die Folgen nicht mehr gänzlich gestoppt oder rückgängig gemacht werden können. Das erhöht die Dringlichkeit einer Vielzahl von Maßnahmen einer nachhaltigen Wassernutzung. Wo das Wasser knapper wird, ist es zum Beispiel unverzichtbar, die Leckagen der Leitungsnetze zu beseitigen. Ebenso muss die Wasserinfrastruktur wie Wasserwerke und Kläranlagen so ausgebaut werden, dass sie vermehrten Extremwetterereignissen standhält. Große Bedeutung hat es auch, den Wasserverbrauch der Landwirtschaft und der Industrie so zu begrenzen, dass der unverzichtbare Bedarf eines Landes auch bei sinkenden Niederschlägen gedeckt werden kann. Es zählt jeder Tropfen Menschheit und Natur sollen auch in Zukunft über ausreichend sauberes Wasser verfügen – es zählt daher jeder Tropfen. Nur die Umsetzung umfassender Konzepte nachhaltiger Wassernutzung ist geeignet, die globalen, nationalen und regionalen Wasserprobleme zu lösen. Parallel zum sparsamen Umgang mit dem Wasser gilt es, die Schädigungen durch Schadstoffe aller Art auf ein Minimum zu reduzieren und die Verursacher für die entstehenden Kosten zur Reinigung von Grundwasser, Feuchtgebieten und anderen Gewässern heranzuziehen. Individuelle Bemühungen zum Wassersparen und zur Verminderung der Belastung des Wassers mit Schadstoffen bleiben der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, wenn nicht gleichzeitig umfassende politische und wirtschaftliche Konzepte zum sorgsamen Umgang mit dem Wasser verwirklicht werden. TEXT Frank Kürschner-Pelkmann Freier Journalist, Hamburg FOTOS Fotolia Pixelio / Kurt Michel Umweltinstitut München e.V. 8 06/2015 Klimaschutz mit Nebenwirkungen Wasserkraftwerke erzeugen emissionsarm Strom. Doch sie greifen dabei stark in die betroffenen Ökosysteme ein. W asserkraft ist weltweit die am intensivsten genutzte erneuerbare Energiequelle. Wasserkraftwerke liefern 16 Prozent der globalen Stromproduktion und haben einen Anteil von 85 Prozent an der Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien. Auch in Deutschland hat die Wasserkraft eine lange Tradition, diese hat sich jedoch in den letzten 120 Jahren grundlegend gewandelt. Während bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts Wasserkraft hauptsächlich in Mühlen genutzt wurde, wird der Strom heute in fast allen Fällen mit Hilfe von Generatoren erzeugt. In den letzten 25 Jahren lag der Anteil der Wasserkraft konstant bei etwa drei bis vier Prozent an der deutschen Stromerzeugung. Die Produktion dieser relativ geringen Strommenge erfolgt in bundesweit etwa 7700 Wasserkraftwerken, von denen sich knapp 4200 in Bayern befinden. Den Löwenanteil der Energie liefern etwas über 200 größere Anlagen, die sich vor allem an den alpinen Flüssen Isar, Iller, Inn und Lech befinden. Lediglich acht Prozent der Elektrizität aus Wasserkraft kommt aus den über 4000 Kleinanlagen mit einer Leistung von unter 1000 Kilowatt. Unterschätzte ökologische Auswirkungen Kleine Erzeugungseinheiten werden im Kontext der heimischen dezentralen Energiewende oft positiv gesehen. Denn sie sind zumeist im Besitz von Privatleuten, während die Großanlagen von Energiekonzernen betrieben werden, und sie erzeugen Strom da, wo er verbraucht wird. Doch es gibt einen Haken: Die Auswirkungen von Kleinwasserkraftanlagen auf die natürlichen Fließgewässer als artenreiche Lebensräume sind im Vergleich zu ihrer Größe und Leistung massiv. Gerade durch ihre Vielzahl und Verteilung greifen sie schwerwiegend in die betroffenen Ökosysteme ein. So stellen die Anlagen eine Barriere für die flussaufwärts wandernden Fische dar. Auch die inzwischen gängigen Fischtreppen haben das Problem nicht zufriedenstellend lösen können. Durch Kanalableitungen werden oftmals die Restwassermengen so reduziert, dass im eigentlichen Flussbett nicht mehr ausreichend Wasser fließt, um die dort und in den angrenzenden Auen vorhandene Biodiversität zu erhalten. Da die Wasserkraftwerke zudem durch die Strömung transportierte Feststoffe zurückhalten, setzt unterhalb der Anlage Erosion ein, während sich oberhalb vermehrt Sedimente ablagern. Dies hat Einfluss auf den begleitenden Grundwasserspiegel und damit auf die ansässige Flora und Fauna. Schließlich erwärmt sich das Wasser in den Staubereichen durch die geringere Fließgeschwindigkeit. Gleichzeitig sinkt der Sauerstoffgehalt. Auch das bleibt nicht ohne negative Konsequenzen für die biologischen Prozesse und die Lebensgemeinschaften in und um die betroffenen Gewässer. Klimaschutz nicht ohne Naturschutz NaturschützerInnen empfehlen daher, vom weiteren Ausbau der Wasserkraft abzusehen. Bestehende Anlagen sollten reaktiviert, modernisiert und nach ökologischen Kriterien umgebaut werden. Ziel ist es, die Vorgaben des Klimaschutzes mit denen der Wasserrahmenrichtlinie in Einklang zu bringen. Daher kommt auch das Umweltbundesamt in seiner Studie „Energieziel 2050“ zu dem Schluss, dass die Wasserkraft ihr technisch-ökologisches Potenzial bereits ausgeschöpft hat. TEXT FOTO Franziska Buch Stadtwerke München (SWM) Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 9 Verschwendung Von klein auf wird uns beigebracht, dass es nur ein paar einfache Dinge zu beachten gilt, um selbst zum vorbildlichen Wassersparer zu werden: Duschen statt Baden, Wassersparaufsätze für den Wasserhahn, beim Zähneputzen unbedingt das Wasser abstellen. Das gibt uns ein gutes Gefühl und schont auch noch den Geldbeutel. Und dennoch ist Deutschland keine „Nation der Wassersparer“, denn wir verbrauchen viel mehr Wasser, als wir denken – die Rechnung dafür zahlen andere. S eit 1991 ist die Nutzung von Trinkwasser in Privathaushalten und Kleingewerbe in Deutschland von 144 Liter auf 121 Liter pro Person und Tag gesunken. Doch abgesehen von den Nachteilen, die der geringe Wasserverbrauch vor allem in ländlichen Regionen mit sich bringt (siehe Artikel Seite 5), gehen die Bemühungen am eigentlichen Problem vorbei: Der größte Wasserkonsum findet indirekt über Produkte wie Lebensmittel, elektronische Geräte oder Kleidung statt. Wir leben auf zu großem Fuß Berücksichtigt man das in Lebensmitteln und Industriegütern enthaltene „virtuelle Wasser“, so ergibt sich ein „Wasserfußabdruck“ von 5288 verbrauchten Litern pro Person und Tag – das entspricht etwa 25 Badewannenfüllungen. Die größte Wasserverschwendung findet damit anderswo statt: Deutschland bezieht rund die Hälfte seines verbrauchten Wassers über ausländische Produkte. