2. Entwicklungsplanung

Entwicklungsplanung ---- Räume schaffen für Freiheit und Eigensinn
ENTWICKLUNGSPLANUNG ---- RÄUME SCHAFFEN FÜR FREIHEIT UND
EIGENSINN
Ein Plädoyer für selbstgesteuerte und selbstorganisierte Entwicklung der
Schule
In Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Unterrichtsentwicklung erlebe
ich immer wieder – und zunehmend - Schulleitungspersonen, die das
System, in dem sie arbeiten als starr, von Vorschriften, Bürokratie und
Mutlosigkeit geprägt erleben und kaum einen Weg sehen, sich aus dieser
Starre zu befreien.
„Entwicklung braucht ungebundene Energien und Kräfte.“ (W.Pechtl,
S. 191)
Das Buch „Zwischen Organismus und Organisation“, aus dem dieses Zitat
stammt, ist für mich seit 20 Jahren Quelle der Reflexion. In der
Auseinandersetzung mit einigen der Pechtl’schen Thesen will ich mir in
diesem Beitrag zuerst grundsätzliche Gedanken zum Spannungsfeld von
Inhaltlichem und Strukturellem von Unterrichtsentwicklung machen, um
dann ein Modell für die Entwicklungsplanung mit seinen
Anwendungsmöglichkeiten zu beschreiben.
Unterrichtsentwicklung im Spannungsfeld von Inhalt und Struktur
Meine Erfahrung:
Im Moment erlebe ich, dass in Schule nach Jahren mit Blick auf das System
vermehrt Unterrichtsentwicklung angesagt ist. Bildungspolitik und
Bildungsverwaltung versuchen die Entwicklung von Unterricht voran zu
bringen durch verstärkte Kontrolle und über Vereinheitlichen von
unterrichtsbezogenen Vorgehensweisen, also über eher lineare Wenn-DannStrategien. Die individuellen Handlungsfreiräume und die kreativ zu
nutzenden Gestaltungsräume werden eingeschränkt, denn Schulen haben
[…] die Neigung, der Ordnung als Wert und Ziel den Vorrang vor Freiheit
und Eigensinn zu geben. Wird aber die Ordnung als Norm gesetzt, dann
wird der Eigensinn nicht als Quelle von Potential, Energie und
Weiterentwicklung, sondern als Störung wahrgenommen.“ (A. Bartz)
Das hat zur Folge, dass das in der Institution tradierte „Alle-Sind-GleichPrinzip“ verstärkt anstatt in Frage gestellt und aufgelöst wird zugunsten von
einer Stärkung der individualisierenden ressourcenorientierten Lern- und
Entwicklungsmöglichkeiten. Das Individuum verliert auf Kosten des
Kollektivs an Bedeutung. Dabei wird vernachlässigt, dass ein starkes
Kollektiv auf starke und originale Individuen angewiesen ist. Gleichzeitig
wird von denselben Individuen erwartet, dass sie ihren Unterricht
individualisierend und kompetenzorientiert gestalten. Ein Widerspruch in
sich selbst.
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Unterrichtsentwicklung ist Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten
Meine These:
Unterrichtsentwicklung an Schulen ist vor allem und in erster Linie
Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten - ein Prozess, der das
Individuum ins Zentrum stellt - in Freiheit und Eigensinn, denn
„die innovatorischen Fähigkeiten sind eng an das
Entwicklungspotential der Persönlichkeitsstrukturen geknüpft. […]
Zur Innovation braucht es eine persönliche Risikobereitschaft und
die Fähigkeit dazuzulernen.“ (W.Pechtl S. 190)
Veränderung des Handlungsrepertoires des einzelnen muss für die Person
als sinnvoll und leistbar empfunden werden und kann deshalb nicht über
Vorgaben und Mehrheitsentscheide veranlasst werden. Sie muss dort
ansetzen, wo sich das Individuum mit seinen aktuellen Handlungsmustern,
mit seinen Beschränkungen und mit seinem Potenzial befindet. Dies
entspricht auch Vorstellungen von günstigen Lernsituationen für
Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Es stellt sich die Frage, wie
Risikobereitschaft und Lernfähigkeit von Lehrenden und Lernenden
unterstützt und gefördert werden können, damit Innovation im Finden und
Einsetzen neuer Handlungsoptionen verstärkt möglich wird. Dies geschieht
in einem sozialen Prozess, der auch ein Konfliktpotenzial in sich birgt, mit
dem konstruktiv umgegangen werden muss.
„Die Entwicklung jeder Persönlichkeit vollzieht sich nicht nur im
Organismus selbst, sondern ist auch durch die Wechselwirkungen mit
der sozialen Umwelt bedingt. […] Die Persönlichkeitsentwicklung
wird insbesondere von Personen bewirkt, die sich in Beziehung
zueinander befinden und durch Erlaubnisse und Gewährungen,
Veränderungen und Entscheidungen, Beeinflussungen und
Interventionen, Verhaltensweisen, Haltungen und Einstellungen
aufeinander wirken.“ (W.Pechtl S. 190)
Pechtl führt hier Lösungsansätze auf, die es zu beachten gilt:
„Wechselwirkung mit dem sozialen Umfeld“ könnte für das
Schulleitungshandeln heissen:
— die Lehrpersonen miteinander so in Kontakt zu bringen,
dass sie Selbstbilder zu einer bestimmten unterrichtlichen Situation
beschreiben und sie Fremdbildern (z.B. durch kollegiale
Unterrichtsbeobachtung und Rückmeldung) gegenüberstellen;
dass sie ihre Einstellung zu einem pädagogischen Thema oder
Begriff offen legen und sich in Auseinandersetzungen mit den
Einstellungen anderer begeben;
— die Lehrpersonen zu konfrontieren mit anderer unterrichtlicher
Wirklichkeit, mit Personen aus anders strukturierten Systemen;
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— die Lehrpersonen zu veranlassen, sich bei ihren Schülerinnen und
Schülern Rückmeldung zu holen zur Gestaltung von Lehr-LernSituationen und mit ihnen über förderliches und hinderliches
Lehrerhandeln zu diskutieren;
— dafür zu sorgen, dass Visionen zu Unterricht und Lernen zu Tage treten
und ausgetauscht werden (und dabei unterschiedliche Positionen
erlauben und akzeptieren).
— persönliche originale und erfolgreiche Handlungskonzeptionen einzelner
öffentlich wertzuschätzen.
„Führung (wirkt) weniger durch direkte Einflussnahme, sondern durch die
Gestaltung von Feldern, die Menschen in Beziehung bringen und
aktivieren.“ (A.Bartz)
Unterrichtsentwicklung im Spannungsfeld von Struktur und Freiheit
Das Spannungsfeld von Struktur und Freiheit ist eins der Grundthemen der
Institution „Schule“. Ich erlebe es, seit ich als 7-Jähriger „Mitglied“ wurde
und seither in wechselnden Funktionen darin arbeite. Freiraum für die
eigenständige Gestaltung der Arbeit war mir schon immer wichtig.
Strukturbewusstheit und damit die Bedeutung des Ordnungsrahmens hat
sich mit den Erfahrungen im Laufe der Zeit entwickelt. Gelandet bin ich
beim Glauben an die Notwendigkeit einer lebendigen Ordnung, „die nicht
als Folge von organisationaler Strukturierung durch Organigramm,
Geschäftsverteilungspläne, Ablaufprogramme und Jahresplanungen
(entsteht], sondern dadurch, dass vielfältige Informationen verbreitet und
Kommunikation ermöglicht wird.“ (A.Bartz) und bei der Überzeugung …
„Freiheit ist nur dort möglich, wo Abgrenzungen beachtet werden.