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik damit im oberen Drittel, selbst wasserarme Länder wie Saudi-Arabien importieren deutlich weniger. Damit beanspruchen wir die Wasserressourcen in anderen Ländern – und tragen zur Verschärfung des globalen Wassermangels bei. Den Großteil des „unsichtbaren“ Wassers in den Verbrauchsgütern schluckt die Landwirtschaft. Paradoxerweise sind es gerade die wasserreichen Länder, die besonders wasserintensive Produkte wie Fleisch, Tomaten oder Zierpflanzen aus jenen Ländern importieren, die davon zu wenig haben. Nur etwa sechs Prozent der in Deutschland vermarkteten Tomaten werden auch hier produziert. Damit wir zu jeder Jahreszeit frische Tomaten kaufen können, muss ein Großteil unseres Bedarfs mittels künstlicher Bewässerung in den warmen, aber sehr trockenen Regionen Südeuropas angebaut werden. Besonders schlecht sieht die Wasserbilanz jedoch bei der Fleischproduktion aus: Für ein Kilogramm Rindfleisch werden 15.000 Liter Wasser benötigt, pro Kilogramm Schweinefleisch sind es immerhin noch 4800 Liter. Nachhaltig, regional und ökologisch einkaufen Wer beim Einkauf Wasser sparen möchte, hat mehrere Optionen: Sparsamer Fleischkonsum, saisonale und regionale Lebensmittel aus ökologischem Anbau sind empfehlenswert, elektronische Geräte sollten lieber repariert als weggeworfen und ersetzt werden, gleiches gilt für Bekleidung. Doch letztendlich ist die Politik gefragt, damit endlich Strategien entwickelt werden, um den „Wasserfußabdruck“ insbesondere der Industrieländer langfristig zu verringern und die weltweiten Wasserressourcen gerechter zu verteilen. TEXT FOTO Joy Mann Fotolia Umweltinstitut München e.V. 10 06/2015 3000 Liter Wasser für ein Steak Wie viel Wasser steckt in unseren Konsumgütern? D er Begriff „Virtuelles Wasser“ beschreibt, welche saubere Wassermenge für die Herstellung und den Transport eines Produktes verwendet, verdunstet oder verschmutzt wird. Und unser Bedarf ist enorm: Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den zehn größten Importeuren von virtuellem Wasser. Schon für ein Frühstück mit Kaffee, Brötchen und Ei werden mehrere Badewannen voll Wasser verbraucht. Wie viel Wasser in unseren Alltagsprodukten steckt, zeigen die folgenden Grafiken. TEXT FOTOS Joy Mann Fotolia = 50 Liter Wasser Tomaten (1 kg) 184 Liter Schokolade (100 g) 1.700 Liter Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 Eier (1 kg) 3.300 Liter Baumwolle (1 kg) oder 1 Jeans 11.000 Liter Rindfleisch (1 Kg) 15.450 Liter 11 Umweltinstitut München e.V. 12 06/2015 Der beste Marketingtrick unserer Zeit? Wasser ist das Lebensmittel Nummer eins und wird von uns nur allzu gerne in der praktischen Plastikflasche gekauft. Gesünder als Leitungswasser ist das Wasser aus der Flasche nach Meinung von Experten selten – verursacht aber ein ökologisches Desaster. A uf den Flaschen von Mineral- und Tafelwasser locken schneebedeckte Berge, saftige Wiesen und kristallklare Seen. Für die von Mineralwasserherstellern versprochene Wellness-Idylle bezahlen wir gerne mehr – und verursachen mit unserem Wasser aus der Plastikflasche Müllberge und Probleme bei der lokalen Bevölkerung. Warum sind so viele Menschen bereit, Geld für Wasser auszugeben, auch wenn es frei Haus verfügbar ist? Weltweit werden ca. 89 Milliarden Liter Wasser jährlich in Plastikflaschen abgefüllt. 80 Prozent dieser Flaschen werden nicht recycelt. Dabei ist der Konsum an Wasser aus der Flasche sehr unterschiedlich verteilt. Während Europa, Nord- und Südamerika mehr als 150 Liter pro Kopf konsumieren, sind es in weiten Teilen der Welt – noch – kaum mehr als 24 Liter. Vor allem in den USA boomt das Flaschenwasser: 2011 konsumierte jeder US-Bürger, egal ob Mann, Frau oder Kind, 222 Flaschen, das sind vier Flaschen Wasser pro Woche. In Deutschland sieht die Situation ähnlich dramatisch aus. Mit viel Kohlensäure, medium oder still – die Bundesbürger lieben Mineralwasser. Laut Stiftung Warentest trägt jeder Deutsche rund 137 Liter Flaschenwasser jedes Jahr nach Hause (Zahl von 2011). Früher machten regionale Brunnenbetriebe das große Geschäft, heute kommt das meiste Wasser aus der preiswerten 1,5-Liter Flasche vom Discounter – und die bestehen meist aus Plastik. Insgesamt landen 70 Prozent der Mineralwässer in Einwegflaschen im Handel, Tendenz steigend. Überteuert und qualitativ nicht besser Kritiker bezeichnen Flaschenwasser als einen der besten Marketingtricks unserer Zeit. Denn dass sich hinter der Bezeichnung „Tafelwasser“ ein extrem überteuertes, mit Kohlensäure versetztes Leitungswasser verbirgt, ahnen die Wenigsten. Und auch die Qualität von Quell- und Mineralwässern ist kaum besser als die von Leitungswasser, im Gegenteil: Leitungswasser ist das am besten kontrollierte Lebensmittel überhaupt und wird auf mehr gesundheitsschädliche Substanzen getestet als Mineral- und Quellwasser, da die Trinkwasserverordnung mehr Grenzwerte als die Mineral- und Tafelwasserverordnung vorschreibt. Auch wenn qualitativ selten besser, ist das Wasser aus der Flasche erheblich teurer. Zwei Liter Mineralwasser kosten im Durchschnitt einen Euro. Für den gleichen Euro bekommt man ca. 200 (!) Liter Leitungswasser. Abgesehen vom Preis sprechen vor allem ökologische Aspekte für das Wasser aus der Leitung. Münchner Stadtgespräche Nr. 71 Ökobilanz der Plastik-Flasche: Ein Desaster Die spezifischen Umweltbelastungen von Mineralwasser wurden in einer Studie des Interessenverbands Schweizer Wasserversorger (SVGW) untersucht und mit der Ökobilanz von Trinkwasser aus dem Hahn verglichen. Gekühltes sprudelndes Mineralwasser in der Einwegflasche hat demnach eine 3,5 Mal so hohe Umweltbelastung wie gekühltes sprudelndes Trinkwasser aus dem Hahn. Wesentliche Aspekte sind dabei die Verpackung und der Transport. Ähnliches belegte auch 2009 eine amerikanische Studie des Pacific Institute: Die Wissenschaftler errechneten, dass allein für die Herstellung der Plastikflaschen weltweit 50 Millionen Barrel Öl im Jahr benötigt werden – das ist ungefähr der Ölbedarf der USA für zweieinhalb Tage. Die Transport- und Energiekosten lassen sich wesentlich schwerer berechnen, da manche Flasche Kontinente überquert, andere hingegen nur in die nächstgelegene Stadt reisen. Festhalten lässt sich dennoch, dass die Ökobilanz sich mit kürzeren Transportwegen verbessert, da hier weniger Kraftstoffe verbraucht und damit auch weniger Emissionen freigegeben werden. Pfand bei Plastikflaschen bedeutet nicht gleich Recycling. Neben der Produktion und dem Transport der Flaschen ist ein weiteres Problem der Plastikmüll der Einweg-Flaschen, denn: Plastik verschwindet nicht einfach. Bereits jetzt türmt sich Plastik zu hohen Bergen am Rande der Städte und an Stränden, es schwimmt im Meer und in den Flüssen – mit verheerenden Folgen für Tiere und Ökosystem. Noch in Hunderten von Jahren wird jedes Stückchen Plastik, das nicht verbrannt wurde, irgendwo auf der Erde zu finden sein. Volle Flaschen, trockene Brunnen Die Erfolgsstory des Flaschenwassers kommt meistens nur den Herstellern zugute. Werden Wasserrechte an private Firmen verkauft, bleibt die Versorgung der mittellosen Bevölkerung oft auf der Strecke – in Europa, aber vor allem auch in Ländern, in denen es traditionell an Wasser mangelt. Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen ganze Dörfer sprichwörtlich auf dem Trockenen sitzen, nachdem Firmen die Nutzungsrechte an lokalen Wasservorkommen erworben haben und die Quellen leersaugen. Im südindischen Plachimida pumpte Coca Cola jahrelang jeden Tag Hunderttausende Liter Trinkwasser ab, um es in Flaschen abzutransportieren. Die Brunnen der umgebenden Dörfer trockneten aus. Nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen musste Coca Cola den Betrieb einstellen. Aus Pakistan ist ein ähnlicher Fall bekannt, verantwortlich war hier der Großkonzern Nestlé. Während so einerseits lokale Wasservorkommen zu einem kostbaren Gut werden, investieren Unternehmen große Summen, um Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten zum Kauf von Flaschenwasser zu animieren. Wie die Einführung eines neuen Mineralwassers in einem Land des Südens funktioniert, hat Nestlé vor einigen Jahren mit seiner Marke „Pure Life“ eindrucksvoll demonstriert. Um auch Menschen mit kleinem Einkommen anzusprechen, veranstaltet der Konzern neben der konventionellen Werbung Gesundheitsseminare, in denen etwa Kran- 06/2015 13 kenschwestern über die negativen Folgen des Konsums von Leitungswasser aufklären. Dazu der Wasseraktivist Jens Loewe: „Mit ihrem Wasser versprechen Unternehmen wie Nestlé und Danone Gesundheit und langes Leben – aber in den meisten Fällen ist Leitungswasser genauso gut, zumal wenn die Leute es abkochen.“ Und Maude Barlow, ehemalige UN-Chefberaterin, erklärt angesichts der Tatsache, dass mehr Kinder an einer schlechten Trinkwasserversorgung sterben als an AIDS, Kriegen oder Tropenkrankheiten: „Wenn ein Unternehmen wie Nestlé kommt und sagt, ‚Pure Life’ sei die Antwort, mit dieser Marke der Bevölkerung ihr eigenes Grundwasser für viel Geld verkauft und behauptet, dass ihr Brunnenwasser nicht trinkbar ist, dann ist das mehr als verantwortungslos – das ist ein krimineller Akt.“ Heute ist Pure Life das zweiterfolgreichste Flaschenwasser der Welt – nach Aqua von Danone. Weitere internationale Konzerne, die den weltweiten Markt für Mineral- und Tafelwasser beherrschen sind Coca Cola, Pepsi und Unilever. Die Konzerne haben sich für oft sehr wenig Geld Wasserrechte für große Gebiete und lange Zeiträume gesichert. Das Geschäft mit dem Wasser ist lukrativ: Anlageberater empfehlen mittlerweile Investitionen in Flaschenwasser. In Ländern wie China, Thailand, Indonesien, Mexiko oder Brasilien liegen die Zuwachsraten beim Absatz über Jahre zwischen sechs und zwölf Prozent pro Jahr. Doch solange noch immer viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, ist es wesentlich wichtiger, die öffentliche Wasserversorgung auszubauen, als für die meisten Menschen kaum finanzierbares Flaschenwasser zu bewerben, das auch noch ein Müllproblem mit sich bringt. Vom „Müllproblem“ zum neuen Zuhause Doch es besteht Hoffnung: Nicht überall wird der Trend zum Plastikwasser fortgesetzt. Einige Schulen und Universitäten haben mittlerweile Plastikflaschen verbannt, oft auf Druck von Studentenorganisationen. In einem begrenzten Rahmen lässt sich mit Plastikflaschen auch Sinnvolles tun – zum Beispiel, indem man ihnen ein zweites Leben gibt. Dare, die nigerianische Organisation für erneuerbare Energien, baut mit wenig Aufwand Flaschenhäuser in Nigeria und Hug it Forward errichtet Schulen aus Plastikflaschen in Guatemala. Die Flaschen werden ihnen bestimmt nicht so schnell ausgehen: Mit unseren bereits produzierten Bergen an Plastikmüll können ganze Dörfer gebaut werden. Wir können also getrost aufhören, weiter Plastikwasser zu konsumieren. TEXT FOTO Indra Jungblut / RESET-Redaktion Fotolia 14 Umweltinstitut München e.V. 06/2015 Nitrat Die unsichtbare Gefahr im Trinkwasser Zwei Drittel des Trinkwassers in Deutschland werden aus dem Grundwasser gewonnen. Doch durch die intensive Landwirtschaft steigen die Nitrateinträge – mit ernsten Folgen für unsere Gesundheit: Im Körper kann Nitrat zu krebserregenden Nitrosaminen umgewandelt werden. Bei Kleinkindern führt es zusätzlich zur lebensgefährlichen Blausucht, eine Erkrankung, die den Sauerstofftransport ins Blut beeinträchtigt. Dass es auch anders geht, zeigt die Trinkwassergewinnung der Stadtwerke München im Mangfalltal. I n Deutschland misst das Umweltbundesamt an 723 Messstellen regelmäßig die Grundwasserqualität. Nur 29 Prozent liefern Wasser ohne Nitrat, weitere 22 Prozent sind geringfügig belastet. Die andere Hälfte der Messstellen liefert problematische Werte – 14 Prozent liegen sogar deutlich über dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Daraus kann kein Trinkwasser mehr gewonnen werden. Das Problem ist seit Jahren bekannt und die Bundesrepublik wäre nach europäischen Richtlinien verpflichtet, es zu lösen. Inzwischen läuft sogar ein Vertragsverletzungsverfahren: Wenn die Vorgaben nach der EU-Nitratrichtlinie nicht bald erfüllt werden, sind saftige Strafzahlungen nach Brüssel fällig. In Deutschland enthält das Grundwasser mehr Nitrat als in allen anderen europäischen Ländern – mit Ausnahme von Malta, das sich als winziger Inselstaat in einer Sondersituation befindet. Die beste Maßnahme gegen Nitrat im Grundwasser wäre eine Verschärfung der Düngeverordnung. Doch dagegen wehrt sich eine mächtige Lobby: die Agrarindustrie und der Bauernverband. Wie das Nitrat im Grundwasser landet Den größten Anteil an der Nitratbelastung des Wassers hat die industrielle Landwirtschaft. Stickstoff aus der Düngung wird von Mikroorganismen im Boden zu Nitrat umgewandelt. Was nicht von den Pflanzen aufgenommen werden kann, wird vom Regen ausgewa- schen. So landet es im Grundwasser oder in Flüssen, Seen und Meeren. Wann, wie und wie viel gedüngt wird, beeinflusst, wie viele Nährstoffe aus dem Boden ausgewaschen werden: Je mehr Stickstoff auf die Flächen kommt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teil davon als Nitrat im Wasser landet. Wird zum falschen Zeitpunkt gedüngt, können die Pflanzen nur einen geringen Teil der Nährstoffe aufnehmen, der Rest wird ausgewaschen. Relevant ist auch, wie gut der Stickstoff im Dünger gebunden ist. Festmist und Gründüngung werden von den Bodenlebewesen langsam und kontinuierlich ab- und in den Humus eingebaut. In Gülle, Jauche und den meisten synthetischen Düngern sind die Nährstoffe da- Münchner Stadtgespräche Nr. 71 gegen gelöst verfügbar und werden so leichter ausgewaschen. Belastung durch Massentierhaltung und Biogas In Deutschland wird vor allem zu viel gedüngt. So besteht auf den deutschen Äckern ein Stickstoffüberschuss von 96 Kilogramm pro Hektar und Jahr. Das liegt zum einen daran, dass die LandwirtInnen ihre Pflanzen so gut wie möglich mit Nährstoffen versorgen wollen. Da der Preis für Stickstoff gering ist, wird lieber etwas zu viel gedüngt als zu wenig. In Regionen, in denen viele Tiere gehalten werden, werden über Eiweißfuttermittel sehr viele Nährstoffe importiert. In der Massentierhaltung entsteht so viel Gülle, dass sie nicht sinnvoll auf den eigenen Feldern ausgebracht werden kann. Denselben Effekt gibt es rund um große Biogasanlagen. Das „Futter“ wird von weit her angeliefert, Gülle oder Gärreste weit zu transportieren lohnt sich jedoch nicht. Das schlägt sich in einer schlechten Trinkwasserqualität nieder. Besonders häufig überschritten werden Nitrat-Grenzwerte im Wasser daher in Gegenden, in denen viel Massentierhaltung betrieben wird: in Niedersachsen, in Teilen von Nordrhein-Westfalen, Thüringen und in Niederbayern. Dort landen nicht nur überschüssige Nährstoffe, sondern auch besonders viele Antibiotika und Hormone im Wasser. Auch