Ein Nutzen seiner (des Menschen, FZ) kreativen Möglichkeiten ist
innerhalb einer abgegrenzten Rahmenbedingung gegeben oder bei
der Überschreitung der Grenzen.“ (W.Pechtl S.60)
Meine Erfahrung:
Ich stelle seit einiger Zeit ein Betonen und Bevorzugen der Strukturebene
als Ordnungsprinzip fest. Dabei werden von Schulverwaltung und
Schulaufsicht vor allem „Papiere“ verlangt. Qualität von Entwicklung wird
zu einem bürokratischen Akt degradiert
— durch Kontrollmittel wie Leitbild, Schulprogramm, Mehrjahresplanung;
— durch die Überzeugung, dass Entwicklungsleistungen messbar wären mit
Hilfe von Kriterien und Indikatoren;
— durch die Idee von Implementierung oder Entwicklung durch schlichtes
Informieren (dazu werden Ressourcen eingesetzt für z. B. einkanalige
Informationsveranstaltungen, für Handreichungen, Anleitungen);
— durch Pseudopartizipation mit sogenanntem „Schaffen von
Verbindlichkeiten“ durch Mehrheitsentscheide, die in der Folge nicht
umgesetzt werden können;
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Dies alles wird kombiniert mit dem Verschleierungsbegriff „Teilautonomie“
(als ob Autonomie teilbar wäre!), hinter dem sich eigentlich ein tiefes
Misstrauen gegenüber der Bereitschaft der Beteiligten zu persönlichem
Lernen, zu Veränderung und Entwicklung verbirgt.
Starke, freiheitsliebende Persönlichkeiten, die in Lehrerkollegien
differenzbildend wirken, werden durch einen oft nicht näher beschriebenen
Anspruch an „Teamfähigkeit“ diszipliniert und zum Schweigen gebracht.
Die eher zufällig zusammengesetzte Gruppe der Lehrpersonen einer Schule
wird als „Team“ bezeichnet und soll vor allem Einigkeit und Harmonie
leben.
Eigensinn wird im Moment sehr schnell und subtil „bestraft“. Damit
werden Gestaltungswille, Gestaltungsfreude, Kreativität, kurz die
Veränderungsenergie systematisch gebrochen und an deren Stelle
Resignation und Verdrängung erzeugt.
Meine These:
Eigensinn und Differenzbildung brauchen Raum – Schulleitungen sind
gefordert, Differenzbildung und Eigensinn von Subsystemen an ihrer
Schule zu ermöglichen und zu verstärken und einen dafür geeigneten
Rahmen zu schaffen.
Einen Ordnungsrahmen schaffen für Freiheit und Eigensinn …
Was könnte zu einem solchen Ordnungsrahmen gehören? Ich stelle hier
drei Struktur-Elemente vor, die je nach Voraussetzung der einzelnen Schule
eine unterschiedliche Bedeutung haben und in ihrer Verbindung eine
Dynamik hervorbringen können:
Raum, Zeit und Personen-Formationen
und werde zu jedem der drei Elemente beschreiben, was grundsätzlich zu
tun ist, damit ein Ordnungsrahmen entstehen kann, der Energie freisetzt
und nicht unterdrückt.
Raum-Modelle
„Wenn der Mensch sich als Organismus im Raum bewegt, verändert
sich der Raum. Jeder Raum definiert sich durch die Wahrnehmung,
die Personen und ihre Absprachen. Im Zusammenleben sprechen wir
von Raumverteilungen. […] In unseren Vorstellungs- und
Handlungsmustern pflegen wir Räume abzustecken und
abzugrenzen.“ (W.Pechtl S.123)
Womit und wie gilt es nun Räume abzustecken? Hier hilft das
„Perspektiven-Ereignismodell“ von Bernd Schmid und Arnold Messmer. Mit
diesem Modell lassen sich Räume abstecken mit
(Entwicklungs)Perspektiven und (Entwicklungs)Ereignissen.