der Zustand der Ostsee ist besorgniserregend: Das Meer tauscht nur wenig Wasser mit den Ozeanen aus und die Flüsse bringen seit Jahrzehnten zu viele Nährstoffe aus der Landwirtschaft mit. 06/2015 15 hören der Stadt München am Taubenberg und im Mangfalltal mehr als 1800 Hektar Wald, die ökologisch vorbildlich bewirtschaftet werden. Doch die Wasserschutzzone im Mangfalltal ist vor Ort nicht bei allen beliebt. Während die Stadt München das Wasser – immerhin rund 3400 Liter Wasser pro Sekunde – aufgrund uralter Gewohnheitsrechte kostenlos entnehmen darf, entstehen den Kommunen und Betrieben vor Ort Bürokratie, Kosten und Einschränkungen. Versuche, aus der Verbindung mit Münchens Wasser eine Vermarktungsstrategie für die Produkte der ökologischen Landwirtschaft aus der Region zu machen, sind bisher gescheitert. Doch die Münchner Wasserwerke bemühen sich, Einschränkungen mit Geldzahlungen auszugleichen. Vor allem die Landwirtschaft profitiert davon. Über die Prämien aus bayerischen und europäischen Mitteln hinaus bekommen die Bio-Betriebe in und um die Wasserschutzzone Geld aus München, wenn sie sich einem der Bio-Anbauverbände anschließen und deren strenge Richtlinien einhalten. So ist das größte zusammenhängende ökologisch bewirtschaftete Gebiet in Deutschland entstanden. Pro Liter Wasser kostet dieses Programm 0,0005 Cent – auf Dauer wird damit jedoch sogar Geld gespart, weil keine Aufbereitung nötig ist: Aus den Wasserhähnen in München kommt das Wasser völlig ohne Aufbereitung und Zusätze. Wenn Sie das nächste Mal ein Glas Leitungswasser trinken, denken Sie daran, dass es indirekt auch ein Produkt der ökologischen Landwirtschaft ist. Bestes Leitungswasser dank Bio-Landwirtschaft Eine Ökologisierung der Landwirtschaft muss her Dass es auch anders geht, zeigt das Leitungswasser der Stadt München. Nicht ohne Grund zählt es zu den saubersten in ganz Europa: Das Trinkwasser für die mehr als 1,4 Millionen Menschen wird zu einem großen Teil aus Brunnen rund um den Taubenberg im Landkreis Miesbach, etwa 40 Kilometer südlich von München, gewonnen. Dieser hat den höchsten Anteil von Biobetrieben in ganz Deutschland. Von den meist sehr kleinen Betrieben arbeitet mehr als jeder vierte nach Bio-Richtlinien. Zudem ge- Das Münchner Beispiel zeigt: Eine Ökologisierung der Landwirtschaft ist der richtige Weg, um die hohe Nitratbelastung im deutschen Grundwasser in den Griff zu bekommen. Um die EU-Wasserrahmenrichtlinie einzuhalten, müssten die landwirtschaftlichen Betriebe genau dokumentieren, wie sie ihren Stickstoff einsetzen. Die Obergrenze, wieviel pro Jahr und Hektar gedüngt werden darf, muss gesenkt werden – vor allem aber muss sie unabhängig davon gelten, ob organische Ökologische Landwirtschaft: Mehr Auslauf, geringere Belastung des Grundwassers oder synthetische Stickstoffdünger eingesetzt werden. Eine Stickstoff-Überschuss-Abgabe würde LandwirtInnen einen ökonomischen Anreiz geben, effizienter mit dem Nährstoff umzugehen. Sie würde vor allem die großen Tiermastbetriebe treffen. Tierhaltung muss wieder an die Fläche gebunden werden: Betriebe, die ihre Tiere zum größten Teil von der eigenen Fläche ernähren können – wie es in der ökologischen Landwirtschaft Standard ist – haben auch kein Problem mit zu viel Gülle. Und die Größe von Biogasanlagen sollte begrenzt sein. Auf Druck der EU ist in Berlin derzeit eine Novelle der Düngeverordnung in Arbeit. Doch dem Entwurf von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt mangelt es an der nötigen Schärfe, um das Nitratproblem wirklich in den Griff zu bekommen. Dazu wäre, so ein Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, eine Halbierung der Stickstoffeinträge nötig. Dabei ist Eile geboten: Selbst wenn ab sofort kein Nitrat mehr in den Boden eingebracht wird, kann es lange dauern, bis der Nitratgehalt im Grundwasser wieder abnimmt. TEXT FOTOS Karl Bär Fotolia Bodenatlas - Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, IAS, Le Monde diplomatique Umweltinstitut München e.V. 16 06/2015 Monopoly ums Wasserwerk Wasser sollte als öffentliches Gut und das Recht auf Wasser als eines der ältesten Rechte überhaupt anerkannt werden. Das scheint jedoch im Privatisierungs- und Liberalisierungswahn vergessen zu sein. V or etwa zwanzig Jahren fand der Informatiker Truman Collins mit umfangreichen Computersimulationen heraus, welche Strategien beim „Monopoly“Spielen besonders erfolgreich sind. Unter anderem riet er: Bleiben Sie im Gefängnis, kaufen Sie die Münchner Straße, und lassen Sie die Finger vom Wasser- und vom Elektrizitätswerk! Für die Wirklichkeit kam Collins` gut gemeinter Rat leider zu spät: Anfang der 1990er Jahre wurde das erste Wasserwerk in Deutschland einem privaten Betreiber übergeben und mit dem sogenannten „Rostocker Modell“ die Ära der rein öffentlichen Daseinsvorsorge im Bereich der Wasserwirtschaft beendet. Bei den Befürwortern herrschte Goldgräberstimmung in den ersten Jahren der Privatisierung. Euphorisch wurde den privaten Dienstleistern eine höhere Effektivität zugeschrieben. Ihre Investitionsbereitschaft sollte die kommunalen Kassen entlasten. Dies werde sich für die Kunden in jedem Fall auszahlen, weil das Wasser gar nicht anders als preiswerter werden könne. Totengräberstimmung hingegen beherrschte die Gegenseite: Die Trinkwasserversorgung war die letzte noch nicht gefallene Bastion gegen die Liberalisierungslust dieser Jahre, der Post und Bahn, Strom und Telefon schon lange zum Opfer gefallen waren. Wenigstens das Wasserwerk sollte gehalten werden! Wasser eine öffentliche Kernaufgabe ist, ein globaler common sense – mit der Ausnahme Frankreichs, das bereits zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts auf eine private Wasserversorgung setzte. Selbst für neoliberale Theoretiker wie Ludwig von Mises, der ansonsten kaum Grenzen der (allseits wohltuenden) Wirkung des Marktes sah, waren „Wasser und Luft […] überhaupt freie Güter“. Ein öffentliches Gut wird privatisiert Der Bruch mit dieser Vorstellung ist folglich bemerkenswert. Erstaunlich ist auch die gedankliche Fehlerkette, die ihn verursacht hat. Die Liberalisierung der Wasserversorgung wurde erstmals im Vorfeld der Umweltkonferenz von Rio de Janeiro im Jahr 1992 vehement gefordert. Befürworter erhofften sich, dass eine ökonomische Betrachtung von Wasserdienstleistungen vor allem die unzureichende und oftmals marode Wasserversorgung in vielen Entwicklungsländern durch ein In der Tat: Keine andere Ressource und kein anderer Dienstleistungsbereich waren in der Vergangenheit weltweit und quer durch alle politischen, kulturellen und religiösen Lager so selbstverständlich dem öffentlichen Bereich zugeordnet wie Wasser und Wasserdienstleistungen. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war das Verständnis, dass die Versorgung mit Münchner Stadtgespräche Nr. 71 investitionsstarkes und effektiveres System ersetzen würde. Würde erstens, so die Argumentation, Wasser nur kostendeckend abgegeben, könnte damit privates Kapital angelockt werden. Zweitens seien private Betreiber zwangsläufig effektiver als öffentliche. Drittens könne der Markt die Konkurrenz beleben und dies lasse die Preise fallen. Viertens würden davon vor allem die Kunden profitieren, weil sie kostengünstiger und zuverlässiger ihr Wasser erhalten. Der Markt wird es nicht richten Verblüffend an diesen Vorstellungen ist ihr grundlegender Mangel an Einsicht in ökonomische Handlungsmotive und ihr Unverständnis für die Eigenart der Wasserversorgung. Erstens sind technische Infrastrukturen immer kostspielig und rechnen sich oftmals nicht. Genau dieses Argument hatte bereits Adam Smith bewogen, bestimmte Aufgaben von öffentlichem Interesse, darunter auch die öffentliche Wasserversorgung, gerade nicht dem Markt zu überlassen. Infrastrukturmaßnahmen im Wasserbereich sind besonders dann teuer und amortisie- 06/2015 ren sich nie, wenn lange Leitungen für wenige zahlungsschwache Kunden gebaut werden müssen. Wenn man also Kapital gewinnbringend einsetzen möchte, wird man eines jedenfalls unterlassen: In die Wasserversorgung ländlicher Gebiete in Entwicklungsländern zu investieren. Das ist auch nicht passiert. Gerade einmal etwa 50 Milliarden US-Dollar sind seit Beginn der Privatisierungswelle in die Wassertechnologie von Entwicklungsländern geflossen. Fast das Zehnfache dessen aber wurde allein im Jahr 2005 in den Telekommunikationssektor dieser Ländergruppe privat investiert. Auch für die Behauptung, private Betreiber seien effektiver als öffentliche, konnte bisher kein Beweis erbracht werden. Nach mehr als einem Jahrzehnt, in dem mit größter Selbstverständlichkeit wieder und wieder behauptet wurde, dass die private Wirtschaft effektiver und transparenter sei, machte sich einer der früheren Befürworter der Privatisierungsagenda aus der Abteilung für Policy Research der Weltbank auf die Suche nach Belegen dafür und kam 2005 zu dem Ergebnis, dass es „keinen signifikanten statistischen Nachweis für eine unterschiedliche Effizienz privater und öffentlicher Betreiber gibt.“ 17 Die Anbieter müssen keine Konkurrenz fürchten Auch die Hoffnung auf Kostensenkung durch eine Liberalisierung der Wasserversorgung hätte man aus guten Gründen gar nicht erst hegen sollen. Denn im engeren Sinne wird unter Liberalisierung ein „Wettbewerb im Markt“ verstanden, ein Wettbewerb also, bei dem der Endkunde zwischen verschiedenen Anbietern wählen kann. Der Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und höherer Effizienz, weil die Anbieter möglichst viele Kunden für sich gewinnen wollen und das gelingt in der Regel, wenn man preiswerter als die Konkurrenz ist. Allerdings handelt es sich bei Wasser um ein ganz spezielles Gut: Anders als Schuhe oder Autos ist die Trinkwasserversorgung an eine netzgebundene Infrastruktur gebunden. In der Regel agiert hier der Anbieter als Monopolist, der Kunde am Ende der Leitung kann diesen nicht wählen. Wenn bei netzgebundenen Infrastrukturen dennoch Wettbewerb im Markt stattfinden soll, muss das Gebietsmonopol aufgehoben werden, um dem Kunden Wahlfreiheit zu ermöglichen. Bei der Stromversorgung oder bei Lesetipp se provokanten Thesen lenken den ungemütlichen Rundgang, auf dem Petra Dobner die ökologischen Probleme Deutschlands benennt, mit dem Thema Wasserprivatisierung die ganze Welt in den Blick nimmt und über die Würdigung funktionierender Abwassersysteme wieder nach Deutschland zurückkehrt. In Deutschland zu Hause Wasser zu sparen ist Unsinn, teures Mineralwasser in Flaschen zu kaufen auch. Die- Anschaulich erklärt die Autorin, wie sich Wasserpreise zusammensetzen, wo wirklich der globale Wasserhaushalt angezapft wird und warum sozial-ökologische Steuerung so komplex ist. Überall auf der Welt hängen Wohlergehen, Gesundheit und Lebenserwartung davon ab, ob es gelingt, qualitativ hochwertiges Trinkwasser und eine effektive Reinigung von Abwässern bereitzustellen. Das Buch „Quer zum Strom. Eine Streitschrift über das Wasser“ von Prof. Dr. Petra Dobner (96 Seiten; 14,90 Euro; Gebunden; ISBN 978-38031-3647-3) ist im Wagenbach Verlag erschienen. Zur Autorin: Petra Dobner, 1964 am linken Niederrhein geboren, studierte Politikwissenschaft und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Zunächst Lehrstuhlinhaberin für Politikwissenschaft in Hamburg, hat sie seit 2012 eine Professur für Systemanalyse und Vergleichende Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne. 18 Umweltinstitut München e.V. 06/2015 BürgerInnen wollen die Rekommunalisierung Damit wären wir wieder in Deutschland angekommen: Insgesamt waren Mitte der neunziger Jahre in Deutschland 6655 Wasserversorgungsunternehmen und etwa 8000 Abwasserentsorgungsunternehmen aktiv, der überwiegende Teil hiervon, 85 Prozent, befindet sich in kommunalem Besitz. Viele BürgerInnen wehren sich gegen eine Privatisierung der Wasserversorgung. Spätere Rekommunalisierungen sind mit enormen Kosten verbunden. Telekommunikationsdiensten funktioniert das, weil entweder jeweils eigene Leitungsnetze geschaffen werden oder verschiedene Anbieter ein Durchleitungsrecht haben. Den Kunden fehlt die Wahlfreiheit Einer Liberalisierung der Wasserversorgung setzt diese infrastrukturelle Voraussetzung enge Grenzen. Als tendenziell lokale Ressource wird Wasser mit unterschiedlichen Qualitäten angeboten, und eine Mischung unterschiedlicher Wässer innerhalb des selben Leitungssystems kann zu Qualitätsminderungen führen. Hydraulische Gegebenheiten, korrosionschemische und mikrobiologische Wassereigenschaften sowie betriebliche Aspekte, ein ganzes Set von technischen Anforderungen also, machen es unwahrscheinlich, dass Durchleitungen möglich und somit eine Kostenentlastung der Kunden erreicht werden kann. Als natürliches Monopol widersetzt sich Wasser daher den Möglichkeiten, die einem liberalisierten Telekommunikations- oder Energiemarkt offenstehen: dass der Endkunde seinen Anbieter über den Preis bestimmt. Folglich kann die Privatisierung der Wasserversorgung zwar eine Konkurrenz um den Markt entfachen, aber keine Konkurrenz im Markt. Hat sich ein Anbieter in der Ausschreibung dieser Dienstleistung gegen seine Konkurrenz erst einmal durchgesetzt, so muss der Kunde bei ihm, und nur bei ihm, die entsprechenden Leistungen beziehen. Auch der private Anbieter bleibt daher ein Monopolist. Deshalb wurde auch die Hoffnung enttäuscht, dass der Wasserpreis sinken werde. Der Anstieg der Wasserpreise nach der Privatisierung in Buenos Aires und Manila, vor allem aber im bolivianischen Cochabamba, wo mehrere Menschen bei Auseinandersetzungen um die Wasserversorgung starben und hunderte verletzt wurden, führte nicht nur zu massiven Protesten der Bevölkerung, sondern auch zu einer weitgehenden Rücknahme der geschlossenen Verträge. Zum Zeitpunkt dieser späten Erkenntnis war aber schon jahrelang auf der Basis dürrer Begründungen die Privatisierungsagenda vorangetrieben worden und wird es ungeachtet solcher Ergebnisse weiterhin: Ein unmittelbares Ergebnis ist, dass noch immer internationale Entwicklungshilfen von der Bereitschaft abhängig gemacht werden, private Unternehmen in die Wasserversorgung einzubeziehen. Gleichzeitig erhalten aber 95 