— Perspektiven geben bildhaft die Entwicklungsrichtung an. Sie sind
attraktiv, weil sie die erstrebenswerten Visionen der Organisation und
des Arbeitskontextes beinhalten. Sie helfen, sich von dem ganz
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Konkreten, das von Alltagsgewohnheiten geprägt ist, zu lösen und damit
Neuem Raum zu geben. Perspektiven sind Scheinwerfer, welche die
verschiedenen Ereignisse in einem bestimmten Licht erscheinen lassen.
Die Klärungsfrage für die Perspektiven heisst: Und wofür ist das (ein
Ereignis, eine konkrete Massnahme) ein Beispiel?
— Ereignisse sind alles, was konkret in Raum und Zeit geschieht, sind
Inszenierungen, die Menschen in Beziehung bringen und aktivieren.
Ideen aus den Perspektiven werden hier auf die praktische Ebene
gedacht, so dass plausible Vorstellungen einer Entwicklung in Richtung
der Perspektiven gewonnen werden kann. Die Klärungsfrage für die
Ereignisse heisst: Wer tut wann was mit wem?
In einem „Tanz“ im Wechsel von Spielbein und Standbein, bei dem
abwechselnd von Perspektiven und Ereignissen ausgegangen werden kann,
wird gedankliche Strukturierungsarbeit geleistet. So werden
Systemzusammenhänge hergestellt.
In der Unterrichtsentwicklung gilt diese Dynamik zwischen Perspektiven
und Ereignissen auf mindestens zwei Ebenen:
1. Auf der Ebene der Gestaltung von Lehren und Lernen im Unterricht:
Welche attraktive Vorstellung von Lehren und Lernen habe ich, haben wir?
In welchen konkreten Szenen (Ereignissen) im Unterricht bildet sich diese
Vorstellung ab?
2. Auf der Ebene der Gestaltung des Entwicklungsprozesses zu dieser
Vorstellung von Unterricht: Welche attraktive Vorstellung unserer
beruflichen, unterrichtsbezogenen Weiterentwicklung haben wir? In
welchen Szenen (Ereignissen) der Entwicklung zeigt sich diese Vorstellung?
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Zeit-Modelle
In meinen direkten Kontakten in Schulen erlebe ich Vorgehensweisen und
Arrangements, bei denen Zeit keine Rolle zu spielen scheint:
— Lehrpersonen, im Anspruch an die Perfektion ihrer materiellen
Vorbereitung,
— Kollegien in den Ritualen und in der Unverbindlichkeit ihrer
Diskussionen und Beschlussfassungen,
— Arbeitsgruppen in der Unbedarftheit ihrer Arbeitsorganisation und dem
Verzicht auf Rollendifferenzierung.
Gleichzeitig tönt die Klage, dass die Zeit für „das Kerngeschäft“ fehle. Es
scheint, als betrachten Lehrpersonen Zeit als ein Gefäß, das, wenn es nur
unendlich gross wäre, alle Probleme verschlucken könnte.
„Nur Unsterbliche können den Faktor Zeit ausser acht lassen.“
(W.Pechtl S.121)
„Zeit ist Hilfe für Vereinbarungen und zur Beschreibung von Prozessen“
dabei werden „Zeitpunkte, Zeitphasen und Zeitintervalle“ (W.Pechtl S.121)
unterschieden.
In der Arbeitszeit der Lehrpersonen gibt es Probleme mit „Zeitphasen“ und
„Zeitintervallen“, bedingt durch tradierte Vorstellungen von Arbeitszeit:
— Die Arbeitszeit wird gesehen als Verpflichtung für ein wöchentliches
Unterrichtspensum von X Stunden in ca. 40 Schulwochen.
— Lehrpersonen leben in der Überzeugung, dass der Rest der Arbeitszeit
(die unterrichtsfreie Arbeitszeit) absolut frei gestaltet werden kann, frei
kombinierbar mit der Freizeit.