Prozent aller Menschen der Welt ihr Wasser von öffentlichen Versorgern. Wichtige Finanz- und Restrukturierungshilfen für den öffentlichen Sektor, der die wesentliche Last immer noch trägt, werden auf diesem Altar geopfert. Festzuhalten ist auch ein zweites Resultat: Die ursprünglich als Entwicklungshilfe geforderte Privatisierung der Wasserversorgung fand am Ende doch noch lukrative Geschäftsfelder – allerdings in ganz anderen Weltregionen, nämlich vor allem in Nordamerika und Europa. Deutschlands Trinkwasserversorgung galt als vorbildlich im Hinblick auf eine jederzeitige und flächendeckende Versorgung mit hygienisch einwandfreiem Wasser. Obwohl die funktionierende Wasserversorgung selbst also wenig Anlass gab, die tradierten Strukturen aufzubrechen, lieferte die Finanznot der Kommunen eine Anreizstruktur für eine verstärkte Privatisierungsbewegung in den 1990er Jahren. In Ostdeutschland standen erhebliche Rekonstruktionsaufgaben der Versorgungsnetze an, aber auch im Westen wurden die Wasserwerke verstärkt in haushaltspolitische Kalküle einbezogen. Nach mehr als zwanzig Jahren zeigen sich aber deutliche Zweifel, dass dieser Kurs der richtige war. Die Ablehnung einer Privatisierung von Wasserbetrieben und, sofern diese in der Vergangenheit vollzogen wurde, die Befürwortung einer Rekommunalisierung steht bei den Bürgern hoch im Kurs. Hierfür spielen nicht nur die Preise eine Rolle, sondern auch die klare Intuition, dass Wasser keine Ware ist und die Wasserversorgung nicht nach Marktprinzipien gestaltet werden kann und darf: Sie kann nicht dem Markt unterworfen werden, weil ein natürliches Monopol nicht über Preise steuerbar ist, und sie darf es auch nicht, weil Wasser für jeden Einzelnen, für Industrie, Landwirtschaft und Energieversorgung essentiell ist. Prof. Dr. Petra Dobner Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg FOTOS S. Hofschlaeger / pixelio.de Wagenbach Verlag Jakob Huber / Campact TEXT Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 19 Wird unser Wasser zur Ware? Wie TTIP & Co. die kommunale Wasserversorgung gefährden I m Jahr 2014 verabschiedete die Europäische Union eine neue Richtlinie über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Die ursprünglichen Pläne der EU-Kommission sahen vor, dass die Kommunen auch ihre Wasserversorgung öffentlich und europaweit auszuschreiben hätten. Eine Privatisierungswelle bei der kommunalen Wasserversorgung wäre die Folge gewesen. Doch stattdessen wurde die Kommission von einer Protestwelle überrollt: Mehr als 1,7 Millionen EU-BürgerInnen unterzeichneten eine Europäische Bürgerinitiative, die die Kommission aufforderte, das Menschenrecht auf Wasser durch- und umzusetzen. Mit Erfolg: Die Wasserversorgung verschwand aus der Vergaberichtlinie. Weitergehende Forderungen aus der Europäischen Bürgerinitiative wurden jedoch von der Kommission ignoriert. Als Teil der „Troika“ besteht sie in Griechenland weiterhin auf Privatisierungen, auch bei der Trinkwasserversorgung. Schiedsgerichte ersetzen den Rechtsstaat Aktuell verhandelt die EU-Kommission Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) sowie ein multilaterales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA). Sie verfolgt damit erneut eine Politik, die die Privatisierung von kommunalen Dienstleistungen fördert. Zwar beteuert die Kommission immer wieder, dass diese Abkommen nicht auf eine Privatisierung der Wasserversorgung zielen. Ob das stimmt, wissen wir allerdings erst, wenn die Abkommen fertig ausgehandelt sind – und dann sind Änderungen kaum noch möglich. Doch selbst ohne eine Ausschreibungsverpflichtung und eine erzwungene Marktöffnung droht ein Problem für Kommunen, die ihre Wasserversorgung bereits in private Hände gegeben haben: In den Abkommen sind Investitionsschutzkapitel vorgesehen, auf deren Basis Konzerne vor internationalen Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen können. Schadensersatz in Millionenhöhe Eine Rekommunalisierung der Wasserwirtschaft könnte vor diesem Hintergrund unmöglich oder aber sehr teuer werden, wie ähnlich gelagerte Fälle aus anderen Investitionsschutzabkommen beweisen. 1994 wurde die Wasserversorgung im Großraum Buenos Aires an die französische Firma Suez verkauft. In der argentinischen Währungskrise 2001 verlangte Suez eine 40-prozentige Preiserhöhung. Hinter Ausbauverpflichtungen blieb das Unternehmen deutlich zurück. 2006 wurde die Privatisierung rückgängig gemacht und als schlechte Erfahrung verbucht. Doch Suez ging vor ein Investitionsschiedsgericht und bekam im April 2015 über 400 Millionen Dollar Schadensersatz für die seit 2006 entgangenen Gewinne zugesprochen. Ein ähnlicher Fall steht uns gerade innerhalb der EU ins Haus: Der niederländische Versorgungskonzern United Utilities klagt gegen Estland vor einem Investitionsschiedsgericht, weil eine Preiserhöhung für das Trinkwasser in der estnischen Hauptstadt Tallinn seit 2011 von der Aufsichtsbehörde abgelehnt wird. Diese Beispiele zeigen: Der Investitionsschutz betrifft auch die Wasserversorgung. Er schützt einseitig die Interessen privater InvestorInnen. Es wird durch diese Abkommen schwieriger, Privatisierungen zu kontrollieren und rückgängig zu machen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass die Proteste gegen TTIP, CETA und Co. die Pläne der EU-Kommission noch vereiteln. TEXT FOTO Karl Bär Fotolia Umweltinstitut München e.V. 20 06/2015 „Wasser schützen, Fracking verbieten!“ Fracking wird zur neuen Gefahr für unser Grundwasser. Dagegen formiert sich massiver Widerstand in der Bevölkerung. V on Kopf bis Fuß in Schutzanzüge gekleidete „Wissenschaftlerinnen“ begutachten giftgrüne Flüssigkeiten durch riesige Lupen, während Arbeiter mit Gasmasken eine „Fracking-Probebohrung“ in die Erde treiben. Diese Installation, im vergangenen September vor dem Bundesumweltministerium aufgebaut, sollte zeigen, welche Gefahren unserem Grundwasser drohen. Denn die Bundesregierung plant ein Gesetzespaket, das Fracking in Deutschland grundsätzlich erlauben soll. Schon einmal, im Jahr 2013 unter der schwarz-gelben Koalition, ist ein Fracking-Gesetzesentwurf gescheitert. Die Bundestagsabgeordneten betroffener Bundesländer kippten das Gesetz, noch bevor es vom Bundeskabinett, bestehend aus der Kanzlerin und den MinisterInnen, beschlossen werden konnte. Die aktuelle Regierung hat diese Hürde bereits genommen: Am 1. April 2015 wurde der neue Gesetzesentwurf im Bundeskabinett verabschiedet. Doch auch hier bestimmte der Protest von Umweltorganisationen und BürgerInnen vor dem Kanzleramt in Berlin die Berichterstattung in den Medien. Noch im selben Monat schloss sich der Umweltausschuss des Bundesrats, bestehend aus den UmweltministerInnen der Bundesländer, der Forderung nach einem generellen Fracking-Verbot an. In der Plenarsitzung des Bundesrats im Mai stimmte zwar die Mehrheit der Bundesländer nicht dafür, doch auch sie wollen wesentlich schärfere Regelungen als die von den Regierungsparteien vorgelegten: Die Länder empfehlen ein vollständiges Verbot für Kohleflözgas-, Schiefergas- und Erdölfracking. Das ebenfalls umweltschädliche, aber schon seit einigen Jahrzehnten in Niedersachsen praktizierte Tight Gas-Fracking wollen sie hingegen nicht antasten. Nun stehen die Bundestagsabgeordneten unter Druck, die noch vor der Sommerpause über das Gesetzespaket abstimmen sollen. Verschwendung immenser Wassermengen Die Kritik, die die Fracking-GegnerInnen eint, hat viel mit dem Wasser als einer unserer Le- Münchner Stadtgespräche Nr. 71 bensgrundlagen zu tun. Da ist zum einen der immense Wasserverbrauch, der notwendig ist, um diese Technik zur Förderung von Erdgas oder Erdöl einzusetzen: Pro Fracking-Vorhaben werden bis zu 20 Millionen Liter Wasser, versetzt mit Sand und einem Chemikalien-Gemisch, in die Erde gepumpt. Diese Wassermengen werden dem Wasserkreislauf unwiederbringlich entzogen. 06/2015 wurde eine Studie der US-Geologiebehörde veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kommt, dass durch Versenkbohrungen ausgelöste Erdbeben in den USA zunehmen – und damit 21 reine Chemikalien. Die verwendeten Substanzen unterscheiden sich je nach geologischer Formation und Tiefe. Darunter befinden sich krebserregende, erbgut- und hormonverändernde sowie reproduktionstoxische Stoffe, Nervengifte und Allergene. Daraus resultieren direkte Gesundheitsgefahren für die AnwohnerInnen der Fracking-Gebiete, die von Hautreizungen und Kopfschmerzen über Atemwegserkrankungen und Fortpflanzungsstörungen bis hin zu erhöhten Krebsraten reichen. Damit ist unser Grundwasser in akuter Gefahr. Das ist auch der Grund, warum sich nicht nur aus den Reihen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Umweltorganisationen Protest regt. Auch die öffentliche Wasserwirtschaft, die Unternehmen und Beschäftigten der Lebensmittelherstellung sowie die Brauereien gehen auf die Barrikaden. Denn mit dem Grundwasser steht auch die Grundlage ihrer Produktion auf dem Spiel. Bis zu 20 Millionen Liter Wasser, versetzt mit Sand und Chemikalien, werden bei einem Fracking-Vorgang in die Erde gepumpt. Mindestens die Hälfte des Wassers verbleibt direkt nach dem Fracking im Untergrund. Die verbleibende Menge wird als „Flowback“ zurück an die Oberfläche gepumpt. Dieser wird zum Teil für nachfolgende Fracking-Vorhaben verwendet. In vielen Fällen wird der Flowback allerdings auch einfach zurück unter die Erde gepresst. Das gleiche geschieht mit dem unterirdisch vorkommenden Lagerstättenwasser, das mit Schwermetallen sowie giftigen und radioaktiven Substanzen angereichert ist und bei der Öl- und Gasförderung an die Oberfläche gelangt. Denn die oberirdische Aufbereitung dieser verseuchten Flüssigkeiten ist aufwändig und den Firmen schlicht zu teuer. Vergiftungsgefahr durch Tausende Liter Chemikalien Mit dieser Praxis der Verpressung von giftigen Flüssigkeiten in den Untergrund gehen gleich mehrere Risiken einher. Im April 2015 auch die Risiken für die umliegende Bevölkerung. Die Langzeitfolgen der Verpressung von Flowback und Lagerstättenwasser sind noch völlig unklar. Kurzfristig können sowohl bei der Entsorgung von Frackingflüssigkeit und Lagerstättenwasser als auch im Zuge des Fracking-Vorhabens selbst giftige und radioaktive Substanzen in das Grundwasser gelangen. Hier reichen die Möglichkeiten von Unfällen an der Oberfläche – etwa beim Abtransport des giftigen Lagerstättenwassers oder durch schlecht abgesicherte Bohrplätze – über Fehler in Bohrlochdesign oder -konstruktion bis hin zu veralteten Anlagen. Unterirdisch besteht die Möglichkeit, dass sich die künstlich erzeugten Risse mit bereits natürlich vorhandenen Rissen im Gestein verbinden und giftige Substanzen auf diesem Wege in Grundwasserleiter gelangen. Zwar ist der prozentuale Anteil der Chemikalien mit etwa 0,2 Prozent am Fracking-Gemisch sehr gering. Bei 20 Millionen Liter Wasser handelt es sich jedoch bereits um 40.000 Liter Klimawandel verstärkt Druck auf die Wasserressourcen Und schließlich sind da auch noch die indirekten Auswirkungen auf das Wasser durch die Verstärkung des Klimawandels. Denn es ist bereits wissenschaftlich erwiesen, dass drei Viertel der Erdöl- und Erdgasreserven ungenutzt unter der Erde bleiben müssen, wenn wir katastrophale Folgen der Klimaerwärmung verhindern wollen. Was ist Fracking? Fracking (Kurzform von „hydraulic fracturing“) ist die Bezeichnung für eine Methode zur Förderung von Erdgas oder Erdöl, das so fest im Gestein eingeschlossen ist, dass die sonst üblichen vertikalen Bohrungen nicht ausreichen, um es an die Oberfläche zu befördern. Hierbei handelt es sich um die sogenannten unkonventionellen Öl- und Gasvorkommen wie das in Sandstein vorkommende Tight Gas, Kohleflöz- und Schiefergas sowie Schieferöl. Um die Energieträger aus dem Gestein zu lösen, wird an die senkrechte Bohrung eine horizontale Bohrung angeschlossen und ein Gemisch aus Wasser, Sand und giftigen Chemikalien unter hohem Druck in die Tiefe gepumpt. Auf diese Weise entstehen Risse im Gestein, durch die das Öl oder Gas entweichen kann. Weitere Informationen zu den Risiken von Fracking finden Sie auf der Webseite des Umweltinstitut München e.V. unter www.umweltinstitut.org/fracking 22 Umweltinstitut München e.V. Doch die Förderung unkonventioneller fossiler Ressourcen, die mit besonders großen Umweltschäden verbunden ist, zielt genau in die entgegengesetzte Richtung: Das fossile Energiesystem soll zementiert werden, solange die Energiekonzerne hier noch kurzfristig Profite realisieren können. Die langfristig entstehenden Schäden werden auf die Allgemeinheit und insbesondere auf künftige Generationen abgewälzt. So verstärkt auch Fracking die globale Erwärmung und damit den Druck auf die Wasserressourcen. Fracking gefährdet den Klimaschutz Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Verfügbarkeit von Wasser sowie auf die Art und Häufigkeit von Niederschlägen wurde auch auf der Eröffnungsveranstaltung der Messe „Wasser Berlin International“ im März 2015 von zahlreichen Experten diskutiert. AktivistInnen verschiedener Umweltschutzorganisationen nahmen dies zum Anlass, um Umweltministerin Barbara Hendricks in ihrer Eröffnungsrede mit einem stillen Protest zu konfrontieren: „Wasser schützen, Fracking verbieten!“ stand auf den Schildern, die sie während der Ansprache im Publikum hoch hielten. Zwar ist Erdgas in der Verbrennung weniger emissionsintensiv als der klimaschädlichste aller Energieträger, die Kohle. So wird bei der Erdgasverstromung nur etwa ein Drittel der Menge an CO2 ausgestoßen, die bei der Kohleverstromung anfällt. Doch entweicht bei der Erdgasförderung im Allgemeinen und bei Fracking im Besonderen stets das besonders klimawirksame Gas Methan in die Atmosphäre. Es ist rund 25 Mal klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid. Nur wenn die Effekte der Methanleckagen unberücksichtigt bleiben, lässt sich der komparative Vorteil gegenüber der Kohle überhaupt aufrechterhalten. Im Übrigen ist dieser Vergleich sowieso hinfällig, denn im Sinne der deutschen Energiewendepolitik werden Energieeinsparungen und der Umstieg auf erneuerbare Energien künftig unsere Versorgungssicherheit gewährleisten. Und dieser Weg ist in jedem Fall sowohl umweltfreundlicher als auch effektiver bei der Schaffung von Arbeitsplätzen als Fracking. 