— Ausserhalb der Unterrichtszeit darf es kaum eine Präsenzverpflichtung
geben.
Die Arbeitsphasen richten sich nach Schulwochen und Schulferien, wobei
die Schulwochen auch zeitlich sehr belastend sein können. Die Intervalle
sind geprägt vom Rhythmus des Wochenstundenplans und vom Wechsel
von Schulwochen und Schulferienwochen. Nur langsam beginnt sich die
Idee der Jahresarbeitszeit durchzusetzen und damit auch eine
Präsenzverpflichtung am Arbeitsort, nicht nur für Unterricht, sondern auch
— für unterrichtsbezogene Kooperation und Kommunikation,
— für Arbeiten für das ganze System
— und für individuelle und gemeinsame Weiterentwicklungen.
Viele Schulleitungen scheinen nach wie vor grösste Schwierigkeiten zu
haben, eine Präsenzverpflichtung ausserhalb des Unterrichts einzufordern.
Die Dramaturgie der Ereignisse der Unterrichtsentwicklung kann aber nur
dann umgesetzt werden, wenn Präsenzzeiten
— einerseits wöchentlich im Stundenplan (z.B. zwei Stunden)
— und andererseits schwerpunktmässig im Jahresablauf (z.B. acht bis zehn
Halbtage, auch in den Schulferien)
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verpflichtend definiert werden können. Schulleitungen haben die Aufgabe,
dies durchzusetzen.
Nur wenn das strukturelle Zeitproblem geregelt werden kann, ist
Gestaltung der Weiterentwicklung in Freiheit und Eigensinn überhaupt
möglich.
Personen-Formation
„Als Teile oder Mitglieder des Systems sind wir selbst das System,
das uns formt. Es gibt sie: Gehasst und geliebt, verachtet und
verleugnet begegnen wir diesen sozialen Systemen, weil wir durch sie
als Persönlichkeit geformt wurden. Sie ziehen uns auf, erziehen und
prägen uns, und dennoch wollen wir uns häufig der Mitgliedschaft
entziehen.“ (W.Pechtl S. 191)
Auch bei diesem Strukturelement gilt es, mit tradierten Mustern zu brechen.
Im Vordergrund steht, dass Lehrpersonen nach wie vor dazu tendieren, sich
als Einzelkämpfer und Alleinunterhalterin zu verstehen und damit wenig
Bereitschaft entwickeln, ein aktiv-funktionales Mitglied in Gruppierungen zu
werden, deren Zusammensetzung vorgegeben wird und deshalb nicht selber
gewählt werden kann.
Mit diesen Gruppierungen meine ich nicht in erster Linie das
Gesamtkollegium, das als arbeitsfähige Gruppe sowieso oft zu gross ist,
sondern Linienteams oder Unterrichtsteams. Das sind Gruppen von
Lehrpersonen, die mit den gleichen Schülerinnen und Schülern und/oder
Fächern zu tun und damit einen gemeinsamen Auftrag haben. Diese
Gruppen erscheinen in der binnendifferenzierten Organisationsstruktur der
Schule z.B. als Stufengruppen, Jahrgangsgruppen, Fachbereichsgruppen,
sofern eine Binnendifferenzierung des Kollegiums überhaupt vorhanden ist.
Es gilt für Schulleitungen, die Bewusstheit für die Notwendigkeit solcher
Gruppen bei sich selbst und bei den Lehrpersonen zu stärken und die
Bereitschaft einzuordern und zu unterstützen, die Aufgaben der Funktion
„Mitglied“ aktiv zu übernehmen.
Entwicklungsplanung: den Ordnungsrahmen definieren
Entwicklungsplanung heisst nun, diese drei Strukturelemente in einem
Ordnungsrahmen so zu kombinieren, dass sich „ungebundene Energie und
Kräfte entwickeln“ können, „Persönlichkeitsentwicklung“ und „ein Nutzen
der kreativen Möglichkeiten“ unterstützt werden.
Der Ordnungsrahmen beinhaltet drei wie in einer Babuschka
zusammengefügte Kategorien:
— In der Kategorie der Ordnungspolitik gibt es nur Fremdbestimmung
(und damit für den Einzelnen nur die Entscheidungsmöglichkeit, in der
Institution zu arbeiten oder nicht und keine weitere Selbstbestimmung).
— In der Handlungskategorie sollen partizipatorische Entscheidungsräume
im Sinne von Selbstorganisation zur Verfügung gestellt werden.
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— In der Regelungskategorie soll Selbststeuerung für das Individuum und
für Gruppen als Emanzipationsangebot in Selbstverantwortung zentrale
Bedeutung bekommen. (vgl. dazu O.Schäffter)
Den Anspruch der Handlungs- und Reglungskategorie sollten Schulleitung
und Steuerungsgruppe bei der konkreten Planung stetig vor Augen haben.
Die Planungsschritte
Die Planungsschritte stehen nicht in einer festgelegten Reihenfolge zur
Bearbeitung an. Die gedankliche Arbeit beginnt bei einem einladenden
Element und sucht sich dann den Weg durch alle Elemente, wobei die
meisten mehrfach zum Zuge kommen.
Zeitstrukturen
festlegen
Perspektiven
entwickeln
die
Ereignisse
inszenieren
Alltagsstrukturen
definieren
PersonenFormation
bestimmen
Perspektiven entwickeln
Absicht (Worum es geht!)
Hier geht es in erster Linie um Klärungs- und Verständigungsprozesse unter
den Betroffenen / Beteiligten. Es sind Kommunikationsprozesse, die immer
wieder inszeniert werden müssen und die nicht in einem sichtbaren Produkt
(Leitbild, Q-Leitbild, etc.) münden, sondern in einer Ausrichtung der Kräfte
der Menschen in eine gleiche Entwicklungsrichtung (Vision) hin zu etwas
verbindend Gemeinsamem. Das kann nicht durch (Mehrheits)Entscheide
erreicht werden, sondern nur durch vielfältige Anregungen zur persönlichen
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Reflexion und zum Klären und Entwickeln eigener Bilder und zu Austausch
und Auseinandersetzung unter allen Betroffenen (und das sind nicht nur die
Lehrpersonen, sondern sicher auch Schülerinnen und Schüler).
Planungsprodukt (Was sichtbar wird!)
Neben dem Hauptprodukt der Ausrichtung der Beteiligten, die zwar
spürbar, aber nicht direkt sichtbar wird, soll auch ein „Planungsprodukt“
entstehen in Form einer ausformulierten Jahresperspektive, die Schritte hin
zur Vision fordert.
Vorgehen (Was zu tun ist!)
Schulleitung und Steuerungsgruppe gestalten die sozialen Interaktionen mit
definierter Partizipation der Betroffenen:
— Vision: Schulleitung und Lehrpersonen (und eventuell Schülerinnen,
Behörden , Eltern) beschäftigen sich mit ihrer Vorstellung einer guten
Schule und von gutem Unterricht, werden sich ihrer Bilder bewusst und
sprechen mit anderen darüber (Eine sehr konstruktive Methode ist das
„Visionieren“ nach Glasl (F. Glasl, Seminarmaterial)
— Langfristige Perspektive: Die persönliche Vision wird in Zusammenhang
gebracht mit der aktuellen Situation der Schule (mit den Gegebenheiten,
mit den Alltagsproblemen, mit den Ressourcen der Beteiligten) und mit
den bildungspolitischen Vorgaben. In der Verschmelzung von Vision
und Ausgangssituation entsteht eine langfristige Perspektive.
Die Ereignisse inszenieren
Absicht (Worum es geht!)
Die Jahresperspektive wird in konkret Beobachtbares und in Handlungen
von Akteuren zu übersetzt und das Zusammenwirken der Ereignisse wird
definiert.
Planungsprodukt (Was sichtbar wird!)