06/2015 eine sichere Energieversorgung für die deutsche Bevölkerung zu garantieren. Denn zu beidem leistet Fracking, so auch der offizielle Standpunkt des Bundesumweltministeriums, keinen Beitrag. Stattdessen wäre aber Rechtssicherheit für die erdgasfördernde Industrie hergestellt, die aktuell aufgrund verschiedener De-facto-Moratorien nicht gegeben ist. Den Risiken für unser Grundwasser stünde keinerlei gesellschaftlicher Nutzen gegenüber. TEXT FOTOS Franziska Buch Jörg Farys Sollten die Bundestagsabgeordneten trotz des massiven Protests vor der Sommerpause für das vorgeschlagene Gesetzespaket stimmen, dann tun sie es nicht, um Klimaschutz oder Das Thema Fracking erhitzt die Gemüter: KritikerInnen warnen vor der Verseuchung des Grundwassers und kritisieren den hohen Flächen- und Wasserverbrauch beim Einsatz der Fördertechnik. Münchner Stadtgespräche Nr. 71 06/2015 23 Riskante Teilchen Plastik ist in unserem Leben allgegenwärtig, denn es gibt kaum ein Material, das so günstig herzustellen und dabei so vielfältig einsetzbar ist. Doch die praktischen Kunststoffe haben auch eine Kehrseite: sie sind nur schwer abbaubar. Denn während organische Materialien langsam verrotten, kann Plastik nicht durch Mikroorganismen abgebaut werden. Wird der Plastikmüll nicht korrekt entsorgt, verbleibt er deshalb für Jahrzehnte in unserer Umwelt. Mit der Zeit entstehen durch Abrieb und Sonneneinstrahlung immer kleinere Fragmente, die für das menschliche Auge kaum noch sichtbar sind – das sogenannte „Mikroplastik“. Es ist mittlerweile überall in der Umwelt nachweisbar. A uch über Pflegeprodukte gelangen kleinste Plastikteilchen in die Umwelt, als Bindemittel oder Füllstoff sind sie in Bodylotions, Make-up, Mascara und sogar in Shampoo oder Zahncreme zu finden. Auch viele Reinigungscremes und Peelings werden mit winzigen Kunststoffkügelchen angereichert, die als Schleifmittel dienen. Über das Abwasser gelangt das zugesetzte Mikroplastik schließlich in die Kläranlagen, doch die sind mit den winzigen Partikeln überfordert: Eine Pilotstudie des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ergab, dass herkömmliche Klärwerke das Mikroplastik nicht vollständig aus den Abwässern herausfiltern können. Die Plastikteilchen gelangen deshalb nahezu ungehindert in Flüsse, Seen, Meere und ins Grundwasser. Die Belastung ist enorm: An den Stränden Englands besteht bereits jedes zehnte „Sandkorn“ aus Plastik. Allein im Mittelmeer schwimmen ca. 250 Milliarden Kunststoffpartikel mit einem durchschnittlichen Gewicht von je 1,8 Milligramm – eine unvorstellbare Zahl. Mikroplastik belastet bayerische Seen Plastikmüll ist längst kein reines Problem der Ozeane mehr, auch in den Binnengewässern erhöht sich der Anteil kontinuierlich. Im Uferbereich des italienischen Gardasees entdeckten Forscher im Jahr 2013 genauso viele Plastikteilchen wie an den Meeresstränden. Die winzigen Partikel geraten entweder direkt oder über Mülldeponien in den See und in ufernahe Gebiete. Auch die beliebten bayerischen Badeseen sind nicht so sauber, wie es sich auf den ersten Blick vermuten lässt: Eine im Frühjahr 2015 veröffentlichte, vom Umweltministerium Bayern beauftragte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die bayerischen Gewässer „überraschend stark“ mit Mikroplastik belastet seien. Besonders viele Mikropartikel treiben im Starnberger See, am Ufer fanden sich 831 Partikel pro Quadratmeter. Der Müll zieht Umweltgifte an Noch lässt sich das vollständige Ausmaß der Verschmutzung nicht erfassen, es gibt jedoch viele Hinweise auf die schädliche Wirkung von Mikroplastik. Denn nicht nur das Plastik an sich enthält krebserregende und giftige Bestandteile wie Bisphenol A, Styrolverbindungen oder Weichmacher, sondern es zieht auch noch andere langlebige Umweltgifte wie das Insektizid DDT und krebsauslösende Chlorverbindungen wie PCB an, die sich an der Kunststoffoberfläche ablagern. Werden die winzigen Partikel von Fischen, Meeressäugetieren oder Vögeln mit ihrer natürlichen Nahrung verwechselt, gelangen sie über die Nahrungskette auch in den menschlichen Körper. Partikel in Bier, Honig und Wasser In unzähligen Nahrungsmitteln sind die Mikropartikel mittlerweile nachgewiesen worden, im Honig, im Mineralwasser und im Bier. Sogar in der Luft ist bereits synthetisches Material nachweisbar. Wie sich diese Belastung auf unsere Gesundheit auswirken wird, ist noch völlig unbekannt. Klar ist jedoch: Sind die Kunststoffpartikel erst einmal in unsere Umwelt gelangt, können sie dort kaum mehr – oder nur mit riesigem Aufwand und hohen Kosten – wieder entfernt werden. Ein erster wichtiger Schritt wäre ein Verbot von Mikroplastik in Verbrauchsprodukten, wie es mittlerweile auch vom bayerischen Umweltministerium gefordert wird. Für Verbraucherinnen und Verbraucher wäre dies keine Einschränkung, denn es gibt zahlreiche pflanzliche Alternativen. Es ist an der Zeit, unseren sorglosen Umgang mit Plastik zu überdenken, damit noch eine Chance besteht, dieses globale Problem in den Griff zu bekommen. TEXT Joy Mann FOTOFotolia 24 Umweltinstitut München e.V. 06/2015 Kontakte Referat für Gesundheit und Umwelt Ökologisches Bildungszentrum Bürgerstiftung Zukunftsfähiges München Öffentlichkeitsarbeit Bayerstraße 28a 80335 München Tel.: 089-233-47 524 Fax: 089-233-47 508 [email protected] www.muenchen.de/rgu Thomas Rath Englschalkinger Str. 166 81927 München Tel.: 089-93 94 89 60 Fax: 089-93 94 89 81 [email protected] www.oebz.de Klenzestraße 37/Rgb. 80469 München Tel.: 089-202 38-111 Fax: 089-202 38-113 [email protected] www.bszm.de www.lifeguide-muenchen.de www.sinn-muenchen.de Newsletter der Agenda 21 Regelmäßige Informationen zu Agenda-Terminen in München erhalten Sie im kostenfreien Newsletter unter www.muenchner-stadtgespraeche.de Termine Do., 09. Juli, 20:00 Uhr Fr., 31. Juli (Anmeldeschluss) Watermark (Filmreihe Green Visions) „Mehr Grün für München“ Wasser hat die Oberfläche des Planeten geschaffen und formt sie unablässig weiter. Wasser ist die Voraussetzung jeder Existenz; ohne Wasser zerfällt alles zu Staub. In spektakulären Bildern zeigt der Film, wie Menschen mit Wasser umgehen und damit die Welt verändern. Die Regisseure Burtynsky & Baichwal dokumentieren, wie sich die Erde durch menschliche Aktivität verändert – als Chronisten des ökokatastrophalen Zeitalters. Bei dem Wettbewerb des Baureferats München sind komplett begrünte Höfe gefragt, originell zusammengestellte Arrangements aus Kübelpflanzen, liebevoll bepflanzte Beete, lauschige Sitzplätze oder einladend gestaltete Spielbereiche für Kinder. Prämiert werden sowohl professionell angelegte als auch von Laien gestaltete Anlagen. Berücksichtigt werden außerdem persönliches Engagement und Kreativität. Es winken Preise im Wert von 125 Euro bis 500 Euro. www.mvhs.de www.muenchen.de/gartenbau Impressum RedaktionJoy Mann, Christina Hacker (verant- Herausgegeben vom Umweltinstitut München e.V. 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