Das „Planungsprodukt“ ist eine Dramaturgie (ein Drehbuch) aller
Ereignisse, die im kommenden Schuljahr stattfinden sollen und die in
„Szenendrehbüchern“ konkretisiert sind: wer – was – wann – wie - mit wem.
Vorgehen (Was zu tun ist!)
„Viele Perspektiven können nur realisiert werden, wenn sie in vielerlei
Ereignisse integriert verfolgt werden und nicht als Hau-Ruck-Ereignis“
(Schmid und Messmer, ) dastehen.
Dieser Grundsatz ist von Schulleitung und Steuerungsgruppe zu
berücksichtigen, wenn sie die folgenden Arbeitsfelder bestellen:
— Bisherige Entwicklungsmassnahmen (Ereignisse) untersuchen, wie weit
sie die aktuelle Jahresperspektive unterstützen.
— Neue Ereignisse definieren, welche das Umsetzen der Jahresperspektive
unterstützen könnten – sich dabei an Lern- und Entwicklungsmodellen,
zum Beispiel zur Fortbildung von Lehrpersonen orientieren.
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Ereignis-Prototypen
sind Inszenierungen, die entstehen
durch Impuls oder Konfrontation:
¾ mit wissenschaftlichen Theorien
¾ mit Anschauung (Hospitation)
¾ mit Selbsterfahrung
durch Reflexion des eigenen Handelns:
¾ mit reflexivem Schreiben im Lern-Journal
¾ mit angeleiteter Reflexion in Praxisberatung, Intervision, …
¾ mit Einholen von Rückmeldungen, Fremdbildern
(Individualfeedback, Kollegiales Feedback)
durch Praxistransfer:
¾ mit dem Entwickeln von neuen Handlungsentwürfen
(Handlungsoptionen)
¾ mit Tandemarbeit (kritische Freundin)
durch Training:
¾ mit Rollenspiel
durch Praxisdokumentation:
¾ mit Journalarbeit
¾ mit dem persönlichen Entwicklungsportfolio
— Abläufe für Ereignisse neu entwickeln und Szenendrehbücher schreiben.
— Die Umsetzbarkeit der Ereignisse am aktuellen Kontext der Schule
überprüfen.
— Den Zeitbedarf für die Ereignisse festlegen und vergleichen mit der zur
Verfügung stehenden Zeit der Beteiligten im Arbeitsfeld „Zeitstruktur“.
— Einen Ablauf der Ereignisse (Dramaturgie) festlegen, dabei Zeitpunkte,
Zeitphasen und Zeitintervalle miteinbeziehen.
Personen-Formationen bestimmen
Absicht (Worum es geht!)
Es geht darum, Überlegungen anzustellen und Entscheide zu treffen, wer
mit wem am Ablauf der Ereignisse jeweils beteiligt sein soll. Die PersonenFormationen entstehen nicht zufällig, sondern sind bewusst funktional (als
Intervention) eingesetzt.
Planungsprodukt (Was sichtbar wird!)
Das „Planungsprodukt“ ist das Puzzleteilchen „wer mit wem“. Es wird in
die Szenendrehbücher eingefügt.
Vorgehen (Was zu tun ist!)
Die Steuerungsgruppe legt fest, in welchen Formationen die Lehrpersonen
in den Ereignissen arbeiten werden. Zur Auswahl stehen vor allem die
folgenden Formationen:
— das Gesamtkollegium,
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— das Linien- oder Unterrichtsteam,
— das Tandem
Das Gesamtkollegium taugt nur an kleinen Schulen als Entwicklung
fördernde Formation. An grösseren Schulen erweist es sich häufig als
Entwicklung verhinderndes Gremium, getrieben von Ritualen und tradierten
Dynamiken. Im Zentrum der Unterrichtsentwicklung stehen
Unterrichtsteams, die teilweise und für bestimmte Aktivitäten in Tandems
gegliedert werden.
Zeitstrukturen festlegen
Absicht (Worum es geht!)
Es geht darum, dafür zu sorgen, dass die Ereignisse stattfinden können, was
heisst, die Ressource „Zeit der Beteiligten“ zu definieren, zu sichern und zur
Verfügung zu stellen.
Planungsprodukt (Was sichtbar wird!)
Als „Planungsprodukt“ entsteht eine zeitliche Übersicht, in der die
Präsenzverpflichtung festgelegt ist
— als wöchentlich im Stundenplan verankerte Präsenzzeit,
— als im Jahresablauf festgelegte Präsenzzeit in der unterrichtsfreien
Arbeitszeit (auch in den Schulferien) in Halbtagen oder ganzen Tagen.
Die Verpflichtung für (Teilzeit-)Lehrpersonen ist in einem Auftrag geregelt.
Vorgehen (Was zu tun ist!)
De Schulleitung ist dafür verantwortlich, dass die Ressource „Zeit“
überhaupt zur Verfügung steht, was bedeuten kann,
— mit den Lehrpersonen immer wieder über den Sinn von Kooperation
und den Anspruch an die persönliche Weiterentwicklung zu sprechen
und sie dafür zu gewinnen;
— die Präsenz bei den Lehrpersonen einzufordern (wofür sich die
Mitarbeitergespräche gut eignen);
— Regelungen für die Lehrpersonen zu finden, die in Teilzeit arbeiten.
Die Steuerungsgruppe verhandelt mit der Schulleitung der Jahresperspektive
und den Ereignissen entsprechende Zeitressourcen und einen sinnvollen
zeitlichen Ablauf über das Schuljahr.
Die Entwicklungsstruktur mit der Alltagsstruktur koordinieren
Absicht (Worum es geht!)
Strukturell läuft die Weiterentwicklung getrennt von den „Alltagsgeschäften“
und sichert sich damit ihren Platz.
Planungsprodukt (Was sichtbar wird!)
Das „Planungsprodukt“ ist die Jahresplanung, in der die Weiterentwicklung
und die Gestaltung des Arbeitsalltags kombiniert erscheinen.
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Vorgehen (Was zu tun ist!)
Die Schulleitung trägt die Verantwortung dafür, dass die Entwicklung ihren
Platz in der Jahresplanung hat und halten kann. Sie sichert das in ihrer
Jahresplanung.
Fazit
Abschliessend und zusammenfassend möchte ich das Anfangszitat von
Pechtl noch einmal nutzen:
„Entwicklung braucht ungebundene Energien und Kräfte.“
Sollten Weiterentwicklungen in der Institution „Schule“ in Richtung
förderlicher Lernmöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
unserer Zeit wirklich ernst gemeint sein, ist es angesagt, den aktuellen
Steuerungs- und Kontrollwahn(sinn) zu zügeln und die damit
verschwendeten Ressourcen selbstorganisierten und selbstgesteuerten Lernund Entwicklungsprozessen von Lehrpersonen und Lernenden zur
Verfügung zu stellen.
Quellen:
— Waldefried Pechtl: Zwischen Organismus und Organisation, Veritas-Verlag Linz, 1989
— Adolf Bartz: Bildungsorganisatioen bilden und entwickeln sich selbst, PraxisWissen
SchulLeitung 2570.02
— Ortfried Schäffter: Selbstorganisiertes Lernen - eine Herausforderung für die
institutionalisierte Erwachsenenbildung in: U. Witthaus, W. Wittwer, (Hrsg.):
Selbstgesteuertes Lernen - Theoretische Grundlagen und didaktische Konzepte. Bielefeld
2002
— Friedrich Glasl: Trigon-Visionsmethode, Seminarunterlagen Aarau 2010
— Bernd Schmid und Arnold Messmer: Das Perspektiven-Ereignismodell zur gedanklichen
Strukturierung von Innovationsprozessen, Institut für systemische Beratung, Wiesloch
2004
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